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AK |
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Keyholder
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RE: Maria
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Datum:21.04.17 13:25 IP: gespeichert
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Super Geschichte. Freue mich schon auf den nächsten Teil.
Vielen Dank
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KG-Träger
Und es hat 'Klick' gemacht
Beiträge: 77
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RE: Maria
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Datum:22.04.17 08:44 IP: gespeichert
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Hallo,
auch ich möchte Dir ein Lob aussprechen: Seit Ende 2013 darf man sich auf die Fortsetzungen von "Maria" freuen, die, teilweise in Schüben, aber immer spannend von Dir kommen.
Vielen Dank für diese Ausdauer.
Dein CarpeGenk
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kamikazekifferin |
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Freak
Von nichts kommt nichts
Beiträge: 151
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RE: Maria
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Datum:22.04.17 22:23 IP: gespeichert
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Zitat | Hallo,
auch ich möchte Dir ein Lob aussprechen: Seit Ende 2013 darf man sich auf die Fortsetzungen von \"Maria\" freuen, die, teilweise in Schüben, aber immer spannend von Dir kommen.
Vielen Dank für diese Ausdauer.
Dein CarpeGenk |
Hallo Carpe Genk
da hast du recht.... nur je weiter wir Fortschreiten, um so näher kommt das Ende der Geschichte Davor graut es mir irgendwie am meisten.
Mit fesselnden Grüßen
Kami
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Erfahrener
Beiträge: 28
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RE: Maria
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Datum:23.04.17 00:25 IP: gespeichert
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Danke für die immer wieder guten Fortsetzungen der Storry.
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Stamm-Gast
Großraum Köln-Bonn
Das Leben ist sch...., aber die Graphik ist geil!
Beiträge: 523
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RE: Maria
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Datum:24.04.17 00:45 IP: gespeichert
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Hallo cag_coll!
Da hast ja wirklich mal wieder tolle Fortsetzungen geschrieben.
Vilen Dank für diese Arbeit.
LG Rainman
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Story-Writer
München
Beiträge: 631
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RE: Maria - Kapitel 14 - Das Katerinenfest - Teil Fünfunddreißig
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Datum:24.04.17 05:53 IP: gespeichert
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Maria
Kapitel 14 - Das Katerinenfest - Teil Fünfunddreißig
Autor: Karl Kollar
(noch Donnerstag, 23. September 1984)
»Hier war ich glaube ich noch nie.« Maria war ein wenig beeindruckt, als Paul die große schwere Tür am Eingang des Ratskellers öffnete.
»Es ist etwas teuerer hier, aber dafür ist das Essen sehr gut.« Er erzählte kurz von den bisherigen Besuchen.
»Wir sind hier.« Renate stand an einer Tür und bat das Paar zu sich. Es war ein kleiner Raum, in dem nur drei Tische standen. An der Tür stand das Schild ´Clubzimmer´. »Hier können wir uns gut besprechen«, erklärte Renate. »Im Restaurant ist es zu laut.«
»Und außerdem wäre es unhöflich.« Robert Greinert betrat hinter ihnen den Raum. »Nehmt bitte Platz.«
»Wer kommt denn noch alles?« Renate fragte es, als sie das Zögern des Prinzenpaares bemerkte.
Robert ging zu seinem Platz, und aus der Tasche, die er dort abgestellt hatte, zog er einen Block heraus. Mit ruhiger Stimme las er die Namen vor.
»Dann sind wir also zu zehnt.« Renate blickte sich kurz im Raum um. »Wenn wir die zwei Tische aneinander stellen, haben alle Platz.«
»Gute Idee.« Robert warf Paul einen kurzen Blick zu. Gemeinsam stellten sie das Möbilar des Raumes so um, dass alle Anwesenden einen Platz am Tisch hatten.
»Wünschen sie schon etwas zu trinken?« Eine Bedienung stand auf einmal im Raum und zückte ihren Block.
Der Reihe nach gaben sie ihre Getränkewünsche an, dann nahmen sie Platz und warteten, bis alle, die sich angesagt hatten, anwesend waren.
Robert erhob sich und begrüßte alle Anwesenden. Besonders hob er Marias Mutter hervor, mit deren Anwesenheit beim Fest eigentlich keiner gerechnet hatte.
Paul blickte sich unauffällig etwas um. Er kannte fast alle Anwesenden, nur ein Herr war ihm bisher unbekannt gewesen. Herr Greinert hatte Hans Schulte als Kassierer des Festes vorgestellt.
»Wir haben uns hier versammelt, um den Ablauf der Festes noch einmal zu besprechen und auch, um einen kritischen Blick auf die Generalprobe zu werfen, die jetzt hinter uns liegt.« Er blickte kurz zu Maria. »Wir haben dieses Jahr ein ganz außergewöhnliches Glück, denn Maria Beller wird zum ersten Mal überhaupt die Originalhaltung der Katerina vorführen, und wir freuen uns alle sehr, dass wir dabei Zeuge sein dürfen.«
Er wartete den leichten Applaus ab, dann sprach er weiter. »Es gibt ein paar wenige Aspekte, ich noch durchsprechen möchte, ansonsten bin ich mit dem heutigen Tag sehr zufrieden.« Er wandte sich an den Kassierer. »Wie sieht es dieses Mal von der finanziellen Seite aus?« In den Jahren zuvor musste die Stadt immer einen mehr oder weniger hohen Betrag aufbringen, um die Verluste des Festes auszugleichen.
Der Kassierer nahm seine vorbereiteten Zettel zur Hand und warf noch einmal einen Blick darauf. »Wir sind ausverkauft.« Seiner Stimme war zu entnehmen, dass dies etwas sehr Außergewöhnliches war. »Es wollen alle die Katerina sehen.«
Paul ergriff Marias Hand und hielt sie fest.
»Aber die Stadthalle fasst zweitausend Personen.« Robert war ehrlich erstaunt über diese Aussage.
»Ich war eben noch einmal bei der Vorverkaufsstelle.« Hans Schulte war selbst sehr beeindruckt von den Zahlen, die er verkünden durfte. »Es gibt keine Karten mehr für den Ball.« Er lies seine Zettel sinken. »Ich hatte schon so viele Anfragen, dass ich noch etwas vorschlagen möchte, wenn es erlaubt ist.«
»Bitte.« Robert war von den Nachrichten überwältigt.
»Wenn wir bekannt geben, dass die Katerina sich mit ihrem Prinzen nach dem Verlobungsball einmal vor der Stadthalle zeigt, dann könnten noch viel mehr Leute dieses unglaubliche Kunststück sehen.« Es kostete ihn einige Kraft, seinen Vorschlag auszusprechen.
Renate sah es etwas nüchterner. »Aber nach dem Verlobungsball wird es schon langsam dunkel sein.«
»Die Verwaltung sagt, dass der Platz vor der Halle ausgeleuchtet werden kann.« Er wollte seine Idee verteidigen.
»Wie wäre es, wenn wir erst einmal die Hauptdarstellerin fragen würden, ob sie dazu überhaupt bereit ist.« Frederike blickte mit etwas Sorge auf ihre Tochter.
Maria musste sich erst räuspern, bevor sie antworten konnte. »Das können wir gern machen.« Sie lächelte Paul zu.
»Entschuldigen sie, dass ich mich einmische.« Herr Steinhagen ergriff das Wort. »Die Sponsoren wünschen sich ebenfalls, dass die Katerina bei ihnen das Gebet vorführt, und ich frage mich, ob wir Maria damit nicht zuviel abverlangen.«
Maria hatte sich über den Verlauf des Wochenendes auch schon ihre Gedanken gemacht. Jetzt blickte sie ihre Mutter etwas unsicher an. In den Staaten hatte sie gegen Ende der Behandlungszeit auch noch über den Verlauf des Festes gesprochen, doch von so einer langen Tragedauer des Gebets war bisher nicht die Rede gewesen.
»Sie verlangen viel, meine Damen und Herren.« Frederike richtete sich auf. »Wann sind die Sponsorentermine?«
Renate griff zu ihrer Mappe und las die Termine daraus vor. »Wenn ich es richtig sehe, dann ist jeweils eine Stunde pro Sponsor vorgesehen.« Sie blickte Frederike ruhig an. »Und es sind vier Termine.«
»Paul, wie lange brauchst du, um Maria das Gebet ordentlich und bequem anzulegen?« Frederike blickte Marias Freund mit einer sehr ernsten Miene an.
»Ungefähr zehn Minuten.« Paul war überrascht, so plötzlich im Mittelpunkt zu stehen.
»Sagen wir eine viertel Stunde.« Marias Mutter wandte sich wieder an Renate. »Können sie es so arrangieren, dass meine Tochter zwischen den Terminen immer eine Stunde Pause hat?«
Renate blickte noch einmal in ihre Mappe. »Ich muss dafür noch ein paar Telefonate führen, aber ich denke, das lässt sich einrichten.«
»Gut, wenn das Thema soweit geklärt ist, würde ich gern zur Auswertung der Probe kommen.« Robert machte eine Pause. »Ich würde gern drei Dinge ansprechen.«
Er wartete kurz einen Moment, dann fuhr er fort. »Bei der ´Heimkehr von der Schlacht´ wurde die Katerina schon von ihrem Prinzen begleitet. Das ist so eigentlich nicht richtig.«
»Warum ist es denn falsch?« Renate war ein wenig verwundert.
»Gemäß der Tradition hat der Prinz seinen ersten Auftritt erst, wenn er die Katerina am Marktplatz abholt.« Robert lächelte. »Bei der Heimkehr geht der Prinz immer bei der Herzogsgruppe mit, denn da ist die Katerina ja nur die Geisel.«
»Ich bin ja nur eingesprungen, weil die drei Dienerinnen auch von Bewachern geführt wurden.« Paul verzichtete darauf, auf die besonderen Verhältnisse aufmerksam zu machen.
»Das war ja auch gut so.« Robert blickte zu Carlos. »Aber die Geisel verdient eine besondere Behandlung. Wenn sie an der Leine geführt wird, dann sollte dies durch eine wichtige Persönlichkeit passieren - zumindest durch Chef der Wachmannschaft. Wäre das machbar?«
»Darum werde ich mich kümmern.« Carlos nickte ruhig, doch dann blickte er zu Paul und Maria. »Wenn es gestattet ist.«
Es fiel Paul schwer, sich unter Kontrolle zu halten und seine latente Eifersucht nicht zu zeigen, denn natürlich hätte er gern Maria durch die Stadt geführt. Doch zugunsten des Spiels gab er seine Zustimmung.
Robert erkannte, dass dieser Punkt geregelt war. »Dann wäre als nächstes der Tanz der Dienerinnen. Warum ist das dieses Jahr überhaupt ein Problem.« Es war ihm anzusehen, dass er die Zusammenhänge noch nicht verstanden hatte.
»In den vergangenen Jahren wurden die Dienerinnen immer von der Tanzgruppe gestellt, und die kannten die Tänze natürlich.« Renate konnte es nicht verhindern, dass sie ein wenig rot wurde. »Doch dieses Mal haben wir drei fremde Darstellerinnen.«
»Ach so.« Roberts Miene zeigte, dass er es jetzt verstanden hatte. »Und was machen wir jetzt damit?«
»Ich habe die drei Mädchen schon verständigt.« Renate hatte großes Interesse daran, ihren Fehler wieder gut zu machen. »Morgen vormittag und Samstag vormittag ist jeweils eine Probe angesetzt, und die Damen der Tanzgruppe kümmern sich um die Tänzerinnen.«
»Gut, dann wäre das auch geregelt.« Robert blickte auf seine Notizen. »Mir ist in der Kirche noch etwas aufgefallen.«
»Und zwar?« Renate war etwas verwundert.
»Wir spielen es dieses Jahr ja ein wenig anders.« Er holte tief Luft. »Die Katerina ist dieses Jahr auch nach dem Ja-Wort noch gefangen.«
»Du meinst, weil sie das Gebet noch trägt.« Renate versuchte, den Gedanken zu folgen.
»Richtig.« Robert zögerte ein wenig. »Aber es geht mir eigentlich gar nicht um Maria, sondern um die Schmiedetochter.«
»Sie darf nicht frei sein, wenn ihre Herrin noch gefangen ist?« Renate sprach ihre Gedanken aus.
»Genau das meinte ist.« Robert war ein wenig verlegen. »Frau Schwerterle müsste in der Kirche ebenfalls noch ihre Ketten tragen. Meinen sie, sie können ihr das schonend beibringen?«
»Das wird aber Wellen werfen.« Renate antwortete bewusst zweideutig, denn sie hatte die wahren Zusammenhänge längst begriffen. »Ich werde mein Bestes versuchen.«
Paul und Maria waren der Diskussion schweigend gefolgt, jetzt hatten sie große Mühe, ihre Mienen nicht zu verziehen. Sie waren Zeuge des Dialogs zwischen Doris und Theo gewesen, und sie ahnten, was diese Nachricht für Doris wirklich bedeuten würde.
»Und dann wäre da noch ein letzter Punkt, und deswegen habe ich Frau Reger dazu gebeten.« Er blickte kurz auf die Pfarrerin, die bisher geschwiegen hatte. »Bekommen wir Schwierigkeiten, wenn wir in der Kirche eine falsche Trauung durchführen?«
»Mit dieser Fragestellung habe ich mich auch schon befasst, weil es mein erstes Katerinenfest ist.« Sie legte die Arme auf den Tisch. »Wir müssen uns in dieser Richtung keine Sorgen machen. Im Gegensatz zum Katholizismus ist die evangelische Trauung streng genommen nur ein Gottesdienst anlässlich einer standesamtlichen Eheschließung, bei der das Paar sich vor Gott und der Gemeinde zueinander bekennt und verspricht, die bereits geschlossene Ehe nach dem Willen Gottes zu führen, so wie es die Bibel beschreibt.«
Sie holte tief Luft. »Ich habe mich gestern bereits mit Herrn Mohr und Frau Beller getroffen, und wir haben diese Aspekte auch in einem persönlichen Gespräch geklärt.«
»Inwiefern?« Renate wusste zwar, dass es so etwas wie eine kirchliche Schweigepflicht gab, doch hier ging es schließlich nur um ein Historienspiel.
Frau Reger lächelte. »Es handelt sich ja nur um ein Schauspiel, und ich wollte mich vergewissern, dass dies dem Paar auch bewusst ist.«
»Und das war erfolgreich?« Renate hatte erkannt, dass sie gerade auf einem schmalen Grat wanderte.
»Ich werde sie als ´Prinz Anselm´ und ´Prinzessin´ Katerina anreden.« Die Pfarrerin blickte kurz zu dem Paar. »Und sie haben mir versichert, dass sie sich ihrer Rollen bewusst sind.«
* * *
»Für wann hast du sie bestellt?« Andrea war in Anbetracht der kommenden Fotosession ein wenig nervös.
»Sie sollen gegen sieben Uhr hier aufkreuzen.« Hans blickte auf die Uhr. »Hast du alles vorbereitet?«
»Wieso ich?« Andrea war etwas genervt. Trotzdem hatte sie etwas zu Trinken bereit gestellt. Sie wusste, dass ihr Freund es aus dem gegebenen Anlass sicher vergessen würde. »Und was willst du alles machen?«
Hans ignorierte ihre erste Frage. Er zeigte auf den kleinen Haufen Seile, den er bereitgelegt hatte. »Und ich habe sie gebeten, doch ihren Monohandschuh mitzubringen.«
Andrea sah auf den kleinen Haufen und erkannte, dass er auch das Kopfgeschirr dazugelegt hatte. Jenes Geschirr, welches sie selbst schon länger einmal hätte tragen sollen. Doch sie hatte sich stets dagegen gesträubt. Jetzt entdeckte sie, dass sie unterschwellig eifersüchtig wurde.
Sie hasste sich dafür.
Einerseits brachte sie nicht den Mut auf, sich ihrem Freund auszuliefern, andererseits war sie eifersüchtig, wenn er seine Bedürfnisse anderswo stillte. Sie blickte ihren Freund etwas verärgert an.
Erst jetzt bemerkte sie, dass er sich umgezogen hatte. Er trug eine schwarze Lederhose und ein Netzshirt, dass sie zu einer besser passenden Gelegenheit als sexy bezeichnet hatte. Doch jetzt war es einfach nicht angebracht.
»Du siehst lächerlich aus.« Andrea sprach ihre Gedanken aus. »Willst du sie verschrecken?«
»Aber so macht man das.« Er war ein wenig beleidigt.
»Du ziehst dich wieder um, oder ich schicke sie wieder nach Hause.« Andrea war bewusst etwas wütender, als es der Anlass geboten hätte. Sie wusste, wie sie ihren Freund zu nehmen hatte.
* * *
Vom Ratskeller bis zur Goldenen Traube war es nicht weit, und der Weg führte Paul und Maria auch noch an dem Hotel vorbei, in dem sich Amelie und Leonhard einquartiert hatten. Herr Steinhagen hatte sie eingeladen und dabei angemerkt, dass jeder Verständnis haben würde, wenn sie noch etwas für ihre Rolle üben wollten.
Maria war sich sicher, dass Amelie mit dieser Formulierung nichts anzufangen wusste, deswegen suchten sie sie im Hotel auf, um ihnen die »Übersetzung« dieses Satzes mitzuteilen.
Sie fanden sie in der Bar, und wie Maria es erwartet hatte, waren bei Amelie keinerlei Fesseln zu sehen. Deswegen platzte Maria auch gleich nach der Begrüßung mit ihrer Mitteilung heraus.
»Bist du sicher?« Leonhard war verwundert. »Wir können doch nicht mit den Ketten in das beste Haus am Platz gehen.« Er verwies auf die Prospekte, die das Restaurant im Hotel hatte auslegen lassen.
»Doch.« Maria versuchte, besonders überzeugend zu sein. »Genau das meint er.« Sie blickte zwischen Amelie und Leonhard hin und her. »Paul wird mir später noch das Gebet anlegen.« Sie hoffte, dass ihre Argumente ausreichend waren.
»Wenn man uns so bedrängt, dann müssen wir dem wohl nachgeben.« Amelie lächelte ihren Verlobten an. »Komm, wir gehen noch einmal kurz auf unser Zimmer.«
* * *
»Renate wird dich morgen um einen großen Gefallen bitten.« Maria war auf Doris zugetreten, als diese ebenfalls im Restaurant erscheinen waren. Pauls Freundin hatte Mühe, ein ernstes Gesicht zu machen.
