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Boundoleon
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  Unterste Schublade Datum:27.12.11 00:04 IP: gespeichert Moderator melden


Die Redaktion des Mainfränkischen Tagesblattes fand sich, wie jeden Werktagabend, pünktlich um fünf Uhr zur Abschlusskonferenz zusammen. Die festangestellten Journalisten diskutierten dabei Ressort übergreifend über das aktuelle Geschehen und legten die Themen für die folgenden Ausgaben der alltäglich erscheinenden Zeitung fest.

Dr. Bernhard Landvogt stand als Chefredakteur der Zeitung vor. Er zählte stolze 63 Jahre und prägte mit seinem Stil aus der guten alten Zeit den Charakter des Blattes. Global, christlich, unparteiisch und regional waren die von ihm vorgegebenen Werte, die er jeden Tag auf der ersten Seite über den Zeitungstitel drucken ließ. Für diese vier Prinzipien trat er uneingeschränkt ein und achtete tunlichst darauf, dass sie von seinen Untergebenen eingehalten wurden. Während der täglichen Zusammenkünfte saß er kerzengerade auf seinem Drehstuhl am Kopf des Konferenztisches, zwirbelte ab und an mit den Fingerspitzen den an den Spitzen gewachsten Schnurrbart und kommentierte jeden Vortrag mit seiner tiefen Bassstimme.

Als letzte Rednerin war das junge Fräulein Marhauser an der Reihe. Anna-Lea Marhauser. 26 Jahre alt. Schlank, schlau und schön; eine tückische Kombination in der heutigen Berufswelt, da man hübschen Frauen im Allgemeinen nur bedingt Intelligenz zutraute!

Sie wechselte vor einem halben Jahr aus Hamburg an das Maindreieck. Während des Studiums schrieb sie in der Hansestadt in einem Online-Magazin und war von ihrem Onkel, einem erfolgreichen Verleger, empfohlen worden. Dieser war für eine Vielzahl von Printmedien und Internetdiensten verantwortlich. Sein Herzenswunsch war, dass sie in der Provinz den traditionellen Journalismus lernte.

Insgesamt war Herr Dr. Landvogt mit ihrer Arbeit zufrieden. Trotz der jungen Jahre konnte sie bereits mit den anderen Redaktionsmitgliedern mithalten und übertraf sie zeitweilen sogar, was Flexibilität, Eloquenz und Engagement betraf. Aber sie verbreitete diesen Hauch von Unzufriedenheit und Veränderung; etwas, das ihrem frischen Stand in der Gemeinschaft nicht gut tat, und dieser Charakterzug missfiel ihm sehr.

Die altgediente Stammbelegschaft wurde vertreten durch Frau Müller-Gerhardt, die den Lokalteil betreute und mehr Zeit im Stadtrat verbrachte als im Redaktionsgebäude, und Herrn Ullreich, der eine Horde freier Schreiber mit Freikarten für Sportereignisse versorgte, damit sie ihm über Tischtennis, Fußball oder dem erstklassigen Basketball berichteten – immerhin war der Aushängeverein der Stadt nach Jahren der Abstinenz wieder in die erste Bundesliga aufgestiegen, und wer kennt nicht den berühmtesten Spross der Stadt, welcher die Dalles Mavericks in der NBA zum Erfolg geführt hat. Und keinesfalls vergessen durfte man Herrn Schladtke, der aus dem Gerichtsgebäude Bericht erstattete und seinen vollständigen Text bereits einschickte, bevor das Urteil offiziell im Saal verkündet wurde. Herr Dr. Landvogt hatte im Laufe der Zeit ein ganz besonderes Team um sich geschart, auf dem er sehr viel hielt, und dem er gerne das Fräulein Marhauser hinzufügen würde.

Doch Fräulein Marhauser passte mit ihrer jugendhaften, leicht rebellischen Art noch nicht in das konservative Sammelsurium der regionalen Topjournalisten. Zwar gelang es ihr häufig, außergewöhnlich gut formulierte und bestens recherchierte Artikel zu verfassen, aber an anderen Tagen brachte sie die extra für sie abgestellte Lektorin mit ihren neosprachlichen, an Internetblogs erinnernden Berichten mit der an Twittertexten angelehnten Interpunktion und Großschreibungsdebakel an den Rand der Verzweiflung. Dann hielt er ihr eine Standpauke und sie musste ihre Texte noch einmal komplett neu schreiben.

