Restriktive Foren

Thema:
eröffnet von Butterfly am 10.09.05 02:42
letzter Beitrag von Merdigo am 16.08.22 21:51

1. Versetzt

geschrieben von Butterfly am 20.07.04 14:12

Moinmoin (wie der Norddeutsche sagt),
ermutigt durch die neuliche Resonanz habe ich mal wieder die Tastatur geschwungen und geguckt, was so dabei herauskam.

Diesmal ist es ein (zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht fertiger, aber das kriege ich sicher noch hin... wäre das erste Mal, wenn nicht) Ausflug in das Fantasy-Genre. Und tendentiell wird die Geschichte etwas länger als die letzte (sie ist jetzt schon deutlich länger, und das Ende ist noch nicht so recht in Sicht).

Kategorisierung
S/M-Typ: D/S, Fixierungen, Handschellen, Schläge ... teils nicht wirklich SSC.
S/M-Rollen: F/m
Genre: Am ehesten Fantasy

Der unvermeidliche Disclaimer
Die folgende Geschichte ist eine erotische Phantasie (zumindest teilweise), die auch Beschreibungen sexueller Handlungen enthält. Dominanz und Unterordnung sind wesentliche (Na ja...zumindest vorhandene) Komponenten dieses Textes. Wer sich von solchen Themen abgestoßen fühlt, sollte nicht weiterlesen.

Alle Vorkommnisse und Personen dieser Geschichte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen oder Handlungen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Wer Handlungen dieser Geschichte nachahmt, tut das auf eigene Gefahr. Ich wünsche ihm/ihr viel Spaß dabei.
Das gleiche wünsche ich allen, die jetzt noch weiterlesen wollen.

´für´di (wie die Süddeutschen sagen)
Butterfly
2. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 20.07.04 14:16

Teil 1
Alles begann an einem ganz normalen Morgen. Jens schlug die Augen auf und wußte schon im Ansatz, daß es ein phantastischer Tag werden würde. Sein Kopf fühlte sich zwar an, als habe das Straßenbauamt beschlossen, den LKW-Verkehr zwischen seinen beiden Gehirnhälften hindurch umzuleiten, aber Jens wußte, daß das lediglich eine Konsequenz des gestrigen Abends - und seines zunehmenden Alters - war. Und wie er immer so schön sagte: Man mußte mit den Konsequenzen seiner Handlungen leben.
Er war selbst etwas verwundert, daß er trotz seines Schädelbrummens gut gestimmt war. Oder eigentlich eher euphorisch, in fröhlicher Erwartung auf was immer ihm dieser Tag bringen würde. Warum auch immer, denn Grund dafür hatte er eigentlich keinen.

Gestern, das war sein vierunddreißigster Geburtstag gewesen. Seine Mutter hatte davon abgesehen, ihn zu besuchen, sondern sich mit einem ausgiebigen Telefonanruf begnügt. Das Gespräch war in den üblichen Dialog geglitten.
"Junge, wann stellst du mir denn mal deine Freundin vor? Hast du Angst, daß du sie mit mir verschreckst?", (ein geschickt eingeflochtenes Aufschluchzen), "So grauslich bin ich doch auch nicht."
"Ach Mutti... du weißt doch, Naja ist furchtbar schüchtern. Sie schämt sich, weil sie nicht so gut deutsch kann, und sie hat mich auch noch nicht ihrer Familie vorgestellt, und...", er ließ den Satz ausklingen, weil er nicht mehr weiter wußte.
"Ach ja, dafür habe ich doch alles Verständnis."
"Ach Mutti...!", äußerte Jens in einer Kreuzung zwischen Stöhnen und Aufschrei, von der er hoffte, daß sie seinen deutlichen Unwillen diese Diskussion weiterzuführen, zum Ausdruck brachte.
Das hatte nichts genutzt. Daher war er zum Schrank gegangen, auf dem er seine "Hausbar" aufbewahrte und hatte begonnen, sich am Scotch zu bedienen, während er ab und zu ein abwesendes "Ja, Mutti.", "Nein, Mutti.", "Mmmmm...." oder "Das ist aber jetzt wirklich kein Grund zum Weinen..." äußerte. Als das Thema sich in Richtung Enkelkinder verlagerte, hatte er bereits ein schönes, warmes Gefühl im Bauch und begann, etwas schleppender zu sprechen.
Das Problem, das Jens mit genau diesem Dialog hatte, war, daß es keine Naja gab. Und auch keine andere Frau. Er wohnte allein. Und zwar hatte er prinzipiell den - mehr theoretischen - Wunsch, das zu ändern, aber wenn es an die Praxis ging, kam meist mehr als schnell heraus, daß er ein grundlegendes Verständnisproblem mit dem anderen Geschlecht (und auch mit seinem eigenen) hatte.

Also wie gesagt: Objektiv gesehen hatte er eigentlich keinen Grund, fröhlich pfeifend ins Badezimmer zu gehen und beim Zähneputzen das Pfeifen in lautes Summen und anschließend melodisches Gurgeln zu verwandeln.
Ohne das Gefühl von Beunruhigung, von dem er sich sagte, daß er es eigentlich haben sollte, wunderte er sich, was mit ihm los war. Ok, gegeben, die Randbedingungen stimmten. Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten fröhlich (normalerweise faßte er das eher mit den Worten "verteidigten brüllend ihr Revier" zusammen), ein paar einsame Schäfchenwölkchen warteten verstreut am Himmel auf den Schäfchenwolkenhütehund.
Stop. Das wurde einfach zu albern.
Aber das konnte ihn nicht wirklich stören.

In dieser, ihn mehr als alles anderen verwundernden, Stimmung hüpfte er fröhlich die Vordertreppe hinunter und beschloß, zur Arbeit zu laufen. Erst auf halbem Wege schlug er sich lachend die Hand vor die Stirn. Heute war doch Samstag. Aber was für einer!
Geradewegs bog er rechtwinklig nach links ab, in eine kleine Straße, von der er schwören konnte, daß sie gestern noch nicht dagewesen war. Was für ein blöder Gedanke... natürlich war die Straße dagewesen. Er hatte sie nur nie wahrgenommen, weil sie mehr als schmal sich zwischen zwei Backsteingebäuden hindurchzog und wahrscheinlich normalerweise nur von Obdachlosen und Junkies als Nachtlager verwendet wurde. Die Sorte von Straße, die man höchstens betrat, wenn man das dringende Bedürfnis verpürte, überfallen und ausgeraubt zu werden.
Sein Pfeifen wurde etwas leiser, und normalerweise wäre er umgedreht, zurück auf die belebte Hauptstraße. Das wußte er genau. Aber eine beinah pathologische Neugier, gepaart mit einem unerklärlichen Forscherdrang und dem klaren Wissen, daß alles GUT (großgeschrieben) werden würde, trieb ihn voran.
Er murmelte vor sich hin, ohne wirklich zu realisieren, was er da murmelte, oder woher es stammte: "Alles wird GUT. Alles wird GUT. Und alles und jedes wird GUT."

Mit naiver Verwunderung bemerkte Jens, wie die roten Backsteingebäude baufälliger wurden, schließlich eher Ruinen ähnelten, und zunehmend Müll auf der Straße lag. Der Himmel war kaum noch zu sehen, weil die Gebäude sich (schützend? bedrohlich?) immer weiter über die sowieso schon schmale Straße lehnten.
Er riskierte einen Blick über die Schulter und konnte das Ende der Straße schon nicht mehr sehen. Merkwürdig, so weit war er doch nicht gegangen?
Jetzt endlich machte sich ein leichter Anflug von Unwohlsein in ihm breit, den er beinah dankbar willkommen hieß. Seine Schritte wurden etwas zögerlich, er steckte die Hände in die Taschen seines Mantels und pfiff bewußt lauter vor sich hin.
Er meinte, in einem hohlen Fensterloch eine Bewegung gesehen zu haben, aber als er seinen Kopf drehte, war nichts zu sehen. Beim zweiten Mal war er beinah sicher, etwas gesehen zu haben. Dann meinte er, ein leises Huschen gehört zu haben.
Jens beschleunigte seine Schritte, gab sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Wie hatte er sich bloß in diese Situation hineingeritten? Er hörte einen leisen Ruf, war jetzt sicher, das Geräusch von Schritten wahrzunehmen. Er schwankte kurz zwischen der Möglichkeit, Coolness zu zeigen, sich nichts anmerken zu lassen, und der Alternative, aus dem schnellen Gehen einen zügigen Lauf zu machen und damit offenbar zu machen, daß er gemerkt hatte, daß er verfolgt wurde.
Trotz der traurigen Tatsache, daß er alles andere als sportlich war, entschied er sich für letzteres. Und während er immer schneller durch den engen Tunnel, der zunehmende Ähnlichkeit mit einem alten Kanal hatte, hetzte, fiel auch der letzte Rest seiner Euphorie von ihm ab.
3. Re: Versetzt

geschrieben von Why-Not am 20.07.04 15:13

Ein interessanter, wenn auch etwas bedrückender Anfang. Gespannt bin ich jedenfalls.

Why-Not
4. Re: Versetzt

geschrieben von Billyboy am 20.07.04 20:47

Oh oh! In was für einer üblen Gegend wohnt der denn? Ich hoffe das wenigstens die Miete günstig ist!!
Bin gespannt was ihn in dieser Gasse erwartet!
cu
Tom
5. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 21.07.04 07:14

Teil 2
Jens fluchte leise vor sich hin, während sein zunächst gleichmäßiger Atem zunehmend stoßweise kam. Schließlich blieb er erschöpft stehen und hatte das erste Mal wieder Augen für seine Umwelt. Der schmale Tunnel, immer noch aus Backsteinen gemauert, die teilweise zerbröckelten, ungleichmäßig aussahen, wurde in unregelmäßigen Abständen von nackten Glühbirnen erhellt, die eine (viel zu kleine) Lichtinsel schuf, die eher noch die ansonsten stygische Finsternis betonten. In einer solchen Lichtinsel hatte er angehalten.
Und als er einen Blick zurück riskierte, stellte er fest, daß es dort überhaupt kein Licht gab, sondern nur reine Dunkelheit.
Jens konnte sich nicht vorstellen, daß er im Laufschritt durch diese Finsternis gestolpert war. Vorsichtig, immer wieder über die Schulter sehend ging er weiter und bekam die Erklärung, denn kaum war er fünf Schritte über den Rand der seltsam scharf begrenzten Lichtinsel hinaus, da erlosch das Licht hinter ihm..
Das konnte doch nicht wahr sein, das durfte nicht wahr sein. Er stolperte zurück, die Hände ausgebreitet, mit jeder Hand an einer Tunnelwand entlangtastend. Er fühlte etwas Schleimiges, zog angeekelt die Hand weg und lief mit dem nächsten Schritt vor eine Backsteinwand.
Der Tunnel war schnurgerade gewesen, da war er sich sicher. Und er war an keiner Abzweigung vorbeigekommen. Er drehte sich um. Da waren Lichtinseln hinter ihm oder vielmehr vor ihm. Er tastete herum, aber dort, wo er eben noch gestanden hatte, bevor er seine Lichtinsel verließ, war jetzt eine solide Backsteinwand, die sich anfühlte, als stünde sie schon immer dort, und sich kein bisschen hohl anhörte, wenn er dagegen klopfte.

Jetzt war Jens an der Grenze seiner Aufnahmefähigkeit angekommen. Hier war eben noch der Tunnel gewesen. Hier war er entlang gekommen, aber plötzlich gab es keinen Weg mehr zurück. Er lehnte sich gegen die Wand. versuchte sich zu sammeln. Dann setzte er zu einem Spurt an, rannte auf die nächste Lichtinsel zu, rannte durch, bremste ab, drehte sich um und rannte mit ausgestreckten Armen zurück in die Dunkelheit.
Nach knapp zehn Meter, da, wo eben noch Licht gewesen war, war eine Wand.
Langsam ging er zu der nächsten Lichtinsel, lehnte sich dort an die Wand und dachte nach.
Ein schlechter Traum? Teleportation? Drogen? War er vielleicht verrückt geworden? Oder in einer Realität, die anderen Gesetzen gehorchte, als er gewöhnt war?
Jens gab sich Mühe, das Problem so sinnvoll wie möglich anzugehen. Er schlug mit der Faust gegen die Wand. Der überraschend scharfkantige Stein verletzte ihn und schickte einen exquisiten Schmerz durch seine Hand. Kein Traum, vorausgesetzt, man konnte sich in einem Traum nicht weh tun. Der Schmerz hätte sicherlich gereicht, um ihn zu wecken, oder? Er glaubte sich sicher zu sein.
Er betrachtete seinen blutenden Fingerknöchel. Damit konnte man gleich die zweite These lösen, daß er einfach immer wieder an die gleiche Stelle in einer Sackgasse zurückteleportiert wurde, falls es so etwas gab. Jens schmierte etwas Blut auf einen grünlichen glänzenden Backstein in Augenhöhe. Er war sicher, den Stein wiedererkennen zu können.
Dann ging er langsam weiter zur nächsten Lichtinsel. Der Backstein war nicht zu sehen. Aber hinter ihm war wieder nur eine Sackgasse, wie er sich vergewisserte.

Blieben nur noch die restlichen Möglichkeiten. Entweder er war verrückt, oder seine Umwelt.
Er beschloß, den Gesetzen dieser Welt - er lächelte, eigentlich war der Ausdruck "dieses Tunnels" richtiger - zu gehorchen. Offenbar sollte er nicht zurückgehen, gab es keinen Weg zurück. Also blieb der Weg nach vorne.
Im strammen Wanderschritt ging Jens den Tunnel entlang, zählend, wie oft er an Licht vorbeikam. Er begann Unterschiede in der Beleuchtung wahrzunehmen. Meinte er sich dunkel zu erinnern, daß es sich zunächst um Neonröhren gehandelt hatte, wurden die Glühbirnen und Lampenkonstruktionen zunehmend abenteuerlicher, bis er schließlich staunend vor einer Gaslaterne stehenblieb.
Was würde als nächstes kommen? Petroleum? Kerzen?
Er lag richtig.
Erst als er bei einer kruden, schwarz blakenden Fackel vorbeikam, hatte er zwei Ideen. Erstens, lang konnte der Tunnel nicht mehr sein. Womit wäre er denn beleuchtet gewesen? Zweitens, und das hätte er viel früher haben können, zum Beispiel bei einer der verschiedenen Petroleumlampen, die sicher ein besseres Licht abgegeben hätten, nahm er einfach die Fackel aus dem Halter.
Nach einigen Schritten entschied er sich, zurück zu gehen. Schließlich konnte er jetzt ja die eigentümliche Sackgasse, deren Ende ihn verfolgte, bei Licht untersuchen. Sie sah sehr unspektakulär aus. Eine simple Steinwand, die offenbar schon seit vielen Jahren genau da stand, wo sie war, und auch noch viele Jahre da stehen würde.

Brennendes Pech von der Fackel tropfte auf seine Hand. Er schrie vor Schmerz auf und schüttelte seine Hand schnell, schlug die Flammen aus. Wenn das nicht der Beweis war, daß er nicht träumte, konnte man es nicht beweisen.
Dann ging er weiter, hatte sich im Stillen schon damit abgefunden, daß der Tunnel endlos war, schloß aber unbewußt noch die Fragen nach Nahrung, Wasser, Licht aus, was ihm angesichts seines zunehmenden Durstes ziemlich schwer fiel.
Es dauerte nicht mehr lange. Schließlich trat er ins Freie.

Jens merkte schnell, daß er den Tunnel verlassen hatte, weil es zwar nach wie vor dunkel war, aber viel heller als in dem Tunnel. Da die Fackel sowieso schon völlig heruntergebrannt war, warf er sie weg, blieb ungläubig stehen und musterte seine Umgebung. Er stand im Freien und versuchte in dem schwachen Sternenlicht etwas zu erkennen. Er stand in einer Ebene, bewachsen mit Gras und einigen Bäumen. Und hinter ihm war nichts. Nur Ebene. Derlei Dinge war er ja beinah von dem Tunnel gewöhnt, was ihn aber wirklich irritierte, war der Himmel über ihm.
Nicht, daß er viel Ahnung von Sternbildern hatte, aber er war sich sehr sicher, daß das, was er da über sich sah, nicht das gleiche war, was er sonst Abends sah. Sehr sicher war am Himmel über der Erde kein bläulicher Spiralnebel zu sehen, der beinah den halben Himmel einnahm und zwar nicht ganz so hell war wie der Vollmond auf der Erde, aber doch beinah. Er blieb mit offenem Mund stehen und glotzte nach oben auf den unwahrscheinlichen Anblick.
Plötzlich verdunkelte ein Schatten den Himmel über ihm. Unwillkürlich ließ er sich neben einem Baum fallen, um nicht aufzufallen. Er wußte nicht weshalb. Vielleicht irgendein vererbter Reflex, wenn man über sich eine riesige geflügelte Kreatur sieht?

Während Jens sich zitternd an den Baum drückte, rasten seine Gedanken, versuchten, zu fassen, was geschehen war. Er war irgendwie noch bereit gewesen, den absurden Tunnel als Kuriosität hinzunehmen, aber das hier... das war etwas anderes.
Schließlich ließ seine Panik etwas nach und machte einer deutlichen Müdigkeit Platz. Da er sowieso nicht wußte, was er als nächstes tun sollte, schloß er die Augen.
6. Re: Versetzt

geschrieben von Why-Not am 21.07.04 11:16

Die Story weckt immer mehr Assoziationen zu meinem Lieblingsautor, Wolfgang Hohlbein. Respekt!

Why-Not
7. Re: Versetzt

geschrieben von Billyboy am 21.07.04 13:20

Na ich lese zwar lieber King und Barker, aber trotzdem gefällt mir die Geschichte. Horror verbunden mit Mystik oder Fantasy und SM hat einfach was.
Das passt irgendwie zusammen. *gg*
cu
Tom
8. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 22.07.04 08:05

Teil 3
Er konnte nicht behaupten, daß er besonders gut geschlafen hatte. Jens war nie ein Anhänger von Minimalcamping gewesen, und selbst die weicheste Wiese erwies sich bei längerer Einwirkung auf ein und dieselbe Körperstelle meist als ziemlich buckelig und hart. Er reckte seine schmerzenden Glieder und machte eine Bestandsaufnahme.
Die Zeit, die er verschlafen hatte, führte die Drogentheorie, an die er sich unbewußt geklammert hatte, ziemlich ad absurdum. Außerdem kam er sich ziemlich kohärent vor. Blieben die Möglichkeiten, daß entweder er verrückt geworden war, oder daß die Welt um ihn herum nicht die war, die er gewohnt war.
Beides nicht gerade ein Anlaß, ihn zu beruhigen.
Er lugte unter den herabhängenden Blättern des Baumes heraus (er kannte die Art nicht, aber sie sah nicht sehr fremd aus) und versuchte, sich einen Schlachtplan zurecht zu legen.

Das Schlimme war, daß er kein Pfadfinder, Fährtensucher, Jäger oder ähnliches war und daher seine Chancen, sich unbemerkt an was auch immer anzuschleichen trotz kindlicher Karl-May-Lektüre realistischerweise als sehr gering einschätzte. Es gab keine Anzeichen von menschlicher Besiedelung. Was blieb ihm also anderes übrig, als sich für eine beliebige Richtung zu entscheiden? Während er ging, betrachtete er die Landschaft. Die Ebene war leicht hügelig und von verschiedenen Bäumen bewachsen, unter einem dunkelblauen Himmel, mit einer kristallklaren Luft und einer riesig wirkenden Sonne, die in einem kräftigen rot-orange strahlte. An einigen der Bäume hingen eigentümliche Früchte, die er kurz mit zusammengekniffenen Augen anstarrte, bevor er entschlossen - und jederzeit bereit, das Stück auszuspucken - in eine hineinbiß. Davon sah er allerdings ab. Etwas so Schmackhaftes konnte einfach nicht giftig sein. Oder wenn doch, dann war es ihm egal.
Hungrig stopfte er eine weitere der Früchte in sich hinein.

Wäre da jetzt noch eine Herde Schäfchen und ein Pfeife rauchender Schäfer gewesen, hätte er gedacht, er wäre in einem naiven Bild der Romantik angekommen. Als er schließlich einen kleinen Bach fand, der munter über zwischen den Hügeln durchplätzscherte, begann er langsam, seine Umgebung ziemlich kitschig zu finden.. Im Stillen war er allerdings dankbar, daß er nicht in irgendeiner Wüste oder einem Bild von Dali gelandet war. Es gab keine zerlaufenden Uhren und keine stelzenbeinigen Elefanten.
Amüsiert von seinen künstlerischen Betrachtungen begann er fröhlich zu pfeifen. Dann machte er halt Landurlaub.



Die Sprache, die sie benutzten, klang wie altertümliches Deutsch, allerdings durchsetzt von merkwürdig klingenden Wörtern, deren Bedeutung sich nicht wirklich erschloß, und die Grammatik hätte jedem Deutschlehrer schlaflose Nächte beschehrt. Trotzdem konnte Jens fast alles verstehen.

Er war dem Bach gefolgt, weil er irgendwo mal gelesen hatte, daß das die einfachste Möglichkeit war, menschliche Ansiedelungen zu finden. Gab es hier überhaupt welche? Keine Strommasten waren sichtbar, kein Kondensstreifen am Himmel.
Er war nicht sicher, ob es nun gut wäre oder eher nicht, wenn er auf Menschen stieß. Er hoffte einfach, daß wer auch immer diese Landschaft bewohnte, freundlich gestimmt war. Und dann, als er die Flanke eines der Hügel, die höher waren, als sie vorher ausgesehen hatte, herumging, stand er plötzlich einer kleinen Gruppe Menschen gegenüber.
Als er sie zu Gesicht bekam, wurden seine Zweifel noch verstärkt, trotzdem ging er weiter auf sie zu. Sein linkes Bein knickte plötzlich zusammen, als das Ende eines Speerschaftes hart unter seine Kniescheibe traf und er taumelte zu Boden. Ein Fuß drückte sich in seinen Nacken, ließ ihn hilflos zappeln. Ein weiterer Tritt traf seine Seite. Jens zwang sich, still liegenzubleiben, weil er es sowieso zwecklos gewesen wäre, Widerstand zu leisten.

Er versuchte sich noch einmal kurz zu wehren, als seine Hände auf den Rücken gebogen und gefesselt wurden, aber der sich verstärkende Druck des Fußes, der immer noch sein Gesicht in den Schlamm preßte, ließ die Gegenwehr im Keim ersticken. Eine Schlinge wurde um seinen Hals gelegt und eine Hand ruckte auffordernd daran.
Mühsam rappelte sich Jens auf und als er in die Gesichter sah, traf ihn ein Schock. Die Leute, die ihn gefangen hatten, waren allesamt Frauen. Und, wie er sich eingestehen mußte, auch noch sehr gutaussehende, zumindest, wenn man sich eine gewisse Schmutzschicht und einen harten Ausdruck in den Augen wegdachte.
Aber er hatte nicht viel Zeit, nachzudenken, denn ein Stoß traf seinen Rücken, zusammen mit dem Befehl: "Los!", worauf sich die ganze Gruppe in einen langsamen Trab fallen ließ, den Jens zunächst mühelos mithalten konnte. Als er nach einigen Minuten begann, stoßweise zu atmen und ihm der Schweiß in die Augen lief, ohne daß er die Möglichkeit gehabt hätte, ihn mit seinen gefesselten Händen abzuwischen, während die Frauen unberührt schienen, begann er - durchaus richtig - zu vermuten, daß sie dieses Tempo stundenlang durchhalten konnten. Langsam ermüdend beobachtete Jens, wie die Frauen immer wieder einen kurzen kritischen Blick zum tiefblauen Himmel warfen.

Nicht viel später stolperte er das erste Mal. Würgend zog sich die Schlinge zu, brachte ihn erst recht aus dem Gleichgewicht und ließ ihn zu Boden taumeln. Er wälzte sich herum und stöhnte: "Ich kann nicht so schnell", zusammen mit einem Gesichtsausdruck, der wie er hoffte, mitleidheischend war.
Das Gesicht, über das sich eine breite Narbe zog, die auf der Wange anfing und in einer weißen Strähne in den schwarzen Haaren verschwand, kniff die Augen zusammen und machte eine simple Feststellung: "Du mußt." Dann packten zwei der Frauen ihn und zerrten ihn hoch. Etwas zischte und brannte dann wie Feuer auf seinem Rücken. Jens brauchte einen Moment, bis er verstand, daß es sich um einen Peitschenhieb handelte.
Schreiend wand er sich unter den folgenden Hieben, und als die Gruppe wieder loslief, war er hochmotiviert, mitzuhalten, zumal die Narbige hinter ihm ab und zu die Peitsche knallen ließ. Plötzlich rief eine Frau ein Wort und die gesamte Gruppe warf sich in einige Büsche. Ein primitives Messer preßte sich gegen seine Kehle und jemand zischte in sein Ohr: "Still!"
Die Frauen suchten zwischen den Zweigen hindurch den Himmel ab und Jens konnte sich nicht des Eindrucks erwehren, daß sie sich ängstlich duckten. Eine riesiges geflügeltes Tier flog über ihnen her, wendete, flog zurück. Und im Gegensatz zu der vorhergehenden Nacht hatte Jens dieses Mal Gelegenheit, es genauer zu sehen und spähte aufmerksam zwischen den Blättern hindurch. Die fledermausartigen Flügel, der lange Schwanz, der in einer breiten Spitze auslief, das grausame Gebiß ließ keinen Zweifel. Wenn es jemals einen gegeben hatte, dann war dies ein Drache.
Der Schatten fiel auf sie und eine der Frauen wimmerte leise. Dann war es vorbei und die Narbige stand auf.
Sie kommandierte: "Weiter jetzt!", und ließ die Peitsche knallen.

