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Thema:
eröffnet von Butterfly am 10.09.05 02:42
letzter Beitrag von fa445962 am 05.12.03 21:46

1. Gutes Geschäft

geschrieben von Butterfly am 24.11.03 14:58

Hallo, eine in sich abgeschlossene Geschichte, von der ich aber nicht ausschließen möchte, daß ich sie eventuell weiterschreiben werde, entsprechendes Echo vorausgesetzt.
Vielleicht wird sie dann auch mehr OnTopic... aber das werden wir dann sehen.
Ich wünsche viel Spaß beim Lesen.

Disclaimer
Diese Geschichte ist selbstverständlich frei erfunden, und Ähnlichkeiten zu vorhandenen Personen sind rein zufälliger Natur. Sie enthält erotische Phantasien, die teils im Sadomasochistischen Bereich angesiedelt sind.
Personen, die sich davon abgestoßen oder befremdet fühlen, sollten nicht weiterlesen.

Gutes Geschäft
...ich mußte es haben. Ich befühlte den rissigen Einband, roch den staubigen Geruch der Seiten, hörte das leise Singen...

Das würde ein tolles Geschäft werden, das hatte sich Sven Meier, Inhaber von Meier Antiquitäten An- und Verkauf OHG vorgenommen. Dieser Kunde schrie förmlich "Ich bin ein Opfer!" in sein Gesicht.
Er schätzte seine Kunden immer anhand ihrer Kleidung und Schuhe ein, und die sprachen dafür, daß die Kasse klingeln würde. Schurwollanzug und italienische Slipper. Er hatte ihn in Ruhe stöbern lassen. Besser, man ließ das Wild vor die Flinte wandern. Ungeduld zahlte sich in seiner Branche selten aus.
Als der einsame Kunde dann endlich nach vorne kam, wo Sven hinter dem Tresen mit den diversen Kleinteilen, Schmuck, Briefmarken, Krimskrams saß, trug er zu Svens Enttäuschung nur ein Buch in der Hand. Sven versuchte sich zu erinnern, wo es herstammte, für welchen Preis er es eingekauft hatte, aber mußte zu seiner Überraschung feststellen, daß er keine Idee hatte.
Er wollte warten, bis der Kunde nach dem Preis fragte. Aber er blieb einfach an der Theke stehen und starrte ins Nirgendwo. "Ein schönes Stück," eröffnete Sven schließlich das Handeln.
Der Mann nickte und seine Hand streichelte das Buch.
Sven mußte ein Grinsen unterdrücken. Großer Fehler, das erhöhte den Preis um mindestens fünfzig Prozent. Aber warum sagte der Mann nichts?
"So werden sie heute wirklich nicht mehr gemacht," probierte Sven eine der weiteren Plattitüden des Antiquitätenhändlerhandwerks.
Wieder ein Nicken. Sven wurde nervös. Konnte ein einzelner Mensch so dumm sein? "Darf ich mal? Ich habe da hinten soviele Bücher, da muß ich erst schauen, was es kostet."
Das war ein ganzes Stück von der Wahrheit entfernt, er hatte wenige Bücher, und er war sich eigentlich bis grade sicher gewesen, jedes davon genau zu kennen. Er streckte die Hand aus, griff nach dem Buch und schrak zurück, als der Mann das Buch mit einem leisen Zischen aus seiner Reichweite zog und es an sich preßte.
Der Kerl war irre. Das mußte es sein. Aber das würde Sven nicht daran hindern, einen tiefen Griff in sein Portemonaie zu tun... die imaginäre Kasse in seinem Kopf klingelte Sturm.
Er schoß ins Blaue hinein. "Es kostet... 800 Euro." Er hätte sich für das Stocken würgen können, aber selbst wenn es bei der Hälfte herauskäme, würde er für heute Feierabend machen können.
Der Kunde zog das Portemonaie aus der Tasche, legte eine Karte auf den Tresen. Entsetzt erkannte Sven, daß es eine American Express war. "Äh... ich nehme nur Visa und Mastercard." Verdammt. Hoffentlich ging der Kerl jetzt nicht... wenn er den Laden verließ, würde er sicher nicht wiederkommen. "Und natürlich EC und Bargeld," schob Sven schwach nach.
Schulterzuckend steckte der Kunde die Karte ein, steckte das Portemonaie wieder in die Tasche. Verdammt! Hätte er bloß 200 Euro gesagt. Die hätte so einer garantiert bar in der Tasche gehabt. Er durfte nicht gehen. Bitte. Bitte...
Aber sein Kunde machte auch keine Anstalten dazu. Er griff in die Innentasche seines Sakkos und zog eine kleine Brieftasche hervor. Dann lag die ersehnte Visacard auf dem Tresen. Still dankte Sven allen Göttern der Antiquitätenhändler. Drei Minuten später, als er alleine war, begann er lauthals zu lachen.

Dann machte er sich auf den Weg in das staubige Hinterzimmer, um nachzusehen, was das für ein Buch gewesen war. Sven war sichtlich irritiert, als er die beiden Regale betrachtete, in denen sich Buchrücken an Buchrücken reihte, ohne daß eine Lücke aufgetaucht wäre. Auch die Staubschicht, die auf den Regalen vor den Büchern lag, war unberührt.
Vielleicht hatte das Buch in irgendeinem Schrank oder einer Kiste gelegen, die er gekauft hatte. Er schaute zwar üblicherweise hinein, aber vielleicht war es irgendwie seiner Aufmerksamkeit entgangen. Er zuckte mit den Schultern. Auch das wäre nicht schlimm, denn er hatte in den letzten Monaten nichts für mehr als 300 Euro angekauft, das Geschäft lief schlecht in letzter Zeit.
Sven ging nach vorne, schloß die Kasse und drehte das Schild an der Tür um und schloß ab, löschte das Licht. Er ging durch den Laden, summte leise eine Melodie vor sich hin, die von irgendwoher in seinem Kopf war und ging die Treppe mit der Kordel und dem Schild "Privat" hinauf.
Es war schon ziemlich dunkel. Er griff nach dem Lichtschalter. Nur schade, daß er noch die alte Durchschreibmethode verwendete und keine elektronische Gutschriften. So würde es mindestens zwei Tage länger dauern, bevor das Geld auf seinem Konto war.
Sven hätte wohl die Ironie zu schätzen gewußt, wenn er noch gesehen hätte, wie der winzige Funke die Gaswolke entzündete, die aus der defekten Leitung ausgetreten war. Aber die Druckwelle der Explosion löschte sofort sein Bewußtsein aus.