Dazu brachte ihre aufreizende Art die männlichen Kollegen fast um den Verstand und zog neidische Blicke der weiblichen Belegschaft auf sich. Noch ein Unruhefaktor, der Herrn Dr. Landvogts Unmut auf sich zog. Gerade jetzt stolzierte sie mit knöchelhohen schwarzen Stiefeln, einem Ledermini, einer weißen Bluse mit Krawatte und ihren unverschämt offen getragenen roten Locken um den Konferenztisch und sprach über das Topthema des Tages: „Die Freilassung der Millionärstochter.“ Die Tochter einer Winzerfamilie war entführt worden. Die Polizei hatte eine Sonderkommission eingerichtet, doch ihr fehlte bisher eine heiße Spur.

„Fräulein Marhauser, wir danken Ihnen für Ihren Beitrag!“, unterbrach Herr Dr. Landvogt den Vortrag der jungen Frau knapp.

„Aber …“, widersprach die rothaarige Journalistin und funkelte den Vorgesetzten an, wobei sie den Zorn wegen der Unterbrechung nicht ganz verbergen konnte. „Meine Ausführungen sind fundiert und meine Erkenntnisse führen in eine ganz andere Richtung, als uns die örtliche Polizei weiß machen möchte. Die Geschichte der jungen Frau hat erhebliche Lücken. Sie kann niemals so stattgefunden haben, wie sie im Polizeibericht steht. Die Entführung war fingiert! Ich kann beweisen, dass …“

„Fräulein Marhauser, Sie kommen nach der Konferenz bitte in mein Büro“, schnitt ihr Herr Dr. Landvogt das Wort ab. „Wenn es keine weiteren Punkte mehr gibt, ist die Besprechung beendet. Die anderen Artikel werden, wie besprochen, in der morgigen Ausgabe verwendet. Ich wünsche Ihnen einen guten Abend!“

Die Redakteure standen von ihren Plätzen auf und verabschiedeten sich eilig. Einige warfen Fräulein Marhauser bedauernde Blicke zu, andere wiederum zollten ihr dezent Respekt. Mit gesenktem Kopf wartete die junge Frau, bis sich der Raum geleert hatte. Zuletzt erhob sich Herr Dr. Landvogt von seinem Drehstuhl und deutete ihr, ihm zu folgen.

Das Büro des Chefredakteurs war seiner Position angemessen und wurde von einem großen Schreibtisch dominiert, hinter dem ein beeindruckendes Gemälde mit den Prinzipien des Mainfränkischen Tagesblattes hing. Hohe Regale voller wissenschaftlicher und literarischer Fachbücher rahmten den Schreibtisch ein und bedeckten die Wände des Raumes. Dunkle Vorhänge waren vor die Fenster gezogen und schützten das hell erleuchtete Zimmer vor neugierigen Blicken.

Anna-Lea Marhauser stand auf dem dunklen Holzboden. Die hochhakigen Stiefel waren unbequem. Sie musste auf den Zehen stehen und verlagerte ihr Gewicht von einem Bein auf das andere. Da die Stiefel nur bis zu den Knöcheln gingen, boten sie in den Beinen keine Stabilität, und sie musste, wenn sie auf der Stelle stand, ihr Gleichgewicht ständig korrigieren. Außerdem fühlte sie sich jedes Mal komisch, wenn sie vor versammelter Mannschaft kritisiert wurde und deswegen im Mittelpunkt stand. Darum war ihr schon im Konferenzraum ganz heiß geworden und ihr Gesicht leuchtete in roter Farbe.

Herr Dr. Landvogt kam nach ihr in das Zimmer und umkreiste sie mit gesetzten Schritten. Er musterte sie von oben bis unten und bewegte sich auf eine Art, dass sie ständig den Kopf drehen musste, um ihn im Blick zu behalten. Dennoch blieb sie auf der Stelle stehen. Denn ihr Vorgesetzter bestand darauf, dass man stillstand, wenn man zum Rapport gerufen wurde.