Als Jens das dritte Mal stürzte, nützte auch die Peitsche nichts mehr. Er wußte, daß er in den letzten Minuten langsamer geworden war, aber er konnte es nicht ändern. Es ging einfach nicht mehr..
Wütend starrte ihn die Narbige an und befahl dann eine Pause. Schnell ließen sich die Soldatinnen zu Boden in das Gras fallen und genossen die Sonne. Einzig die Narbige starrte ihn noch einen Moment stumm an, drehte sich dann um, bellte ein paar Befehle und verschwand dann.
Als sie wiederkam, hielt sie ihm einen Wasserschlauch an den Mund. Gierig und dankbar trank er, und öffnete den Mund, als sie ihm etwas zu essen hinhielt. Mühsam versuchte er zu kauen, scheiterte aber an dem knochenharten und völlig versalzenen Trockenfisch. Es gelang ihm nicht einmal, ein Stück abzubeißen. Er würgte und drehte den Kopf weg.
Seufzend biß die Narbige in den Fisch, nahm nach einigen Sekunden das weichgekaute Stück aus dem Mund und hielt es ihm auffordernd hin. Seine erste Reaktion war Ekel, aber dann obsiegte das Bedürfnis, Nahrung aufzunehmen. Erst widerwillig, dann gierig kaute er. Als sie ihm das nächste durchgekaute Stück vor den Mund hielt, zögerte er keinen Moment und meinte, den Anflug eines Lächelns auf ihrem Gesicht wahrzunehmen.
"Wie heißt du?" Ihre Frage traf ihn ziemlich unvorbereitet.
"Jens, Jens Schmidt." Dann stellte er die Gegenfrage: "Und du?"
Der Eindruck des Lächelns vereiste. "Decurio Naja Radokov."

Jens Verwirrung war grenzenlos und seine Gesichtszüge entgleisten. Er war gerade drauf und dran gewesen, sich selbst davon zu überzeugen, daß seine Umgebung zwar anders aber immerhin real war. Sie hieß genauso wie die Frau, von der er seit Monaten seiner Mutter vorflunkerte, daß er mit ihr zusammen war.
Psychotische Phase, Paranoia, Demens, was auch immer. Wie pervers mußte er sein, sich eine derartige Frau zusammenzuphantasieren? Er krümmte sich und begann hyterisch zu lachen, dann wurde es schwarz vor seinen Augen.

Er schrie erschreckt von dem Stich auf. Eine Krankenschwester beugte sich über ihn, zog eine Spritze in seine Armbeuge. Panisch versuchte er den Arm wegzuziehen, aber seine Hände waren mit weichen und unnachgiebigen Fesseln an die Bettgitter gebunden. Sie sah ihn ernst an: "Nur ruhig, gleich geht es uns besser..."
Jens ließ seinen Kopf zurück auf das Kissen sinken, bewunderte den Nachttisch, dahinter das Fenster ohne Griff mit den verschnörkelten Gittern, während die Droge ihn in ein warmes Rauschen hüllte. Er war zuhause...
9. Re: Versetzt

geschrieben von Nachtigall am 22.07.04 08:23

Hoppla.

Butterfly, was immer daraus noch wird (Du hast eingangs geschrieben, das würde eine längere Geschichte werden), es ist verwirrend, irreführend und klasse geschrieben. Mit anderen Worten: toll!!

Ich bin es gewohnt, beim Lesen mitzudenken, aber Du hast das gleiche Talent, mir das abzugewöhnen und mich zum reinen Konsumieren zu verführen wie Terry Pratchett... köstlich.

Liebe Grüße
Anja
10. Re: Versetzt

geschrieben von Why-Not am 22.07.04 13:04

Zumindest wird das "Vorausdenken" zunehmend schwieriger.

Macht aber nichts. Es ist immer noch spannend und (Butterfly-typisch) gut geschrieben.

Why-Not (weiterhin neugierig)


(Diese Nachricht wurde am 22.07.04 um 13:04 von Why-Not geändert.)
11. Re: Versetzt

geschrieben von mecky64 am 22.07.04 19:21

Na was für ein Glück, das ich keine Web Cam auf meinem PC habe... Das dumme Gesicht, das ich beim Lesen des letzten Absatzes gemacht habe, hätte wohl einige Todesopfer durch Lachen gekostet.

Toll geschrieben, ich war mittendrin statt nur dabei.
Hoffentlich geht die Geschichte noch weiter bzw fängt gerade erst an.

Gruß
Marcus
12. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 23.07.04 21:37

Teil 4
Eine heftiger Stoß weckte ihn aus seinem Dämmerzustand. Eine befehlsgewohnte Stimme rief: "Aufstehen. Die Pause war lang genug." Er wurde von zwei der Soldatinnen hochgezogen, die ihn stützten, während er versuchte, mit dem Marschtempo Schritt zu halten.
Wieder und wieder murmelte er vor sich hin: "Es ist nicht real.... nicht real... muß aufwachen... ich muß aufwachen..."
Als sie in dem befestigten Städchen ankamen, das sich an die Flanke eines steilen Hügels drückte, war er tödlich erschöpft und hatte für nichts mehr Augen. Er widersetzte sich nicht einmal, als sie ihn in ein düsteres Verlies zerrten, seine Hände losbanden und seine Linke mit einer breiten eisernen Manschette an die Wand schlossen.
Jens schloß die Augen, versuchte verzweifelt aufzuwachen, zurück in die Irrenanstalt, in der er zweifellos war, sein mußte, sein wollte, aus der sein ausgeflippter Verstand ihn in diese unerträgliche Scheinrealität katapultiert hatte.

Etwas weckte ihn. Er wußte nur noch, daß er von einem riesigen Drachen geträumt hatte, und daß der Traum nicht von Angst erfüllt gewesen war, sondern von Freude. Es war dunkel und er mußte überlegen, wo er war.
Stroh raschelte und ein Schatten schob sich vor das schmale Fenster, hinter dem, wie zum Hohn ein Blick auf den blauen Spiralnebel möglich war. Jens setzte sich auf und rief leise: "Wer ist da?"
Schnelle Schritte raschelten durch das Stroh und eine Hand legte sich zielsicher auf seinen Mund. Offenbar konnte die andere Person viel besser im Dunkeln sehen als er.
Eine Stimme flüsterte: "Leise. Du weckst sonst die Wächter!"
Als die Hand weggezogen wurde, beharrte er auf seiner Frage: "Wer ist da?"
"Ich bin Masjah... ", flüsterte sie in sein Ohr, ließ ihre kühlen Finger durch sein Haar gleiten, an seinem Körper hinunter.
Als ihre Hand über die Striemen glitt, sog er schmerzerfüllt die Luft ein. Dann berührten ihre Lippen seine und verwandelten den Schmerz in reine Lust. Fordernd griff seine Hand nach ihr, verlangte mehr. Ihre Lippen glitten über seine Wange, an seinen Hals, während ihre andere Hand in seine Hose glitt. Bei dem, was sie ertastete, gab sie einen zufriedenen Laut von sich, griff seine Rechte und schloß eine zweite Manschette um sein Gelenk, die mit einem leisen Klicken zuschnappte.
Bei dem, was sie gleichzeitig zwischen seinen Beinen tat, ging das protestierende Geräusch, das er von sich geben wollte, in einem lustvollen Stöhnen über. Ergeben, hoffend auf mehr, sich ausliefernd, spreizte er seine Beine. Ihre Lippen berührten erneut seine und ihr Körper schmiegte sich an ihn. Bittend um mehr warf Jens mit geschlossenen Augen den Kopf zurück.
Etwas raschelte, dann ein trockenes Knacken. Masjah begann, unkontrolliert zu zucken, dann wurde sie mit einem Ruck von Jens heruntergerissen und in eine Ecke geworfen. Schritte verschwanden und eine der Frauen aus dem Trupp vom Nachmittag kehrte mit einer Fackel zurück, bog mit einer Hand seinen Kopf zurück, inspizierte seinen Hals, atmete dann sichtlich auf.

Er versuchte sich zu wehren, fragte: "Was soll das? Ich bin in Ordnung!", wurde wütend, starrte sie an, fauchte dann: "Außer dem, was ihr mir angetan habt!"
Verletzt zuckte die Frau zurück. Dann sah sie ihn mit einer Mischung aus Wut und Geringschätzung an. "Oh, Entschuldigung. Wolltest du dich lieber weiter mit diesem Nachtwandler", eine Geste deutete auf das zusammengesunkene Häuflein, das in der Ecke der Zelle lag, "unterhalten? Ich bin sicher, das Vergnügen wäre ganz auf ihrer Seite gewesen."
Mit einem angewiderten Gesichtsausdruck ging sie hin und drehte den Leichnam um, hielt die Fackel vor das Gesicht, dem die flackernde Fackel einen dämonischen Ausdruck verlieh. Entsetzt sah Jens den Mund, der im Todeskampf die messerscharfen Fänge freigelegt hatte, die Finger, die in nadelscharfen Krallen ausliefen.
Die Frau, als sie sicher war, daß Jens gesehen hatte, was er sehen sollte, ließ das Wesen fallen.
Jens atmete tief durch, überwand sich dann: "Ich muß mich wohl entschuldigen."
Wortlos sah die Frau ihn einige Sekunden an, antwortete dann: "Es ist meine Aufgabe, dich zu beschützen, bis die Seherin dich in Augenschein nehmen kann. Mein Name ist Tia."
Dann drehte sie sich um und ging zu der Tür.
Seherin? Jens sagte leise, aber so deutlich, daß sie es verstehen konnte: "Danke, Tia."
Sie blieb kurz stehen, ging dann, ohne sich erneut umzudrehen aus der Zelle.

Jens schlief alles andere als gut, mit dem Leichnam des Vampirs, wie er bei sich das Wesen nannte, in der Zelle, schreckte bei jedem Geräusch auf und versuchte mehrfach im Halbschlaf, seine Hände zu befreien. Als die Morgensonne durch das schmale Fenster des Verlieses fiel und er aufwachte, erschien ihm dies alles wie ein Alptraum, aber er hatte beschlossen, daß er wohl mit dieser Realität leben müsse, sei sie objektiv real oder ein Produkt seines Geistes.
Verblüfft beobachtete Jens, wie grauer Rauch von dem Leichnam aufzusteigen begann, der sich in dünnen Fäden aus dem Fenster wand. Schließlich war von dem Nachtwandler nichts weiter mehr über als das schwarze Kleid mit einigen Knochen, die zusehends zerkrümelten.
Die Muskeln in seinem Rücken und seinen Armen begannen zunehmend zu schmerzen, wie auch er versuchte, seine Lage zu verändern. Allerdings stellte er verblüfft fest, daß die Striemen, die die Peitsche auf seinem Rücken hinterlassen hatte, im Gegensatz zum Vorabend überhaupt nicht mehr schmerzten.


Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als die Kommandantin des kleinen Trupps in seine Zelle kam. Sie brachte eine grobe Tonschüssel und einen Krug mit Nahrung mit.
Er räusperte sich und sprach sie an: "Ähm, Decurio, Frau Naja, ich, also..."
Sie zog die Augenbrauen hoch und brauchte einen Moment, bis sie verstand, was er meinte. Dann grinste sie über ihren sittsamen Gefangenen und antwortete: "Wozu glaubst du, liegt das Stroh da?"
"...aber...", antwortete Jens kleinlaut.
Mit einem Seufzen schloß sie die Fesseln auf, begleitet von einer blitzschnellen Geste mit einem Messer, das wie durch Magie in ihrer Hand erschienen war und genauso wieder verschwand, und den eindringlichen Worten: "Versuch keinen Unsinn, sonst wirst du es bereuen".
Das Gesamterlebnis war wenig erfreulich. Naja packte ihn mit festem Griff am Arm und führte ihn auf den kleinen Hof, hinein in ein Häuschen, dessen Zweck offensichtlich war. Ob aus der Tür ein kleines Herz ausgesägt war, ließ sich schlecht beurteilen, weil sie fehlte, genauso wie das Toilettenpapier. Darüber hinaus hatte Naja sich offenbar in den Kopf gesetzt, auch bei dieser Verrichtung ihren Gefangenen nicht aus den Augen zu lassen. Trotzdem mußte dem Drang genüge getan werden und er zog beschämt seine bereits ziemlich zerschlissene Hose herunter.
13. Re: Versetzt

geschrieben von Gast träumerin am 24.07.04 17:13

Hallo Butterfly,

schön, wieder eine Story von dir lesen zu können. Sie macht natürlich Appetit auf mehr, wie könnte es bei dir auch anders sein...

Liebe Grüsse
die Träumerin
14. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 26.07.04 19:44

Teil 5


Jens ging ein paar Schritte auf dem Hof hin und her, unter den wachsamen Augen von Naja und zwei der Frauen aus ihrer Truppe. Der Hof war von einer Mauer umgeben, die er auf gut drei Meter Höhe schätzte, mit einer Brustwehr. Die ganze Anlage machte den Eindruck, daß sie nicht nur dazu diente, Leute nicht herauszulassen, sondern sich auch verteidigen ließ. Eine Art Fluchtburg für die Bewohner des Ortes?
"Wo bin ich hier? Und warum habt ihr mich gefangen genommen?"
Naja zögerte kurz, dann stellte sie eine Gegenfrage, winkte dabei mit einem scheuen Ausdruck in den Augen in eine nicht näher definierte Richtung: "Du bist von... drüben... von der anderen Seite, stimmts?"
Jens nickte, schüttelte dann den Kopf. "Ich weiß nicht, was du meinst."
"Du kennst keinen Nachtwandler, du fürchtest dich nicht vor den Drachen, du sprichst eine eigenartige Abwandlung unserer Sprache. Und... Aber egal. Du kommst aus der anderen Welt."
Jens schwieg, aber seine Augen sprachen Bände.
Naja nickte. "Gut, du willst nicht darüber reden. Wir haben dich gerettet. Die anderen hätten dich nicht so gut aufgenommen. Sie hätten dich ausgesaugt, in mehr als einer Hinsicht. Es tut mir leid, daß ich so harsch sein mußte, daß ich dich so treiben mußte. Wenn wir ihnen in die Hand gefallen wären...". Sie schwieg, mit einem schmerzerfüllten Ausdruck in den Augen. Trotzdem hatte Jens den Eindruck, daß ihre Entschuldigung nicht völlig ernst gemeint war, dass das nicht alles war.
"Und was passiert jetzt mit mir? Ihr habt mir nicht mal meine Rechte vorgelesen und wann werde ich meinem Haftrichter vorgeführt?"
Naja sah ihn verwirrt an: "Ich weiß nicht, was du meinst. Komm, ich bringe dich in die Zelle zurück."
"Das alles ist natürlich nur zu meinem Schutz. Vor den anderen, stimmts?". Sein Zynismus war völlig verschenkt.
Ihre Stimme war sehr bestimmend, als sie: "Genau", sagte. Dann griff sie nach seinem Arm, schob ihn vor sich her. Jens leistete keinen Widerstand, da er sich sicher war, daß er im Ernstfall kaum eine Chance gehabt hätte, zu entfliehen.

"Aber müßt ihr mich dafür einsperren?", versuchte er das Gespräch wieder aufleben zu lassen. "Oder mich auch noch an die Wand fesseln? Wenigstens darauf können wir doch verzichten..."
Das Lächeln, das schon fast an ein Grinsen grenzte, verwandelte ihr Gesicht vollkommen. Jens schoß durch den Kopf, daß sie trotz der Narbe eine wunderschöne Frau war. Sie antwortete mit hochgezogenen Augenbrauen: "Aber ich habe doch nur eine Hand gefesselt. Und als der Nachtwandler deine andere Hand gefesselt hat, schienst du wenig dagegen gehabt zu haben. Zumindest hat Tia keinen Protest von deiner Seite gehört, obwohl sie direkt vor der Tür Wache gehalten hat." Jens lief knallrot an. Er versuchte nicht, zu antworten.
Umso peinlicher war es ihm, daß Naja, kaum daß sie die Zellentür von innen zugezogen hatte, ihn in den Arm nahm.
"Ich mag dich... du bist", und es folgte ein ihm unverständliches Wort. Dann gab sie ihm einen langen Kuß, manövrierte ihn hinüber zu dem aufgeschütteten Stroh, wo er die Nacht verbracht hatte, legte ihn galant auf den Rücken, löste schwer atmend die Riemen, die ihr Mieder hielten.
"Was...", weiter kam er nicht, bevor ihre Lippen seine verschlossen. Er konnte nicht umhin, sein Körper reagierte mehr als heftig, als sie sich an ihn preßte. Zärtlich küßte sie seine Handflächen und schloß die eisernen Manschetten erst um sein eines, dann um das andere Handgelenk. Dann setzte sie sich wieder auf ihn, begann sich langsam auf und ab zu bewegen.
Etwas später schmiegte sie sich dann eng an ihn und sah ihm in die Augen: "Siehst du? Ist doch schön, oder?"
Jens konnte nicht umhin, zu bejahen.
Naja lächelte. Dann stand sie auf, ordnete ihre Kleidung. "Ich muß jetzt gehen. Lauf nicht fort..."
Sie ging Richtung Tür, drehte sich dann um und kam zurück. Schnell drehte sie den primitven Schlüssel in den Schlössern der Manschetten, gab Jens einen Kuß auf die Nase und war dann verschwunden.

Sie hatte ihn tatsächlich wieder losgemacht. Leicht zog er seine Hände heraus, stand auf. Er bediente sich an dem Krug und dem eigentümlichen, aber durchaus wohlschmeckenden Brei in der Schüssel, die sie gebracht hatte, dann ging er an das schmale Fenster, von dem aus er einen Ausschnitt des Städtchens sehen konnte. Viele Menschen waren nicht zu sehen und die Dächer einiger Häuser waren eingestürzt. Am Horizont meinte er Wasser zu erkennen. Er nahm den Bestand auf. Das Fenster war nicht vergittert, aber eindeutig zu schmal, als das er dort hätte entkommen können und auch die Tür schien solide, bot von innen keine Angriffsmerkmale und war offenbar verriegelt.
Allerdings fragte er sich, ob er überhaupt entkommen wollte, Naja war zwar eindeutig etwas merkwürdig, aber schien doch unter der harten Schale ganz nett zu sein. Sozusagen, wenn sie nicht im Dienst war.

Am Nachmittag kam Naja wieder. Sie führte Jens in einen Raum, der mit einem Tisch und ein paar Stühlen dekoriert war. Dort wartete bereits eine alte Frau. Sie stellte sich selbst mit leiser aber klarer Stimme als Seherin Irmgard vor. Ohne weitere einleitende Worte begann sie mit ihrer Erzählung.
Sie nannte das Land Ma jana. Schon vor Urzeiten waren Menschen herübergekommen, hatten sich etabliert, hatten sich angesiedelt, vermehrt. Aber es war kein fruchtbares Land, und es gab reißende Tiere wie die Nachtwandler (sie lächelte kurz und wissend), die immer wieder ihren Tribut forderten. Ab und zu, mal mehr und mal weniger, gab es immer noch Menschen, die von drüben, von der Erde herüberkamen. Aber es hatte nie Berichte gegeben, daß jemand den Rückweg gefunden hätte.
Naja war in Ma jana geboren. "Meine letzte Tochter. Ich selbst bin vor wohl fünfzig Jahren von drüben gekommen. Ich war vierzehn und habe mich verlaufen, als ich dem Terrorangriff entkommen wollte. Köln, 1943. Welches Jahr ist drüben?"
Jens rechnete kurz: "2004. Dann feiern sie dieses Jahr ihren 75. Geburtstag."
Sie schwieg einen Moment, dachte offenbar nach. Dann schickte sie Naja weg. Sie ging nur widerwillig.
"Ich habe den Trupps immer gesagt, sie sollen nach Menschen fischen. Erzähl! Was ist geschehen, drüben, in der realen Welt?"
So gut es ihm möglich war, versuchte Jens einen Abriß der wichtigsten Ereignisse des vergangenen Jahrhunderts zu geben. Die Seherin schüttelte ungläubig den Kopf.
Dann seufzte sie tief. "Soviel Elend, soviel Veränderung. Und wir leben hier isoliert und nichts ändert sich. Außer, daß wir verwahrlosen, das wenige an Zivilisation sich abnutzt und wir den Anderen ähnlicher und ähnlicher werden."
Irmgard schwieg.

Als sie nach ein paar Minuten keine Anstalten machte, weiterzureden, räusperte Jens sich: "Das ist mir alles ein wenig zu theoretisch. Ich will damit sagen, ich verstehe überhaupt nichts."
Die Seherin schwieg einen Moment weiter, so daß Jens zuerst dachte, sie hätte seine Bemerkung nicht gehört, oder wäre beleidigt. Dann sah sie ihn an, offenbar im Widerstreit mit sich selbst. Schließlich seufzte sie und begann zu reden: "Es ist dein gutes Recht, es zu erfahren. Dieses Land ist... anders. Es ist neu, und hier gibt es noch Magie. Aber das Land mag keine Menschen. Wir sind hier", sie stockte, obwohl er den Eindruck hatte, daß sie genau wußte, was sie sagen wollte, "wir sind hier Eindringlinge. Aber gleichzeitig können wir nicht weg. Niemand, der hierherkam, hat den Weg hinüber gefunden. Niemand. Viele werden verrückt. Vielleicht bin ich auch schon verrückt. Oder du."
"Also bin ich nicht der erste, den du triffst?"
Irmgard schüttelte den Kopf: "Nein. Ich sage doch: Viele werden verrückt, weil sie es nicht verkraften. Manche bringen sich dann um. Andere bringen sich um, bevor sie verrückt werden. Und manche gehen zu den Anderen."
Das war jetzt das zweite Mal, daß sie die Anderen erwähnte. Dieses Mal fragte Jens nach: "Wer sind diese Anderen?"
Irmgard sah ihn irritiert an, brauchte einen Moment, bis sie verstand, daß er es wirklich nicht begriffen hatte. Dann legte ein Lächeln einige Zahnstummel frei: "Naja sagte, daß du bereits... recht intime Bekanntschaft mit ihnen gemacht hast."
Jens war peinlich berührt und überrascht: "Die Nachtwandler? Aber..."
Sie nickte: "Ja. Aber du hast noch einen gesehen. Der Drache."
"Aber... das sind doch keine Menschen, das sind doch..."
Interessiert sah Irmgard ihn an, wartete, was er sagen würde. Als Jens nicht weitersprach, nickte sie und sagte: "Ja. Das sind keine Menschen. Nicht mehr. Es sind keine Menschen mehr. Sie haben sich verwandelt. Oder diese Welt hat sie verwandelt. Ich weiß es nicht."

Danach begann Irmgard, ihn über sich auszufragen. Neben vielen belanglosen Dingen stellte sie irgendwann die Frage, mit der er gerechnet hatte. Schon als er verstanden hatte, daß offenbar Exilanten von der Erde hier relativ selten waren, war ihm klargeworden, daß das Wissen, was diese mitbrachten, unter Umständen sehr wertvoll sein konnte. Und als er die primitiven Waffen des Trupps gesehen hatte, war ihm klar geworden, daß er durchaus wertvoll war. Er war in der Geschichte bewandert genug, um durchaus zu wissen, warum Vulcan gehumpelt hatte...
Aber hatte er das Recht, sein Wissen zu verbergen und nicht zum Vorteil der Menschen einzusetzen?
Trotzdem, er zögerte, bevor er antwortete: "Ich bin Maschinenbauingenieur. Meine Fachgebiet ist Metallurgie, und bevor ich auf Maschinenbau gewechselt bin, habe ich einige Semester Architektur und Bauingenieurwesen studiert."
Aus ihrer Reaktion schloß er, daß er heute nacht nicht auf Stroh schlafen würde. Jedenfalls nicht, wenn die anderen Menschen hier nicht auf Stroh schliefen.
15. Re: Versetzt

geschrieben von Gast träumerin am 27.07.04 00:16

*mal einen tiefen Seufzer ausstosse*

Die Geschichte fesselt mich ungemein, Butterfly! Du und deine Stories seid eindeutig ein Gewinn für unser Forum.

Und deine neue Story? Klasse, klasse, klasse. Bitte, bitte mehr davon. Und noch mehr. Du hast ja versprochen, dass sie länger sein wird. Ich freue mich daher auf spannende, aufregende, schmunzelnde Stunden mit dir...