... zärtlich streichelte ich das Buch. Sein Ruf, sein leises Singen hatte mich in das Geschäft gezogen, ich hatte kaum gewußt, was ich tat. Jetzt sang es fröhlich, während ich seinen Einband streichelte...
2. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von seamaster am 24.11.03 16:19

Tut mir leid Kollege, aber dies ist eindeutig keine in sich abgeschlossene Geschichte - sie SCHREIT nach einer Fortsetzung!!!!!
3. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von Butterfly am 24.11.03 17:17

Na, solange nur die Geschichte schreit, und nicht der Leser, habe ich mein Ziel nicht wirklich erreicht.

Dann muß ich mir ja wirklich noch was einfallen lassen. Mal gucken... aber ich kann niemandem (selbst ChariSMa) nicht empfehlen, solange zu versuchen, die Luft anzuhalten.
Sich solange ans Bett fesseln zu lassen, das würde ich für im Rahmen des Möglichen betrachten

Da muß ich mir nur noch einige Inspirationen holen... händereibend Bela Lugosi-Filme guck, 30er Jahre schwarzweiße Laboratorien ausmal, zuckende Blitze, Toccata & Fuge in d-Moll auf einer jaulenden Orgel spiel
Butterfly

(Diese Nachricht wurde am 24.11.03 um 17:17 von Butterfly geändert.)
4. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von am 24.11.03 19:06

Mein Gott, dieses Offtopic-Bord, das übersehe ich manchmal einfach ... HIER hast Du also die Non-Love-Stories versteckt! Endlich Geschichten für mein schwarzes Herzilein ... ganz wunderbar!
Ich persönlich liebe Antiquariate, nirgendwo auf der Welt findet man seltsamere Dinge als dort.

@Butterfly, Du kannst echt klasse schreiben, für diesen Genuss nehme ich es auch wieder eine Weile hin, von Dir ständig (und natürlich völlig ungerechtfertigterweise) korrigiert zu werden!  *gg




ChariSMa
(Diese Nachricht wurde am 24.11.03 um 19:06 von ChariSMa geändert.)
5. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von living_and_laughing am 24.11.03 19:17

Also ich wollte gerade bewundernd loslegen, Dich als den Abwechlungskünstler schlechthin bezeichnen, gut das kann ich mit Fug und Recht immer noch behaupten, aber leider, leider kann ich wieder Mal den Schluß so gar nicht kapieren.

Das ist doch kein Schluß, sondern eine abgebrochene Baustelle.

Natürlich könnte man jetzt zwecks Dramatik behaupten ohhhhhh, endlich kriegt er etwas Geld und dann stirbt er, aber ich glaube, des is dann sowas von wurscht
...oder ist das Buch für die Explosion verantwortlich?, sein ständiges Singen machte die Leitungen morsch?

Ahhhrgh, ich hasse dieses zwischen den Zeilen lesen, und hineininterpretieren, weil es in meinen Augen immer zu viele Interpretationsmöglichkeiten gibt.

und ich dann nie erfahre, mit welcher meiner Möglichkeiten ich richtig liege oder liegen könnte, oder auch nicht.

Da bin ich lieber und eher Schwarz- + Weiß- Maler, als in diffusen Grautönen rumzuschwimmen.
Oder am liebsten Grellbunt aber/und Eindeutig.

Mit Magenschmerzen am Boden windende Grüße
stephan


6. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von Gast träumerin am 24.11.03 23:06

tja...l&l...
und schon wieder muss ich dir zustimmen. verstanden habe ich es auch nicht.
ich hoffe mal, dass für dummies wie uns beiden noch eine erklärung geliefert wird...

wunderschön geschrieben, es war super, deine story zu lesen. aber wie gesagt...verstanden habe ich den schluss nicht. also, du genie, komm mal in die niederungen deiner "einfach" gestrickten leserschaft und erkläre mit einfachen worten und kurzen sätzen deine story...

liebe grüsse
die blonde träumerin
7. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von Why-Not am 25.11.03 00:15

Ein guter Anfang. (Das ist eine implizite Aufforderung!)

Und auch ich kann in dem "Ende" allenfalls eine Andeutung oder eine vage Vorbereitung für die Erklärung des Geschehens finden. Aber ich bin "guter Hoffnung", daß Butterfly uns noch mit weiteren Puzzle-Teilen versorgt, damit wir das Bild irgendwann fehlerfrei zusammensetzen können.

Why-Not
8. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von Butterfly am 25.11.03 09:46

Teil 2


Der Mann sah glücklich aus. Das war das erste, was ihr durch den Kopf ging. Irgendwie hob er sich von den anderen Leuten in der U-Bahn ab, die müde auf den Zug warteten.
Marita seufzte leise und trat von einem Fuß auf den anderen. Ein richtiger Scheisstag war es gewesen. Ein Kunde nach dem anderen war gekommen und hatte sie angemacht. Hier hatte etwas nicht gestimmt, dort hatte etwas geklappert, hier eine anzügliche Bemerkung, dort eine Delle, die angeblich vorher nicht dagewesen war.
Irgendwann am Nachmittag hatte sie den Achten oder Neunten gereizt gefragt, ob er sie für die Beschwerdestelle hielte. Sie saß schließlich nur da, machte Termine für Reaparaturen und teilte die Autoschlüssel und Rechnungen wieder aus.
Unglücklicherweise hatte das der Chef gehört. Also hatte sie noch eine rotköpfige und lautstarke Rede vor versammelter Mannschaft inklusive der Kunden im Verkaufsraum anhören dürfen. Gegenstand war, was man unter Kundenfreundlichkeit zu verstehen hatte, und die letztendliche Aussage, daß sie sich glücklich schätzen dürfte, morgen wieder zur Arbeit erscheinen zu dürfen. Ausnahmsweise.
Sowas durfte einfach nicht nochmal passieren, da stimmte sie ihrem Chef voll und ganz zu.
Meine Güte, taten ihre Füße weh. Sie ließ ihren Blick über die Umstehenden gleiten. Der Mann neben ihr hatte immer noch einen abwesenden Gesichtsausdruck, sah unbestreitbar glücklich aus. Er summte leise eine Melodie. Sie rückte etwas näher, mit dem unbewußten Gefühl, daß etwas von der Aura seines Glücks auf sie abfärben würde. Er war elegant gekleidet und unter den linken Arm geklemmt trug er ein dickes, altertümliches Buch mit einem rissigen, schwarzen Einband.

Sie sprach ihn an: "Sind sie Sammler?"
Er wandte den Kopf, sah sie mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck an, oder vielmehr nicht ganz, nur ungefähr in ihre Richtung. Er antwortete nicht. Stattdessen schien er tonlos vor sich hinzusummen. Marita sprach ihn erneut an, wunderte sich über sich selbst. Normalerweise machte sie so etwas nie, wollte nicht aufdringlich erscheinen. "Ich meine das Buch. Sie sehen glücklich aus."
Sein Blick schien sich etwas zu klären, dann schüttelte er langsam den Kopf, immer noch, ohne sie wirklich anzusehen.
Die U-Bahn fuhr ein. Marita stieg ein, verlor im Gedränge den Mann aus den Augen. Sie fuhr nach hause, summte leise vor sich hin. Als sie den Schlüssel in die Tür steckte, stellte sie leicht verwundert fest, daß ihr Arbeitstag, den sie vorher noch als Katastrophe empfunden hatte, doch irgendwie gar nicht so schlecht gewesen war. Warum auch immer.