„Fräulein Marhauser“, leitete er, wie immer, seine Standpauke ein. „Wie Sie wissen, befinden wir uns hier am Main und nicht an der Elbe. Wir sind eine seriöse Zeitung, die in der Region fest verankert ist. Unsere Leser erwarten fundierten Journalismus und kein Boulevardblatt mit einem Knaller als Headline. Wenn wir über ein brisantes Thema wie der Entführung des geschätzten Fräulein Rießer – die ich persönlich seit ihrer Kindheit kenne - berichten, dann bleiben wir bei Fakten, Fakten und Fakten und stützen uns nicht auf bloße Vermutungen!“

„Herr Dr. Landvogt“, entgegnete die Rothaarige. „Mein Artikel beruft sich auf Fakten.“

„Unsere Fakten sind der Polizeibericht und die Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft“, entgegnete er, „und nicht das Geplauder irgendwelcher zwielichter Informanten, die bei solchen Ereignissen wie Pilze aus dem Boden schießen!“

„Meine Quelle ist das argentinische Au-pair-Mädchen der Familie Rießer“, sagte Anna-Lea. „Das ist nicht irgend so ein aus dem Boden geschossener Pilz. Die hat gesehen, dass Fräulein Rießers Lebensgefährte während der Zeit der Entführung persönliche Sachen aus ihrem Zimmer geholt hat, und aus der Küche ihre Lieblingsnahrungsmittel mitnahm. Das ist doch ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Entführungsgeschichte nur vorgetäuscht ist, um die Alten um eine hohe Summe zu prellen.“

„Wird Ihre Quelle das in einem offiziellen Interview bestätigen?“, fragte Herr Dr. Landvogt.

„Natürlich nicht“, antwortete Anna-Lea. „Sie hat Angst, abgeschoben zu werden, wenn sie ihre Stellung bei der Familie Reißer verliert. Und das wird sie, wenn sie vor Gericht gegen die Tochter des Hauses aussagt.“

„Da haben Sie Ihre fundierte Quelle, die nicht einmal der geringsten Erschütterung standhält,“ sagte der Vorgesetzte. „Was bringt ein Informant, wenn man sich auf seine Informationen nicht berufen kann? Und was halten Sie von Quellenschutz, wenn Sie einfach den Namen Ihrer Quelle herausposaunen?“

„Sie sind mein Vorgesetzter, Herr Dr. Landvogt“, sagte Anna-Lea und erwiderte seinem strengen Blick. „Ihnen allein bin ich Rechenschaft schuldig und das mache ich hiermit. Ich denke, ich kann mich darauf verlassen, dass Sie meine Quelle bedingungslos schützen.“

„Mit Herrn Reißer nehme ich heute Abend im Silvaner Stüberl ein Abendessen zu mir, Fräulein Marhauser“, sagte Herr Dr. Landvogt. „Ich lasse meinen alten Kameraden von Ihnen aufgrund von Äußerungen eines unzufriedenen Zimmermädchens nicht in den Dreck ziehen. Die Familie besitzt hier in der Stadt einen guten Ruf und den zerstören wir nicht mit einer reißerischen Story auf der Titelseite!“

„Im Gegenteil“, sagte Anna-Lea, „was das Fräulein Marhauser von sich gibt, ist eine reißerische Story, die den Ruf der Familie zerstören wird. Sie sagt, dass sie während eines Spazierganges in einen vorbeifahrenden Lieferwagen gezerrt worden sei. Darin musste sie sich selbst knebeln und fesseln. Dann wurde sie zu einem dunklen, feuchten Ort gebracht, musste sich immer wieder selbst fesseln und von einem Unbekannten fesseln lassen. Das Ganze über mehrere Tage hinweg, bis sie gegen die Zahlung einer hübschen Summe wieder freigelassen wurde.“

„Genau so steht es im Polizeibericht und genau so werden wir es drucken“, sagte Herr Dr. Landvogt scharf.