Liebe Grüsse
die Träumerin
16. Re: Versetzt

geschrieben von Nachtigall am 27.07.04 08:36

Moin Butterfly,

genau was mir gefällt - ich maaaag gut gemachte Fantasy!! Vielen Dank für diese Geschichte, sie ist toll zu lesen.

Herzliche Grüße
Anja
17. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 27.07.04 16:59

... danke für die nette Kritik... *freu* ... aber jetzt geht es weiter.

Teil 6
Irgendwann hatte die Seherin Naja wieder in den Raum gerufen und um etwas zu trinken für Jens gebeten. Naja hatte ihn freundlich angelächelt, als sie ihm ein Glas Wein einschenkte. Irmgard hatte ihr erlaubt, in dem Raum zu bleiben.
Wenig später fragte Jens: "Wo sind eigentlich die Männer? Ist es nicht ungewöhnlich, daß ein militärisch organisierter Trupp zur Jagd und Nahrungsbeschaffung nur aus Frauen besteht?"
Die Seherin seufzte erneut: "Also gut. Die ganze Wahrheit, du würdest es ja sowieso schnell herausfinden: Beinah alle Menschen, die hier geboren werden, sind Frauen. In den Jahren seit ich hier bin, ist nur zweimal ein männlicher Säugling geboren worden. Und beide waren...", sie verstummte, setzte dann erneut an: "Wir haben beide beerdigt, bevor sie ein Jahr alt waren."
Naja sprang ein: "Das bedeutet, das alle zeugungsfähigen Männer, die hier sind oder waren, von drüben stammen."
Verwirrt sah Jens sie an und stammelte: "Und wieviele....?"
"Im Moment zwei. Und beide sind so verrückt, daß sie nicht mal mehr ihren eigenen Namen wissen." Ihr Gesicht wurde hart und sie fügte hinzu: "Es wäre eine Gnade, wenn sie...", dann verstummte sie unter dem Blick ihrer Mutter.

Jens schluckte, fragte lieber nicht nach weiteren Details, denn er glaubte, die Idee zu haben.
Plötzlich wurde ihm schlecht. Er würgte, versuchte aufzustehen, aber seine Beine wollten ihn nicht mehr tragen. Er fiel hin und stürzte in einen schwarzen Abgrund.

Er saß in einer Art Sessel, aber irgendetwas war nicht so, wie es sein sollte. Mühsam öffnete Jens die Augen, sah einen weitgehend merkmalslosen Flur an sich vorbeiziehen. Ihm war schwindelig und speiübel. Er versuchte sich umzuschauen, aber sein Nacken war steif und schmerzte höllisch, als er den Kopf bewegen wollte. Seine Gedanken waren zäh wie Honig, neigten immer wieder dazu, auszukristallisieren.
Er mußte sich wohl minimal bewegt haben, denn eine tiefe Stimme kam von hinten, in einem Tonfall als würde der Sprecher nicht mit einer Antwort rechnen: "Na, na, Herr Schmidt, übertreiben sie es mal nicht."
Als der Pfleger den Rollstuhl auf die Terrasse hinausschob, versuchte Jens immer noch verzweifelt, sich bemerkbar zu machen. Aber es gelang nicht. Verzweifelt blieb er unter der kleinen gelben Sonne sitzen.
Eine Träne lief aus seinem Augenwinkel, aber das war wohl nichts Ungewöhnliches.

Der Übergang war nahtlos, geschah innerhalb eines Blinzelns. Er war wieder in seiner Zelle des Verlies. Beide Handgelenke waren zur Wand hin gefesselt, ebenfalls die Fußgelenke, so daß er lang ausgestreckt dalag. Seine Zunge fühlte sich an, als hätte sie jemand als Putzlappen mißbraucht und dann eine alte Wollsocke darübergezogen. Sein Kopf schmerzte höllisch.
Würgend übergab er sich. Naja kam in den Raum, hielt ihm eine flache Schale hin und wischte ihm immer wieder mit einem feuchten Lappen den Mund ab.
Als das Würgen nachließ, sah sie ihn traurig an. "Die Nachwirkungen der Droge sind grausig, ich weiß. Aber bald hast du es überstanden."
"Warum...?"
Ihr Gesicht wurde hart: "Weil du für uns zu wertvoll bist. Wir können dich nicht gehen lassen."
"Aber ich wollte doch überhaupt nicht..."
Sie streichelte sein Gesicht, antwortete: "Ich wünschte, es wäre anders, aber das Risiko ist zu hoch. Du mußt hierbleiben. Wir können nicht riskieren, daß du es dir anders überlegst."
Jens schloß die Augen und drehte den Kopf zur Wand.
Naja respektierte, daß er allein sein wollte und verließ mit einem unglücklichen Gesichtsausdruck die Zelle.

Abends kam eine andere Frau zu ihm. Zuerst wollte er nichts annehmen, aber als sie ihm halb gewaltsam ein süßes Stück einer Frucht in den Mund schob, siegte sein Hunger. Er ließ sich füttern, trank auch gierig den Saft, den sie ihm gab.
Nachdem er fertig war, blieb sie bei ihm, legte sich neben ihn, begann ihn zu streicheln. Das durfte ja wohl nicht wahr sein. Er würde doch nicht... nein. Das würde er ganz sicher nicht.
Nach einigen Minuten wurde sein Kopf leicht, seine Sicht begann zu verschwimmen und ein leises Rauschen in seinen Ohren setzte ein. Und er merkte, daß er unter ihrem Streicheln eine steinharte Erektion bekam. Den Rest konnte er, gefesselt wie er war, nicht verhindern, auch wenn er krampfhaft an möglichst unerotische Dinge dachte. Bei seinem Orgasmus rotierten Feuerräder am Rand seines Sichtfeldes. Und nach dem dritten Mal wurde er bewußtlos.

Am nächsten Morgen weckte ihn Naja. Jens stellte fest, daß er nicht mehr gefesselt war, aber so schwach, daß er kaum aufstehen konnte.
Polternd setzte sie die Schale mit seinem Frühstück und den Krug Wasser, den sie gebracht hatte ab.
Gespielt fröhlich, mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen fragte sie: "Und? Hattest du Spaß, gestern abend?"
Jens schüttelte den Kopf. Er war noch nicht dazu gekommen, sich Gedanken zu machen, und er sagte wahrheitsgemäß: "Es war eine Vergewaltigung. Ich wollte nicht... Wie könnt ihr so etwas tun?"
Sie hockte sich vor ihn hin: "Es geht ums Überleben. Wir brauchen Nachwuchs, frisches Blut." Sie zögerte einen Augenblick, dann berührte sie ihn an der Schulter, flüsterte: "Du hast heute frei. Trink dich satt. Morgen wirst du nur Karusaft bekommen."
Jens sah sie aus großen Augen an. Naja nickte, bestätigte seine Vermutung: "Morgen ist Maria dran."
"Aber... aber ich will nicht. Niemand kann mich zwingen!"
Naja schüttelte den Kopf: "Oh doch. Wir können."
Sie ließ ihn mit seinen Gedanken allein.

Sie konnten ihn zwingen. Schon am Abend war Jens ziemlich hungrig und durstig, aber das eigentümliche Gebäck, was sie ihm brachten, verschlimmerte seinen Durst nur noch. Und natürlich bekam er nichts zu trinken.
Am nächsten Nachmittag kamen vier Frauen, packten ihn ohne viel Worte und fesselten ihn erneut. Er versuchte zwar, sich zur Wehr zu setzen, hatte aber keine Chance. Sie zwangen ihn, den Saft zu trinken, dann blieb eine bei ihm. Als sie sich glücklich lächelnd von ihm herunterwälzte, war Jens wütend, auch wenn er sich alle Mühe gab, seine Wut zu verbergen.
Maria ging.
Als wenig später Naja kam, hatte er immer noch eine Erektion. Sie war sie ziemlich gereizt und herrschte ihn an: "Es macht dir Spaß, stimmts?" Sei versetzte ihm einen leichten Tritt. "Du kannst so viele Frauen haben, wie du willst. Sie stehen Schlange, um deinen Samen aufzunehmen. Und du? Du genießt es. Du bist nicht wert, das ich mit dir rede."
Jens fauchte sie an: "Dann laß es doch einfach!", drehte dann den Kopf zur Wand.
"Arschloch!"
Trotzdem schloß sie pflichtbewußt seine Fesseln los.

Als sie die Zelle verlassen wollte, sprang Jens sie von hinten an. Er legte seinen linken Arm um ihren Hals und drückte zu, während er schmerzhaft ihren rechten Arm verdrehte. Der Kampf dauerte nicht lange. Ihre Gegenwehr wurde schnell schwächer, bis sie schlaff in seinen Armen hing.
Jens schleifte sie zu seinem Lager, schloß die Fesseln sorgsam um ihre Hand- und Fußgelenke, dann begann er sie zu ohrfeigen.
Als sie die Augen aufschlug, riß er ihr Kleid auf. "Genießen?", eine erneute Ohrfeige, "Genießen? Gut. Dann findest du das bestimmt auch schön." Er biß sich auf die Lippen, als sie zu schluchzen begann. Besitzergreifend griff er zwischen ihre Beine, drängte mit seinem Knie ihre zusammengepreßten Knie auseinander. Boshaft zischte er sie an: "Gefällt dir das? Macht das Spaß?
Dann ließ von ihr ab, setzte sich neben sie, löste ihre Fesseln. Reflexhaft zog Naja ihre Beine an den Körper, verbarg das Gesicht in den Händen.
Jens ließ sie gehen. Er war sicher, ihr genug zu denken gegeben zu haben.
18. Re: Versetzt

geschrieben von Gast träumerin am 27.07.04 17:46

Oh Butterfly,
was für eine faszinierende, furchtbare Fortsetzung. Klar, es geht den "Damen" ums Überleben. Aber...darf man alles, was man kann

Diese Frage sollte wohl öfter auch im Hier und Jetzt gestellt werden.

Bin schrecklich neugierig auf Mehr!

Die Träumerin
19. Re: Versetzt

geschrieben von mecky64 am 27.07.04 21:28

Jaja, so sind Frauen eben, wollen vom Mann immer nur das beste: Geld und S..men; und wenn se alles haben, heißt es: Du hattest ja Deinen Spaß!!!!

( So, auf das sich mein Postfach fülle )

Nee, mal ehrlich, tolle Geschichte und guter Ansatz von Jens, sich als mehr als nur als Samenspender zu verkaufen.

Schreib bitte weiter, aber schnell...

Grins
Marcus
20. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 29.07.04 08:33

Teil 7

Jens selber hatte wenig zum Nachdenken, aber umso mehr zum Grübeln. Er brauchte sehr lange zum Einschlafen.
Als die Zellentür am frühen Morgen aufging wachte er sofort auf. Naja sah ihn an, auf ihrer Unterlippe kauend.
Schließlich trat sie einen Schritt in die Zelle, zögerte.
"Du machst sowas nicht wieder...", sie war selber nicht sicher, ob das eine Feststellung war, um sich selbst zu beruhigen oder eine Frage.
Jens schüttelte den Kopf.
Trotzdem hielt sie eine gewisse Fluchtdistanz ein, traute sich nicht in Greifnähe. Dann biß sie sich wieder auf die Lippe, druckste herum, hatte Mühe, die richtigen Worte zu finden. Schließlich kam es heraus: "Ich kann verstehen, daß du dich unfair behandelt fühlst."
Mühsam unterdrückte Jens ein höhnisches Auflachen. Unfair behandelt. Das waren nicht exakt die Worte, die er verwendet hätte. Trotzdem schwieg er, wartete ab, was noch kommen würde.
"Ich kann es nicht ändern. Es.... Wir machen das schon immer so."
Jens schüttelte erneut den Kopf. "Das stimmt nicht. An dem Tag, da hast du hattest mich zwar gefesselt, aber das war nicht gegen meinen Willen. Ich war verwundert, aber..."
Er lächelte sie an, fuhr dann fort: "Verstehst du nicht?"
Naja nickte. Dann biß sie sich erneut auf die Unterlippe. "Doch. Aber ich werde das den anderen nicht erklären können. Jetzt haben wir einen Mann, und ich will ihn allein haben? Sie würden mich ausstoßen. Es muß sein. Es gibt keinen anderen Weg."
Jens sah so unglücklich aus, das Naja sich vor ihn hinkniete und seinen Kopf in ihre Hände nahm. Sie küßte ihn, dann sagte sie: "Vielleicht kann ich dich für einen Moment glücklich machen."
Wenig später stöhnten beide gehetzt, aber ohne wirklich bei der Sache zu sein.

Am nächsten Tag war Gudrun dran. Ohne Widerstand zu leisten, ließ Jens sich fesseln, ließ sich den Saft einflößen, versuchte mit geschlossenen Augen die Ereignisse so gut es ging zu ignorieren. Dummerweise schien er dabei an Gudrun an die falsche Person geraten zu sein. Sie herrschte ihn an: "Wirst du wohl aufhören, toter Mann zu spielen?"
Schließlich begann sie, auf ihn einzuschlagen. Seine Schmerzensschreie schienen sie erst recht in Rage zu versetzen. Dennoch tat die Reibung irgendwann das Übrige. Als er endlich soweit war, weinte er hemmungslos.
Gudrun ging ohne weitere Worte, versetzte ihm zum Abschied aber noch einen Tritt in die Rippen.
Als Naja kam und ihn trotz seiner schwachen Abwehr tröstend in den Arm nahm, fragte er sie schließlich: "Waren die anderen schon verrückt, als ihr angefangen habt, sie so zu behandeln, oder sind sie erst dadurch verrückt geworden?"
"Ich... ich weiß es nicht.", wand sie sich unter seinem Blick. "Wirklich... du mußt mir glauben. Schon als Mädchen, als ich noch ein Kind war, waren sie..."
Jens nickte: "Ich glaube dir.", Dann zuckte die Schultern und verzerrte wegen seiner geprellten Rippen vor Schmerz das Gesicht. "Bitte laß mich jetzt alleine."
"Ich muß mich erst um dich kümmern", wies sie ihn ab. Dann begann sie, eine Salbe auf seinem Körper zu verreiben. "Du hast lauter blaue Flecken. Das muß doch weh tun."

Am nächsten Tag schaute eine andere Frau nur zweimal kurz herein, um Jens etwas zu essen zu bringen. Sie war sehr wortkarg und als er sie ansprach behandelte sie ihn wie Luft.
In der Nacht wachte Jens auf, ohne zu wissen, warum. Plötzlich hörte er ein leises Rascheln. Ratten? Bisher hatte er keine gesehen und war dankbar, das diese Welt scheinbar mit derlei Ungeziefer nur dünn gesäht war.
Es schien bewölkt zu sein, trotzdem konnte er schwach sehen, wie ein Schatten das Fenster verdeckte. Jens gab einen erschreckten Laut von sich.
Eine Stimme zischte: "Leise, sonst weckst du die Wachen!"
Jens tastete möglichst geräuschlos im Stroh herum: da hatte doch irgendwo ein Stein gelegen. Dann schloß sich seine Hand darum. Er atmete auf und setzte sich hin, diesmal würde ein Nachtwandler ihn nicht wehrlos finden.
Zu seiner Erleichterung flüsterte die Gestalt, die sich auf ihn zutastete allerdings: "Ich bin es. Naja. Bitte sei leise. Und laß den Stein unten."
Offenbar übertraf ihre Nachtsicht seine bei weitem, denn er konnte immer noch nichts erkennen.
"Steh auf und zieh das an. Und dann komm mit. Und kein Wort."

Im Dunkeln war es alles andere als leicht, mit den unbekannten Anziehsachen klarzukommen. Schließlich half Naja ihm seufzend und mit schlafwandlerischer Sicherheit. Die Kleidung schien aus Leder zu bestehen. Selbst einfache Schuhe waren dabei, die vermutlich viel stabiler waren, als die, die den Weg hierher nicht überstanden hatten.
Die Flucht gelang leicht, wenn auch Jens mehrfach über Hindernisse stolperte, die er in dem schwachen Licht einfach nicht sah. Beim dritten oder vierten Mal, daß er sich stieß und leise fluchte, fuhr Naja ihn an: "Meine Güte, du bist ja blind wie ein Maulwurf!".
Jens enthielt sich eines Kommentars. Er konnte wirklich nichts sehen. Schließlich nahm sie ihn an die Hand und flüsterte ihm zu: "Mach die Augen zu und vertrau mir."
Leicht gekränkt folgte er ihr. Schließlich konnte er ja nichts dafür, daß drüben die Sonne heller schien. Wahrscheinlich waren seine Augen wirklich weniger empfindlich als ihre. Er kicherte leise bei dem Gedanken, mit Naja drüben eine Gletscherwanderung zu machen.
Aber tatsächlich mußte er feststellen, daß alles leichter ging, als er nicht mehr versuchte, die vagen Eindrücke, die sein Gesichtssinn ihm vorgaukelte zu interpretieren, sondern ihr einfach folgte.

Er konnte schemenhaft seine Umgebung erkennen, als sie die Festung und das kleine Städtchen verlassen hatten. Scheinbar gab es hier etwas mehr Licht. Er blieb stehen und jetzt wagte er auch sie anzusprechen: "Wohin gehen wir?"
Im Dunkeln konnte er ihren Gesichtsausdruck nicht richtig erkennen, als sie ungeduldig und gereizt antwortete: "Ein kleiner Nachtspaziergang zur allgemeinen Erbauung, was denn sonst?"
Dann hörte er, wie sie einmal tief durchatmete. Sie korrigierte sich: "Tut mir leid. Du kannst nicht wissen, was in den letzten Tagen alles passiert ist. Aber jetzt komm weiter. Ich erkläre es dir."
Als sie weitergingen begann sie zu erzählen, was in den letzten Tagen in ihrer kleinen Gemeinschaft geschehen war...
21. Re: Versetzt

geschrieben von Nachtigall am 29.07.04 08:52

BUTTERFLY!!!

Das ist ein sehr, sehr gemeiner Schnitt, den Du da gemacht hast, Du musst doch Deinem Namen nicht unbedingt in dieser Weise Ehre machen, hast doch einen "Pilcher"-Ruf zu verlieren! Ich glaub es hackt, Du kannst doch jetzt nicht einfach aufhören!! Und rede Dich ja nicht mit Deiner hohen Einstellfrequenz raus - dass man an dieser Stelle nicht weiter lesen kann, ist einfach nur fies!!!

Deine Geschichte ist toll, aber dieser Happen ist doch wirklich zu winzig; ich glaube, ich sollte lieber warten, bis Du sie fertig reingestellt hast und dann am Stück lesen...

Grummelige Grüße
Anja


(Diese Nachricht wurde am 29.07.04 um 08:52 von Nachtigall geändert.)
22. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 29.07.04 10:10

... also ehe ich s mir hier mit den Staff Members verscherze... sonst finde ich mich am Ende noch im Offtopicboard wieder . Bei näherem Nachlesen ist s vielleicht eine gemeine Stelle, um einen Break zu machen, und der Teil ist wirklich etwas kurz.

Also nix für ungut und hier kommt...


Teil 8
Es hatte Streit gegeben. "Naja, Tochter, warum bist du so ärgerlich?", mit dieser Frage hatte alles angefangen. Irmgard, die Seherin, ihre Mutter, hatte natürlich gemerkt, daß sie nicht in der allerbesten Stimmung war. Nicht, daß sie tatsächlich übersinnliche Fähigkeiten gehabt hätte, aber die waren wohl auch nicht notwendig gewesen.
Naja hatte keine befriedigende Antwort darauf geben können. Wie hätte sie sagen sollen, daß es ihr nicht paßte, daß Jens zu vernünftig war, um ihn genauso zu behandeln wie die beiden anderen. Derartige Entscheidungen wurden im Allgemeinen nicht diskutiert.
Und ihre Mutter war nicht die einzige gewesen. Auch die anderen Frauen hatten angefangen zu tuscheln, zu spekulieren, ihr vorzuwerfen, sie würde zuviel Zeit mit ihrem gemeinsamen neuen Mann verbringen, sie wolle ihn für sich allein haben.
Wie sollte man sich gegen derartige Vorwürfe zur Wehr setzen? Jedes Dementi hätte alles nur schlimmer gemacht. Und zu schweigen ebenfalls. Vor allem, weil tief in ihr zunächst die ungewisse Angst, schließlich, nachdem Maria bei ihm gewesen war, die wachsende Gewißheit gewesen war, daß an den Vorwürfen etwas dran war.
"Am ersten Tag... weißt du, da war es einfach die Gelegenheit. Und mein Recht, schließlich hatte ich dich gefunden. Und du, du schienst willig zu sein."
Aber Gudrun hatte dann mitbekommen, daß sie ihn getröstet hatte. Und danach war das Gerede im vollen Gang gewesen. Noch am gleichen Tag hatte Irmgard ihr jeglichen Umgang mit Jens verboten und eine andere Frau damit beauftragt, sich um den Gefangenen zu kümmern.
"Und die Worte meiner Mutter sind Befehl. Auch für mich."
Sie lachte traurig auf, blieb stehen, sah Jens an: "Sie hat mich gefragt, wie ich so ein Verhalten mit meiner Stellung als zukünftige Seherin in Einklang bringen könnte. Als ob mich jemals jemand gefragt hat, ob ich die Seherin werden möchte, wenn meine Mutter tot ist."
Jedenfalls war ihr danach nur noch die Flucht geblieben.
"Und deshalb sind wir hier. Weil du so langsam bist, habe ich früher in der Nacht eine falsche Fährte gelegt und in einem kleinen Gebüsch weiter vorne ein paar nützliche Dinge für uns versteckt. So haben wir noch die Hälfte der Nacht, bevor uns jemand vermissen wird." Sie stockte einen Moment, dann setzte sie hinzu: "Das hoffe ich jedenfalls."
Jens stöhnte. Diese Flucht machte nicht den Eindruck, wirklich professionell geplant worden zu sein.

Einige Minuten stellte er allerdings erneut die Frage, die sie nicht beantwortete hatte: "Und wohin gehen wir?"
"Ich weiß es nicht. Ich habe kein genaues Ziel, außer am Leben zu bleiben. Es wird nicht ganz einfach werden, den Anderen zu entkommen." Naja zögerte, dann fügte sie hinzu: "Und meinen Leuten. Aber meine Position und die Fluchtmöglichkeit wäre mit jedem Tag schwieriger geworden, daher konnte ich nicht länger warten."
Jens stöhnte erneut. Das paßte in das Bild, das er sich gemacht hatte. Er gab sich Mühe, schneller zu gehen, um eine möglichst weite Strecke zurückzulegen, bevor die Häscher hinter ihnen her waren.
Allerdings war ihm etwas aufgefallen und so fragte er einige Minuten später außer Atem: "Was bedeutet am Leben bleiben? Bezieht sich das nur auf die Anderen oder auch..."
Ihre Antwort war so kurz wie erschreckend: "Ja."
Allerdings korrigierte Naja sich nach einigen Schritten: "Zumindest für mich. Als Tochter der Seherin und Decurio hätte ich mir kaum eine größere Schuld aufladen können, als mit einem Mann wegzulaufen. Dafür kann es nur eine Strafe geben. Und ich glaube nicht, daß meine Mutter für mich sprechen würde. Eher würde sie sicherstellen, außerordentliche Härte zu demonstrieren."
Sie verzog das Gesicht, überlegte kurz, dann fuhr sie fort: "Wahrscheinlich Vierteilung. oder vielleicht werfen sie mich gefesselt einem Nachtwandler vor.", sie lachte leise und mit einem leicht hysterischen Anflug. "Ich bin sicher, sie werden sich etwas wirklich kreatives für mich einfallen lassen. Für dich... Für dich würde sich wahrscheinlich wenig ändern. Außer daß es mich nicht mehr gäbe, und daß sie sicherstellen würden, daß du nicht fliehen kannst. Mit durchgeschnittenen Sehnen läuft es sich miserabel... wahrscheinlich irgend etwas in der Art."

Damit war alles gesagt und Jens nahm weiter an Tempo auf. Kurze Zeit später bückte sich Naja zielsicher an einem Busch und hob zwei volle Taschen auf, die sie sich ohne weitere Worte auf den Rücken band. Jens guterzogener, aber die Tatsachen völlig verkennender Protestversuch wurde mit einem leisen Lachen belohnt: "Du wirst bald froh sein, wenn du nur dich selbst tragen mußt."
Er mußte sich eingestehen, daß das nicht ganz weit hergeholt war, denn seine Füße begannen in dem ungewohnten Schuhwerk weh zu tun. Er war sich ziemlich sicher, sich schon die ersten Blasen gelaufen zu haben.
Wenige Meter weiter stieg Naja in einen leise murmelnden Bach und zog Jens hinter sich her.
"Wozu das? Hunde?"
Interessiert fragte Naja: "Gibt es so Tiere drüben wirklich? Meine Mutter hat davon erzählt, daß sie einen Hund hatte..."
Jens nickte: "Ja. Hunde gibt es. Es gibt zahme Hunde, aber die Polizei hat Suchhunde, die können riechen, wo vor Stunden Menschen lang gegangen sind. Außer, wenn man im Wasser geht."
"Ja. Solche Tiere gibt es hier auch. Katzen. Meine Mutter hat mal versucht eine zu zähmen. Ich habe immer mit ihr gebalgt. Ich war fünfzehn, und sie war erst drei Monate alt, noch lange nicht ausgewachsen, als sie...".
Sie verstummte und ihre Hand griff zum Gesicht, berührte die breite Narbe, die in ihre weiße Haarsträhne mündete.
"Deine Narbe? Das war eine Katze?"
Ihre Feststellung war trocken: "Sie war halt noch klein. Sonst hätte ich es kaum überlebt. Ich habe sie getötet. Aus ihrem Fell habe ich den Umhang gemacht." Sie strich über den Umhang, der sie bis zu den Knien verhüllte.

