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Why-Not |
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Eigentor - Wie man keine Kurzgeschichte schreibt
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Datum:23.05.13 10:53 IP: gespeichert
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Eigentor
Zitternd wartete sie im Hotelzimmer. Nackt und mit verbundenen Augen, wie er es von ihr verlangt hatte. Plötzlich hörte sie Schritte. Ist er das? Oder ein Fremder? ...
„Aargh!“
Ich klicke die Story weg. Mag ja sein, daß sie später diesen abgedroschenen Plot verläßt. Aber wahrscheinlich erzählt sie zum tausendsten Mal dieselbe Geschichte. Vielleicht sollte ich selbst mal wieder eine Kurzgeschichte schreiben. Aber zu welchem Thema? Die meisten Geschichten sind schon viel zu oft erzählt worden. Schließlich will ich nicht, daß es anderen Lesern so geht, wie mir gerade mit diesem Text.
Für eine komplexe Handlung ist eine Kurzgeschichte zu klein. Eine echte, erlebte Session vielleicht? Nein, das wird nichts. Auch wenn sie für mich toll war, in der Nacherzählung wird sie schnell fade. Ich beschreibe ja auch nicht ausführlich, wie es war, als ich neulich ein zartes Filetsteak gegessen hatte. Oder doch?
... Bereits der Duft des gegrillten Steaks ließ mir das Wasser im Munde zusammenlaufen. Ich schnitt ein kleines Stück ab, wobei das Messer fast ohne Kraft durch das zarte Fleisch glitt. Leicht tunkte ich es mit der Gabel an einer Seite in die goldgelbe Sauce Bernaise und hielt es mir unter die Nase. Beim langsamen Einatmen konnte ich in der Mischung der Gerüche noch die Butter, die Crème Fraîche, das leicht stechende Aroma des enthaltenen Senfs und des Zitronensafts erkennen. Überlagert wurde dies mit dem kräftigeren, leicht bitteren Geruch des gegrillten Fleisches. ...
Nein, lassen wir das. Beim Nacherzählen von Erlebtem kommt mir gleich die fiese Assoziation des ‚therapeutischen Schreibens’ in den Sinn. Nicht, daß das per se etwas Schlechtes wäre. Aber für Unterhaltungsliteratur ist diese Bezeichnung so ziemlich das gemeinste Etikett, das man ohne Kraftausdrücke vergeben kann.
Es müßte schon etwas ganz anderes sein. Die dramatische Schilderung einer mißlungenen Session vielleicht? Nein, ich will meine Leser unterhalten, nicht deprimieren. Der Text müßte spannend sein und eine Pointe haben.
Jetzt ist es wieder passiert. Mit diesen Erwartungen habe ich mir eine wunderbare Schreibblockade aufgebaut. Herzlichen Glückwunsch.
Tja, es ist halt leichter, über die Texte anderer zu lästern, als es selbst besser zu machen. Na gut, dann schreibe ich einfach eine Kolumne über die Widrigkeiten, eine Kurzgeschichte zu verfassen.
© 12/2012 Why-Not
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Gummimike |
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Sklave
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RE: Eigentor - Wie man keine Kurzgeschichte schreibt
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Datum:23.05.13 14:29 IP: gespeichert
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Interessanter Text Why Not.
Ist doch mal nett zu Lesen was für Gedanken einem Autor so durch den Kopf gehen beim Schreiben.
Ich habe grad in den Logbüchern der Perry Rhodan Autoren geschmökert und da gabs auch einige Interessante Einträge zum Thema schreiben und dann auch die Rückmeldungen vom Lektor wurden beschrieben. Don´t Dream it! BE IT!!!
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Story-Writer
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RE: Eigentor - Wie man keine Kurzgeschichte schreibt
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Datum:24.05.13 20:53 IP: gespeichert
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Hi Why-Not
Kann deine Geschichte sehr gut nachvollziehen. Dem ist nicht mehr viel zuzufügen, außer vielleicht noch einen kleinen Punkt; „Schreibe ich so wie es mir gefällt oder richte ich mich nach meinen potentiellen Lesern?“
Danke für deinen Beitrag
Keuschy
Meine Geschichten;
Fetisch; Die Schlampe des Chemikers, Ulrikes Abenteuer, Ullas Osterei, Das Verhör, Zoobesuch,Die Joggerin,Ein außergewöhnliches Weihnachtsgeschenk, Stonehenghe; Das Ritual; no escape; Seitensprung; Angelas Weihnachtsgeschichte;
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Herren: Total verrechnet,Wer war´s, Weihnacht in Latex, Prosit Neujahr, Die Umkleidekabine, Späte Rache, Das Tagebuch meines Mannes
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RE: Eigentor - Wie man keine Kurzgeschichte schreibt
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Datum:19.06.13 00:04 IP: gespeichert
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>WhyNot:
Zitat | ... Bereits der Duft des gegrillten Steaks ließ mir das Wasser im Munde zusammenlaufen. Ich schnitt ein kleines Stück ab, wobei das Messer fast ohne Kraft durch das zarte Fleisch glitt. Leicht tunkte ich es mit der Gabel an einer Seite in die goldgelbe Sauce Bernaise und hielt es mir unter die Nase. Beim langsamen Einatmen konnte ich in der Mischung der Gerüche noch die Butter, die Crème Fraîche, das leicht stechende Aroma des enthaltenen Senfs und des Zitronensafts erkennen. Überlagert wurde dies mit dem kräftigeren, leicht bitteren Geruch des gegrillten Fleisches. ... |
Spätestens, wenn du jetzt auch noch anfängst die Fleischhäppchengröße mit exakt 2*2 cm zu beschreiben (alias Phileas Fogg aus "In 80 Tagen um die Welt") oder die Weintemperatur einfügst (wie Roger Moore in einem James Bond (Titel vergessen), der seinen Raki mit 71°F Serviertemperatur lobte), würde ich das Fenster schließen. Wahrscheinlich gehst du dann auch noch auf das eingeprägte Muster im Besteck ein.
