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Turambar
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Mannheim


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  RE: Unter fremden Monden Datum:08.06.11 18:15 IP: gespeichert Moderator melden


Hallo, Allerseits!

Kurzer Einschub: Die "fehlende" Textpassage im zweiten Abschnitt des zweiten Kapitels wurde mittlerweile ergänzt. Danke an Blue und das gesamte Mod - Team!

Frage an die verstummte Allgemeinheit: Was ist los? Zu langweilig oder zu langatmig? Zu schnelle Fortsetzungen? Unverständliche Sätze und Formulierungen? Oder prinzipiell Schwierigkeiten / Desinteresse bei einer Erzählung, in der die Erotik nicht den Hauptfokus bildet?

Kritik ist nach wie vor erwünscht. Und es hat niemand verlangt, daß nur Lob geschrieben werden darf.

Beste Grüße, Turambar.
"Niemand versteht die Ledermäuse!"
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  RE: Unter fremden Monden Datum:08.06.11 20:06 IP: gespeichert Moderator melden


Nee; die Erotik fehlt mir nicht und mit Deiner Schreibe gelingt es Dir wirklich gut, die jeweiligen Szenarien plastisch darzustellen. Von daher ist´s schön, die Story zu lesen.

Ich bin inzwischen am Ende von Kapitel 6 stecken geblieben, da mich nicht nur mein chronischer Zeitmangel immer wieder ausbremst, sondern auch eine fast kontinuirlich düstere Atmosphäre in der Geschichte gegeben ist.

Damit, dass Du mit so ziemlich jeder Schilderung etwas Negatives darstellst, wirst Du wahrscheinlich auf ein Ziel zusteuern - also wohl die Grundlage für einen späteren (Stimmungs-)Wandel (zum besseren?) schaffen - jedoch ist´s mir inzwischen etwas zuviel grau in grau und lockt mich daher nicht mehr so recht. Aber da sind die Geschmäcker ja verschieden und das Leben hält ja nun mal leider wirklich auch relativ viel Unerfreuliches bereit.

Ich sollte mir wohl in ner´ ruhigen halben Stunde doch die Zeit nehmen und mich weiter durch die düsteren Szenarien durchwurschteln, um zu schauen, ob sich dann vielleicht doch allmählich n´ Licht am Ende des relativ finsteren Tunnel abzeichnet....

...dann sehe ich ja, ob Dir auch andere Schattierungen als grau und schwarz zusagen.

LG

SmartMan

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Turambar
Story Writer

Mannheim


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  RE: Unter fremden Monden Datum:09.06.11 14:46 IP: gespeichert Moderator melden


Hallo, SmartMan!

Daß das hier keine heitere Geschichte ist, sondern sehr wohl eine eher finstere, ist schon so gewollt. Es geht um die Auseinandersetzung mit Ängsten, Erfahrungen des Lebens, das - wie du ja schreibst - eben viel Tragisches enthält. Es geht um den Einfluß dieser Dinge auf die Charaktere, und deren Umgang damit. Dabei spielt die seuelle Ebene eine Rolle, aber auch eine psychologische und eine gesellschaftliche.

Was mir aber beim Schreiben auch nicht so bewusst wurde, ist wie düster die bisherigen Texte tatsächlich rüberkommen, bzw. wie wenig Abwechslung es da gibt. Denn natürlich besteht das Leben eben nicht nur aus negativen Stimmungen und Grautönen. Ich werde wohl versuchen, das etwas "bunter" zu gestalten. Wandel wird es noch so einigen geben, aber ob zum Guten? Mal abwarten.

Allerdings habe ich für das Ende nach wie vor zwei verschiedene Szenarien vor Augen. Eines mit "Happy - End", das andere ohne. Aber bis dahin könnte es noch dauern.

[quoteAber da sind die Geschmäcker ja verschieden[/quote] Stimmt. Natürlich kann ich es nicht jedem Leser / jeder Leserin recht machen. Die einen mögen lieber Krimis, andere etwas Romantisches, Dramen, Komödien, Phantasy oder Horror... Ein Vorwort zu der Erzählung wäre vielleicht nicht verkehrt gewesen, um einen kleinen Vorgeschmack zu geben, womit man im Verlaufe zu rechnen hat.

Erstmal gibt´s jetzt aber den nächsten Abschnitt, der - wie ich hoffe - auch ein paar heitere Momente enthält.


<><><>




5.

Charon wartete vor dem „Speicherstübchen“ auf Claire und Mike. Als er die beiden kommen sah, trat er seine Zigarette aus und kam strahlend auf sie zu. Ein paar Meter weiter hielt ein Schulbuss quietschend an der Haltestelle, der tuckernde Dieselmotor pustete heißen Qualm in die fast genauso heiße Nachmittagsluft. Mit einem Zischen öffneten sich die Türen, und eine lautstarke Schülerschar strömte hinaus. Als sich der Tumult einigermaßen gelegt hatte, machte Claire Mike mit Charon bekannt, wobei sie dessen Spitznamen freilich durch Gregorij ersetzte.

Die Begrüßung war längst nicht so innig, wie in Claires Traum, aber große körperliche Vertrautheit hatte auch früher nicht zwischen ihr und Charon / Gregorij geherrscht. Dazu beigetragen hatte auch sein eher abweisendes Äußeres: Die langen schwarzen Haare des großen, hageren Mannes, sein schwarzer Vollbart, den er sich bis auf die Brust wachsen ließ, luden nicht unbedingt zum Kuscheln ein. Charon unterstrich zu jener Zeit sein düsteres Erscheinungsbild mit einigen Piercings in Augenbrauen und Nase, breitkrempigen Hüten und einem langen, schwarzen Ledermantel, den er nur im Notfall abzulegen pflegte.

So völlig unterschiedlich präsentierte er sich jetzt. Als Claire ihn vor zwei Tagen zufällig traf, hätte sie ihn zunächst fast nicht erkannt. Sauber rasiert war er, die Haare ordentlich geschnitten und gekämmt, von den Piercings in seinem Gesicht fand sich keine Spur mehr. Statt Ledermantel, Hut und derber Stiefel trug er einen gut sitzenden, beigen Sommeranzug über einem hellblauen Hemd. Und als er sich nun mit Claire und Mike zum Abendessen traf, erschien er in legeren Bluejeans, weißem T – Shirt und braunen Seglerschuhen. Unverändert freilich war seine hoch aufgeschossene, dürre Statur, sowie sein Gesicht mit der hohen Stirn, einer gewaltigen Hakennase und den tiefliegenden, kleinen Augen, die mit schnellen, blitzartigen Bewegungen die Umgebung scannten.

Dieweil Roland Falk sich wie gewohnt verspätete, bestellte die Dreierrunde Getränke im Biergarten. Der Duft von Gegrilltem stieg ihnen in die Nase, regte den Appetit an, auch wenn bislang keiner von ihnen wirklich Hunger verspürt hatte. Der Tag war schlichtweg noch immer zu heiß, um an Essen zu denken. Also warteten sie auf Claires Vater, tranken Bier und Aperol, und unterhielten sich über die letzten Jahre, in denen Claire und Charon sich aus den Augen verloren hatten.

„Und zu deiner Szene hast du keinen Kontakt mehr? So gar nicht?“
„Wenn du das „Szene“ nennen willst, Claire… Eigentlich war es das damals schon nicht. Ein Haufen Spinner, hauptsache alles ist schwarz, düster, hoffnungslos. Mittlerweile ist es noch schlimmer, glaube ich. Nur noch Kids, die nichts mit sich anfangen können. Die sind einsam, weil sich keiner für sie interessiert, versuchen sich damit interessant zu machen, und wundern sich, wenn sich da die Katze in den Schwantz beißt. Es bringt überhaupt nichts, wenn du dich krampfhaft an eine Scheingemeinschaft anpassen willst, die in Wirklichkeit jede menschliche Wärme, jede Gesellschaftlichkeit negiert.“
„Harte Worte, Gregorij. Ich habe ja einige Schüler, die auch so drauf sind. Immer schwarz angezogen, immer düstere Musik und finstere Parties. Dabei sind die Meisten von ihnen aber echt in ordnung. Haben keine Probleme mit der Schule oder den Eltern, sind völlig normal in ihrem Sozialverhalten.“
„Ich meine auch, daß es vor allem für die gefährlich ist, die sowieso schon Probleme mit sich selbst haben. So wie ich damals. Mein Glück war nur, daß ich eigentlich etwas völlig anderes gesucht habe. Mit dem ganzen Selbstmitleid und „Alles – ist – so – böse – Gehabe“ hatte ich sowieso nicht viel am Hut. Ich habe mich mehr für die Hintergründe interessiert. Mir ging es mehr um alte, europäische Naturreligionen. Was in den meisten Zirkeln und Szenen da abläuft, hat nichts mit den ursprünglichen, spirituellen Ritualen unserer Vorfahren zu tun. Wenn irgendwelche Teens meinen, sie führen okkultistische Zeremonien oder Hexenzirkel aus, ist das in der Regel nichts als total verfälschter Popanz. Dann versuchen sie, es besonders toll und echt zu machen, und dann wird es gefährlich, wenn Drogen wie Pilze, Stechapfel, Tollkirsche und so weiter ins Spiel kommen.“
„Aber wenn es dir um gesicherte Informationen über die Bräuche und Rituale der vorchristlichen Naturreligionen geht, dann hast du schon ein Problem. Weil dort selten etwas schriftlich dokumentiert wurde. Eine mündliche Überlieferung fand nicht mehr statt, nachdem die katholische Kirche über Jahrhunderte alle Andersdenkenden systematisch verfolgt und ausgerottet hat.“
„Schon richtig, Mike! Aber gerade das macht es ja so interessant. Es ist sozusagen Detektivarbeit. Und das betreibe ich nach wie vor noch, als Hobby sozusagen. Es macht mir einfach Spaß, da auf Spurensuche zu gehen, Infos zusammenzutragen und auszuwerten. Auf ihre Authentizität zu prüfen.“
„Du betreibst also Forschung. Und hast dir da eine echt schwieriges Fachgebiet rausgesucht. Aber ich habe einen Studienkollegen, der einen Lehrstuhl für Anthropologie in München hat. Wenn du willst, gebe ich dir seine e – mail. Der beschäftigt sich mit ganz ähnlichen Themen.“
„Gerne. Auch wenn ich eigentlich viel zu wenig Zeit dafür habe. Aber nachdem ich mich vor ein paar Wochen mal wieder von meinem Lebensgefährten getrennt habe, ist da schon wieder was drin.“

Claire verschluckte sich an ihrem Aperol, hustete, lachte und rang nach Luft, während Mike ihr betont vorsichtig zwischen die Schulterblätter klopfte.
„Nur keine Hemmungen, Mike! So wie du mich tätschelst, atme ich den Schluck nur noch tiefer ein.“
Ihr Gesicht hatte beinahe den Farbton ihrer Haare angenommen. Während sie sich den Mund mit Mikes Serviette abputzte – aus ihrer eigenen hatte sie ein Hütchen für Charon gebastelt – erspähte sie ihren Vater, der einigermaßen verloren am Eingang des Biergartens stand, und sich suchend umsah. Immer noch hustend hob sie den Arm und winkte ihm zu. Roland setzte sich zwischen Mike und Charon und wischte sich mit Mikes Serviette den Schweiß von der Stirn. Claire wollte etwas sagen, musste aber stattdessen erneut husten und ließ es einfach bleiben.

„Also, ich hatte schon gedacht, ich bin im falschen Lokal. Wartet ihr schon lange? Hatten wir nicht sieben Uhr gesagt?“
„Nein, Paps, eigentlich halb sieben. Außerdem ist jetzt viertel nach. Aber das macht nichts.“
„Gregorij! Schön, dich mal wieder zu treffen! Sehr eleganter Hut, aber der andere damals stand dir besser.“
„Nur arbeite ich jetzt nicht mehr als erfolgloser Werbetexter, sondern für eine Bank. Da schreibt der Dresscode eben zwangsweise Hüte aus Papierservietten vor. Die entsprechende Unterwäsche soll auch noch kommen, aber dann kündige ich; versprochen!“
„Gut, sehr gut! Ich hätte noch einen Job für dich in meinem Laden; angelaufenes Silberbesteck abstauben, zum Beispiel.“
„Wenn das noch immer das Wertvollste ist, was ich bei dir abstauben kann, dann bleibe ich lieber bei der Bank. Ist doch ein viel saubereres Geschäft.“

Sie bestellten Gegrilltes, das in riesigen Portionen vor ihnen aufgefahren wurde. Immer noch lastete die Hitze auf der Stadt, aber Gerüche und Gespräche wirkten angenehm entspannend. So kamen selbst Mikes Gedanken zur Ruhe, daß endlich Raum für gesunden Appetit frei wurde. Beim Essen rückten die belastenden Ereignisse der letzten Tage immer mehr in den Hintergrund, je weiter sich sein Bauch mit Steaks und Bratkartoffeln füllte. Zum Abschluß des Mahles tranken sie Mirabellenschnaps. Claire ging dabei leer aus, weil sie an diesem Abend Keyholderin der Autoschlüssel spielen musste. Als Entschädigung ließ Mike dafür unter dem Tisch seine Hand über ihren Oberschenkel wandern, drängte den Saum ihres Kleides immer weiter in die Defensive, bis seine Finger kurz vor dem Ziel auf metallenen Wiederstand stießen. Claire entfuhr ein leises Zischen, kurz darauf traf ein Absatz Mikes Knöchel. Seine Hand verschwand von der Blechbarriere ihres Schoßes und legte sich dafür um ihre Schulter. Sie kuschelte sich bereitwillig an, zog seinen Arm enger um sich und küsste wie beiläufig die unanständigen Finger.

Charon hatte von seiner Arbeit erzählt, von Fonds und Trusts und Firmenpleiten, hatte sich Rolands Banker – Bashing anhören müssen und versucht, ihm die Notwendigkeit funktionierender internationaler Finanzmärkte klar zu machen. Gleichzeitig stellte er die Wichtigkeit von strengeren Regeln und Kontrollen heraus. Roland blieb natürlich stur, als eingefleischter Sozialist waren sämtliche Geldgeschäfte und Transaktionen, bei denen kein unmittelbarer materieller Gegenwert bestand, das Werk des Teufels an sich. Wie genau sie auf alte tschechische Uhren zu sprechen kamen, war Mike ein Rätsel. Bei den Diskussionen über Banken hatte er sich ausgeklinkt, die Nähe seiner Frau genossen und versucht, dabei an gar nichts zu denken.

„Aha. So eine Uhr schenkst du Claire und Mike? Die muss an die tausend Eu wert sein.“
„Ach wo. Mehr als zweihundert hätte ich nie und nimmer dafür bekommen.“
„Kommt drauf an, wo du sie verkauft hättest. Ich kenne Leute, die hätten sich um das Stück gerissen.“
„Für gewöhnlich verkaufe ich meine Ware in meinem Laden.“
„Bist du nie auf die Idee gekommen, dich auch online zu präsentieren? Wenigstens mal bei ebay, das ist nun wirklich keine große Sache.“
„Ebay? Bah, Gregorij! Du weißt genau, was ich von dem ganzen Quatsch halte.“
„Der ganze Quatsch würde dir einen Haufen Geld einbringen.“
„Und vor allem einen Haufen Ärger. Unsere kleine Claire hier hat mir irgendwann mal Internet eingerichtet, mir einen account oder so gemacht. Da war ich zwei oder drei Mal drin. Ist nichts für mich.“
„Ohne Internet läuft bei mir gar nichts. Alleine schon beruflich, die meisten Geschäfte werden nur noch online abgewickelt.“
„Ja, das sind aber aus meiner Sicht auch keine wirklichen Geschäfte.“
„Du musst es wissen Roland, es ist dein Geld. Wie bist du überhaupt an die Uhr gekommen, wenn du sie nicht im Netz gefunden hast?“
„Urlaub im Erzgebirge. Angeln und Wandern, was dachtest du denn? Über die Dörfer gefahren, mit den Leuten geredet. So findet man die besten Sachen.“
„Hast du Zertifikate für das Teil?“
„Aber sicher! Alles korrekt. Frag doch mal deine platonische Ex – Geliebte, wenn sie Mikes Ohr zur Gänze aufgegessen hat. Vielleicht überlässt sie dir die Uhr. Ihr Ehegatte ist jedenfalls nicht so begeistert von dem Teil.“

Mike wollte protestieren, aber Claire kam ihm zuvor.
„Nene! Geschenkt ist geschenkt. Wir sind hier nicht bei den Hobbits, wo Geschenke immer weiterwandern, weil keiner sie haben will. Weil nämlich die Uhr auch nur für Mike und mich wieder tickt. Und bimmelt. Sie mag uns, glaube ich.“
„Sie läuft also? Alle drei Zeiger?“
Mike seufzte, Charons Interesse an der etwas verrückten Standuhr war ihm unverständlich. Am liebsten hätte er das Thema schnell wieder fallengelassen.
„Ein Zeiger zeigt die Stunden, ein anderer die Minuten. Man weiß halt manchmal nicht, welcher welcher ist. Und der dritte Zeiger steht völlig unbewegt auf der Zwölf, wenn’s dich interessiert.“
„Du und Claire, ihr könntet mich mal auf ein Bier einladen. Ich bring die Uhr vollständig zum Laufen. Ihr werdet begeistert sein.“
Überrascht zog Roland die Augenbrauen hoch.
„Du kennst dich mit Uhrwerken aus, Gregorij? Da schau her!“

„Wir haben doch alle so unsere Sonderheiten und Geheimnisse. Oder nicht, Claire?“
Warum musste Charon das jetzt auch noch ansprechen? Claire legte nicht unbedingt großen Wert auf das Thema, jedenfalls nicht, solange ihr Vater anwesend war.
„Es sind aber keine Geheimnisse, Charon. Mike weiß über alles bescheid, was ich damals angestellt habe.“
„Respekt. Da gehört viel Mut und Vertrauen dazu, das in einer Beziehung aufzuarbeiten.“
„Naja, ich weiß nicht alles, Gregorij, ich weiß zum Beispiel nicht, in wie weit du damals an Claires Affären beteiligt warst.“
„Beteiligt? Nicht im Geringsten. Ich war nur der, bei dem sie sich dann ausgeheult hat.“
„Ich weiß auch keine Einzelheiten, weil’s mich nicht interessiert. Sie hat mir erzählt, wieviele es waren und wie lange es ging. Dann haben wir uns gezofft, dann haben wir über das Warum gesprochen, dann haben wir zusammen geweint und zum schluß haben wir miteinander geschlafen.“
„Au ja, das war unser Urlaub in Spanien. Das Wetter war Scheyße, die Stimmung mies. Bis wir reinen Tisch gemacht haben. Saßen wir nicht mindestens drei Tage ununterbrochen im Regen auf dieser Klippe und haben geheult?“
„Ich kann mich nur noch daran erinnern, was wir danach im Zelt gemacht haben. Bis wir gemerkt haben, daß unter der Luftmatzratze ein Ameisenvolk wohnte.“
„War das ekelhaft, Mike!“
„Aber aufregend.“

Mike schüttelte sich vor Lachen bei der Erinnerung daran, wie sie nach der dritten oder vierten Nummer am Stück plötzlich beide splitterfasernackt aus dem Zelt geflitzt waren, einen wahren Veiztanz vor den verblüfften Augen der anderen Campingurlauber aufführend, um die Ameisen vom Körper zu schütteln. Claire konnte sich immerhin soweit zusammenreißen, um Charon und Roland die ganze Anekdote zu erzählen, worauf Charon ebenfalls lachend über dem Tisch lag. Roland war anscheinend weniger erpicht auf solchen Geschichten, runzelte lediglich die Stirn und schüttelte den Kopf.

Als Charon sich wieder unter Kontrolle hatte, wandte er sich immer noch prustend und giggelnd an Claire.
„Gehört das auch zu deinen ganz besonderen Interessen, Sex mit Ameisen?“
Während die Angesprochene ihm lediglich die Zunge herausstreckte, war Mike überrascht, starrte konsterniert seine Frau an.
„Was meint dieser Banker jetzt bitte damit, Fähe? Vielleicht würde es mich doch mal en détail interessieren, was du so mit deinen Liebhaberinnen getrieben hast…“
„Nichts so ausgefallenes wie Ameisen auf jeden Fall. So’n büsschen was hab‘ ich schon ausgetestet, damals. Aber nichts davon war annähernd so gut wie alles zwischen uns, Mike, das weißt du. Und es war nie Liebe im Spiel, mit keiner von ihnen.“
„War’s ja bei mir auch nicht, in Kolkata…“

Claires Vater war aufgestanden. Man sah ihm an, daß das Thema ihm nicht unbedingt behagte.
„Kinders, das ist jetzt nichts für einen alten Herrn wie mich. Muss auch an mein Herz denken. Außerdem wird’s langsam spät, ich muss ins Bett.“
„Und ich muss morgen auch wieder arbeiten. Claire, Mike, schön war’s. Wenn ihr wollt, ruft mich mal an.“
„Ich wollte die Runde nicht auflösen. Ich find’s schön, wenn ihr so ausgelassen über eure Affären schwadroniert. Ist nur nichts für meine väterlichen Ohren, das ist alles. Nur eins noch Mike! Weil so ein bisschen bin ich doch schon im Bilde: Wenn du erzählst, daß bei dir damals in Indien keine Liebe im Spiel war, tust du dann Sangita nicht vielleicht unrecht?“

Mike, der eben auch aufstehen wollte, um Roland zu verabschieden, erstarrte.
„Verdammt, woher weißt du denn eigentlich davon?“
Claires Vater streckte den Zeigefinger aus und richtete ihn erst auf Charon, dann auf Claire, und zum Schluß auf Mike.
„Ich habe die Geschichte von ihm gehört. Gespräche unter Anglern. Er weiß sie von ihr: Geschwistergetuschel, sozusagen. Und sie hat es ja letztlich von dir selbst erzählt bekommen.“
„Ähm, stille Post, oder wie?“
„So kann man’s nennen. Aber allein die Tatsache, daß du meiner Tochter den Namen von deiner Bekanntschaft erzählt hast, sie dir aber offenbar nicht einen einzigen Namen ihrer Liebhaberinnen verraten hat, sagt doch schon Einiges aus.“




© by Turambar. Der Autor beansprucht sämtliche Rechte an dieser Geschichte. Das Runterladen zum privaten Gebrauch ist völlig in Ordnung. Was nicht in Ordnung ist, ist jegliche Vervielfältigung und Weitergabe. Das gilt auch für das WWW (man höre und staune: „Wie, Regeln gelten auch im Internet?!?“) Insbesondere bei Seiten, die nicht vollständig kostenfrei sind, wäre ich sauer. Wenn es tatsächlich jemanden in den Fingern juckt, die Texte noch woanders hochzuladen oder anderweitig zu veröffentlichen, bitte PN an mich. Man kann über alles reden.
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Turambar
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Mannheim


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  RE: Unter fremden Monden Datum:14.06.11 23:50 IP: gespeichert Moderator melden


6.

Auch wenn Mike durchaus überrumpelt und auch ein wenig sauer darüber war, was Claires Vater so alles wusste, und vor allem wie er mit diesem Wissen herauskam, so ganz unrecht hatte er eigentlich nicht. Er traf Sangita damals in Kolkata.

Eigentlich wollte er die Stadt in dem Moment wieder verlassen, als er hineinfuhr, aber daraus wurde letztlich ein Aufenthalt von fast vier Wochen. Keine der großen, indischen Metropolen, die er bisher auf seiner Reise gesehen hatte, war mit diesem pulsierenden Riesenhaufen vergleichbar, der eine zugleich abstoßende und mitreißende Atmosphäre besaß. Nirgendwo hatte er zuvor die unglaublichen Gegensätze dieser Welt so crass und gleichzeitig harmonisch miteinander wetteifern sehen. Verderben und Tod, Verwesung und Müll bildeten eine Einheit mit blühendem Leben, Farbenrausch, spiritueller Erleuchtung und grenzenloser Freude. Ließ man sich darauf ein, zog einen diese Stadt bald in ihren Bann, saugte einen in ihren Strudel, als wäre man süchtig.

In den ersten Tagen erkundete Mike die Stadt, besuchte Tempel und Sehenswürdigkeiten auf eigene Faust. Dabei war er meistens mit dem Motorrad unterwegs. Er kam nicht umhin feststellen zu müssen, daß es nicht einen brauchbaren Stadtplan gab. Überall wurde gebaut, nicht nur Häuser, Paläste und die unausweichlichen Slums, die um die Prachtbauten wucherten, sondern auch viele Straßen schienen sich von Tag zu Tag zu ändern. Neue Flyovers wurden aus dem Boden gestampft, alte abgerissen. Die Hälfte seiner Zeit verbrachte er damit, sich zu verfahren und mit der anschließenden, abenteuerlichen Suche nach einer Straße, die er kannte. Für gewöhnlich landete er dabei früher oder später in überfüllten Gegenden, wo kein Mensch englisch sprach, aber alle jederzeit lachend und begeistert auf Bengalisch auf ihn einredeten.

Indische Frauen faszinierten ihn, schon seit er den sonderbaren Subkontinent betreten hatte. Ihre natürliche Schönheit, die prachtvolle, bunte Kleidung; selbst die Ärmsten trugen stets etwas Farbenfrohes, wunderbar kompliziert Anzulegendes. Eine Europäerin in einem Sari wirkt normalerweise bestenfalls lächerlich, aber diesen Frauen stand es. Dazu gehörte eine unglaubliche Selbstverständlichkeit des Schön – Seins, eine Ausstrahlung, die gleichzeitig erotisch und zurückhaltend war.