»Um was geht es denn?« Doris war von der Generalprobe und ihren Auftritten noch sehr beeindruckt.
»Die Katerina steht ja mit dem Gebet vor dem Altar.« Maria begann mit ihrer Ankündigung vorsichtig.
»Und ich muss dem Prinzen den Ring an den Finger stecken.« Doris gab wieder, was sie schon wusste und geübt hatte.
»Naja, die Sache ist die.« Maria druckste absichtlich etwas übertrieben herum. »Die Katerina trägt ja auch nach der Kirche noch das Gebet.«
»Das habe ich jetzt verstanden.« Doris war etwas ungeduldig. »Komm zur Sache.«
»Dann darf die Dienerin nicht schon frei sein, habe ich recht?« Theo hielt seine Verlobte im Arm und blickte sie verliebt an.
»Das ist klar.« Doris blickte etwas verwundert, doch dann glitt auf einmal ein Erstaunen in ihr Gesicht. »Ich bin in der Kirche auch noch gefangen und muss die Ketten tragen?«
Maria lächelte. »Das wird dir Renate morgen noch beibringen wollen, und es wäre gut, wenn du etwas betrübt wärst.«
Doris strahlte. »Das wird aber nicht einfach werden.« Sie legte ihren Arm um Theo. »Das ist wirklich ein Traum.« Und sie war auch erleichtert, weil sie Theo nicht um ihre Befreiung bitten musste.
Natürlich wusste sie, dass er nie zulassen würde, dass ihr Leid geschah, ansonsten aber bestand er darauf, dass sie immer seine Gefangene zu sein hatte und die Ketten zu tragen hatte. Doris war erleichtert, weil sie das Ausnahmekonto nicht mit dem Fest belasten musste.
* * *
»Ich wollte Leonie abholen.« Holger stand wieder mit einem Blumenstrauß vor Selmas Haus und lächelte, als Selma ihm die Tür öffnete.
»Sie wartet schon auf dich.« Selma deutete mit dem Kopf eine Bewegung in Richtung des oberen Stockwerks an. »Bevor ihr geht, kommt bitte noch einmal zu mir, ich möchte euch etwas mitgeben.«
Leonie stand schon an der Treppe und kam jetzt übertrieben langsam die Treppe herunter. Als sie sah, dass Holger Blumen in der Hand hatte, wurde sie ein wenig verlegen. »Die sind für mich?«
»Schöne Blumen für eine faszinierende Frau.« Holger hatte sich ein paar Sätze bereitgelegt. Er reichte ihr die Blumen.
»Kommt bitte kurz mit.« Selma sah eine gute Gelegenheit, ihr Geschenk für das Paar gleich zu überreichen. »Ich möchte euch noch etwas schenken.« Doch zunächst ging sie zur Anrichte und nahm eine Vase heraus. Sie nahm Leonie die Blumen ab und stellte sie in die Vase. »Ich bringe sie dann auf dein Zimmer.«
Leonie bedankte sich etwas unsicher.
»Schaut mal, was dort auf dem Tisch liegt.« Sie zeigte auf das Lederbündel, welches auf der Tischplatte lag, während sie mit der anderen Hand die Vase weg stellte. »Das müsste euch eigentlich gefallen.«
Leonie ging zum Tisch und inspizierte das Lederbündel, als sie sah, dass Holger etwas zögerte. Doch erst als sie es in die Hand nahm, erkannte sie, dass es sich dabei um einen Monohandschuh handelte.
Jetzt kam auch Holger etwas näher, und er sprach aus, was beide dachten. »Das ist ein Monohandschuh und zwar ein Profi-Modell.« Er zeigte Leonie, was er sofort entdeckt hatte. »Überall sind es Dreifach-Nähte, und an allen wichtigen Stellen ist das Leder doppelt gearbeitet.«
Leonie folgte atemlos seinen Ausführungen.
»Gefällt er euch?« Selma lächelte ein wenig. »Ich glaube, ihr mögt Leder lieber als Metall.« Sie machte eine kurze Pause. »Das könnt ihr heute Abend gleich tragen, schließlich erwartet euch der Sparkassendirektor, und er möchte, dass ihr Mädchen für eure Rollen trainiert.« Sie zwinkerte ihnen zu.
Sowohl Holger als auch Leonie bekamen beide glasige Augen. »Ein tolles Stück.« Leonie war begeistert.
»Was meinst du, wie lange wirst du das aushalten?« Holger hatte auf einmal einen sehr ernsten Blick.
»Zwei Stunden schaffe ich locker.« Leonie strahlte. »Dann wird es unangenehm.«
Als Antwort blickte Holger noch eine Spur ernster, doch er schwieg.
»Ich habe ein langes Training hinter mir, so ähnlich wie Maria.« Leonie erkannte, dass sie Holger von ihren Fähigkeiten überzeugen musste. »Früher habe ich viel Ballett gemacht, und ich bin entsprechend gelenkig.«
»Bitte sage mir auf jeden Fall Bescheid.« Holger blickte seine Freundin sehr streng an. »Du musst ehrlich zu mir sein.«
Leonie versprach es sehr feierlich. Sie fühlte, dass Holger gespieltes Unbehagen und echte Schmerzen auseinander halten konnte. Es war etwas komisch. Sie kannte Holger erst zwei Tage, und doch kam es ihr so vor, als währen sie schon ein Leben lang zusammen gewesen.
Holger drehte den Handschuh noch einmal in seinen Händen, dann blickte er Leonie lächelnd an. »Wenn ich Madame behilflich sein dürfte?« Er hielt ihr den Handschuh mit der Öffnung nach oben hin.
»Danke, mein Herr, sie sind zu gütig.« Leonies Stimme zitterte deutlich hörbar. Sie war sehr aufgeregt.
Es war eben nicht nur der Monohandschuh, der sie so sehr erregte, es war die Gesamtsituation. Sie hatte ihren Traummann gefunden, sie hatte einen Traum von Handschuh, und sie waren in das teuerste Restaurant der Stadt eingeladen. Und der Gastgeber bestand darauf, dass sie den Handschuh tragen sollte. Sie hatte schon lange beschlossen, jede Sekunde dieses so tollen und aufregenden Abenteuers zu genießen. Es war einfach zu unwahrscheinlich, dass sich so etwas in der näheren Zukunft noch einmal ereignen sollte.
* * *
»Über was grübelst du?« Florian hielt seine Frau im Arm und führte sie zu dem kleinen Fotostudio.
»Ich frage mich, ob es richtig ist, was ich vorhabe.« Sie holte tief Luft. »Und ich frage mich, warum es mir gefällt.«
»Es ist richtig.« Florian wusste, dass er seine Frau in ihrem Vorhaben bestärken musste. Und über die zweite Frage wagte er selbst nicht nachzudenken.
Er hatte nur gesehen, was die Familie ihrer Tochter angetan hatte, um sie zur Hochzeit zu zwingen. Welche körperlichen und auch geistigen Schmerzen sie deswegen aushalten musste, dass wagte er nicht einmal zu ahnen. Insgeheim nahm er an, dass es für Anna auch so eine Art Therapie war, wenn sie jetzt ähnliche ´Qualen´ aus reiner Lust erleiden wollte.
Doch dann erinnerte er sich an die Worte, die er von Maria zu dem Thema gehört hatte, und dass es eben sehr wichtig war, wer jeweils die Fesseln anlegte. Es war eine Frage des Vertrauens, und er spürte, wie sehr Anna ihn liebte und ihm vertraute. Und er war ernsthaft bemüht, dieses Vertrauen nie zu enttäuschen, auch wenn es ihn einige Überwindung kostete, ihr die Fesseln festzuziehen.
Andrea öffnete und bat ihre Besucher herein. »Ihr kennt euch hier ja aus.« Sie zeigte nur der Form halber auf die entsprechenden Räume. »Hans wartet schon ganz aufgeregt.«
»Was ist denn gewünscht?« Florian fragte es beim Eintreten in das kleine Studio, obwohl der Haufen Seile und der rote Ball mit den schwarzen Riemen daran eine deutliche Sprache sprachen.
»Eigentlich das gleiche wie gestern auch.« Hans war noch von dem Einlauf, den er von seiner Freundin bekommen hatte, sehr eingeschüchtert. Er hatte sich auch wieder umgezogen und trug fast die gleichen Sachen wie am Vortag. »Haben sie den Handschuh mitgebracht?«
Florian legte den Beutel, den er in der Hand trug, neben das Seilbündel und packte das Verlangte aus. »Was ist eigentlich das Faszinierende daran?«
»Das fragen sie noch?« Hans lies die Kamera sinken, die er in der Hand hielt. »Haben sie ihre Frau einmal beobachtet, wenn sie den Handschuh trägt? Die veränderte Haltung müsste ihnen doch aufgefallen sein.«
Florian musste eingestehen, dass er bisher immer um Anna Angst hatte, wenn sie wegen der Forderungen der Familie mit diesem Monster unterwegs war. Auf ihren Körper hatte er bisher wenig geachtet. Doch wegen der Warnungen von Marias Mutter behielt er die Gedanken lieber für sich. Er zuckte nur mit den Achseln.
»Na dann achten sie mal darauf, wie sich ihr Körper verändert, wenn sie ihn anlegen.« Hans gab sich euphorisch.
»Sprecht ihr von mir?« Anna kam etwas schüchtern aus dem Umkleideraum. Wie gestern trug sie einen engen Gymnastikanzug und hatte sich die Perücke aufgesetzt.
»Wir überlegen gerade, was der Monohandschuh mit dir macht.« Florian war ein wenig nervös.
Anna verdrehte nur die Augen, sie wollte nicht darüber nachdenken. »Können wir anfangen?« Sie blickte ebenfalls etwas nervös auf den Haufen mit Seilen und dem deutlich sichtbaren Ball.
»Wo hast du denn das schöne Kleid von gestern?« Hans versuchte ein wenig Smalltalk, während er sich das erste Seilbündel griff.
Anna legte nach einem auffordernden Blick ihre Arme auf den Rücken. »Das gehört mir nicht. Das ist die Uniform für die Auftritte mit der Musikgruppe.«
Hans bat Florian zu sich. »Willst du es einmal probieren?« Er reichte ihm das erste Seil.
Anna stöhnte ein wenig, dann legte sie ihre Arme so, wie sie es gestern auch gemacht hatte.
»Könntest du einmal fragen, ob du es auch privat nutzen darfst?« Andrea hatte schon erkannt, was ihren Freund bewegte, und die Idee, Anna in dem Barockkleid gefesselt zu sehen, faszinierte sie auch.
Anna stöhnte ein wenig, weil sie fühlte, wie sich das Seil aus Florians Händen um ihre Handgelenke. »Ich kann einmal fragen.«
* * *
»Leonie ist aber schon weg«, erklärte Selma, nachdem sie die Familie Wolkenberg begrüßt hatte.
»Das ist schade.« Christine, ihre Schwester lächelte. »Aber sie war ja schon immer recht sprunghaft und spontan.«
»Jetzt kommen sie erst einmal herein.« Sie bat ihre Gäste ins Wohnzimmer. »Ich war schon sehr gespannt auf die Familie von Leonie.«
»Wo ist sie denn?« Anna, ihre Mutter, machte es sich in einem der Sessel gemütlich.
»Sie hat eine Einladung bekommen, und Holger begleitet sie.« Selma setzte sich, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass alle einen Platz gefunden hatten.
Christine war hellhörig geworden. »Wer ist Holger?« Den Namen betonte sie besonders.
Selma wurde eine Spur rot. »Ihre Tochter kam zu mir, weil sie hoffte, Paul und Maria zu treffen. Sie sagte, sie hätte sie auf der Hütte kennengelernt.«
»Das wundert mich gar nicht.« Ihre Schwester lächelte. »Sie war ja geradezu vernarrt in die Beiden.«
»Sie hat mir unfreiwillig anvertraut, dass sie es mag, gefesselt zu sein.« Selma war immer noch etwas verlegen. »Und damit hat sie bei mir offene Türen eingerannt.« Sie erzählte von ihrer Zeit als Erzieherin. »Und dann habe ich sie gefragt, ob sie auch vorstellen könnte, meine Gefangene zu sein.«
»Das hat sie sicher sofort zugesagt.« Christine lachte. »So eine Gelegenheit lässt sie sich nie entgehen. Aber wer ist Holger?«
»Christine, du bist ungeduldig.« Ihre Mutter ermahnte sie. »Lass doch Frau Mohr erzählen.«
»Holger ist der Sohn der Nachbarin, und ich habe sie mehr oder weniger verkuppelt.« Selma lächelte. »Aber das soll sie ihnen besser selbst erzählen.«
* * *
»Sie sind also Maria?« Sybille Steinhagen, die Frau des Sparkassendirektors, begrüßte ihren Ehrengast. »Ich freue mich, dass sie der Einladung trotz ihrer knappen Zeit noch gefolgt sind.«
Maria machte nur stumm einen Knicks. Sie war von der Ausstrahlung der Ehefrau nicht minder beeindruckt als von Herrn Steinhagen. Das Ehepaar gab sich bescheiden, war sich aber trotzdem seiner Bedeutung für Landsbach bewusst.
»Ich bin schon sehr auf ihr Kunststück gespannt.« Sie blickte kurz zu ihrem Mann. »Rodulf schwärmt sehr von ihnen.«
Maria lächelte verlegen. Sie suchte Pauls Hand.
»Nehmen sie doch bitte Platz.« Herr Steinhagen bat zu Tisch. »Die Anderen werden auch gleich kommen.«
Doris rieb sich die Augen. »Ich glaube, ich träume.« Sie ging zusammen mit Theo auf den Tisch zu.
»Genießen sie diese einzigartige Gelegenheit.« Herr Steinhagen lächelte. »So etwas wird so bald nicht wieder passieren.« Er machte deutlich, dass nur das morgige Fest es erlaubte, so in der Öffentlichkeit aufzutreten.
Theo drehte sich noch einmal um. »Wir danken sehr für diese Einladung.« Er strich seiner Frau kurz über den Kopf. »Sie glauben ja gar nicht, was es Doris bedeutet.«
Ein Ober stand bereit, und als sich alle Personen an den Tisch gesetzt hatten, kam er an den Tisch und fragte nach den Getränkewünschen.
Maria fiel auf, dass es der gleiche Ober war, der sie vor einer Woche gar nicht erst herein lassen wollte. Sie lächelte ein wenig. Anscheinend hatte er von seinem Chef eine ordentliche Zurechtweisung bekommen, denn er hatte sich diesmal überhaupt nichts anmerken lassen. Und das obwohl Doris ihre Ketten trug und Leonie mit einem Monohandschuh am Tisch saß und ein Getränk mit Strohhalm verlangte.
Auf einmal zuckte Maria zusammen.
»Was ist los?« Paul war die Regung seiner Freundin nicht entgangen.
»Schau mal, wer dort drüben sitzt.« Marias Stimme war leise.
Paul folgte ihrem Blick, und sofort erkannte er das Mädchen, unter dem Maria so sehr zu leiden hatte, Claudia Wetzler. »Sie ist anscheinend mit ihren Eltern hier.« Paul flüsterte ebenfalls.
Als letztes erschienen Amelie und Leonhard. »Wo sind ihre Ketten?« fragte Herr Steinhagen gleich nach der Begrüßung.
»Siehst du, ich habe es dir doch gesagt.« Amelie blickte ihren Verlobten etwas angesäuert an, dann wandte sie sich wieder an ihren Gastgeber. »Entschuldigen sie bitte, mein Verlobter wollte mir nicht glauben, dass die Ketten wirklich gewünscht waren.« Sie griff in ihre große Handtasche und holte ihren ´Schmuck´ heraus. Fast vorwurfsvoll drehte sie sich zu Leonhard und funkelte ihn an. »Jetzt mach hin.«
Sybille Steinhagen stieß ihren Mann an. »Können wir nicht gleich Maria bitten, uns das Kunststück vorzuführen?« Im Gegensatz zu allen anderen hatte sie Marias Stimmungswechsel bemerkt und glaubte auch den Grund dafür erkannt zu haben. Die Tochter von Wetzlers war für ihre Arroganz bekannt, und ein kleiner Denkzettel würde ihr ganz gut tun.
Herr Steinhagen blickte seine Frau ein wenig verwundert an, doch dann bemerkte er ihren kurzen Blick auf den Tisch von Wetzlers, und sofort grinste er. »Das können wir machen.« Er wandte sich an Paul. »Herr Mohr, ich hatte sie gebeten, die Sachen, die sie für das Gebet brauchen, mitzubringen.«
Paul musste erst einmal schlucken, bevor er antworten konnte. »Ich habe die Sachen wie gewünscht dabei.« Er blickte fragend zu Maria. Einer weiterer Aufforderung bedurfte er nicht.
Maria hatte weiche Knie, als sie sich jetzt erhob und auf die Frau des Direktors zu ging. Sie stellte sich so hin, dass die Frau es gut sehen konnte und legte ihre Arme auf den Rücken, dann gab sie Paul das Zeichen, mit dem Gebet anzufangen.
Maria stand so, dass sie direkt auf den Tisch von Wetzlers blicken konnte, und als sie einmal ihren Blick hob, musste sie lächeln. Claudia Wetzler saß mit hochrotem Kopf am Tisch und starrte zu ihr herüber. Es war deutlich zu sehen, dass sie dabei war, vor Neid zu zerplatzen.
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Stamm-Gast
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RE: Maria
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Datum:24.04.17 21:22 IP: gespeichert
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Hallo gag_coll
Ich bin kein Mensch großer Worte, deswegen sage ich einfach nur....
T O L L
Ich hab deine Fortsetzung gerade erst gelesen und warte schon ungeduldig auf die nächste. Mach bitte weiter so !!!
und wenn´s ein wenig schneller ginge, wäre das auch nicht schlimm *zwinkerzwinker*
Respektvoll grüßend
Gozar
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Story-Writer
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RE: Maria - Kapitel 14 - Das Katerinenfest - Teil Sechsunddreißig
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Datum:26.04.17 05:41 IP: gespeichert
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Maria
Kapitel 14 - Das Katerinenfest - Teil Sechsunddreißig
Autor: Karl Kollar
Freitag, 24. September 1984 - Festwochenende
Maria schlug die Augen auf, als sie ihren Wecker hörte. Sofort schwang sie sich aus dem Bett, denn heute begann ihr lang ersehntes Wochenende. Drei Tage waren es nur, und doch fieberte Maria seit Wochen daraufhin, und sie hatte sich oft mehr als geschunden, um sich diesen so außergewöhnlichen Auftritt zu ermöglichen.