Als sie in den Flur trat, schallte ihr die Stimme ihres Mannes entgegen. "Prima, das du kommst. Ich wollte mir gerade ein Bier holen."
Sie lächelte leise. Die Begrüßung war üblich, und er sollte eigentlich wissen, daß sie viel freundlicher war, wenn er zunächst mal einfach "Guten Abend," sagte. Aber es störte sie nicht. Nicht an diesem Abend.
Sie ging in das Schlafzimmer, wühlte kurz in einer Schublade, dann in die Küche, summte leise vor sich hin, nahm eine Bierflasche und ging in das Wohnzimmer.
Marita schaltete im vorbeigehen den Fernseher aus, was zu einem protestierenden Grunzen führte, stellte dann die Bierflasche vor ihn auf den Tisch und hockte sich über seine Beine, eine Hand hinter dem Rücken versteckt haltend.
"Hasilein, heute abend wird nicht ferngesehen. Heute wird gefeiert," sie streichelte ihn zärtlich über die Wange. Dann ließ sie die mit rosa Plüsch bezogenen Handschellen vor seinen Augen baumeln.
"Komm mit..."
Gierig schluckte er, als sie die Metallreifen um seine Handgelenke zudrückte und ihn hinter sich her zog.

Marita zog ihn zärtlich aus, legte ihn auf das Bett. Dann begann sie ihn zärtlich zu reiben, bis er sein Becken verlangend an sie drückte. Sie biß ihn ins Ohr und zischte: "Wirst du wohl ruhig liegen?" Sie griff in die Schublade, zog ein paar Nylonstrumpfhosen heraus und fesselte ihn fachgerecht an das Bett. Mit einem Paar Wollsocken knebelte sie ihn, band auch den Knebel mit einer Strumpfhose fest. Seine Augen leuchteten gierig.
Plötzlich durchlief ein Krampf ihren Körper. Sie bäumte sich mit einem fragenden Gesichtsausdruck auf. Ein dünner Blutfaden lief aus ihrem Mundwinkel, als sie schlaff über ihm zusammensackte.

Er versuchte nach ihr zu rufen, brachte aber nicht mehr als ein ersticktes Geräusch heraus. Er wand sich und zappelte, die Fesseln dehnten sich ein wenig, aber bei weitem nicht weit genug, als daß er sich hätte herauswinden können. Sie hielten ihn gnadenlos fest.

... wie war ich nach Hause gekommen? Da war ein Gesicht in der U-Bahn gewesen, die Lippen hatten sich im Nebel bewegt. Was hatte sie gesagt? Unwichtig. Zärtlich legte ich das Buch auf den Schreibtisch, setzte mich. Mit leise zitternden Fingern schlug ich die erste Seite auf...

9. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von seamaster am 25.11.03 09:59

Alle Achtung - auch wenn es nicht ganz das ist, was die Fans deiner "Plüschhandschellengeschichten" erwarten... Schön, dass du auf Why-Nots "Puzzlevorschlag" eingegangen bist. Auch wenn man mit dem zweiten Teil nur ein ganz klein wenig näher an die Lösung heranrückt. Auf jeden Fall bin ich sehr gespannt darauf, wie es weitergeht!
10. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von living_and_laughing am 25.11.03 10:22

Hallo Horrorfly.....
...schon schlimm, was sich so alles in Deinen Gehirnwindungen verbirgt.
Genausolche Szene ist das blanke Grauen für mich.
...uuuaaaahhhhhhh.....
..unheimlich.

...fehlt nur noch der dünne Blutfaden aus dem Ohr, den habe ich nämlich schon zweimal gesehen, als ich erste Hilfe bei Leuten leistete, die mit einem Herz"kasperl" ins Krankenhaus kamen.
Bei einem weis ich noch, der war tot, beim zweiten glaub ich mich zu erinnern, daß er nochmal überlebte.
Also rein statistisch gesehen, liegen die Chancen von mir gerettet zu werden, bei 50% zu 50%.

Mann o Mann...
...echt gute Story, da wieder von Dir.

stephan

11. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von Butterfly am 25.11.03 16:32

Teil 3

"Sag mal, Klaus, was machst du da eigentlich? Schleichst dich hier einfach so rein, sagst nicht guten Abend, kein Laut, kein gar nichts, und verschwindest geradewegs im Büro..."
Als er nicht reagierte, trat sie näher, fragte eindringlicher: "Klaus?... Klaus?"
Angela begann sich Sorgen zu machen, trat neben ihn, sah über seine Schulter. Reglos starrte er auf eine Seite in einem altertümlichen Buch, das sie noch nie gesehen hatte. Sie fröstelte unwillkürlich. Die Zeichen wirkten wie kleine Schlangen, die in Agonie über die vergilbte Seite kriechend erstarrt waren. Das sollte eine Schrift sein? Und wieso konnte Klaus, der wahrhaftig kein Fremdsprachgenie war, sie lesen?
Angela faßte seine Schulter an, rüttelte sanft: "Klaus!"
Er schien zu erwachen, sah sich irritiert um, stand dann auf: "Hallo Angela..."
"Klaus, was ist mit dir? Und was ist das für ein Buch?"
Klaus sah ihren ausgestreckten Arm entlang, auf die Platte des Schreibtisches. Überrascht zog er die Augenbrauen zusammen. Angela erschrak, als er diese Frage mit "Keine Ahnung" beantwortete.
"Hast du irgendwas genommen? Drogen? Alkohol?" Sie schnupperte und nahm sein Kopfschütteln zur Kenntnis.

Angela zog ihn aus dem Raum. Leise eine komplizierte Melodie vor sich hinsummend folgte Klaus ihr in die Küche. "Setz dich. So, was hast du heute gemacht? Du wirst mir doch wohl zustimmen, daß du nicht gerade normal bist, im Moment."
Er zuckte die Schultern. "Ich weiß es nicht. Ich bin heute nachmittag aus dem Büro," er zerfurchte seine Stirn, schüttelte dann den Kopf, "und das nächste, was ich weiß, ist daß ich hier am Schreibtisch saß und du mich angebrüllt hast."
"Hattest du einen Unfall, oder so etwas? Ist dir irgendwas passiert? Geht s dir nicht gut? Hast du Fieber?"
Erneut schüttelte Klaus den Kopf. "Mit mir ist alles in Ordnung. Komm, laß uns was essen gehen. Ich habe Hunger wie ein Wolf. Zum Italiener?"
"Aber nur, wenn du dich morgen gründlich beim Arzt durchchecken läßt. Du hattest einen regelrechten Blackout, und mit sowas ist nicht zu spaßen. Und ich fahre."
Er nickte.