In dem eher billigen Hotel, wo Mike seine Nächte (oder was davon übrig war) verbrachte, arbeitete Sangita als „Zimmermädchen“. Irgendwann hatte sich Mike angewöhnt, während der größten Hitze am Nachmittag auf seinem Bett im Hotel ein wenig zu dösen. Das Zimmer hatte keine Klimaanlage, nur einen großen Deckenventilator, der die stickige Hitze im Raum etwas umwälzte. Durch die geöffneten Fenster drang Straßenlärm, Staub und Gerüche hinein, während Mike in Boxershorts auf dem Bett lag, ein nasses T – Shirt über dem Gesicht und schwitzend döste.

Noch Jahre später assoziierte er mit großer Hitze immer das Geräusch des Ventilators (flapflapflapflap…), manchmal hörte er es sogar in seinen Gedanken, obwohl weit und breit kein solches Gerät lief.

Bei um die vierzig Grad Hitze ist es fast nicht mehr möglich, überrascht zu sein. Als Sangita unvermittelt im Zimmer auftauchte, um frische Handtücher und Bettwäsche zu bringen, war Mikes Körper zu keinem größeren Ausdruck der Verwunderung fähig, als die Augenbrauen etwas hochzuziehen. Anscheinend hatte er nicht daran gedacht, das entsprechende Schild herauszuhängen. Sangita allerdings war die Situation durchaus unangenehm. Sie begann sich zu entschuldigen, entschuldigte sich weiter und weiter, entschuldigte sich immer noch, als Mike sich endlich aufsetzen konnte, und die junge Inderin unterbrach.

„No problem, it was my fault. Just forgot to hang the card out. No need for apologize…”
“It’s never the guest’s fault, Sir, so I really, really…”
“Listen, please! You did not disturb me or anything. If you want, you may now do what you’re here for, or you may check another room first. I won’t mind.”
“Ok, Sir. I just – well, I was maybe just surprised seeing you on the bed and sleeping.”
“And nearly naked. I hope you weren’t offended.”
“Oh, no! For You this is allright. ‘Cos You’re a man, so…”
“Ah! That makes the difference. Babaree…”
“Babaree? You speak Bangla?”
“Caught some words in the streets, maybe. Not more than that.”
“Fantastic, really! I’m very proud you learned it.”
“What’s your name?”
“Sangita.”
“Bhalo, Sangita! Could you do me a favour?”

Mike ließ es langsam angehen.Ein paar Mal lud er sie zum Tee ein oder zum Essen, was sie stets höflich aber bestimmt ablehnte. Dabei lotete er vorsichtig ihre Situation aus. Sie war seit drei Jahren Witwe, hatte eine vier Jahre alte Tochter, lebte bei ihrer Mutter und ihren beiden Brüdern, die allesamt arbeitslos waren. Er bot ihr Geld an, dafür daß sie ihm ein bisschen die Stadt zeigte: Die kleinen Tempel und Märkte jenseits der Touristengebiete. Nach einigem Zögern ging sie darauf ein, nahm auch das Geld an. Jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, als er ihr auf dem Blumenmarkt eine Kette anfertigen ließ. Sie nahm das Geschenk an, verweigerte aber danach jeden Dollar oder Rupi, den er ihr anbot.

Das erste Mal schliefen sie in Mikes Hotelzimmer miteinander. Mike war überwältigt, wie sie so auf ihn eingehen konnte, ohne daß sie ihn kannte, trotz aller kultureller Unterschiede. Er bemerkte ihre Gier, bediente ihre Lust. Sie schien in der Nacht wie befreit zu sein, als fiele etwas von ihr ab, das sie lange belastet hatte. Nicht nur, daß sie Mike ein Gefühl wie im siebten Himmel bescherte, es war offensichtlich, daß es ihr kaum anders erging. Umso verblüffter war Mike, als sie danach zu weinen begann.

„What’s up, Sangita? What was wrong?“
“Nothing. You’ve been perfect, really.”
“So why d’you cry?”
“Don’t know.”
“You slept with me, so you can talk to me as well.”
“It’s just… Well, there hasn’t been any man for me, since my husband died.”
“Why?”
“Cos it’s not good. I should find a new husband, for me, for my daughter, but that’s very difficult. For a widow.”
“But you could date someone, maybe it’s not forever, but just having a man for a few months… Maybe better than nothing.”
“I’m not doing that. I’m not a whore, ok? No man will marry me anymore, if I go out with different lovers. That’s not possible.”
“But You just did it. Whith me.”
“And that is my problem. I feel ashamed. I know, I should not tell you, because it’s not your fault. But I shouldn’t have done it. I know, that you will soon fly back to Germany, I will stay and have to deal with my problems. I have to deal with not beeing able to find a husband, not earning enough money to send my daughter to a good college.”
“Ah, bullshit, Sangita. Noone knows, what we’ve done tonight. You’re such a beautiful woman, you’re young, you have a good job, you’ll be the perfect wife for every man!”
“But I am a widow. Men like virginal wifes, that’s the point. And about us: Maybe noone knows. But I do. That’s what counts in the end, Mike.”
“Holy Shit! You really shouldn’t blame yourself for living. No matter what you’ve done, if someone loves you.”
“Please don’t curse the gods. Cursing the gods means cursing yourself. Bad Karma, ok?”
“I’ll do some Poojah tomorrow, allright? You may advice me with it.”
“That’s not a joke, Mike. It’s part of my problem.”
“Are you religious?”
“Everyone is religious. For my part, I know the gods would not dislike me for making sex with you. But others may think different. My mother for example.”
“But she will never know.”
“Oh, yes! That’s easy talk for you. You can take your flight and leave this all behind. Nevermind your little indian romance. But I can’t. I’m bound here and live with the people among me, also with myself. That’s not so easy as you might think!”

Mike dachte an Claire. Fühlte er Schuld? In gewisser Weise schon, auch wenn er dadurch noch längst nicht in der Lage war, Sangitas Gefühle nachzuvollziehen. Sein Gewissen nagte, weil er seine Frau betrog, die er dennoch liebte. Er hoffte, daß Claire ihm diese Affäre verzeihen würde. Gleichzeitig aber traf er sich weiterhin mit Sangita, er schlief mit ihr und sie mit ihm. Sie hatten beide ein Problem damit, aber sie taten es trotzdem. „Ami tomar bhalobashi.“ Er hatte Sangita gefragt, was das hieße, sie hatte sich geweigert, es zu übersetzen. Er konnte es sich denken. Er hatte Angst, Angst um sich und um Claire, aber auch Angst um Sangita. Trotzdem machte er weiter, weil er sich irgendwie dazu gedrängt fühlte. Wie eine innere Stimme, die ihm immerzu einflüsterte, daß er das Richtige tue, daß es wichtig sei, daß es keine Rolle spiele, ob er nun zweimal oder zehnmal mit Sangite fyckte.

Am Ende waren es zwölf Male. Beim vorletzten Mal erzählte er Sangita von Claire. Nicht nur das, er erzählte ihr, wie sie ihre Tochter verloren hatten, warum er durch Indien fuhr, warum seine Frau nicht bei ihm war. Sangita hörte sich seine Geschichte kommentarlos an, während er auf dem Bauch lag. Er erzählte, sie massierte ihn. Als er verstummte, sagte sie immer noch kein Wort. Sie setzte die Massage fort, etwa zehn Minuten später stand sie auf und zog sich an.

„I’m sorry. You’re so silent, Sangita. I know, I should have told you before about my Wife, but…“
“Maybe for you it’s ok like this. For me, it is not. Same with your wife, Claire. You just told me, that I’ve robbed the husband of another woman. I don’t feel very well with this.”
“But that’s my fault.”
“No. Since you’ve told me, I’m feeling guilty. I have to feel guilty. I can’t change; I’ve to cope with it. Remember what I said some nights ago? What I refused to translate?”
“Ami tomar bhalobashi?”
“You mustn’t say it. I wish I didn’t say it, though. It means “I love You”. And I meant it.”

Zwei Tage später trafen sie sich zum letzten Mal. Zunächst lief alles ab wie gewohnt: Sie aßen zusammen, redeten und lachten, irgendwo im Maidan spielte eine Band, sie setzten sich dazu, ließen sich von den Klängen verzaubern. Anschließend schlichen sie sich in Mikes Hotelzimmer. Sangita zog sich aus, zog Mike aus und wusch ihn. Als er sie aber aufs Bett ziehen wollte, stieß sie ihn zurück. Sie zog den Gürtel aus Mikes Hose und und drückte ihm den Riemen in die Hand. Kommentarlos beugte sie sich über einen Sessel, präsentierte ihm dabei ihre Rückseite. Die Beine leicht gespreizt, die Knie durchgedrückt, stützte sie sich mit den Händen auf der Sitzfläche ab.

„What the hell are you doing, Sangita?“
Als sie kicherte, richteten sich die Haare auf Mikes Unterarmen auf.
„You really have no idea, what to do now, Mikey?“

“I don’t… You’re kidding, Sangita. I will not do that!”
“Why not? For me, this is normal. If I make a mistake, I receive punishment. Was like this with my husband and with my father before. Just give me some relief for cheating your wife, and I’ll be satisfied. After that, we can have some sex.”
“Are you making fun of it? Listen, I feel a little annoyed by this.”
“I’m not making fun. It’s serious. Cos I will feel better this way. And I think you feel the same way, don’t you?”
“No. No way. Why should I feel better by beating you up? That’s ridiculous.”
“Then just consider it as some playing. Just having some fun.
“Sort of weird play, though.”
“For you maybe. You starting now?”

Das tat er. Trotz brütender Hitze im Zimmer, obwohl ihm der Schweiß aus allen Poren trat, bildete sich Gänsehaut auf seinen Armen. Er hatte sich vorgenommen, ihr pro forma ein paar Mal mit dem Gürtel möglichst sanft über den Hintern zu streichen. Aber es kam anders. Über das, was er anfangs tat, ließ Sangita nur ein verächtliches Schnauben hören. Kurze Zeit später brauchte sie ihn nicht mehr weiter anzustacheln. Die Nackenhaare waren nicht das Einzige, was sich aufgerichtet hatte. Beflügelt von ihrem mehr lust – als schmerzvollen Quieken ließ er sich bald zu mehr hinreißen. Er entdeckte daß es ihm gefiel, wenn sie bei jedem Schlag zusammenzuckte, ihm gefiel das Zittern ihrer Oberschenkel und wie sie zischend die Luft zwischen den Zähnen herauspresste, wenn er sie besonders gut getroffen hatte. Als sich das Zittern über ihren ganzen Körper ausbreitete, hörte er auf.

Unter dem Flappen des Ventilators an der Zimmerdecke und den Augen eines nimmersatten Geckos an der Wand, der die Mückenpopulation im Raum in Grenzen hielt, fielen sie übereinander her. In dieser Nacht liebten sie sich so lange und intensiv, wie sie es bisher noch nie getan hatten. Ohne darüber nachzudenken griff er kräftig in ihre geröteten Pobacken. Sie stieß einen überraschten Schrei aus und nahm ihn im selben Moment so in sich auf, wie er es noch nie erlebt hatte.

Wenige Tage später saß er in einer Maschine der Air India, flog von Kolkata nach Mumbai und von dort weiter nach Frankfurt. Zurück nach hause, zurück zu Claire. Sangita würde er nicht wieder sehen. Er hatte ihr einige emails geschrieben, sowie zwei Briefe. Sie hatte nie geantwortet.





© by Turambar. Der Autor beansprucht sämtliche Rechte an dieser Geschichte. Das Runterladen zum privaten Gebrauch ist völlig in Ordnung. Was nicht in Ordnung ist, ist jegliche Vervielfältigung und Weitergabe. Das gilt auch für das WWW (man höre und staune: „Wie, Regeln gelten auch im Internet?!?“) Insbesondere bei Seiten, die nicht vollständig kostenfrei sind, wäre ich sauer. Wenn es tatsächlich jemanden in den Fingern juckt, die Texte noch woanders hochzuladen oder anderweitig zu veröffentlichen, bitte PN an mich. Man kann über alles reden.
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7.

Aus einer Laune heraus fuhr Mike auf dem Nachhauseweg beim Baumarkt vorbei, um einen Deckenventilator zu kaufen. Später balancierte er auf einer wackeligen Leiter im Schlafzimmer schräg über dem Bett, hantierte mit Bohrmaschine und Hammer, während Claire sich die Augen zuhielt.

„Diesmal wirst du dich umbringen, Mike! Als du das letzte Mal eine Lampe montiert hast, musste ich den Rettungsdienst holen. Ich hasse es, meinen Ex – Kollegen zuschauen zu müssen, wenn sie dich versorgen.“
„Keine Sorge, da passiert nichts. Diesmal ist die Sicherung aus. Sie ist doch aus, oder?“
„Ach du Scheyße!“
„Was?“
Claire kicherte nervös; als er um ein Haar das Gleichgewicht verlor, beeilte sie sich, ihn zu beruhigen.
„Natürlich ist sie aus. Auser geht nicht.“
„Siehste wohl!“

Die Leiter schwankte, Mike geriet ins Taumeln und der Bohrer ins Trudeln, verkantete sich und ein unschön großes Stück Putz brach aus der Decke. Während Bruchstücke auf die über das Bett gebreitete Plane rasselten, heulte die Bohrmaschiene verzweifelt auf, als Mike das Gerät erschrocken mit aller Kraft nach oben rammte, ohne dabei den Schalter für Betrieb loszulassen. Es knallte im Flur, die Maschine verstummte, das Flurlicht quittierte gleichzeitig den Dienst, als die Sicherung dort ebenfalls heraussprang. Mike ruderte wild mit den Armen; im nächsten Moment landete er auf dem Bett, dessen Rost mit einem unheilvollen Knacken nachgab.

Bis auf eine schmerzhafte Prellung am Schienbein, wo ihn die umstürzende Leiter getroffen hatte, blieb er unverletzt. Claire kühlte vorsichtig die Schwellung mit einem nassen Tuch, wobei sie immer wieder lachen musste.

„Ich hab’dich gewarnt, oder?“
„Mäkele sie nicht herum, sondern kühle sie die Wunde ihres Ritters, Weib!“
„Wenn du eine Bohrmaschine in die Hand nimmst, ist immer Ärger im Anflug. Also stell dich nicht so an, du wirst den blauen Fleck schon verkraften.“
„Ha! Welch Impertinenz! Sollte ich dir vielleicht auch den einen oder anderen blauen Fleck verpassen?“
„Du? Du kannst ja angeblich noch nicht mal aufstehen.“
„Dann schmier endlich von dem Diclo drauf. Das Einzige, was wirkt.“
„Diclo? Auf eine lächerliches, winziges Hämatom?“
„Ja, eins das ganz schlimm wehtut. Also gut, ich verspreche hiermit feierlich, nie wieder eine Borhmaschine anzurühren. Und was den dämlichen Ventilator betrifft: Wär‘ doch ein gutes Geschenk für Theo, oder was meinst du?“
„Hö? Wollten wir nicht einen Olivenbaum kaufen?“
„Ah, richtig. Vielleicht wär’s was für deinen Chef?“
„Huch, wie originell. Und so gar nicht exzentrisch. Ich mach dir `nen besseren Vorschlag. Wir laden Roland ein, und der schraubt das Ding so an die Decke, daß auch das Loch verschwindet. So, wenn ich noch weiter kühle, friert dein Bein ab. Wenn du mir immer noch den Hintern versohlen willst, musst du dann mal aufstehen.“
„Bin eigentlich nicht wirklich in Stimmung dafür.“
„Umso besser, ich nämlich auch nicht so ganz.“

Claire hätte sich mehr über eine Klimaanlage als über einen Ventilator gefreut. Trotz der offenen Fenster war es heiß im Schlafzimmer, so daß beide auf den Decken anstatt darunter lagen. Claire starrte das gezackte Loch in der Zimmerdecke an.

„Wir sind schon irgendwie arg merkwürdig, Mike. Sind wir abnormal?“
„Was? Wieso das denn? Ich finde uns ziemlich durchschnittlich.“
„Ach ja? Das könnte jetzt daran liegen, daß du nicht mit Keuschheitsgürtel rumläufst. Ich glaube, die meisten unserer Freunde und Bekannten würden uns für total pervers halten, wenn sie das wüssten.“
„Aber sie wissen es nicht.“
„Mein Vater ahnt etwas…“
„Egal. Der ist selbst wunderlich genug.“
„Und in den letzten Tagen hatte ich ab und an das Gefühl, daß meine Kollegen auf der Arbeit was gesehen haben.“
„Dann pass ein bisschen mehr mit deinen Klamotten auf.“
„Es geht nicht nur darum. Es fühlt sich einfach komisch an. Weil ich immer was verstecken muss. Das nervt. Und wegen den Parties jetzt am Wochenende, da würd‘ ich vielleicht…“
„Nönö! Kommt nicht in Frage. Was soll schon passieren? Außerdem bin ich ja dabei. Und ich werde unglaublich scharf sein, wenn wir nach hause kommen. Du wirst genauso spitz sein, und dann geht’s ab!“
„Das Fest von meinem Konzern wäre ja ok, das wird sowieso eher eine steife Sache. Aber bei Theo, das wird ein ziemlicher Spießrutenlauf.“
„Vielleicht lässt du’s einfach?“
„Was lassen?“
„Das Versteckspiel. Wir könnten uns outen. Und dann scheyß drauf, wer ein Problem damit hat, soll sich verpissen. Schert uns doch nicht. Und ganz ehrlich: Ich glaube den meisten wäre es sowas von egal.“
„Ohne mich! Ganz gruselige Vorstellung, wenn das jemand merkt, sterbe ich vor Scham!“
„Wie du meinst…“

„Und trotzdem. Manchmal ist es einfach… Weiß nicht, fühlt sich irgendwie schizophren an.“
„Wie, schizophren?“
„Weil einerseits bin ich die Claire, wie unsere Freunde und meine Kollegen mich kennen. Normal, nett, kaum verrückt, nur manchmal ein bisschen vergrämt, wegen Fehlgeburt, und weil ich keine Kinder mehr bekommen kann. Und auf der anderen Seite steh‘ ich auf so obskures Zeug, ich hab‘ Träume, in denen ich regelrecht gequält werde, und bin superglücklich, wenn ich das mit dir noch ausleben kann.“
„Ich finde nicht, daß das schizophren ist. Menschen sind so voller Wiedersprüche. Schau dir doch mal die ganzen Normalos in unserer Umgebung an, dann versuch dir vorzustellen, was die vor dir geheimhalten. Wahrscheinlich würdest du ne Menge ganz ähnliche Gedanken sehen, wenn du denen in den Kopf schauen könntest.“
„Kann sein.“
„Die meisten sträuben sich nur, das vor sich selbst einzugestehen. Andere tragen es exzessiv nach außen. Beides muss ja nicht sein. Ich glaube, so wie wir es machen, ist es schon ok. Und wenn jemand was merkt: Claire, es ist doch egal. Kein Mensch würde was dazu sagen. Da kannst du dich auf die Schamhaftigkeit deiner Mitmenschen verlassen. Ist es nicht das Entscheidende, wie du selbst dabei empfindest, und was du willst? Es geht doch auch niemanden was an, wie zum Beispiel Frau Raisch – Wickert ihren Sexualtrieb befriedigt.“
„Brrrrrrr! Jetzt hab‘ ich Angst.“
„Eben. Unsere Sexspiele gehen nur dich und mich an. Kaum jemand wird sich darüber das Maul zerreißen.“
„Oh, unterschätze nie den Tratsch! Die fünfte Gewalt einer jeden Gesellschaftsform.“
„Und wenn schon.“

„Mike?“
„Claire?“
„Hast du dir schonmal vorgestellt, jemand ganz anderes zu sein? Oder in einer ganz anderen Welt zu leben?“
„Klar. Als Kind sowieso. Aber Kinder leben immer in einer eigenen Welt. Außerdem hab‘ ich schon mal in einer ganz anderen Welt gelebt. Bei meiner Flucht nach Cassandras Tod.“
„Ne, so meine ich das nicht. Extremer. Ich meine, in eine wirklich ganz fremde Welt zu geraten, die Erde zu verlassen. So wie in den Büchern, die ich in meiner Kindheit gelesen habe. Alice im Wunderland, die Chroniken von Narnia, die Unendliche Geschichte…“
„Ich weiß nicht. Als Kind ist das doch ganz normal. So mit zwölf oder dreizehn habe ich manchmal wochenlang in solchen Welten gelebt. Als kleiner Hobbit, als Bastian Baltasar Bux, als Winnetou…“
„Howgh, mein grüner Bruder.“
„Aber diese Welten verblassen irgendwann. Auch wenn ich noch meinen Spaß an solchen Geschichten und Märchen haben kann, es ist nicht mehr so real wie früher. Und irgendwann ist das Fremdeste, das Außergewöhnlichste und Andersartigste, was man sich vorstellen kann, ein monatelanger Trip durch Indien. Aber ist es nicht genau das? Eintauchen in eine fremdartige, sonderbare Welt, voller Wunder und Mysterien. Manchmal habe ich mich in der Zeit wirklich wie ein Kind in einer Phantasiewelt gefühlt. Aber als Erwachsener muss man Träume in der Wirklichkeit suchen. Sonst bleiben es Träume, die dann einfach verschwinden.“
„Seh‘ ich anders. Bevor wir Cassandra verloren haben, war’s vielleicht so. Aber danach… Irgendwie gewinnt die Traumwelt mehr Bedeutung für mich. Mehr Substanz. Ich lebe in der Realität, ich mache meine Arbeit, verbringe mit dir meine Freizeit, aber dabei habe ich ständig das Gefühl, daß dahinter mehr ist. Manchmal kommt es stärker nach vorne, zum Beispiel, wenn ich den KG trage. Und das fühlt sich dann schizophren an. Als ob die feste, normale Wirklichkeit an den Rändern brüchig wird.“
„Weil du einfach mehr siehst, mehr wahrnimmst. Du hast eine starke Phantasie, die begleitet dich natürlich. Das ist so, wie die Sache mit den geheimen Gedanken der anderen Leute. Hinter der offensichtlichen Realität befinden sich bestimmt noch andere Wirklichkeiten. Weil jeder Mensch eine eigene Sichtweise auf die Dinge hat, und damit auch eine individuelle Wirklichkeit. Nur daß du vielleicht manchmal einen Teil davon durchschimmern siehst. Ist ja nichts Schlimmes.“




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Drittes Kapitel:
Zwei Feste



1.


Stress arbeitete sich durch dicke Luft. Was über die Woche liegen geblieben war, drängte am Freitag nachmittag in geballter Form auf Claire ein. Ein Haufen nervtötende Kleinigkeiten von der wiederspenstigen Art: Normalerweise eine Reihe von „mal – eben – schnell – erledigt“ – Geschichten, beanspruchte nun jede Aktion in etwa die dreifache Zeit, die an anderen Tagen dafür nötig gewesen wäre. Ein Phänomen des Freitags. An diesem speziellen Wochentag gab es wie immer nichts, das einfach mal eben funktionierte. Alles dauerte länger, alles ging irgendwie auch dreimal schief dabei. Je näher es auf den Feierabend und das Wochenende zuging, desto mehr Probleme tauchten auf, viele davon in Form von Kollegen, die noch ganz kurz eine dringende Kleinigkeit benötigten.

Der Kopf fühlt sich an wie eine aufgedunsene, schwammige Masse, die Augen sind irgendwie viel zu dick und groß für die von der Evolution für sie vorgesehenen Aussparungen im Gesichtsschädel. Die Leitfähigkeit der Neuronen in den Fingern ist stark vermindert; Ataxie spottet dem cerebral verkrampfenden Drang, einfachste Koordinationsaufgaben in zügigem Ablauf gelingen zu lassen. Vielleicht wurde aber auch nur die Tastatur des Rechners gegen eine Miniaturausgabe mit entsprechend kleineren Knöpfen ausgetauscht. Man muß schließlich mit jeder noch so abwegigen Sparmaßnahme rechnen.

Als Claire um kurz nach sechs die Laborräume hinter sich zuschloss, hätte sie am liebsten laut geschrien. Oder beim Passieren der Sicherheitsschleuse einen Molotov - Cocktail über die Schulter zwischen all die sündhaft teuren Geräte und Maschinen geschleudert. Sie hatte keinen Molotov – Cocktail, noch nicht mal ein bisschen TNT oder C4. Sie hatte nur einen Stapel mit Berichten und zwei dicke Hefter mit völlig aussageunkräftigen Statistiken. Damit ließ sich keine vernichtende Explosion auslösen, damit ließ sich noch nicht mal jemand erschlagen. Aber allein der Gedanke half ein wenig. Immerhin hatte sie es geschafft, dabei lediglich eineinhalb Überstunden benötigt, die sie nicht bezahlt bekommen würde. Was ihr einigermaßen egal war, das Gehalt an sich war gewissermaßen den Aufwand wert.