Er schwieg einen Moment, dann fragte er sicherheitshalber: "Gibt es hier viele davon?"
"Nein. Sie haben ein großes Revier und Menschen sind normalerweise nicht ihre Beute."
"Und weshalb staksen wir dann hier durch den Bach? Auf dem Weg sind wir doppelt so schnell."
"Eben. Genau deshalb. Niemand wird erwarten, daß wir hier lang gehen. Wir hinterlassen keine Spuren und spätestens, wenn wir in den Bergen sind wird uns niemand mehr finden."
Jens hatte keine Berge gesehen. Er hoffte, daß das an seiner Unaufmerksamkeit lag und nicht daran, daß sie so weit entfernt waren.
Der Boden des Baches war steinig und das kalte Wasser führte dazu, daß er schon bald seine Füße nicht mehr fühlte.
23. Re: Versetzt

geschrieben von Nachtigall am 29.07.04 10:35

Hallo Butterfly,

neee, in´s OT hätt ich Dich nie und nimmer verschoben - aber ich freue mich trotzdem, dass Du auf meinen kleinen Temperamentsausbruch hin noch einen Teil gepostet hast...!

Die Geschichte ist wirklich super-spannend, großes Kompliment!

Lieben Gruß
Anja
24. Re: Versetzt

geschrieben von Gast träumerin am 29.07.04 11:25

Guten Morgen, Butterfly,

na, da bin ich ja froh, dass ich deine beiden Fortsetzungen in einem Rutsch durchlesen konnte. Ich glaube, ich hätte mich wohl in meiner Wortwahl ziemlich klassisch danebenbenommen....

Aber nun wird es hoffentlich wieder gut.

Tolle Story, ich bin mehr als begeistert!

Liebe Grüsse
die Träumerin
25. Re: Versetzt

geschrieben von Penthesilea am 29.07.04 12:26

Lieber Butterfly,
ich kam erst heute dazu, Deine Story zu lesen, dafür hatte ich als Trost gleich viel davon.
Boah ... die ist ja besser als gut! Du hast Dich selber übertroffen, kaum zu glauben!
Ohne dass ich Dir damit einen eigenen Stil absprechen will, hat mich diese Gemeinschaft von Frauen irgendwie an die *schwarze Schwesternschaft* von Zimmer-Bradley erinnert, ein Buch, das ich gefressen habe!
Und genauso magisch gebannt habe ich eben vor meinem Bildschirm gesessen.
Du, schreib bloß schnell weiter!

Gruß
Penthe
26. Re: Versetzt

geschrieben von Why-Not am 29.07.04 22:43

Hallo Butterfly,

Du schreibst eindeutig zu schnell.

Nicht nur, daß Du unsere Damen mit einer viel zu hohen Einstellfrequenz verwöhnst, sondern auch, daß ich gar nicht mehr mit dem Lesen und Kommentieren nachkomme. Und bei Deiner Story wäre es unangebracht, einfach schweigend zu lesen.

Daumen hoch. Eine tolle Story. Auch, wenn ich mir noch nicht so ganz darüber im Klaren bin, was die Flashbacks im Krankenhaus zu bedeuten haben. Aber, ich denke, ich werde es Anja gleichtun: Genießen und nicht vordenken.

Why-Not
27. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 30.07.04 11:51

... also gut, machen wir einen Kompromiß. Dann poste ich halt zum Freitagmittag einen recht kurzen Teil mit dem auch der notorische Häppchenposter zufrieden sein dürfte, auch wenn ich mich nicht ganz auf sein sadistisches Niveau begebe...

Tei 9
Am Schluß war aus dem Nachtspaziergang eine Klettertour über rutschige Steine in einem gar nicht mehr leise murmelnden Bach geworden, der tief in den Felsen eingeschnitten hatte, so daß rechts und links von ihnen unüberwindlich scheinende karstige Felswände in die Dunkelheit ragten. Der Himmel begann langsam sich violett zu verfärben, da blieb Naja plötzlich stehen. "Hier ist es."
"Hier ist was?"
Ohne ihm zu antworten ging sie zur linken Felswand und begann behende daran hochzuklettern.
Schnell war sie in der Dunkelheit verschwunden, schließlich rief sie leise von oben: "Komm nach!"
Jens fluchte leise. Dann rief er zurück: "Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein!"
Das war allerdings eher ein Stoßseufzer als ernstgemeinte Kritik. Er wartete gar nicht erst auf eine Antwort, als er sich daran machte, hinaufzuklettern. Er konnte kaum erkennen, was er da tat, aber ganz so steil, wie es aussah, war es nicht. Dennoch dachte er mit Grauen an die Folgen eines Sturzes. Auf den Steinen in dem flachen Wasser würde er sich garantiert den Hals brechen. Vorausgesetzt er hatte Glück.
"Weiter links! Da geht es nicht weiter."
"Können vor Lachen!"
Ihr leises Kichern machte ihm klar, daß er bald da sein mußte.
"Hier her."
Jens wunderte sich, schließlich schien er noch lange nicht oben angekommen zu sein, da zog Naja ihn schon auf ein kleines Platteau, das von durch einen Überhang geschützt war und von unten durch eine Art natürliche Brüstung unsichtbar war. Er versuchte sich aufzurichten und stieß sich erbärmlich am Kopf.
"Bleib liegen. Ist auch viel bequemer. Hier bleiben wir bis morgen."
"Ich dachte, du weißt nicht, wo du hin willst..."
In dem hellen Licht konnte er ihr breites Grinsen sehen: "Ich bin davon ausgegangen, daß du schneller läufst, wenn du denkst, daß du einfach möglichst viel Strecke zurücklegen mußt."
Bei soviel Gemeinheit konnte Jens nicht anders als Lachen. Dann griff er nach ihrer Hand, zog sie zu sich hin und wälzte sich dann auf sie. Er hielt sie fest und biß ihr sanft ins Ohr. Dann nahm er wieder ein wenig Abstand, sah sie an: "Und hier sind wir sicher?"
Sie nickte: "Dieses Plateau ist mein Geheimnis. Man kann es weder von unten noch von oben sehen, ich habe es nur durch Zufall gefunden, als ich von der Hochebene hinunter zum Bach klettern wollte. Wenn wir dann in der kommenden Nacht noch ein wenig weitergehen, dann sind wir über die Grenzen hinaus, in denen meine Leute jagen. Dann sind wir frei."

Jens begann, die Riemen seiner Schuhe aufzubinden. Ziemlich entsetzt sah Naja seine blutigen Füße an.
"Warum sagst du denn nichts! Das muß doch weh tun!"
Jetzt, wo Jens die aufgeschürfte Haut sah, begann es in der Tat, weh zu tun, vorher hatte die Kälte des Wassers sein Schmerzempfinden betäubt.
Naja wühlte einen Moment in ihren Taschen, dann schüttelte sie den Kopf. "Ich bin kein Nachtwandler, und ich habe keine geeignete Salbe für so etwas dabei, also bleibt nichts anderes, als das alte Hausmittel."
Sie band ihren Lendenschurz los und kommandierte: "Still halten und Zähne zusammenbeißen."
Ihr Urin brannte scheußlich in den Wunden. Dennoch konnte er nur schlecht die zunehmende Enge seines Lendenschurzes verbergen. Naja grinste und griff ihm zwischen die Beine: "So etwas..."
Dann begann sie ihn zu küssen. In kurzer Zeit lagen sie eng umschlungen auf dem Katzenumhang. Sie konnten sich nicht so recht einigen, wie, bis Jens sie schwungvoll auf den Rücken wälzte, das Ledertuch, das sie um die Brüste gebunden hatte griff und damit ihre Handgelenke fesselte. Sie hatte nichts dagegen einzuwenden und preßte ihren Körper verlangend an ihn.

Beide schliefen engumschlungen ein, allerdings erst, nachdem Naja sich befreit und ein mittellanges Messer griffbereit neben sich gelegt hatte.
Naja wurde nachmittags wach. Jens ließ sich nicht einfach aufwecken und dämmerte sofort wieder ein. Schon nach einem Blick auf seine knallrot angeschwollenen Füße und einen Griff an seine Stirn war ihr klar, daß sie einen weiteren Tag hier campieren mussten. Wahrscheinlich mehr als einen Tag, korrigierte sie sich in Gedanken. Sie wühlte erneut in ihrem Beutel und beschimpfte sich, dass das, was sie an Salben und ähnlichem eingesteckt hatte, ihr hierfür überhaupt nichts nützte.
Sie gab ihm etwas zu trinken und blieb einige Sekunden nachdenklich neben ihm auf den Fersen hocken, schien im Widerstreit mit sich selbst zu sein, während sie in Gedanken verschiedene Heilpflanzen durchging. Dann nickte sie, stand auf, wühlte noch einmal kurz in dem einen Beutel, leerte in weitgehend und band ihn sich um, dann stand sie auf und begann, nach oben zu klettern.

Jens wachte zitternd auf. Er fühlte sich miserabel. Außerdem war es schon ziemlich dunkel; und sie wollten doch wieder los, wenn es Nacht wurde? Wo war Naja? Er lehnte seinen Kopf an den kühlen Stein, bis er wieder in der Lage war, einen einigermaßen klaren Gedanken zu fassen. Er verstand, daß er krank war und kaum weit gehen konnte. Und daß Naja ihn allein gelassen hatte. Das war ja auch vernünftig. So, wie er sich fühlte, würde er wohl kaum weit laufen können, und schließlich war Najas Leben bedroht.
Er mußte versuchen, sich selbst durchzuschlagen. Und wenn sie ihn erwischten...
Jens überlegte lieber nicht weiter. Er hob die Tasche an, die Naja dagelassen hatte und entschied, daß sie zu schwer war. Er durchsuchte sie nach einem Messer, blieb aber erfolglos, zumal ihm schwindelig war und immer wieder alles vor Augen verschwamm.
Er hatte keine Ahnung, wie es ihm gelungen war, die Felswand zu überwinden. Aber irgendwann war er oben angekommen und das war das einzige, was zählte. Erschöpft blieb er auf dem Bauch liegen und schlief ein.
28. Re: Versetzt

geschrieben von Nachtigall am 30.07.04 13:00

Butterfly, wie fies!

Dieser Jens ist doch ein Grottenolm. Geschähe ihm fast Recht, wenn sie ihn nach dieser super-dämlichen Aktion wieder einfangen würden...

kopfschüttelnde Grüße
Anja
29. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 30.07.04 14:17

... also Grottenolm, das kann ich nicht so stehenlassen.
Der arme Kerl ist krank, hat Fieber, kann kaum zusammenhängend denken, außerdem ist offenbar Naja weitergezogen und hat ihn alleingelassen.

Wenn er da liegengeblieben wäre, wo er war, wäre er einfach in Ruhe und Frieden gestorben, ohne daß sich jemand um ihn kümmern.
Da gewinnt doch wohl die Option, wieder gefangen genommen zu werden und als Samenspender zu dienen, echte Attraktivität, oder nicht?

Jo moi
Butterfly
30. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 31.07.04 09:50

Teil 10
Naja suchte nach Kräutern, vielmehr nach einem bestimmten Kraut. Es war unwahrscheinlich, hier auf der trockenen Hochebene Sonnenbinse zu finden, aber versuchen mußte sie es, alles andere würde nicht helfen.
Natürlich blieb sie erfolglos.
Als die Nacht hereinbrach, begann sie die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens einzusehen. Sie blieb stehen und versuchte wieder - und genauso erfolglos wie bisher - noch eine weitere Möglichkeit zu finden. Irgend etwas mußte es doch geben. Schließlich zuckte sie resigniert mit den Schultern und setzte sich im Laufschritt in Bewegung.

Der stechende Geruch fiel schon auf einige Meter Abstand auf. Aber kein Wesen, das bei Verstand war, hätte sich hier her getraut, eben wegen dieses Geruchs. Trotzdem schlich sie sich näher heran, sorgsam bemüht, kein Geräusch zu machen.
Das war jetzt schon das vierte Nest, das sie besuchte. Im ersten hatten noch Eier gelegen, und sie war einfach nicht sicher, ob das reichen würde, das zweite war verlassen gewesen, im dritten vier Junge, die schon viel zu groß waren. Diesmal mußte es einfach klappen, denn sie wußte, daß die Mitte der Nacht schon längst herum war, und ihre Zeit langsam ablief.

Vorsichtig bog sie einen Zweig beiseite. Ja! In dem Nest gab es ein Junges, das gerade die Augen geöffnet hatte. Und die Mutter war nirgends zu sehen. Das war die Gelegenheit. Sie sprang in das Nest, schnappte das Junge, das sich nur schwach wehrte, im Haltegriff und drückte ihr Messer an seine Kehle.
Natürlich konnte sie von dem Jungen nicht erwarten, daß es stillhielt. Aber schon war die Mutter da, stürzte auf sie zu. Auf Najas deutliche Geste hin blieb sie vor Wut schäumend stehen.
"Wenn du angreifst, werde ich dein Junges töten. Und dann gibt es immer noch einen Kampf zwischen uns beiden!", sie hoffte, daß die Unsicherheit in ihrer Stimme nicht zu hören war.
Der Nachtwandler zischte sie an: "Was willst du? Nichts wird mich davon abhalten, dich zu töten und zu verspeisen!"
Naja schüttelte den Kopf: "Ich glaube schon...", und dann begann sie zu reden.

Nur wenig später fanden Naja und der Nachtwandler Jens am Rande der Klippe liegend.
Der Nachtwandler zischte, über Jens gebeugt: "Was sollte mich davon abhalten, erst dein... dein Junges hier und dann dich zu töten?"
Naja seufzte und tat betont gelassen: "Mein Messer an der Kehle deines Jungen und dein Versprechen.", obwohl ihr eigentlich überhaupt nicht wohl war. Die Nachtwandler waren intelligent, das war bekannt. Sie war nicht sicher, ob sie positiv überrascht oder erschreckt war, wie intelligent dieses Exemplar war. Und ihres Wissens hatte noch niemand ausprobiert, ob man mit ihnen einen Handel machen konnte. Zumal ihr eigenes Vorgehen auch kaum von ethischen Maßstäben abgedeckt war, wie ihr schlechtes Gewissen ihr eindringlich klarzumachen versuchte.
Das Wesen berührte Jens kurz, blickte dann auf und schaute Naja mitleidig für einige Sekunden an. Naja spürte nicht, wie der Zauber des wunderschönen und anmutigen Wesens sich auf sie konzentrierte, ihren Willen unterspülte.
"Menschenfrau, es tut mir leid für dich und dein Junges. Er ist jenseits meiner Macht, ich kann ihm nicht mehr helfen.", das Wesen machte eine bedauernde und hilflose Geste, "Ich werde ihn beißen, dann ist er gelähmt und wird nicht viel spüren, wenn er stirbt. Das, oder du wirst zusehen müssen, wie er qualvoll verendet. Gib auf, Menschenfrau, es ist sinnlos. Gib mir mein Junges, dann verschone ich dich."
Präzise hatte das Wesen ihre schwache Stelle gefunden, ihre Furcht, daß alles vergeblich war, mit seiner suggestiven Gabe untermauert, ihre Wachsamkeit eingelullt. Halb instinktiv bemühte sie sich, ihren Verstand von den unsichtbaren und unnachgiebigen Spinnwebfäden zu befreien, sagte sich, daß es einfach ein Bluff sein mußte. Aber alles in ihr strebte danach, dem Wesen zu glauben, das sinnlose Unterfangen aufzugeben, einfach in Tränen auszubrechen, in seiner sanften Umarmung Trost zu finden.

"Du weißt genau, daß das Unsinn ist. Du kannst ihn heilen.", es war ein letztes Aufbäumen ihres Willens, und sie wußte nicht, wie es ihr gelang, nach außen völlig kalt, unberührt und leicht amüsiert zu wirken.
Wütend zischte der Nachtwandler, der plötzlich gar nicht mehr wunderschön und anmutig wirkte, dann senkte er den Kopf mit geschlossenen Augen und begann sanft über Jens Körper zu streicheln. Erst lag Jens still, dann begann er leise zu stöhnen, schließlich, sich lustvoll zu räkeln, drehte sich auf den Rücken, neigte reflexartig den Kopf nach hinten. Auch der Nachtwandler hatte begonnen zu stöhnen und neigte seinen Kopf langsam zu Jens Hals herab.
Naja setzte das Junge ab, nahm ihr Messer und machte sich bereit. Sie setzte es an die Kehle des in Trance versunkenen Nachtwandlers, bereit, zuzustoßen, bevor seine Fänge Jens Hals berühren würden. Doch sie brachte es nicht über sich, packte das Wesen lediglich an den Haaren und riß es von Jens weg.
Es dauerte einen Moment, bevor das Wesen in die Realität zurückgefunden hatte, dann fauchte es und ging drohend einen Schritt auf Naja zu.
"Deinem Jungen ist nichts passiert." Naja machte eine Geste mit der Hand in die Richtung, wo das Nachtwandlerjunge still im Gras lag.
Die Mutter nahm das Kind auf und sah zum Himmel, der langsam begann sich zu verfärben.
Nachdenklich fixierten ihre Augen Naja: "Beim nächsten Mal, wenn wir uns sehen, werde ich der Jäger sein, und ihr meine Beute", sagte sie leise. Dann verschwand sie in der Dämmerung.

Jens fühlte sich großartig. Er hätte die ganze Welt umarmen können. Und als Naja ihn dann noch so freundlich schüttelte, mit einem blumig liebenswerten gehetzten Gesichtsausdruck, konnte er gar nicht anders, als sie in seine Arme ziehen. Tatsächlich spielte sie die Gereizte, tat so, als hätte sie keine Lust, gleich hier, auf der Wiese...
Eine Ohrfeige explodierte in seinem Gesicht. Von dem Brennen auf seiner anderen Wange zu urteilen, war es nicht die erste.
"Wirst du wohl zu dir kommen? Wir müssen weg!"
Er jammerte: "Aber Naja, ich...."
"Du bist noch völlig besoffen! Mensch, werd klar im Kopf! Wir müssen hier weg und zwar schnellstmöglich. Wo sind die anderen Sachen?"
"Welche anderen...?"
Naja sah stöhnend zum Himmel, dann kletterte sie die Felswand hinunter. Schnell kam sie wieder hoch, mit ihrem Umhang und der anderen Tasche.
"So... bist du jetzt etwas klarer? Wir werden gejagt. Nicht nur von meinen Leuten, sondern auch noch von einem wütenden Nachtwandler!"
"Wieso den ein Nacht...", dann setzte sein getrübtes Erinnerungsvermögen ein. Er lief knallrot an. Nach einigen Sekunden traute er sich zu fragen: "Wo kam denn der her? Und wieso lebe ich noch?"
"Dir geht es wirklich gut?"
Er überlegte kurz, dann antwortete er: "Könnte gar nicht besser sein."
Naja inspizierte die rosa Haut an seinen Füßen, die von einer stabilen Hornhaut überzogen waren.
Dann nickte sie. "Also los. Ich erzähle es dir unterwegs."
31. Re: Versetzt

geschrieben von Penthesilea am 31.07.04 10:46

Supersupergut, Butterfly, supergut!
Nachtwandlersex als alternative Heilmethode ... hilft das auch bei Rückenschmerzen?

Lass Dich bloß nicht von Why-Not daran hindern, schnell und viel weiterzuschreiben, der ist nämlich nicht nur ein notorischer Häppchenposter, der ist viel schlimmer ... er ist ein Story*verwalter* sadistischster Sorte, ein Zeilenzähler ... *fg.

Gruß
Penthe
(Diese Nachricht wurde am 31.07.04 um 10:46 von Penthesilea geändert.)
32. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 31.07.04 11:18

Liebe Penthesilia,
sei herzlich bedankt für dein freundliches Zureden, allein, rechne nicht vor Mitte kommender Woche mit einem weiteren Teil. Bei der Korrektur des nächsten Teiles sind mir nämlich ein paar Dinge aufgefallen (oder eher eingefallen ), die größere Aufwände nach sich ziehen.

Und ansonsten: selbstverständlich helfen Nachtwandler auch bei Rückenschmerzen. Aber normalerweise ist die Hilfe, die sie erteilen recht endgültig...

Dein
Dr. Sommerfeld.
33. Re: Versetzt

geschrieben von Penthesilea am 31.07.04 11:48

Oh ... man nennt diese Art Hilfe auch finalen Orgasmus, ja?
Geh ich besser weiterhin zur traditionellen Massage:
so erlebe ich wenigstens auch die weiteren Folgen Deiner Story.

Gruß
Penthe
34. Re: Versetzt

geschrieben von Ihr_joe am 31.07.04 13:02

Hallo Butterfly,
was Du da produzierst ist eine super gute Story! Die Geschichte lässt sich toll lesen, ich bin mehr als begeistert!
Danke
Ihr_joe
35. Re: Versetzt

geschrieben von mecky64 am 31.07.04 14:15

Gehetzt von Amazonen und Nachtwandlern, in Begleitung einer beeindruckenden Frau, im Hinterkopf immer noch den Rückblick an die Klinik.

Du merkst, das Du mich verwirrst??

Und das ist gut so, schreib weiter, ich will mehr Verwirrung und vielleicht ein bisschen Aufklärung.

Gruß
Marcus
36. Re: Versetzt

geschrieben von Gast träumerin am 31.07.04 17:09

Hallo Butterfly, mein Süsser...

Da bist du ja sehr fleissige gewesen..*lob, lob* und hast mir damit den Sonnabend versüsst.

Ich muss unserer Penthe natürlich zustimmen, lass dich bloss von Why-Not nicht verführen *hüstel*

Ich warte sehnsüchtig auf mehr

Deine Maritta
37. Re: Versetzt

geschrieben von Why-Not am 31.07.04 19:13

Also, hier wird ja übel über mich hergezogen. Notorischer Häppchenposter, sadistischer Storyverwalter, Zeilenzähler ... und jetzt soll ich sogar noch drauf und dran sein, unseren Schmetterling zu verführen ... tztztz

Ich und jemanden verführen ... ich weiß gar nicht, wie sowas geht.

Soviel Aufmerksamkeit fü rmich, obwohl ich in dieser Story doch gar nicht vorkomme.

Also, Butterfly, mach mit Deiner tollen Story schön weiter.

Why-Not

PS: Aber laß Dir ordentlich Zeit dabei.
38. Re: Versetzt

geschrieben von Penthesilea am 31.07.04 20:01

Oh ja, Why-Not ... niemand verursacht auf einer Party so viel Unterhaltung und Freude, wie einer, der gar nicht anwesend ist ... *fg.

Gruß
Penthe
39. Re: Versetzt

geschrieben von Nachtigall am 01.08.04 02:10

Hihi, Butterfly,

hör bloß nicht auf Why-Not - Deine Einstellfrequenz ist absolut okay

Und Deine Ideen sind einfach wunderbar; kann mir Deine Figuren plastisch vorstellen, sowas liebe ich!

Begeisterte Grüße
Anja
40. Re: Versetzt

geschrieben von fa445962 am 01.08.04 21:12

Tag Butterfly,
ich war der Meinung, Deine Geschichten ließen sich qualitativ nicht mehr steigern: ebenso großer wie für uns Leser erfeulicher Irrtum.
So irre ich weiterhin sehr gerne...
iele Grüße, Jean
41. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 02.08.04 08:47

... freut mich, daß es euch gefällt. Entgegen der Ankündigung kommt hier der nächste Teil, ich hatte am Wochenende etwas Zeit, die damit anfälligen Dinge zu fixen...

Teil 11
Als sie fertig war, fragte Jens: "Aber wieso denn ein Nachtwandler? Ich dachte, das sind Raubtiere? Wenn es Tiere sind..."
"Ja. Aber sie können alle Verletzungen heilen. Wahrscheinlich, damit sie länger von ihrer Beute leben können." Sie stockte, dann fuhr sie fort, als würde sie sich nur ungern erinnern: "Tias Schwester... wir haben sie erst nach über zwei Wochen gefunden. Und das, was von ihr über war, hätte nicht mehr leben dürfen, aber es hat immer noch geatmet."
Jens schauderte. Er fragte lieber nicht weiter nach.
Einige Sekunden später seufzte Naja: "Meinst du, wenn mir eine andere Möglichkeit eingefallen wäre, hätte ich so einen Unfug getrieben? Es war Selbstmord, pure Verzweiflung. Und deshalb müssen wir möglichst weit weg sein, bevor die Nacht anbricht. Tagsüber sind die Nachtwandler inaktiv. Wir können nur hoffen, das meine Leute uns nicht erwischen."
Jens fand, dass das nicht gerade aufbauend klang.