Sehr gern hätte sie sich in dieser Nacht Paul hingegeben, doch sowohl Selma als auch ihre Mutter hatten ihnen nach dem Essen mit dem Sparkassendirektor geraten, die Nacht jeweils im eigenen Bett zu verbringen. »Ihr müsst morgen ausgeschlafen sein.« Das war die einhellige Meinung, und es war ihnen auch leicht gefallen, das Argument einzusehen.
Der Abend war toll gewesen. Maria dachte noch einmal über das ganz außergewöhnliche Abendessen nach, während sie sich zügig anzog.
Paul hatte ihr bald nach der Begrüßung das Gebet angelegt, weil die sehr nette Frau des Sparkassendirektors sie darum gebeten hatte. Auch ihre drei Dienerinnen auf dem Fest trugen Teile ihres Kostüms, zumindest wurde es vom Gastgeber so dargestellt.
Natürlich wusste auch Maria, dass es eine wirklich einmalige Gelegenheit war, sich so präsentieren zu dürfen, und immer wieder rief sie sich das Gesicht der sehr eifersüchtigen Claudia Wetzler in Erinnerung, die am Nebentisch saß und geradezu zu platzen drohte.
Anfangs hatte sie noch damit gerechnet, dass Paul ihr die Arme beim Essen wieder befreien würde, doch stattdessen wurde sie von ihm genauso wie Doris von Theo gefüttert. Und es war so würdevoll, dass es überhaupt nicht auffiel.
Natürlich war es auch den Leuten an den Nachbartischen aufgefallen, doch als Frau Steinhagen ihren Mann darauf ansprach, lächelte dieser nur. »Ich möchte eben zeigen, dass diese jungen Damen sich selbst unter erschwerten Bedingungen weitaus besser benehmen können als die Baroness.«
»Da hast du allerdings recht«, hatte seine Frau geantwortet und den vier Mädchen noch einmal ihre Bewunderung ausgesprochen.
Maria dachte über die leuchtenden Augen nach, die ihr an diesem Abend aufgefallen waren. Bei Amelie wusste sie, dass sie bestimmt schon einmal in dieser Situation gewesen war, doch für Doris und Leonie mussten es ganz neue und aufregende Momente sein.
* * *
Doris war sofort wach, als sie im Halbschlaf das liebliche Klirren ihrer Ketten hörte. Sie wusste sofort, welches wichtige Ereignis heute auf sie wartete.
Theo hatte sie auf ihren Wunsch hin gestern Nacht noch mit ihrem ganz strengen Kettenensemble an das Bett gefesselt. Sie hatte sich das Geschirr vor einiger Zeit selbst ausgedacht, es kam aber nur selten zum Einsatz, auch weil es sehr aufwendig anzulegen war. Doch nach den Erfahrungen der letzten Nacht war Theo sofort damit einverstanden gewesen, als Doris ihn gestern Abend darum gebeten hatte.
An jedem Arm und an jedem Bein waren vier Schellen angelegt. Zusätzlich trug sie auch noch einen Ring um ihre Taille und um den Oberkörper ein weiches Ledergeschirr. Theo hatte bei der Umsetzung extra seine Cousine um Rat gefragt, die Ärztin war, und die hatte ihnen zu dieser Kombination geraten. Es galt, eine optimale Fixierung zu erreichen, die aber gleichzeitig noch so flexibel war, dass keine gesundheitlichen Schäden auftreten konnten.
Die Ketten waren deswegen auch nicht fest am Bett befestigt, sondern über Ösen untereinander verbunden, so dass sie nachgeben konnten, wenn Doris sich im Schlaf bewegen sollte. Aus dem gleichen Grund gab es für ihren Oberkörper nur das Ledergeschirr, welches an strategischen Stellen auch noch mit breiten Gummibändern ausgestattet war. So war sichergestellt, dass Doris´ Atmung auf keinen Fall behindert wurde, es ihr aber trotzdem das schöne Gefühl des Gefangenseins vermitteln konnte.
Doris musste immer wieder an die Frage von Renate denken, die für heute angekündigt war. Sie wusste immer noch nicht, wie sie genau reagieren sollte, wenn sie erfuhr, dass sie die Ketten in der Kirche zu tragen hatte.
Sie hatte sich eigentlich schon mit dem Gedanken abgefunden, dass sie Theo dafür um Befreiung bitten musste. Für gewisse Ausnahmefälle war das tatsächlich möglich. Doch sie versuchte gern, diese Gelegenheiten auf das Äußerste zu reduzieren.
Es wäre bei Weitem ja nicht das erste Mal, dass sie das ganze Wochenende in ihren Ketten herumlaufen würde, es war im Gegenteil sogar die Regel. Doch dieses Mal würde sie es in der Öffentlichkeit machen, und es würde hoffentlich von keiner Seite fragende Blicke oder gar abfällige Äußerungen geben.
Sonst musste sie peinlichst darauf achten, das Haus entweder in Freiheit oder mit versteckten Ketten zu verlassen, doch diese drei Tage über wurde es geradezu von ihr erwartet, ihre Ketten zu präsentieren.
Tief in ihr reifte die Hoffnung, dass es für sie nach dem Fest vielleicht doch noch die eine oder andere Gelegenheit geben würde, wo sie die Ketten wieder zeigen könnte.
Immer wieder musste Doris an das außergewöhnliche Abendessen von gestern Abend denken. Sie durfte ihre Ketten im besten Haus am Platz zeigen, und keiner nahm auch nur eine Notiz davon. Im Gegenteil, sie hatte die ganze Zeit über das Gefühl, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, dass ihre Arme und Beine in Ketten lagen. Natürlich hing es nur mit dem Fest zusammen, das war Doris schon bewusst, und vor allem deswegen war sie wild entschlossen, jede Sekunde des Festes besonders zu genießen.
Gestern hatte Maria ihr schon verraten, dass sie wegen des Gebets auch in der Kirche noch den Status einer gefangenen Dienerin darstellen musste und deswegen auch dort die Ketten zu tragen hatte. Es war ein einzigartiger Glücksfall und Doris war es bewusst, dass es so nie wieder passieren würde.
* * *
Es war das erste Mal, dass Leonie wirklich die ganze Nacht in ihrem Käfig verbringen musste. Natürlich hätte sie das Siegel erbrechen können und sich dann gemütlich in ihr Bett kuscheln. Selma würde sie nicht dafür nicht bestrafen, dessen war sie sich sicher.
Doch Holger hatte sie gestern Abend in den Käfig eingesperrt und persönlich das Siegel angebracht. Und deswegen war es für sie Ehrensache, sich seinem Willen zu fügen. Zumal Selma angekündigt hatte, dass er heute morgen vorbeikommen dürfe, um sich von der Unversehrtheit des Siegels zu überzeugen. Und sie wusste, dass sie die Liebe ihres Lebens nicht enttäuschen durfte, auch wenn der Käfig alles andere als bequem war.
Dabei hatte der Abend schon so aufregend begonnen, als Holger sie mit zugegeben zitternden Händen in den Handschuh eingeschnürt hatte, obwohl sie im teuersten Restaurant der Stadt eingeladen waren. Es kam Leonie immer noch wie ein Traum vor. Doch auf dem Tisch standen noch die Blumen, die Holger mitgebracht hatte, als er sie dafür abgeholt hatte. Und dann hatte er sie auch noch gefüttert, so als ob sie das schon Ewigkeiten lang gemacht hätten. Sie war von dieser Selbstverständlichkeit geradezu verzaubert, und es kam ihr vor, als würden sie sich schon seit dem Sandkasten kennen.
Immer wieder hatte er sich nach ihren Armen erkundigt und stets hatte sie ihm versichtert, dass sie es noch aushalten könne. Doch im weiteren Verlauf des Abends hatte er sie dann aus dem Handschuh herausgelassen, obwohl Leonie noch überhaupt nichts gesagt hatte. »Ich glaube, es ist genug«, sprach er mit bewusst fester Stimme. »Und Widerspruch ist nicht erlaubt.«
Erst später wurde ihr klar, dass er auf ihr leises Stöhnen reagiert hatte, dessen Tonfall sich ein wenig geändert hatte. Und von so viel Sensibilität war sie sehr beeindruckt.
Und das Abenteuer ging weiter. Selma hatte auf der Bank vor der Haustür auf sie gewartet. Als sie Arm in Arm das Grundstück betreten hatten, stand Selma auf und ging ihnen langsam entgegen. »Hattet ihr einen schönen Abend?«
Leonie blickte ihre Gastgeberin sprachlos an, sie war nicht zu einer Antwort fähig.
»Wir möchten uns noch einmal dafür bedanken.« Holger reichte Selma den Handschuh.
»Was ist damit? Passt er nicht?« Selma nahm ihn entgegen, doch gab sich ein wenig naiv.
»Doch, es war alles bestens.« Er blickte Leonie verliebt an.
»Ich möchte ihn euch schenken.« Sie gab den Handschuh zurück.
»Wir danken sehr.« Holger verbeugte sich ein wenig und bezog Leonie in die Geste mit ein.
Selma zögerte noch einen Moment. Sie war sich unsicher, ob ihr Vorhaben wirklich das Richtige war, doch dann entschloss sie sich, ihrem Instinkt zu folgen. Sie gab vor, etwas nachzudenken. »Holger, du könntest mir helfen, Leonie in ihren Käfig zu sperren, falls du noch Zeit hast.«
Holger hatte es die Sprache verschlagen, er war nur zu einem schüchternen Nicken in der Lage.
»Dann lasst uns nach oben gehen.« Selma bat das Paar ins Haus.
»Leonie, du gehst ins Bad, wir bereiten derweil alles vor.« Sie nahm die letzten Treppenstufen, dann winkte sie Holger, ihr zu folgen.
In Leonies Zimmer setzte sich Selma zunächst in den Sessel und wartete, bis Holger ihr in das Zimmer gefolgt war. »Du kannst schon mal den Käfig öffnen und das Siegel vorbereiten.« Sie zeigte auf die kleine Kommode, wo sie am Nachmittag schon alles bereit gelegt hatte.
Holger schaffte es nicht, sein Zittern zu verbergen. Er trat auf den Käfig zu und kniete sich davor hin. »Das ist ja ein echter Käfig«, sprach er mehr zu sich selbst. »Sehr robust und trotzdem schön.«
Er klappte die Tür auf und griff auf den Boden. »Gut gepolstert«, stellte er fasziniert fest, und mit einer Gänsehaut registrierte er, dass schon Bettzeug im Käfig lag. Doch dann erhob er sich, ging zur Kommode und inspizierte die Sachen, die Selma bereitgelegt hatte.
Die Funktion des Siegels war offensichtlich. Die etwas dickere Schnurr wurde erst durch den Riegel des Käfigs geführt und dann zwischen die zwei Wachsplatten gelegt. Mittels der Wärme einer Kerze konnten dann die beiden Plättchen zu einer Plakette zusammengedrückt werden. Nachdem er alles inspiziert hatte, blickte er sich etwas unsicher um.
»Komm, setze dich neben mich.« Selma wusste jetzt, dass sie auf dem richtigen Weg war. »Wir warten auf sie.«
Leonies Herz klopfte laut, als sie ihr Zimmer betrat. Wie sie es erwartet hatte, stand die Käfigtür auf, und sowohl eine Decke als auch ein Kissen lagen im Käfig für sie bereit. Sie wagte es nicht, sich im Zimmer umzublicken, sie ging mit starrem Blick auf den Käfig zu, kniete sich davor nieder und kroch hinein.
Dass sie dabei von Holger und Selma beobachtet wurde, war ihr gleichgültig, sie griff einfach hinter sich und zog die Tür hinter sich zu. Der Riegel fiel zu, und weil es sehr leise im Raum war, erschien dieses Geräusch recht laut. Sie hatte schwer damit zu kämpfen, keine Regung zu zeigen, denn innerlich war sie wild aufgewühlt.
»Jetzt kannst du das Siegel anbringen, Holger.« Sie zeigte noch einmal auf die Stelle, wo sie die Utensilien dafür abgelegt hatte.
Bis jetzt hatte Leonie noch angenommen, es wäre nur eine Show und sie könne sich in ihr Bett kuscheln, wenn Holger gegangen war, doch jetzt wurde ihr klar, dass sie die Nacht tatsächlich in ihrem Käfig zu verbringen hatte.
»Warum eigentlich kein Schloss?« Holger fand endlich den Mut, Fragen zu stellen, während er die Siegelschnur durch die Löcher im Riegel führte und anschließend das Wachsplätzchen anbrachte.
»Es ist zu gefährlich.« Selmas Stimme war auf einmal sehr ernst. »Für einen echten Notfall muss Leonie in der Lage sein, sich zu befreien und damit ihr Leben zu retten.«
Holger schluckte, als er die Strenge dieses Arrangements erkannte. Er vermied es, in diesem Moment Leonie anzuschauen.
»Du möchtest dich bestimmt von ihr verabschieden.« Selma war aufgestanden und gab ihm die Fernbedienung so in die Hand, dass Leonie es sehen konnte, dann ging sie zur Tür. »Lass die Tür einfach ins Schloss fallen, wenn du gehst.« Dann verließ sie das Zimmer, denn sie wusste, dass es jetzt besser war, das verliebte Paar allein zu lassen.
Jetzt erst wagte Holger es, Leonie wieder anzusehen.
Leonie rutschte an die Käfigtür und blickte wie hypnotisiert auf die Fernbedienung.
»Du bist eine sehr faszinierende Frau.« Holgers Stimme war sehr leise, als er durch die Käfigstangen griff und ihr über das Gesicht streichelte. Dann blickte er ebenfalls auf die Fernbedienung und drückte auf den Knopf, den er für richtig hielt.
Sie hörte Schritte im Treppenhaus, fremde Schritte. Sie hielt den Atem an. Ob es er war? Leonie war immer noch verzaubert von dem Moment, als er vor dem Käfig saß und zusah, wie ihr der Vibrator langsam aber unerbittlich einen Orgasmus aufzwang. Und trotzdem war er so ritterlich gewesen und hatte sie erst noch gefragt, ob er sie durch die Gitterstäbe streicheln dürfte.
* * *
»Das war toll gestern.« Amelie schwärmte, kaum dass sie die Augen aufgemacht hatte. »Lässt du mich bitte heraus?« Sie blickte sehr verliebt auf den erst vor kurzem angeschafften Reiseschlafsack, in dem sie diese Nacht verbracht hatte.
»Aber sicher.« Leonhard beugte sich zu ihr hinüber und zog den langen Reißverschluss auf. Der Schlafsack hatte innen Ärmel, die seitlich am Schlafsack befestigt waren. Selbst mit geöffnetem Reißverschluss war Amelie noch nicht in der Lage, sich selbst aus ihrem Nachtgefängnis zu befreien. Erst als Leonhard ihr die Schultern frei gemacht hatte, konnte sie langsam ihre Arme aus den so strengen Hüllen ziehen.
Der Schlafsack hatte den Vorteil, Amelie in einen Zustand völliger Hilflosigkeit zu versetzen, ohne dass sie weitere Hilfsmittel brauchten oder spezielle Vorrichtungen am Bett. Natürlich gab es an den strategischen Stellen noch extra Öffnungen für ausgiebige Spiele in der Nacht.
Amelie liebte den neuen Schlafsack, denn er erlaubte es ihr, sich Leonhard vollkommen auszuliefern. Natürlich gab es auch noch die Möglichkeit, den Schlafsack auf dem Bett zu fixieren, doch Amelie bevorzugte die Variante ohne weitere Riemen. Sie empfand es so noch gemeiner. Sie war nur durch eine Lage Leder, die an wenigen Stellen doppelt gearbeitet war, vollkommen hilflos.
»Du solltest dich beeilen, wir sind zum Frühstück eingeladen.« Leonhard bemerkte, dass seine Verlobte schon wieder ins Träumen geraten war.
* * *
Etwas wehmütig blickte Sophie auf den kleinen Kalender, den sie selbst sich gebastelt hatte. Jetzt begann das Wochenende, wegen dem sie aus dem Verkehr gezogen worden war.
Sie war sich dessen mittlerweile sicher, weil sie diese Aussage mehrmals in der Klinik gehört hatte, wenn ihr Vater und der Chefarzt sich über die Mindestdauer ihres Aufenthaltes unterhielten. Sie fragte sich, was Montag sein würde. Ob sie dann befreit werden würde?
Heute dachte sie anders über das Fest, und sie war sich sicher, dass sie es jetzt bestimmt mit Würde hätte spielen können. Doch die Gelegenheit war vorbei, und sie würde lange brauchen, um ihre Umgebung davon zu überzeugen, dass sie sich geändert hatte. Sie stutzte. Nein, sie wollte sich ändern, wenn sie wieder draußen sein dürfte.
Ihrem Vater gab sie nur einen geringen Anteil an der Schuld. Das Einzige, was sie ihm vorwerfen wollte, war, dass er ihr nach dem Tod der Mutter alle Freiheiten gelassen hatte. Wäre er etwas strenger gewesen, dann hätte sich ihre Entwicklung vielleicht in eine andere Richtung führen lassen.
Erst aus dem Radio hatte sie von den eigentlichen Festinhalten erfahren. Bis zu ihrem angeblichen Unfall hatte sie sich dafür überhaupt nicht interessiert. Doch der kleine Privatsender hatte es sich nicht nehmen lassen, zwischen der vielen Werbung ein wenig über den Ablauf des Festes und auch über die Hintergründe zu informieren.
Gegenüber Maria verspürte sie weder Neid noch Missgunst. Dieses Mädchen hatte es einfach verdient, die Rolle zu spielen. Immerhin war sie die Einzige, die sie jemals im Krankenhaus besucht hatte, und deswegen stand sie bei Sophie auch ganz oben auf ihrer Liste.
* * *
Wieder wählte Maria die lange Nummer, um ihre Freundin in Australien anzurufen, wie sie es fast jeden Freitag tat. Doch diesmal war zu ihrer Enttäuschung nur ihre Mutter Frau Dörtling am Telefon. »Rosalie ist nicht da«, erfuhr Maria von ihr. »Aber sie lässt schön grüßen.«
Maria war ein wenig verwundert. Ihre Freundin hatte ihr diesbezüglich gar nichts gesagt. »Wo ist sie denn?« fragte Maria, obwohl sie insgeheim schon wusste, dass sie darauf keine Antwort bekommen würde.
»Sie hat gesagt, das würdest du schon wissen«, antwortete die Mutter etwas rätselhaft.