„Wollen Sie das nicht begreifen“, protestierte Anna-Lea lautstark. „Hübsche Millionärstochter, stinkender Keller, Lösegeld. Das sind Schlagworte für eine Fetisch-Geschichte. Das hat nichts mit der Realität zu tun. Daraus kann ihnen jeder halbwegs begabte Hobbyautor eine einigermaßen spannende Novelle schreiben. Ist das so schwer zu verstehen? Sehen Sie nicht, dass die ganze Sache abgekartet ist? Sogar in der Soko Frankenwein herrschen über den von ihr geschilderten Hergang berechtigte Zweifel.“

„Den wir aber nicht in die Öffentlichkeit zerren“, sagte Herr Dr. Landvogt. „Die Familie Reißer ist integer! Solange wir keine handfesten Fakten in Form eines Polizeiberichtes haben, stellen wir die vorhandenen Gegebenheiten nicht in Frage. Stellen Sie diese Gegebenheiten nicht in Frage, Fräulein Marhauser!“

„Die Äußerungen des Au-pair-Mädchens sind Fakten“, sagte Anna-Lea.

„Seien Sie froh, dass ich Ihre Quelle schütze!“, entgegnete Herr Dr. Landvogt.

„Dieses ganze Kaff ist völlig verfilzt“, fluchte Anna-Lea und stapfte auf. Es wurde langsam unbequem, in diesen Schuhen stillzustehen, und die Füße begannen wegen der hohen Absätze wehzutun. Eine Diskussion auf diese Art zu führen war kein Zuckerschlecken.

„Wissen Sie“, sagte Herr Dr. Landvogt. „Filz ist etwas Wunderbares. Ich steige jeden Morgen in meine Filzpantoffeln. Sie halten mich warm und sind bequem. Sie begleiten mich schon seit vielen Jahren. Warum soll ich etwas ändern?“

„Sie meinen, nur weil hier in der Stadt die Herrschaften schon so lange miteinander verflochten sind, dass man sie nicht mehr voneinander trennen kann, weil sie wie Pech und Schwefel aneinander kleben, darf man keine begründeten Zweifel an einer hanebüchenen Geschichte äußern? Kennen Sie den Gleichheitsgrundsatz aus dem Grundgesetz? Der steht im Artikel 3. Sie behandeln Menschen ungleich. Wenn solche grundlegenden Zweifel an der Geschichte eines Otto Normalverbrauchers laut geworden wären, wären Sie dem sofort nachgegangen. Das verstößt gegen die Prinzipien der Verfassung“, ereiferte sich Anna-Lea. Tränen traten ihr in die Augen.

„Nein“, sagte Herr Dr. Landvogt. „Ich schütze das Ansehen bedeutender Bürger und wahre das Gleichgewicht der Gesellschaft. Damit werde ich meiner Verantwortung für diese Zeitung gerecht. Was Sie wollen, ist Anarchie und Chaos. Veränderungen dürfen nicht mit dem ICE einfahren. Sie brauchen Zeit, damit sie sinnvoll eingesetzt werden können!“

„Wir sind die vierte Gewalt“, sagte Anna-Lea mit gequältem Gesichtsausdruck. Sie wollte nicht aufgeben, trotz der Schmerzen in den Beinen. „Wir haben Verantwortung! Nicht nur der gesellschaftlichen Elite gegenüber, sondern gegenüber der Allgemeinheit, gegenüber allen Menschen! Wir stehen auf einer Stufe mit der Legislative, der Judikative und der Exekutive. Wenn die Pressefreiheit verstümmelt wird, ist die freiheitlich demokratische Grundordnung in Gefahr. Wenn wir auf diese Selbstzensur üben, hat die Tyrannei einer Oligarchie die Oberhand gewonnen. Big Brother is watching you. George Orwell. 1984. Das ist gar nicht so weit entfernt von Deutschland 2011.“

„Schweigen Sie“, beendete Herr Dr. Landvogt die Diskussion, „und hören Sie auf zu diskutieren!“

Gequält grinste Anna-Lea ihrem Vorgesetztem ins Gesicht. Die Argumente waren alle stichhaltig gewesen und sie wusste, dass sie recht hatte. Und sie wusste auch, dass er das wusste, darum hatte er den Dialog beendet.