Sie wanderten den ganzen Tag durch und noch einen guten Teil der Nacht hindurch, machten nur zweimal eine kurze Pause. Schließlich ließ Naja sich erschöpft unter einen Baum fallen. "Jetzt reicht es. Soll er uns doch haben."
Erschöpft setzte Jens sich neben sie. "So weit wird ein Nachtwandler mit seinem Jungen wohl kaum gehen, nur um sich an dir zu rächen..."
Naja zuckte die Schultern und nuschelte schon vor Müdigkeit: "Ist mir auch egal. Muß schlafen. Zu lange gelaufen. Hier... ein Messer. Du die erste Nachthälfte, ich...", dann verdrehte sie die Augen und war eingeschlafen.
Jens beschloß, daß das wohl bedeutete, daß er Wache halten sollte.
Er blieb eine Weile sitzen, das gezückte Messer in der Hand, bis er merkte, daß ihm die Augen zufielen, stand dann auf, ging leise ein paar Schritte hin und her, um seinen Kopf zu klären und setzte sich wieder hin. Er schlief sofort ein.

Das Erwachen war ziemlich ruckartig.
"Du Schlafmütze! Du kannst doch nicht einfach so auf Wache schlafen! Was wäre passiert, wenn jemand uns überfallen hätte?", schüttelte Naja ärgerlich den Kopf.
"Aber...", versuchte Jens schwach und schuldbewußt zu entgegnen, aber Naja unterbrach ihn sofort: "Das ist doch kein Spaziergang. Die Hälfte aller vernunftbegabten Wesen dieser Welt ist hinter uns her und vermutlich alle, die nicht vernunftbegabt sind."
Dann lachte sie leise: "Was soll s. So sind wir wenigstens beide ausgeschlafen. Obwohl ich wahrscheinlich weniger gut und lange geschlafen hätte, wenn ich gewußt hätte, wie aufmerksam du wachst."
Jens senkte den Kopf und entschuldigte sich kleinlaut.

Nachdem Naja einige Früchte zusammengesucht hatten, die gemeinsam mit dem letzten Rest Brot, den sie mit einem besorgten Blick aus der einen Tasche zog, ein leckeres Frühstück abgaben, ließ sie Jens an der weiteren Planung teilhaben.
Sie erklärte, daß sie kaum noch damit rechnen mußten, daß ihre Leute sie verfolgten: "Das wäre ungewöhnlich. Wir sind in einem Bereich, wo sich noch nie jemand hingewagt hat. Es ist einfach zu weit weg und lohnt nicht. Niemand geht hier hin."
Jens runzelte die Stirn: "Das bedeutet, daß du dich hier genauso gut auskennst wie ich..."
Naja nickte und zuckte die Schultern: "So kann man das auch ausdrücken."
"Und was bedeutet das jetzt für uns? Wohin gehen wir weiter? Oder lassen wir uns hier nieder, siedeln uns an..."
Sie mußte grinsen, stand auf und setzte sich mit dem Gesicht zu ihm auf seinen Schoß. "Das mit dem Siedeln, das ist eine gute Idee...", säuselte sie verführerisch.
Ebenfalls grinsend wehrte Jens ab: "Hey, was soll denn das? Ich mache hier ernsthafte Vorschläge, und du hast nur Zudringlichkeiten im Kopf!"
Sie ging auf sein Spiel ein: "Also, wenn ich zudringlich werde, dann sieht das anders aus. Dann mach ich so", sie schnürte sein Hemd halb auf, "und so", zog es über die Schultern nach unten, so daß es seine Arme an seine Seiten drückte, "und so."
Damit warf sie sich nach vorne. Entsprechend kippte Jens nach hinten um. Naja kniete über ihm und begann, ihn mit Küssen zu überschütten.

Es war beinah Mittag, bevor sie sich auf den Weg machten. Naja hielt es für eine gute Idee, noch etwas zusätzlichen Abstand zwischen sich und ihre potentiellen Verfolger zu bringen. Mit wenig Enthusiasmus pflichtete Jens ihr bei. Wenig später wanderten sie im Gänsemarsch durch das hüfthohe Gras, das sich mit dichtem Gebüsch abwechselte.
Schon nach einigen hundert Metern rief Naja plötzlich eine Warnung und zog Jens zwischen einige Büsche.
Erschreckt flüsterte er: "Was ist?"
Naja deutete nach vorne. Jens konnte einige flirrend bunte Punkte in der Luft erkennen, die über dem übernächsten Hügel tanzten.
"Und deshalb gehen wir in Deckung?"
Sie antwortete ihm nicht, sondern beobachtete die Bewegung der Punkte.
Schließlich atmete sie auf: "Sie kommen nicht in unsere Richtung. Ich denke, wir können weiter."
"Was war das?"
Naja zuckte die Schultern: "Ich habe keine Ahnung. Aber meistens ist es besser, wenn man vorsichtig an Dinge herangeht, die man nicht kennt."

Diese Binsenweisheit bestätigte sich, als sie auf der Kuppe des Hügels angekommen waren. Vor ihnen lagen die Überreste einer Katze, allerdings schien dem Tier sämtliches Fleisch abhanden gekommen zu sein. In der leeren Haut befand sich nur ein sauberes Skelett. Als Naja vorsichtig den Körper umdrehte, dann einen der lose klappernden Knochen nahm und ihn wie einen dünnen Zweig zerbrach, wendete Jens sich angeekelt ab und begann lieber, die nähere Umgebung zu inspizieren.
Das Gras auf dem Hügel war zertrampelt, teilweise war die Grasnabe beschädigt. Die Spuren waren frisch, teilweise war die Erde, die freigelegt war, noch feucht und trocknete zusehends in der Sonne.
Plötzlich blieb Jens stehen und bückte sich. Dann griff er zu, um das metallisch glänzende Objekt aufzuheben, zog allerdings mit einem leisen Schmerzensschrei seine Hand wieder zurück, als er es kaum berührt hatte.
Naja war sofort bei ihm: "Was ist das?"
"Nicht anfassen..."
Naja zückte ihr Messer, um das halb in den Boden getretene Ding herauszuholen, aber Jens fiel ihr in den Arm: "Nicht mit dem Messer, es hat mir einen Stromschlag versetzt..."
Unter Najas fragenden Blicken brach er einen trockenen Ast vom nächsten Busch. Vorsichtig wühlte er den kleinen Metallschmetterling aus der Erde.
Vorsichtig stupste er das goldglänzende Gerät, dessen einer Flügel deutlich abgeknickt war mit dem Stock an. Sirrend bewegten sich die verbliebenen zwei Flügel, kamen dann zum Stillstand. Ein winziges rotes Lichtchen flackerte kurz, verlosch dann.

"Sieht so aus, als wäre die Batterie alle...", Jens bückte sich und hob den winzigen Flugkörper an.
"Was das auch ist, es ist nicht natürlichen Ursprungs.", murmelte er, während er es in der Hand drehte. "Und wenn ich mich nicht völlig täusche, kommt es auch nicht von drüben. Allein die Energieversorgung ist ein Alptraum... Und der Schwarm hat sich völlig autonom und selbst organisiert bewegt. Mal davon abgesehen, daß wir mal unterstellen wollen, daß er für den Tod der Katze verantwortlich ist."
"Das würde heißen, daß hier irgendwo Leute leben, die uns völlig überlegen sind?", fragte Naja entsetzt.
"Vermutlich. Und daß sie nicht aus meiner Welt sind, sondern von woanders, oder daß sie hier eine High-Tech Zivilisation entwickelt haben..."
Jens steckte den Metallschmetterling in die Tasche.
Beide sahen sich an. In diesem Moment wurde ihnen erst wirklich klar was schon morgens in dem Gespräch angeklungen war, nämlich, daß sie nicht viel weiter als bis zur Flucht geplant hatten. Und die konnten sie jetzt im wesentlichen als geglückt betrachten.

Beide fragten den anderen gleichzeitig: "Und was machen wir jetzt?", brachen mitten im Satz lachend ab.
Jens sah sich um. "Von dort kommen wir... gehen wir also in die Richtung, würde ich sagen."
Naja korrigierte seine Schätzung bezüglich ihres Ursprungs um ca. sechzig Grad nach rechts, machte dann eine schwenkende Bewegung mit der Arm: "Bleibt uns alles, was in dem Halbkreis liegt."
Jens zuckte die Schultern. "Egal. Laß uns da lang gehen, da hinten kommen ein paar Berge. Wenn ich mich irgendwo ansiedeln würde, dann da."
Bald kam in einem Tal zwischen zwei Hügeln ein kleines Wäldchen in Sicht. Naja legte an Tempo zu: "Hmmmm.... das sieht gut aus. Da finden wir alles, was wir für das Abendessen brauchen, wenn ich das richtig sehe."
Sie sah es richtig. Das Wäldchen war idyllisch an einem Bach gelegen und die Bäume hingen voll mit diversen Früchten, mit denen sie ihre Taschen und ihre Mägen vollstopften.

Plötzlich griff Naja nach Jens Arm und zischte: "Siehst du das da vorne?"
Jens konnte nicht wirklich bejahen, aber das hinderte Naja nicht daran, ihn hinter einen Baum zu schieben und ihm mit Gesten klarzumachen, daß er genau dort bleiben sollte.
Vorsichtig schlich sie weiter, jede Deckung ausnutzend, bis sie einen genaueren Blick auf die Hütte hatte. Sie schien noch in gutem Zustand zu sein, allerdings machte das Gras, das direkt vor der Tür hochgewachsen war, nicht den Eindruck, als sei sie in den letzten paar Wochen betreten worden war. Naja schlich sich noch näher, schließlich spähte sie durch den Spalt eines der geschlossenen Fensterläden.
Als sie nichts sah, öffnete sie ihn vorsichtig etwas weiter.
Schließlich ging sie offen zurück. Hier war seit Monaten niemand gewesen.
Schon auf die Entfernung stellte sie fest, daß irgend etwas nicht wirklich stimmte. Jens lag halb von dem Baum verdeckt am Boden. Ihr erschreckter Aufschrei: "Jens? Was...", brach ab, als ein paar Gestalten sie packten und eine schwarze Kapuze über ihren Kopf stülpten. Sie begann sich verbissen zu wehren, konnte aber nicht verhindern, gefesselt und verschnürt zu werden.
42. Re: Versetzt

geschrieben von Nachtigall am 02.08.04 09:52

Hui, Butterfly,

da tun sich ja Abgründe auf *mehrwill*. Bin ja gespannt, wo die Verwender von Technik herkommen - und welches Geschlecht sie haben...

Lesende Grüße
Anja
43. Re: Versetzt

geschrieben von RalfT am 02.08.04 15:52

Super Story.
Sehr spannend und gut geschrieben.
Wer sind die Fremden die unsere beiden da eingesackt haben?
Und die Krankenhaus-Szenen?
Sehr verwirrend, aber verlangt nach mehr.
44. Re: Versetzt

geschrieben von Nighttrain am 02.08.04 18:51

geniale Story.....das ist mein Aufbauprogramm nach Feierabend
mach weiter so !
45. Re: Versetzt

geschrieben von Gast träumerin am 02.08.04 22:47

Aber Butterfly!!

Wie kannst du nur!! Das ist ja schlimmer als ein coitus interruptus!!!

Schreib weiter....BITTE!!

Jammernde Grüsse
die Träumerin
46. Re: Versetzt

geschrieben von Why-Not am 02.08.04 23:14

Unser Schmetterling schreibt von künstlichen Raubschmetterlingen. Na, wenn das kein Hintersinn ist ...

Liest sich gut, die Story. <erhobener Daumen>

Why-Not
47. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 04.08.04 08:52

Teil 12
Der Geruch von frisch gemähtem Gras, durchsetzt von dem leichten Stechen eines Desinfektionsmittels weckte ihn. Er schlug die Augen auf und betrachtete lange die weiße Decke des Zimmers, die schwere Tür, die Bettgitter, den Nachttisch neben seinem Bett. Ein weiteres Bett stand in dem Zimmer, war aber scheinbar nicht belegt.
Er registrierte erstaunt, daß er nicht gefesselt war, ohne sich zu sicher zu sein, warum er darüber eigentlich erstaunt war. Nur die Decke war am Bett festgesteckt, damit er sich nicht freistrampelte. Er gähnte, fragte sich, wie er hier her kam. Als er die Arme unter der Decke herauszog, betrachtete er verdutzt seinen rechte Arm, der von der Mitte des Oberarms bis zu den Fingerspitzen in einem Gipsverband steckte.
Er zögerte einen Moment, dann setzte er sich auf. Es war nicht ganz leicht, über das Bettgitter zu kommen und ihm wurde spontan schwindelig. Mit unsicheren Schritten ging er erst ans Fenster, dann zur Tür, die mit seinem Handicap nicht ganz einfach zu öffnen war. Draußen sah er einen hellviolett gestrichenen Krankenhausflur.

Die Aufregung, die folgte, verblüffte ihn. Eine Schwester sah ihn an wie eine Geistererscheinung, verschwand blitzartig. Schon nach wenigen Sekunden waren mehrere Leute in weißen Kitteln im Flur, die ihn schnellstmöglich in sein Bett zurückexpedierten unter hektischem Gerede, daß er nicht aufstehen dürfe, daß er doch nicht hier einfach rumlaufen könnte und so weiter.
Widerstandslos ließ er sich abführen. Ein Arzt kam an das Bett, hob eine Spritze, sprühte filmreif etwas von dem Inhalt nach oben in die Luft. Jens protestierte: "Ich will keine Spritze... was soll das? Mir geht es wunderbar!"
Der Arzt schüttelte den Kopf: "Gleich wird es ihnen noch viel besser gehen..."
Jens wehrte erneut ab, wurde diesmal lauter: "Ich will keine Spritze!"
Auf ein Nicken des Arztes hin drückten zwei Pfleger seine Schultern und Unterarme auf die Matratze, während die Schwester sie schnell am Bettgitter festband. Jens zappelte noch immer, als der Arzt die Nadel aus seiner Vene zog.

Merkwürdigerweise war es eher die Änderung des Lichtes und des Geruchs als die seiner Fesseln oder die stechenden Schmerzen in seinen Armen, die zuerst in sein Bewußtsein drangen. Es war dunkel, mit einem trübe flackernden Licht durch geschlossene Augenlider. Jens richtete sich auf, um seine Arme zu entlasten, an denen er gehangen hatte.
Er traute sich nicht, die Augen zu öffnen, auch wenn er genauer als ihm lieb war die primitiven Eisenfesseln spürte, in denen er aufrecht an der Wand hing. Immerhin, jetzt, wo er stand, fühlten sich seine Arme nur noch an, als hätte jemand versucht, sie auszureißen, nicht mehr, als wäre gerade jemand dabei.
Aber er wußte, daß er nicht in dem Verlies war, in das Naja ihn gesteckt, und aus dem sie ihn wieder befreit hatte. Dazu roch es hier zu feucht und zu modrig.
"Jens... kannst du mich hören?", Najas Stimme klang irgendwie merkwürdig.
Jens entschied sich schließlich doch, seine Augen zu öffnen. Was er sah, war schlimmer, als was er erwartet hatte. Dieses Verlies war aus großen Steinen gemauert, die von Moos überwuchert waren. Es wurde genau so hell von einer Fackel beleuchtet, daß er und Naja, die nebeneinander mit weit gespreizten Armen an die Wand gefesselt waren, besser als ihnen lieb war ein drittes Paar Handfesseln sehen konnten, in dem ein Skelett hing.
Auch wenn er sich sagte, daß das sicher nur Show war, um die Gefangenen weich zu machen, konnte Jens nicht umhin, sich einzugestehen, daß die Show ihre Wirkung hatte. Er stöhnte leise, schaute betont in die andere Richtung zu Naja. Er selbst konnte einigermaßen bequem stehen, aber Najas Füße waren gefesselt und mit einem großen Stein beschwert, der knapp über dem Boden baumelte. Die Muskeln an ihren Armen und Schultern zeichneten sich knotig ab.
"Was haben sie mit dir gemacht?"
Naja schüttelte den Kopf und keuchte zwischen zusammengebissenen Zähnen: "Ich habe mich gewehrt. Um mich getreten. Die Belohnung war, daß sie mich höher gehängt haben. Und den Stein an die Füße gebunden haben. Aber die Fackel ist schon fast heruntergebrannt. Bald muß jemand kommen.", sie machte eine kurze Pause, schloß die Augen, dann setzte sie leise hinzu: "Hoffentlich."
Er mußte ihr zustimmen, auch seine Haltung war keineswegs bequem, aber sie mußte unglaubliche Schmerzen haben.
"Das sind nicht deine Leute, oder? Kennst du sie?"
Naja antwortete mit einem Kopfschütteln.

Das mit der Fackel war ein Fehlschluß gewesen. Vielleicht eine kleine zusätzliche Gemeinheit, um die Gefangenen zu quälen. Mit einem letzten Aufflackern ging sie aus.
Im Dunkeln war Jens seinen Gedanken ausgeliefert. Er war völlig entnervt. Er hoffte, daß er einfach nur verrückt war, sozusagen sein Verstand auf Urlaub, und daß sich jemand solange um seinen Körper kümmern würde, bis er wieder da war. Allein und im Dunkeln war es einfacher, an diese Vorstellung zu glauben...
Nach geraumer Zeit rief Naja ihn an: "Jens... hörst du mich?"
Er antwortete nicht.
Sie rief noch einmal, klang diesmal ängstlich: "Jens?"
Er antwortete, ganz langsam und betont: "Ihr seid alles Ausgeburten meines kranken Verstandes. Es gibt dich nicht. Es gibt auch diesen Kerker nicht, und die Fesseln."
Naja lachte gequält auf: "Das ist schön für dich. Hoffentlich schreibt es jemand auf deinen Grabstein. Ich wurde von einer Ausgeburt meines Verstandes getötet.", sie machte eine Pause, fuhr dann fort: "Jens, das bringt dich nicht weiter, und mich auch nicht. Ich brauche dich. Ohne dich hat das Ganze hier keinen Sinn."
Monoton antwortete er: "Mit mir auch nicht. Das Ganze hier hat keinen Sinn."
Sie schwieg. Jens meinte ein leises Schluchzen zu hören.

Als schließlich vier Wächterinnen kamen, war Naja vor Erschöpfung und Schmerzen bewußtlos. Sie machten die Fesseln los. Jens blieb taumelnd stehen, bemüht, sein Gleichgewicht zu halten. Naja sackte in sich zusammen. Beiden wurden die Hände auf den Rücken gefesselt. Zwei Wächterinnen nahmen Naja zwischen sich und schleiften sie zur Tür, die anderen beiden schubsten Jens vor sich her.
"Wo bringt ihr uns hin?"
Ein weiteres Schubsen brachte Jens beinah aus dem Gleichgewicht. Die Antwort war nur indirekt, brachte ihn aber zum verstummen: "Los jetzt! Die Großinquisitorin wartet ungerne!"
Jetzt hatte er wirklich Angst.
Im Gegensatz zu den Worten der Wachen stand die Handlung der Inquisitorin, als beide angekommen waren. Die Frau war genau wie die Wächterinnen in eine schmucklose graue Kutte gekleidet. Sie kniete mit dem Rücken zu den Gefangenen auf dem Boden vor einem Kreuz.
Die Wächterinnen zwangen Jens und Naja, die inzwischen zu sich gekommen war, sich in etwa fünf Metern Abstand hinter die Inquisitorin zu knien.
Keine Person im Raum rührte sich für einige Minuten, bis schließlich die Inquisitorin aufstand.

"Was hattet ihr im heiligen Hain verloren?"
Die mittelalte Frau hatte sich noch nicht ganz zu Ihnen umgedreht, als sie bereits die Frage stellte.
"Was heißt hier...", weiter kam Jens nicht, als die Faust einer der Wächterinnen zielsicher seine Niere traf. Er krümmte sich und hätte das Gleichgewicht verloren, hätten die beide ihn nicht festgehalten.
Die Inquisitorin fuhr fort, und Jens wurde klar, daß es sich um eine rethorische Frage gehandelt hatte: "Ihr wolltet unseren Herrn lästern, seinen Hain entweihen. Eure Schuld steht euch ins Gesicht geschrieben!"
Sie redete sich in Rage, ohne dabei irgend etwas von sich zu geben, was für Jens oder Naja aufschlußreich gewesen wäre.
Schließlich machte sie eine Pause.
Jens schüttelte den Kopf: "Ich habe keine Ahnung, was Ihr uns vorwerft."
Erneut traf ihn eine Faust, diesmal auf der anderen Seite. Dieses Mal hielten sie ihn nicht und er stürzte nach vore auf sein Gesicht. Die eine Wächterin herrschten ihn an: "Schweig, du Wurm, während die Großinquisitorin euer Urteil spricht!"
Die Inquisitorin ging zu Jens, beugte sich zu ihm herab und griff nach seinem Kinn. Sie hob seinen Kopf an und sah ihm einen Moment lang ins Gesicht. Dann lächelte sie freundlich.
Nachdenklich und leise sagte sie: "Ihr habt keine Ahnung? Vielleicht gar ein reines Gewissen? Mag sein. Wir werden sehen." Laut befahl sie: "Befragt ihn."
Sie drehte sich um und kniete sich erneut vor das Kreuz. Offenbar war die Audienz beendet.
Die Wächterinnen zogen Jens und Naja hoch. Draußen wurden sie getrennt.

Naja wurde zurück in die Kerkerzelle gebracht. Die Wächterinnen sahen davon ab, sie wieder an die Wand zu fesseln, sondern ketteten sie nur mit einem Fußeisen an. Dazu gab es die klare Drohung, daß sie die Strafe kannte, wenn sie noch einmal versuchte, jemanden zu verletzen. Sie war sicher, daß sie dazu nicht in der Verfassung war. Sie konnte den linken Arm nicht bewegen und diagnostizierte sich selbst eine ausgerenkte Schulter.
Nach einer quälend langen Zeit schubsten sie Jens wieder in die Zelle. Er taumelte ein paar Schritte, stürzte und blieb dann einfach schlaff liegen. Offenbar hielten sie es nicht für nötig, ihn in irgendeiner Form zu fesseln. Als Naja ihn vorsichtig auf den Rücken drehte und seine linke Hand sah, wußte sie, das Jens alles gestanden hatte, von dem er geglaubt hatte, daß sie es hatten hören wollen. Und bestimmt noch einiges mehr.
Sie schüttelte sich in Abscheu. Dann, solange er noch bewußtlos war, richtete sie die Knochen, so gut es ging, riß mit zusammengebissenen Zähnen sein Hemd in Streifen und bandagierte seine Verletzungen.
Schließlich wachte er auf. "Ich glaube, es ist Zeit für einen Besuch von einem Nachtwandler...", murmelte er.
Naja lachte und küßte ihn vorsichtig. Dann schüttelte sie den Kopf: "Nein, ich glaube, das ist vorbei."
Sie nahm ihn in den Arm und wiegte ihn leise hin und her.

Sie schwieg einen Moment, dann brach sie in Tränen aus: "Ich habe mir immer einen Mann gewünscht. Dich. Genauso habe ich mir dich vorgestellt. Ich wollte, daß du kommst. Ich bin allem schuld, das du hier bist."
Dann brach sie in Tränen aus.
Jens streichelte sie unbeholfen mit seiner unverletzten Hand.
48. Re: Versetzt

geschrieben von Penthesilea am 04.08.04 09:13

Lieber Butterfly,
ich warte mittlerweile wirklich auf die Forsetzungen dieser Story ... wie Jens da zwischen seinen Welten hängt, auch wie er zwischen seinen Rollen als Mann hängt ... das ist einfach nur gut!

Penthe
49. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 04.08.04 12:58

Teil 13

Er genoß es aufzuwachen. Da war der Geruch von Desinfektionsmitteln, von sauberer Wäsche, das Gefühl, auf einer weichen Matratze zu liegen. Keine Schmerzen. Vorsichtig bewegte er seine Finger in dem harten Verband. Er schlug die Augen nicht auf. Er wußte, wie das Zimmer aussehen würde. Zuerst blieb er einfach liegen und genoß die Stille. Aber da war ein Geräusch. Er war nicht allein.
Warum nicht einen Blick riskieren? Er öffnete die Augen: eine Krankenschwester beugte sich gerade über das Nachbarbett, stellte ein Tablett ab. Bevor sie ging, fiel routinemäßig ihr Blick auf sein Bett und sie sah seine offenen Augen.
"Herr Schmidt?"
Er zwinkerte und räusperte sich: "Ja. Das bin ich."
In dem anderen Bett gellte ein spitzer Freudenschrei und eine Frau mit halb kahlgeschorenem Kopf und einem breiten Verband im Gesicht setzte sich auf. "Jens!"
Ein winziger Moment verging, bis er wirklich sicher war. "Naja. Du bist hier."
Sie lächelte. "Wo sollte ich denn sonst sein?"