Sie aßen in ihrem Stammrestaurant. Trotz gutem Essen, Kerzenschein und leiser Musik wollte keine rechte Gemütlichkeit aufkommen.
Angela hatte Klaus untersagt, Alkohol zu trinken. "Nur für den Fall, daß du irgendeine Droge untergeschoben bekommen hast. Man weiß nie, wie sowas mit Alkohol wirkt."
Klaus protestierte: "Ich fühle mich nüchtern wie nur was... mir geht es wirklich gut. Ich habe nicht einmal Kopfschmerzen." Schließlich hatte er aber doch eingelenkt, um des lieben Friedens willen.

Wieder zuhause angekommen gingen sie bald ins Bett und liebten sich, schliefen dann eng umschlungen ein.

... es rief mich mit seinem weichen, schmeichelnden, von unzerreißbaren Stahlfäden durchsetzten Gesang. Es rief mich zu sich und es verlangte mich, es wieder in meine Hände zu nehmen, es zu streicheln, und mit ihm gemeinsam zu singen...

Etwas stimmte nicht. Verschlafen flüsterte sie: "Liebling?", tastete nach ihm, fühlte nicht die Wärme, die er hätte ausstrahlen sollen. Sie schaltete ihre Nachttischlampe ein. Seine Betthälfte war leer, kalt.
Angela schimpfte leise, stand dann auf, und begann ihn zu suchen. Es dauerte nicht lange, so groß war die Wohnung nicht. Aus dem Spalt der Bürotür sah sie einen dünnen, fahlen Lichtschein fallen.
Sie schlich auf Zehenspitzen durch den düsteren Flur, drückte vorsichtig gegen die Tür und spähte durch den Spalt. Ihr Verdacht wurde bestätigt, er saß versunken da und starrte in das Buch. Er blätterte nicht, bewegte auch seine Augen nicht. Aber seine Lippen bewegten sich, und ein vielstimmiger Gesang mit einer geistverdrehenden Harmonie schwebte durch die Luft, so leise, daß sie ihn zunächst überhaupt nicht wahrnahm.
Minutenlang regte sich überhaupt nichts, dann riß Angela sich los, machte zwei Schritte in das Büro. "Klaus?"
Sie ging noch einen Schritt weiter, stand ihm gegenüber. Angela wollte gerade ansetzen, ihn nochmal, lauter diesmal, zu rufen, da hob er den Kopf, starrte sie aus verschleierten Augen an. Sein geräuschloser Befehl explodierte in ihrem Kopf, bannte sie reglos auf die Stelle.
Als das Wesen, das einmal Klaus gewesen war, aufstand und sie berührte, umfing sie eine weiche, freundliche Ohnmacht.

Angela kam noch einmal zu sich. Sie konnte sich nicht wehren, konnte nicht einmal schreien. Sie flehte, betete, schrie in Gedanken danach, erlöst zu werden, wieder das Bewußtsein zu verlieren. Aber nicht einmal die Gnade, den Verstand zu verlieren, wurde ihr zuteil.

... leise summend verließ ich das Haus, begrüßte stumm die Morgendämmerung, die mir ihren Tribut zollte. Ein winziger Rest in mir fühlte ein leichtes Bedauern wegen des Preises, den Angela hatte zahlen müssen. Aber ich wußte, es war ein gutes Geschäft gewesen...
12. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von Gast träumerin am 26.11.03 00:11

hallo du böses raubtier,
welche abgründe tun sich denn hier auf

das grauen läuft mir kalt den rückern herunter. aber aufhören mit dem lesen kann ich auch nicht.

da alles, was du schreibst, immer ein genuss ist zu lesen, so kann ich auch hier meine augen nicht von lassen. ich bin schon jetzt sehr neugierig, wie es mit deinem gruselmann weitergeht...

liebe grüsse, ein grausiges küsschen (hört sich schlimm an, nicht wahr)
deine träumerin
13. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von living_and_laughing am 26.11.03 08:19

ja, ja...
...Butterfly!!!
Vom Kuschel- übers Krümel-
zum Gruselmonster.
Die Wege des Herrn sind unvorhersehbar.
gruselndes Grinsen oder grinsendes Gruseln
stephan

14. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von Why-Not am 26.11.03 14:36

Spannend!!! Auch wenn die Puzzlestücke noch ziemlich klein und weit über das Bild verteilt sind.

Why-Not
15. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von seamaster am 26.11.03 14:45

Sensationell - dies wird ein Forumsklassiker werden!
16. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von Butterfly am 26.11.03 14:59

Danke für die Kommentare, aber was ich nicht verstehe, ist die Frage nach Fortsetzungen... muß ich wirklich schreiben, wie der üble Geist des so harmlos erscheinenden Buches, der den Protagonisten befallen hat, beginnt, die Erde zu unterjochen?
Das ist doch quasi Usus und passiert in jeder guten Horrorgeschichte... Ströme von Blut, Leid, Schmerzen, zerfetzte Körper, verhungernde Kinder, politische Reden, kurzum: die Tagesschau?

Oder glaubt ihr an ein Happy End, bei dem der Wahnsinnige, fest verschnürt in eine rosa Plüschzwangsjacke abgeführt wird, in die Institution, in der er den Rest seines unglücklichen Schicksals beschließen wird?

Ha, welch vergeblich Harren, welch irriger Ansatz!
Grüßle vom schwarzgeflügelten
Butterfly



(Diese Nachricht wurde am 26.11.03 um 14:59 von Butterfly geändert.)
17. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von seamaster am 26.11.03 15:18

Netter Versuch deine Leser durch einen Verspottungsansatz von der Forderung nach weiteren Fortsetzungen abbringen zu wollen! Halten deine zarten Flügelchen etwa den Druck nicht aus?
Natürlich braucht es kein Happy-end zu geben (wobei der Gedanke an rosa Plüsch immer ein wohliges Kribbeln bei mir auslöst), aber mit der Trilogie ist es sicher noch nicht getan - wie wär s mit den 9 Pforten...?
18. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von Butterfly am 26.11.03 15:35

Meine schwarz gebeizten, stählernen Schwingen sollen den Druck nicht aushalten? Dies entlockt mir doch nur ein trockenes Lachen. "Ha!"
Und nochmal. "Ha!"