Maria versuchte, sich die vergangenen Gespräche ins Gedächtnis zu rufen, doch sie fand keinen Anhaltspunkt dafür, was ihre beste Freundin vor haben könnte. »Hat sie noch Nachrichten für mich hinterlassen?«
Es kam schon mal vor, dass Rosalies Mutter oder auch Mrs. Potter Notizen auf einem Zettel bekamen, den sie dann vorlasen. Doch diesmal musste sie Frau Dörtling auch diese Frage verneinen. »Sie hat nichts für dich dagelassen.«
»Schade.« Maria bedankte sich für das Telefonat und verabschiedete sich, dann legte sie auf und ging zurück ins Esszimmer, wo Paul bereits dabei war, den großen Frühstückstisch zu decken.
Als er die Miene seiner Freundin sah, wusste er sofort, dass etwas nicht stimmte. »Was ist denn los? Schlechte Nachrichten?«
»Nein, nicht wirklich.« Maria schien sich ihre Gedanken aus dem Kopf zu schütteln. »Sie war nicht da, und sie hat ihrer Mutter auch nichts für mich hinterlassen.« Sie blickte etwas verwirrt aus dem Fenster. »Sie lässt ausrichten, ich würde schon wissen, wo sie wäre.« Es war Maria anzuhören, wie sehr sie dieses Telefonat getroffen hatte.
»Vielleicht kommt sie dich ja besuchen?« Paul versuchte einen Scherz, um seine Freundin aufzumuntern.
»Aber dann hätte sie mir doch etwas gesagt.« Maria schüttelte wieder den Kopf, dann ging sie zum Tisch, um ihm beim Tischdecken zu helfen. »Wer kommt denn alles?«
Paul dachte kurz nach. »Deine drei Dienerinnen mit Begleitung, und Frau Bayer wollte kommen.«
»Gut, dass ihr so ein großes Esszimmer habt.« Maria verteilte Servietten auf die Teller.
»Anna und Florian haben sich bereit erklärt, bei der Bedienung zu helfen.« Paul blickte zur Anrichte, auf der einige große weiße Papiertüten lagen. »Ich habe mit ihm schon Brötchen und Weißbrot geholt. Und Anna hilft meiner Oma beim Kaffee kochen.«
* * *
»Leonie wartet schon auf dich.« Mit diesen Worten hatte Frau Mohr Holger nach oben geschickt. Mit Herzklopfen betrat er das Zimmer seiner Traumfrau. »Guten Morgen, Leonie. Wie geht es dir? Hast du gut geschlafen?« Er kniete sich vor den Käfig und entfernte das Siegel.
Leonie stöhnte leicht. »Das Bett wäre bequemer gewesen«, antwortete sie ihm, nachdem sie ihm auch einen guten Morgen gewünscht hatte.
»Das ist ein schöner Käfig.« Holger hatte sich nichts überlegt, er wollte einfach sein Herz sprechen lassen. Trotzdem war er von ihrer Antwort überrascht gewesen.
»Finde ich auch.« Leonie blickte ihn verliebt an. »Frau Mohr hat ihn extra für mich anfertigen lassen.«
»Bist du oft darin?« Holgers Stimme zeigte seine Faszination.
»Bisher noch nicht so oft.« Leonie flüsterte. »Aber so lange bin ich ja auch noch nicht bei ihr.«
»Kommt ihr zurecht?«, war die Stimme von Pauls Oma zu hören.
»Wir müssen uns beeilen.« Holger öffnete den Käfig und reichte Leonie die Hand. »Heute ist dein großer Tag.«
»Ja, du hast recht.« Leonie ließ sich von ihm aus dem Käfig helfen. Nur nebenbei bemerkte sie, dass seine Berührung sie geradezu elektrisierte.
»Sie hat gesagt, ich soll dir im Bad helfen.« Es war Holger anzusehen, dass es ihm sehr unangenehm war. Doch mit Leonies Antwort hatte er doch nicht gerechnet.
»Lieber du als sie.« Leonie stöhnte. »Als ich die Handschuhe trug, musste ich alles von ihr machen lassen, wirklich alles.«
Holger war verblüfft. »Aber jetzt trägst du ja nur die Ketten.« Er drehte sich weg. »Sag mir einfach, wenn du Hilfe brauchst.«
»Danke für die Einladung.« Theo reichte Selma einen Blumenstrauß. Mit der anderen Hand hielt er Doris im Arm.
»Kommt herein.« Selma trat zur Seite und bat ihre Gäste herein. »Wie war die Nacht?«
»Ruhig.« Theo lächelte geheimnisvoll, während mit seiner Verlobten ins Wohnzimmer ging.
Selma lächelte wissend, dann wandte sie sich wieder der Haustür zu. Sie hatte gesehen, dass auch Renate Bayer auf dem Weg zu ihr war, und sie hatte Amelie und Leonhard im Schlepptau.
»Dann sind wir ja vollständig.« sagte sie, als sie hinter ihnen die Haustür schloß. Sie ging ins Esszimmer und wartete, bis sich alle ihre Gäste einen Platz gesucht hatten, dann setzte sich sich ebenfalls. »Greift zu und lasst es euch schmecken.«
»Ihr glaubt ja gar nicht, was in der Stadt los ist«, berichtete Renate, nachdem sie mit ihrem Frühstück fertig war. »Es hat sich herum gesprochen, dass du das Gebet tragen wirst, und alle wollen es sehen.«
Maria lächelte bescheiden. »Ich hoffe, ich werde keinen enttäuschen.«
»Aber sie müssen sich noch bis Samstag gedulden.« Paul wischte sich den Mund ab. »Heute gibt es nur die Ketten zu sehen.«
Renates Blick wurde auf einmal ernst. Sie blickte zu Doris. »Du hast sicher schon von der traurigen Nachricht gehört?«
Doris zögerte erst ein wenig. Sie war sich nicht sicher, ob sie wirklich gut schauspielern konnte. »Die Ketten in der Kirche?« fragte sie vorsichtig.
»Es tut mir sehr leid, dass wir dir das antun müssen« Renate holte tief Luft. »Aber da die Katerina das Gebet noch trägt, musst du als ihre Dienerin ebenfalls noch die Ketten tragen.«
»Es gibt Schlimmeres.« Doris hatte im Vorhinein lange über ihre Antwort gegrübelt.
Es klingelte. Selma stand auf und ging zur Tür. Nach wenigen Augenblicken kam sie zurück. »Maria, es ist für dich.« Aus ihrer Miene war nichts zu lesen.
Maria ging verwundert zur Tür. Draußen standen zwei Personen. Eine hochgewachsene schlanke Blondine mit schulterlangen Haaren, die sehr geschmackvoll gekleidet war, und neben ihr stand ein etwas fülliger Mann.
»Ja bitte?« Maria blickte das Paar verwundert an.
»Maria, erkennst du mich nicht mehr?« Die Blondine blickte verwundert auf ihr Gegenüber. »Ich bin es, Rosalie.«
»Rosalie? Was machst du denn hier?« Maria rieb sich die Augen. »Ich habe dich echt nicht erkannt, du hast dich sehr verändert.«
Marias beste Freundin blickte kurz zu ihrem Begleiter. »Ich bin vor einigen Jahren von hier weggegangen.« Sie drehte sich wieder zu Maria. »Ich muss doch dabei sein, wenn meine beste Freundin vor dem Altar steht. Außerdem möchte ich ihn unbedingt kennenlernen. Und das Gebet möchte ich auch sehen.«
»Ich hatte dich ganz anders in Erinnerung.« Maria war immer noch überwältigt. Ihre Freundin war früher immer etwas pummelig gewesen, und so war sie auch nach DownUnder gegangen.
»Willst du deinen Besuch nicht herein bitten?« Selma erkannte, dass sie Maria ein wenig Hilfestellung geben musste, schließlich war sie auch nur ein Gast bei Pauls Oma.
»Ja, bitte kommt herein.« Als Rosalie neben ihr stand, flüsterte sie ein ´Wer ist das?´ zu ihr, in der Hoffnung, dass es der Begleiter ihrer Freundin nicht hören konnte.
»Das ist Karl Kollar.« Rosalie lächelte ein wenig verlegen. »Wir saßen im Flugzeug nebeneinander.«
»Jetzt kommt erstmal herein.« Selma bat ins Esszimmer und zeigte auf das kleine Sofa. »Nehmt Platz. Wollt ihr noch etwas essen?«
»Vielen Dank, nein.« Rosalie und ihr Begleiter setzen sich. »Wer ist jetzt Paul?« Rosalie blickte sich neugierig im Zimmer um.
Maria stutze einen Moment, dann lächelte sie und stellte die Teilnehmer des Frühstücks vor. Erst ganz zum Schluß stellte sie sich hinter ihren Freund und legte ihm die Arme von hinten um den Hals. »Und das ist Paul.« Sie strahlte sehr, doch dann erst bemerkte sie, dass es jetzt an ihr war, eine wichtige Frage zu stellen.
Obwohl sie räumlich so weit getrennt waren, wussten die beiden Freundinnen immer noch, was die andere jeweils dachte. »Das ist Herr Kollar.« Rosalie stellte ihren Begleiter vor. »Wir saßen im Flugzeug nebeneinander und sind so ins Gespräch gekommen.«
»Ich bin Geschichtsstudent und habe meinen Urlaub in Australien verbracht. Ich schreibe über die Historienspiele in Deutschland meine Doktorarbeit.« Er zählte auf, was er bisher kannte, unter anderem nannte er die Landshuter Hochzeit, den Rothenburger Meistertrunk und die Dinkelsbühler Kinderzeche. »Und dann hat Frau Dörtling mir erzählt, dass sie auch zu einem Historienspiel unterwegs ist, welches nur alle sieben Jahres stattfindet und bei dem ihre beste Freundin zudem die Hauptrolle spielen würde. Diese Gelegenheit konnte ich mir einfach nicht entgehen lassen.«
»Oh Rosalie!« Maria explodierte geradezu vor Freude. »Das ist so schön, das du da bist.«
»Ich sehe, meine Mutter hat dicht gehalten.« Rosalie lächelte.
»Ja, das hat sie.« Maria lachte jetzt auch. »Von wegen, ich wüsste, was du vorhast.«
»Haben sie schon eine Unterkunft?« Selma spürte, dass noch ein paar Fragen zu klären waren.
»Ich bin bei meiner Tante.« Rosalie blickte zu Karl. »Und ich habe ihm das Gästezimmer vermittelt.«
»Es war kein Hotel- oder Pensionszimmer mehr zu bekommen, alles ausgebucht.« Karl lächelte. »Das liegt vermutlich an dem Fest. Darf ich fragen, um was es bei dem Fest geht?«
Rosalie blickte zu Paul und Maria. »Das lassen sie sich am besten von den beiden Hauptdarstellern berichten.« Sie lächelte.
Maria wollte gerade mit der Erzählung beginnen, als sie von Renate unterbrochen wurde. »Ich bitte um Entschuldigung, aber es stehen jetzt noch einige wichtige Termine an.« Aus ihrer Tasche holte sie die vertraute Mappe. »Für die drei Dienerinnen ist ein Tanzunterricht vorgesehen, und Anna und Florian haben einen Termin in der Kleiderkammer.« Sie steckte die Mappe wieder ein und stand auf.
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Stamm-Gast
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RE: Maria
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Datum:26.04.17 06:47 IP: gespeichert
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Hallo gag_coll,
danke für die nächste tolle Fortsetzung, die mir den Start meines Arbeitstages versüßt.
So langsam geht es ja zum Höhepunkt und alle freuen sich auf das Spiel.
Schön finde ich, dass Du Dich selbst auch in der Person von Karl einbringst.
Ich erwarte die nächsten Fortsetzungen.
Gruß
Machtdom Meine Geschichte:
Schule für Sklavinnen
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der suchende |
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Stamm-Gast
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RE: Maria
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Datum:26.04.17 10:08 IP: gespeichert
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Hallo gag_coll, wie immer eine klasse Fortsetzung. Auch fand es toll, dich auf einmal auftauchen zu sehen. Jetzt weiß ich auch, warum zwischen Teil 13 und 14 sooo lange Pause war, (wenn du auch Urlaub in Australien machst.) ).
Jedenfalls nochmals danke für´s Schreiben.
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Story-Writer
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RE: Maria - Kapitel 14 - Das Katerinenfest - Teil Siebenunddreißig
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Datum:28.04.17 05:26 IP: gespeichert
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Maria
Kapitel 14 - Das Katerinenfest - Teil Siebenunddreißig
Autor: Karl Kollar
(noch Freitag, 24. September 1984 - Festwochenende)
»Ich bin gespannt, was Rosalie zu den Ketten sagt.« Maria blickte lächelnd zu Paul, als sie die Treppe herunter gingen. Selma hatte sie vor kurzem daran erinnert, dass sie sich für das Fest umziehen mussten. Natürlich hatte Maria ihrer Freundin schon am Telefon von ihren kommenden Auftritten berichtet, doch die Ketten in echt zu sehen, würde sicher noch etwas anderes sein.
»Warte, ich mache dir die Tür auf.« Paul ging mit schnellen Schritten zur Esszimmertür, öffnete sie und trat zur Seite. »Meine Damen und Herren, die Comtess Katerina.« Er deutete eine Verbeugung an, dann gab er Maria ein Zeichen.
»Vielen Dank, mein werter Prinz.« Maria machte einen Knicks, dann betrat sie das Esszimmer. Sie trug das einfache Leinenkleid, das sie als Geisel kennzeichnen würde und dazu das Kettengeschirr in der einfachen Ausführung.
Es lag eine gewisse Spannung im Raum, die unter anderem bewirkte, dass Rosalie und Karl aufgestanden waren. Sofort kamen sie auf sie zu und bestaunten die Ketten.
»Das ist aber kein Spielzeug.« Karl blickte fasziniert auf die Ketten. »Darf ich das mal anfassen?«
Maria gab ihm gern die Erlaubnis. Sie streckte ihre Arme aus.
»Ist das eine Maßanfertigung?« Karl war mehr als begeistert. »So etwas Präzises habe ich noch nie gesehen.« Er griff an die Handmanschette. »Die sitzt ja ganz ohne Spiel.«
»Die wurden extra von einem Kunstschmied angefertigt.« Paul war die Aufmerksamkeit des fremden Herrn nicht ganz geheuer.
»Sie haben sogar Gipsabdrücke genommen.« Maria berichtete ein wenig von den Abläufen in der Schmiede.
»Ich bin nur etwas von dem Kleid enttäuscht.« Rosalies Stimme zeigte, was sie von Marias Äußerem hielt. Die Ketten waren ihr gleichgültig.
»Am Freitag stellt die Katerina ja erst einmal die Geisel dar, die der Herzog damals genommen hat, um den Frieden abzusichern.« Paul berichtete ein wenig von der Geschichte, die mit dem Fest verbunden war. Zu seiner Freude hatte sich Karl schon wieder seinen Schreibblock zur Hand genommen und machte sich eifrig Notizen.
* * *
»Grüß dich, Renate.« Robert Greinert saß in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch. Die Nervosität war ihm deutlich anzusehen. »Wie geht es unseren vielen Darstellern?«
»Ich denke, sie fiebern alle darauf hin.« Renate Bayer setzte sich. »Was machst du noch?«
»Ich gehe gerade die Liste der Ehrengäste durch, die wir eingeladen haben, und streiche diejenigen durch, die abgesagt haben.« Robert hob kurz einen Zettel hoch. »Ich möchte nicht wieder jemanden vergessen.«
»Du kannst noch einige Namen auf die Liste setzen.« Renate nahm den kleinen Zettel zur Hand, den sie sich heute Morgen angefertigt hatte. »Wir haben zwei Gäste aus Australien und vier aus Brasilien.«
»Du machst Witze.« Robert blickte Renate ungläubig an. »Australien und Brasilien? Wieso kommen die zu unserem kleinen Fest?«
»Marias Freundin ist vor einigen Jahren nach Australien gezogen.« Sie gab wieder, was sie über Rosalie und Karl erfahren hatte. »Und die Brasilianer hat Maria in den Staaten kennengelernt.« Renate hatte zwar erfahren, dass es sich um Mitglieder des dortigen Hochadels handelte, doch sie hatte versprochen, es für sich zu behalten.
»Ich bin beeindruckt.« Robert machte sich einige Notizen. »Gibst du mir die Namen, damit wir sie begrüßen können? Ich habe gleich noch einen Termin beim Bürgermeister.«
Renate blickte auf ihren Zettel und las die Namen vor, die sie sich aufgeschrieben hatte. Die Titel von Sarah und Juan hatte sie bewusst gar nicht erst aufgeschrieben, obwohl sie davon sehr beeindruckt war.
»Unser kleines Landsbach bekommt internationalen Besuch.« Robert legte seinen Stift weg. »Ich bin begeistert.«
»Marias Mutter hast du auf deiner Liste?« Renate lächelte. »Immerhin lebt sie auch schon ein paar Jahre in Amerika.«
Robert blickte noch einmal auf seine Liste. »Sie steht drauf.« Er machte noch eine Notiz hinter ihren Namen. »Gibt es sonst noch etwas zu klären?«
»Doris hat die Nachricht wegen den Ketten in der Kirche zu meiner großen Erleichterung sehr gefasst aufgenommen.« Renate wollte nicht zugeben, dass sie den Eindruck hatte, die Schmiedetochter hätte sich über die Nachricht sogar gefreut.
Robert war erleichtert. »Dann können wir den Punkt auch abhaken.« Er blickte auf die Uhr. »Ich glaube, ich muss los.«
Renate stand auf. »Wir sehen uns.«
* * *
»Und sie spielen den Prinzen?« Karl hatte sich seinen Notizblock auf die Knie gelegt und machte sich Notizen.
»Ja«, bestätigte Paul und blickte zu Maria, die sich intensiv mit Rosalie unterhielt. »Dabei sollte ursprünglich die Rolle jemand anders spielen.« Er erzählte von seiner etwas überraschenden Auswahl.
»Ich störe euch ja nur sehr ungern, aber ich wollte euch zum Mittagessen abholen.« Frederike stand auf einmal im Raum. Sie blickte sich etwas verwirrt um. »Wo sind denn die anderen?«
»Die Dienerinnen sind beim Tanzunterricht.« Paul berichtete über Renates Aufgabenverteilung. »Und Anna und Florian sind in der Kleiderkammer.«
»Mama, was machst du denn hier?« Es war Maria deutlich anzusehen, dass sie jetzt von ihrer Mutter nur sehr ungern gestört wurde.