Als die Krankenschwester ging, setzte er sich in seinem Bett auf. Aufgeregt erzählte er: "Naja, diese Welt... sie verwandelt Menschen. Ich habe mir gewünscht, der Janus zu sein. Der, der in beide Richtungen blickt, das Tor zwischen den Welten. Und jetzt bist ich hier, und du bist bei mir."
Er hätte schwören können, daß sie begriffen hätte. Sie lächelte verständnisvoll, dann antwortete sie: "Ich habe keine Ahnung, wovon du redest."
Er schloß kurz die Augen, horchte in sich hinein. Ja, da war sie, die Kraft, die nur darauf wartete, losgelassen zu werden. Dann lächelte er zurück: "Entschuldigung, Liebes. Was habe ich gerade gesagt? Ich muß geträumt haben. Erzähl mir, was passiert ist."

Natürlich war es ein Autounfall gewesen. Er hatte eine schwere Gehirnerschütterung erlitten und war ein paar Tage bewußtlos gewesen. Sie selbst hatte sich eine Schulter ausgerenkt und hatte sich eine tiefe Schnittwunde im Gesicht zugezogen. Nur mühsam hielt sie die Tränen zurück. "Der Arzt hat gesagt, daß eine Narbe zurückbleiben wird. Er glaubt nicht, daß man sie wegoperieren kann. Wirst du mich damit immer noch schön finden?"
Seine Antwort verwirrte sie: "Für mich hast du schon immer die Narbe gehabt. Sie gehört zu dir, und ich liebe sie."
Sie runzelte die Stirn, dann offenbarte sie ihm, daß die Ärzte festgestellt hatten, daß sie im dritten Monat schwanger war.

Als Jens im Krankenhaus seine Sachen zusammenpackte, fand er im Nachttisch einen kleinen goldglänzenden Metallschmetterling mit drei Flügeln, von denen einer abgeknickt war. Er hob ihn gut auf und erzählte niemandem etwas davon. Es war alles zu perfekt. Er hatte Naja vor vier Monaten geheiratet. Und offenbar lebte sie schon immer hier drüben. Kinderfotos, Schulzeugnisse, Studium, alles da. Sie war Steuerberaterin und gab - immerhin - Volkshochschulkurse in Selbstverteidigung. Und ihre Mutter hatte keine Ähnlichkeit mit der Seherin Irmgard.
Er hingegen konnte sich an nichts erinnern, weder wie er sie kennengelernt hatte, noch an die Hochzeit. Aber das schob der behandelnde Arzt auf die Gehirnerschütterung. Totale retrograde Amnesie, circa ein halbes Jahr vor dem Unfall. Nicht, daß das wirklich schlimm war.
Naja hatte beliebige Mengen Verständnis dafür und er hätte sich keine bessere Frau wünschen können.

Gut acht Monate nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus wurde ihre Tochter Jana geboren. Die Ärzte hatten mehrfach den Kopf geschüttelt und sich über die Ungenauigkeiten der Berechnung des Geburtstermins gewundert. Aber das schwarzhaarige Mädchen mit den wachen Augen machte nicht den Eindruck, als sei sie übertragen, eher, als sei sie drei Wochen zu früh geboren.

Das Schlimme an der ganzen Situation war allerdings, daß Jens das alles nicht wirklich glauben konnte. Er wußte einfach zu genau, daß all das eine Art "Lüge" war, so etwas wie ein Zeitparadoxon, das das Universum gebildet hatte, um Najas Anwesenheit in seiner Realität zu erklären. Und wenn der Firnis der Ordnung so dünn über dem Chaos trieb, dann konnte seine Welt jederzeit wieder zerbrechen.

Und er wußte ebenfalls sehr genau, daß seine Erlebnisse nicht auf die Gehirnerschütterung und eine lebhafte Phantasie zurückzuführen waren. Er hatte den Metallschmetterling als Beweis und er konnte genau das Tor in die andere Welt spüren konnte, das in seinem Inneren geduldig wartete, benutzt zu werden.
Wie auch immer. Es konnte lange warten, denn es war ihm nie besser gegangen.

... noch nicht das Ende...
50. Re: Versetzt

geschrieben von mecky64 am 04.08.04 16:50

Super Schmetterling,

einfach nur Super!

Was soll ich hier viel erzählen, das eine Wort sagt alles: Super

Und das das noch nicht das Ende dieser Geschichte ist ist ebenfalls super, denn dann gehts ja bald weiter.

Gruß
Marcus
51. Re: Versetzt

geschrieben von Why-Not am 04.08.04 23:05

<sprachlos>

Why-Not

PS: Wenn ich meine Sprache wiedergefunden habe, kommt vielleicht noch ein sinnvollerer Kommentar.
52. Re: Versetzt

geschrieben von Nachtigall am 05.08.04 04:02

*lach* Butterfly,

das sieht ganz klar nach einer Überdosis Scheibenwelt aus - spitze!!

Eifrig lesende Grüße
Anja
53. Re: Versetzt

geschrieben von lionesse am 05.08.04 14:49

"Sie konnte genau das Tor in die andere Welt spüren, das in seinem Inneren geduldig wartete, benutzt zu werden."

Wie auch immer.
Ich schliess mich mal der Schafherde an.

Miau.
mu
54. Re: Versetzt

geschrieben von Penthesilea am 05.08.04 16:05

Schafherde nennst Du uns? Du Plüschlöwin? *gg

unverschämt!

Penthesilea
55. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 06.08.04 14:05

@Nachtigall: Wieso denn jetzt Scheibenwelt? Very Strange. Da würden mich ja doch ein paar Parallelen interessieren...

@Lionesse: Wieso denn jetzt "sie"? Ich dachte ja zuerst an einen Tippfehler meinerseits....


Teil 14
Jana war spurlos verschwunden. Es war ihr achter Geburtstag. Er hatte ihr morgens versprochen, sie von der Schule abzuholen um mit ihr ins Schwimmbad zu gehen.
Sie stand nicht vor der Schule. Und die beiden Mädchen aus ihrer Klasse, die am Eingang des Schulhofes standen, sahen ihn nur merkwürdig an und ergriffen die Flucht, als er nach ihr fragte. Er wußte nicht ihre Namen, kannte aber ihre Gesichter und war sicher, beide letztes Jahr auf der Geburtstagsfeier gesehen zu haben. Er ging davon aus, daß sie dieses Jahr ebenfalls eingeladen waren.
Er parkte gegenüber ein und wartete.
Die beiden Mädchen kamen wieder heraus und blickten immer wieder zu ihm herüber. Schließlich winkte er genervt von seiner notorisch unpünktlichen Tochter zu den beiden hinüber und lächelte. Sie tuschelten wieder kurz, dann verschwanden sie in das Schulgebäude.
Verstehe das, wer will.
Zehn Minuten später fuhr ein Polizeiauto vor und Jens hatte alle Hände voll zu tun, zu erklären, wieso er vor der Schule herumlungerte und die Kinder belästigte.
"Aber ich warte doch nur auf meine Tochter", sagte er, während er dem einen Polizisten seine Papiere aushändigte, "sie geht hier auf die Schule. Sie wird heute acht. Jana Schmidt. Sehen sie, irgendwo hier ist ein Photo von ihr."
Der eine Polizist verschwand in der Schule und Jens wühlte in seinen Papieren. Er fand ein Photo von Naja und ein anderes von Janas Katze, der sie den unoriginellen Namen Muschi gegeben hatte, aber das war es. Dabei hätte er schwören können, daß auf dem Photo nicht nur die Katze gewesen war...
Dann kam der Polizist wieder: "Es gibt hier keine Jana Schmidt."
Jens Kinnlade klappte herunter. "Aber..., aber,..., das kann nicht...", dann verstummte er. Er blinzelte eine Träne weg, die ihm spontan ins Auge stieg, dann schüttelte er den Kopf. "Es tut mir leid. Ich muß mich geirrt haben... einen schönen Tag noch..."
Er fummelte nach dem Zündschlüssel.
Die beiden Polizisten sahen sich einen Moment lang unsicher an, dann nickten sie sich gegenseitig zu.

"Wir müssen sie bitten, uns zu begleiten."
Jens stöhnte auf. Kurz wägte er seine Chancen ab, zu flüchten, dann tat er sie als lächerlich ab. Schließlich glaubte er nach wie vor daran, daß sich das alles als völlig harmlos aufklären würde.
Er zog den Schlüssel ab und stieg aus, schloß das Auto ab und wollte brav in den Polizeiwagen einsteigen, als der eine Polizist den Kopf schüttelte:
"Hände auf den Rücken!"
"Nein...", Jens wich einen Schritt zurück. Der andere Polizist griff seinen Oberarm. "Herr Schmidt, das muß sein. Das ist Vorschrift für Personen, bei denen wir uns nicht sicher sein können, wie gefährlich sie sind, weil sie hinter uns sitzen."
Jens schluckte, dann ließ er sich fesseln.
Unterwegs fiel ihm die Lösung ein. "Ich muß meine Frau anrufen. Naja. Naja Schmidt. Im Büro. Sie muß an der Arbeit sein. Bitte. Ich muß telefonieren."
Der Beifahrer nickte: "Ja. Wenn wir in der Wache angekommen sind, rufen wir ihre Frau an."
Unterwegs hatten die beiden mit der Wache telefoniert und darum gebeten, den Familienstand eines Jens Schmidt, wohnhaft in der Hamburger Straße 17 zu überprüfen.

Dummerweise schien das nicht die gewünschte Aufklärung ergeben zu haben, denn nach kurzer geflüsterter Debatte mit einer Bürokraft und mehrfachem Nicken hatten ihn die beiden Polizisten in einen kleinen Raum geschoben, der abgesehen von einem mit dem Boden verschraubten Stuhl und einem Tisch bar jeder Einrichtung war. Sie hatten sich geweigert, ihm die Handschellen abzunehmen, vielmehr, nachdem sie ihn auf den Stuhl gesetzt hatten, ihn mit einer kurzen Kette festgeschlossen.
Er hatte genug Zeit, sich Gedanken zu machen. Seine Aktien standen alles andere als gut, da war er sicher.
Nach einer guten Stunde kam Naja in Begleitung der beiden Polizisten in den Raum. Jens konnte ihr ansehen, daß sie um ihre Fassung rang. Sie stürmte auf ihn zu, nahm ihn in den Arm. "Jens... was ist mit dir?"
"Mir geht es gut. Abgesehen davon, daß die mich hier behandeln wie einen Schwerverbrecher."
Der Polizist hüstelte, dann murmelte er mit einem Theaterflüstern dem anderen zu: "... eigentlich eher wie einen Geistesgestörten..."
"Jens, hör mal, die beiden freundlichen Herren hier haben gesagt, du habest vor einer Schule gestanden und auf unsere Tochter gewartet. Wir haben doch gar keine..."
...das stimmte exakt mit den schwärzesten Überlegungen überein, die er sich gemacht hatte. Er hatte beschlossen, für diesen Fall auf temporär unzurechnungsfähig und zerknirscht zu plädieren und fiel seiner Frau ins Wort: "... Tochter. Ich weiß. Naja, ich habe keine Ahnung, was los war. Ich stand einfach völlig neben mir. Ich glaube, ich muß zum Arzt."
Die Polizisten nickten sich gegenseitig zu, dann baten sie Naja aus dem Raum.
Im Stillen betete Jens, daß er sich nicht eine Zwangseinweisung eingehandelt hatte.
Jens hatte Glück, aber nur, weil Naja den Polizisten verprach, ihn gleich am nächsten Tag zum Arzt zu schleppen.

Zuhause angekommen stellte Naja ihn zur Rede. Beide hatten sich gegenüber in die Sessel gesetzt, wie es ihre Art war, Probleme zu besprechen. Nur, daß ein schneller Blick in der Wohnung umher Jens bestätigt hatte, daß diese Wohnung offenbar von nur zwei Personen bewohnt war. Keine Kindergarderobe, nicht das niedliche Bild von seiner Tochter an der Wand, keine Hinweise darauf, daß hier bis gestern ein kleines Kind gewohnt hatte.
"Jens... was sollte das? Wie kommst du auf die Idee, das wir eine Tochter hätten? Du weißt doch, daß wir es doch gerade erst aufgegeben hatten, weil wir zu alt sind."
Er schüttelte den Kopf. Es schien an der Zeit, seiner Frau reinen Wein einzuschenken.
"Warte... ich muß etwas holen.", mit diesen Worten stand er auf und ging zu seinem Schreibtisch. Hinten in der Schublade steckte nach wie vor die kleine Pappschachtel mit dem Metallschmetterling, auch der bunte Wurm aus Holz und die Rassel, die er sich aufgehoben hatte, als seine Tochter sie nicht mehr haben wollte.
Er legte die drei Gegenstände auf den Wohnzimmertisch.
"Naja... erinnerst du dich an den Unfall damals, kurz nachdem wir geheiratet hatten?..."
56. Re: Versetzt

geschrieben von Penthesilea am 06.08.04 14:18

Das kenne ich sonst nur aus den Romanen von Jeffery Deaver ... so zu tun, als ob er schon am Ende seiner Story wäre ... um dann noch einmal absolut kalt lächelnd aufs Gas zu gehen ...
Ich stelle mir das so für mich vor: nichts von meinem Alltag würde plötzlich mehr auf mich passen ... irre.
Butterfly, ich bin echt beeindruckt.

Gruß
Penthe
57. Re: Versetzt

geschrieben von Nachtigall am 06.08.04 16:53

Hallo Butterfly,

wer da Papas Gabe geerbt hat, ist ja sonnenklar... beeindruckende Fortsetzung!

Zitat

@Nachtigall: Wieso denn jetzt Scheibenwelt? Very Strange. Da würden mich ja doch ein paar Parallelen interessieren...

Klar ist die Scheibenwelt strange. Ich geh mal davon aus, dass Du einige von Terry Pratchett´s Klassikern schon gelesen hast, wenn nicht, sag Bescheid, dann hole ich weiter aus. Jedenfalls, dieser spontane Wechsel der Welten erinnert mich an eine Szene, in der Rincewind der Zauberer (oder Nicht-Zauberer *gg*) in seiner gewohnten Scheibenwelt-Umgebung mal wieder böse in Bedrängnis gerät, und zwar gleich im allerersten Band, "Die Farben der Magie". Genau gesagt, er stürzt aus großer Höhe ab, weil der Drache, auf dem er gerade noch gesessen hatte, sich in Luft aufgelöst hat. Er versucht sich zu retten, indem er mit Gedankenkraft einen neuen Drachen erschafft; schließlich taucht TOD neben ihm auf und verspottet ihn:

"DAS HAT KEINEN ZWECK, lachte eine Stimme. Sie klang wie das dumpfe Läuten einer Friedhofsglocke. DU GLAUBST GAR NICHT AN SIE. (Mit "sie" sind Drachen gemeint.)
Rincewind beobachtete die schreckliche Gestalt auf dem weißen Pferd, und sein entsetztes Ich ließ die geistigen Zügel schießen.
Ein greller Blitz.
Gefolgt von völliger Finsternis.

Ein weicher Boden erstreckte sich unter Rincewinds Füßen, und er nahm rosarotes Licht wahr. In der Nähe ertönten erschrockene Schreie.
Verwirrt sah er sich um. Er befand sich nun in einer Art Tunnel, gefüllt mit Sesseln, in denen seltsam gekleidete Menschen saßen. Sie alle trugen Fesseln und starrten ihn groß an."

Rincewind hat sich in einem Flugzeug materialisiert, in der uns vertrauten, aber ihm völlig unbekannten Welt, Dimension oder wie immer man das nennen will. Er ist total desorientiert, verhindert nebenher ganz aus Versehen eine Flugzeugentführung, stellt bei näherem Hinsehen fest, dass er und sein Reisegefährte Zweiblum ebenso "seltsam gekleidet" sind wie die andern Leute, und sein Sinn für Realität verschiebt sich:

"Mal sehen, dachte Rincewind. Wir sind plötzlich in diesem Drachen materialisiert, nachdem, ich meine, wir sind plötzlich, wir sind, wir ... Und dann fiel es ihm ein. Nach dem angenehmen Gespräch im Flughafen beschlossen sie, im Flugzeug nebeneinander zu sitzen. Er hatte dem Engländer Jack Twoflower versprochen, ihm Amerika zu zeigen. Ja, genau. Und dann fiel Jack in Ohnmacht, woraufhin ich es mit der Angst zu tun bekam. Ich habe die Pilotenkanzel aufgesucht und den Flugzeugentführer überrascht. Natürlich. Ganz klar. Lieber Himmel, was bedeutete mittländisch ?
Dr. Rjincewand rieb sich die Stirn. Er konnte jetzt einen ordentlichen Drink gebrauchen."

Du siehst, er wechselt die Dimension und infolgedessen die Identität. Und daran hat mich Deine Geschichte erinnert.
Noch Fragen??

Liebe Grüße
Anja
58. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 06.08.04 21:05

Verehrte Nachtigall,
nein, keine weiteren Fragen. In der Tat habe ich das Buch gelesen (wenn es auch in gefühlter Zeit mindestens ein Jahrhundert, praktisch etwa 10 Jahre her ist).

Stimmt, eine gewisse Parallele kann man nicht abstreiten, aber ich glaube nicht, daß ich es mal schaffen werde, ein Pratchet-mäßiges Gagfeuerwerk hinzulegen...

Mein persönliches Highlight (aus welchem Buch auch immer):
"Wo ist denn eigentlich Hunger?" (der Reiter der Apokralypse)
"Der ist mal wieder in der Küche."
Ich könnte mich heute noch totlachen...

Butterfly
59. Re: Versetzt

geschrieben von lionesse am 07.08.04 16:28

@Fliege: wer denn sonst ausser Ihr? Wer denn sonst ausser Dir? Wer denn sonst ausser ...?

@Penthe:
Wieso Plüsch? Das ist Edelsamt, blutgefärbt.
60. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 09.08.04 12:51

...gottseidank hat sich die leichte Magenverstimmung, die mein Rechner sich eingefangen hatte doch nicht als so schlimm erwiesen, wie befürchtet, insofern geht es jetzt weiter...

Teil 15
Sie ließ ihn ausreden, auch wenn ihr Gesicht mehr und mehr einen undeutbaren Ausdruck annahm. Als er fertig war, sah sie ihn unglücklich an. "Du meinst also, eigentlich hast du mich nie geheiratet, wir hatten gar keinen Autounfall, sondern meine Schulter ist von irgendwelchen irren Mönchen ruiniert worden", sie ließ sich von seinem Einwurf "eher Nonnen" in keiner Weise aus dem Konzept bringen, "in einer anderen Welt. Und wir haben eine Tochter, nur daß ich mich nicht daran erinnern kann, daß es keine Bilder gibt, keine Beweise, keine Geburtsurkunde, nur diese Spielzeuge hier..."
Sie machte eine Pause, dann fragte sie: "Du glaubst das wirklich, oder?"
Jens wußte genau, daß diese Frage keine Unsicherheit ausdrückte, ob Naja seine Geschichte glauben sollte, sondern eher eine Unsicherheit bezüglich seines Geisteszustands. Trotzdem nickte er: "Ja. Ich weiß, daß das wahr ist. Gestern noch haben wir eine Tochter gehabt, die du über alles liebst..."
Naja schuckte, dann schüttelte sie den Kopf: "Jens, du bist krank. Du weißt, daß ich dich liebe, aber... Du bist krank, verstehst du? Du mußt in eine Klinik. Die Polizisten haben gesagt, daß sie denken, daß es ein Fehler ist, wenn ich dich mit nach hause nehme..."
Sie schüttelte erneut den Kopf, stand auf, beugte sich über Jens und gab ihm einen Kuß. Dann ging sie zum Telefon.
Der Dialog war nicht lang.
"Naja Schmidt hier... Ja.... Ja... Genau. Ich habe... Ja. Bitte... ja, zuhause... Gut, wir warten."
Dann legte sie auf.
Sie ging wieder zu seinem Sessel, kniete sich neben ihn und legte ihre Arme um seinen Hals.
"Du verstehst das doch, oder? Ich muß das tun. Weil ich dich liebe." Sie drückte ihren Kopf an seine Schulter und schniefte. "Versprichst du mir, daß du brav mitgehst? Es ist nur zu deinem Besten."
Jens nickte langsam.
Sie blieb noch einen Moment neben ihm knien. Dann räusperte sie sich und stand auf.
"Ich muß noch ein paar Sachen für dich packen. Versprichst du mir, daß du hier bleibst, bis der Krankenwagen kommt?"
Jens nickte wieder.

Als er allein war, kämpfte er noch einen kurzen Moment mit sich selbst, bevor er nach dem Metallschmetterling griff und ihn in seine Hosentasche steckte. Es hatte damals gleich vorgesorgt, nur für den Fall, daß er es mal benötigen sollte.
Mit wenigern Schritten war er an seinem Schreibtisch und zog leise das schwere Survivalmesser, die Campingaxt, eine große Schachtel wasserfester Zündhölzer und die kleine Gaspistole mit 50 Schuß CS-Munition aus der Schublade, die er normalerweise immer verschlossen hielt. Er packte die Bewaffnung in den Wanderrucksack, über den Naja sich immer mokiert hatte. Dann zögerte er, verschwand in der Küche und kam mit einem langen Fleischmesser in der Hand zurück. Man weiß ja nie.
Im Flur kam ihm Naja entgegen. Sie blieb stehen, sah ihn entsetzt an.
"Jens... ich... komm, bitte. Laß uns ins Wohnzimmer gehn, ja? Es ist alles in Ordnung..."
Er ging weiter auf sie zu. Erst im letzten Moment registrierte er Najas Blick, der wie festgeklebt auf dem Messer in seiner Hand ruhte. Er versuchte noch, die Messerhand zu senken, öffnete den Mund, als ein blitzschneller Tritt sein Handgelenk prellte und ihn entwaffnete.
Wenige Sekunden später fragte er sich, warum er plötzlich auf dem Bauch lag und seine Frau dabei war, ihm mit einem Mantelgürtel, den sie von der Garderobe gerissen hatte, die Hände auf den Rücken zu fesseln.
Aber das war egal. Es würde auch so gehen.
Er schloß die Augen und konzentrierte sich.
Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn und löschte sein Bewußtsein aus.

Als er die Augen aufschlug, hatte er den Kater seines Lebens. Aber das machte nichts. Der blaue Sternennebel, der über ihm schwebte und das weiche Gras, auf dem er lag, bewiesen, daß er recht hatte. Er reckte sich, so gut es mit seinen gefesselten Händen ging, dann setzte er sich mit einem leichten Schmerz in seiner lädierten Bandscheibe auf und sah sich um. Direkt neben ihm lag der Rucksack und neben dem Rucksack lag Naja, die sich schwach bewegte.
Er zappelte einen Moment, dann hatte er den Trick raus, faltete seine Beine unter sich und stand mit einem Ruck auf. Neben ihr kniete er sich wieder hin. "Naja? Naja..."
Wenige Minuten später griff sie sich stöhnend an ihren Kopf. Dann schlug sie die Augen auf. Als sie ihn sah, kroch sie plötzlich hektisch weg. "Was... was hast du mit mir gemacht? Wo sind wir?"
"Schau dich um, Liebes. Wir sind drüben. Du wolltest mir nicht glauben, also muß ich es dir zeigen. Ich bin nicht verrückt, verstehst du?"
"Aber... das Messer..."
"Ich war gerade dabei, Bewaffnung für unsere kleine Expedition zusammenzupacken. Eigentlich für meine kleine Expedition. Aber du wolltest ja unbedingt mitkommen..."
Naja stöhnte. Dann zeigte er ihr den Inhalt seines Rucksacks.
"Meinst du wirklich, ich gehe mit einem Küchenmesser auf dich los, wenn ich eine Gaspistole habe?"

Dann erklärte er ihr alles noch einmal: "Schon damals, als ich dich mit hinüber genommen habe, hat meine Realität Wellen geschlagen. Plötzlich warst du da. Ein Fremdkörper, den niemand kannte. Und die Realität hat für dich einen Platz geschaffen, hat dir eine Geschichte geschrieben, an die du selber glaubst. Vielleicht war Jana zuviel, jedenfalls ist sie jetzt genauso vollständig verschwunden, wie du damals aufgetaucht bist. Und deshalb... deshalb muß sie einfach hier sein."
Naja schüttelte den Kopf. "Ich glaub das alles einfach nicht.", dann zögerte sie und setzte hinzu: "Ich meine, ich glaube dir, daß du das glaubst. Und ich habe keine Ahnung wo wir sind, und so einen Himmel", sie deutete nach oben, "habe ich noch nie gesehen. Was soll s. Was sagst du, hier gibt es gefährliche Tiere?"
Jens nickte. "Ja. Mehr oder weniger alles, was mir hier über den Weg gelaufen ist, hat mir nach dem Leben getrachtet. Deine Mutter... Die Seherin hat gesagt, daß diese Welt keine Menschen mag."
"Gut. Dann würde ich sagen, ich nehme das Messer. Ich nehme an, ich kann damit besser umgehen als du."
Jens hatte keine Einwände und fädelte das Holster der Gaspistole an seinen Gürtel. Unter Najas kritischem Blick übte er ein paar Mal, sie zu ziehen. Schließlich fühlte er sich nicht gerade wie John Wayne, aber doch etwas vertraut damit.
"Vergiß nicht, sie zu entsichern, bevor du damit schießen willst..."