Die Tür zu VonBosstejn Büro stand offen. Claire spielte mit dem Gedanken, sich vorsichtig zurückzuziehen, und die Unterlagen in das Fach ihres Chefs zu legen, das sich am anderen Ende des Korridors befand. Jetzt noch in ein Gespräch verwickelt zu werden, war so ziemlich das Letzte, worauf sie Lust hatte. Sie wollte nach hause, vor allem wollte sie zu Mike, dem Geheimniskrämer, dem verfluchten. Vorsichtig spähte sie ins Halbdunkel des Büros ihres Chefs und stellte fest, dass es verwaist war. Sie schüttelte ungläubig den Kopf; was immer dieser Mann treiben mochte, es war wohl nicht unbedingt vernünftig, die Tür zum Allerheiligsten so einladend offen zu lassen. Von einem Block auf VonBosstejns Schreibtisch stibitzte Claire einen Zettel. Sie zog einen eigenen Kugelschreiber aus der Tasche, um ihm eine kurze Nachricht zu hinterlassen, die sie gut sichtbar auf den Akten platzierte. Quasi im nächsten Moment war sie bereits auf und davon.

Mittlerweile hatte die Werkstatt auch den Polo wieder auf Vordermann gebracht, so blieb ihr immerhin die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln erspart. Außerdem saß Mike in dem unklimatisierten Kleinwagen, Claire hatte er den BMW überlassen. Dafür spannte er sie seit nunmehr zwei Tagen mit dieser zweifelhaften Überraschung auf die Folter. Natürlich versuchte Claire, ihm irgendwelche Infos zu entlocken, was er da für sie bereithielte. Mit einem halb spöttischen, halb mitleidigem Grinsen blockte er regelmäßig und enervierend ab. Nur auf die Frage, ob sie sich darauf freuen oder davor fürchten solle, hatte er ihr nahegelegt, beides zu gleichen Teilen zu tun.

Die Tragepause von Freitagabend bis Samstag nachmittag konnte wohl kaum die angekündigte Überraschung sein. Eine Wohltat war es trotzdem, wenn auch eine beinahe als zweifelhaft empfundene. Immerhin hatte Claire fast schon ein schlechtes Gewissen, neben der Gewissheit, dass noch etwas auf sie wartete, auf das sie sich zugleich freuen und sich davor fürchten sollte.

Vormittags schwitzten sie im Gewächshaus eines Gartencenters, wo sie auf der Suche nach einem hübschen, kleinen Olivenbäumchen waren. Die gab es in verschiedenen Größen, von sehr teuer bis ganz unglaublich teuer. Mike schien vor den Bäumchen mit den kleinen, mattgrünen Blättern zu meditieren, sein Gesicht war geprägt von abwesendem Blick und kleinen Schweißperlen auf den Schläfen. Claire hingegen hatte im Grunde genommen schon eine Entscheidung getroffen, den Baum betreffend. Weil Mike den Anschein machte, als wolle er es in dem Treibhaus den Oliven gleich tun und festwachsen, griff sich Claire seinen Arm, und zog ein bisschen daran.

„Mike? Schläfst du?
„Nö.“
“Also was ist jetzt? Nehmen wir den da?”
„We want: A Shrubbery!“
„No! Not the knights who say Ni!“

Zwei Großmütterchen mit blaugefärbten Haaren, die in dem Moment einen Wagen mit Hortensien vorbeischoben, schüttelten die Köpfe und dicken Kinnfalten und zogen mißbilligend die Nasen kraus. Nichts wie weg von dem verrückten Pärchen; was bitte gab es hier in einem gesitteten Gartencenter laut zu lachen? Mike befreite sich von Claires Händen, lief den zeternden Frauen ein paar Schritte hinterher, wobei er sie mit einigen furchtbaren „Ni!“ – Rufen vor sich her scheuchte.

Es war diese andauernde Hitze, die alle Leute verrückt machte. Normalerweise brauchten sie für die Fahrt vom Gartencenter nach Hause kaum zehn Minuten, an diesem Tag dauerte sie fast eine halbe Stunde inclusive zwei Beinahe – Unfällen mit einem Kieslaster und einem Radfahrer. Claire sehnte sich nach Abkühlung: Ein Gewitter, Fünf Tage Dauerregen, Sturm und Hagelschauer, Graupel… am besten dazu ein paar Schneeverwehungen. Umso unverständlicher erschien ihr Mikes beste Idee des Tages: Eine Joggingrunde um dreizehn Uhr, zur Zeit der größten Hitze und der absurdesten Ozon – Werte. Darauf konnte sie verzichten.

Lieber döste sie im Bikini auf einer Liege im Garten. Einen Sonnenschirm brauchte sie nicht, weil hohe, eintönig graue Wolken die Sonne verschleierten. Kein Lufthauch regte sich. Auch unter der Bewölkung dräute Hitze, schnell klebte alles an Claires Körper, so dass sie sich nach drinnen auf die Couch legte. Ein wenig besser war es dort, aber keine wirkliche Erleichterung. Theoretisch wäre es wohl das Beste gewesen, die Liege in den Keller zu stellen, dort unten war es immerhin ein paar Grad kühler. Aber es blieb bei der Theorie. Die Maxime für den Nachmittag besagte konsequente Untättigkeit.

Irgendwie hatte sich Claires Hand vom Verstand gelöst, um sich auf eine selbstgesteuerte Erkundungstour in einen Bereich zu begeben, der nach Berührung lechzte. Diesmal verwehrte kein unnachgiebiges Metall den Zugriff. Es war nicht so, dass die Berührung unter erotischen Hintergedanken erfolgte. Es war einfach ein gutes Gefühl. Ein bisschen reiben, ein bisschen Zwicken und Kratzen; die kurze Kontrolle, ob das Lustknöpfchen noch da war. Ein Gefühl von lässiger Freiheit nach Tagen des Eingeschränkt – Seins breitete sich aus.

Kurz bevor sich harmlose Berührungen zu etwas entwickeln konnten, was in eine andere Richtung ging, nahm Claire ihren Willen zusammen, zog die Hände zurück und verschränkte sie hinter dem Kopf. Abwarten. Ein bisschen Vorfreude, ein bisschen Angst vor Mikes Überraschung waren es wert, noch zu warten. In der pappigen, heißen Luft ließ sich sowieso nicht viel Wirkungsvolles ausrichten.

Halbschlaf verschaffte ihr Wachträume voller wirrer Gedanken und seltsamer Phantasien. Ein großer Teil des Reizes ihres Spiels bedeutete für sie genau diese – zumindest teilweise – erzwungene Einschränkung. Nicht nur was das Ausüben sexueller Handlungen betraf. Es waren ganz einfache Dinge, wie ein leichtes Jucken, das sie nicht bekämpfen konnte. Daß sie Teile ihres eigenen Fleisches garnicht oder nur sehr eingeschränkt berühren konnte. Somit wurde ihr Körper der eigenen Kontrolle entzogen, was hundsgemein, perfide, erniedrigend und dabei so unglaublich spannend und aufregend war. Erotisch aufregend auch, aber genau genommen war es mehr als das.

Aber alles war nur ein Spiel. Was sich dahinter abspielte, in ihrer Phantasie, ging häufig weit darüber hinaus. Einiges davon hatte sie Mike erzählt, aber längst nicht alles. Als Mike schweißüberströmt von seiner Joggingrunde zurückkehrte, war Claire mit der Vorstellung beschäftigt, wie es sein musste, die Kontrolle völlig entzogen zu bekommen. Wie gewöhnlich war die Vorstellung intensiv, schillernd bunt und beinhaltete keinerlei Notschlüssel, kein Nachgeben eines vernunftbegabten Schlüsselherrn, kein Erbarmen und keine Gnade für die arme Claire. Als Vorstellung nahm sich das so lebhaft und extatisch an, und für die Wirklichkeit gab es in dieser Phantasie keinen Platz. Oder aber jene brutalen, erbarmungslosen Teile dieser Wünsche machten gerade den reizvollsten Teil des ganzen Tagtraumes aus.

„Claire?“
„Hm?“
„Schläfst du?“
„Glaub‘ ich nicht. Zu warm.“
„Hör mal, ich geh eben schnell duschen. Willst du auch?“
„Was wollen? Ein Eis? Klar! Mit viel frischen Erdbeeren, bitte!“
„Duschen. Wenn wir um fünf bei Theo sein wollen…“
„Was? Schon so spät?“
„Halb drei.“

Nachdem Claire geduscht hatte, war es kurz nach vier. Großartig ins Zeug schmeißen musste sie sich nicht, Theo Lins war eher ein legerer Typ, ebenso wie die meisten von Mikes Freunden und Kollegen. Auf einer Grillparty im Abendkleid aufzutauchen wäre schlichtweg die Lachnummer. Blieb noch die Frage ob Jeans und Top oder ein leichtes Kleid für den Abend die bessere Lösung wären. Als sie merkte, dass Mike hinter ihr stand, wollte sie ihm zu gerne mit eben dieser Frage auf die Nerven gehen. Obwohl sie seine Antwort kannte. Bevor sie aber etwas sagen konnte, legte sich seine große, warme Hand auf ihren Mund. Sie schluckte die Worte hinunter.

„Bleib einfach stehen. Sag nichts, und dreh dich nicht um.“
Claire gehorchte der Anweisung, derweil es in ihrem Bauch leicht zu Kribbeln begann. Über ihre Augen legte sich ein schwarzes Samttuch, welches sogleich straff gezogen und hinter dem Kopf verknotet wurde. Einen Moment rechnete sie mit einem Knebel, also öffnete sie leicht die Lippen. Aber stattdessen hörte sie nur wieder Mikes ruhige, sanfte Stimme.

„Lass dich führen. Ich möchte, dass du dich aufs Bett legst. Ich möchte nicht, dass du dir am Bettpfosten die Schienbeine blutig schlägst. Und nicht sprechen!“

Hände auf ihren Schultern, die sie eigentlich nicht gebraucht hätte. Die paar Schritte bis zum Bett hätte sie auch blind alleine gefunden. Er aber führte sie um das Bett herum, so daß sie sich auf der anderen Seite hinlegen konnte. Er führte sie, langsam und mit Nachdruck, steuerte ihre Bewegungen, leitete ihr Becken in die Sitzposition, dann legte er sie auf den Rücken. Sie spürte Hände auf ihren Füßen, auf den Unterschenkeln und den Knien. Ihre Beine wurden sanft und doch bestimmt in eine ganz bestimmte Position gebracht, in der sie ihm besonders offen, besonders zugänglich war.





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2.

Kurze Zeit später machte er sich an ihrer Spalte zu schaffen, massierte sanft ihre Klitoris, bis er ein ausreichend humides Milieu hergestellt hatte. Claire entspannte sich, ließ sich fallen, leckte sich lasziv die Lippen.

„Was meinst du, was jetzt nasser ist: Deine Muschi oder dein Mund?“
„Je nach dem… Find’s doch einfach `raus.“
„Hab‘ ich nicht vor.“

Ein ungutes Gefühl beschlich Claire, als die Liebkosungen ihres Lustzentrums plötzlich eingestellt wurden.
„Sag mal: Aaaah!“
Während Claire ihren Mund öffnete, wirbelten in Sekundenbruchteilen Gedanken und Erwartungen durch ihr Gehirn; In der Schwärze unter ihrer Augenbinde tanzte das Bild von Mikes errigiertem Freudenspender vorbei, vielleicht hatte sie aber auch mit einem Knebel zu rechnen. Oder etwas zu essen? Fruchtige Süßigkeiten, eine brandheiße Chillischote oder Zitroneneis?

Es fühlte sich im ersten Moment wie ein Knebel an. Jedenfalls schmeckte es leicht nach Gummi, also keine scharfe Zungefolter und leider auch kein Eis am Stiel. Das Ding war recht groß, unregelmäßig gewellt und geriffelt und leicht elastisch. Die Grundform, die sie mit Lippen und Zunge ertastete, erzeugte ein ziemlich skurriles Bild in ihrem Kopf: Ei am Stiel.
„Mach‘ es nur richtig gut nass, Füchsin!“

Das suffizient befeuchtete Ei am Stiel verschwand aus Claires Mund, um im nächsten Moment den Weg in ihre Scheide zu finden. Genüßlich langsam, unter drehenden, mäandernden Bewegungen schob sich der Korpus in sie hinein, wobei Wellen von kribbelnder Hitze von ihrem Becken aus den Rücken hinaufjagten. Als das Spielzeug seine endgültige Position erreicht hatte, schlossen Mikes Hände ihre Oberschenkel, führten ihre Füße aus dem Bett und legten sich sanft um ihre Handgelenke.

„Ich möchte, daß du jetzt aufstehst. Und untersteh dich, ihn rausrutschen zu lassen!“

Mit kontrahierter Beckenbodenmuskulatur stand sie in ihrer Dunkelheit irgendwo neben dem Bett, erregt und gespannt wie ein Flitzbogen. Als sie ein vertrautes Klicken hörte, ein wohlbekannter Druck sich um ihre Taille legte, setzte sich das Puzzle in ihrem Kopf zusammen. Von einem Moment zum nächsten waren Erregung und wohlige Lüsternheit wie weggeblasen. Der Torwächter wurde fest über ihre intimen Öffnungen gelegt, das Schloß rastete ein; Claire hielt die Luft an. Sie war sich ziemlich sicher, daß dies eine der Phantasien war, die sie Mike (noch) nie offenbart hatte. Nicht nur eine Verweigerung des Zugangs, sondern auch des Ausgangs; in der Vorstellung nahm sich das durchaus verführerisch an, aber in der Realität? Während einer Grillparty?

„Ähm, Mike?“
„Ist was?“
„Bist du übergeschnappt? Drehst du jetzt völlig durch?“

Die Augenbinde verschwand, Claire blinzelte in den hellen Sonnenstrahlen, die das gemütliche Schlafzimmer fluteten. Mike stand vor ihr, runzelte die Stirn und sah ihr einigermaßen ernst in die Augen.
„Also ich fühl‘ mich eigentlich ganz nüchtern. Die Frage ist, ob du dich in ein paar Stunden auch noch einigermaßen beieinander fühlst, oder ob du ausflippst.“
„Mike, wie soll ich…“
Bevor sie aussprechen konnte, legte er ihr den Zeigefinger auf die Lippen.

„Psssss… Ich möchte, daß du mitspielst, Fähe. Ich möchte daß du voll auf deine Kosten kommst, damit ich auch meinen Spaß habe. Ich kann mir sehr wohl vorstellen, daß es für sich ein zweifelhafter Spaß wird, eben wegen dem Umfeld. Aber schau mal: Es läuft nicht immer so, wie du es dir in deinen tollen Träumen ausmalst. Das ist kein Traum, das ist die Wirkllichkeit. Da spielst du nicht alleine, sondern ich spiele auch noch mit. Darum laufen die Dinge halt ein bisschen anders. Überraschend anders sozusagen. Um herauszufinden, wie sich die Wirklichkeit anfühlt, musst du die Kontrolle abgeben, du musst dich auch auf Unvorhergesehenes einlassen. Sonst funktioniert es nicht. Das ist der Preis.“
„Du bist ein verdammter Saukerl, Mike! Was soll das Geschwätz? Wir gehen zu einer Grillparty, nicht auf eine Erotik – Messe. Das wird ein Spießrutenlauf für mich!“
„Stimmt. Da musst du durch, wenn du was erleben willst. Du weißt, daß ich den Schlüssel mitnehmen werde. Du weißt, daß du jederzeit den Rückzug antreten kannst. Ich bin auch nicht sauer, wenn du es abbrichst. Aber ich will, daß du es versuchst. Und ich wünsche mir sehr, daß du es durchziehst. Weil es eben auch mein Spiel ist.“
„Ehrlich gesagt…“
„Claire, sag bitte jetzt gar nichts mehr. Oder du sagst klipp und klar, daß du die Sache hier beendest. Dann machen wir uns einfach nur einen schönen Abend. Nicht außergewöhnlich schön, sondern einfach nur schön. Klar soweit?“
Claire sagte keinen Ton, nahm sich aber vor, die nächste Zeit ein bisschen zu schmollen.

Am Anfang hatte sie tatsächlich das Gefühl, durchzudrehen. Eine Zeitlang fühlte sie sich geradezu beschyssen, das Ding in ihr war einfach nur ätzend lästig. Wenn Mike sich nicht so vorbildlich um sie gekümmert hätte, sich nicht ständig in ihrer Nähe aufgehalten, den Arm um sie gelegt und diskret mit Blicken und Berührungen beruhigt hätte, wäre sie nach einer halben Stunde mit dem Schlüssel auf der Toilette verschwunden. Alles in allem kostete es schmerzhaft viel Überwindung, in dieser Phase nicht aufzugeben. Weil sie an nichts anderes denken konnte, als an das, was in ihr steckte, war sie kaum in der Lage, an der Party aktiv teilzunehmen. Gleichwohl war sie nervös, hibbelig und aufgeregt angesichts all der Leute um sich herum; Freunde und Bekannte, denen sie auf Ansprache mechanische Antworten gab, ohne sich wirklich auf ein Gespräch konzentrieren zu können.

Sie klammerte sich an Mike, der Sicherheit ausstrahlte, ihr Ruhe und Schutz vermittelte, während er Bekannte begrüßte, mit Freunden anstieß, hier und da über Alltägliches plauderte. Er wirkte so angenehm gelöst und normal wie immer, nur Claire spürte seine innere, verborgene Anspannung. In seinen Gedanken war er völlig bei ihr, und das hob ihre Stimmung ganz gewaltig. Gut gekühlter Weißwein tat ein übriges. Langsam legten sich die bedrohlichen Schwingungen, und Claire wurde selbstbewusster. Nach und nach gelang es ihr immer besser, sich mit ihrer ungewöhnlichen Situation arrangieren.

Stets präsent blieb dabei allerdings ein dumpf prickelnder Druck, welchen sie jedoch immer weniger als unangenehm oder peinigend empfand. Mit der Zeit entwickelte sich daraus dann eine eigentümliche, intensive Körperlichkeit. So als wären alle ihre Sinne massiv geschärft, vor allem ihre Haut schien verstärkt empfindlich für Wahrnehmungen zu sein. Sinnlichkeit auf allen Ebenen. Dem Alkohol gelang es nicht, dieses besondere Gefühl verschwinden zu lassen oder ihre Konzentration zu stören. Dafür verlieh der Wein ihr Gelassenheit, sowie das Selbstvertrauen, sich auf die Situation einzulassen und ihren Spaß zu haben.




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3.

Die Gesellschaft bestand aus etwa zwanzig Personen, die sich größtenteils in Theos Garten versammelt hatten. Auf der Terasse waren Bierbänke aufgebaut, auf dem Rasen ein großer Grill, der von Theos Sohn bedient wurde. Die meisten Leute standen auf der Terasse und auf dem Rasen herum, die Bänke waren noch weitestgehend leer und verwaist. Dafür war eine Sitzgruppe von einigen gemütlichen Korbsesseln belegt. Claire erkannte Theos Frau und zwei weitere gute Freundinnen, die sich angeregt über die letzten moralischen Fehltritte der politischen Prominenz unterhielten. Sie ließ Mike beim Grill stehen, nachdem sie ihm und seinen beiden Kollegen Sekt geholt hatte, um sich zu der „Damenrunde“ zu gesellen, wo sie erfreut begrüßt wurde. Theos Frau Karo bot ihr an, ihr einen Stuhl aus dem Haus zu holen, was Claire aber dankend ablehnte. Vorerst blieb sie lieber stehen. Der Gedanke, sitzen zu müssen, gruselte sie ein wenig.

Im Stehen genoß sie ein weiteres Glas Weißwein, beteiligte sich an der Unterhaltung, lachte, lästerte und tratschte mit den Anderen. Dabei begann ihr das Gefühl zu gefallen, ein verborgenes, erregendes Geheimnis mit sich zu tragen, von dem nur sie Kenntnis hatte. Gegenüber den Unwissenden und Ausgeschlossenen empfand sie sich erhaben.

Als sie sich zum Essen zwischen Mike und eine ältere Frau, die sie kaum kannte, auf die Bank quetschte, stellte sie fest, daß es weniger unangenehm war zu sitzen, als sie befürchtet hatte. Von den fettschwangeren Fleischbergen, die der Grillmeister auf die Tafel verfrachtete, aß sie nur wenig, dafür griff sie bei den Salaten und dem gegrillten Gemüse zu. Natürlich sparte sie auch weiterhin nicht am Wein.

Joaquin Hernandez war ein ehemaliger Kollege von Mike und Theo, der mittlerweile als Dozent für theoretische Physik an der Uni in Karlsruhe arbeitete. Ein durchaus nachvollziehbarer Schnitt für einen Lehrer, der mit seinem Wisssen jeden Siebt – oder Achtklässler hoffnungslos überfordert hatte, und seinerseits komplett mit der Ablehnung der Schüler überfordert gewesen war. Vom Essen war nicht viel übrig, als Joaquin bei Theo einlief. Dafür nahm er kaum eingetroffen mIke in Beschlag. Es dauerte nicht lange, da fanden sich die beiden im Obergeschoß des Hauses wieder, stellten sich Stühle auf den Balkon und bewaffneten sich mit Grappa und Zigarren.

Sie sangen im Duett das alte Lied: Der Geisteswissenschaftler und der Naturwissenschaftler, die akribisch nach einem Weg suchten, ihre jeweiligen Fachgebiete in einer universalen Theorie in Einklang zu bringen. Weil jeder Zuhörer eines solchen Gespräches spätestens nach fünf Minuten entweder dem Wahnsinn verfallen, oder aber an Langeweile verstorben wäre, empfahl sich ein Rückzug in einen weniger belebten Bereich. Für einige Zeit vergaß Mike Theos Party, vergaß, daß er versprochen hatte, keinen Alkohol zu trinken und vergaß sogar vorübergehend Claire. Das Zimmer in ihrem Rücken versank in Dunkelheit, während der Horizont noch von der untergegangenen Sonne nachglühte. Im Schatten glühten gelegentlich zwei Zigarren auf.