„Ihre Ansichten sind reaktionär,“ schimpfte er. „Wir vom Mainfränkischen Tagesblatt zeigen bewusst Verantwortung und nehmen diese äußerst kritisch wahr. Aber wir sind kein Revolverblatt, das mit verbalen Schnellschüssen Schmutz auf angesehene Bürger wirft. Bis ihre krude Verschwörungstheorie gegen das junge Fräulein Reißer lückenlos bewiesen ist, gilt für mich immer noch die Unschuldsvermutung. In dubio pro reo! Nehmen Sie ihre jungen Beine zusammen, stehen Sie gerade und prägen Sie sich die Prinzipien dieses Blattes gründlich ein. Vielleicht lernen und verstehen Sie irgendwann einmal, was es heißt, Verantwortung zu tragen.“

Das war der Beginn des typischen Rapport-Rituals des Herrn Dr. Bernhard Landvogt. Anna-Lea drückte die Knie gegeneinander, wodurch das Stehen auf den Zehenspitzen noch schwieriger wurde. Sie streckte das Kreuz, bis sie stockgerade stand, und presste die Arme gegen den Körper, sodass die Handflächen auf den Oberschenkeln lagen. Die Augen hielt sie geradeaus auf das plakative Bild gerichtet und stand so in einer militärischen Habachtstellung, um ihre verbale Demütigung zu erhalten. Es war eine Pose, die sie schon häufig einzunehmen hatte.

„Sie kommen aus Hamburg hierher und meinen, diese Zeitung in den Grundfesten erschüttern zu müssen“, begann Herr Dr. Landvogt seine Tirade. „Seit Jahrzehnten ist diese Zeitung das bedeutendste Medium in der Region und wird von den Menschen hier geachtet. Warum ist das so? Weil sich das Konzept von Ehrlichkeit und Beständigkeit bewährt hat. Sie sind der Ansicht, dass es konservativ ist, seinen Prinzipien treu zu bleiben. Ich sage, dass es erfolgreich ist. Nur, weil Ihr Onkel in Hamburg ein großer Verleger ist und Sie auf seine Empfehlung hin hier anfangen durften, heißt das noch lange nicht, dass sie hier einen Freibrief haben. Ihre kruden Ideen vom investigativen Journalismus, Breaking-News, der Verknüpfung des Printmediums mit Webinhalten, dem Ausbau der Internetsparte mit Schaltung intelligenter Werbung und dann noch das Programmieren von Smart-Phone-Apps sollen sofort und ohne genauere Prüfung umgesetzt werden, weil wir sonst zu altbacken wären. Wir sind eine Zeitung. Zeitung wird auf Papier gedruckt und dann in der Hand gehalten, um sie zu lesen.“

Anna-Lea hielt die Augen starr gerade aus gerichtet. Sie verkniff sich ein unverschämtes Grinsen. Alle Muskeln waren angespannt. Ein Schweißfilm hatte sich auf der Stirn gebildet. Die Position, die er ihr verordnet hatte, war sehr anstrengend. Ihr Vorgesetzter hatte die Stimme erhoben und stolzierte mit auf den Rücken verschränkten Händen um sie herum. Sie hatte diese Worte schon gefühlte hundert Mal gehört und er wurde nicht müde, sie zu wiederholen.

„Ihre Artikel sind reißerisch, pointiert und haben oft sehr wenig mit seriösem, konservativem Journalismus zu tun. Sie gehören in ein Boulevardblatt und sind dort in der Schmuddelecke gut aufgehoben. Ihre Artikel wie der, über den wir gerade gesprochen haben, sind unterste Schublade, wenn man dieses Bild in diesem Zusammenhang verwenden darf. Erst nach einer ordentlichen Belehrung verstehen Sie es, etwas Ordentliches zu Papier zu bringen. Warum geht das bei Ihnen nicht beim ersten Mal?“

Anna-Lea sparte sich eine Erwiderung und hielt den Blick weiter auf das Bild mit den vier einprägsamen Worten gerichtet. Langsam flimmerten schwarze Sternchen vor den Augen und die Füße schmerzten bis hoch zum Hintern. Ihre Kiefern mahlten aufeinander, doch sie blieb stumm.