Allerdings muß ich sagen, was Johnny Depp angeht, ist mir sowohl Dead Man als auch der Fluch Der Karibik lieber als Die Neun Pforten, so leid es mir tut, Herr Polanski.
Allerdings war Rosemarys Baby mindestens genausogut wie Dead Man.
19. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von seamaster am 26.11.03 16:17

Da hast du uneingeschränkt Recht, aber ich brauchte doch einen Titel mit Quadratzahl als Aufhänger für die gewünschte Anzahl der Puzzleteile (Das dürfte dann auch noch im Donauraum zusammengesetzt werden können)

Aber da du doch immer so um Korrektheit bemüht bist: "Gebeizter" Stahl...? Da fangen ja meine Essstäbchen an zu rotieren! Das funktioniert nur bei Holz. Oder Lachs.
Bei Stahl heißt das "brünieren". Auch wenn s dadurch ganz schwarz wird. Wird oft mit "eloxieren" verwechselt - ähnliches Verfahren bei Aluminium! Oder bist du vielleicht teflonbeschichtet?
Dann bleibt nichts an dir kleben - und wenn es auch noch so heiß ist!
20. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von Butterfly am 26.11.03 16:23

Hi Sea,
ohne jetzt der Maschinenbauer zu sein, aber es gibt auch für Metalle Beizen. Das ist üblicherweise eine ziemlich saure Angelegenheit.
Allerdings muß ich zu meiner Schande gestehen, daß brüniert sicher das bessere Wort gewesen wäre.

Dat mit dem Teflon ist aber sicher auch ne gute Idee, senkt den Strömungswiderstand und die Vogelsch"§$"§ bleibt nicht so auf den Flügeln haften

Butterfly
21. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von seamaster am 26.11.03 16:30

Sollte ja auch nur ein kleiner Scherz und keine "ätzende" Belehrung sein Dann will ich dich mal nicht länger vom Schreiben an Teil 4 abhalten...
22. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von Butterfly am 26.11.03 17:17

... wenn ihr so lieb bittet, will ich euch den Gefallen tun. Aber sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt

Teil 4

... in einer versunkenen Stadt, auf dem Grunde des tiefsten Ozeans, im Herzen eines Tempels, der in einer Geometrie gebaut war, die sich völlig dem menschlichen Verständnis entzog, rührte sich, tot aber träumend, der ewige Schläfer. Ein Fetzen seines Traumes entkam, von denjenigen gehört zu werden, die hören können...

Rishas Vater rief nach ihr. Dieses störrische Kind wollte einfach nicht kommen. Wo steckte sie bloß wieder? Er seufzte, er wußte einfach nicht, was er mit dem Kind machen sollte. Er tat ihr unrecht, sie war nicht störrisch, sie war lieb, freundlich, tat was man ihr sagte. Aber sie tat es in einer Geschwindigkeit, bei der eine tote Schnecke eingeschlafen wäre.
Er verließ die ärmliche Hütte, ging um sie herum, zu Rishas Lieblingsplatz, einer winzigen Anhöhe, von der man einen direkten Blick über das Flußdelta und das nahe Meer hatte. Tatsächlich, dort saß sie, das konnte er schon aus der Entfernung sehen. Er rief, aber sie regte sich nicht. Beunruhigt ging er schneller, aber sie saß wie üblich mit gekreuzten Beinen aufrecht da und träumte.
Als er sie berührte, verstärkte seine Beunruhigung sich noch. Sie zeigte immer noch keine Reaktion, auch nicht, als er begann sie zu schütteln und zu schreien. Sie sah einfach aus leeren Augen in ein Land jenseits des Horizonts.

Überall auf der Welt passierte das Gleiche. Es gab kein Muster, und es waren zu wenige Fälle, als daß es wirklich aufgefallen wäre. Trotzdem schaffte es einer der Fälle in die Nachrichten, eine junge Frau, die in Südfrankreich mit ihrem Auto in ein vollbesetztes Straßencafe fuhr und ein Blutbad anrichtete. Sie war unverletzt, aber nicht ansprechbar. Sie wurde in das örtliche Krankenhaus eingeliefert.

Sie hatten ja oft die merkwürdigsten Leute hier. Aber das ging zu weit. Geradewegs, nicht übermäßig eilig, aber zielgerichtet und als hätte er die deutliche Absperrung nicht gesehen, ging der Mann die Treppe hinauf und direkt Richtung Plenumssaal. Sven und Jan, vom Bundesgrenzschutz abkommandiert, den Bundestag zu schützen, wechselten einen kurzen Blick, dann hasteten sie hinterher.
Schnell hatte Sven den Mann eingeholt, griff nach seiner Schulter. "Halt, das ist hier kein öffentlicher Raum, die Besuchertribünen sind oben."
Er reagierte nicht, wollte weitergehen, aber nun hatte auch Jan nach seinem Arm gegriffen, hielt ihn fest.
"Wo wollen sie hin? Hier ist betreten verboten."
Langsam drehte der Mann den Kopf. Als sein Blick Sven traf, ließ er los, als hätte er sich die Finger verbrannt. Erschreckt taumelte er einen Schritt zurück, tastete nach seiner Dienstwaffe. Panisch stotterte er: "Sie... sie... sie sind festgenommen."
Mit einer winzigen Bewegung, die Jan taumelnd gegen die nächste Wand schickte, wo er schlaff zusammenbrach, befreite der Mann sich.

Sven zog die Waffe, die ihm etwas Mut einflößte. "Stehenbleiben!"
Als der Mann die Türe zum Plenumssaal öffnete, schoß Sven. Nicht nur einmal, gezielt, um den Mann zu stoppen, wie er es in der Ausbildung gelernt hatte. Er leerte das ganze Magazin. Mindestens zwei Kugeln waren im Hinterkopf des Mannes eingeschlagen, aber er tat ihm nicht den Gefallen, zusammenzubrechen, sondern drehte sich um. Der Hammer der Waffe schlug ins Leere, aber Sven zog weiter den Abzug durch, als der Mann mit schweren Schritten auf ihn zukam.
Sven wich zurück, stolperte und kroch in Panik rückwärts, verlor die Kontrolle über seine Blase. Zwei Schritte vor Sven brach der Mann zusammen.
Zitternd blieb Sven liegen, bis die schwerbewaffnete Verstärkung eintraf.

Zu seinem Erstaunen stellte der gerufene Notarzt fest, daß der Mann, der versucht hatte, in den Bundestag einzudringen, noch lebte, im Gegensatz zu dem einen BGS-Mann. Verwundert schüttelte er den Kopf und bestaunte die Verletzungen. Aber da war nichts mehr zu machen. Es war nur noch eine Frage von Minuten, bis sterben mußte.
Der Notarzt irrte sich. Er überlebte den Transport ins Krankenhaus, und als der diensthabende Chirurg ind er Notaufnahme eine Röntgenaufnahme des Schädels machen ließ, um festzustellen, wo die Kugeln saßen, erlebte er eine Überraschung.
Aber diese Überraschung war gering im Vergleich zu der, die er erlebte, als er zu der Trage mit dem Patienten hinüberging, um sich die Verletzungen erneut anzusehen. Aber er kam nicht mehr dazu, jemandem davon zu erzählen. Es gelang ihm nicht einmal mehr, einen Schrei auszustoßen.