„Das ist ja das Schöne an der reinen Theorie. Sie macht alles möglich. Du kannst dir nicht nur jeden Unfug ausdenken, du kannst es sogar beweisen. Mathematisch, meine ich. Wenn du es geschickt anstellst, kannst du ausrechnen, daß wir uns jetzt, in diesem Augenblick zeitgleich zum Urknall befinden.“
„Warum auch nicht? Zeit ist ja bekanntlich eine von der Wahrnehmung abhängige Größe.“
„Aber nicht in der Physik. Auch wenn Zeit sehr relativ ist, sich zum Beispiel im Umfeld massereicher Objekte mit dem Raum krümmt. Das ist ja auch nicht einfach nur Theorie, im Einflußbereich schwarzer Löcher oder massereicher Sterne ist das nachgewiesen. Man kann es messen. Das, wovon ich rede, ist aber nicht messbar. Es ist beweisbar, aber niemals nachweisbar. Und hier kommst du ins Spiel. Denn da bewegen wir Physiker uns in einem Bereich, den wir zwar schon mathematisch darstellen und berechnen können, aber es fehlt völlig das Verständnis. Ich bin immer wieder unzufrieden. Da hat ein Kollege eine wirklich hervorragende Arbeit abgeliefert, messerscharf, absolut logisch und stichhaltig. Es ging genau um diese Sache der Gleichzeitigkeit. Irgendwann unterhalte ich mich mit dem Typen, und stelle ihm die Frage, was das denn nun bedeutet, was sozusagen die Exegese seiner Arbeit wäre. Du kannst dir denken, er starrt mich einfach nur mit großen Augen an, als hätte er gerade einen Geist gesehen. Oder einen Geisteswissenschaftler. Für viele Physiker gibt es da nämlich keinen Unterschied. Dann fängt er an, mir irgendwelche Quantengleichungen runterzurattern, also genau das Zeug, was in seiner Arbeit steht. Er hat noch nicht mal verstanden, was ich von ihm wollte. Das ist das Problem, Mike. Für solche Leute ist die Physik eine Sackgasse. Sie können es ausrechnen, aber begreifen können sie es nicht.“

„Schon möglich. Wobei du dann das Gegenbeispiel ist. Aber mich wundert gar nichts mehr. Mit uns Philologen ist es doch nicht anders. Sobald da die Naturwissenschaft ins Spiel kommt, schalten die meisten ab. Dabei wäre da der Austausch ein Gewinn für beide Seiten.“
„Eben.“
„Manchmal frage ich mich, wie sich das so separiert hat. Zur Blütezeit des Hellenismus gehörten Mathematik, also Geometrie und Philosophie unmittelbar zusammen.“
„Ha! Und Sport!“
„Haargenau. Mir ist zwar nicht klar, wie du jetzt zu der Assotiation kommst, aber bitte…“
„Du weißt es sicher besser als ich, aber war es nicht in vielen alten Hochkulturen so? Perser, Römer, Chinesen, Maya, Ägypter…“
„Naja, in gewisser Weise bestimmt. Vordringlich ging es dort aber oft um die Verbindung von Spiritualität und Naturwissenschaft. Erstaunlicherweise kannst du da fast überall ähnliche Beobachtungen machen. Meistens entspringen die ersten Ansäzte von Geometrie und Mathematik aus der Beobachtung der Sterne und der Sonne. Auch die Kelten konnten da so einiges berechnen, sofern sich das aus der Analyse der alten Kultstätten schließen lässt.“
„Ah, Stonehenge zum Beispiel?“
„Ich dachte jetzt eher an sowas wie das Menhirfeld in Carnac. Interessant ist in dem Zusammenhang, daß solche Orte mit eindeutig naturwissenschaftlicher, mathematischer Struktur eine immense spirituelle Bedeutung hatten. Wenn man dann davon ausgeht, daß sich eine Religion nicht nur auf feststehende Doktrien beruft, sondern einen eher philosophischen Charakter hat, wie recht viele alte Naturreligionen, dann hast du da einen Zusammenhang, eine Coexistenz, die uns heute oft fehlt.“
„Wenn du damit sagen willst, daß diese untergegangenen Kulturen und Gesellschaftsformen unserer heutigen Kultur überlegen sind…“
„Sagen will ich es nicht, weil sonst hätte ich es gesagt.“
„Dann vielleicht andeuten.“
„Wir verstehen uns.“

„Du hast von dieser Arbeit von dem Kollegen erzählt, Joe. Das mit der Gleichzeitigkeit. Dabei fällt mir auf, daß es bei den Urvölkern, von denen wie es eben hatten, ja oft genau darum ging: Zeit. Zeitmessung, Sonnenzyklen, Mondphasen, deren Einfluß auf Wetter, Ernte und Fruchtbarkeit.“
„Redest du jetzt von Sex?“
„Reden Menschen jemals von etwas anderem?“
„Noch Grappa?“
„Ich passe. Muss nachher noch irgendwie den Wagen nach hause bekommen.“
„Dein Pech.“

„Glaubst du, daß du mir den Inhalt dieser Arbeit über Gleichzietigkeit so erklären kannst, daß ich es verstehe?“
„Nein. Aber ich kann dir das erklären, woran der entsprechende Kollege gedanklich gescheitert ist. Also das hintergründige Verständnis seiner Theorie.“
„Und los!“
„Ich versuch’s mal kurz und knapp: Wenn sich alles im Universum mit unendlicher Geschwindigkeit bewegt, bedeutet das die absolute Gleichzeitigkeit des Seins. Also auch daß Jetzt zeitgleich zum Urknall ist.“
„Oh. Na, das klingt doch ziemlich simpel. Folglich könnte man ja aber auch an jedem beliebigen Ort und zu jeder beliebigen Zeit sein? Also wäre der ganze lamoynte Ablauf des Lebens hier mehr so etwas wie eine Illusion?“
„Ach was. Das ist eben der Unterschied. Das ganze ist nicht mehr als eine theoretische Möglichkeit. Zwar mathematisch beweisbar, aber eben nicht zutreffend.“
„Was macht dich da so sicher?“
„Die Zerfallsraten von Caesiumkernen zum Beispiel. Oder der Punkt, daß unendliche Geschwindigkeit nur ein sehr instabiles Theorem ist.“
„Das heißt also, daß unendliche Geschwindigkeit nicht gleich der Lichtgeschwindigkeit wäre?“
„Was? Um Himmels Willen! Lichtgeschwindigkeit ist durchaus begrenzt. 299792458 Meter pro Sekunde im Vakuum, um genau zu sein. Und es ist auch nicht möglich, einen Körper auf diese Geschwindigkeit zu beschleunigen.“
„Wenn ich mich also mit Lichtgeschwindigkeit bewege, wäre ich nicht überall gleichzeitig?“
„Nö. Von der Sonne hierher würdest du zum Beispiel so ungefähr acht Sekunden brauchen. Wenn du ein Photon wärst.“
„Was soll dannd er ganze Quatsch mit den Zeitreisen?“
„Das ist dann wieder die Theorie. Und dann wird es ernsthaft interessant, aber der Bereich ist eben für einen Physiker nicht mehr wirklich nachvollziehbar. Deswegen war ja die Arbeit, von der ich sprach, so gut. Der Kollege hat sich eigentlich darin selbst ad absurdum geführt, und er hat es auf eine naturwissenschaftlich astreine Art und Weise getan. Stell dir einfach mal vor, irgendetwas braucht für die Strecke von der Sonne hierher nur zwei Sekunden. Immernoch vergeht Zeit, aber aus unserer recht eingeschränkten, menschlich – naturwissenschaftlichen Perspektive vergeht diese Zeit quasi negativ. Solche Ideen können wir eigentlich nur philosophisch angehen, weil unsere Mathematik, unsere ganzen Naturgesetze da nicht mehr anwendbar sind.“
„Als wäre die Kapazität der naturwissenschaftlichen Betrachtung abhängig von der geistigen Kapazität des Menschen.“
„So in etwa.“

Als im Zimmer jenseits des Balkons das Licht anging, fühlte es sich für Mike an, als fiele er aus einer Schwebeposition etwa zwanzig Zentimeter oberhalb des Stuhles unsanft zurück auf den kalten Boden der Realität. Claires Stimme kam ihm etwas schrill und schwammig vor.

„Mike? Mike! Hier steckst du. Was ist los? Findet hier ein konspiratives Treffen statt? Alle Welt sucht nach dir. Theo steht kurz davor, eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Nur um Haaresbreite konnte ich ihn davon abbringen, die Polizei zu rufen.“
„Und dafür schickt er dich auf die Pirsch, Füchsin? Sowas…“
„Ich fühl‘ mich ein bisschen vernachlässigt. Wir haben im Garten die Tische weggeräumt, die Tanzfläche ist frei. Also wie sieht’s aus, Grand Loup?“
„Hej, das ist meine erste Zigarre seit gefühlten zweihundert Jahren.“
„Ich seh’s. Du solltest dich schämen.“
„Das werde ich tun, ich versprech’s. Aber erst, wenn ich sie fertig geraucht habe.“

Joaquin erhob sich, streckte die Glieder und ließ seine Gelenke knacken.
„Dann pass mal auf meine auf, während ich meinen Wasserhaushalt reguliere. Nicht, daß Claire sie in einem Zug wegraucht.“
Die Geschmähte nahm die Gelegenheit wahr, sich leicht unbeholfen auf Mikes Schoß fallen zu lassen. Mike stellte erneut fest, daß sie beinahe ein wenig lallte, als sie Joaquin ein paar Nettigkeiten hinterherrief.

„Bist du betrunken, Claire?“
„Ach, woher. Ein bisschen beschwipst.“
„Du wirkst ganz schön aufgedreht.“
„Echt jetzt? Dreimal darft du raten, woran das liegt.“
„Ich glaube du brauchst ein bisschen Zuwendung.“
„Auf jeden Fall. Es drückt mich ganz schön, könnte man sagen. Ein bisschen schmerzhaft mittlerweile, aber ausgesprochen geil.“
„Geil?“
„Ja, geil. Ich bin geil und ich fühle mich geil.“
„Geile Sache.“
„Also was ist? Kommst du mit runter, oder soll ich mit Rudy tanzen?“
„Was? Mit Rudy? Du musst ja echt verzweifelt sein.“
„Was denkst du denn? Ich gebe dir genau zwanzig Minuten. Rudy und Maren sind gerade erst gekommen. Ich quatsche jetzt noch ein bisschen mit Maren, mach noch eine Flasche Wein auf, und dann schlepp ich entweder sie oder ihren Freund ab, wenn du nicht da bist.“
„Na, viel Spaß dabei. Das mit dem Abschleppen dürfte für dich eine recht einseitige Sache werden.“
„Arschloch!“
„Ich komme in zwanzig Minuten!“

Beschwingt begab sich Claire wieder in die gesellige Heiterkeit der Feiergäste, wo sie bald Maren ausmachen konnte. Auf dem Weg zu ihrer Freundin schnappte sie einem glatzköpfigen, athletischen Typen mit grauem Jacket die halbvolle Weinflasche aus der Hand. Maren präsentierte dazu die zwei passenden Gläser.



© by Turambar. Der Autor beansprucht sämtliche Rechte an dieser Geschichte. Das Runterladen zum privaten Gebrauch ist völlig in Ordnung. Was nicht in Ordnung ist, ist jegliche Vervielfältigung und Weitergabe. Das gilt auch für das WWW (man höre und staune: „Wie, Regeln gelten auch im Internet?!?“) Insbesondere bei Seiten, die nicht vollständig kostenfrei sind, wäre ich sauer. Wenn es tatsächlich jemanden in den Fingern juckt, die Texte noch woanders hochzuladen oder anderweitig zu veröffentlichen, bitte PN an mich. Man kann über alles reden.
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  RE: Unter fremden Monden Datum:22.06.11 16:34 IP: gespeichert Moderator melden


4.

Knapp eine halbe Stunde später war die Zigarre verraucht. Die Stimmung unter den Gästen war mittlerweile ausgelassen, auch die Anzahl hatte sich vergrößert. In Wohnzimmer, Küche und Garten verteilten sich inzwischen gut und gerne über dreißig Menschen. Es erinnerte Mike fast ein wenig an alte Zeiten, an jene Parties, die erst nach Mitternacht so richtig begannen. Am Kühlschrank in der Kücher versorgte er sich mit Cola, um anschließend im Garten nach Claire zu suchen. Die meisten Leute hielten sich dort im Freien auf. Theos Sohn hatte auf einem der Esstische Stereoanlage und Boxen aufgestellt, aus denen nun die Klassker der achtziger Jahre dudelten. Mehrere Pärchen tanzten tatsächlich auf der Terasse, aber weder Claire noch Rudy und Maren waren dabei. Suchend ließ Mike den Blick über Grüppchen von Leuten schweifen, die auf dem Rasen um den noch schwach glimmenden Grill standen.

Bunte Lampions an den Bäumen tauchten die Personen in schummeriges, wechselhaftes Licht. Entweder prüfte Claire die Toiletten auf ihre Tauglichkeit, oder sie durchstöberte mit Maren Theos Weinkeller. Hier draußen hielt sie sich in jedem Fall nicht auf. Mike stellte sich zu Theos Sohn, um ein wenig in der Plattensammlung zu stöbern.

Der Keller war ein Treffer. Zunächst hatte Claire deutliche Schwierigkeiten, den Lichtschalter zu finden, schon dabei wäre sie ohne Maren aufgeschmissen gewesen.
„Bist ganz schön knülle, was?“
„Joa, gut dabei. Musst dich ranhalten, wenn du mich einholen willst, Mary.“
„Dann lass uns auf Schatzsuche gehen, Schätzchen.“

Der Vorratskeller bildete den größten der insgesamt vier Räume. Daneben gab es noch einen Heizungskeller und einen Waschkeller mit Ausgang zum Garten. Claire und Maren ließen sich von ihrer Neugier leiten und untersuchten sämtliche Kellerräume. Das kleinste Zimmer war zugleich am besten beleuchtet, hier hatte sich Theo seinen Werkraum eingerichtet. In den Regalen lagerten Hölzer und Werkzeuge, auf der langen Werkbank waren halbfertige Projekte zu bewundern, wie ein Vogelhäusschen und ein mit kunstvollen Schnitzereien verziertes Puppenhaus. Dazu etwas, das vielleicht mal ein Gewürzregal werden sollte, zwischen einem Haufen Holzsstückchen, Späne und Werkzeug.

„Nein, wie süß! Schau dir das an, Claire! Theo ist ja ein richtiger Künstler. So ein Puppenhaus will ich auch für Tini, die würde ausflippen!“
„Frag ihn doch, ob er ihr eins baut.“
Claire entdeckte auf der Werkbank noch etwas ganz anderes, nämlich eine verkorkte Flasche ohne Etikett, die zu zwei dritteln mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt war. Sie zog den Korken und schnupperte am Flaschenhals.
„Schnaps, Mary! Ich würde sagen: Pflaume, selbstgebrannt.“
Triumphierend hielt sie ihre Entdeckung hoch.
„Oha? Lass mal sehen.“

Die Flasche ging etliche Male zwischen den beiden Frauen hin und her. Claire saß auf Theos Werkbank, Maren auf einem Drehhocker mit drei kleinen Rädchen. Sie ließ sich hin und herrollen, kreiselte mal nach links und mal nach rechts, während der Pegel in der Pflaumenschnapsflasche sich langsam senkte. Claire hatte so ihre Schwierigkeiten Marens Bewegungen zu folgen. Die auf dem Werkhocker umherwirbelnde Maren verschwamm immer wieder vor ihren Augen, einsetzendes Schwindelgefühl wurde begleitet von einem Anflug von Übelkeit. Maren stoppte ihren Reigen und stellte den Schnaps zurück auf die Werkbank, anstatt die Flasche an Claire weiterzureichen.

„Claire? Alles ok?“
„Hö? Na sicher doch, hoff‘ ich doch.“
„Du siehst ganz grün aus.“
„Is’n starker Tobak, dieser Schnappes.“
„Nicht, daß du auf der Nase liegst, wenn du jetzt von der Bank aufstehst.“
„Aber, aber! Heut‘ nacht sauf‘ ich Jack Sparrow unter’n Tisch, wart’s ab.“
„Ein guter Plan. Dann komm jetzt, lass uns von dannen ziehen und diesen Jack Sparrow suchen gehen. Und den Wein. Den brauchen wir auch ganz dringend dazu.“

Akribisch bereitete Claires benebelter Verstand den Prozess des Aufstehens vor, während Maren mit einem breiten Grinsen im Gesicht neben ihr stand. Fest stützte sie die Hände seitlich der Hüften auf der Kante der Werkbank ab, hielt damit das Schwanken ihres Oberkörpers in Grenzen. Claires Augen fixierten hochkonzentriert den Punkt auf dem Boden, wo sie ihre Füße mit elegantem Sprung aufsetzten würde, um anschließend würdevoll wie eine Turnerin nach dem Absprung von Pferd, Reck oder Barren mit triumphierender Geste in sicherem Stand den Applaus des Publikuns entgegenzunehmen.

Schwungvoll stieß sie sich mit beiden Armen ab, nach einem langen Flug landete sie taumelnd auf einem heimtückischen Kellerboden, der sich, während Claire sich in der Luft befunden hatte, irgendwie um knapp vierzig Grad geneigt hatte. Sie verlor prompt das Gelichgewicht und wäre mit dem Kopf voran in ein Werkzeugregal gestürzt, wenn Maren sie nicht festgehalten hätte. Instinktiv klammerte Claire sich an Marens Schulter, wodurch sie sie mit sich zu Boden riss. Lachend und stöhnend lagen die Beiden in Staub und Hobelspänen, Claire auf dem Rücken, Maren auf ihr.

„Schuldigung, Mary, war so nicht geplant. Mist, doch keine guten Haltungsnoten.“
„Ist unschlimm. Bin ja weich gefallen, außer…“
Maren richtete ihren Oberkörper auf, blieb aber auf Claire sitzen, ihre Hände auf Claires Oberarme gestützt.
„Wow, Mary, wenn uns jetzt jemand sieht, denkt der du stellst gerade wer weiß was mit mir an.“
„Bist du bewaffnet? Was hast denn du im Slip? Ne Pistole? Mit Patronengurt oder so?“
„Was? Runter von mir!“

Maren rappelte sich auf und reichte Claire die Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen.
„Bleib locker, Claire. Wenn du ein Attentat oder so vorbereitest: Ich schweige wie ein Grab. Plauder dich aus!“
„Ach, woher. Ist eigentlich gar nichts. Würde dich auch nicht interessieren, glaub‘ ich.“
„Was’n Blödsinn. Jetzt machst du mich erst recht neugierig. Seit wann kennen wir uns? Zehn Jahre? Zwölf? Hey, Claire, du weißt alles über mich. Die Sache mit dem Vaginalpilz? Rudy hat immer noch keine Ahnung, warum ich damals zwei Monate nicht mit ihm geschlafen habe. Oder daß ich meiner Oma ihren Silberschmuck geklaut habe? Oder daß ich bei der Semesterabschlußfeier im Jahre zweitausendzwei in die Bowle gepinkelt hab‘?“
„Also das mit der Bowle wusste ja jeder. Außer Frieder…“
„Ach scheyße, der arme Kerl tut mir heute noch leid. Ähm, zurück zum Thema: Du hast was zu erzählen Claire. Was windest du dich so? Dir muss doch klar sein, daß du’s nur immer spannender für mich machst. Zur Not find‘ ich ganz schnell eine Möglichkeit, dir unters Kleidchen zu spicken.“
„Also gut. Scheyß drauf. Wenn du schwörst, kein Wort darüber jemals jemandem zu erzählen.“
„Ich schwöre.“
„Und wenn du schwörst, mich nicht auszulachen!“
„Ich schwöre.“

Claire zögerte einen Moment, bevor sie – von Wein und Schnaps enthemmt – ihren Rock auszog und anschließend Strumpfhose und Schlüpfer langsam und gespielt wiederstrebend bis zu den Knien herunterschob. Vorerst verschlug es Maren die Sprache; sie trat einen Schritt zurück und starrte Claire mit offenem Mund und großen Augen an.

„Was um… Wow, Claire, ist das das, was ich denke, daß es ist?“
„Ich habe keine Ahnung, was du denkst. Aber ich denke, wenn du das Richtige denkst, dann ist es genau das.“
„Ein Keuschheitsgürtel?“
„Stimmt.“
Claire machte Anstalten, ihr Geheimnis wieder unter der Kleidung verschwinden zu lassen. Dagegen hatte Maren Einwände.

„Moment noch! Das will ich jetzt aber ganz genau wissen. Das ist ja viel zu abgefahren.“
„Hey, lass die Finger von mir!“
„Geht nicht. Muss mich überzeugen, daß das keine Halluzination ist.“

Claire spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss, als Maren den Gürtel betastete. Es kribelte unangenehm in Claires Rücken, als Maren neugierig an mehreren Stellen ihre Finger unter den Taillengürt quetschte. Unglübige Hände rüttelten und zogen an Gürtel und am Frontschild, welches Maren einigermaßen erfolglos zu verschieben versuchte. Letzteres ließ das Lustei in Claires Vagina tanzen. Ein Anflug von Erregung wurde von Scham und Peinlichkeit verwischt, und Claire schob Marens Hand energisch von sich.

„Hör auf damit. Es reicht jetzt, ok?“
„Das sitzt ja irre fest, Claire. Ist das nicht wahnsinnig unbequem?“
„Absolut, ja.“
„Du hast `nen Knall, echt! Was soll das? Warum machst du das? Ist das so `ne Sexgeschichte?“
„Gewissermaßen schon. Ein Spiel zwischen mir und Mike, und ja, es hat auch und ganz besonders mit Sex zu tun.“
„Ein Spiel soll das sein? Ich glaub‘ ja nicht, was ich höre! Das kann doch nicht lustig sein. Wie kann man sowas aus Spaß machen? Oder zwingt Mike dich dazu?“
„Ach was. Ich mach‘ das schon freiwillig.“
„Trägst du das immer? Auch zur Arbeit und so?“
„Meistens schon, ja.“
„Ist ja verrückt. Das muss doch irrsinnig lästig sein, oder? Ich versteh‘ echt nicht, wie dir das Spaß machen kann, aber hey: Es ist deine Sache. Das haut mich echt um jetzt.“
„Du wolltest es aber auch unbedingt wissen. Jetzt weisst du’s.“
„Und bin völlig verwirrt. Funktioniert das Teil denn wirklich? Nimmst du `nen Schlüssel mit, wenn du aus dem Haus gehst? Ist das nicht voll die Tortur im Alltag? Kannst du damit überhaupt aufs Klo gehen? Wie schläfst du mit Mike mit dem Ding? Schläfst du überhaupt ind em Ding? Scheuert und drückt das nicht überall? Wie kann das ein Sexspiel sein, wenn es doch eigentlich ein totales Anti – Sex – Mittel ist?“
„Häh? Was waren jetzt noch mal die ersten hundert Fragen?“
„Sorry, aber darüber musst du mir alles erzählen. Sonst gebe ich keine Ruhe.“
„Och nö! Ich hab’s befürchtet. Verdammt, mir ist das echt oberpeinlich und ich bin stockbesoffen. Wenn ich dir jetzt was erzähle, dann kommt doch nur Scheyßdreck raus.“
„Okay, dann versprich mir, daß wir uns die Tage treffen, und du mir Rede und Antwort stehst. Am besten übrigens morgen, sonst sterbe ich vor Neugier.“
„Ich fürchte nur, wenn ich nicht mehr betrunken bin, ist mir das alles noch viel, viel peinlicher. Ich weiß nicht, ob ich dir dann überhaupt noch begegnen kann, geschweige denn irgendwas erzählen. Ich würd‘ bestimmt vor Scham im Boden versickern.“
„Ach, was’n Blödsinn, Claire. Peinlich… Ich leb‘ doch auch nicht hinter’m Mond. Ein Haufen Leute machen einen Haufen komisches Zeug beim Sex. Ich war jetzt nur ein bisschen überrumpelt, daß gerade du… Ach, egal. Ich find’s nicht schlimm, Claire, auch wenn ich’s nicht verstehe. Genau darum würd‘ mich ja interessieren… Was’n jetzt los? Fängst du gerade an zu heulen?“
„Weiß – noch nicht – so genau…“
„Wegen dem Gürtel? Oder wegen mir? Weil ich falsch reagiert hab‘ oder so?“
„Nö. Keine Ahnung. Keins von beidem und beides ein bischen. Und ein bischen viel Alkohol vor allem. Erleichterung, weil ich’s bisher niemandem erzählt hab‘. Außer Mike natürlich. Vielleicht hab‘ ich auch einfach gerade bock, rumzuheulen, klar?“
„Könnte alles nicht weniger klar sein.“

Nach einigen Minuten hatte Claire sich wieder einigermaßen im Griff. Sie wischte sich die Augen und Wangen ab und warf Maren ein hilfloses Lächeln zu.
„Aber daß das blos unter uns bleibt, klar?“
„Ich habe geschwören. Der Teufel soll meine Lippen verlöten, wenn ich den Schwur breche.“
„Ruf mich morgen mal an.“
„Klaro. Und jetzt: Weinkeller?“
„Weinkeller!“

Jeweils mit vier Flaschen Wein aus Theos Vorräten bewaffnet, stiegen Claire und Maren wieder aus den Katakomben des Hauses in den ausgelassenen Trubel schwungvoller Festivität auf. Während Claire sieben der acht Flaschen in den Kühlschrank räumte, füllte Maren zwei Gläser. Sie blieben vorerst in der Küche, um sich weiter zu betrinken. Vom Garten her tönten inzwischen etwas wildere Klänge; Mike hatte Theos alte Platten von Led Zeppelin, Deep Purple und Black Sabbath gefunden. Die Kommunikation zwischen Claire und Maren bestand größtenteils aus einem verschwörerischen Blickwechsel.

Die Welt drehte sich um Claire; sie wollte sich mitdrehen. Kommentarlos schnappte sie sich Mike und zerrte ihn auf die zur Tanzfläche mutierte Terasse. Farbenwirbel, inmitten derer Claire sich wild wand und zappelte. Mike, deutlich maßvoller, bremste sie ab und an ein wenig und führte sie achtsam so, daß sie nicht verhängnisvoll mit anderen Tanzpaaren kollidierte. Bald flogen Claires Turnschuhe irgendwo in die Dunkelheit des Gartens. Auf Strümpfen tanzte es sich besser, über glatte Fliesen beschwingt gleitende Füße kaschierten die des Alkohols wegen schwindende Anmut.

Trunkenheit und die Stimulation durch den im Tanz Schwerstarbeit leistenden Eindringling in ihrem Allerheiligsten ließen Claire zur Höchstform auflaufen. Sie fühlte sich großartig, gelöst und in jeder Hinsicht heiß. Ihre Extase riss auch Mike mit, der bei aller Nüchternheit im Sog von Claires Bewegungen im Tanzrausch versank. Aufmerksamkeit war dem wirbelnden Pärchen gewiß, so daß sich rasch eine größere Schar Bewunderer um sie sammelte. Einige klatschten ihren Pirouetten Beifall, Maren steuerte sogar einige anspornende Pfiffe bei.

Was große Begeisterung auslöst, endet meist kritisch. So brachte Claire es fertig, auf den Knien mit weit zurückgebeugtem Oberkörper zwischen Mikes Beinen hindurchzurutschen. Was ihr anschließend aber nicht gelang, war eine elegante Rückkehr in den Stand. Sie hatte eben nicht berücksichtigt, daß ihre Koordination recht eingeschränkt war. Zwar schaffte sie es, nach der Rutschpartie auf die Füße zu kommen, aber gleich im nächsten Moment verlor sie das Gleichgewicht, taumelte, und flog in hohem Bogen kopfüber von der Terasse in Theos Hortensienbüsche.

Claires wild strampelnde Beine ließen für einen Moment den Saum ihres Rockes über die Hüften zurückfallen. Für einen kurzen Moment war der Blick für alle Anwesenden frei auf verrutschtende Strumpfhosen und die sich darunter allzu deutlich abzeichnende Form von etwas Starrem zwischen den zappelnden Schenkeln. Doch außer einer erschrockenen Maren und dem herbeieilenden Mike konnte sich wohl keiner der Umstehenden einen Reim auf diese Absonderlichkeit machen. In den malträtierten Hortensien knieend, half Mike seiner Frau, sich aufzusetzen, wobei er vorsichtig ihre Kleidung zu ordnen versuchte. Er nahm sie in den Arm, wischte ihr den Schmutz aus dem Gesicht, unter dem er außer einer Beule an der Stirn und einem Kratzer am Kinn keine Verletzungen fand.