„Dieses Büro hat Generationen von renommierten Journalisten hervorgebracht. Ich habe hier eine ganze Flut von Menschen herangezogen, deren Niveau wie das Ihre mit der untersten Schublade begonnen hat. Mittlerweile genießen viele dieser Leute einen Ruf, der weit über die Grenzen dieses Landes hinausgeht. Sie, Fräulein Marhauser, befinden sich noch immer auf dem Niveau der untersten Schublade, egal wie großartig Sie Ihrer Meinung nach das Studium abgeschlossen haben und wie geistreich Sie Ihre Kommentare halten. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Sie diese Tatsache genießen. Aber ich werde aus Ihnen noch eine Spitzenkraft formen. Verlassen Sie sich darauf, und wenn es das Letzte ist, was ich vor meiner Pensionierung mache!“

Anna-Lea konnte kaum noch stehen. Sie schwankte bereits auf ihren unbequemen Schuhen und musste sich bald irgendwo abstützen. Schweiß rann ihr über das Gesicht und färbte die Bluse unter den Achseln dunkel.

Herr Dr. Landvogt ging zu seinem Schreibtisch und zog die unterste Schublade auf. Endlich! Daraus nahm er eine Holzbürste mit bauchigem Kopf, einen Schwamm und eine Beißstange aus Gummi, die er allesamt auf den Schreibtisch platzierte. Mit erhobenem Haupt stand er auf, zwirbelte den Schnurrbart und ging zu dem Plattenspieler, der in einem der Bücherregale stand.

„Sorg dafür, dass man Dich nicht hört, Mädchen“, sagte er beiläufig, als er Beethoven einlegte und die Lautstärke nach oben korrigierte.

Die junge Frau stopfte sich den Schwamm in den Mund und biss auf die feste Gummiwurst. Schnell führte sie die Lederriemen hinter dem Kopf zusammen und verschloss die Schnalle unter der roten Lockenpracht. Sie wusste, dass der Knebel notwendig sein würde, damit sie nicht das gesamte Bürogebäude zusammen schrie, wenn er sie nach den Regeln der untersten Schublade für ihr Fehlverhalten maßregelte.

Herr Dr. Landvogt setzte sich auf seinen Schreibtischstuhl, den er nach hinten an die Wand geschoben hatte, direkt unter das Bild mit den Prinzipien. Der Stuhl hatte eine hohe Lehne mit ausladenden Ohren, Armlehnen besaß er nicht. Der Vorgesetzte nahm aus der untersten Schublade ein schneeweißes Handtuch und legte es sich akkurat über den Schoß.

„Komm her, Mädchen“, befahl er und sie stöckelte mit krampfenden Beinen um den mächtigen Tisch herum. Dann ging sie auf die Knie und krabbelte die letzten Meter auf allen Vieren. „Hoch mit Dir!“

Anna-Lea gehorchte. Sie richtete sich auf und legte sich auf den Schoß ihres Vorgesetzten, genau über das Handtuch. Mit seinen alten, schwieligen Fingern schob Herr Dr. Landvogt den Lederrock über die Hüfte.

„Aha“, sagte er. „Keine Unterwäsche. Wusste ich es doch! Sie sind nicht nur unfähig, Fräulein Marhauser. Sie sind dazu noch ein unverschämtes Luder!“

Anna-Lea Marhauser hätte gerne erwidert, dass er ihr gestern aufgetragen hatte, so zum Dienst zu erscheinen. Das konnte sie aber wegen des Knebels nicht – und in dieser Lage wäre so eine Erwiderung auch nicht gerade clever gewesen. In Erwartung ihrer Strafe schloss sie die Augen.

Herr Dr. Landvogt beugte sich nach vorne und nahm die Bürste von der Tischplatte, dann schob er die Schublade zu. Mit leichten Schlägen bereitete er ihre Kehrseite und die Oberschenkel für die anstehende Züchtigung vor. Auch Anna-Lea wappnete sich mental auf die bevorstehenden Schmerzen.

„Sie sollen aufhören, der Lektorin so üble Streiche zu spielen“. Die Schläge wurden langsam fester. „Glauben Sie, ich merke nicht, dass Sie der armen Frau unzulängliche Texte geben, nur um sie zu schikanieren? Orthografie, Syntax, Grammatik. Das können Sie alles und haben das schon mehrfach bewiesen.“

Mittlerweile ließ er das Holz auf ihrem Po tanzen. Anna-Lea schnaufte tief in den Knebel und klammerte sich an die seitlichen Stuhlbeine.