Es gibt gewisse Gelegenheiten, da darf ... da müssen solche Details hinein.
Dein Beispiel würde ich als "Folter" für das danebenstehende, gefesselte Opfer wählen. Ohne die Geschichte mit einem Satz abzukürzen, die Wartezeit ihrer/seiner missgünstigen Lage mit "... nach einer halben Stunde ...", würde ich es akzeptieren, sogar selbst bei mir einbauen.
Unter Kollegen ... (der Rest den nächsten Absatz bitte ausblenden => überlesen)
Mache ich mitunter auch. Einerseits ist es "Füllmaterial", das aber "quergelesen" wird, andererseits zeugt es auch von Stil. Man kann diese Schilderungen jedoch auch für die Unbeschwertheit eines (vergifteten?) Essens heranziehen. Wenn es ein "Überflieger" quergelesen hat, wird sie/er sich im nächsten Kapitel wundern, warum die Leiche abtransportiert wird. Dann liest man doch wieder nach.
Ihr dürft jetzt auch wieder weiterlesen.
Wenn du dann aber im nächsten Kapitel auch noch die Kleidung detailliert beschreibst, würde mir der Geduldsfaden reißen. Es wäre ein unwahrscheinlich schwerer Rotwein zu einem leichten Essen.
Von meiner Patentante habe ich vor Jahren ein Taschenbuch geschenkt bekommen, in dem der Hauptdarsteller als "Man" bezeichnet wird. Angeblich ein Bestseller. "Man ging .." "Man fragte den ..." "Man bückte sich nach ..." "Man hatte den Ort der ..."
Die Ausgewogenheit muss stimmen. Auf Details kann eingegangen, einfache Handlungsweisen mit deiner Einleitung, aber dann ....! Das ist ja der Witz an der Sache. Dann darf auch ganz detailliert beschrieben werden, "... wie ein Aktenvernichter als Faxgerät missbraucht wird, wie ein Baby doppelt gewickelt wird, wie der Teddy die Flasche bekommt, usw." (Auszug aus "Die Organisation" von mir) Auch ich habe die Rockerbande durchs Haus stampfen lassen, fast jede Treppenstufe, jeden Schritt beschrieben, aber das war situationsbedingt.
Lieber WhyNot.
Deine Einleitung kann ich so nicht stehen lassen. Auf Wiederlesen
Detlev
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Why-Not |
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Story Writer
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RE: Eigentor - Wie man keine Kurzgeschichte schreibt
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Datum:19.06.13 23:14 IP: gespeichert
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Lieber Roger,
den Text mit dem Steak hatte ich nicht als Füllmaterial eingebaut, sondern um zu zeigen, daß eigene, tolle Erlebnisse für Dritte meist langweilig sind - selbst dann, wenn sie in "pornographischer Detailverliebtheit" erzählt werden. Viele solcher Erlebnisberichte oder Lieblingsphantasien beginnen mit diesem "Zitternd wartete sie ...".
Insgesamt hat sich meine Einstellung zu Fülltexten allerdings verändert. Früher hielt ich mich nicht mit "lästigen Details" der Vorgeschichte auf, sondern kam möglichst schnell zu dem Punkt, um den es mir eigentlich ging. Wenn ich früher geschrieben hätte, daß meine Prots "wegen irgend einer Belanglosigkeit in einen heftigen Streit gerieten", dann lasse ich jetzt die Leser daran teilhaben, wie aus einer Mücke ein Elephant wird. Das heißt für mich natürlich, daß ich mir wirklich einen glaubhaften Gesprächsverlauf ausdenken muß, der zu einem heftigen Streit eskaliert. (Evtl. auch noch so, daß die Leser als unbeteiligte Dritte darüber schmunzeln können.) Inzwischen sehe ich das nicht mehr als Füllmaterial an, sondern als Mittel, der Geschichte eine authentische Atmosphäre zu geben. Aber keine Sorge, auf seitenlange Landschaftsbeschreibungen à la Karl May verzichte ich weiterhin.
An einem konkreten Beispiel siehst Du "meine neue Ausführlichkeit" bei meiner aktuellen Kurzgeschichte "Wir müssen reden" (Link in der Fußzeile). Früher hätte ich geschrieben, daß "Ramona ihren Mann mit raffinierter Rhetorik dazu brachte, sich auf ein Experiment einzulassen, das er nicht überschaute", Und daß sie "ihn mit weiblicher Verführungs- und Überredungskunst davon abhielt, das Experiment vorzeitig abzubrechen". Jetzt kannst Du in der Geschichte mitverfolgen, wie sie ihn tatsächlich immer wieder in die Richtung dirigiert, in der sie ihn haben will.
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