„Alles okay bei dir? Mensch, was machst du nur für Sachen, Claire.“
„Bin in Ordnung. Tut nur alles weh. Mike?“
„Hm?“
„Ich glaub‘ ich will jetzt heim.“
„Ich glaub‘, das ist `ne gute Idee.“

Er half ihr hoch, sie hielt sich an seinem Arm, wankend, aber einigermaßen unversehrt. Sie versuchte eine halbe, einigermaßen lächerliche Verbeugung, bei der sie den Umstehenden heiter zuwinkte.

„Vielen Dank für den Applaus, wertes Publikum! Leider kann die Vorstellung nicht fortgesetzt werden, wegen Erde im Mund der Darstellerin. Mein Partner Mike…“
Schwungvoll drehte sie sich zu ihm um, wobei sie um ein Haar erneut in die Hortensien gestürzt wäre, wenn seine Brust sie nicht gebremst hätte.
„… steht ihnen allen gerne morgen für Autogramme zur Verfügung!“
Der Auftritt erntete einiges an Gelächter, und diesmal war es an Mike, sich peinlich berührt zu fühlen.

Mit der betrunkenen Claire in seinem Arm machte er die Runde, um sich zu verabschieden. An der Haustür wurden beide von Maren abgefangen, die Claire feixend ihre Schuhe in die Hand drückte.
„Da hast du ja den Vogel abgeschossen, Mädel.“
„Was? Ich? Wieso?“
„Denk mal scharf nach, wenn du wieder nüchtern bist. Hier, nimm mal deine Schuhe.“
„Danke, bist’n Schatz, Mary.“
„Da hatten so einige Herren und Damen ganz schön Stielaugen bekommen, wie du ihnen so schön Einblick auf deine sehr spezielle Unterwäsche gewährt hast.“
Erschrocken starrte Mike Maren an.
„Woher verdammt noch mal weißt du…?“
Claire feixte, zerrte an Mikes Arm, während Maren Daumen und Zeigefinger über ihre Lippen wandern ließ, als gäbe es dort einen Reißverschluß zu schließen.
„Maren ist eine Hexe und eine Seherin, Mike. Sie weiß alles und sieht alles. Und jetzt komm, bitte, mir wird gerade schlecht.“

Verwirrt und kopfschüttelnd setzte Mike Claire auf den Beifahrersitz und fuhr los. Als er bemerkte, daß Claire wirklich sehr übel war, fuhr er neben einer Straßenbahnhaltestelle hastig rechts an den Straßenrand. Er stieg aus, ging zur Beifahrertür und half Claire beim Aussteigen. Im nächsten Moment gab sie ihren Mageninhalt von sich. Mehrmals übergab sie sich schwallartig, während Mike ihre rotblonde Mähne hielt. Er kam sich maximal bescheuert vor. Wie ein Teenager mit seiner Schulfreundin, die auf einer Party irgendwo in jugendlicher Verblendung den Übergang vom Besäufnis zum Sex verpasst hatten.

„Geht’s einigermaßen, Claire?“
„Ja. Ne. Noch nich‘ so richtig.“
Ein weiterer Schwall ergoß sich in den Rasenfleck neben dem Wartehäuschen. Zu allem Überfluß begannen die Schienen nun zu singen, kurz darauf hielt direkt neben ihnen eine Bahn an, aus der eine Gruppe grölender Jugendlicher ausstieg. Glücklicherweise kannte Mike keinen der Jungen.

„Alter, was geeeeeeeeht! Isse vollstrack, oder was?“
„Nein, wir haben nur Schweinegrippe. Wollt ihr was abhaben?“
„Mann, schon peinlich, wenn dir die Alte die Haltestelle vollkotzt, ne?“
„Ach was. Du warst doch sicher auch mal jung, vielleicht kannst du dich noch daran erinnern, wie das war.“

Die Jugendlichen zogen ab, bogen sich vor Lachen. Eine Bierflasche zerschellte auf dem Bürgersteig, am liebsten hätte Mike sich den Idioten dafür vorgeknöpft. Er kam damit klar, wenn sich junge Leute vollaufen ließen, aber er hasste es, wenn das zu assozialem, gedankenlos – zerstörerischem Verhalten führte.

Eigentlich hatte er sich auf eine heiße Session mit Claire gefreut, hatte sich schon ein paar zärtlich – fiese Pläne für die Nacht überlegt. Doch in Anbetracht von Claires Zustand blieb ihm nichts übrig, als das Vorhaben zu verschieben. Sie bekam noch nicht einmal mehr viel davon mit, wie sie aufgeschlossen wurde, und Mike das Ei des Kolumbus aus ihr entfernte. Das glibberige Stück ließ er ins Waschbecken fallen, anschließend wusch er sich Hände und Gesicht. Als er ins Schlafzimmer zurückkam, hatte sich Claire auf die Seite gedreht. Sie schlief tief und fest, als er sie sanft zudeckte und sich neben sie legte.




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Für jene Leser, die aus Zeitgründen oder warum auch immer, mit dem Lesen etwas zurückhängen, gibt es jetzt im Startbeitrag ein Inhaltsverzeichnis zum `rumzappen. Und eine kurze Einleitung. Hätte ich beides schon viel früher machen sollen, aber manches geht ab und an mal unter.

Grüße, Turambar.

ed: Ich habe die Links nicht einzeln überprüft. Falls sich da Fehler eingeschlichen haben sollten, bin ich für sachdienliche Hinweise dankbar.

[Edit]: Dieser Eintrag wurde zuletzt von Turambar am 22.06.11 um 21:58 geändert
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5.

Alles in ihr sträubte sich dagegen, die Augen zu öffnen. Warum, warum nur war sie überhaupt wach? Warum sollte es nicht möglich sein, so lange weiter zu schlafen, bis der Kater abgeklungen war? Nutzlose, quälende Gedanken. Es war ja genau die körperliche Misere am Morgen danach, die sie geweckt hatte. Der Leib meldete sich mit Schmerzen, um zu signalisieren:
„Hallo, aufstehen, mach was, sonst passiert ein Unglück.“
Welches Unglück also meinte dieser verfluchte Körper? Ein verkaterter Morgen ist ein generalisiertes Unglück an sich. Dumpf dröhnte Beethovens Neunte aus dem Erdgeschoss herauf und in Claires Ohren. Im Vergleich zu den hämmernden Kopf- und Nackenschmerzen war das noch ein geringes Übel. Die Zunge klebte geschwollen und ausgedörrt am Gaumen. Wiederlicher Geschmack und ebenso wiederlicher Geruch zersetzte den Rest eines sich verlierenden Albtraums.

Der penetrante Geschmack von Erbrochenem vermischte sich mit dem ekelhaften Geruch von alkoholisch - säuerlichem Schweiß. Übelkeit und rasant stärker werdende Kopfschmerzen befahlen Reglosigkeit, während die zum Bersten gefüllte Blase in höchster Dringlichkeit eine diametral entgegengesetzte Forderung stellte:
„Raus aus dem Bett und ab auf’s Klo, aber Zack – Zack!“
Böser Konflikt.

Claire musste wohl oder übel aufstehen, wenn sie nicht ins Bett machen wollte. Einen Moment blieb sie an der Kante sitzen, während ihr Kopf in gleißenden Schmerzwellen explodierte. Auf dem Nachttisch stand eine Flasche Mineralwasser neben einem gefüllten Glas. Der Inhalt schien frisch zu sein, viele kleine Bläschen perlten vom Boden und den Wänden des Trinkgefäßes zur Oberfläche.
„Trink es aus! Trinke es aus! Trink es!“
schrie und kreischte Claires ausgedörrte Kehle. Sie ging das Risiko nicht ein, stattdessen stand sie vorsichtig auf und wankte ins Badezimmer. Hastig klappte sie den Deckel hoch und ließ sich auf den Sitz plumpsen. Erste Erlösung des Tages. Das Badezimmer schwankte und drehte sich um sie herum. Es dauerte eine Weile, bis die Realität wieder etwas stabiler wurde. Unangenehmes Kribbeln im eingeschlafenen linken Fuß bestätigte Claires Verdacht, daß sie wirklich eine ziemlich lange Weile da gesessen hatte.

Immerhin protestierte ihr Gehirn diesmal mit weniger Schmerzen gegen das Aufstehen. Auch war der Kopf mit seinen geschwollenen Hirnhäuten nicht ihr einziges Schmerzzentrum. Auch an anderen Stellen fühlte sie sich unangenehm wund. Zum einen im Hals, weil Magensäure für gewöhnlich ja nichts in der Speiseröhre zu suchen hatte. Ähnlich strapaziert fühlten sich auch die empfindlichen Hautpartien weiter unten an. Eine zitternde Hand drehte den Wasserhahn auf, um es anschließend der anderen Hand gleichzutun, und fest den Beckenrand zu umklammern. Die Welt schwankte wie ein Schiff bei hohem Seegang, gut festhalten tat Not. Ungenutzt rauschte das Wasser aus dem Hahn in den Abfluß, während Claire den Fehler machte, den Kopf zu heben, und in den Spiegel zu blicken. Ihr wurde schlecht, sie drehte das Wasser wieder zu und taumelte ins Schlafzimmer zurück. Nachdem sie in einem Zug das bereitstehende Glas geleert hatte, zog sie sich die Bettdecke über den Kopf, rollte sich zusammen und schlief wieder ein.

Als Mike eine halbe Stunde später Claires Decke von ihr riss, war Beethovens Neunte durch Metallica’s Black Album abgelöst worden. Dafür drang der Geruch von frisch aufgebackenen Brötchen, Kaffe und Marmelade in ihre Nase. Verwirrt und immer noch reichlich verkatert setzte Claire sich im Bett auf und stellte genervt fest das sie nackt war. Sie zog die Beine an und schlang die Arme um die Knie. Ihr Bademantel kam auf sie zugeflogen, doch statt ihn zu fangen landete der weiße Stoff auf ihrem Kopf. Als Claire das Teil von ihrem Gesicht zog, um es sich um die Schultern zu legen, bemerkte sie ein ziemliches Ei über ihrer rechten Augenbraue.

„Was’n das? Hat mich jemand verprügelt?“
„Nö. Sagen wir’s mal so: Du hattest gestern eine kleine Auseinandersetzung mit Theos Hortensien.“
„Häh? Was?“
„Kleiner Filmriss, Fähe?“
„Weiß nicht. Lass mich in Ruhe, Mike. Hau ab, mir geht’s beschissen. Mir’s total elend, ich stinke nach Kotze und Schnapsladen. Ich hab‘ son’n Gefühl, als hätte ich mich gestern abend furchtbar blamiert. Und dich auch…“
„Ach wo. Ich will’s mal so sagen: Du hast der Party den richtigen Kick gegeben. Leute werden sich lange daran erinnern.“
„Oh, bitte nicht. Was’ne Scheyße…“
„Frühstück? Mit Aspirin und Selters?“

Während sie zu zweit im Bett frühstückten, dämmerten mehr und mehr Erinnerungen in Claire herauf, von denen die meisten ausgesprochen peinlich waren. Sie erinnerte sich erschrocken daran, daß sie ihrer besten Freundin ihren Keuschheitsgürtel gezeigt hatte. Daß sie ihr zu allem Überfluß auch noch versprochen hatte, ihr alles darüber zu erzählen. Nebulös war ihr nach wie vor der Abflug ins Gebüsch nach dem heißen Tanz mit Mike. Auch daran, daß sie auf der Fahrt nach hause in aller Öffentlichkeit eine Straßenbahnhaltestelle vollgekotzt hatte, konnte sie sich nur bruchstückhaft erinnern.

Essen mochte sie nur wenig, aber dafür trank sie mit einer gewissen Gier alles an Flüssigkeiten, was sich in ihrer Nähe befand. Der Wecker auf ihrem Nachttisch zeigte halb elf, als Mike das leergefutterte Tablett neben dem Bett abstellte. Nun sehnte sich Claire nach einer Dusche oder einem Bad; ihr ganzer Leib fühlte sich grauenhaft klebrig an. Durch die geöffneten Fenster drang dumpfe, stickig heiße Luft, die sich langsam und schleichend im Raum ausbreitete. Träge und schlaff hingen die Gardinen in den Öffnungen und erzählten tonlos von Schlaf.

„Ist das mein Kater, oder ist es heute wirklich so erbärmlich schwül?“
„Falls es dich beruhigt, Claire, es ist so schwül. Heute abend soll’s Gewitter mit Unwetterpotential geben, kam vorhin im Radio.“
„Ist nicht gut für meinen Kopf, gar nicht gut. Nein, mein Schatz!“
„Glaub‘ ich gerne. Wie geht’s übrigens deinem Honigtöpfchen?“
„Das hat jetzt erstmal Sendepause. Kannst mich in drei Wochen noch mal fragen.“
„Ich frag‘ dich lieber in drei Minuten.“
„Ich könnte gerade wieder einschlafen, Mike. Am liebsten mit dir genau da neben mir.“
„Aber vorher gehst du duschen. Und Zähne putzen! Dann solltest du noch das Bett frisch beziehen, das Haus einmal durchsaugen, die Blumen gießen, beide Autos waschen, den Rasen mähen, meine Hemden bügeln, die Fliegen in der Küche einzeln mit der Hand fangen und die Fenster putzen. Ach genau, und unbedingt die Fensterrahmen neu streichen. Ganz wichtig!“
„Wow. Was soll das sein? Werd‘ ich jetzt bestraft für meine Entgleisungen gestern? Mike, sei ein lieber großer, dunkler Wolf und erlass mir wenigstens das Zähneputzen. Bitte! Bin ich nicht schon gestraft genug? Mir ist immer noch übel, so total elend, mein Schädel hämmert und brummt und ich bin völlig ermattet.“
„Ermattet! Goldig! Kannst du das bitte noch mal sagen, dir dabei die Hand so vor die Stirn halten und die Augen ein bisschen verdrehen? Genau so! Hervorragend!“
„Ich glaube, ich werde nie wieder auf eine Party gehen.“
„Da seh‘ ich schwarz. Was ist mit heute abend?“
„Autsch. Da hab‘ ich noch gar nicht dran gedacht.“
„Dann sieh mal zu, daß du bis dahin einigermaßen fit wirst. Und einigermaßen vernünftig aussiehst.“
„Dann brauch‘ ich auf jeden Fall noch mindestens zehn Stunden Schönheitsschlaf.“

Während Mike in die Küche ging, um die Überreste des Frühstücks aufzuräumen, ließ Claire sich ein Bad ein. Langsam kehrten die Lebensgeister zurück, aber ein benommenes Gefühl blieb ihr erhalten. Aus Erfahrung wusste sie, daß es wohl bis zum Montag dauern würde, bevor sie wieder völlig klar war. Eigentlich wusste sie recht gut, daß sie beim Alkohol sehr vorsichtig sein musste, aber hin und wieder geriet ihr so ein eigentlich toller Abend völlig außer Kontrolle. Regelmäßig, wenn sie einen gewissen Punkt überschritt, gab es für sie kein Halten mehr, dann brachen alle Dämme. Diese Hemmungslosigkeit, in der sie sich dann verlor, war es, dessen sie sich am meisten schämte.

Wahrscheinlich war sie in der Wanne eingenickt, denn als sie hochschreckte, fand sie das Wasser kalt. Die Musik aus dem Erdgeschoss war verstummt. Claire stieg langsam aus der Wanne, nachdem sie sich noch einmal abgeduscht hatte. Sie zog sie den Stöpsel und ging nackt über den Flur, die Haare noch nass, zurück ins Schlafzimmer. Auf dem Bett lag Mike, der langsam eine Illustrierte durchblätterte, während er einen kleinen Schlüssel an einem Ring um seinen Finger kreisen ließ.

„Sag mal, Füchsin, wenn ich das mit den Strafarbeiten vorhin ernst gemeint hätte, wie würdest du reagieren?“
„Was? Inwiefern ernst gemeint? Jetzt, heute, oder so ganz pauschal an irgendeinem Tag?“
„Völlig egal. Jetzt oder irgendwann.“
„Ähm… Keine Ahnung. Da müsste ich erst mal drüber nachdenken.“
„Nein. Ich will, daß du jetzt antwortest!“
„Ach… Na gut. Also bis auf das mit dem Streichen von den Fensterrahmen…“
„Und das mit dem Fliegenfangen. Beides war natürlich reiner Blödsinn.“
„Ja, verdammt noch mal! Wenn du das verlangst, dann mach‘ ich’s. Scheyß drauf!“
„Okay, klasse! War aber nur ein Scherz. Vorerst jedenfalls.“

Claire atmete erleichtert auf. Nicht, daß sie erwartet hätte, daß Mike mit seiner Litanei wirklich ernst gemacht hätte. Jedenfalls nicht an diesem Sonntag.

„Nur eins noch, Fähe, dann kannst du wieder ins Bett schlüpfen!“

Bei diesen Worten reichte er ihr den Keuschheitsgürtel. Sie nahm ihn ein wenig wiederstrebend an, weil sie eigentlich gerne noch länger ihre Freiheit genossen hätte. Irgendwie war es ein Unterschied, den Gürtel zu tragen ohne in Stimmung zu sein, oder ihn in einem Moment anlegen zu müssen, wenn sie eigentlich gerade damit garnichts zu tun haben wollte. Genau so einen Moment hatte Mike nun ausgesucht. Dennoch rang sich Claire ein gequältes Lächeln ab, als sie die Schlösser einrasten ließ, während Mike entspannt auf dem Bett lag und sie dabei beobachtete.




© by Turambar. Der Autor beansprucht sämtliche Rechte an dieser Geschichte. Das Runterladen zum privaten Gebrauch ist völlig in Ordnung. Was nicht in Ordnung ist, ist jegliche Vervielfältigung und Weitergabe. Das gilt auch für das WWW (man höre und staune: „Wie, Regeln gelten auch im Internet?!?“) Insbesondere bei Seiten, die nicht vollständig kostenfrei sind, wäre ich sauer. Wenn es tatsächlich jemanden in den Fingern juckt, die Texte noch woanders hochzuladen oder anderweitig zu veröffentlichen, bitte PN an mich. Man kann über alles reden.
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Turambar
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  RE: Unter fremden Monden Datum:24.06.11 20:34 IP: gespeichert Moderator melden


6.

Als Mike um kurz vor sechs den BMW gegenüber des Drei – Sterne – Italieners parkte, rollte bereits ferner Donner durch die Straßen. Auf dem Weg durch die stehende Hitze klapperten Claires Absätze über den Asphalt; ein langes, schulterfreies Kleid aus matt glänzendem, schwarzem Samt spielte um ihre Waden. Für zahlungskräftige Gesellschaften hielt das Restaurant mehrere, seperate Räumlichkeiten bereit, angenehm klimatisiert, in die Mike und Claire nun von einer Empfangsdame geleitet wurden.

Mehrere Kellnerinnen versorgten die Anwesenden im Salon mit prickelndem Champagner und kunstvoll arrangierten Hors D’oevres. Dazu hatte man einen DJ angeheuert, der sich um eine nervtötend seichte Beschallung bemühte: Easy – Listening – Geplärr der langweiligsten Sorte. Daneben litt der arme Mann unter einem angefrorenen Dauerlächeln, das einen riesigen, goldenen Schneidezahn aufdringlich ins Zentrum seines Gesichtes rückte. Über einer gigantischen, verspiegelten Sonnenbrille glänzte rosig seine Vollglatze. Sein schokoladenbraunes Seidenhemd unter einem pinken Jackett lieferte einen beinahe schmerzhaften Kontrast zur dezent wohlhabenden Abendgarderobe der Gäste.

Auch Mike hatte sich wiederstrebend in seinen teuersten Anzug gequält; standhaft war er bei seiner kategorischen Ablehnung einer Kravatte oder gar Fliege geblieben. Die hinreißende Claire an seiner Seite kompensierte diesen Mangel an Etikette in ausreichendem Maße. Mit weich perlendem Dreihundert – Euro – Champagner in geschliffenen Kristallgläsern machten Mike und Claire die Runde. Stellten sich vor, wurden vorgestellt, wurden weitergereicht von den wichtigen zu den noch wichtigeren Persönlichkeiten. Mike machte sich nicht die Mühe, sich irgendwelche Namen einzuprägen. Er fühlte sich ohnehin ausgesprochen deplaziert. Indessen machte er aufschlußreiche Beobachtungen, die Kongruenz zwischen Einkommensniveau und Attraktivität der Partnerin betreffend. Ausnahmen bestätigten die Regel: Einige der teilweise schon greisen und unglaublich wichtigen männlichen Personen waren offenbar tatsächlich in Begleitung ihrer langjährigen Gattinen aufgetaucht.

Wenig überraschend war die Zusammensetzung der Gesellschaft. Mike stellte sehr schnell fest, daß er hier ein absoluter Exot war. All die Vorstandsmitglieder, Laborchefs, Abteilungsleiter und Hauptaktionäre waren männlichen Geschlechts. Und bis auf wenige Ausnahmen dienten ihre häufig wesentlich jüngeren Begleiterinnen vordringlich repräsentativen Zwecken. Seltsamerweise kam Mike ein interessanter Vergleich in den Sinn: Erfüllten diese Begleiterinnen einen ähnlichen Zweck für ihre Gönner, wie die teuren Handtaschen für die Begleiterinnen selbst?

Ideen für hochklassige, sozialwissenschaftliche Dissertationen waren Mikes einziger Ausweg aus ungemütlicher Langeweile, und dem Gefühl, daß er niemals Teil dieser versnobten Welt sein könne. Vielleicht tat er einigen Anwesenden Unrecht, vielleicht verhielten die sich privat und unter Freunden ganz anders, und waren von dieser Versammlung ebenso gelangweilt wie Mike. Ohne zu fragen spürte er jedenfalls ganz klar, daß Claire so ziemlich das selbe empfand wie er. Außerdem hatte er so ein Gefühl, daß Claire recht deutlich spürte, was er von der Sache hielt, sowie daß sie spürte, daß er spürte, daß sie das selbe spürte.

Blieb zu hoffen, daß solche Abende nicht zur Regel würden. Den Absprachen nach würde Claire im Herbst den Posten der Laborleiterin übernehmen. Nicht, weil sie gut aussah, oder ihrem Chef schöne Augen machte, sondern aus dem einfachen Grund, daß sie gut war. Sie arbeitete akribisch, hatte creative Ideen, die sie auch umsetzten konnte, und sie konnte bei Bedarf verflucht hartnäckig sein. Dabei war sie nicht das, was man „karrieregeil“ nennen konnte. Vor vier Jahren war sie in einer ähnlichen Situation gewesen, bevor sie schwanger wurde und ihre Karrierepläne ohne zu zögern begrub. Umso mehr freute es Mike, wenn sie nun wieder die Gelegenheit bekommen sollte, sich weiterzuentwickeln. Ein Ersatz für die Kinder, die ihr nun verwehrt waren, konnte das nicht sein, aber es half ihr offensichtlich bei der Kompensation.

Laborleiterin, als eine der wenigen Frauen in gehobener Position in dem Unternehmen. Ein wiederlicher Gedanke zuckte durch Mikes Bewusstsein, wie ein unvermittelter Kontakt mit einem Zitteraal. Hatte sie den Posten angeboten bekommen, nachdem durchgesickert war, daß sie unfruchtbar war? „Übrigens, sie müssen sich keine Sorgen machen, daß ich eine Auszeit wegen Schwangerschaft nehme. Meine Gebärmutter ist glücklicherweise grundlegend zerstört. Terra Deserta, wenn sie verstehen…“ Mike wusste mit absoluter Sicherheit, daß Claire niemals zu solchen Mitteln greifen würde. Wenn nicht aus Rücksicht auf Mike oder sich selbst, dann aus Rücksicht auf Cassandra. Ein solcher Gedanke war nicht nur peinlich, er war schmerzhaft. Mike kannte diesen Schmerz: Ein plötzliches, brutales Reißen und Ziehen in seinen Eingeweiden, kurz aber heftig. Mikes Arzt kannte den Schmerz ebenfalls, beschrieb das hin und wieder auftretende Ereignis als psychosomatische Noxe. Wie auch immer man es nennen mochte: Der Körper folgt dem Geist, positiv wie negativ.

Das Bankett fand in einem anderen Raum statt. Zwei lange Reihen von Tischen, verschiedene Redner standen der Reihe nach auf und erließen sich in langwierig ausschweifenden Dankes – und Lobreden. Es folgte ein ausgeklügeltes Vier – Gänge – Menue; wenn man den Stehempfang mit „Sekt“ und „Schnittchen“ dazurechnete, ware es freilich fünf Gänge. Nichts davon sagte C laire wirklich zu. Sie saß zwischen Mike und VonBosstejns Begleitung, eine der weiblichen Ausnahmen im Saal. Der teure Ehering war der selbe, den auch Claires Chef trug. Mit ihren fünfundfünfzig Jahren war sie auch genau in dessen Alter, ihre Kleidung, das Makeup sowie die hochwertigen Zeugnisse plastischer Chirurgie in ihrem Gesicht, verdeutlichten, daß sie sich auch ganz zwanglos an den Konten ihres Mannes bedienen durfte.

Zwischenzeitlich versuchte Claire mit dieser Frau ein Gespräch zu beginnen, stellte aber bald fest, daß es ihnen nicht gelang, ein gemeinsames Thema zu finden. Dennoch versuchte sie, gute Miene zum langweiligen Spiel zu machen. Über den Tisch hinweg tauschte sie belanglose Nettigkeiten mit irgendeinem Aktionär aus, während der übergewichtige Betriebsratsvorsitzende drei Plätze weiter sie mit den Augen auszog. Also fasste Claire den Entschluß, den Mann für alle Zukunft abstoßend zu finden.