„Wir sind eine renommierte Zeitung“, skandierte der Chefredakteur und ließ jetzt schmerzhaft die Bürste auf ihren verlängerten Rücken sausen. Jede Silbe bedeutete einen Schlag. „Sie sind ein Teil dieser Zeitung. Sie schreiben, wie es dieser Zeitung gebührt. Sie sind keine Revoluzzerin, sondern ein Teil der Gemeinschaft.“

Anna-Leas Kehrseite verfärbte sich in ein dunkles Rot. Die junge Frau zappelte mit den Beinen und krallte sich an den Stuhlbeinen fest. Wimmernde Geräusche drangen durch den festen Knebel, aber sie kniff die Augen zusammen und hielt die Strafe tapfer aus. Ihr Vorgesetzter schlug erbarmungslos.

„Mainfränkisches Tagesblatt steht für … Globalität … Christentum … Unparteilichkeit … Regionalität!“ Die Schläge für die letzten vier Worte landeten besonders hart auf ihrem Po und die rothaarige Redakteurin jaulte in den Knebel. Tränen liefen die Wangen hinunter und verschmierten die perfekte Schminke. Sie versuchte vom Schoß des Vorgesetzten zu rutschen, doch der hielt sie mit geübtem Griff. „Das wiederhole ich gerne für Dich noch einmal: Globalität … Christentum … Unparteilichkeit … Regionalität!“

Anna-Lea weinte jetzt bitterlich. Ihr tat alles weh. Sie zitterte am ganzen Körper. Überall pulsierte ein einziger unbestimmter Schmerz. Die Innenseite der Oberschenkel brannten wie Feuer, die Haut unterhalb des Rückens fühlte sich zum Zerreißen gespannt an. Die Bestrafung hatte sie völlig verausgabt, aber genau deswegen fühlte sie sich frei. Sie hatte ihre Strafe bekommen. Ob sie gerecht war, ließ sie offen. Dass sie geil war, stand außer Frage. Sie hatte ihre Strafe genossen, doch das brauchte der alte Sack ja nicht zu wissen. Aber das wusste er, sonst hätte er das Handtuch nicht untergelegt.

„Sei ein braves Hündchen“, sagte Herr Dr. Landvogt und ließ sie vor ihm niederknien. Er hielt einen Plastikknochen in die Höhe und schleuderte ihn in die Ecke zwischen zwei Bücherregalen. „Du bist keine Redakteurin mehr. Du bist mein Hündchen. Hol den Knochen, braves Hündchen, und spiel ein wenig damit, bis ich wieder da bin.“

Anna-Lea krabbelte in die Ecke, in welcher der Knochen zum Liegen gekommen war. Sie kniete sich hin und beugte den Kopf nach vorne, bis der Beißknebel das Plastikding berührte. So verharrte sie, ihrem Vorgesetzten den knallroten Hintern präsentierend. Herrn Dr. Landvogt gefiel der Anblick und er verweilte noch etwas auf dem Schreibtischstuhl.

In den Jahrzehnten seiner Führung hatte er schon viele Redakteure, egal ob weiblich oder männlich, mit den Gegenständen aus der untersten Schublade von jungen ungestümen Menschen zu großartigen Persönlichkeiten erzogen. Schon bald hatte er gelernt, auf eine Art und Weise zuzuschlagen, dass es zwar ungemein wehtat, aber keine Spuren hinterließ, weder körperliche noch seelische. Noch nie war bei ihm Blut geflossen oder eine Narbe zurückgeblieben.

Fräulein Marhauser war eines dieser ungestümen Exemplare, die frisch von der Schule kamen und es immer wieder darauf anlegten, von ihm gezüchtigt zu werden. Die Art, wie sie sich anzog, so ganz ohne Unterwäsche mit aufreizender Kleidung ihm den wohlgeformten Körper schmackhaft machte, wie sie ihm trotz der Strafen ständig Widerworte gab und in ihrer jungen Naivität versuchte, die Welt zu verändern, war für ihn eine besondere Herausforderung, die er sichtlich genoss. Nicht umsonst musste er bei ihrem Anblick sitzen bleiben, bis seine Erregtheit wieder nachgelassen hatte.