... ich fühlte mich wie neu geboren. Summend und noch ein paar Leben nehmend verließ ich das Krankenhaus und ging hinaus, in den hellen Tag...


23. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von living_and_laughing am 26.11.03 18:48

...hört sich an, wie wenn Bienen ihre Drohnen entfernen.
....Summend und noch ein paar Leben nehmend.....

Anschließend zur Kleeblumenernte...

Grinsend wie ein Totenkopfäffchen
stephan

24. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von Why-Not am 26.11.03 19:00

Oje? Bauten in einer Geometrie, die sich dem menschlichen Verständnis entziehen? Dann werden wir es wohl bald mit den Großen Alten zu tun bekommen. Und das Buch? Es wird doch nicht ...

Ich muß mal schnell im Keller nachschauen, ob das Necronomicon noch in der magisch versiegelten Truhe liegt.

Why-Not (aka Andara)

PS: Mach ja weiter.
25. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von living_and_laughing am 26.11.03 19:05

...und Why Not
was willst Du mit Kohl und Adenauer
...die war n doch nie in Ankara
...Oder-Neiße


stephan

26. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von Butterfly am 26.11.03 19:40

Naja... Also Why, das hat aber ziemlich lange gedauert.... schon die Würmer, die sich in Agonie windend auf dem Papier erstarrten, hätten dich auf die Idee bringen können... und der Schläfer in R Lyhe...

Und vergiss es, geh gar nicht erst in den Keller... da ist schon einer meiner Shoggoten und wartet auf dich => (Zähnefletschender Smiley).

Ich kriege dich, Hexer.
27. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von Butterfly am 26.11.03 22:57

Teil 5

Der Mann wirkte, als sei ihm etwas auf den Fersen. Mit hastigen Schritten, immer wieder hinter sich sehend, torkelte er in die Polizeiwache. Die ruinierten Reste eines einstmal teuren Anzuges hingen von seinem Körper herunter, seine Lippen bewegten sich, gaben unverständliche Laute von sich.
Er stützte sich an dem Tresen ab, das Zittern seiner Hände setzte sich fort, brachte den Ständer mit "Ihre Polizei empfiehlt"-Prospekten ins wanken.
Wachtmeister Schulze blickte von seiner Schreibmaschine auf. Was wollte denn der Betrunkene hier? Er stand auf und ging nach vorne. Pflichtschuldig, ohne mit einer sinnvollen Antwort zu rechnen, fragte er: "Was können wir für sie tun?"
Die Augen des Mannes irrten hektisch im Raum herum. "Sie... sie müssen mich verhaften. Einsperren. Bitte!"
"Aber wieso denn? So leicht wird man bei uns nicht eingesperrt, wir sind schließlich ein Rechtsstaat."
Der Blick des Mannes wurde flehend. "Bitte. Bitte. Ich bin eine Gefahr. Ich habe... getötet. Unaussprechliche Dinge... getan. Naja, nicht ich. Das Ding in mir."
"Soso... das Ding in ihnen. Ist ja gut, bleiben sie ruhig. Wir kümmern uns darum..."
Drogen. Der Kerl mußte irgendwas genommen haben, von dem er wirklich Paranoid wurde. Ganz klar. Irgend so ein Yuppiezeug aus dem Chemielabor. Schulze schüttelte den Kopf. Es ging nichts über ein wenig schwarzen Afghanen aus der Asservatenkammer hin und wieder, aber dieses Chemiezeugs, das war wirklich das letzte, was man seinem Gehirn antun sollte.
Er drehte sich um, ging zu seinem Schreibtisch, wählte die Nummer der Psychiatrischen Kliniken, bestellte leise, so daß der Besucher es nicht hören konnte, eine Ambulanz. Ohne Blaulicht bitte.
Dann ging er wieder nach vorne. Ungeduldig wartete der Mann.
Schulze beschloß, Smalltalk zu machen: "Was für ein Ding ist es denn? Und wo ist es jetzt? Es wird ja wohl kaum wollen, daß sie sich mit mir unterhalten, oder?"
Der Mann verkrampfte sich, packte den Aufschlag von Schulzes Uniformjacke, zog ihn halb über den Tresen, würgte dann in abgehackten Worten hervor: "Es ist... das Böse. Viel älter als die Menschheit, tot aber träumend. Und es träumt davon, zu ERWACHEN!" Das letzte Wort hatte er geschrien, Schulze mit einem Regen von Speichel überschüttet. Dann krümmte er sich, krampfte, schlug seinen Kopf auf den Tresen, sprach leise, hektisch weiter: "Und ich bin sein Gefäß. Es wird durch mich kommen. Ihr müßt euch vor mir schützen!"

Endlich gelang es Schulze, sich aus seinem Griff zu befreien. Er wich zwei Schritte zurück, machte mit den Händen beruhigende Gesten. Verdammt, dieser Irre konnte einem ja wirklich Angst einjagen. Hoffentlich kam die Ambulanz bald. Der Kerl brauchte eine Beruhigungsspritze, oder besser noch eine Gummizelle...
Schulzes Wunsch ging in Erfüllung.
Drei stämmige Sanitäter betraten die Szenerie, einer trug eine zusammengelegte Trage. Ein mächtiger Stein fiel von Schulzes Herzen. Er nickte in Richtung des Mannes, der sich auf einen Stuhl gesetzt hatte, ausdruckslos vor sich hinstarrte, mit dem Oberkörper vorwärts und rückwärts schaukelte.
Als er der Drei gewahr wurde, stand er langsam auf, ging auf sie zu.
"Vielen Dank, daß sie kommen. Bitte sperren sie mich ein."
Einer der Sanitäter drehte sich zu Schulze um und zog die Augenbrauen hoch. Dieser machte mit dem Zeigefinger eine schraubende Bewegung an seiner Stirn. Der Sanitäter wendete sich an den Mann: "Ist ja in Ordnung. Bleiben sie ruhig, wir kümmern uns um sie. Es wird alles gut."
Er rastete aus, begann, unkoordiniert um sich zu schlagen, schrie: "Gut? GUT? Nichts wird gut. Die ewige Nacht kommt. Die Sterne werden vom Himmel fallen! Der Schläfer erwacht!"
Zwei Minuten später war der Mann, der immer noch mit verzerrtem Gesicht unzusammenhängendes Zeug schrie, gründlich auf die Trage festgeschnallt. Eine Kanüle bohrte sich in seine Armbeuge. Plötzlich sah er friedlich aus, die Augenlider begannen zuzuflattern. Er stöhnte noch einmal: "Cthulhu...", aber die Sanitäter hielten das für ein gequältes Husten.