Nach dem vierten Gang hatte sie immer stärker mit den Auswirkungen der letzten Nacht zu kämpfen. Nach außen hin hielt sie tapfer die Fassade interessierter Heiterkeit aufrecht, während sie sich innerlich immer elender zu fühlen begann. Zu allem Überfluß schien Mike sich recht gut mit dem Leiter der Innenrevision neben ihm zu verstehen. Claire schnappte Gesprächsfetzen auf, in denen sie die Namen „Dante“, „Sartre“, „Dostojewski“ und irgendwann auch „Heidegger“ zu vernehmen glaubte. Zwei Plätze weiter wurde schallend über gruselige Zoten aus VonBosstejns letztem Thailandurlaub gelacht. Ein Kontrollblick ins Gesicht seiner Frau zeigte einen stir geradeaus gerichteten Blick und zusammengepresste Lippen. Claires Gedanken gerieten für den Bruchteil einer Sekunde außer Kontrolle, in dem sie sich selbst aufstehen und auf den Tisch steigen sah. Direkt vor ihrem Chef zog sie das Kleid hoch, ging in die Hocke und präsentierte ihm ihre eingeschlossene Scham, bevor sie unter schallendem Gelächter und Mikes Applaus auf VonBosstejns Teller pisste.

Sie schrak zusammen und schüttelte das verstörende Bild ab. Wie sie es hasste, so unvermittelt von durchaus unerwünschten Gedanken heimgesucht zu werden. Und auf einmal fühlte sie sich völlig allein in dem Saal, ein Gefühl das erschreckend echt und stark war. Als wäre sie wirklich völlig isoliert. Ihr Blick schweifte umher, sehr wohl sah sie die anderen Leute um sich herum, Mike eingeschlossen, aber die waren entrückt, gehörten nicht länger zu ihrer Realität. Irgendwie waren alle anderen außerhalb und nur Claire selbst war innerhalb, in einem engen, erstickenden Kokon. Am ehesten ähnelte das, was sie sah, einer Spiegelung. Sie saß in einem amorphen Spiegel, der sie vollständig umgab. Nur daß sie sich darin nicht selbst sah, sondern die Spiegelung der Partygesellschaft, der Welt, deren Bestandteil sie noch bis vor einer Sekunde gewesen war. Angst stieg in ihr hoch. Während ein Teil ihres Bewusstseins signalisierte, sie sei lediglich ein bisschen überdreht, es sei ja alles bestens, beharrte der tiefere, stärkere Teil darauf, daß sie jetzt in Panik auszubrechen habe.

Sich zusammenzureißen kostete einige Überwindung, dennoch stand sie vermeintlich ruhig auf und tippte Mike auf die Schulter. Sie hörte sich wie durch Watte ein paar Worte murmeln, in der Art von: „Bisschen unwohl, frische Luft, Toilette“, worauf sie zügig den Saal verließ.

Während sich die Räume für private Festlichkeiten im Erdgeschoß befanden, gab es im ersten Stock auch ein öffentliches Restaurant mit großer Dachterasse. Claire zögerte einen Moment, ob sie die Treppe hinaufsteigen und oben nach einer Toilette fragen sollte. Doch sie überlegte es sich anders; natürlich mussten auch im Erdgeschoss passende sanitäre Einrichtung zu finden sein. Sie wandte sich an den Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes, den ihre Firma für die Feier organisiert hatte.

Die Räumlichkeit war edel, blitzend sauber und geräumig. Mehrere Waschbecken mit breitem Rand und großen Spiegeln luden förmlich dazu ein, das Makeup nachzurüsten oder ein paar dünne, weiße Linien auf den schwarzen Marmor zu ziehen und durch einen fünfhundert Euro Schein wieder verschwinden zu lassen. Claire öffnete eine der Kabinen, auch hier war alles herrlich sauber. Duft von Limonenfrische überlagerte dezent die Gerüche nach Reinigungsmitteln, welche ihrerseits alle unangenehmeren Belästigungen der Nase vertrieben hatten. Claire schloß die Tür hinter sich ab und setzte sich auf den hinuntergeklappten Toilettendeckel. Die Ellenbogen auf die Knie gestützt, barg sie ihr Gesicht in den Händen. Wenige Augenblicke später gab sie dem Drang, den Tränen freien Lauf zu lassen, einfach nach.

Als die Eingangstür aufgestoßen wurde, biss sie sich auf die Unterlippe um auffälliges Schluchzen zu unterdrücken. Zwei kichernde und giggelnde Stimmen, die Claire vage bekannt vorkamen, hallten durch den Waschraum. Sie hörte das Rascheln von Handtaschen, klappernde Kosmetika und das Rauschen eines Wasserhahnes, untermalt von Lachgeräuschen, eines davon eher dezent kichernd, das andere mehr ein schrilles Kreischen. Die beiden Frauen sprachen russisch, Claire hörte ein paar Einzelheiten wie: „Schwantz“, „Hemdkragen“, „Sekt“, „Lippenstift“ und „Hure“ heraus. Nachdem die Stimmen sich entfernt hatten, die Tür wieder geschlossen war, wischte Claire sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie suchte sich eines der Waschbecken aus, in dem sie keine Tropfen vorfand und drehte das Wasser auf. Die Hände auf den Rand gestützt, beobachtete sie den Strudel, in dem die Flüssigkeit im Abfluß verschwand. Der drehte sich brav gegen den Urzeigersinn, alles wie immer, alles in Ordnung. Sie hob den Kopf, um einen Blick in den Spiegel zu riskieren. Was sie darin sah, war nicht unbedingt ein Grund zur Freude. Tränen hatten die wenigen Spuren von Schminke, die sie benutzt hatte, in eine reichlich bescheuerte Fratze verwandelt. Ohne eine Gründliche Korrektur konnte sie sich unmöglich zurück wagen. Leider musste sie im selben Moment feststellen, daß ihre Handtasche über der Lehne ihres Stuhles im Eßsaal hing.

Mike machte sich auf die Suche nach Claire, als das Dessert aufgetragen wurde. Ohne groß darüber nachzudenken, griff er sich auch ihre Tasche, bevor er der oberschichtlichen Geselligkeit vorerst den Rücken kehrte. Auch er hätte den Sicherheitsmann nach seiner Frau fragen können, aber er ließ es bleiben. Stattdessen stellte er seinen Geist auf Claire ein. Sie war zur Toilette gegangen, obwohl sie nicht musste, wahrscheinlich zu der im Erdgeschoß, weil oben zuviele Gäste waren. Seitdem waren fast zwanzig Minuten vergangen, in denen sie definitiv den Aufenthaltsort gewechselt hatte. Also frische Luft. Mike stieg die breiten Treppenstufen zum öffentlichen Bereich hinauf, wo er nach kurzer Zeit Claire am Rand der Dachterasse fand.

Mittlerweile war das Gewitter deutlich näher gerückt, so daß die Luft von Elektrizität zu knistern schien. Der Himmel war pechschwarz, grollte und rumpelte, aber noch regte sich kein Lufthauch. Über den Dächern blitzte Wetterleuchten auf. Ein paar Gäste standen noch in einiger Entfernung am Eingang und rauchten, während mehrere Kellner eilig die Tische abräumten. Claire stand direkt am Geländer. Rücken, Schultern und Arme kontrastierten nahezu strahlend weiß mit der Finsternis jenseits der Terasse, während sich vor dem weiß getünchten Steingeländer ihr schwarzes Kleid energisch abhob. Neben ihr auf dem Geländer stand ein Glas Wasser, zur Hälfte ausgetrunken. Mike trat hinter sie und legte die Arme um ihre Schultern. Eine Weile schauten beide schweigend in die Schwärze vor ihnen, bis Mike die Stille zerbrach.

„Was ist passiert? Du warst eben ziemlich komisch, da unten.“
„Schon. Mir war eben total komisch, da unten.“
„Es lag nicht an dieser reichlich steifen, irgendwie unangenehmen Gesellschaft.“
„Nein. Oder vielleicht auch, ein bisschen. Aber ich glaube, das alles war nur, sozusagen: der Katalysator für etwas, das eigentlich schon da war. Weisst du, für einen kurzen Moment war ich gar nicht mehr richtig präsent. Irgendwie total entrückt. Oder eigentlich nicht ich, sondern meine Umwelt. War alles ganz weit weg.“
„Ich glaube, du solltest wirklich in Zukunft nicht mehr so viel trinken wie gestern.“
„Stimmt. Aber auch damit hatte das nicht wirklich was zu tun. Ich hab‘ schon seit ein paar Tagen ein komisches Gefühl. Als wenn die ganze Welt um mich herum seltsam brüchig wird. Außerdem bin ich ziemlich sicher, daß du da ganz ähnlich empfindest, stimmt’s?“
„Ich sag’s mal so: Ich laufe auch seit einiger Zeit mit einem ziemlich geblähten Kopf herum. Aber hey: Was soll ich anderes erwarten? Die verfluchte Hitzewelle ist schuld daran. Das ist doch immer so: Wir sind alle auch vom Wetter gesteuert. Also häufen sich bei so einem Extremzustand wie in der letzten Zeit die ganzen Merkwürdigkeiten an. Wahrscheinlich hat das mit Murphy’s Law zu tun.“
„Mike, du bist echt ein Idiot! Das Wetter ist schuld? Ja ganz bestimmt!“
„Was denn sonst? Was willst du von mir hören? Du machst dich da irgendwie verrückt.“
„Ach, was weiß ich. Kann sein. Jedenfalls will ich nach hause. Am besten jetzt. Ich hab‘ gerade keinen Bock mehr auf das alles hier.“
„Kann ich nur zu gut verstehen. Mein Vorschlag: Wir gehen wieder runter, du machst dich ein bisschen frisch, wir verspachteln noch den Nachtisch, und dann werden wir uns spätestens in einer dreiviertel Stunde sehr höflich und steif verabschieden. Einverstanden?“
„Klingt okay.“

Für einen Moment blieben sie noch auf der Terasse stehen, um sich zu küssen, während der Donner näher rückte. Als eine erste, staubige Winböe über den mittlerweile menschenleeren Außenbereich des Restaurants fegte, rissen sie sich voneinander los. Claire nahm Mike ihre Handtasche ab, um damit noch ein zweites Mal in die edle Atmosphäre der Toiletten einzutauchen. Aufrüsten für den vermeintlich letzten Teil eines anstrengenden Abends.

Zu Claires Erleichterung schafften sie es sogar noch vor der von Mike avisierten Zeit, zu ihrem BMW zurückzukehren. Sie wollten eben die leere Straße überqueren, als Mike ihren Arm packte und festhielt. Claire hatte die Lichtblitze zunächst für Wetterleuchten gehalten, aber an der Kreuzung schaltete das Feuerwehrfahrzeug die Preßluft ein, raste mit quietschenden Reifen und einem Höllenlärm um die Kurve und an dem überraschten Pärchen vorbei. Zwei weitere Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr folgten, im Schlepptau des Löschzuges dröhnten ein Rettungswagen und zwei Polizeifahrzeuge vorbei. Mike vergewisserte sich, daß nicht noch weitere Blaulichtautos hinter der Ecke auf ahnungslose Beute lauerten, dann überquerten sie die Straße.

„Was meinst du, Claire, mit deiner Erfahrung: Brennt’s da hinten wirklich?“
Sie folgte seinem Blick. Ein paar Straßen weiter hatten die Fahrzeuge gehalten und tauchten die Umgebung in hektische blaue Lichtblitze, zwischen denen aufgeregte Personen in reflektierender Kleidung herumhasteten. Aus einer anderen Richtung trafen weitere Fahrzeuge ein, bis die gesamte Straße blockiert war.
„Ja, da brennt’s definitiv. Lass uns abhauen.“

Als sie sich dem Auto näherten, blieb Claire allerdings aprupt stehen.
„Mike?“
„Hm?“
„Was ist da los? Siehst du das? Guck dir unsere Reifen an! Die sind doch platt!“
„Scheyße! Das gibt’s nicht.“
Claire stand kopfschüttelnd vor dem Auto, während Mike einmal rund herum ging.
„Das darf nicht wahr sein! Alle Reifen platt! Die hat jemand zerstochen!“




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  RE: Unter fremden Monden Datum:25.06.11 19:23 IP: gespeichert Moderator melden


Viertes Kapitel:
Das Ritual



1.

Für einen Moment herrschte ratloses Schweigen angesichts der vier feinsäuberlich aufgeschlitzten Reifen. Claires Hände spielten in ihrer Handtasche mit dem Mobiltelephon, ihre Gedanken mit Anrufen bei Polizei und Abschleppdienst. Als ein gleißender Blitz die Straße für Sekundenbruchteile in hellem Licht aufleuchten ließ, verlor ihre Hand jegliches Interesse an dem Kommunikationsgerät und klammerte sich dafür an Mikes Arm. Krachender Donner hallte zwischen den Häusern wieder.

„Wenn wir jetzt losrennen, sind wir in drei Minuten an der Haltestelle, Mike. Ich habe keine Lust, im Unwetter auf die Polizei zu warten.“
„Seh‘ ich auch so. Wir könnten uns ins Auto setzen, aber…“
„…dann bleibt immer noch die Frage, wie wir nach hause kommen.“
„Und an der Haltestelle sind wir im Wartehäuschen mal vor dem Gröbsten geschützt.“
„Dann los, weil jeden Moment ist hier Achterbahn. Gib mir deine Schuhe!“

Eine heftige Sturmböe brauste zwischen den Häuserwänden hindurch, peitschte Staub und Müll über die Straße. Claire musste sich an Mike festhalten, der seinerseits Mühe hatte, dem Druck des Windes standzuhalten. Ein Stück hinter ihnen gab mit lautem Krachen ein Baum nach und legte sich quer auf einige geparkte Autos. Schnell schlüpfte Claire aus ihren High Heels, um die teure Unbequemlichkeit Mike zu übergeben, dann rannten sie los.

Mit der Haltestelle bereits in Sichtweite, schlug mit einem ohrenbetäubenden Knall ein Blitz direkt neben ihnen in ein Haus ein. Weitere Sturmböen trugen kleine Äste und eine Mülltonne in wirbelnden Bewegungen durch die Luft, sowie die ersten, pflaumenkerngroßen Hagelkörner. Scheppernd schlug das windgetriebene Eis gegen geparkte Autos und schwankende Straßenschilder, tanzte auf dem Asphalt der Fahrbahn und auf den Gehsteigen. Wassermassen schlugen mit den Windböen vom grollenden Himmel, so daß Mike und Claire sich Schutz suchend in einen überdachten Hauseingang hineinquetschen mussten. Obwohl kaum zwei Sekunden dem Niederschlag ausgesetzt, waren sie schon völlig durchnässt. Fröstelnd schmiegte sich Claire an Mikes Brust, sein triefendes Jackett klebte kaum Sc hutz bietend über ihren Schultern. Durch die wirbelnden Schleier aus Wasser und Eis war nicht einmal mehr die gegenüberliegende Straßenseite auszumachen, geschweige denn das Wartehäuschen der Haltestelle in weniger als hundert Metern Entfernung.

Begleitet von einem ineinander fließenden Stakkato von Donnerschlägen peitschte der Wind immer wieder prasselnd kalten Regen in Claires und Mikes Versteck. Eine besonders heftige Böe in Orkanstärke schob in unmittelbarer Nähe eine abgerissene Markise über den Straßenbelag, warf das Vordach polternd und kreischend gegen einen Kleinbus am Straßenrand. Im tosenden Aufruhr der Elemente wirkten diese Geräusche klein und unbedeutend. Jedenfalls war an einen Sprint zur Haltestelle bei solchen Verhältnissen nicht zu denken. Claire zog ihr nasses Handy aus dem Swimmingpool in ihrer Handtasche. Um sich verständlich zu machen musste sie ihren Mund in unmittelbare Nähe zu Mikes Kopf bringen und ihm ins Ohr schreien.

„Scheyße. Verdammter Sturzregen, mein Mobiles ist tuk. Kein Bild, kein Ton.“
„Und meins liegt zuhause in der Küche.“
„Na ganz toll. Ich hab‘ gedacht, ich rufe mal eben ein Taxi…“
„Ich bin mir nicht so sicher, ob bei dem Wetter eins kommen würde. Der Baum vorhin… Da sind sicher noch einige mehr umgestürzt und blockieren die Straßen. Schau dir mal an, wie hoch da jetzt das Wasser steht. Ein Fluß, wo vorher Fahrbahn war.“
„Super. Die Straßenbahn können wir dann auch vergessen, bestimmt sind wieder irgendwo die Oberleitungen kaputt.“
„An der Haltestelle war aber vorhin jemand, drei oder vier Leute.“
„Ja, bevor hier die Hölle losgebrochen ist.“
„Die werden sich aber da wohl kaum wegbewegt haben. Und wo Leute sind, gibt’s auch Handys. Dann warten wir einfach, bis das Gröbste vorbei ist, und bestellen zusammen ein Taxi.“
„Du willst jetzt nicht ernsthaft da rüber laufen, oder?“
„Mal sehen.“

Wie auf Kommando ging der Hagel in beinahe waagrecht getriebene Regenschleier über. Auch der Wind schien ein bisschen nachgelassen zu haben; immerhin waren die Häuser gegenüber wieder zu sehen. Im Flackern der Blitze peitschte der Regen auf die überflutete Straße. Prüfend betrachtete Mike die schwankenden Straßenlaternen, bevor er Claires Hand nahm und losrannte.

„Lauf! Gib auf deine Füße acht, Claire, da schwimmt eine Menge Scheyßdreck im Wasser!“

Das Wasser war tief, ging ihr bis über die Knöchel. Sie hielt den Saum ihres Kleides und rannte neben Mike her, wich einem treibenden Briefkasten und schwimmenden Bierflaschen aus. Sie befanden sich mitten auf der Straße, als es erneut zu hageln begann. Zwei Scheinwerfer kamen durch das Inferno auf sie zu, blendeten mehrmals auf und kamen kaum einen Meter von ihnen entfernt zum Stehen. Verzweifelt kämpften die auf maximale Frequenz geschalteten Scheibenwischer gegen auf die Frontscheibe gepeitschte Wassermassen an, während sich zu den Geräuschen des Unwetters, Sturm und Donnergrollen, gurgelndem Wasser und prasselnden Niederschlägen, das schrille Wimmern mehrerer PKW – Alarmanlagen gesellte, die gegen die erneuten Einschläge dicker Eiskörner protestierten. So war die Stimme kaum zu hören, die durch das halboffene Fenster auf der Fahrerseite aus dem Wageninneren schrie.

„Claire! Mike! Einsteigen! Macht, daß ihr von der Straße kommt!“

Eine weitere Aufforderung benötigten beide nicht. Mike öffnete die Tür zum Fond auf der Fahrerseite, schob Claire hinein und folgte so schnell er konnte; die Autotür hinter sich zuziehend landete er klatschnass wie er war halb auf Claires Schoß. Der Fahrer des Wagens drehte sich nach hinten um, erst jetzt erkannten sie Charon respektive Gregorij, der stirnrunzelnd die Sauerei auf seiner Rückbank betrachtete. Charon seufzte leicht, fuhr den Wagen an den Straßenrand und stellte den Motor ab, ließ aber Abblendlicht und Warnblinker an.

„Hilft nichts, bei dem Unwetter kann ich unmöglich weiterfahren.“
„Uns hast du immerhin noch rechtzeitig gesehen.“
„So eben noch, Claire, so gerade eben. Was macht ihr ihr eigentlich bei dem Wetter draußen auf der Straße? Noch dazu in solch feinem Zwirn?“
„Wir waren auf der Vorstandfeier von Claires Firma und wollten eben nach hause. Das Gewitter hat uns sozusagen überrascht.“
„Naja, nicht ganz richtig. Wir wären ja gefahren, aber irgendein Arschloch hat unseren BMW lahmgelegt.“
„Wie das?“
„Alle vier Reifen aufgeschlitzt!“

Bei den letzten Worten simulierte Claire mit der Hand das Zustoßen mit einem Messer, um der dreisten Aggressivität dieser Handlung noch mehr Nachdruck zu verleihen.

„Naja, ihr seht’s ja selbst, mit dem Auto wärt ihr wohl auch nicht weit gekommen.“
„So sieht’s aus, ja. Aber wir hatten ja das Glück, daß du Claire und mich überhaupt erkannt hast.“
„Hab‘ ich zuerst mal gar nicht. Nicht bevor ihr direkt vor der Motorhaube gestanden habt. Aber bei dem Wetter hätte ich wohl so ziemlich jeden hier reingelassen.“
„Bist ein rechter Menschenfreund, Gregorij. Jeder Raubmörder wird dir innig dankbar sein.“
„Keine Sorge, Claire. Da wüsste ich mir schon zu helfen.“
„Wer denkt in so einer Situation schon an sowas. Wobei… Du hast doch den Totschläger dabei, Claire, oder? Wollen doch mal sehen, was die Brieftasche von diesem Typen so hergibt.“
„Tut’s auch ein abgesoffenes Handy?“
„In meiner Brieftasche sind so ungefähr zwanzig Euro. Und vielleicht noch mal zwei oder drei im Handschuhfach und unter dem Beifahrersitz. Aber ich kann euch ersatzweise anbieten, euch nach hause zu fahren, bevor Claire mit ihrem furchteinflößenden Waffenarsenal ernst macht.“
„Wie wären dir ewig dankbar.“
„Das hört man gerne, gerade von dir, meine Teuerste. Sobald ich da draußen wieder was sehe, geht’s los.“

Aber das Unwetter machte keine anstalten, sich zu beruhigen oder weiter zu ziehen. Fast eine halbe Stunde wüteten die Naturgewalten mit unverminderter Stärke weiter, bevor Charon es wagen konnte, die Fahrt durch den zwanzig Zentimeter tiefen Fluß auf der Straße fortzusetzen. Schon eine Weile vorher hatte er den Motor wieder angestellt um Heizung und Lüftung aufdrehen zu können. Mike und Claire waren völlig durchweicht, die Scheiben im nu beschlagen und Claires Körper in Mikes Armen zitterte vor Kälte.

Doch auch als sie wieder einigermaßen sehen konnten was sich unmittelbar vor Charons Passat befand, kamen sie teilweise nur im Schrittempo voran. An manchen Stellen waren die Straßen von reißenden Flüssen überspült, die Schlamm und Steine mit sich rissen. An anderen Stellen lagen große Äste oder anderes teilweise undefinierbares Gerümpel im Weg. An einer Stelle mussten Mike und Charon aussteigen, um in mühseliger und nasser Handarbeit eine Barriere aus Absperrgittern, Sonnenschirmen und Teilen eines Baugerüstes von der Fahrbahn zu räumen.

Erst nach mehr als einer dreiviertel Stunde bog Charons Wagen auf das Grundstück der Mommsens ein, wo er vor der Garage hielt.




© by Turambar. Der Autor beansprucht sämtliche Rechte an dieser Geschichte. Das Runterladen zum privaten Gebrauch ist völlig in Ordnung. Was nicht in Ordnung ist, ist jegliche Vervielfältigung und Weitergabe. Das gilt auch für das WWW (man höre und staune: „Wie, Regeln gelten auch im Internet?!?“) Insbesondere bei Seiten, die nicht vollständig kostenfrei sind, wäre ich sauer. Wenn es tatsächlich jemanden in den Fingern juckt, die Texte noch woanders hochzuladen oder anderweitig zu veröffentlichen, bitte PN an mich. Man kann über alles reden.
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  RE: Unter fremden Monden Datum:26.06.11 19:29 IP: gespeichert Moderator melden


2.

Mikes Hand strich über das Autodach, die von den Hagelkörnern verursachten Dellen betastend. Noch regnete es leicht, aber zumindest vorläufig war die Unwetterfront weitergezogen. Vom Garagendach troffen immer noch Ströme von Wasser, dazu das wilde Gluckern in den Dachrinnen, sowie das Gurgeln und Stöhnen der total überlasteten Kanalisation. Mit Schaudern beobachtete Claire den rülpsenden Gulli, während sie zitternd vor Kälte barfuß in einer schlammigen Pfütze stand, wo vorher einmal der Weg zum Hauseingang gewesen war. Mit ungläubigem Kopfschütteln befühlte Mike einen besonders tiefen Einschlag im Lack von Charons Passat.

„Wow. Wenn mich oder Claire so ein Teil erwischt hätte, dann wär’s dunkel geworden. Ich hoffe, deine Versicherung deckt den Schaden ab, Gregorij?“
„Keine Ahnung. Ich muss es nachschauen. Dein Auto wird auch nicht besser aussehen, Mike.“
„Weiß ich. Und ich bin mir ziemlich sicher, daß der BMW dagegen nicht versichert ist.“
„Hallo, Männers! Wenn ihr mit eurem Autokram fertig seid, könnten wir dann vielleicht reingehen? Ich weiß, daß ihr als Männer ja gar nicht frieren könnt, aber meine Temperaturwahrnehmung funktioniert einwandfrei. Und die gibt mir jetzt zu verstehen, daß ich mich gerade in einen Eisklotz verwandele.“

„Whiskey? Oder Grappa? Wie sieht’s aus Gregorij, ein bisschen Wärme kann uns nicht schaden, oder?“
„Ich würde sagen, wir haben es uns verdient. Gerne, Mike.“
Mit nasser Anzughose und barfuß griff Mike drei Gläser aus dem einen Schrank und eine Flasche Single Malt aus einem anderen.
„Du nimmst doch auch einen, Füchsin?“
„Später bestimmt. Aber zuerst muss ich aus den nassen Sachen raus und ganz irrsinnig heiß duschen. Wenn du unbedingt mit dem ruinierten Anzug das Wohnzimmer versauen musst, bitteschön. Aber ich gehe kurz hoch.“
„Ich ziehe mich auch gleich um, aber vorher trinke ich einen kurzen Schluck mit unserem Retter in der Not…“
„Ich bin kurz weg, dann.“
„Stop! Nimm das hier lieber mit!“

Claire schnappte sich, begleitet von Charons verwirrtem Blick, den kleinen Schlüssel, der an der Kette von Mikes ausgestrecktem Zeigefinger baumelte. Im Gehen warf sie Mike einen grimmigen Blick zu, den er mit einem frechen Grinsen erwiederte. Charon kratze sich am Kinn; so richtig schlau wurde er aus dieser Darbietung nicht.