»Ich wollte euch zum Essen abholen.« Sie blickte ihre Tochter fragend an. »Wenn es erlaubt ist.«
Maria bemerkte die nicht ausgesprochene Frage ihrer Mutter sofort, doch sie war in Gedanken noch bei dem, was sie Rosalie erzählt hatte. Erst nach einiger Zeit wurde ihr klar, dass sie besser antworten sollte. »Du kennst Rosalie?«
Frederike kam näher und reichte Marias Freundin die Hand. »Ich freue mich, dich wiederzusehen. Du hast dich wirklich zu deinem Vorteil verändert« Sie blickte kurz zu Karl.
»Das ist Herr Kollar.« Rosalie erkannte, dass sie ihren Begleiter vorstellen musste. Sie erklärte kurz, warum sie ihn mitgebracht hatte.
Marias Mutter gab auch ihm die Hand.
»Von dem Katerinenfest hatte ich bisher noch nichts gewusst.« Karl blickte sich um. »Als Frau Dörtling mir erzählt hatte, dass es dieses Wochenende stattfindet, empfand ich das als einen ungeheuren Glücksfall.«
»Jetzt gibt es erst einmal etwas zu essen.« Maria stand energisch auf. Damit wollte sie allerdings nur ihre immer größer werdende Nervosität überspielen. »Rosalie, du kommst natürlich mit.«
»Und sie sind auch eingeladen, Herr Kollar, falls sie nichts anderes vorhaben.« Frederike drängte zum Aufbruch. »Wir sollten nicht trödeln.«
* * *
»Ah, die Schauspieler kommen.« Der Chef der goldenen Traube hielt die Tür auf und bat seine Gäste einzutreten. »Ich habe euch den kleinen Saal reserviert.«
»Danke Herbert.« Frederike lächelte, dann wandte sie sich ihren Begleitern zu. »Tretet ein.«
»Du kennst den Chef?« Maria war mehr als verwundert.
»Wir sind früher zusammen in die gleiche Klasse gegangen.« Marias Mutter hielt die Tür auf. »Nehmt bitte Platz.«
»Danke, Mama, dass du uns eingeladen hast.« Maria blickte sich um. Die drei Dienerinnen mit ihren Begleitern saßen schon am Tisch, ebenso Anna und Florian. Alle trugen schon das Kostüm, das sie auch auf dem Umzug tragen würden. Leises Klirren der Ketten war deutlich zu hören.
Doch dann stutzte sie. Neben Anna saßen auch vier Personen, die alle die gleiche historische Militäruniform trugen. Erst auf den zweiten Blick erkannte Maria ihren brasilianischen Besuch. »Ich hätte euch fast nicht erkannt.« Sie lachte.
Wie üblich gab Betty die Wortführerin. »Wir dachten, dass das bestimmt zum historischen Charakter passt.«
»Eine sehr gute Idee.« Renate lächelte ebenfalls. »Ich habe euch schon beim Bürgermeister angemeldet. Er ist sehr stolz, dass sogar Besucher aus Brasilien und Australien zu seinem Fest kommen.«
Sarah blickte Renate verschreckt an, doch eine Frage stellte sie nicht.
Renate erkannte trotzdem, was die Prinzessin bewegte. »Ich habe ihm gesagt, dass ihr Freunde von Maria seit und euch in Amerika kennengelernt habt. Mehr weiß er nicht.«
»Danke.« Sarahs Stimme war leise.
»Es gibt Schnitzel, Käsespätzle oder einen Salatteller. Bitte sagt der Bedienung, was ihr haben wollt.« Frederike wartete, bis sich alle gesetzt hatten, dann setzte sie sich ebenfalls.
»Es sieht aus wie in einem Heerlager.« Karl war begeistert. »Die Ketten sehen so echt aus.« Er saß neben Doris und betrachtete seine Nachbarin sehr intensiv.
»Mein Verlobter ist Kunstschmied.« Doris hatte sich schon ein paar Sätze zurechtgelegt, die sie bei solchen Fragen antworten konnte. Sie legte ihre Hand auf Theos Hand, um ihre Verbundenheit zu zeigen.
»Sie haben die Ketten angefertigt?« Karl erinnerte sich an das, was er gerade erfahren hatte. »Das ist wirklich Präzisionsarbeit.«
»Danke, mein Herr.« Theo, der neben Doris saß, war sehr erfreut über das Kompliment.
»Wie war es beim Tanzen?« Maria war neugierig.
»Aufregend.« Doris lächelte. »Wegen des Umzugs heute haben wir das mit den Ketten gemacht.« Sie strahlte. »Ein Traum.«
Maria lächelte ebenfalls. Sie konnte ein wenig erahnen, wie viel der heutige Tag der Schmiedetochter bedeuten musste.
»Was hat es eigentlich mit der Originalhaltung auf sich?« Karl fühlte sich in der Gemeinschaft der Darsteller sehr wohl. »Das Rückengebet oder so ähnlich?«
Renate, die neben ihm saß, nahm sich der Frage an. »Es heißt ´das Gebet auf dem Rücken´.« Sie legte ihre Arme vor ihrem Oberkörper so zusammen, dass ihre Handflächen aufeinander lagen. »So wäre die Armhaltung, aber auf dem Rücken.« Sie blickte kurz zu Maria. »Sie könnte es vorführen, aber wegen den Ketten geht es im Moment nicht.«
»Oh, das eilt nicht.« Karl gab sich geduldig. »Ich kann auch sehr gern bis Morgen warten.« Doch dann stutzte er. »Das ist doch eine sehr ungesunde Haltung. Kommt es dabei nicht zu Schäden?«
»Nicht wenn man es lange und intensiv trainiert.« Frederike erzählte ein wenig von Marias langem Training.
»Ich bin überrascht, was für ein Aufwand für das Fest betrieben wird.« Karl blickte zu Maria.
Maria wollte seine falsche Vermutung richtig stellen, doch ein warnender Blick ihrer Mutter ließ sie inne halten. So begnügte sie sich mit einem höflichen Lächeln.
* * *
Renate stand auf. »Ich möchte mich im Namen aller Teilnehmer noch einmal für die Einladung zum Mittagessen bedanken.« Sie verbeugte sich vor Frederike, die lediglich eine Bewegung mit der Hand machte.
»Wie geht es jetzt weiter?« Marias Stimme zeigte ihre wachsende Nervosität.
»Draußen wartet hoffentlich der Bus, der uns zur Kleiderkammer bringen wird.« Renate griff zu ihrer Mappe. »Wir machen dort noch einen Kostüm-Check, und dann fährt uns der Bus zum Sportplatz.«
Und tatsächlich, als die Darsteller aus dem Restaurant traten, wartete draußen schon ein Kleinbus. Doch der Fahrer war ein wenig verlegen. »So viele Sitzplätze habe ich nicht.«
Erst jetzt realisierte Renate, dass weder Rosalie und ihr Begleiter noch die vier Brasilianer von ihr eingeplant waren. »Was machen wir denn da bloß?« Sie war ebenfalls ein wenig verlegen.
»Wenn sie uns sagen, wo wir hingehen müssen, können wir auch gern zu Fuß gehen.« Betty lächelte. »Unsere Uniform muss ja nicht mehr geprüft werden.«
»Sie würden mir einen sehr großen Gefallen tun.« Renate wurde rot. »Wir hatten einfach nicht mit so viel Hauptdarstellern gerechnet.«
Auch Rosalie wurde hellhörig. »Wir können auch zu Fuß gehen.« Sie blickte ihren Begleiter fragend an.
»Natürlich.« Trotzdem war Karl ein wenig enttäuscht, das war ihm deutlich anzusehen. »Ich hatte nur gehofft, auch einen Blick in die Kleiderkammer werfen zu können.«
»Dafür ergibt sich sicher noch eine Gelegenheit.« Rosalie fühlte sich ein wenig für den fremden Herrn verantwortlich, denn schließlich hatte sie ihn ungefragt mitgebracht. »Wo geht es denn los?« Sie wandte sich an Renate. »Immer noch am alten Sportplatz?«
Renate bestätigte es. »Du kennst dich noch aus?« Sie war erleichtert. »Du könntest die Gruppe dorthin führen.«
»Das mache ich doch gern.« Rosalie drehte sich zu Maria. »Wir sehen uns am Sportplatz.«
* * *
»Und es macht ihnen wirklich nichts aus, die Ketten am Sonntag noch tragen zu müssen?« Robert Greinert hatte Doris mehr oder weniger direkt aus dem Bus heraus abgefangen. »Es tut uns sehr leid, dass wir sie damit belasten müssen.«
»Es ist einfacher, als es aussieht.« Doris gab eine ihrer mittlerweile bereitgelegten Antworten, die sie äußern konnte, ohne zu viel von sich zu verraten.
»Ich bin sehr erleichtert.« Robert blickte zu Boden. »Wir haben diesen Punkt in den Vorbereitungen wirklich übersehen.«
Doris lächelte. »Es ist in Ordnung.«
»Und, sind alle versorgt?« Renate blickte den Vorsitzenden fragend an.
»Die Kammer ist so gut wie leer.« Robert wies auf die offene Tür. »Sie sind alle unterwegs zum Sportplatz.«
»Gut, kommt bitte alle herein und stellt euch nebeneinander auf.« Renate bat die Darsteller in die Kleiderkammer, trat selbst auch ein und machte das Licht an. Zusammen mit Robert betrachtete sie die kleine Gruppe.
»Beim Prinzen fehlt noch das Schwert.« Robert rief sich die vergangenen Feste ins Gedächtnis. »Und das Wachpersonal darf bitte etwas grimmiger schauen. Immerhin kommen sie gerade von einer Schacht zurück.«
Renate musterte die vor Anspannung zitternden Darsteller ebenfalls. Sie ging auf Maria zu und zupfte ihr das einfache Leinenkleid zurecht, bei Doris und Leonie fingerte sie noch etwas an den Haaren. »Jetzt noch die Bewaffnung, und dann passt es.«
»Bewaffnung?« Die Herren wunderten sich, vor allem Leonhard.
»Naja, wir spielen ja die ´Heimkehr von der Schlacht´. Natürlich haben die Herren auch Waffen dabei.« Renate erkannte, dass sie den ortsfremden Personen etwas Hilfestellung geben musste.
»Es sind natürlich nur Holzwaffen, die bemalt sind.« Robert öffnete einen großen Schrank. »Bitte zuerst den Prinzen.«
Paul trat vor und blickte gespannt auf das Schwert, das Robert in der Hand hielt.
Robert trat einen Schritt näher und hängte das Schwert mit seiner Scheide um Pauls Hals, dann bat er auch die anderen Herren zu sich.
* * *
»Was meinst du damit, du willst den Stand nicht machen?« Herr Wetzler stellte den Motor ab und blickte seine Tochter fassungslos an.
»Das kann doch jemand anderes machen.« Claudia ließ ihren Kopf sinken.
»Jetzt platzt mir aber der Kragen, meine liebe Tochter.« Herr Wetzler schnallte sich los. »Ich habe wegen dir Herrn Bräuer abgesagt, weil du den Stand machen wolltest. Weißt du, wie geknickt er war? Das wäre sein letztes Fest gewesen und du hast es ihm kaputt gemacht.« Herr Bräuer war der alte sehr erfahrene Braumeister in der Brauerei von Herrn Wetzler. »Wie stehe ich denn jetzt da?«
»Das ist mir egal, ich mache es nicht.« Claudia hoffte, dass sie vielleicht doch noch um das sehr demütigende Ereignis herum kommen konnte, Maria als die Katerina bedienen zu müssen. Schließlich hatte sie ihre ganze Clique zu dem Fest eingeladen, weil sie ja ursprünglich die Baroness bedienen sollte.
»Nein, ich lasse mir deine Launen nicht mehr länger gefallen.« Herrn Wetzlers Stimme wurde auf einmal bedrohlich leise. »Entweder du machst den Stand, oder ich setzte dich vor die Tür und enterbe dich.«
Claudia blickte ihren Vater erschrocken an.
»Das ist mein voller Ernst.« Er sprach weiter in diesem so bedrohlich ruhigen Tonfall, von dem seine Tochter wusste, dass sie unbedingt ihn ernst zu nehmen hatte.
Claudia kam ins Grübeln. So aufgebracht und ernst hatte sie ihren Vater noch nie erlebt. Sie spürte, dass er es wirklich sehr ernst meinte, und sie erkannte, dass sie anscheinend den Bogen deutlich überspannt hatte. Natürlich hatte sie vor der riesigen Blamage gegenüber ihren Freundinnen Angst, weil sie ausgerechnet diese Maria würde bedienen müssen. Doch wenn ihr Vater seine Drohung wahr machen würde und sie sogar enterben würde, dann war ersteres wirklich das geringere Übel.
»Jetzt hilf mir, den Stand aufzubauen.« Er blickte seine Tochter noch einmal sehr böse an, dann stieg er aus.
Claudia blieb noch ein paar Sekunden auf dem Beifahrersitz sitzen, doch als sie die nächste Ermahnung ihres Vaters hörte, gab sie sich einen Ruck und öffnete die Tür.
* * *
»Es ist eigentlich gar nicht zu verfehlen.« Karl war amüsiert. »Einfach den vielen Leuten nachgehen.«
Rosalie gab ihm recht. »Es laufen ja auch viele Leute auf dem Umzug mit.« Sie versuchte, sich ein wenig an ihr letztes Fest zu erinnern, als sie noch in Landsbach gewohnt hatte. »Damals waren es, glaube ich, über vierzig Vereine. Ich durfte damals das Schild mit der Nummer 39 tragen. Und ich war irre stolz darauf.« Sie lächelte.
»Das glaube ich sofort. Für ein junges Mädchen muss das etwas sehr Schönes sein.« Karl lächelte. »Das war vor sieben Jahren?«
»Und natürlich wollten wir alle die Katerina spielen.« Rosalies Stimme war auf einmal sehr verträumt. »Jetzt hat es Maria getroffen.«
»War da nicht noch irgendwas mit einer Baroness?« Karl versuchte seine bisher erworbenen Kenntnisse zu vervollständigen.
»Ja, natürlich.« Rosalie lächelte, dann gab sie wieder, was sie schon von ihrer Freundin am Telefon erfahren hatte. »Schon vor sieben Jahren wurde die Tochter des Barons ausgewählt, auf diesem Fest die Katerina zu spielen. Aber dann hatte sie den seltsamen Unfall, und Maria musste einspringen.«
Sie gingen einige Zeit schweigend weiter.
»Aber es ist doch ein eher größerer Umzug, wenn ich die vielen verschiedenen Uniformen so sehe.« Karl blickte sich sehr interessiert um.
»Ihr passt mit den Uniformen wirklich gut dazu.« Rosalie blickte zu den vier ´Offizieren´ und lächelte.
»Es sind sehr interessante Uniformen.« Karl bestätigte es. »Es passt gut in diesen historischen Kontext.«
* * *
»Und was muss die Katerina an unserem Stand machen?« Claudia wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Du hast dich ja sehr gut auf das Fest vorbereitet, wie ich sehe.« Herr Wetzler stellte den Tisch auf, den er zusammen mit seiner Tochter aus dem Auto geholt hatte. »Was haben wir denn für ein Geschäft, falls die gnädige Dame das überhaupt weiß?«
Claudia zuckte zusammen. Die Worte ihres Vaters stachen ihr direkt ins Herz. So kalt wie jetzt war er noch nie gewesen. »Wir haben eine Brauerei.«
»Ich bin erstaunt, dass du das überhaupt weißt«, sprach er weiter im gleichen Tonfall. »Und dass du ´wir´ sagst.«
Claudia zuckte wieder zusammen. Sie fühlte sehr deutlich, dass sie den Bogen ordentlich überspannt hatte, und ihr tat der alte Braumeister jetzt schon leid. »Kannst du ihm nicht sagen, dass er es doch machen kann?« Ihre Stimme war sehr leise.
»Und damit blamieren wir uns noch viel mehr?« Herr Wetzler war fassungslos. »Warum haben wir dich überhaupt geboren?«
Claudia schluchzte auf. Ohne dass sie es verhindern konnte, liefen Tränen über ihr Gesicht. Tränen waren normalerweise das allerletzte Mittel, um Aufmerksamkeit von ihrem Vater zu bekommen, und sie setzte dieses Mittel nur äußerst selten ein.
»Wenn du fertig bist mit Weinen, kannst du mir bei den Fässern helfen.« Seine Stimme zeigte, dass er sich diesmal nicht von ihren Tränen beeindrucken ließ. »Schau dich nur um, alle anderen Stände sind schon fertig.«
Claudia richtete sich auf und wischte sich die Augen aus. Erst jetzt hatte sie Augen für ihre Umgebung. Zehn Tische waren in einem Halbkreis von ungefähr zehn Meter Durchmesser auf dem Marktplatz aufgebaut, und bei einigen war auch sofort zu sehen, zu welchem Handwerker oder Geschäft sie gehörten. Außerdem hing an jedem Stand ein Wappentuch, welches ein für den Standinhaber typisches Symbol zeigte. Unter anderem erkannte sie die Logos der Sparkasse, von der Bäckerei und weiteren Handwerkern. Hinter den Ständen war noch ein kleines auf historisch geschmücktes Partyzelt aufgebaut, dessen Funktion sie allerdings nicht kannte.
Auf der anderen Seite des Marktplatzes waren auch noch diverse Stände aufgebaut, die Getränke und Essen sowie Bastelarbeiten und Souvenirs verkauften. Aber es war Tradition, dass diese Stände erst nach dem Historienspiel öffneten.
Sie seufzte noch einmal, dann ging zu zum Auto, um ihrem Vater beim Ausladen zu helfen. Und sie wünschte sich sehr, eine kleine Maus zu sein und sich in ein Loch verkriechen zu können.
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RE: Maria
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Datum:28.04.17 07:17 IP: gespeichert
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Wieder eine klasse Fortsetzung. Zu Claudia kann ich nur sagen: Hochmut kommt doch vor dem Fall.
Ich warte schon mit Spannung auf den nächsten Teil.
Schönes Wochenende an alle.