Dann wanderten beide los. Jens ging vorneweg. Er mußte ihr ja nicht auf die Nase binden, daß er keine Ahnung hatte, wo sie wahren und wohin er gehen sollte.
Es begann hell zu werden, schließlich holte sie auf, ging neben ihm. Zuckersüß fragte sie: "Jens, Liebster, hat es einen Sinn, das wir im Kreis herum gehen?"
"Im Kreis?"
"Ähm... also, genauer gesagt, in einem großen Bogen. Aber wenn wir noch einmal die gleiche Strecke zurücklegen, sind wir wieder an unserem Ausgangspunkt angekommen."
Jens schwieg betreten.
"Du hast keine Ahnung, wo du hinwillst, stimmts?"
Er nickte und sah sehr interessiert auf eine kleine Pflanze, die direkt vor ihren Füßen wuchs.

Naja schüttelte den Kopf und warf theatralisch die Hände in die Luft: "Das darf ja wohl alles nicht wahr sein. Kannst du uns immerhin jederzeit wieder nach drüben zurückbringen?"
Jens nickte: "Ja, ich denke schon. Aber probiert habe ich es nicht, und bei den rasenden Kopfschmerzen, die ich bis eben hatte, weiß ich nicht, wie oft ich das bis zum nächsten Schlaganfall machen kann..."
"Danke. Reicht mir schon. Bitte keine wenn s und aber s, sonst werde ich nervös... was hältst du davon, wenn wir zu den Bergen da drüben gehen?"
Sie wartete nicht auf seine Antwort sondern ging vorneweg.

(Diese Nachricht wurde am 09.08.04 um 12:51 von Butterfly geändert.)
61. Re: Versetzt

geschrieben von mecky64 am 09.08.04 21:28

Sehr interessant, Du schaffst es immer wieder, mich neu zu verwirren und zu fesseln, tolle Geschichte und man/ich weiß nie, was als nächstes kommt.

Mach weiter, ich warte....
Gruß
Marcus
62. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 10.08.04 09:42

Teil 16
Nach einigen Metern sprach er sie an: "Erinnerst du dich an irgend etwas? Ich hatte gehofft..."
Vehement schüttelte sie den Kopf: "Nein. Ich bin noch nie hier gewesen. Hör zu, ich habe eine ganz normale Familie, mein Vater war Bauarbeiter, ich habe Abitur gemacht, dann mein Diplom als Kaufmann..."
Jens schwieg und folgte ihr.

Eingebettet zwischen zwei Hügeln lag ein kleines Wäldchen.
"Bleib hier. Ich will mir das näher angucken."
Jens hatte eigentlich nie Deja vues, aber diese Situation kam ihm bekannt vor. "Naja, ich weiß nicht. Das sieht so aus wie das Wäldchen in dem die verrückten Nonnen uns überfallen haben. Ihr heiliger Hain, weißt du? Laß uns lieber einen großen Bogen gehen."
Naja sah ihn einen Moment an: "Aber an den Bäumen wachsen Früchte... die sehen lecker aus."
"Die sind lecker. Trotzdem. Da lang. Oder möchtest du auch noch einen Gelenkkapselriß im anderen Schultergelenk?"
Sie schüttelte den Kopf. Das Gelenk war trotz monatelanger Physiotherapie nie wieder ganz in Ordnung gekommen und machte ihr regelmäßig Schwierigkeiten.
Jetzt ging Jens wieder voran. Von hinten hörte er ein nachdenkliches: "Du glaubst wirklich daran, oder?"
Er stöhnte. Wie oft sollte er diese Frage denn noch beantworten? "Ja."
Sie schwieg einen Moment. "Weißt du, damals der Arzt hat gesagt, daß deine Handverletzungen irgendwie merkwürdig für einen Unfall wären. Eher als hätte dir jemand mutwillig Glied für Glied die Finger gebrochen."
Jens hielt seine Hand hoch, betrachtete nachdenklich die Finger, bewegte sie hin und her. Dann blieb er stehen und drehte sich zu ihr um. "Ja. Das haben sie getan. Damit ich gestehe, daß wir diesen blödsinnigen heiligen Hain entweihen wollten. Das habe ich getan. Aber damit waren sie nicht zufrieden. Ich weiß nicht, was sie noch hören wollten... Vielleicht hätte ich das dann in der nächsten Sitzung herausgefunden."
Naja schwieg und nahm ihn in den Arm.

Schweigend gingen die beiden weiter. Als sie ein großes Steingebäude sahen, daß eine gewisse verrückte Ähnlichkeit mit einer Kathedrale hatte und inmitten eines ärmlichen Dorfes stand, beschlossen sie unisono, den Bogen etwas weiter zu schlagen und Naja steckte ihre Haare zusammen, so daß man die weiße Strähne nur erahnen konnte, wenn man wußte, daß sie da war.
Es gelang ihnen, nur von wenigen Leuten gesehen zu werden. Aber gegen Abend waren sie ein ganzes Stück weit weg. Sie schlugen sich seitlich in die Büsche. Auf einer kleinen Lichtung quartierten sie sich ein. Da waren einige Bäume mit Früchten, die einladend aussahen und eine Quelle.
Leider erwies sich das Gras als deutlich weniger bequem, als Jens das in Erinnerung hatte. Vielleicht lag es auch daran, daß ihnen die bequemen Umhänge fehlten, die Naja gehabt hatte.
Sie aßen ein paar Früchte, dann legten sie sich hin. Allerdings bemerkte Jens nach wenigen Minuten, daß etwas nicht stimmte. Seine Ohren begannen zu summen und er begann Doppelbilder zu sehen. Und er wurde so scharf, wie schon ziemlich lange nicht mehr. Das gleiche galt für Naja.
Wie hungrige Tiere stürzten sie sich aufeinander, schliefen schließlich mit ineinander verknoteten Gliedern ein.
Niemand dachte daran, eine Wache aufzustellen.

Am nächsten Morgen wachte Jens davon auf, daß Naja ihm sanft den Rücken massierte. Als er die Augen aufschlug, hielt sie ihm eine Frucht vor die Nase. "Wie wär s mit etwas Spaß zum Frühstück?"
Jens schüttelte den Kopf. Dann zeigte er ihr, daß es auch ohne die Früchte ging.
Bevor sie losgingen, sah Naja Jens nachdenklich an. "Was ist eigentlich, wenn deine merkwürdige Inquisition Jana hat? Wir haben einen so großen Bogen um den Ort gemacht..."
Er fluchte leise. "Daran habe ich gar nicht gedacht. Verflixt. Wir sollten zurückgehen. Auch wenn ich keineswegs das Bedürfnis verspüre."
Naja nickte. "Es wäre dumm, diese Möglichkeit nicht in betracht zu ziehen."

Sie gingen zurück. Schon auf der nächsten Hügelkuppe schubste Naja Jens zu Boden. "Deckung!"
Verdattert versuchte er zu erkennen, was sie erschreckt hatte.
"Da hinten. Nein, die Richtung."
Sie hatte schon immer die besseren Augen gehabt. Er sah gar nichts.
"Flirrende Punkte. Dort!"
Jetzt konnte er endlich etwas erkennen. Über einer Hügelkuppe war ein Schwarm der Metallschmetterlinge. Wahrscheinlich.
"Sie fliegen da lang, nach links." Jens hätte das nicht beschwören können, aber verließ sich auf seine Frau, die auch auf der Autobahn immer lange vor ihm die Schilder entziffern konnte. Bis er sie kennengelernt hatte, hatte er sich auf seine Augen immer viel zugute gehalten, aber ihre Sehfähigkeit grenzte gelegentlich an das Übersinnliche.
Er sah sie kurz an, um sich zu versichern, dann nickte er. "Denke ich auch. Hinterher."

Eilig verfolgten sie den Schwarm Metallschmetterlinge, der zwar auf die Berge zuhielt, aber viel weiter südlicher (oder wie auch immer die Himmelsrichtung hieß, wo die Sonne mittags stand) als sie ihr vorheriger Weg geführt hatte.
"Was machen wir, wenn sie uns angreifen?", keuchte Naja.
Jens war nicht viel weniger außer Atem: "Rennen."
"Super Idee."
Der Schwarm war nicht schnell, nahm aber die Luftlinie, während die beiden Verfolger sich mit einer sperrigen Vegetation auseinandersetzen mußten. Schließlich hielt Jens oben auf einer Hügelkuppe an und legte sich außer Atem in das Gras. Wenige Sekunden später kam Naja an.
"Ich kann nicht mehr. Naja, kannst du versuchen, sie so lange wie möglich im Auge zu behalten?"
Sie nickte, dann starrte sie konzentriert hinter dem Schwarm her.
Schließlich schüttelte sie den Kopf: "Jetzt ist es vorbei. Eben habe ich sie noch gesehen. Aber sie haben in gerader Linie auf den Berg da hinten zugehalten.... oh, da habe ich noch etwas aufblitzen sehen."

Sie blieben noch ein paar Minuten liegen, dann gingen sie weiter, diesmal langsamer und bemüht um Deckung. Naja deutete noch einmal mit der Hand in die Richtung. "Der große Berg da hinten... der, der anders aussieht als die anderen."
Darauf hingewiesen, was sie meinte, sah Jens es jetzt auch. In der ganzen Bergkette, die bei weitem noch nicht alpin war, nahm sich dieser auf den zweiten Blick etwas merkwürdig aus. Nicht, daß er höher gewesen wäre als der Durchschnitt, aber er wirkte steiler und es schienen keinerlei Bäume darauf zu wachsen. Und er stand ein wenig für sich.
Und, wie im Gebirge üblich, war er viel weiter weg, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Als sie eine Mittagspause einlegten, war er erst um eine Winzigkeit größer geworden.

(Diese Nachricht wurde am 10.08.04 um 09:42 von Butterfly geändert.)
63. Re: Versetzt

geschrieben von Why-Not am 12.08.04 23:10

Weiter so ...

Why-Not
64. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 14.08.04 20:31

Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat. Viel Stress, viel Ärger, wenig Zeit. Aber hier kommt...

Teil 17
Diesmal war es Jens, der es zuerst sah und Naja in ein Gebüsch am Hang des Hügels schubste, den sie gerade entlanggingen. Nicht, daß das wirklich notwendig gewesen wäre. Ein kleines bisschen Rache war schon dabei, wie er sich grinsend eingestand, als er sich halb auf sie fallen ließ.
Sie knurrte ihn an: "Was soll das denn?"
"Schau mal, da vorne... wenn das nicht eine Art Grenzzaun ist, dann weiß ich es auch nicht. Deutlicher kann man nicht sehen, daß wir auf der richtigen Spur sind"
"Wieso Zaun?", fragte sie, blieb aber liegen und musterte weiter den etwa 50 Meter breiten Streifen, der nur von niedrigem Gras bewachsen war.
"Sieht doch merkwürdig aus, habe ich nicht recht?"
Sie nickte. Tatsächlich war das Vegetationsmuster anders, als für eines der Tälchen zwischen den Hügelketten bisher üblich.
"Bleib hier. Ich gehe mir die Sache angucken." Jens stand auf und ging vorsichtig auf den Streifen zu. Naja sah, wie er bis etwa zur Hälfte ging, sich abwesend an den Kopf griff, dann zwei Minuten lang hin und her ging, sich zweimal umdrehte, dann zu ihr hin lächelte und zurück kam.
"Da ist nichts. Ich glaube nicht, daß es hier etwas zu sehen gibt. Wir haben uns geirrt. Komm, laß uns zurückgehen."

Naja zog die Augenbrauen hoch. "Woher kommt der plötzliche Meinungsumschwung? Vorhin hast du doch noch gesagt, das wäre eindeutig der richtige Weg. Warum bist du nicht ein paar Meter weiter gegangen? Hast hinter den nächsten Hügel geguckt?"
"Habe ich doch. Ich sage doch, da ist nichts." Jens wurde ärgerlich, was Naja weiter verwunderte.
Aber sie sagte nichts weiter, sondern nahm ihn in den Arm. "Du hast recht, Liebster. Aber ich glaube, ich mag dieses Gebüsch. Und bevor wir jetzt die ganze Strecke wieder zurücklaufen, möchte ich mich noch ein wenig ausruhen."
Sie legte sich zurecht, bis sie einen ungehinderten Blick nach vorne hatte und stützte sich auf die Ellenbogen. Mürrisch legte Jens sich neben sie. Er hatte keine Ahnung, warum sie hier ihre Zeit vertrödeln wollte, aber wußte, daß es nur länger dauern würde, wenn er jetzt versuchte, sie zu hetzen.

Naja beobachtete gespannt, wie eine Art Kaninchen, die gebraten hervorragend schmeckte, über den Streifen hoppelte. Etwas in ihr drängte danach aufzustehen und das Tier zu fangen. Unwillkürlich griff sie nach ihrem Bogen, der natürlich nicht da war. Sie zuckte zusammen. Himmel. Hoffentlich hatte Jens das nicht gemerkt, denn tatsächlich hatte sie schon gestern erste Dinge entdeckt, die ihr schwach bekannt vorkamen. Wie zum Beispiel die Früchte, wegen denen sie... sie lächelte.
Aber offenbar war sie nicht die einzige, die Interesse an dem leckeren Braten hatte, denn plötzlich hetzte eine Katze aus ihrer Deckung hinter dem Kaninchen her, das vorher harmlos über den Streifen gehoppelt war. "Jens! Schau mal!", flüsterte Naja. Das Kanninchen hätte keine Chance gehabt, rechtzeitig zu verschwinden, wenn nicht die Katze auf halber Breite des vegetatsionsarmen Streifens scheinbar vergessen hätte, warum sie da war. Sie setzte sich hin, gähnte, kratzte sich ausgiebig mit der Hinterpfote am Ohr, dann trottete sie wieder zurück.

"Jens, hast du das gesehen?"
Er nickte. "Ja. Die Katze scheint der Appetit verlassen zu haben."
"Und erinnert dich das nicht an dein Verhalten von eben?
"Was soll das miteinander zu tun haben? Ich bin doch keine Katze..."
Naja seufzte. Dann versuchte sie deutlicher zu werden. "Vielleicht sollte ich auch mal in den Streifen gehen. Ich möchte wetten, daß ich dann auch überhaupt kein Interesse mehr hätte, weiterzugehen. Scheinbar hat nicht einmal das Gras Lust, da zu wachsen."
Jetzt verstand er endlich, was sie meinte und zog die Augenbrauen hoch. "Also gut. Ich weiß zwar immer noch, das da nichts ist, aber von mir aus... dann gehen wir eben den Streifen entlang."
Als sie losgingen ließ er ihre Theorie platzen. "Und was ist mit dem Kaninchen? Das ist doch ohne weiteres durch den Streifen gelaufen."
Naja zögerte. "Vielleicht braucht man eine gewissen Mindestintelligenz?", überlegte kurz und fuhr dann fort: "Kann ja kaum sein. Du warst ja auch betroffen und etwas intelligenter als Gras sind sogar die Kaninchen.... also natürliche Selektion. Es stammt garantiert von einer Familie von Kaninchen ab, die halbwegs damit klarkamen. Und der Streifen ist ein prima Schutz vor den Katzen, also haben immer tendentiell die Kaninchen überlebt, die hinübergehen konnten."
Jens nickte. "Ja, das klingt plausibel, wenn man von deiner absurden Theorie ausgeht, daß der Streifen Lebewesen psychisch beeinflußt."
Dann rief er: "Was soll s!", und ging los, direkt in den Streifen hinein.
Er drehte sich zu ihr zurück: "Schließlich will ich ja gar nicht hinüber, sondern dir nur beweisen, daß da nichts ist."
Naja sah ihm zu. Als er ungefähr die Hälfte des Streifens hinter sich hatte, blieb er stehen. "Siehst du? Gar nichts."
"Geh weiter, so weit bist du eben auch gewesen, und die Katze auch."
"Jaja... ist schon gut." Er ging weiter, blieb wieder stehen und drehte sich um. "Kein Problem damit. Siehst du?"
"Äh... Jens, du gehst nicht weiter, sondern schräg zu mir zurück...", rief Naja hinüber.
Er schaute sich irritiert um. "Tatsächlich."

Nach beinah fünf Minuten gab er dann wirklich auf. Es gelang ihm einfach nicht, den Streifen weiter als zu zwei Dritteln zu überschreiten. Naja probierte es gar nicht erst, denn Jens vertrat nach wie vor die Ansicht, daß es dort hinten nichts zu holen gab - was Naja nur in der Ansicht bestärkte, daß sie genau dort hin zu gehen hatten. Jens sah das eigentlich eher so, daß sein Versuch von gerade eine blöde Mutprobe war, und daß er es sich eben anders überlegt hatte.

Mürrisch folgte Jens Naja den Streifen entlang und ging ihr mit seinen quengeligen Kommentaren über die Sinnlosigkeit ihres Unterfangens massiv auf die Nerven. Schließlich drehte sie sich zu ihm um und knurrte ihn an. Danach war er still.
Wenig später blieb sie stehen. "Da hinten ist etwas."
Leise murrte Jens, blieb aber stehen und blickte in die Richtung, in die sie deutete. Natürlich sah er nichts.
"Da hinten. Ein Lichtreflex. Sieht aus als würde sich die Sonne in einem Kameraobjektiv spiegeln."
Jens wollte gerade irgend etwas von Blödsinn sagen, als er es auch sah. Auch das konnte ihn nicht wirklich überzeugen, aber immerhin war er jetzt still.

Gegen Abend fand Naja das, was sie suchte. Die Früchte, die sie abends zuvor gegessen hatten, schienen einen nicht unmaßgeblichen Alkoholgehalt gehabt zu haben, neben den anderen Inhaltsstoffen. Und da war wieder ein Baum, der reichhaltig mit den überreifen Früchten behangen war. Während sie sich bediente, versuchte Naja, sich ihrer Absicht möglichst wenig bewußt zu werden.
Lachend schob sie Jens eine der Früchte in den Mund. Als dann beide reichlich benebelt waren und Jens sich über seine Frau hermachen wollte, sprang sie auf und ergriff die Flucht. Nach einem kurzen Sprint drehte sie sich um und sprang Jens an, dann gab es kein Halten mehr.
Als sie am nächsten Morgen völlig verkatert aufwachte, konnte sie nicht behaupten, die Vorgänge des Vorabends nicht genossen zu haben.
Was klar war, als sie aufstand und sich umsah, war, daß sie den Streifen überwunden hatten.
65. Re: Versetzt

geschrieben von mecky64 am 15.08.04 00:02

Ich wusste es schon immer, wenn Frauen g**l sind, gibst es auf der großen weiten Welt kein Sicherheitssystem, das sie halten kann

Jetzt fangen die zwei an, sich prima zu ergänzen. Mach weiter, meine Verwirrung steigt

Gruß
Marcus
(Diese Nachricht wurde am 15.08.04 um 00:02 von mecky64 geändert.)
66. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 20.08.04 08:12

...um die Verwirrung dann zu komplettieren ...

Teil 18
Jens zwinkerte ungläubig, als Naja ihm erklärte, daß sie in ihrem beduselten Zustand entweder von der Abwehreinrichtung gar nicht wahrgenommen worden waren, oder sich einfach nicht an dem Effekt gestört hatten.
"Schließlich hatten wir ja etwas anderes im Kopf...", grinste sie.
Jedenfalls konnten sie jetzt problemlos weitergehen. Jens ließ sich dazu herab, zuzugeben, daß es hier vielleicht doch etwas Interessantes gab, wenn sie einen solchen Aufwand treiben mußten, um weitergehen zu können.
Naja versuchte, das Gebüsch wiederzufinden, in dem sie gestern die Kamera gesehen hatten. Nach etwa einer Stunde gab sie die Suche auf. Es gab einfach zu viele Büsche und gestern nachmittag hatte die Sonne einfach günstig gestanden, so daß sie die Reflektion hatten sehen können. Also gingen sie weiter in Richtung des Berges.

Als sie ohne weitere Zwischenfälle den Fuß des Berges erreichten, stellten sie fest, daß es sich gar nicht um einen richtigen Berg handelte. Oder vielmehr, daß er sicherlich nicht natürlich war, weil er einfach so gerade aus der Ebene herausragte, und das Gras genau bis zu der Flanke des Berges wuchs, und dann aufhörte.
"Wenn wir hier reingraben würden, würden wir wahrscheinlich feststellen, daß die Bergflanke einfach so im Boden weitergeht."
Oberflächlich und aus der Entfernung gesehen war es ein ganz normaler Berg, aber näher betrachtet war die Fälschung offensichtlich. Die Steine wirkten glatt und es waren nirgends Verwitterungsspuren zu sehen.
"Wenn das natürlicher Stein ist, dann fresse ich einen Besen", murmelte Jens, was Naja mit einem Nicken quittierte.
"Das hatte ich mir schon fast gedacht. Sah einfach komisch aus, das Ding. Laß uns außen herum gehen, vielleicht finden wir einen Eingang."
Aber das war leichter gesagt als getan, denn immerhin handelte es sich um einen nicht ganz kleinen Berg. An einem Rinnsal, das an der Flanke des Berges herablief, fiel Jens etwas zurück, weil er reichlich durstig war. Als er sich wieder aufrichtete, war Naja verschwunden.
Beinah panisch verfiel Jens in einen schnellen Laufschritt und lief weiter in die Richtung, in die sie vorher unterwegs gewesen waren, weil er dachte, vielleicht wäre sie weitergegangen oder hätte etwas gesehen. Er rief laut nach ihr, aber blieb erfolglos. Schließlich beruhigte er sich, so gut er konnte und versuchte nachzudenken.
Naja wäre nicht alleine irgendetwas nachgegangen, ohne ihm Bescheid zu geben. Also mußte ihr etwas zugestoßen sein.

Als die Sonne den Zenit erreicht, begann die Hitze ihm zu Kopf zu steigen und er fühlte sich miserabel. Er lehnte seinen Kopf gegen den kühlen Stein und sammelte sich. Und dann ging auf einmal alles blitzschnell und ganz leicht. Der Stein schien sich plötzlich zu entmaterialisieren und Jens stürzte haltlos nach vorne. Er taumelte einige Schritte durch eine totale Finsternis, die ihm nicht erlaubte, Atem zu holen, bis plötzlich wieder Luft in seine Lunge gelangte. Keuchend blieb er stehen, versuchte, die Umgebung, in der er sich befand zu begreifen, ohne wirklich zu verstehen, was passiert war.
Er stand am Anfang (oder am Ende?) einer Art Tunnel, der aus Backsteinen gemauert war und in dem Lampen eine Art Lichtinseln schufen, die unwirklich scharf begrenzt wirkten. Jens lehnte sich gegen die Mauer und stöhnte auf: "Nicht schon wieder."
Dann ging er zur nächsten Lichtinsel. Wie erwartet, erlosch hinter ihm das Licht und als er ein paar Schritte zurückging, stieß er gegen eine massive Mauer.
Warum auch nicht?
Er begann, den Tunnel entlangzugehen. Schließlich hatte er genug. Er wußte nicht, wohin ihn dieser Tunnel bringen würde, aber er wollte das Spiel nicht mitspielen.
Mit einem Aufschrei rannte er gegen die Wand. Der Aufprall auf dem massiven Backstein war genauso hart, wie er befürchtet hatte. Jens rappelte sich wieder auf und blieb stehen. Er versuchte es erneut. Diesmal ganz langsam. Er drückte beide Hände gegen die Wand, schloß die Augen und stellte sich vor, die Wand wäre nicht da. Sein Atem wurde immer langsamer, bis er in eine Art Trance verfiel.
Dann atmete er tief ein und ging vorwärts. Totale Finsternis umschloß ihn.