„Was war das denn? Schließt ihr das Badezimmer ab, wenn ihr das Haus verlasst, oder wie?“
„Ach woher. Das Badezimmer abschließen? Das wäre doch wirklich komplett abwegig. Nein, nur Claire wird abgeschlossen. Ist doch viel logischer.“
„Häh? Was?“
„Prost, Gregorij! Auf den Sachbearbeiter deiner Versicherung!“
„Möge er meinen Schaden erstatten, oder ansonsten an Syphilis erkranken!“

„Und?“
„Gutes Stöffchen, Mike. Ein Irischer?“
„Jou. Mir gefällt die Farbe: Das selbe, warme rotblond wie Claires Haare.“
„So in etwa, stimmt. Bist’n hoffnungsloser Ramontiker, was?“
„Bei Gelegenheit. Sag mal, musst du gleich weiter, oder bleibst du noch ein bisschen? Bei mir ist vorerst an Schlaf nicht zu denken. Und wenn Claire geduscht hat, würde sie sich glaub‘ ich auch freuen…“
„Also eilig hab‘ ich’s nicht. Wenn euch das nicht zu viel wird, nehme ich die Einladung gerne an.“
„Prima. Achso, du hast dich ja auch für unsere Uhr interessiert. Dann hast du jetzt Gelegenheit, sie mal in Augenschein zu nehmen, während ich mich umziehe. Und danach machen wir es uns noch ein bisschen gemütlich; Flasche Wein und Palaver…“

Claire befand sich noch im Bad, als Mike schon ein frisches T-Shirt und Jeans angezogen hatte. Durch die geschlossene Tür hörte er eben noch Wasser rauschen, gefolgt von einem leicht komischen Fiepen aus ihrer Kehle, als Claire anscheinend den Regler aprupt von heiß auf kalt stellte. Wenige Sekunden später hörte er die Dusche ausgehen, worauf er die Tür ein stück öffnete, um hineinspicken zu können.

„Wie weit bist du?“
„Bin ganz in der Nähe. Willst du auch duschen?“
„Nö. Später. Daß du da blos nichts Unanständiges anstellst, so allein da drin.“
„Auch wenn’s schwer fällt, ich reiß‘ mich mächtig zusammen. Soll ich mich wieder einschließen?“
„Auf jeden Fall! Wenn’s dir jetzt schon schwer fällt, wird es ja gerade interessant.“
„Sehr witzig.“
„Vergiss meinen Schlüssel nicht!“
„Den bekommst du, wenn ich wieder runterkomme. Der Kopf unseres Gastes raucht ja schon gewaltig wegen dem Rätsel.“

Nach dem Duschen zog sie sich eine weite Fleecehose an, dicke Socken, T-Shirt und Pulli; sie hatte keine Lust, sich noch einmal in Schale zu werfen. Den Schlüssel steckte sie gedankenverloren in die Tasche der unförmigen Hose, um ihn anschließend dort zu vergessen. Unten saßen Mike und Charon, vertieft in ein Gespräch, und so vergaß auch Mike, sie nach dem Schlüssel zu fragen, was sich später als unverschämtes Glück herausstellen sollte. Claire setzte sich neben Mike auf das Sofa, wo sie sich an der Schulter ihres Mannes anlehnte. Charon war gerade dabei zu erzählen, was ihn mitten im schönsten Unwetter in Claires und Mikes Reichweite verschlagen hatte.

„Jedenfalls wollte ich eigentlich vor dem Gewitter noch nach hause kommen, aber wie das so ist, man unterhält sich, Zeit vergeht, und am Ende steht man im Regen.Ich kenne diesen Nobelitaliener, wo ihr gewesen seid. Dieser Wasenstein wohnt in der selben Straße, ich bin also vorbeigefahren.“
Claire wurde hellhörig.
„Da war doch alles voller Feuerwehr und Polizei. Aber das war nicht bei dir, oder?“
„Nein. Das muss das Haus nebenan gewesen sein. Aber ich war ziemlich zugeparkt von denen. Wenn da der Auflauf nicht gewesen wäre, säße ich wahrscheinlich jetzt noch bei Beat. Ein interessanter Mann, ich stehe seit einiger Zeit mit ihm in Kontakt, aber heute habe ich ihn zum ersten Mal getroffen.“

Mike verzog das Gesicht, zugleich führte er mit der Linken eine recht abfällige Handbewegung aus.
„Interessant, wirklich? Ich habe ein paar Sachen von ihm gelesen. Halb esoterisch, halb weltverschwörerisches Zeug. Ziemlich abwegig fand ich das eigentlich.“
„Ja, seine Schlußfolgerungen sind eher bescheiden. Aber mir ging es um seine Grundlagen. Und die sind wirklich sehr fundiert. Der Mann hat sich sehr in der Tiefe mit vorchristlichen Religionen und ihren Ritualen befasst. Er verfügt über Quellen, von denen ich noch nie gehört habe, und genau um die ging es mir. Von seinen abgehobenen und ziemlich wirren Ideen und Idealen halte ich genauso wenig wie du, Mike.“
„Du hängst dich ja ziemlich rein, in dein Hobby.“
„Es ist eigentlich mehr als ein Hobby für mich. Meine reguläre Arbeit mache ich, um ein angenehmes Leben führen zu können. Aber ich träume davon, mal selbst etwas zum Ursprung und zur Bedeutung alter, vorchristlicher Bräuche zu verfassen. Und natürlich, wie manche davon ihren Weg in den heutigen Alltag gefunden haben.“
„Nach allem, was ich bisher über dich weiß, das meiste davon natürlich von Claire, würde das auch viel besser zu dir passen, als eine Arbeit als Fondsmanager.“
„Findest du das? Wirke ich so seltsam und verschroben?“
„Wie denkst du denn, wie du wirkst? Selbst ich bin eigentlich nie aus dir schlau geworden. Was nicht schlimm ist, bist ja soweit ein netter Kerl, aber du gibst dir schon Mühe, ein bisschen unheimlich zu wirken.“
„Eigentlich solltest gerade du mich da ein bisschen besser kennen, Claire. Aber wenn du schon so anfängst…“

Charon verstummte, eine Weile sah er seine beiden Gastgeber grübelnd an, nippte dabei tief in Gedanken an seinem Whiskeyglas.
„Wenn ich so anfange, dann was?“
Er stellte das Glas auf den Couchtisch, zuckte die Schultern und stand auf.

„Ich habe mir vorhin ein bisschen eure Uhr angeschaut. Wirklich ein sehr interessantes Handwerksstück. Habt ihr euch einmal diese Schnitzereien genauer betrachtet? Komischerweise war etwas ganz Ähnliches auch Gegenstand in dem Gespräch, das ich eben mit Beat Wasenstein geführt hatte.“
Irgendwas an seinem Ausdruck, seiner Körperhaltung und seinen Worten sorgte bei Mike für eine unangenehme Irritation.
„Ich wüsste zu gerne, auf was du hinauswillst. Du wälzt da irgendeinen Gedanken in deinem Kopf, jetzt schieß schon los.“
„Ähm, es ist eigentlich eine blöde Idee… Es ist schon recht spät, und ihr beide würdet mich für bescheuert halten, glaube ich.“
„Bist du sehr müde Claire? Also ich bin noch quietschvergnügt. Oder meinst du, der Typ ist bescheuert?“
„Also, von meiner Seite nö und nö. Ich bin topfit und der Typ macht doch einen ganz soliden Eindruck. Immerhin arbeitet er bei einer Bank.“
„Also gut. Aber ihr müsst es sagen, wenn ihr keine Lust habt. Oder es zu viel wird.“
„Wieso? Willst du uns eine vollständige Solodarbietung von Wagners Ring geben oder so?“
„Nicht ganz, Mike. Aber sowas in der Art vielleicht. Habt ihr Lust auf ein kleines Experiment? So eine Art Session, angelehnt an ein paar alte Rituale und Bräuche?“




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  RE: Unter fremden Monden Datum:27.06.11 20:20 IP: gespeichert Moderator melden


Da bin ich mal gespannt, wie sich so ein Schlüsselverlust als "unverschämter Glücksfall" herausstellen vermag...

Ach, dieser gelassene, selbstverständliche Umgang mit dem KG im Alltagsgebrauch, einfach so wie´s sein sollte...Die geschichte wird immer besser, nur weiter so!

LG
Miguel
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Turambar
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  RE: Unter fremden Monden Datum:27.06.11 22:57 IP: gespeichert Moderator melden


Hallo, Miguel.

Das tut doch dem Autorenherzen gut, wenn es sich hin und wieder an einem Kommentar erfreuen darf. Es gibt so ein bisschen die Sicherheit, daß ich nicht an allen "Story Readers" total vorbeischreibe.

Weiter geht´s morgen. Vielleicht "so", vielleicht auch ganz anders.

Ob das vielleicht eine Idee für einen neuen Nutzerstatus wäre? "Story Reader"? So ab dem fünfzigsten Kommentar in einem Geschichten - Board... denn was wären die Schreiber ohne die Leser?

Grüße, Turambar.


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  RE: Unter fremden Monden Datum:28.06.11 16:03 IP: gespeichert Moderator melden


3.

Gereizt öffnete Alfons Basstong die Fahrertür. Vor Nässe triefende Männer in Feuerwehruniformen rollten Schläuche zusammen, oder schleppten Atemschutzausrüstung zurück zu den Fahrzeugen. Dazwischen wirkten die Kollegen vom Streifendienst und der Verkehrspolizei einigermaßen unsortiert, Absperrungen wurden verschoben, um abrückende Fahrzeuge durchzulassen, wieder aufgestellt um jene Neugierigen im Zaum zu halten, die sich trotz des Unwetters versammelt hatten. Anscheinend war es nicht ganz einfach, die Gaffer von denen zu trennen, die aus dem brennenden Haus evakuiert worden waren. Basstong warf einen Blick ins Innere eines Rettungswagens mit offener Tür, in dem sich an die zehn Personen zu drängen schienen. Er zuckte die Achseln und setzte seinen Weg durch das Flackern der Blaulichter fort, stapfte mit durchweichten Schuhen durch den langsam nachlassenden, prasselnden Regen.

Das Seitenfenster fuhr herunter, nachdem er dreimal gegen die Scheibe des Einsatzleitwagens der Feuerwehr geklopft hatte. Ihm kam der stämmige, glatzköpfige Mann auf dem Beifahrersitz bekannt vor, ohne daß er sich an seinen Namen erinnern konnte. Es war unschwer zu erkennen, daß der Einsatzleiter mindestens ebenso genervt war, wie der Kommissar.

„Was gibt’s? Wenn sie ein Interview wollen, dann gehen sie zur Polizei. Bei mir nicht.“
„Genau von ihnen brauche ich aber das Interview. Weil nämlich ich bin die Polizei. Kripo, Alfons Basstong.“
Der Einsatzleiter reichte seinen Funkhörer an den Fahrer, um Basstong die Hand zu geben.
„Was willste denn wissen?“
„Die Anwohner sind alle draußen?“
„Aus dem betroffenen Haus und den angrenzenden, alle evakuiert. Die Verletzten werden noch versorgt oder sind unterwegs ins Krankenhaus, die anderen sollten größtenteils in dem Restaurant die Straße runter sein. Ich hab‘ da mal einen Saal requiriert, bei dem Wetter kannste die Leute ja nicht im Regen stehen lassen.“
„Geht klar. Ich schick‘ da mal `nen Kollegen runter. Wie viele Verletzte habt ihr?“
„Acht sind registriert, alles Rauchgas. Aber oben drin liegt ein Toter, das wäre was für dich, dann.“
„Ja super. Das hat mir gerade noch gefehlt. Oben drin? Also Dachgeschoß? Brandherd war auch oben?“
„Ja. Waren praktischerweise alle Dachfenster auf, der Sturzregen hat uns ein bisschen geholfen, sonst wär’s schwierig geworden.“
„Wann können wir rein?“
„Sobald geklärt ist, ob der Dachstuhl hält.“

Mit zunehmend schlechter Laune stapfte Basstong zum Dienstwagen zurück. Unterwegs nahm er sich den ranghöchsten Kollegen, den er finden konnte, und sprach die Sicherung der Einsatzstelle sowie die Personenbefragung der betroffenen Bewohner mit ihm ab. Auf ein Klopfen aufs Autodach öffnete sich die Beifahrertür des Dienstwagens, drinnen saß Torun im Trocknen, in einer Hand das Funkgerät, in der andern eine Zigarette; Rauchverbote interessierten den Hauptkommissar nicht wirklich.

„Wir haben einen Toten, Yildiray. Bestell doch mal noch Spusi nach.“
„Hab‘ ich schon. Aber die stecken fest, weil die Straße blockiert ist. Verdammtes Unwetter, war so klar, daß ausgerechnet dann so ein Einsatz anläuft.“
„Wundert dich das?“
„Nö. Ist doch immer so.“
„Komms du mit rauf? Ansonsten mach dich mal kundig, wie’s mit der Brandursache aussieht.“
„Bah. Die wissen eh noch nichts. Soll das die Forensik klären. Können wir denn schon rein?“

Schwarzverschmierte Flecken an den Knien der weißen Hose des Notarztes ließen vermuten, daß er neben der Leiche gekniet hatte. Angewiedert rümpfte Basstong die Nase. Ein Sanitäter hatte ihm einen Mundschutz aus Papier gegeben, der allerdings gegen den starken, Übelkeit erregenden Brandgeruch und den Gestank von kaltem Rauch keine Hilfe war. Auf einen Mundschutz hatte Torun verzichtet, dafür steckten seine Hände bereits in ebenfalls vom Rettungsdienst geklauten Gummihandschuhen. Er hatte sich Schulter an Schulter mit dem Arzt gestellt, um diesem beim Ausfüllen seines Protokolls zusehen zu können.

„Was schreibst du als Ursache auf den Schein?“
„Ungeklärt, was sonst? Der Körper ist ziemlich verschmort, aber soweit ich sehe, gibt’s keine äußeren Verletzungen. Den Rest überlasse ich gerne den Kollegen von der Pathologie. Die Leiche liegt noch genau so, wie wir sie gefunden haben. Was die Feuerwehr gemacht hat weiß ich nicht, und mein Job ist, den Tod festzustellen. In dem Fall kein großes Kunststück.“
„Hast du `nen Namen?“
„Die Wohnung gehört einem Doktor Beat Wasenstein. Den Namen schreib ich auch auf’s Protokoll, mit Fragezeichen, weil ich keinen Ausweis oder so gesehen habe. Identität feststellen ist doch Sache der Polizei, oder hat sich das jetzt geändert?“
„Nönö. Aber wenn du’s dir leicht machen willst, dann schreib‘ bei Name einfach auch unbekannt rein. Sonst kommt ein findiger Kollege bei uns vielleicht auf die Idee, nochmal nachzufragen. Weil man hat ja nie genug Papierkram zu erledigen.“
„Danke für den Tip. Geht ihr von Mord aus? Brandstiftung?“
„Müssen wir ja leider, solange nichts geklärt ist. Wird auf jeden Fall `ne lange Nacht.“
„Hast mein vollstes Mitgefühl. Bei uns sieht’s aber auch nicht besser aus. Schon dreimal angepiepst, seit wir hier sind. In der Stadt ist die Hölle los, wegen dem Unwetter.“
„Was du nicht sagst.“
„Hier ist dein Durchschlag. Wir ziehen denn mal weiter.“
„Ich wünsch‘ dir trotzdem `ne ruhige Nacht.“
„Danke, auch wenn’s damit wohl nichts wird.“

Alfons Basstong untersuchte vorsichtig die Überreste der Kleidung des verbrannten Mannes. In der Innentasche der Jacke fand er eine Brieftasche, deren Inhalt noch einigermaßen intakt geblieben war. Auch der Personalausweis war noch lesbar, und bestätigte insofern die Vermutung des Arztes. Torun ging langsam durch die verbrannte Wohnung, ein ausgebautes Dachgeschoss mit vielen schrägen Fenstern. Die meisten lagen nun in Splittern auf dem Parkettfußboden, der überzogen war mit einem glitschigen Schleim aus Ruß, Regenwasser und Löschmitteln. Die Wohnung war groß und geräumig, fast schon ein richtiges Penthouse. Im größten der Räume lag die Leiche, hier waren auch die Verwüstungen durch den Brand am deutlichsten. Küche und Badezimmer dagegen hatten von dem Feuer kaum Schaden genommen, standen allerdings durch die Arbeit der Feuerwehr ebenfalls unter Wasser. Was Yildiray Torun in der Küche auffiel, war eine leere Weinflasche und zwei Gläser in der Spüle. Er würde feststellen müssen, wer hier zu Besuch gewesen war.

Nach dem kurzen Rundgang kehrte er zu Basston zurück, der vor einem Haufen von verbrannten Papieren hockte. Zwischen den Überresten eines Sofas und einem zusammengebrochenen Wohnzimmerschrank mit geborstenen Glastüren lag ein weiteres solches Häuflein, das wahrscheinlich einmal ein Stapel Bücher oder Schnellhefter gewesen war. An einer der Wände hatte vor dem Brand ein großes Bücherregal gestanden, daß aber beinahe zur Gänze ein Raub der Flammen geworden war. Ein großer Flachbildfernseher lag dort nun teilweise geschmolzen in einem Haufen kaum definierbarer Trümmer. Basstong stand kopfschüttelnd auf und zog sich die Gummihandschuhe aus.

„Zum Kotzen, Yildiray, wie immer. Es gibt nichts nervigeres als einen Wohnungsbrand mit Todesopfer. Ein Haufen Ermittlungen, ein unheimlicher technischer Aufwand, und am Ende läuft es sowieso wieder auf einen Unfall heraus.“
„Mal abwarten. In der Küche sind zwei benutzte Weingläser; war wohl Besuch da, heute Abend.“
„Wird ja immer besser. Also noch mehr Arbeit.“
„Wo sind die anderen Bewohner aus dem Haus? Da brauchen wir Personalien, und…“
„Das läuft schon an. Soweit nicht im Krankenhaus, sind die Anwohner in dem Restaurant neben der Lukaskirche. Zwei Kollegen sind dabei und nehmen die Daten auf.“
„Komm, wir müssen nicht hier warten. Wir suchen uns Kaffee, und hocken uns ins Auto, bis die Spusi anrückt. Ohne die können wir eh nicht weitermachen.“
„Besser so. Bevor wir hier oben ersticken…“

Der Regen hatte mittlerweile aufgehört, so daß Torun statt weiterhin das Wageninnere mit Zigarettenrauch anzufüllen, seine Lunge im Freien weiter beschädigen konnte. Basstong stattete dem als Notunterkunft mißbrauchten Restaurant, in dem bis vor kurzem noch der Vorstand eines Pharmaunternehmens gefeiert hatte, einen Besuch ab. Er unterhielt sich mit den Kollegen, die mit den Bewohnern des Brandhauses sprachen. Er besorgte auch Kaffee, der ziemlich gut schmeckte solange er heiß war. Als die Feuerwehr unter Sirenenlärm abrückte, auf dem Weg zum nächsten Einsatz, war der Kaffe kalt. Noch vor der Spurensicherung traf bald darauf der Leichenwagen der Pathologie ein. Torun musste weitere drei Gauloises rauchen, bevor die Untersuchung des Brandortes wirklich anlaufen konnte. Eine Untersuchung, die Alfons Basstong mißmutig als vergäudete Zeit und verschwendetes Geld ansah, rechnete er doch fest damit, in seinem Abschlußbericht nur wieder einen häuslichen Unfall mit Todesfolge zu dokumentieren. Die Ergebnisse in den nächsten Tagen belehrten ihn dann aber eines Besseren. Oder eines Schlechteren, das kam ganz auf den Standpunkt an.




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  RE: Unter fremden Monden Datum:29.06.11 16:04 IP: gespeichert Moderator melden


4.

Am Boden lag ein großes Blatt Papier ausgebreitet, auf das Charon einen Kreis mit einem dreizackigen Stern in der Mitte gemalt hatte. Die Strahlen trennten sich in annähernd gleichen Winkeln. Charon malte sie bauchig und dick, so daß sie beinahe eine Replik des Ziffenblattes der Standuhr im Hintergrund bildeten. Fasziniert beobachtete Claire, wie er um den Kreis herum kleine Figuren skizzierte. Seine filigranen und präzisen Bleistiftstriche verdichteten sich zu sonderbaren Gestalten: Phantastische Wesen, menschliche Körpern mit Tierköpfen, kopulierende Dämonen und archaische Götter; Feuer, Schwert und Eisen.

Während Charon zeichnete, brachte Mike Kerzen, Wein und Gläser, die er neben der Zeichnung abstellte. Mittlerweile verdichteten sich die miteinander eng verflochtenen Fabelgestalten zu einem weiten, äußeren Ring um den inneren Kreis mit dem Stern in der Mitte. Fast brutal war dieser Kontrast zwischen der nüchternen, geometrischen Darstellung im Zentrum, die in ihrer schlichten Einfachheit dem filigranen Muster voller seltsamer und schauriger Details entgegenstand. Einzig an den Punkten, wo die Spitzen des Sternes den inneren Kreis berührten, wurde der umgebende Reigen verschlungener Körper durchbrochen. Stattdessen malte Charon dort jeweils kleinere Repliken des zentralen Symboles.

Wie selbstverständlich ordneten sich die beiden Mommsens und ihr Gast so um die Zeichnung an, daß daß auf jeden von ihnen ein solcher „Zeiger“ ausgerichtet war. So saßen sie sich gegenüber, in annähernd gleichem Abstand voneinander, drei Drittel eines Kreises. Mike und Charon im Schneidersitz, Claire auf einem Kissen, die Knie nach rechts zur Seite abgewinkelt. Mit der linken Hand stützte sie sich auf dem Boden ab, die Rechte ruhte auf ihren Fußgelenken. Charon stellte drei Kerzen auf die kleinen, geometrischen Symbole an den Spitzen des inneren Sterns. Ein großes, leeres Weinglas platzierte er im genauen Zentrum seiner Zeichnung, während Claire die drei übrigen Gläser mit dunklem Rotwein füllte. Sie fühlte sich in eine angenehm prickelnde Stimmung versetzt, verschwörerisch und aufregend. Wie zu ihrer Schulzeit, als sie mit Freundinnen konspirative Treffen edes streng geheimen Mädchenzirkels abgehalten hatte. Damals war es allerdings irgendwann meist darum gegangen, bei Kerzenschein und im Flüsterton über die Jungs der Klasse herzuziehen und über die außenstehenden Mädchen zu lästern. Irgendwie war das hier besser: Dunkler, tiefergehend; realer. Claire nippte an ihrem Wein, entspannte sich, ließ die Blicke von der Zeichnung zu Charon schweifen, wieder auf das Blatt Papier und dann zu Mike.

Der auch ziemlich entspannt war. Genaugenommen war er aufgeregt entspannt, ein leicht paradoxes Gefühl, das er aber durchaus schätzte. Er staunte über Charons Kunstfertigkeit im Umgang mit dem Bleistift, umso mehr als er verblüfft feststellte, daß sich viele der gezeichneten Figuren auch in den Schnitzereien an der alten Standuhr von Claires Vater wiederfanden. Als er sie nun aber auf Papier aufgemalt und um einige Bilder ergänzt vor sich sah, erkannte er zum ersten Mal den kulturellen und spirituellen Hintergrund darin. Menschliche Urängste und Archaetypen waren bildhaft dargestellt; geschlechtliche Vereinigungen von Götterwesen, kriegerische Szenen zwischen Dämonen, Geburt und Tod der niederen Geschöpfe. Freilich hatte Charon recht schnell gezeichnet, so daß manche Details nur mehr angedeutet waren, aber dennoch lag auch darin eine teilweise erschreckende Präzision. Besonders bewegt wurde Mike von dem Bild einer Gruppe von Menschen, Männer und Frauen, die anscheinend allesamt in Keuschheitsgürtel eingeschlossen waren. Diese Gestalten trugen eine Art Diwan, auf welchem die sexuelle Vereinigung zweier Götterpaare stattfand. Getrieben wurde diese Gruppe von einem dämonischen Wesen mit Peitschen in jeder der sechs Hände. Von Faszination geleitet stand Mike auf, um diese Szene in den geschnitzten Bildern auf der Uhr zu suchen. Er fand sie ein bisschen versteckt an einer Seite, erneut musste er die Präzision von Charons Zeichnung bewundern.