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RE: Maria - Kapitel 14 - Das Katerinenfest - Teil Achtunddreißig
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Datum:01.05.17 06:58 IP: gespeichert
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Maria
Kapitel 14 - Das Katerinenfest - Teil Achtunddreißig
Autor: Karl Kollar
(noch Freitag, 24. September 1984 - Festwochenende)
Franz-Ferdinand blickte sich unauffällig um. Er suchte die richtige Position, um den vermeintlichen Angriff seines Freundes auf die Dienerinnen so gut wie möglich abwehren zu können. Sie hatten ausgemacht, dass er vor der alten Bäckerei auf den Zug warten und dann die Mädchen belästigen würde. Das Geschäft war auf der rechten Straßenseite und so positionierte sich Franz-Ferdinand entsprechend neben Doris, die auf dieser Seite ihre ´Herrin´ begleiten würde.
Es ging dem Neffen allerdings nur darum, bei Carlos, dem Chef der Tanzgruppe einen guten Eindruck zu erwecken und möglichst viel Vertrauen aufzubauen. Letzteres brauchte er unbedingt für seinen Plan am Sonntag. Es war wichtig, dass bei dem Fototermin möglichst keine anderen Wächter mehr anwesend waren. Nur dann hatte sein Plan eine Chance, auch zu funktionieren.
Relativ zügig begab er sich auf seinen Platz, bevor noch jemand anders aus der Wachmannschaft diese Position besetzen würde. Der Umzug würde bald los gehen.
* * *
Am Sportplatz wurden Rosalie und ihre Begleiter sofort von einem freundlichen Herrn in einem historischen Gewand empfangen, der sich als Bürgermeister Heinrich vorstellte. »Ich freue mich sehr, so weit gereiste Gäste auf unserem Fest begrüßen zu dürfen.« Er führte seine Gäste ganz nach links auf dem Sportplatz, wo ein Schild mit der Nummer Zwei aufgestellt war.
Karl blickte sich sehr interessiert um. Auf dem Platz Nummer eins nahmen die Mitglieder eines Fanfarenzuges Ausstellung, er konnte es an dem Aufkleber auf der großen Trommel ablesen. Er blickte über den Platz und erblickte neben einigen Musikkapellen, Feuerwehren und Sportvereinen auch Vereine, die in historischen Kostümen an dem Umzug teilnahmen. Auch einige Fahnenträger und Artisten waren zu sehen.
Insgesamt waren es 45 Schilder, die aufgestellt waren. »Das ist aber etwas mehr als die reine ´Heimkehr von der Schlacht´.« Er lächelte.
»Für viele ist es der Höhepunkt des Festes, weil sie hier mitmarschieren können.« Bürgermeister Heinrich blickte auf seine Uhr und sein Blick entspannte sich ein wenig. »Ich habe gehört, dass sie sich für unser Historienspiel interessieren im Rahmen ihrer Doktorarbeit?«
»Nicht ganz.« Karl wollte es richtig stellen. »Ich schreibe über die Historienspiele in Deutschland an sich und stelle Vergleiche an. Von ihrem Fest hatte ich bisher allerdings noch nichts gehört.«
»Es findet ja auch nur alle sieben Jahre statt, und wir sind nur eine Kleinstadt.« Herr Heinrich fühlte sich wegen des Interesses geschmeichelt. »Wir sind hier halt keine Touristengegend. Außerdem ist es ein Fest eher für uns selbst und die Nachbargemeinden.«
»Ich bin auch nur darauf gestoßen, weil Frau Dörtling mir im Flieger davon erzählt hat.« Karl berichtete kurz von dem langen Flug, während dem er mit seiner Sitznachbarin ins Gespräch gekommen waren.
»Aber wir haben immerhin ein kleines Museum über unser Fest.« Der Bürgermeister lächelte. »Wenn sie möchten, kann ich es ihnen zeigen.«
»Das würde mich sehr freuen.« Karl lächelte. »Vielleicht ergibt sich auch eine Möglichkeit, einen Blick in die Kleiderkammer zu werfen. Die würde mich wegen meiner Arbeit besonders interessieren.«
»Das werde ich veranlassen.« Er wandte sich an die Frau, die ebenfalls in einem Kleid aus der Vergangenheit neben ihm stand. »Können sie das alles organisieren, Frau Bauer?«
Die Sekretärin des Bürgermeisters nahm aus ihrem Gewand einen Notizblock und schrieb ein paar Worte darauf. »Wie war ihr Name, und wie kann ich sie erreichen?«
Karl beantwortete die Frage, dann wandte er sich wieder dem Bürgermeister zu. »Und wie lange gibt es das Fest schon?«
Zu einer Antwort kam der Bürgermeister nicht mehr, denn genau in dem Augenblick traf der Kleinbus ein und in dem Moment, als sich die Türen des Busses öffneten, ertönte von dem Fanfarenzug eine festliche Fanfare zur Begrüßung des Prinzenpaares.
Maria und Paul begriffen sofort, dass die Musiker dies extra für sie machten, und ihre Mienen zeigten, dass sie davon sehr beeindruckt waren.
Als die kurze Fanfare verklungen war, trat Renate zu ihnen und führte die Katerina zusammen mit ihren Dienerinnen auf den für die Hauptdarsteller vorgesehenen Platz, dann ging sie zu Rosalie und ihrem Begleiter. »Schön, dass sie da sind. Ich hoffe, unser kleiner Umzug wird ihnen gefallen.«
Karl lächelte. »Ich bin sehr gespannt, aber auch auf morgen und das Gebet.«
»Ja, das ist schon etwas Besonderes.« Renate blickte verträumt auf Maria. »So etwas in der Art hatten wir noch nie.«
Betty musste sich nur umdrehen, dann stand sie direkt vor der Katerina. Sie grinste. »Es ist schon etwas komisch.«
»Was ist komisch?« Maria wunderte sich.
»Naja, du gibst vor, eine Prinzessin zu sein.« Sie blickte sich kurz zu ihrer Geliebten um. »Und Sarah gibt vor, keine Prinzessin zu sein.«
Trotz ihrer Anspannung musste Maria lachen. »Ja, das ist tatsächlich witzig.« Doch dann wurde sie wieder ernst. »Wir müssen eben beide unsere Rollen gut spielen.«
Sie blickte sich noch einmal um. In der Wachmannschaft entdeckte sie Florian, doch sie sah seine Frau nicht. Auf einen fragenden Blick hin drehte Florian den Kopf und blickte auf die Gruppe mit der Nummer Vier.
Maria folgte dem Blick und sah, dass Anna sich mit dem Kleid, das ihr sehr gut stand, bei den Barock-Pfeiffern aufgestellt hatte. Sie winkte ihr kurz zu.
»Nehmt bitte eure Plätze ein.« Renate wuselte wie gewohnt herum. »Es geht gleich los.« Sie blickte sich um. »Und denkt bitte daran, ihr seid Geiseln und solltest ein trauriges Gesicht machen.«
Mit viel Getöse begann der Fanfarenzug seinen ersten Marsch, und damit setzte sich der Zug in Bewegung.
Kaum hatten sie den Sportplatz verlassen und links und rechts waren die ersten Wohnhäuser zu sehen, da fiel es ihnen auf, wie viele Zuschauer sich schon an den Straßenrändern tummelten.
»Erstaunlich für so eine kleine Stadt.« Karl wunderte sich ein wenig.
»Naja, es kommt der gesamte Landkreis zum Zuschauen.« Der Bürgermeister war sichtlich stolz.
»Warum findet das Fest eigentlich nicht öfters statt?« Karl wunderte sich ein wenig.
»Wir haben das nie in Frage gestellt.« Herr Heinrich zuckte mit den Schultern. »Außerdem ist es eine Menge Aufwand.«
* * *
Claudia sah voller Verzweiflung, dass die Mädchen ihrer Clique so nach und nach eintrafen. Sie hätte sich gern in eine Maus verwandelt, doch das musste ein hehrer Wunsch bleiben. Sie erkannte nach und nach, dass sie sich der befürchteten Demütigung wirklich stellen musste.
Ausgerechnet diese Maria. Bisher war sie ein dankbares Mobbingopfer, doch durch ihre Hauptrolle im Katerinenspiel hatte sie nun das Ansehen und den Respekt des ganzen Städtchens gewonnen, weit mehr noch als die Baroness.
Claudia war sich bewusst, dass sie ihr altes Spiel nicht mehr spielen konnte, schon gar nicht, ohne im Ansehen der Stadt selbst abzustürzen. Das war auch nicht das eigentlich Ärgerliche, sondern, dass sie durch ihre Rolle quasi dazu bestimmt war, die neue Rangordnung als erste zu akzeptieren.
Mit viel Verzweiflung blickte sie zu ihrem Vater, doch sie entnahm seiner Miene, dass sie sich alle Möglichkeiten verspielt hatte, mit denen sich die Demütigung vielleicht noch abwenden lassen konnte.
Jetzt erkannte sie ihren übergroßen Egoismus. Sie hatte dem alten Braumeister mehr als nur vor den Kopf gestoßen. Sie würde jetzt gern die Zeit zurück drehen, doch sie wusste, dass so etwas nicht möglich war.
Sie begann, ihre bisherige Arroganz zu überdenken. War es das wirklich wert?
* * *
Etwas Konkretes hatte Franz-Ferdinand mit seinen Freunden gar nicht abgesprochen, nur der Ort, an dem der ´Überfall´ stattfinden sollte, war ausgemacht. Und tatsächlich, gerade als der Zug an der alten Bäckerei vorbei kam, löste sich plötzlich eine vermummte Gestalt aus der Zuschauermenge und torkelte auf die Gruppe der Hauptdarstellerinnen zu.
Die offensichtlich männliche Gestalt breite die Arme aus und stellte sich Doris in den Weg, als ob sie ein heimkehrendes Liebchen in ihre Arme nehmen wollte, und schien zu erwarten, dass Doris sich der angebotenen Umarmung hingab.
Dadurch, dass Carlos als Chef der Wachmannschaft jetzt auch auf die Prinzessin Katerina achten musste, bemerkte er die Attacke erst, als Franz-Ferdinand sich zwischen ihn und die verwirrte Doris stellte und mit ebenfalls ausgebreiteten Armen den vermeintlichen Verehrer von seinem Ziel abbrachte.
Dieser ließ unwillig seine Arme fallen und versuchte, an Franz-Ferdinand vorbei zu kommen, doch dieser versperrte ihm mit seinen Armen den Weg und drängte ihn mit sanfter Gewalt und energischen Flüchen zur Seite und danach in eine Gasse. Gleich darauf nahm der Neffe des Barons wieder seine Posiiton im Zug ein und tat, als wäre nichts gewesen.
»Gute Arbeit.« Carlos nickte ihm leise zu.
Franz-Ferdinand war erleichtert. Der falsche Überfall war geglückt und Carlos schien die Sache geglaubt zu haben. Der Neffe fühlte, dass sein Plan doch noch Chancen hatte aufzugehen.
* * *
Als die Spitze des Umzugs den Marktplatz erreichte, stellte sich der Fanfarenzug neben die Tribüne und spielte, während die nachfolgenden Gruppe der Ehrengäste sofort auf der Tribüne Platz nahm. In der ersten Reihen saßen natürlich die Darsteller der herzöglichen Familie, Paul als Darsteller des Herzogssohnes natürlich auch. In der zweiten Reihe nahmen der Bürgermeister und die ausländischen Gäste Platz, dahinter plazierten sich die Sponsoren und der restliche Vorstand des Festes.
Die Katerina wurde mit ihren Dienerinnen zu einem kleinen historischen Zelt geführt, um sich dort kurz ein wenig frisch machen zu können. Als Maria sich vor dem Zelt noch einmal zu der Tribüne drehte, entdeckte sie auch ihre Mutter, die zusammen mit einigen älteren Herren auf der letzten Reihe des mehrstufigen Podestes saß.
Während die anderen Vereine an der Tribüne vorbei zogen, machte sich Karl eifrig Notizen. Als der Bürgermeister ihn darauf ansprach, lächelte der Student. »Von ihrem Fest gibt es wenig in der Literatur, also muss ich hier fleißig mitschreiben.«
Auf einmal war die etwas atemlose Stimme eines Mannes zu hören, der sich als Moderator vorstellte und die auf den Marktplatz einmarschierenden Vereine und Gruppen vorstellte.
»Unser kleines Museum hatte ich ja schon erwähnt.« Herr Heinrich lächelte ein wenig stolz. »Das wird sie bestimmt interessieren.«
»Ich bin schon sehr gespannt.« Karl schrieb wieder etwas in seinen Block. Doch dann blickte er erstaunt auf. »Sie haben sogar Moriskentänzer?« Er schaute verwundert auf die Gruppe von Artisten, die gerade vor der Tribüne ihre Kunststücke vorführte.
»Ja und nein.« Herr Heinrich lächelte ein wenig verlegen. »Das ist die berühmte Gruppe aus München. Wir sind sehr stolz, dass sie unser kleines Fest mit ihren Künsten bereichern.«
»Und was passiert hier noch, wenn die Vereine durch sind?« Karl blickte sich um. »Sie haben die Tribüne sicher nicht nur wegen des Umzugs hier aufgestellt?«
Der Bürgermeister wartete die nächste Ankündigung des nächsten Vereins ab, dann zeigte er auf den Marktplatz. »Sehen sie dort die zehn Tische?«
Karl bestätigte es.
»Gemäß der Überlieferung wurde die Katerina, um sie als Geisel in der Stadt bekannt zu machen, bei den Handwerkern und Kaufleuten vorgestellt und musste dort immer ein wenig mitarbeiten.« Der Bürgermeister blickte sich suchend um. »Frau Bayer könnte ihnen mehr erzählen, sie kennt sich mit den Hintergründen zum Fest besser aus.« Er zeigte auf das Zelt, in dem vorhin die Hauptdarstellerinnen verschwunden waren. »Sie kümmert sich jetzt aber um die Darsteller.«
»Und der Prinz?« Karl äußerte, dass er den Freund von Maria kennengelernt hatte und dass dieser auch noch eine Rolle spielen würde.
»Das ist im Prinzip richtig.« Herr Heinrich drehte sich kurz zur Seite und zeigte auf den Prinzen. »Dort sitzt Paul Mohr, der später noch wichtig wird.«
»Ich bin fasziniert.« Karl blickte auf die verschiedenen Gruppen, die nach und nach einmarschierten. »Interessant, was es so alles an Vereinen gibt.«
»Naja, Landsbach ist immer noch ein Dorf, wenn auch etwas größer.« Der Bürgermeister richtete sich auf. »Jeder kennt jeden, und natürlich wollen alle beim Fest mitmachen. Für viele ist heutige Tag der Höhepunkt.«
»Aber der eigentliche Höhepunkt ist morgen, wenn die Comtess das Gebet zeigt, wenn ich das richtig verstanden habe?« Karl griff die nicht ausgesprochene Frage auf.
»Oh, sie kennen sich schon besser aus als viele meiner Bürger.« Herr Heinrich war begeistert. »Für die meisten Leute ist es einfach die Prinzessin, aber sie haben den historisch korrekten Titel benutzt. Schließlich war sie nur eine Grafentochter.«
»Was ist das denn Seltsames?« Karl blickte auf die Gruppe, die gerade vor der Tribüne entlang marschierte. »So etwas habe ich ja noch nie gesehen.«
»Das ist eine alte Feuerwehrspritze.« Herr Heinrich blickte der Gruppe hinterher. »Die Kameraden aus dem Nachbarort holen sie jedes Mal extra für unser Fest wieder von Dachboden herunter.«
»Beeindruckend.« Karl notierte sich wieder etwas. »Die Leute sind wirklich mit Herzblut dabei.« Er hob den Kopf und blickte sich um. »Die Vereine stellen sich alle um die Tische herum?«
»Ja, das sehen sie richtig.« Der Bürgermeister schaute kurz auf die Nummer des aktuellen Vereins. »Das war jetzt die Nummer 30. Wenn alle einmarschiert sind, wird es auf dem Marktplatz kaum noch Platz geben.«
* * *
»Leonie, du könntest jetzt schon einmal zur Kutsche gehen.« Renate blickte in ihre Liste. »Keine Angst, von dort hast du einen guten Blick auf den Marktplatz und die Stände. Kerstin sollte da schon auf dich warten.« Sie stand an der Zelttür und hielt die Tür von innen auf.
Doch Leonie zögerte ein wenig und blickte dabei auf ihre Ketten.
»Du hast recht, das solltest du lieber doch nicht allein machen.« Renate blickte sich verlegen um.
»Ich könnte mitgehen und auf sie aufpassen.« Holger hatte eine kleine Chance gesehen, sich nützlich zu machen.
»Das wäre gut, falls es ihnen nichts ausmacht.« Renates Blick zeigte ihre Erleichterung. »Dieses Jahr ist so viel anders, es ist nicht einfach, immer an alles zu denken.« Sie sah zu Amelie. »Für sie habe ich jetzt keine Aufgabe mehr.
»Das macht gar nichts.« Amelie winkte freudig ab. »Es war bis hierher schon sehr toll.«
»Würde es ihnen sehr viel ausmachen, wenn sie die Ketten noch bis zum Abschluß des Spieles tragen würden?« Renate gab sich verlegen. »Den Punkt haben wir auch übersehen.«
»Auch das macht gar nichts.« Amelie lächelte großmütig. »Sie lassen sich ja ganz bequem tragen.«
»Maria, hast du dich genügend erholt?« Renate wandte sich der Hauptdatstellerin zu. »Gerade läuft der vorletzte Verein ein.«
Als Antwort stand Maria auf. »Von mir aus kann es los gehen.«
* * *
Als sie aus dem Zelt trat, war der Moderator gerade dabei, die Ehrengäste zu begrüßen. Viele der Namen sagten ihr nur am Rande etwas, doch gegen Schluß wurden dann Rosalie und Karl sowie die vier Brasilianer noch einmal ausdrücklich begrüßt. Maria drehte ihren Kopf zur Tribüne, wo die sechs gerade aufgestanden waren und ihren Applaus genossen.
Doch dann fiel ihr Blick auf die zehn Tische, an denen sie gleich arbeiten würde und ihr Blick verfinsterte sich. Auf dem vorletzten Platz am Stand der Brauerer Wetzler entdeckte sie ihre Rivalin Claudia.
Renate war der Wechsel ihrer Miene nicht entgangen, doch noch hatte sie nicht erkannt, was die Ursache dafür war. Sie ging auf Maria zu und nahm sie kurz in den Arm. »Lampenfieber ist kein Grund, um Angst zu haben.« Sie strich Maria über das Gesicht. »Als Katerina solltest du jetzt ein stolzes Gesicht machen.«
Maria blickte kurz zu Paul und sein Blick zeigte ihr, dass auch er ihre Rivalin schon entdeckt hatte. Doch dann musste sie lächeln, denn Paul hatte das Zeichen benutzt, was eigentlich erst morgen für den Ball ausgemacht war und das so etwas wie ´Es wird alles gut´ signalisieren sollte. Wie es überliefert war, hatte sich der Sohn des Herzogs und die Grafentochter auch einige Zeichen ausgedacht, um sich verständigen zu können. Pauls Geste gab ihr Mut.