Irgendwo hatte sie schon recht, dass das Mainfränkische Tagesblatt rundum erneuert werden musste, um am Markt bestehen zu können. Doch er würde dafür in seiner Amtszeit keine Kraft mehr aufbringen. Das würde er seinem Nachfolger überlassen.

Heute Abend würde er sich mit Herrn Reißer treffen und mit ihm klären, wie mit der angeblichen Entführung seiner Tochter umgegangen werde. Natürlich war die Geschichte erstunken und erlogen, doch man musste so etwas diskret erledigen und durfte dabei keinen Scherbenhaufen hinterlassen. Man hatte ja schließlich Verantwortung.

Aber jetzt musste er erst einmal duschen und seinem inneren Druck Abhilfe verschaffen. War dieses Mädel scharf! Noch immer reizte es ihn sexuell, so ein junges wildes Ding auf dem Schoß zu haben.

***

Anna-Lea Marhauser kniete zusammengekauert in der Ecke des Büros ihres Chefs und zitterte am ganzen Körper. Über Hintern und Oberschenkel loderten die Flammen des Schmerzes, doch das war nicht der Grund für das Schluchzen und das Zittern. Tatsächlich musste sie sich erholen, weil sie auf dem Schoß des Alten zweimal in absoluter Ekstase gekommen war. Zum Glück war sie geknebelt gewesen, sonst hätte man in ganz Würzburg ihre Schreie gehört.

Auf Drängen ihres Onkels war sie in die Stadt des Frankenweins gekommen. Zum einen sollte sie den traditionellen Journalismus erlernen und zum Anderen das Mainfränkische Tagesblatt für die Übernahme des neuen Verlagshauses vorbereiten, Modernisierungsstrategien erarbeiten und herausfinden, wer aus der Redaktion übernommen werden sollte.

Bereits nach wenigen Monaten hatte die junge Frau ihre Aufgabe erfüllt und einem Wechsel wäre nichts mehr im Wege gestanden, wenn nicht der Chefredakteur sie unter seine persönlichen Fittiche genommen hätte. Der alte Mann wollte die Verderbtheit aus ihr herausprügeln und eine gute traditionelle Journalistin aus ihr machen. Letzteres fand Anna-Lea interessant, und Ersteres sehr erregend. Nicht zuletzt, weil sie zu Hause wegen ihrer Intelligenz und ihres Fleißes eher eine Laissez-faire-Erziehung genossen hatte und seit jeher jede Autorität vermisste. Die starke Hand ihres Vorgesetzten war für sie, sexuell gesehen, die reinste Wonne. Ganz langsam hatte er sie auf die unterste Schublade seines Schreibtisches vorbereitet, wobei er immer darauf geachtet hatte, dass nichts gegen ihren ausdrücklichen Willen geschah.

Um seine Kreativität herauszufordern, fertigte sie jeweils drei Artikel über ein Thema an. Einen, um ihn zur Weißglut zu bringen, einen Zweiten, um die Lektorin zu ärgern, und einen Dritten, den sie jeweils vorab an den Layouter schickte, welcher dann, genau wie sie ihn abgegeben hatte, im Tagesblatt erschien. Natürlich hatte sie die Polizeiversion der Entführungsgeschichte eingereicht, doch die tatsächliche Geschichte war schon fertig geschrieben und wartete nur auf den Einsatz.

Tja, eigentlich hätte Anna-Lea Marhauser Herrn Dr. Landvogt schon lange abschießen und selbst den Posten der Chefredakteurin – der Jüngsten in Mainfranken – übernehmen können, doch überraschte sie die sexuelle Spielart mit dem alten Herrn. Wenn er aus Altersgründen das renommierte Blatt verließ, musste ihr Onkel einen neuen Chefredakteur suchen, denn sie würde zurück nach Hamburg gehen. Die Stadt war einfach weltoffener als das konservative Würzburg, wo die Redakteure ihr Geheimnis kannten und später gegen sie verwenden könnten. Doch für die Übernahme hatte sie alles vorbereitet.


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