"Herr Schmidt, es ist Zeit, daß sie ihre Medikamente nehmen."
Verdattert und verschlafen öffnete Jens seine Augen und blickte verdattert in die Augen einer ziemlich hübschen Krankenschwester. Er fühlte sich viel zu schwach, um seine Arme unter der Decke herauszuziehen oder gar den Kopf vom Kissen zu heben. Nicht, daß ihn das gestört hätte. Trotzdem widersetzte sich irgend etwas in ihm, so daß er fragte: "...was denn für Medikamente?"
Sie seufzte gespielt: "Sie stellen mir jedes Mal diese Frage. Dann erkläre ich es ihnen, dann sagen sie, sie wollen die Medikamente nicht, dann rufe ich die Ärztin und nach einiger Diskussion bekommen sie trotz Gegenwehr die Medikamente i.v. gespritzt."
Völlig im Gegensatz zu ihren Worten lächelte sie Jens freundlich an und schlug die Decke zurück. Das Ende einer Nadel ragte aus einem Verband um seine Ellenbogenbeuge. Wie auf Kommando begann die Stelle weh zu tun, von der er vorher gar nichts gemerkt hatte. Die Schwester fuhr fort: "Müssen wir dieses Theater wirklich jedes Mal durchmachen? Es geht doch auch angenehmer..."
Jens sah sie völlig verwirrt an. "Bin ich denn schon länger hier?"
Immer noch freundlich lächelnd klärte sie ihn auf, daß er schon lange hier war, und daß er auch das jedes Mal fragte, wenn er klar war, aber daß er seine Medikamente doch nicht nehmen würde, und sie ihm hinterher wieder eine Spritze geben würden.
"Und was habe ich?"
Ihr Lächeln änderte sich keinen Deut: "Das fragen sie auch...."
Er unterbrach sie ruppig: "...jedesmal. Und will meine Medikamente trotzdem nicht nehmen. Das heißt aber noch lange nicht, daß ich es jetzt weiß. Was ist also mit mir los?"
Jetzt war ihr Seufzer echt. "Ihre Frau hat sie hier zu uns einliefern lassen, nachdem sie steif und fest behaupteten, eine andere Welt besucht zu haben, aus der sie ihre Frau mitgebracht hätten. Und daß sie eine gemeinsame Tochter hätten, die plötzlich verschwunden wäre."
"Aber..."
Diesmal unterbrach sie ihn: "... das ist doch auch alles wahr. Ich weiß. Natürlich ist es das. Das sagen sie jedesmal. Aber jetzt beruhigen sie sich und nehmen bitte zur Abwechslung ihre Medikamente." Sie lächelte ihn wieder mit ihrem professionellen Lächeln an, dem er aus irgendeinem Grund nur ein geringes Maß an Ehrlichkeit beimaß. Trotzdem beschloß Jens auf das Spiel einzugehen, weil er ihren Versuch, ihn zu überreden würdigte.
"Was bekomme ich denn, wenn ich die Medikamente nehme?"
Ihr Lächeln wurde breiter, dann glitt ihre Hand unter seine Decke, zwischen seine Beine, begann ihn zu streicheln. Vor Verblüffung und auch peinlich berührt zuckte er zusammen. Sie streichelte weiter: "Nur ein kleiner Vorgeschmack."
Ihr Streicheln wurde regelmäßiger, und Jens begann sich ihrer Hand entgegenzudrücken.
Plötzlich hörte sie auf, lächelte ihn mit einem stummen Versprechen auf den Lippen an und hielt ihm ein kleines Becherchen an die Lippen. Ergeben schluckte Jens. Dann machte die Schwester ihr Versprechen wahr, während Jens ins Vergessen trudelte.

"Ich erinnere mich an sie...", murmelte Jens nachdenklich, als die Schwester das Zimmer betrat.
Die Schwester sah ihn erschreckt an. "Was heißt, sie erinnern sich an mich?"
"Ich...", seine Stimme franste aus. Er wußte nicht, was er sagen sollte.
"Es ist jetzt Zeit für ihre Medikamente..."
"... was denn für Medikamente?"
Sie seufzte gespielt: "Sie stellen mir..."
"... jedes Mal diese Frage. Ich weiß."
Ihr Lächeln verschwand wie ausgeknipst und sie sah wirklich erschreckt aus.Einen Moment lang starrte die Schwester Jens an, dann verschwand sie mit schnellen Schritten aus dem Zimmer.
Jens hatte keine Ahnung, warum, aber er genoß den kleinen Sieg. Trotz des Trimumphs gab er sich Mühe und kämpfte darum, sich aufzusetzen. Er legte den Kopf wieder auf das Kissen ab und schloß die Augen, um sich zu sammeln.
Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung gelang es ihm schließlich. Verwirrt blinzelte er in die Gesichter der Ärztin und der drei Schwestern, die das Zimmer betraten.
Sie hatten nicht viel Mühe mit ihm.
Er schimpfte und fluchte und brüllte sie schließlich an: "Ihr seid nicht real!"
Während die Ärztin ihm die Spritze gab, zerlief ihr Gesicht zu einer metallenen Dämonenfratze, die ihn angrinste. Sie beugte sich vor und flüsterte in sein Ohr: "Das ist auch nicht nötig..."

Er war aufgestanden. Er trug lediglich ein Krankenhaushemdchen, das hinten offen war und dem sogar die Bändel zum zuknoten fehlten. Aber mit jedem Schritt, den Jens in seinem Zimmer hin und her ging, mit dem vorsichtigen Rütteln an der verschlossenen Tür wurde er kräftiger. Er hatte sich mit einem Metallrohr, das er vom Bettgestell hatte lösen können bewaffnet. Als die Schwester die Tür öffnete, sah sie ihm erschreckt in die Augen und wirkte hilflos und mitleiderregend. Er zögerte einen Lidschlag lang, dann schlug er zu.
Das schwere Metallrohr prallte zitternd zurück. Der Roboter aus rotgoldenem Metall entwaffnete Jens mit einer fließenden und blitzschnellen Bewegung.
Jens Entsetzen verlieh ihm Flügel. Schnell huschte er an seinem Wächter vorbei, hinaus in den Tunnel, der von einzelnen Lampen mit Lichtinseln erhellt wurde, zwischen denen viel zu große Abschnitte der Dunkelheit lagen, in denen das Grauen lauerte.
Als Jens sich umdrehte, war er nicht erstaunt, als er in seinem Rücken eine massive Wand aus Backsteinen spürte.
Er hockte sich hin und begann zu weinen, als seine Erinnerung zu ihm zurückkam.

Dann trottete er den Tunnel entlang. Nichts änderte sich und er begann sich zunehmend ausgeliefert zu fühlen. Schließlich blieb er wieder stehen, nachdem er nur mühsam das Gleichgewicht hatte wahren können, als er über seine eigenen Füße gestolpert war. Viel weiter würde er nicht kommen, das wußte er. Also den gleichen Trick erneut versuchen. Vielleicht würde es dieses Mal besser gelingen.
Er legte seine Hände an die Wand, schloß die Augen und stellte sich die Kommandozentrale des Berges vor, versuchte, sie vor seinem inneren Auge auszumalen. Detailverliebt fügte er einige Dinge hinzu, nahm andere weg.
Dann ging er einen Schritt vorwärts und durchschritt die dünne Wand der Realität völlig problemlos.

Die alte Frau mit dem faltenlosen Gesicht starrte unglücklich auf die winzigen aber überaus wirksamen Laserpistolen, die Jens und Naja hielten. In der Kommandozentrale verstreut lagen rauchende Wracks von Robotern. Jetzt, da sie nicht mehr um ihr Leben schießen mußten, blinzelte Naja verwirrt zu Jens hinüber.
"Wie komme ich hierher? Eben war ich noch..."
"Das kann ich dir nicht...", er unterbrach sich, und neben der alten Frau glühte ein kleines Loch in der Wandverkleidung auf. Er kommandierte: "Stehenbleiben. Und versuchen sie keinen Unsinn!"
"Jens, wer ist das?"
"Das wird sie uns jetzt sagen."

Der Raum, in den die alte Frau sie geführt hatte, war klein, aber gemütlich eingerichtet. Jens warf vorsichtig einen Blick durch die beiden Türen, die aus dem Raum herausführten, sah aber nichts, was verdächtig gewesen wäre. Sie setzten sich in die bequemen Sessel, Naja mit einem fragenden Gesichtsausdruck, Jens immer noch die alte Frau mit seiner Waffe bedrohend.
"Und jetzt reden wir mal Klartext. Was machen wir hier?"
Die alte Frau kicherte leise, dann meinte sie: "Das musst du aber doch am besten wissen. Schließlich hast du alles daran gesetzt, hierher zu kommen. Nicht, daß du es nicht angenehm gehabt hättest. Du hättest so viele Möglichkeiten gehabt. Zum Beispiel, einfach zu akzeptieren, daß du und deine Frau nie eine Tochter bekommen habt, oder die süße Krankenschwester..."
Jens unterdrückte den Anflug von Peinlichkeit, der in ihm hochkriechen wollte. "Jana."
Die alte Frau schüttelte den Kopf: "Ich bin Jana."
Jens schüttelte den Kopf, während Naja einfach nur verwirrt aussah. Bevor Jens etwas tun konnte, hob die Alte die Hand und winkte in Najas Richtung. Naja schlug die Hände vor ihr Gesicht und brach in Tränen aus.
Jens hob die Waffe, bedrohte sie demonstrativ: "Was hast du mit ihr gemacht?"
Sie schüttelte den Kopf: "Nicht schlimmes. Ihre Erinnerungen zurückgegeben. Aber es wird eine Weile dauern, bis sie darüber hinweg ist, aber das ist das mindeste, was ich für sie tun kann. Ihr habt ja genug Aufwand getrieben, um sie zu bekommen."
"Du bist nicht meine Tochter. Was ist mit ihr? Ich will sie wiederhaben!"
Sie nickte. "Das stimmt. Aber du kannst sie nicht zurück haben. Ich brauche sie. Alles wäre sinnlos gewesen ohne sie."

Dann begann sie zu erzählen. Es gab keinen körperlichen Verfall, aber der Geist alterte. Wenn sie lang genug dauerte, wurde sogar die Ewigkeit langweilig. Und deshalb hatte sie angefangen, zu suchen. Nach einem Nachfolger.
Die Chancen waren astronomisch gering.
"Weißt du, wie hoch der Aufwand war, Naja zu züchten? Wieviele Zufälle herbeigeführt werden mußten, wieviele kleine, unauffällige Eingriffe notwendig waren? Wieviele Fehlschläge, wieviel Wahnsinn? Ich mußte eine ganze Welt unter meiner strikten Kontrolle schaffen, um die richtigen Voraussetzungen zu haben. Nur aus einem einzigen Grund."
Dann nickte sie in Jens Richtung. "Aber es hat nicht gereicht. Deshalb kamst du in das Spiel. Du brachtest die richtigen Begabungen mit..."
Jens schüttelte den Kopf: "Aber was...?"
"Was für Begabungen? Du manipulierst die Realität virtuos. Wie bist du denn hier her gekommen? Wer hat dieses ganze Szenario erschaffen?"
Er ging nicht darauf ein: "Was ist mit Jana?"
"Was eure Tochter tun soll? Meine Stelle einnehmen. Sie hat alles, was sie dafür benötigt. Mehr als das. Diese Welt, beide Welten brauchen einen guten Geist. Jemand, der sich darum kümmert, das die Dinge nicht außer Kontrolle geraten."
Naja schniefte und wischte sich ein paar Tränen ab. Dann fragte sie: "Einen Gott?"
Die Alte kicherte, als hätte sie einen Witz gemacht: "Wie altmodisch. Die Zeit der brennenden Dornbüsche ist längst vorbei, das war mein Vorgänger. Er hatte reichlichen Sinn für Melodramatik. Ich bin für die weniger auffälligen Methoden."
Plötzlich verschwanden die Laserpistolen aus Jens und Najas händen. Die Alte stand auf, wirkte jetzt gar nicht mehr gebrechlich.
"Ihr beide, ihr seid nichts, nur Werkzeuge. Ihr habt eure Aufgabe erfüllt. Normalerweise hättet ihr mit Gnade rechnen können, aber ihr mußtet ja hier her kommen und stören." Sie funkelte Jens an: "Übrigens ist deine Science Ficiton Dekoration wirklich recht... beeindruckend, aber sie hat nichts damit zu tun, wie das Räderwerk wirklich funktioniert."

Jens hatte für einen Moment eine sinnverwirrende riesige Maschine aus eisenbeschlagenen Holzzahnrädern vor Augen, die sich ächzend und gequält drehte. Winzig wirkende gesichtslose Arbeiter ölten, pflegten, reparierten die Maschine, die nie wirklich zum Stillstand kam, nicht zum Stillstand kommen durfte.
Sie machte eine Handbewegung und all das war verschwunden.
Jens lächelte sie an. "Das ist doch nur deine Version, deine... Dekoration für das, was unter der Realität liegt."
Die Alte sah einen Moment lang wütend aus, dann nickte sie. "Wahrscheinlich hast du recht. Aber ich habe die Maschine schon immer so gesehen... vielleicht ist es Zeit für eine Änderung."
Sie winkte und Jens stand wie ferngesteuert auf. Naja trat neben ihn.

Sie gingen den Gang hinunter. "Ihr wollt eure Tochter noch einmal sehen, dann geht ihr in das Nichts."
Beide gingen wie Puppen hinter der Alten her. Schließlich öffnete sich eine Tür. Sie führte in ein Kinderzimmer, das mit fröhlichen Farben gestrichen war. Es wirkte wie eine Replik des Zimmers, an das jetzt sowohl Jens als auch Naja sich erinnerten. Jana saß am Tisch und war dabei, ein Bild zu malen.
Naja stemmte sich gegen die unsichtbaren Bande, die sie daran hinderten, sich bemerkbar zu machen.
Jens schloß die Augen und konzentrierte sich. Unmerklich verschob sich die Realität. Dann verließen die drei das Zimmer. Direkt auf der anderen Flurseite öffnete die Alte eine Tür, die vorher nicht dagewesen war. Dahinter war Nichts.

Die Alte kicherte leise, drehte sich zu den beiden um: "Das Nichts. Beinah beneide ich euch darum, auch..."
Vorsichtig bewegte Jens seine Hand, während die Alte weiter schwadronierte, sich scheinbar selbst überzeugen mußte, daß das der richtige Weg sein würde.
Es war nur ein kleiner Schubs, aber er reichte, um die Alte haltlos über die Schwelle taumeln zu lassen.
Während sie begann, sich aufzulösen, kicherte sie leise, dann murmelte sie, laut genug, als daß Jens sie deutlich hören konnte: "Ich hatte schon befürchtet, du würdest es nicht schaffen..."
Ende
67. Re: Versetzt

geschrieben von Nachtigall am 20.08.04 10:47

Uiuiuih, Butterfly, *weglach*

was hast Du denn diesmal genommen?? Das erinnert mich fatal an Deine Wortspiele mit einer gewissen Halbgottheit *gg*.

Egal. Super!! Manipuliert bis zum letzten Wort, aber schööööööön...

Begeisterte Grüße
Anja
68. Re: Versetzt

geschrieben von Why-Not am 20.08.04 12:02

Dieses Ende läßt mich jetzt ähnlich verwirrt zurück, wie Wolfgang Hohlbeins "Die Rückkehr der Zauberer".

Nichtsdestotrotz hat es viel Spaß gemacht, die Geschichte zu lesen. Und auch dieses dauernde Veralbern der Leser hat was.

Jetzt brauche ich nur noch jemanden, der mir erklärt, ob dieses Ende zu meinem Happy-End-Fetisch paßt.

Hast Du gut gemacht, Schmetterling.

Why-Not
69. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 20.08.04 12:19

@singvogel: *artig verbeug* unklar ist mir allerdings, was "manipuliert" in dem Zusammenhang bedeutet...
Das ich permanent in unterschiedlichste Richtungen vor mich hineiere und den Leser im Dunkeln lasse? If so, dann ist das Absicht gewesen.

@Aber-sicher!: Deine Verwirrung verwirrt mich. Und den Vergleich mit dem IMO übelsten Buch, das ich von WH gelesen habe, empfinde ich nicht gerade als Schulterklopfen .

Das mit dem Happy-End ist so eine Sache, und in der Tat kann man sich jetzt fragen, von welcher der verschiedenen Optionen die drei Hauptpersonen jetzt Gebrauch machen.

Ich persönlich bin für die "und sie lebten glücklich bis an ihr Ende"-Variante, die steht ihnen schließlich offen. Selbstverständlich sind kleinere Manipulationen an der Realität davon nicht ausgenommen... z.B. Wohlstand, langes Leben, die Pest über alle, die sie nicht leiden können ...

Die katholisch-pflichtbewußte Variante, jetzt, nachdem sie "Gott" umgebracht haben, seine Stelle zu übernehmen und alles viel besser zu machen, lasse ich lieber mal ausser Betracht... das würde dann für meinen Geschmack zu sehr in die Richtung des fünften "Flusswelt"-Bandes (Philipp Jose Farmer) driften.
Da wird s dann nämlich ziemlich philosophisch, und das finde ich gewissermaßen zu anstrengend.


Anyway, ich weiß nicht, ob es nicht besser gewesen wäre, die Geschichte nach Teil 13 zu beenden...
Bis dahin hatte ich das Gerüst in etwa stehen, als ich mit dem Posten angefangen habe. Die zweite Hälfte habe ich dann erst relativ spät angefangen dranzustricken, einfach weil ich die losen Fäden des ersten Teiles nicht so hängen lassen wollte. Da gab es schließlich noch so viele Möglichkeiten...

Hatte mir Gedanken über eine regelrechte Fortsetzung gemacht, aber das war mir dann zu offtopic, also habe ich weitergeschrieben.

Gruß
Butterfly
70. Re: Versetzt

geschrieben von Why-Not am 20.08.04 13:29

Zitat
@Aber-sicher!: Deine Verwirrung verwirrt mich. Und den Vergleich mit dem IMO übelsten Buch, das ich von WH gelesen habe, empfinde ich nicht gerade als Schulterklopfen .

Also, ich hatte das Buch regelrecht verschlungen. Nur, daß ich mich nach dem Ende etwas wie ein begossener Pudel gefühlt hatte. Bei seinen Büchern "Das Druidentor", "Flut", "Wyrm" oder "Teufelsloch" ging es mir nicht viel besser, nur daß ich da schon "vorgewarnt" war. Tolle Stories, deren Enden mich aber irgendwie verwirrt zurückließen. Bei denen das Happy-End irgendwie "Widerhaken" hatte.

Aber vielleicht bin ich ja inzwischen auch über das Alter hinaus, in dem mir Geschichten gefallen, die mit einem schlichten "... und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage ..." aufhören. Ein bißchen offener enden ja selbst meine Stories, trotz Happy-End-Fetisch.

Fühl Dich auf jeden Fall mal kräftig schultergeklopft. Trotz meines Vergleichs mit o. g. Buch (das mich - vom Ende abgesehen - begeistert hatte).

Why-Not
71. Re: Versetzt

geschrieben von Nachtigall am 20.08.04 13:53

@ Messerchen:

Naja, manipuliert wird sowohl Jens von der lebensmüden Alten als auch der Leser vom Butterfly - und zwar beides von A-Z. Oder etwa nicht??

Übrigens, wieso verrätst Du eigentlich nicht, was Du da immer für ein Zeug nimmst? *auchwasdavonwill*

Schmetternde Grüße
Anja Nachtigall
72. Re: Versetzt

geschrieben von Butterfly am 20.08.04 18:20

@Piepvogel: Also, was recht gut knallt sind diese leicht aphrodisierenden & alkoholischen Früchte von dem Strauch da drüben... Ansonsten kann ich jederzeit Gerolsteiner Mineralwasser empfehlen.

@Na-gut: Ok, dann war s ja nur eine lokale Unverträglichkeit auf meiner Seite. Also leben wir dann mal glücklich bis an unser Ende .

Gruß & schönes Wochenende
Nachtfalter
73. Re: Versetzt

geschrieben von SlaveDragon am 20.08.04 21:26

@Nachtigall:
"Die Rückkehr der Zauberer" halte ich - vom hastigen, unfertig und überstürzt wirkenden Schluß abgesehen - für eins der besseren Bücher von Wolfgang Hohlbein. "Azreal" & Nachfolger fand ich schlimmer. Und alle haben dasselbe Leiden, den Schluß, der wie krampfhaft herbeigezwungen wirkt. Zumindest meiner unmaßgeblichen Meinung nach

@Why-Not:
Auch ich mag Hohlbein und hab die meisten seiner Bücher im Regal stehen. Die von Dir beschriebene Verwirrung am Ende der Bücher stellt sich bei mir nicht so ein, eher empfinde ich es so, daß Wolfgang Hohlbein zumindest in den allein von ihm geschriebenen Romanen das Ende irgendwie nicht hinkriegt.

Es wirkt auf mich eher wie ein ständig wiederkehrender Mangel der abschließenden guten Idee, die jeweils wirklich sehr guten Bücher nach dem Höhepunkt zum Abschluß zu bringen. Bei den gemeinsam mit seiner Frau Heike geschriebenen Büchern (Märchenmond z.B.) ist das anders, denen werden die Handlungsfäden deutlich "runder" zu einem plausiblen Ende geführt.

Naja, lieber eine großartige Handlung mit schwachem Schluss als dicke Bücher nur mit schwacher Handlung, denn dann liest den Schluss eh keiner mehr

MfG
slaveDragon
74. Re: Versetzt

geschrieben von SlaveDragon am 20.08.04 21:30

Hallo Butterfly,

allen abschweifenden Diskussionen über Analogien zu anderen Werken und Wolfgang Hohlbein zum Trotz möchte ich wieder den Bogen zu Deiner Geschichte schlagen. Ich fand - und finde - sie GUT. Das offene Ende ist sehr reizvoll, nachdem Du den Leser - oder die Leserin - gekonnt ins Ungewisse versetzt hast bezüglich der letztendlich "richtigen" Realität" der Hauptfiguren. Mag sich jeder seine eigen "Fortsetzung" ausmalen, sowas ist gut für die eigene Fantasie .....

Mit besten Grüßen und herzlichem Dank für diese gelungene Fantasy-Story verbleibt
slaveDragon
75. Re: Versetzt

geschrieben von Nachtigall am 20.08.04 21:48

@SlaveDragon:

Zitat

@Nachtigall:
\"Die Rückkehr der Zauberer\" halte ich - vom hastigen, unfertig und überstürzt wirkenden Schluß abgesehen - für eins der besseren Bücher von Wolfgang Hohlbein. \"Azreal\" & Nachfolger fand ich schlimmer. [...]

Äähm, bist du sicher, dass du mit mir sprichst?? Ich habe keines dieser Bücher jemals gelesen, weißt du...

Mit grinsenden Grüßen
Nachtigall
76. Re: Versetzt

geschrieben von SlaveDragon am 21.08.04 10:42

Asche auf mein Haupt, Nachtigall. Ich sollte endlich mal _gründlicher_ lesen lernen. Bin gehörig abgerutscht beim Nachsucher der Zeilen, auf die ich antworte sowie deren "Verursacher".

Eigentlich war das an Butterfly adressiert - bzw. sollte es sein :-/ - und ihre Bemerkung über das "übelste Buch von WH", welche sich wiederum auf eine Erwähnung von Why-Not bezog.

So, nun kommt die Asche wieder runter, ich muss noch Hemden bügel und die sollen ja nicht gleich wieder verdrecken

Ein schönes Wochenende noch allen hier

slaveDragon
seit knapp einer Stunde Besitzer und seit 20 Minuten auch "Träger" eines CB3K
77. Re: Versetzt

geschrieben von Gast träumerin am 21.08.04 17:27

Hallo Butterfly,

und wieder hat eine grossartige Geschichte ihr würdiges Ende gefunden. Ja, auch mein Happy-End-Fetish ist zufrieden gestellt worden. Gerade, weil es sich jeder so ausmalen kann, wie er will..

Zu den anderen Büchern, von denen ich auch einige gelesen habe (vor allem Flussweltbücher...) möchte ich hier nix sagen. Deine Story ist toll und wird bei mir gespeichert...

Aber süchtig wie ich bin, hoffe ich, dass ich schon bald Neues von dir lesen kann..

Lass dich knuddeln..
deine Träumerin
78. Re: Versetzt

geschrieben von Ihr_joe am 22.08.04 00:27

Danke Butterfly!
Hilfe Ihr schreibt alle so viel – Die Story und das Ende ist einfach nur GUT!
79. Re: Versetzt

geschrieben von fa445962 am 22.08.04 22:54

Hallo butterfly,
vielen Dank für die in beiderlei Hinsicht fantastische Geschichte (übrigens: diesen Humor, der solche Einblendungen wie "...Die Zeit der brennenden Dornbüsche ist längst vorbei, das war mein Vorgänger. Er hatte reichlichen Sinn für Melodramatik" hervorbringt, mag meiner einer sehr sehr gern).
Viele Grüße von Jean, der sich schon auf die nächste Geschichte freut.
80. RE: Versetzt

geschrieben von AlterLeser am 28.12.09 17:40

Hi Butterfly,
du kannst sehen das deine Storys immer noch ihre Liebhaber haben.
Ich habe diese Story schon dreimal gelesen, sie ist immer wieder schön.

Dank Dir dafür das sie noch im Forum steht.

Deine spannende Story ``Anita´´ gehört auch zu meinen Lieblingen.
Sicher willst du das nicht wissen, weil du es selber weist.
Für den Moment begrüße ich deine Story mal wieder am Tageslicht.

Leider warst du schon sehr lange nicht mehr im Forum,
trotzdem lese ich deine Geschichten alle immer wieder gern.
81. RE: Versetzt

geschrieben von Merdigo am 16.08.22 21:51

Viel Dank und Lob wurde schon zurecht über Butterfly ausgeschüttet. Eine ganz andere Geschichte, aber spannend zu lesen. Vielen Dank für das Teilen. Jetzt mach ich mich mal auf die Suche nach Deinen anderen Geschichten.


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