»Und nun wird die Katerina an die Stände treten und an jedem Stand eine symbolische Arbeit machen.« Der Moderator erläuterte, wie es zu diesem Teil des Festes gekommen war. »Der erste Stand stellt die Bäckerinnung dar.« Es war etwas Papiergeraschel durch die Lautsprecher zu hören. »Hier wird die Katerina ein Brot aus dem Ofen holen.« Nach einer Pause sprach der Moderator weiter. »Entschuldigen sie bitte, das hätte ich jetzt fast vergessen. Der Stand gehört der Großbäckerei Friedrich.«
Renate legte Maria kurz die Hand auf die Schulter. »Es geht los.«
Maria blickte noch einmal kurz auf die Tribüne, dann holte sie tief Luft und setzte sich in Richtung des ersten Standes in Bewegung.
* * *
Es war den Standinhabern freigestellt, ob sie selbst auch etwas sagen wollten oder ob sie es bei der Ankündigung des Moderators belassen wollten. Für erstere Fälle hatte Renate ein Mikrofon dabei.
»Herzlich willkommen am Stand der Großbäckerei Friedrich.« Der Inhaber hatte es sich nicht nehmen lassen, selbst den Stand vorzuführen. »Ich freue mich sehr, die Comtess Katerina von Greifenklau bei uns begrüßen zu dürfen.« Er hatte sich anscheinend sogar die Mühe gemacht und den vollständigen historischen Titel herausgesucht.
Er griff zum Brotschieber, einer langen und flachen Holzschaufel, und reichte sie Maria. Doch dann bemerkte er ihr Zittern. »Kein Grund, Lampenfieber zu haben«, sagte er leise und ohne Mikro, so dass es nicht einmal die Umstehenden hören konnten.
Maria hob ihren Kopf. Auf dem Tisch stand etwas, dass mit einiger Phantasie Ähnlichkeit mit einem alten Dorfbackofen hatte, nur dass dieses Modell viel kleiner war.
Sie nahm sich die Schaufel entgegen und blickte sie etwas verwundert an, so als wisse sie nicht, was sie damit zu tun hatte. Doch tatsächlich waren ihre Gedanken fast ausschließlich beim Stand der Familie Wetzler.
Nachdem der erste Schreck vorüber war, begann Maria ihre Gedanken zu ordnen. Sie erkannte sofort, dass sie viel Kraft sammeln musste für die Begegnung mit Claudia. Kraft, die sie vor allem dafür brauchte, trotz der drohenden Demütigungen der Brauerstochter noch ein freundliches Gesicht machen zu können und vor allem ihre Rolle spielen zu können.
»Comtess?« Die Stimme von Herrn Friedrich riss Maria aus ihren Gedanken. »Bitte seid vorsichtig mit der Schaufel, das Modell ist nur aus Pappe und wir haben es schon mehrmals geflickt.«
Er hielt sich das Mikro wieder vor den Mund. »Die Comtess wird nun etwas tun, was früher sehr kennzeichnend für unseren Beruf war. Heute haben das alles Maschinen übernommen.« Er ließ kurz das Mikro sinken. »Warten sie bitte, bis ich das Modell hinten festhalte, sonst schieben sie es womöglich vom Tisch.« Dann nahm er das Mikro wieder hoch. »Bitte sehr, holen sie das Brot aus dem Ofen.« Er trat hinter das Pappmodell und hielt seine Hand darauf, dann nickte er Maria ermutigend zu.
Maria erkannte sofort, dass sie sich konzentieren musste, um die Illusion nicht zu zerstören. So schob sie den Brotschieber langsam in den Ofen. Sie konnte das Brot sehen, dass sie herausholen sollte. Zu ihrer Erleichterung liess sich das Brett leicht unter den Laib schieben und so konnte sie unter dem langsam einsetzenden Applaus das Brot auf dem Ofen holen und es auf dem Tisch ablegen.
»Das war doch sehr gut.« Renate war ebenfalls etwas erleichtert. Eigentlich hätte es im Rahmen der Festvorbereitung einen Probelauf bei den jeweiligen Standinhabern geben sollen, doch darauf hatten sie wegen Marias Amerika-Aufenthalt verzichtet.
* * *
Beim zweiten Stand musste sie sofort an den Besuch des Architektenbüros denken, bei dem die Inhaberin mit ihrem Vater über den Inhalt ihres Standes gestritten hatte. Maria erkannte sofort, dass sich die Tradition durchgesetzt hatte.
Der Moderator stellte den zweiten Inhaber vor und erklärte, dass die Katerina hier mit Bauklötzchen ein Haus zu bauen hatte. »Lachen sie nicht«, sprach er gleich weiter. »Es ist eine lange Tradition bei den Architekten, dass sie die meisten ihren ersten Entwürfe immer mit Hilfe solcher Bausteine machen. Die Tätigkeit der Katerina hier hat also durchaus einen realen Bezug zur Architektur.«
Maria trat heran und warf zunächst einen Blick auf den kleinen Baukasten, der sie trotzdem zunächst ein wenig an ihre frühe Kindheit erinnert. Sie nahm die ersten Klötzchen heraus und stellte sie vor sich auf den Tisch. Doch schon als sie sie aufeinanderstellen wollte, zitterte ihre Hand so sehr, dass die Steine daneben fielen.
Renate trat hinzu und schaute Maria kurz zu, dann ergriff sie ihre Hand und führte sie. »Warum zitterst den denn so? Hast du soviel Lampenfieber?«
Maria schüttelte den Kopf. »Nein, das ist es nicht.« Doch noch wollte sie nicht sagen, was sie wirklich bewegte.
Schließlich schaffte sie es doch noch, die Klötzchen so aufzustellen, dass es wenigstens ein wenig Ähnlichkeit mit einem Hausmodell hatte. Doch im Gesicht waren erste Schweißtropfen zu sehen. Und ihre Hände zitterten deutlich.
* * *
Während die Katerina noch damit beschäftigt war, das Haus zu bauen, trat der Metzger Sauer, der Inhaber des nächsten Standes, an Renate heran. »Ich wusste nicht, dass sie so viel Lampenfieber haben würde.« Er blickte besorgt auf den Nachbarstand. »Bei mir soll sie Fleisch schneiden, aber in ihrem Zustand möchte ich ihr das sehr scharfe Messer nur höchst ungern in die Hand geben.«
»Ich werde einmal mit ihr reden.« Renate war sichtlich betroffen. »Aber was könnte sie sonst machen? Haben sie eine Idee?«
»Wir haben sonst nichts vorbereitet.« Herr Sauer war sichtlich verlegen. »Wenn sie wenigstens einen Schutzhandschuh tragen würde.«
»Hätten sie so einen Handschuh griffbereit?« Renate blickte noch einmal auf Maria.
»Im Auto hätte ich einen.« Herr Sauer blickte zu dem weißen Lieferwagen, der am Rand des Marktplatzes geparkt war.
»Bitte holen sie ihn.« Renate gab dem Moderator eines der verabredeten Zeichen. »Wir warten so lange.«
»Was ist denn das?« Maria blickte etwas verwirrt auf den seltsamen Handschuh, den ihr Renate entgegen hielt.
»Das ist ein Kettenhandschuh.« Renate blickte Maria besorgt an. »Bei Herrn Sauer muss die Katerina Fleisch schneiden mit einem sehr scharfen Messer.«
»Ich verstehe.« Trotz ihrer Sorgen erkannte Maria die Zusammenhänge sofort. Sie streckte ihre Hand aus und blickte Renate verunsichert an.
»Warum bist du so nervös?« Renate wollte die Ursache für Marias fehlende Aufmerksamkeit ergründen. »Was lenkt dich denn so sehr ab?«
Maria blickte kurz auf den neunten Stand, an dem Claudia Wetzler gerade etwas Wasser in einen Topf schüttete. Ihre Stimme war auf einmal leise und etwas weinerlich. »Sie ist immer so gemein zu mir.« Natürlich wusste Maria, dass sie sich in diesem Moment wie ein kleines Kind anhörte, doch genauso fühlte sie sich auch. »Ich habe Angst vor ihr.« Jetzt war ihre Stimme noch leiser.
»Ah, ich verstehe.« Renate war dem Blick von Maria gefolgt. Bei allen anderen Ständen stand der Inhaber oder der Chef persönlich an dem Tisch, nur bei der Brauerei Wetzler hatte sich die Tochter des Hauses vorgedrängelt. Doch wirklich helfen konnte Renate ihrem Schützling auch nicht. »Ich bin immer an deiner Seite. Denk einfach daran, dass DU heute die Hauptperson bist, nicht sie!« Sie versuchte ihr etwas Mut zu machen.
Claudia hoffte immer noch, dass sich vielleicht die Erde auftun würde und sie oder Maria verschlucken würde. Mittlerweile hatte sich wirklich ihre gesamte Clique versammelt, und alle blickten entweder auf die Katerina oder auf ihren Stand. Claudia hatte sie eingeladen, damit sie alle sehen konnten, wie sie die Baroness bedienen würde. Und jetzt würde sie sich bis auf die Knochen blamieren, weil es nur Maria war, die sie sonst immer wegen ihrer seltsamen Kleidung so oft gehänselt hatte .
Weglaufen war auch keine Option, denn die Worte ihres Vaters klangen ihr noch in den Ohren. Sie kannte ihn gut und wusste, wann er etwas wirklich ernst meinte. Und sie wollte es auch nicht ausprobieren, um zu erfahren, ob er seine Drohung mit der Enterbung wirklich umsetzen wollte. Doch an seinem Gesichtsausdruck hatte sie erkannt, dass er außerordentlich wütend war. So wütend, wie sie ihn noch nie erlebt hatte.
Sie hatte den Bogen überspannt, und jetzt musste sie sich den Konsequenzen stellen. Sie würde sich noch monatelang den Spott ihrer Freundinnen anhören, und in ihrer selbst festgelegten Hackordnung würde sie sehr weit nach hinten rutschen.
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RE: Maria
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Datum:01.05.17 07:57 IP: gespeichert
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Hi gag_
Ich hab´s noch nicht gelesen aber ich liebe Dich jetzt schon für dein frühes Aufstehen und die Versorgung mit Lesestoff ;-X *knuutsch*
Verschlafene Grüße
Gozar
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Stamm-Gast
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RE: Maria
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Datum:01.05.17 08:27 IP: gespeichert
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Nachtrag
Jetzt hab ich´s gelesen und wie fast immer bei Dir...
T O L L
nur wie immer bei Dir...
"zu wenig, zu kurz, zu schnell zu Ende, zu..."
...und wieder weiß Du was ich meine denke ich!
Mach bald weiter... :-X
Kaffeegrüße
Gozar
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Das Leben ist sch...., aber die Graphik ist geil!
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RE: Maria
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Datum:01.05.17 10:13 IP: gespeichert
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Hallo gag_coll.
hast dich mal wieder selbst übertroffen.
Tolle Fortsetzung.
Aber eins war ja wohl auch unumgägnglich. Karl Kollar mußstest du natürlich auch hier unterbringen.
Hast du nur diesen einen Charakter?
Naja, ansosnten warte ich sehnsüchtig auf den nächsten Teil.
LG Rainman
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RE: Maria - Kapitel 14 - Das Katerinenfest - Teil Neununddreißig
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Datum:03.05.17 05:43 IP: gespeichert
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Maria
Kapitel 14 - Das Katerinenfest - Teil Neununddreißig
Autor: Karl Kollar
(noch Freitag, 24. September 1984 - Festwochenende)
Paul hatte sich kurz mit dem Darsteller des Herzogs beraten, ob er seinen Platz verlassen dürfe, weil er sich um Maria kümmern müsse. Beiden war aufgefallen, wie schlecht es Maria ging und Paul glaubte auch die Ursache für das Unbehagen zu kennen. Er ging zu Rosalie, weil ihm aufgefallen war, dass sie sich ebenfalls um ihre Freundin Sorgen machte.
Nach einem kurzen Gespräch mit Marias Freund erkannte Rosalie, dass sie handeln musste, und sie hatte auch schon eine Idee, was sie machen konnte. Sie ging zu den vier ´Offizieren´ und erläuterte ihren Plan, nicht ohne immer wieder zu Maria zu blicken, die den Metzgerstand ohne Blssuren überstanden hatte und jetzt am Stand der Sparkasse Geld zählte.
»Machen wir doch gern.« Betty grinste. Sie drehte sich zu den anderen ´Offizieren´. »Immer hübsch grimmig schauen.« Sie hatte Marias sorgenvolle Blicke auch bemerkt und erläuterte kurz den Plan, den Rosalie vorgeschlagen hatte. Es waren alle einverstanden.
Zu fünft gingen sie zu Renate und Rosalie beschrieb kurz, was sie sich ausgedacht hatte.
Renate runzelte zunächst die Stirn, doch nach einem Blick auf Maria, die immer nervöser wurde, besprach sie sich kurz mit Robert Greinert, den sie kurz heran gewinkt hatte. Als auch er sein Einverständnis gab, gingen sie zum fünften Stand, an dem die Schneiderin Roswita Bartels zusammen mit ihrer Tochter eine Schneiderpuppe aufgebaut hatte. »Hoheit?«
Maria brauchte erst einen Moment, bis sie erkannte, dass sie gemeint war. Sie ließ das Kleid los, dass sie gerade in der Hand hatte und drehte sich um.
»Hier sind vier Offiziere ihres Leibregiments, die zusätzlich für ihren Schutz sorgen möchten.« Dabei blickte sie deutlich zum neunten Stand. »Ihre Freundin Rosalie Baronin von Canberra hat dafür gesorgt.«
Maria erkannte sofort, was der eigentliche Plan war, und darüber war sie sehr erleichtert. Sie nahm sich das Mikro, räusperte sich kurz und sprach dann mit klarer Stimme. »Ich danke sehr für die Unterstützung, meine Herren Offiziere.« Das es überhaupt nicht zum eigentlichen Inhalt des Historienspiels passte, war zwar allen bewusst, aber es störte auch nicht.
Danach wandte sie sich wieder ihrer Aufgabe zu, das Kleid der Schneiderpuppe überzustreifen. Dabei ließ sie sich gern von Judith, der Tochter der Schneiderin helfen.
An den folgenden Ständen war Maria wesentlich gefasster. Bei der Schusterei kam sie mit der gestellten Aufgabe, Nägel in die Sohlen zu stecken, gut zurecht und sie zitterte auch nicht dabei.
Auf den nächsten Stand hatte sie sich schon lange gefreut, denn es war der Stand von Theo, und wieder hatte er es sich nicht nehmen lassen, die kleine Reiseschmiede in Betrieb zu nehmen. Hier musste die Katerina nur mit dem Hammer auf das Stück Eisen schlagen, welches Theo dazu aus dem Feuer geholt hatte. Maria hatte sich schon im Vorfeld extra für den schweren Hammer entschieden, weil es damit besser aussah und sich auch besser anhörte, als mit dem Spielzeughammer, der auch zur Verfügung gestanden hätte.
»Danke für alles«, flüsterte Theo, als Maria den Hammer wieder weglegte. »Doris ist so was von glücklich.«
Maria nickte ihm nur zu. Wieder blickte sie zu dem Stand der Familie Wetzler und diesmal wagte sie es sogar Claudia ins Gesicht zu blicken. Sie hatte in ihrer Miene eigentlich Hohn und Spott erwartet, doch stattdessen war ein eher sorgenvolles Gesicht zu sehen. Maria erkannte die Zusammenhänge noch nicht, aber der unerwartete Blick ihrer Rivalin gab ihr Mut für die weiteren Stände.
»Schade, dass ihr das Gebet tragt.« Der Inhaber des nächsten Standes, der Kunstsattler Klaus Hörmann, begrüßte Maria, noch bevor Renate mit dem Mikro da war.
»Warum denn das?« Maria war etwas verwundert, weil sie sonst andere Reaktionen bekam.
»Ich hätte gern den Handschuh für die Katerina gefertigt.« Er blickte kurz zu Theo, der freundlich zurück lächelte.
Maria lächelte. »Ich hätte da schon ein paar Ideen für...« Doch sie konnte nicht weiter sprechen, weil Renate mit dem Mikrofon kam und den Standinhaber die Aufgabe erläutern ließ.
Maria blickte währenddessen heimlich zu Claudia, die immer nervöser wurde und ihrerseits immer in eine bestimmte Richtung blickte. Maria folgte schließlich dem Blick und entdeckte die anderen Mädchen von Claudias Clique. Ihr bisher aufgebauter Mut fiel auf einmal wieder zusammen.
»Maria?« Renate riss Maria aus ihren Gedanken. »Hier ist die Nadel, die ihr hier durch das Leder stehen müsst.«
* * *
Die Aufgabe für die Katerina am Stand der Brauerei war eine der einfachsten der zehn Stände. Sie würde einfach nur die Schale mit dem Hopfen in den Topf mit dem Sud schütten müssen.
Eigentlich war es nur eine einfache Handbewegung, doch durch die Anwesenheit von Claudia empfand es Maria eher wie einen Spießrutenlauf. Gerade erst hatte auch sie die Freundinnen von Claudia entdeckt, die am Rand standen und ihnen zusahen.
Doch dann stutzte Maria. Die Freundinnen, unter denen sie ebenfalls schon so oft schon leiden musste, blickten nicht zu ihr, sondern zu Claudia und lachten dabei. Auf einmal begriff sie die wahren Zusammenhänge. Claudia hatte ihre Mädchen bestimmt herbei geordert, weil sie ihr zeigen wollte, wie sie die Baroness bedienen würde. Und jetzt kam nur die kleine und unbedeutende Maria.
Maria blickte sich um. Betty und Sarah standen mit ihren Männern bereit, um ihr jegliche Unterstützung zukommen zu lassen. Sie fühlte so etwas wie Erleichterung. Dadurch, dass Juan und Bertram eher hochgewachsen waren, wirkten sie in der Uniform zudem sehr respekteinflössend.