Professor Dr. Dr. Deckard, der Chefarzt der Psychiatrischen Kliniken war etwas überrascht gewesen, als sein aufgereger Oberarzt ihm berichtete, daß der Amokläufer, der im Bundestag und einem Krankenhaus ein Gemetzel angerichtet hatte, in seine Klinik eingeliefert worden war, vielmehr sich selbst gestellt hatte und darum gebeten hatte, die Menschheit vor ihm zu schützen.
Er hatte das Interview mit dem hysterischen Notarzt und dem BGS-Beamten am frühen Nachmittag im Fernsehen gehört. Eine merkwürdige Geschichte, aber Menschen pflegen normalerweise nicht ein Blutbad anzurichten, nachdem sie erschossen worden sind, da war er sich sicher.
Professor Deckard seufzte, weil er nicht glücklich war, einen Amokläufer, der in der Lage war, mir nichts, dir nichts, Menschen mit bloßen Händen in Stücke zu reißen, wenn er dem Polizeibericht glauben durfte, in seiner Obhut zu haben. Er hatte den umfassenden Sicherheitsmaßnahmen, die sein Oberarzt angeordnet hatte, nichts hinzuzufügen gehabt.
Trotzdem hatte er ein ungutes Gefühl. Er ging einige Schritte in seinem Büro auf und ab, dann rief er auf der Station an und fragte nach, ob "der Amokläufer" inzwischen wieder aufgewacht sei.

... ich genoß die Müdigkeit, die Entspannung nach dem traumlosen Schlaf. Zärtlich streichelte ich das weiche Laken unter meinen Händen, die mir nicht richtig gehorchen wollten. Ich realisierte beruhigt, daß sie mich gefesselt hatten und ich mich nicht einmal aufsetzen konnte. Vielleicht würde das Armaggedon hinausschieben, vielleicht war ich ja einfach nur verrückt...

Er war seit 35 Jahren in seinem Beruf, und das haßte er immer noch, fand es immer noch einfach menschenunwürdig. Aber manchmal war es nötig, weil manche seiner Kunden, wie er sich seufzend eingestand, sich manchmal nicht so benahmen wie Menschen.
Und wenn er schaudernd an den sicherlich übertriebenen Polizeibericht dachte, während er durch das drahtverstärkte Glasfenster der Tür in die Hochsicherheitszelle spähte, dann fühlte er eine deutliche Beruhigung, daß der Mann sicher untergebracht war. Er winkte einem Pfleger, mit ihm zu dem Kranken hineinzugehen.
Er vertraute den stabilen Ledergurten, die Hand- und Fußgelenke an den stabilen Bettrahmen fesselten und über Knie, Becken und Brustkorb des Mannes verliefen.
Professor Deckard atmete noch einmal tief ein, bevor er die schwere, stahlarmierte Tür öffnete, aber das ungute Gefühl blieb.

Er setzte sich auf einen Kunststoffstuhl, der neben dem Bett stand, sprach den Mann an: "Können sie mich verstehen?"
Zwei ausdrucksvolle Augen richteten sich auf ihn, noch ein wenig benommen wirkend, aber ziemlich wach. "Ja."
"Können sie mir ihren Namen sagen?"
Die Antwort kam schnell: "Klaus. Klaus Bannermann."
Dann begann Professor Deckard, ihn vorsichtig auszufragen. Bereitwillig und ruhig antwortete Bannermann, erzählte, wie er den BGS-Beamten sanft zur Seite geschubst hatte und wie er dem Chirurgen die Kehle herausgerissen hatte, auch von den anderen Vorfällen.
"Aus welchem Grund haben sie das getan, Herr Bannermann?"
Professor Deckard sah ihn über seine randlose Brille hinweg an.
Bannermann zuckte die Schultern: "Ich war es nicht wirklich selbst. Ich war dabei, aber es war es. Das Ding. Das Ding in meinem Körper." Er seufzte: "Aber das glauben sie mir sicher nicht... sie denken bestimmt, ich wäre verrückt, stimmts?"
Deckard schüttelte den Kopf. "Verrückt... nein. Welchen Grund hat das Ding? Was will es?"
"Es will den träumenden Gott wecken, den ewigen Schläfer. Das Ende der Welt kommt. Und ich, ich werde die Schneeflocke sein, die die Lawine in Gang setzt, die die Erde von der Menschheit reinigen wird."
Deckard hörte diese oder ähnliche Formulierungen nicht das erste Mal. Er führte keine Statistik, konnte sich aber an mindestens vier Jesusse, einige Antichristen und eine 87-jährige, niedliche kleine Oma, die Satan persönlich war, erinnern. Allen war gemeinsam gewesen, daß sie das Ende der Welt gebracht hatten. Oder auch nicht.
"Und wo ist das Ding jetzt? Warum haben sie sich selbst eingewiesen?"
"Ich weiß nicht, wo es ist. Es... es hat mich aus seinen Klauen entlassen. Aber ich weiß, daß es wiederkommen wird. Verstehen sie? Sie müssen die Menschen vor mir schützen. Ich... ich hätte mich getötet, wenn ich gekonnt hätte. Aber ich habe mich nicht überwinden können, verstehen sie?"
Deckard nickte langsam. Er fragte sich, ob es gut war, dem Wahn seines Patienten weiteres Futter zu geben, aber er sagte langsam: "Keine Sorge, sie sind hier sicher. Und wir achten darauf, daß sie niemandem schaden können."
Als Professor Deckard und der Pfleger den Raum verließen, hörten sie, wie Bannermann leise eine komplizierte Melodie vor sich hinsummte.

"Papa, Papa, ich habe geträumt, daß die Sterne vom Himmel fallen."
Rishas Vater wachte ruckartig auf. "Risha, Kleines, den Göttern sei dank, daß du wieder in Ordnung bist!"
Er nahm seine Tochter in den Arm. Sie sah ihn mit sehr ernsthaftem Gesichtsausdruck an. "Papa, du mußt mir zuhören. Die Sterne werden erlöschen, wenn der Schläfer erwacht. Die Musik zu Shivas Tanz spielt schon..."
Ihr Vater nahm sie in den Arm und liebkoste sie: "Schatz, du hast nur schlecht geträumt." An ihn angekuschelt schlief sie schnell wieder ein. Aber er lag noch ziemlich lange wach.

... das Singen rief mich, zupfte an meinem Verstand. Ich kämpfte, versuchte, meine Ohren zu verstopfen, aber meine festgeschnallten Hände waren hilflos. Aber es hätte sowieso nichts genützt, das Singen war in meinem Kopf. Als ich dann einstimmte, war es wie eine Erlösung, fegte alle Bedenken hinweg. Mit einer spielerischen Bewegung zerriß ich die kindischen Fesseln, zerbrach die Tür und machte mich auf den Weg. Die die mir den Weg vertraten, fanden ein schnelles Ende...