„Stimmt was nicht, Mike? Ich hatte gehofft, die Bilder auf eurer Uhr ziemlich exakt wiedergegeben zu haben.“
„Und ob, Gregorij! Es stimmt nahezu eins zu eins.“
„Naja, nicht ganz. In der Zeichnung gibt es ein paar Darstellungen, die du an der Uhr nicht finden wirst. Und andersrum fehlen ein paar Kleinigkeiten in meiner Version, aber das Wesentliche stimmt überein.“
„Du hast kaum mehr als eine halbe Stunde gebraucht, um das alles zu malen. Absolut irre. Du solltest kein Buch schreiben, sondern Zeichner werden. Wie wär’s mit einem Comic?“
Charon prostete Claire über das Gemälde am Boden hinweg mit seinem Weinglas zu.
„Danke für dies Komliment, Teuerste. Aber ich muss zugeben, daß ich heimlich geübt habe. Deswegen auch die Unterschiede. Ich male das Bild nämlich nicht zum ersten Mal. Ein paar Versuche habe ich auch schon deutlich besser hinbekommen, aber es sah auch schon oft viel schlechter aus.“
„Nur eins frage ich mich: Du kanntest doch die Uhr gar nicht. Woher also hast du so genau gewusst, was da für Bilder dran sind?“
„Denk‘ mal einen Schritt weiter, Mike: Woher hatte der Künstler, der diese Schnitzereien gefertigt hat, seine Inspiration? Was hatte er für Vorlagen?“
„Also musst du sozusagen die Quelle der Inspiration des Erbauers gekannt haben. Aber das kann ja auch nur eine Vermutung gewesen sein, richtig?“
„Schon. Ehrlich gesagt, war ich selber überrascht, wie viel Übereinstimmung es gibt, als ich vorhin die Uhr gesehen habe. Da steckt aber einiges an Recherche dahinter. Claires Vater hat mir da sehr weiter geholfen, indem er mir den Kaufvertrag und die Zertifikate für das Stück gezeigt hat. Auch wenn da nicht der Name des Erbauers auftaucht, ich habe anscheinend die richtigen Schlüsse gezogen.“

Eine Weile saßen sie alle drei schweigend im Kreis, tranken Wein und ließen die Gedanken und Gefühle in der Symbolik der Figuren auf dem Papier treiben. Durch die offene Terassentür und die Fenster wehte wunderbar frische, kühle Luft herein. Ganz in der Ferne, irgendwo in den Bergen, grollte leise der Donner. Claire begann sich ein bisschen schläfrig zu fühlen, zugleich aber stieg in ihr mächtig das Verlangen nach Körperkontakt mit Mike auf. Gedimmtes Licht aus dem Küchenbereich, Kerzenschein, der volle, schwere Rotwein, die ganze mystische Stimmung zwischen ihnen vermittelte ihr ein starkes Gefühl von wilder Romantik. Prompt gab Mike ihr zu verstehen, daß sie nicht alleine so fühlte. Seine Hand fand trotz der Entfernung zwischen ihnen die Ihre, um sie festzuhalten. Einzig Charon stand dabei nun ein wenig außerhalb, auch wenn er es war, der Mike und Claire diese atmosphärische Erfahrung ermöglicht hatte. Ein Hauch von schlechtem Gewissen, ein Anflug von Scham: Die Hände der Liebenden verloren sich wieder, doch die Bindung blieb bestehen. In diesen Momenten wurde sie von ihnen beiden besonders stark empfunden, und in ihrem Selbstverständnis des Moments ewig und unzerstörbar.

Es war Claire, die einige Zeit später das Schweigen brach.
„Hey, Gregorij! Du bist der Fährmann. Müsstest du uns nicht auf die andere Seite bringen, irgendwie? Gehören jetzt nicht irgendwelche kryptischen Beschwörungsformeln in die Zeremonie?“
„Kryptische Beschwörungsformeln? Die haben wir längst hinter uns. Wo bist du denn jetzt? Wo ist Mike jetzt? Wir sind schon seit einer ganzen Weile mitten auf dem Fluß. Es ist ein Trick, das mit den Sprüchen und Beschwörungen. Das Entscheidende liegt ja eigentlich tiefer, ganz individuell in der eigenen Wahrnehmung, im eigenen Geist. Da liegt der Schlüssel, darauf kommt es an.“
„Aber dann erleben wir nicht das Selbe. Sind wir nicht ziemlich isoliert? Brauchen wir nicht etwas wie eine ganz objektive Vereinigung?“
„Würde ich nicht sagen, Mike. Es gibt keine Objektivität. Völlig egal, welchen Rahmen man sich da schafft, letztlich geht jeder für sich den Weg. Darum sind wir ja verschieden: Die Natur an sich gibt es vor, daß jeder Konsens und jede Vereinigung immer durch die Subjektivität des Einzelnen bestimmt ist. Erst jenseits davon, wenn ein Einzelner sich selbst so annimmt und seinen persönlichen, subjektiven Weg zurückgelegt hat, findet sich eine gemeinsame Basis. Ein Ozean der grundlegenden Gemeinsamkeiten, in denen wir uns alle als Eines definieren. Dann löst sich die Subjektivität des Denkens auf, und alle Möglichkeiten stehen offen.“

Nachdenkliches Schweigen brütete im leichten Flackern der Kerzen, als ein leichter Wind von draußen durch den Raum wehte.

„Ist das die kryptische Beschwörungsformel, die du vermisst hast, Claire?“
„Ich weiß nicht. Nicht so ganz und gleichzeitig ein bisschen mehr, Gregorij, wenn du verstehst, was ich meine.“
„Mike?“
„Hm. Ich überlege gerade, wo du das her hast. Jung? Heidegger? Tibetischer Buddhismus? Vorchristliche Mystik?“
„Spielt das eine Rolle?“
„Nö. Aber Claire hat es vielleicht besser auf den Punkt gebracht als du: Nicht so ganz und gleichzeitig ein bisschen mehr.“
„Dann gehen wir so ungefähr in die selbe Richtung. Schenk doch mal der Mitte auch ein bisschen Wein ein.“

Claires Blicke folgten Mikes Hand, wie diese die Weinflasche entkorkte, um behutsam das bisher leere Weinglas in der Mitte von Charons Zeichnung zur Hälfte zu befüllen. Weil sie auf einmal Kälte spürte, drehte sie sich ein wenig zur Seite und fischte eine Wolldecke vom Sofa, die sie sich um die Schultern legte. Dabei fiel ihr auf, daß sie schon seit geraumer Zeit völlig ruhig da saß, ohne ihre Position verändert zu haben. Gerade bei einer solchen Haltung mit geschlossenen Oberschenkeln konnte sie normalerweise nur recht kurz verharren. Der Keuschheitsgürtel drückte dann auf die Blutgefäße und Nerven in den Leisten, so daß ihr recht bald die Füße einschliefen. Mit einiger Verwunderung spürte sie diesmal davon nichts, als sie sich in ihre Decke gewickelt anders hinsetzte, obwohl sie sich seit mindestens einer halben Stunde nicht mehr bewegt hatte. Seit einer halben Stunde? Mit einem Mal war sie sich da ziemlich unsicher. Ihr wurde bewusst, daß sie eigentlich keine Ahnung hatte, wie lange sie schon dasaßen und auf das seltsame Mandala auf dem Boden starrten. Jegliches Zeitgefühl schien ihr abhanden gekommen zu sein. Die Digitaluhr des DVD – Players befand sich ziemlich genau in ihrem Rücken. Natürlich hätte sie sich umdrehen können, einen Blick auf die Anzeige werfen und sich Gewissheit verschaffen können, aber etwas schwer zu bestimmendes hinderte sie daran. Es wäre nicht nicht richtig, nicht der Situation angemessen und würde ihrer eigenen, subjektiven Zeit nicht gerecht werden. Stattdessen blickte sie zu der Standuhr auf, aber dort verschwammen die Zeiger im Halbdunkel vor ihren Augen. Mit zwei Fingern rieb sie sich die Stirn. Profane Gedanken über Uhrzeiten und einen Wecker, der sie zu einem doch sehr objektiven Zeitpunkt am kommenden Morgen wecken würde, geisterten kurz durch ihren Kopf, verschwanden aber sofort wieder rückstandslos.

Die Weinflasche war wieder verkorkt und verschwand in Mikes Schatten, erreichbar nur für seine Hände. Charon kramte dieweil in seiner Hosentasche, wo er zwei kleine, verstöpselte Flakons fand. In jedes dieser Fläschchen passten nur wenige Milliliter Flüssigkeit, die Charon jetzt in den Wein des Mittelpunktes hineinfließen ließ. Die eine Flüssigkeit war klar, die andere dick und dunkel, im Schein der Kerzen fast schwarz.




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Turambar
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  RE: Unter fremden Monden Datum:30.06.11 16:56 IP: gespeichert Moderator melden


5.

„Was ist das?“
„Nicht fragen, Claire. Ein paar Tropfen aus dem Ozean der Gemeinsamkeit, wenn du so willst. Das Eine war zum Beispiel mal Eis, das natürlich jetzt geschmolzen ist. Um genau zu sein, handelt es sich um etwas Eis von der Zunge des Rhonegletschers. Aber eigentlich spielt es keine Rolle, jedenfalls im Moment noch nicht.“
„Wenn du das sagst…“

Charon war der Erste, der einen Schluck aus dem zentralen Kelch nahm. Er trank, dann stellte er das Glas zurück in den Mittelpunkt, ohne einen Kommentar dazu abzugeben. Für einen Moment befürchtete Claire, daß er sie jetzt auffordern würde, ebenfalls aus diesem Glas zu trinken. Aber er tat es nicht; das Weinglas stand in der Mitte, Charon hüllte sich in Schweigen. Dafür wurde das Grummeln des Gewitters wieder etwas lauter, rückte wieder etwas näher. Trotz Wolldecke spürte Claire eine leichte Gänsehaut auf ihren Unterarmen, gefolgt von dem ihr wohlbekannten erregenden Kribbeln des Verschlossen – Seins. Ihre Gedanken hängten sich kurz daran auf, wie sich diese Gefühle doch so oft selbst und unvermittelt die seltsamsten Momente auswählten, um sie mit dieser ganz eigenen, leidvollen Lüsternheit zu erfüllen. Bis ein recht lauter und unangenehm naher Donnerschlag ihren Gedankengang durchbrach.

„Männers, ich glaube, das Gewitter kommt zurück.“
Wie um ihre Worte nachhaltig zu betätigen, fiel mit einem leisen Klicken der Strom aus. Die Lichtquellen in Küche und im Flur erloschen mit einem kurzen Flackern. Übrig blieb das unruhige Licht der Kerzen: Drei auf dem bemalten Papier in ihrer Mitte, zwei weitere jeweils auf dem Couchtisch und dem Esstisch im Hintergrund. In dieser Beleuchtung sah Claire Mike nach dem Glas greifen. Auch er nahm nur einen Schluck, um es anschließend unter striktem Schweigen wieder auf seinen Platz zurückzustellen.

„Vielleicht sollte jemand die Terassentür zumachen, sonst regnet’s gleich rein…“

Wieder erntete Claire auf ihre Worte Schweigen. Es war verrückt, aber sie hatte nichts anderes erwartet. Eigentlich war sie sogar froh, daß sie die Stimmung zwischen ihnen nicht durchbrechen konnte. Sie fühlte sich so seltsam behaglich und leicht, also griff sie als Letzte nach dem Glas, schloß die Augen und tat einen tiefen Schluck. Mit einem schwer zu definierenden Gefühl der Genugtuung und der Erleichterung platzierte auch sie das nun fast leere Glas wieder an seinem Platz. Erleichterung war eigentlich noch zu wenig. Erlösung war das richtige Wort; Wärme stieg in ihr auf, begleitet von einer wundervollen Leichtigkeit.

Die Kerzenflammen tanzten, und die Gestalten, die Charons Kreis umringten, schienen plastisch zu werden. Sie flossen ineinander, nahmen im Tanz des Kerzenscheines den Rhythmus auf, so als würden sie ein eigenes Leben entdecken.

Mike und Charon hatten die Augen geschlossen, Claire folgte ihrem Beispiel. Die Dunkelheit hinter den Lidern füllte sich mit Symbolen.

Aus der Perspektive der Standuhr hätten die drei auf dem Boden sitzenden, schweigenden Leute wie sanft träumende Schläfer gewirkt. Eine friedliche Stimmung ging von dem Bild aus, drei in sich ruhende Gestalten in vertrauter Runde, getaucht in das warme Licht von Kerzen. Aber Standuhren haben keine Perspektive, sie haben kein Bewusstsein, daß ihnen eine Perspektive ermöglichen könnte. Eine Standuhr ist nur ein unbelebtes Objekt in einem Raum, unfähig zu subjektiver Lebendigkeit und daher unfähig, fremde Subjekte in irgendeiner Weise wahrzunehmen.

So verschwand der Anblick des glücklichen, verträumten Lächelns auf den Gesichtern von Claire und Mike in der Leere der Welt. Und in der Wirklichkeit der Trance, in die beide sich begeben hatten; in der sie mit geschlossenen Augen das Lächeln des jeweiligen Partners wahrnehmen konnten, während sie auf getrennten Bahnen die Unendlichkeit durchmaßen.

So verschwand auch Charons letzter Atemzug in der Einsamkeit. Es war nichts Großes, nichts Spektakuläres; nur, daß sich sein Brustkorb ein letztes Mal hob und senkte, während der sitzende Körper noch ein wenig mehr in sich zusammensackte. Danach verharrte dieser Leib in grenzenloser Stille, in der ein paar Tropfen, ein kleines Rinnsal Blut aus seinem linken Ohr und dem linken Nasenloch sickerte.

Unter langsamen, ruhigen Atemzügen ließen die beiden Anderen den Fährmann hinter sich, ganz vielleicht wurde ihr Lächeln dabei etwas fadenscheiniger. Auch wenn das keine große Rolle spielte, genausowenig wie das Gewitter, das sich langsam wieder über die Stadt und das Haus bewegte. Immerhin hielten sich die Naturgewalten diesmal im Zaum, die wenige Spannung und Energie zwischen den Wolkentürmen reichte kaum für ein paar wenige Blitze und Donnergrollen. Nur ein großer Schlag, ein einzelner, immenser Hammer brachte die Erde zum Beben zu der Zeit, als das Uhrwerk einer unbelebten Struktur im Raum dumpf tönend die dritte Stunde des Tages beläutete.

Und auch der große Schlag, die Erschütterung, die mehr aus dem Boden als aus der Luft zu kommen schien, rührte Claire und Mike nicht. Ein Fensterglas zersprang, in der Vitrine im Wohnzimmer klirrten die Gläser, und in der Küche fiel scheppernd etwas zu Boden. Wie ein gewaltiger Ruck schien das Fundament des Hauses kurz zu wanken. Nur für den Bruchteil einer Sekunde, für den Nachhall einer Ewigkeit.

Vor der offenen Terassentür war der Fußboden des Wohnzimmers naß von nächtlichem Regen. Der Sprung in der großen Scheibe neben dieser Tür rettete einer Amsel wohl das Leben, weil sich darin das Sonnenlicht des Morgens brach, und der Vogel gerade noch die Kurve bekam, um dem ansonsten unsichtbaren Hindernis auszuweichen. Die Amsel landete auf einem Gartenstuhl, der auf der Terasse stand, und vermischte ihr Schimpfen mit dem Läuten des Telephons im Inneren des Hauses. Das Telephon klingelte recht oft im Laufe des Vormittags, aber niemand machte Anstalten, hier ein Gespräch entgegen zu nehmen. Manchmal war es der Anschluß der Festnetznummer, der gerne wahrgenommen worden wäre, dazwischen das Brummen von Mikes Handy auf dem großen Küchenbloch neben dem Gasherd. Einzig Claires Mobiltelephon schwieg, denn das lag in seine – mittlerweile getrockneten – Einzelteile zerlegt auf dem Esstisch.




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Fünftes Kapitel:
Wetterwechsel



1.

Roland Falk fühlte sich unwohl. Rasante Wetterwechsel machten ihm schwer zu schaffen, sie raubten ihm Konzentrationsfähigkeit und Appetit, seine Nerven wurden zu Katzenschnurrhaaren. Nichts war ihm unangenehmer als das Gefühl der Entrücktheit, fast schon der Verwirrung. Sicher, in den letzten Jahren wurde das langsam und schleichend immer mehr zum Bestandteil seines Lebens, aber bei besonders aprupten Veränderungen der Wetterlage wurde es manchmal schier unerträglich. Wieder wählte er Mikes Handynummer, klemmte das Telephon zwischen Kopf und Schulter, um Schalten zu können. Es war wie verhext, und ausgerechnet jetzt brauchte er sein altes Notizbuch. Am Morgen, nach dem Aufstehen, hatte er es verzeifelt überall gesucht, bis ihm eingefallen war, daß er es vor über einer Woche bei seiner Tochter und ihrem Mann hatte liegen lassen. Immer wieder wollte er es sich holen, und immer wieder kam ihm etwas dazwischen. Oder er vergaß es einfach. Aber jetzt brauchte er es, weswegen er seit Stunden versuchte, mit einem der Deiden zu sprechen. Doch trotz aller Hartnäckigkeit gelang es ihm nicht, seine Tochter oder seinen Schwiegersohn zu erreichen. Sogar im Labor und in der Schule hatte er angerufen, nur um zu erfahren, daß beide nicht zur Arbeit erschienen waren. Wie zum Hohn bekam er mitgeteilt, daß sie auch telephonisch nicht erreichbar wären, und er sie doch bitten solle, sich zu melden.

Nachdem er ein paarmal geklingelt hatte, zückte Roland Falk seinen Schlüssel, und öffnete die Haustür der Mommsens, wobei er sich ordentlich auf der Türmatte die Schuhe abtrat. Im Eingangsbereich blieb er einen Moment stehen, der Stille im Haus lauschend. Rechts von ihm das Treppenhaus, in dem seine Stimme kurz nachhallte, als er nach den Bewohnern des Hauses rief. Links eine geschlossene Tür: Mikes Arbeitszimmer. Vor ihm eine Garderobe, an der er gedankenverloren seine Jacke aufhängte, daneben eine offene Tür. Sein Blick wanderte durch das Wohnzimmer zur Terassentür, die ebenfalls offen stand.

Zunächst konnte er das Bild nicht einordnen, er merkte nur, daß Angst ihm die Kehle zuschnürte. Die Stille im Haus, offene Türen, ein Telephon, das auf ein Mal irgendwo im Wohnzimmer zu läuten begann. Ihn beschlich ein grundlegendes Gefühl von Falschheit, alles wirkte so entsetzlich absurd. Wie angewurzelt stand er in der Diele, paralysiert vom Klingeln des Telephons, während seine Knie weich wurden und zu zittern begannen. Als das Klingeln aufhörte, war es, als fiele ein Bann von ihm ab. Mit zwei Sätzen stand er im Wohnzimmer, sein Blick flog über den Küchenbereich, den Esstisch mit dem darauf ausgebreiteten Inhalt von Claires Handtasche, eine gesprungene Fensterscheibe, eine offene Tür, das um einen guten Meter verrückte Sofa. Zuletzt hängten sich seine Augen fassungslos an Charons totem Körper auf.

Bucklig und zusammengesunken, aber immer noch in sitzender Position, vor einem grotesken Durcheinander von Weingläsern, Kissen, verloschenen Kerzenstummeln wirkte der wie eine Wachsfigur. Roland Falk wusste eigentlich sofort, daß Charon nicht mehr lebte. Die Haut auf seinem schweißüberströmten Rücken zog sich unangenehm zusammen, als er über ein bizarr bemaltes Blatt Papier auf dem Boden zum toten Freund seiner Tochter ging. Sein Verstand notierte beiläufig, daß sogar der dicke, helle Teppich großzügig umgeschlagen worden war, wie um dem Gemälde auf dem Boden Platz zu machen.

Claires Vater hatte nichts anderes erwartet, als er Gregorijs Schulter packte und schüttelte. Alle Muskeln waren verhärtet, hielten sämtliche Gelenke in ihrer Errstarrung und den Leib in der absurden Sitzposition fest. Roland Falk ging rückwärts, stieß ein leeres Weinglas um, trat auf eine leere Flasche und wäre beinahe gestürzt. Im nächsten Moment kam die Panik, Claires Namen schreiend rannte er die Treppen hinauf, riss alle Türen auf, doch er fand überall nur die selbe Verlassenheit und Leere vor, die auch das Erdgeschoss beherrschte. Claire und Mike waren nicht hier.

Der Disponent, der auf der Leitselle der Polizei die Anrufe bearbeitete, ging zunächst von einem klassischen Montag – Vormittag – Schnaps – Problem aus. Die belegte, leicht lallende Stimme am anderen Ende der Leitung ergoß sich in einem Schwall zusammenhangloser Verwirrtheiten in sein Ohr. Der Disponent wog die drei Möglichkeiten gegeneinander ab: Entweder viel zu viel Alkohol, oder viel zu wenig Alkohol, oder ein Fall für die Psychiatrie. Erst nach einigem Nachfragen kristallierte sich der Grund des Anrufes heraus. Die Tochter des Trunkenbolds sei verschwunden. Wieso? Sie reagiere nicht auf Anrufe, genauso wenig, wie ihr Mann. Aha. Seit wann? Seit dem Morgen? Diesem Morgen? Väterchen, mach die Leitung frei, geh nach hause und schlaf deinen Rausch aus. Kein Wunder, daß deine Tochter keine Lust hat, sich mit dir in dem Zustand zu unterhalten. Gerne hätte der Disponent den Anrufer in diesem Moment aus der Leitung geschmissen, aber stattdessen fragte er lieber noch ein paar Sachen ab.

„Wo sind sie denn jetzt, Herr Falk?“
„…“
„Ach so, sie sind im Haus ihrer Tochter? Nicht in ihrem eigenen Haus.“
„…“
„Nein, ich fürchte, daß haben sie bisher noch nicht erwähnt.“
„…“
„Wer ist Charon? Der Hund ihrer Tochter?“
„…“
„Sind sie sicher? Haben sie ihn mal kräftig geschüttelt? Seinen Namen gerufen?“
„…“
„Und sonst ist das Haus leer? Bis auf den Verstorbenen und sie selbst?“
„…“
„Nein, gehen sie nicht in den Keller. Bleiben sie bitte, wo sie sind. In ein paar Minuten ist jemand bei ihnen. Können sie mir nochmal die Adresse ihrer Tochter geben, und am besten die Telephonnummer, die Festnetznummer ihrer Tochter, bitte.“

Wimmle nie einen Anrufer ab, nur weil er dir anfangs zusammenhanglosen Unsinn erzählt. Kleines Leitstellen – Einmaleins. Noch bevor er das Gespräch beendete, begann der Disponent, seinen Computer mit den entsprechenden Daten zu füttern. Das Programm spuckte ihm zwei freie Streifenwägen aus, die beidersamt an einem Baumarkt in der Nähe standen. Offensichtlich ein spätes Frühstück unter Kollegen. Er wies den Einsatz den beiden Fahrzeugen zu, anschließend sendete er die Daten per SMS an die Leitstelle von Feuerwehr und Rettungsdienst.

Fünf Minuten später hielten die zwei Polizeifahrzeuge vor dem Haus der Mommsens. Auf der Treppe ins Obergeschoss sitzend wartete Roland Falk; Sekunden zogen sich zu Minuten in die Länge, bis er die Sirenen auf der Straße hörte. Er sprang auf, taumelte zur Tür, die er aufriss, um die Beamten hineinzulassen. Ein älterer, dicker Polizist in Uniform brachte Claires leichenblassen, zitternden Vater zu einem der Autos, wo er sich auf der Rückbank des T5 neben ihn setzte und ihm eine Zigarette anbot. Währenddessen sicherten die übrigen Drei das Haus. Eine junge Polizistin schüttelte erneut zunächst den leblosen Mann im Wohnzimmer, dann ihren Kopf. Immerhin war hier keine Herzdruckmassage mehr nötig, dachte sie sich.

Um kurz nach elf klingelte Alfons Basstongs Diensthandy. Seine Frau hatte Fieber, sein knapp zweijähriger Sohn hatte Halsschmerzen, hing auf seiner Hüfte und brüllte ihm unerträglich laut ins Ohr. Was zum Teufel war daran so schwer zu kapieren, wenn er sich vom Dienst abmeldete, weil bei ihm zu hause der Notstand herrschte? Gab es keine anderen Komissare mehr? Das schreiende Kind im Arm, durchsuchte er im Flur seine Jacke nach dem wimmernden Diensthandy. Nun hatte er die Wahl, entweder den Anruf anzunehmen, oder das Gerät mit voller Wucht gegen die Wand zu schleudern. Idiotischerweise entschied er sich für die erste Möglichkeit.

Um kurz vor zwölf hatte er seine Nachbarin überredet, sich für ein paar Stunden um seine Frau und seinen Sohn zu kümmern. Duschen fiel dafür aus, blieb zu hoffen, daß er irgendwo am Einsatzort Kaffee auftreiben konnte. Die Nacht hatte er nicht geschlafen. Als er um vier Uhr Morgens zu hause angekommen war, hatte ihn beinahe der Schlag getroffen, als er das Lazarett vorfand. So hatte er den gesamten Morgen und den Vormittag damit verbracht, sich um seine Familie zu kümmern.



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