Als es ihnen nicht gelang, ihn aufzuhalten, hatten sie versucht, ihn wenigstens zu verfolgen. Aber es war vergebens gewesen, sie hatten ihn verloren. Irgendwie war es ihm gelungen, der Verfolgung zu entwischen, er war einfach von einer Sekunde auf die andere in den weichen Schatten, die der Vollmond malte, verschwunden.
Allein auf dem Dach eines Hochhauses sang er die verbotene Anrufung, malte die Zeichen und Formeln mit seinem Blut, vollführte mit sich selbst das unaussprechliche Opfer.
Mit brechenden Augen sah er, wie ein Stern nach dem anderen ausging, während sein Leben aus ihm strömte.
Eine neue Ära war angebrochen.
Iä Shub-Niggurath!
Iä Cthulhu!

Ende -- Anfang
28. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von living_and_laughing am 26.11.03 23:10

Iaaaaaaaa, Butterfly...
...schwarzer Afghane!!!
womöglich noch grüner Türke und roter Libanese!!!
...und gelber....
...ach nee, die FDP hat ja keine Mehrheit mehr!



...aber die Geschichte war gut.
...ich überlege immer nur, woran sie MICH erinnert, denn Deine und Why Not s Anspielungen bringen bei mir nix zum klingeln, aber Cthulu

...oder ich täusch mich auch.

stephan


29. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von Why-Not am 27.11.03 00:42

Zitat
Ende -- Anfang

Es gibt eine Theorie, die besagt, daß in dem Moment, in dem jemand dieses abstruse Universum versteht, es augenblicklich von etwas noch Bizarrerem ersetzt wird. Eine zweite Theorie geht davon aus, daß das bereits mindestens einmal stattgefunden hat. (aus dem Gedächtnis nach Douglas Adams)

Eine schöne Story, auch wenn die Plüsch-Handschellen diesmal deutlich unterrepräsentiert waren. Und ich frage mich, ob das jetzt ein Happy-End war. Aber das hängt wohl davon ab, wie man zu dieser Welt steht.

Zitat
...ich überlege immer nur, woran sie MICH erinnert, denn Deine und Why Not s Anspielungen bringen bei mir nix zum klingeln, aber Cthulu

Die Anspielungen bezogen sich auf den "Hexer-Zyklus" von Wolfgang Hohlbein. Wobei der den Cthulu-Mythos auch schon anderweitig entliehen hatte (H.P. Lovecraft oder so)
30. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von Gast träumerin am 27.11.03 01:05

und wieder....
vielleicht solltest du dich jetzt doch bald umbenennen, mein butterfly? der name wird zusehends unpassender. oder gibt es schmetterlinge, die andere tiere töten aber ja...du bist ja auch dieses merkwürdige messer. aber das passt auch nicht richtig. vielleicht sollten wir einen thread eröffnen: neuer name für butterfly.

jagen mir gänsehautschauer mein rückgrat hinunter. schaurig und schön, deine fortsetzung. und das ende? ende wird auch anfang sein (heinz rudolf kunze)
es ist wunderbar, dass dieses forum auch solche geschichten zulässt. es macht es für mich noch wertvoller..

gänsehautgrüsse
crazy dreamer
31. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von Butterfly am 27.11.03 07:12

Cthulhu, Yog-Sothoth, Shub-Niggurath, Dagon, Hastu... (hups, jetzt hätte ich beinah den Namen ausgesprochen... *schweiss abwisch*) stammen ursprünglich wie Why-Not sagte aus der Feder von H.P. Lovecraft, und tatsächlich hat Wolfgang Hohlbein das ganze mit dem Hexer-Zyklus in Deutschland bekannt gemacht und erheblich ausgebaut.

Aber die beiden sind nicht die ersten und nicht die letzten. Das ganze Internet ist voll davon, google findet auf einen dieser im wahrsten Sinne des Wortes unaussprechlichen Suchbegriffe annähernd genauso viele Hits wie auf Einlauf oder Windel

Ist es nicht eine schöne, paranoide Vorstellung, daß unter der dünnen Tünche der normalen Welt, in der wir leben, bizarre Wesen, übermächtige böse Götter und ihre Diener darauf warten, Menschen den Kopf abzubeißen?

Eine der schönsten Adaptionen (allerdings etwas Computerbezogen und nur dann wirklich lustig, wenn man mal bei einem ISP gearbeitet hat) ist natürlich www.userfriendly.org, ein täglich erscheinendes Comic, in dem immer wieder die großen Alten auftauchen...
Aber seid gewarnt, man muß sich erst mal ein paar Tage einlesen und die Leute kennenlernen (ähnlich wie bei dilbert).

Farbenfroh
Butterfly
32. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von living_and_laughing am 27.11.03 08:35

Ich hab zwar einige Bücher von Hohlbein, aber für den Hexerzyklus (u.a. Der Hexer von Salem?) konnte ich mich nicht so begeistern.

Was Lovecraft betrifft, habe ich sehr wenig von ihm gelesen.
Aber Philip Josè Farmer s Dungeon erinnert mich stark an dessen Werke.

Hier noch ein Autor, der mich relativ stark begeistert:

Raymond Feist

Die Kelewan-Saga
oder
Die Schlangenkrieg-Saga
oder
Die Midkemia-Saga


...und wenn ich mir im Insektenreich Gottesanbeterinnen oder in der Tiefsee Anglerfische und sonst so einige Gestalten im Tier- und auch Menschenreich anschaue....
....find ich diese Art der Fantasie gar nicht mal so abwegig.

Liebe Grüße
stephan

33. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von seamaster am 27.11.03 08:54

Akzeptiert!
34. Re: Gutes Geschäft

geschrieben von fa445962 am 05.12.03 21:46

Hallo Butterfly, schwarzgeflügelter und schwarzsehender,
ich komme erst jetzt dazu, einen Kommentar abzugeben, einerseits wegen Zeitmangels, andererseits nicht zuletzt auch wegen Deiner Phantasmagorie.
Ich habe sie erst ein wenig sich setzen, sie nachklingen lassen, bevor ich einer Kritik abzugeben mich nicht entblöde. Nun denn, hier ist sie:
Das ist eine der hammerhärtesten, wenn nicht überhaupt die hammer..., die ich bisher im Forum zu lesen das Vergnügen hatte. Der gleichen Meinung ist übrigens auch meine Holde, die entgegen dieser Bezeichnung diesem Forum eher abhold ist und nur seltenst mal hier reinschaut (wenn ich ihr allerdings solch phantastischen (!) Geschichten vorsetze...).
Klingt vielleicht jetzt etwas abgeschmackt, weil so gut wie immer Gelegenheit ist, dies anlässlich einer Geschichte von Dir anzubringen, aber sei’s drum: Du hast Dich selbst übertroffen.
Viele Grüße,
Jean


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