Sie hatte ihrer Rivalin zwar nichts entgegen zu setzen, doch sie fühlte, dass die Brauerstochter gerade dabei war, sich gründlich zu blamieren. Maria erkannte, dass sie eigentlich gar nichts tun musste, und trotzdem würde Claudia eine schwere Niederlage einstecken. Der Spott ihrer Freundinnen würde ihr noch lange erhalten bleiben. Im Rücken spürte sie die Anwesendheit ihrer vier brasilianischen Freunde und so trat sie schließlich an den Stand der Familie Wetzler und holte tief Luft.
Claudia erkannte, dass sie keine andere Wahl hatte, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen und Maria so zu bedienen, wie sie es eigentlich für die Baroness vorgehabt hatte. Die Brauerstochter hielt den Blick gesenkt, sie wagte es nicht, Maria anzusehen. Wortlos reichte sie ihr die Schale mit den Hopfendolden und nahm den Deckel vom Sudtopf.
Maria wartete wie auch an den anderen Ständen die Rede des Moderators ab, dann erst nahm sie die Schale in die Hand und schüttete den Hopfen in den Sud. Dass die Rede des Moderators besonders lang war im Vergleich zu den anderen Ständen, dafür konnte sie nichts, doch es bewirkte, dass Claudia die Schale besonders lange halten musste.
Am Schluß kam der Teil, vor dem sie sich bisher am meisten fürchtete. Sie musste dem Standinhaber die Hand reichen, um sich zu verabschieden. So wurde es seit Jahren gespielt, und an allen anderen Ständen hatte sie damit auch kein Problem gehabt, doch dies war Claudia Wetzler. Maria hatte eigentlich keinen besonders festen Händedruck, doch als sie Claudias Hand ergriff, kam es ihr doch vor, als würde sie einen nassen Lappen in der Hand halten. Claudia schwitze geradezu und setzte ihrem leichten Druck überhaupt nichts entgegen. Auch hielt sie ihren Kopf immer noch gesenkt und vermied es, Maria anzusehen.
Maria war in Gedanken schon beim letzten Stand. Hier hatte sie etwas Text und den rief sie sich noch einmal ins Gedächtnis. Traditionsgemäß bekam die Katerina hier am Stand des Juweliers eine Schmuckkette umgehängt, um sie damit symbolisch bei den Handwerkern und Gewerbetreibenden der Stadt willkommen zu heißen. Dafür musste sie sich mit einem Satz bedanken. Sie wusste, dass Renate in ihrer Nähe war und ihr nötigenfalls sogar soufflieren würde, doch sie war sich sicher, es auch ohne die Hilfe ihrer Betreuerin zu schaffen.
Claudia war gedanklich völlig am Boden zerstört, und sie konnte nur noch deswegen aufrecht stehen, weil sie sich am Tisch festhielt. Sie blickte Maria traurig hinterher, weil sie wusste, dass sich mit diesem Moment sehr viel in ihrem Leben ändern würde. Trotzdem war sie froh, dass es jetzt vorbei war. Doch dann hörte sie in der Ansage des Moderators ihren Namen. »Claudia Wetzler hat uns schon vor einiger Zeit gebeten, dass sie der Katerina die Kette umhängen darf, und der Festausschuss hat dem zugestimmt.«
Als Claudia diese Worte hörte und sie die ganze Tragweite erkannte, schossen ihr Tränen in die Augen, und ihr fielen wieder ihre Träume und Wünsche von damals wieder ein. Sie wollte der Baroness die Kette umhängen dürfen, und sie hatte auch sehr früh schon den Juwelier davon überzeugt, dass sie das machen dürfe.
Sie wollte sich nicht die Blöße geben, sich jetzt die Augen auswischen zu müssen, und so ging sie mehr oder weniger blind auf die Position, die Renate ihr gezeigt hatte. Doch auf dem Weg dahin übersah sie eine Unebenheit im Pflaster, stolperte direkt vor Maria und fiel auf den Boden.
Maria hatte das Mikro schon in der Hand, als Claudia vor ihr zu Boden ging. Viele Gedanken schossen ihr durch den Kopf, die sich so gut wie alle damit befassten, wie sie die Situation im Sinne des Spieles retten konnte. Sie wollte Lacher vermeiden, weil es dem Spiel die Würde nehmen würde, und sie wollte auch Claudia nicht vor den Kopf stoßen, obwohl sie wusste, dass diese ihr gegenüber das ganz sicher gemacht hätte.
Doch sie war nicht Claudia. Sie reichte ihr eine Hand, während sie sich mit der anderen das Mikro vor den Mund führte. »Steht auf, junge Maid. Ich bin nur eine Geisel, es gibt also keinen Grund, vor mir niederzuknien.«
Das Blut schoß ihr in den Kopf, doch die entgegengestreckte Hand sah Claudia trotz ihrer Tränen und so ließ sie sich langsam wieder hoch ziehen. Als sie wieder auf ihren Beinen stand, machte Maria mit ihrem eigentlichen Text weiter.
»Danke«, Renate flüsterte ihr leise zu. »Das hat die Situation gerettet.«
Der Juwelier gab Claudia die Ketten in die Hände, und obwohl die Brauerstochter direkt vor der Katerina stand, war sie doch nicht in der Lage, noch einen klaren Gedanken zu fassen. Schließlich musste Renate ihre Hände führen, damit sie der Katerina die Kette umhängen konnte.
Maria sprach die vorgesehenen Dankesworte, dann drehte sich zum Bürgermeister und reichte ihm das Mikro. Jetzt kam seine Rede und damit das Ende der Vorführungen auf dem Marktplatz.
Maria war sichtlich erleichtert, und sie freute sich, denn jetzt kam der erste Auftritt des Prinzen. Sie bemerkte nicht, das Claudia ihr lange nachschaute.
* * *
Nach dem Stand des Sattlers hatte Paul von Renate das verabredete Zeichen bekommen. Er war aufgestanden, hatte sich kurz vor dem Herzog verbeugt, dann verließ er die Tribüne und ging zügig, aber dennoch würdevoll zu dem Platz, an der die Kutsche wartete. Die Stelle war so gewählt, dass die Kutsche vom Marktplatz noch nicht gesehen werden konnte.
Paul drehte sich sofort um, als er von Maria den seltsamen Text hörte, doch er sah nur noch, wie Claudia neben Maria stand und die Kette in den Händen hielt. »Hast du gesehen, was passiert ist?« fragte er Kerstin, die vorn an der Ecke zum Marktplatz stand und so einen guten Blick auf den Marktplatz hatte.
Kerstin hatte das Geschehen verfolgt, und deswegen konnte sie Paul erklären, was gerade ereignet hatte. »Ich denke, Claudia ist gestolpert und Maria hat die Situation elegant gerettet.« Sie beschrieb, was sie gerade beobachtet hatte.
»Dann dürfte sie Maria hoffentlich dankbar sein.« Pauls Stimme zeigte eine geweisse Hoffnung.
»Meinst du wirklich?« Kerstin gab wieder, was sie über die Brauerstochter wusste. »Ich denke nicht, dass sie sich allein deswegen ändern wird.« Sie blickte kurz zu ihrer Kutsche. »Wir sind gleich dran.« Sie drehte sich um und ging die wenigen Schritte bis zur Kutsche. »Na, schon aufgeregt?« Sie lächelte, während sie sich auf den Kutschbock setzte zu die Zügel ergriff.
»Es geht so.« Paul lächelte. »Der Prinz hat heute zum Glück nur wenig Text.«
* * *
Wie schon am Tag zuvor klopfte Marias Herz etwas lauter, als sie das erste Hufgetrappel hörte, welches die Kutsche mit dem Prinzen, ihrem Prinzen, ankündigte. Natürlich hatte der Fanfarenzug wieder mit einer festlichen Fanfare die Ankunft des Prinzen angekündigt, doch für Maria waren die Geräusche der Pferde wichtiger. ER würde kommen und sie mit der Kutsche ins Schloß bringen. Natürlich würde die Kutsche nur ins Rathaus fahren, doch über diese kleine historische Ungenauigkeit wurde schon lange hinweg gesehen.
Sie nutzte die kleine Pause, um sich ein unauffällig ein wenig umzusehen. Neben ihr stand der Bürgermeister, ebenfalls in einem historischen Kostüm und wartete mit ihr auf den Prinzen. Hier ihr standen ihre vier ´Offiziere´, und sie hatten große Mühe, ein ernstes Gesicht zu machen. Auch sie hatten das ´Duell´ zwischen Maria und Claudia verfolgt, und obwohl sie nur wenig über die Brauerstochter wussten, hatten sie doch erkannt, wie viel Kraft Maria diese Begegnung gekostet hatte. Und auch sie freuten sich, dass Maria als die moralische Siegerin vom Platz gegangen war.
Ein Blick von ihr zum Stand der Brauerei zeigte ihr nur noch ein Häufchen Elend mit Namen Claudia Wetzler. Von der ehemals so stolzen und hochmütigen Brauereistochter war nichts mehr zu sehen. Stattdessen stand Claudia regungslos da und blickte Maria nach. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war schwer zu deuten. Obwohl Maria noch nicht viel Zeit gehabt hatte, über die Begegnung nachzudenken, fühlte sie doch, dass sie dieses Mal anders verlaufen war, als die Begegnungen zuvor.
Der Moderator erläuterte wieder die historischen Zusammenhänge, und auf das passende Stichwort führte der Bürgermeister die Katerina zu der Stelle, wo die Kutsche wartete. Ohne dass es abgesprochen war, gingen die vier ´Offiziere´ hinter der Katerina her und nahmen hinter der Kutsche Aufstellung.
Auf Renates Zeichen hin ging Leonie zur Kutsche und klappte die Stufen herunter, dann sprach sie ihren Satz in das Mikro. Obwohl sie sich sehr bemühte, konnte sie nicht verhindern, dass ihre Stimme leicht zitterte. Natürlich genoss sie ihren Auftritt, und sie freute sich auch sehr über den Applaus, als der Moderator sie extra namentlich erwähnte als die erste Dienerin ihrer Prinzessin. Sie hatte sich viel Mühe gegeben, damit es trotz ihrer vielen Ketten noch sehr würdevolll aussah, und der nochmalige Applaus zeigte ihr, dass es ihr gut gelungen war.
Maria musste warten, bis sie vom Prinzen die Erlaubnis bekommen hatte, die Kutsche zu besteigen. Es wirkte ein wenig spröde, weil für jeden Satz das Mikrofon herum gereicht werden musste. Aus diesem Grund beschränkten sich die Texte der Darsteller auf das Wesentliche, während der Moderator alles erzählte, was für die Zuschauer wichtig war.
Zwei ihrer Offiziere halfen ihr, die Kutsche zu besteigen. Sie trat vor den angedeuteten Thron, und auf ein Zeichen des Prinzens hin nahm sie darauf Platz.
»Ich glaube, das Duell hast du gewonnen.« Paul flüsterte, damit es auch die Umstehenden nicht hören konnten.
»Meinst du?«, fragte Maria im gleichen Tonfall.
»Schau doch nur, wie geknickt sie da jetzt steht.« Paul blickte einmal kurz auf den Marktplatz.
Doch Maria war nicht besonders glücklich darüber. »Sie wird sich bestimmt rächen wollen.« Aber dann blickte auch sie kurz auf den Marktplatz und sah, wie Claudia von ihrem Vater ordentlich ausgeschimpft wurde wegen ihres schlechten Benehmens, und weil sie die Brauerei in so ein schlechtes Licht gerückt hatte.
In diesem Moment hatte Maria fast so etwas wie Mitleid mit ihrer Rivalin. Doch dann fiel ihr wieder ein, wie sehr sie bisher unter Claudia gelitten hatte und ein erstes, leises Siegesgefühl machte sich in ihr breit.
Der Moderator unterbrach ihre Gedanken, in dem er ankündigte, dass die Katerina ja immer noch eine Geisel sei, und um dies zu verdeutlichen, würde der Prinz sie jetzt auf dem Thron in Eisen legen.
Auf das Stichwort hin hob Paul das Oberteil der einen Schelle hoch, und blickte die Katerina aufforderend an.
Maria legte ihren Arm würdevoll in den Metallring und sah, wie der Prinz danach die Schelle wieder schloss. »Wie gesagt, nicht bewegen, sie sitzen ganz locker.«, flüsterte er dazu.
Maria lächelte kurz. »Eine ganz andere Art von Fesselung.« Dann setzte sie wieder die Miene auf, die für die Szene abgesprochen war und klammerte sich an den Lehnen fest. Sie wusste, dass die Kutsche auf dem Kopfsteinpflaster ziemlich durchgeschüttelt wurde, und sie wollte verhindern, dass dadurch die Illusion zerstört wurde, sie wäre tatsächlich an den Thron gekettet.
Paul stellte sich hinter den Thron und signalisierte so, dass diese Szene vorbei war.
Wieder erläuterte der Moderator den weiteren Ablauf, dann setzte sich die Kutsche unter den festlichen Klängen des Fanfarenzuges langsam in Bewegung. Paul blickte sich kurz um und sah, dass die vier ´Offiziere´ hinter der Kutsche her marschierten. Es verlieh dem Moment noch zusätzlich etwas Glanz. Bei den Proben bisher war es einfach nur eine kurze Kutschfahrt, doch jetzt mit der Musik und den jubelnden Zuschauern hatte es etwas Großes und sehr Feierliches.
Gleich darauf fuhr die Kutsche durch das Rathausportal, und unter dem tosenden Applaus des Publikums schlossen sich die beiden großen Türflügel des Rathauses.
»Oh, ich bin froh, dass es vorbei ist.« Maria flüsterte, obwohl sie sicher war, dass sie keiner außer Paul hören konnte.
»Du warst sehr gut.« Paul wusste natürlich, was die eigentlichen Sorgen seiner Freundin waren. »Ihr Vater hat sie eben auch noch mal ausgeschimpft.«
Maria lächelte. »Danke für die Unterstützung.«
»Das war wunderbar.« Renate kam auf die Kutsche zu. »Jetzt kommt bitte für das Schlussbild.«
Es dauerte noch einige Zeit, bis alle auf der breiten Rathaustreppe ihren Platz für das Erinnerungsfoto gefunden hatten. Doch dann stutzte der Bürgermeister und bat Hans, den Fotografen, noch ein wenig zu warten. Er ging zum Stand der Brauerei. »Wo ist ihre Tochter?«
»Sie sitzt im Auto.« Herr Wetzler schaffte es nicht, seinen Ärger zu verbergen.
»Holen sie sie bitte. Sie hat so sehr darauf gedrängelt, auf dem Abschlussfoto neben der Katerina stehen zu dürfen.« Es war nicht zu erkennen, ob der Bürgermeister die wahren Zusammenhänge erkannt hatte.
Normalerweise hätte der Vater widersprochen, doch jetzt erkannte er eine gute Gelegenheit, seiner sonst so aufmüpfigen und arroganten Tochter einen weiteren Denkzettel zu verpassen.
Er musste Claudia fast aus dem Auto ziehen. »Der Bürgermeister wartet auf dich. Jetzt mach hin, oder willst du uns noch mehr blamieren?«
Maria musste lächeln, als sie sah, wie betrübt Claudia aus der Wäsche schaute, doch noch erkannte sie noch nicht, warum.
»Fräulein Wetzler hat mich gebeten, auf dem Foto neben der Katerina stehen zu dürfen.« Er bat, Leonie einen Schritt nach rechts zu gehen.
Maria blieb zunächst fast das Herz stehen, doch dann erkannte langsam sie die ganzen Zusammenhänge. Claudia hätte neben der Baroness auf dem Foto stehen sollen. Jetzt grinste Maria. Bestimmt hatte sie auch allen ihren Freundinnen ein Bild versprochen, ein Bild, dass sie ab jetzt immer an diese große Blamage erinnern würde.
»Kannst du mir verzeihen?« Claudia wagte es nicht, Maria anzusehen. Sie sprach auch sehr leise.
Maria hielt den Atem an. So einfach wollte sie es der immer so gemeinen und arroganten Brauerstochter dann doch nicht machen. »Wir müssen lächeln für das Foto.« Auf die Frage ging sie bewusst nicht ein.
»Ich wäre gern an deiner Stelle, aber ich könnte die Ketten nicht tragen.« Claudia war auf einmal unerwartet freundlich.
»Und das Gebet?« Maria hatte bisher darauf verzichtet, mit ihrer besonderen Fähigkeit in irgendeiner Weise anzugeben, doch jetzt gegenüber Claudia flossen ihr die Worte direkt aus dem Herzen. Trotzdem kamen sie bewusst kalt aus ihrem Mund.
»Das erst recht nicht.« Claudia seufzte. »Wollen wir Freunde werden?«
Im ersten Moment glaubte Maria, sich verhört zu haben, doch dann war sie sich über ihre Antwort im Klaren. Sie wusste, dass sie auf diese mehr oder weniger falsche Freundschaft mit Claudia gern verzichten konnte. Außerdem ahnte sie, dass sie in Zukunft ganz andere Kontakte haben würde.
Je länger Maria darüber nachdachte, desto sicherer war sie sich, dass sie das Freundschaftsangebot von Claudia wirklich ausschlagen konnte. »Wir müssen lächeln«, war schließlich ihre nichtssagende Antwort.
* * *
Maria sehnte sich nicht nach einer Freundschaft mit Claudia. Sie war sich sicher, dass sich die Brauerstochter so schnell nicht ändern wurde. Doch die Aussicht, in der Schule nicht mehr gehänselt zu werden, hatte etwas Verlockendes. Maria fühlte, dass sie eine gute Position hatte, doch diese wollte sie auch nicht leichtfertig verspielen. Sie nahm sich vor, erst mit Rosalie und Paul darüber zu reden. Beim Essen im Rathaus würde sich sicher eine Gelegenheit ergeben.
Gleich nach den Fotos bat Renate die Teilnehmer ins Rathaus, wo die Metzgerei ein sehr leckeres kaltes Buffet aufgefahren hatte. Als Hauptdarstellerin durfte sie sich zusammen mit dem Prinzen als erste am Buffet bedienen. Gleich nach ihr durften sich ihre drei Dienerinnen anschließen und so saßen sie schließlich auch gemeinsam am Tisch. Lediglich der Platz neben Doris war noch frei, weil ihr Verlobter sich noch um den Abbau der Schmiede kümmern wollte.
Anfangs war die Schmiedstochter noch etwas nervös, weil sie das erste Mal mit den Ketten allein war. Doch schnell begann sie sich in der Gemeinschaft der anderen Mädchen wohl zu fühlen und die Ketten störten sie auch in der Öffentlichkeit nicht mehr.
Sowohl der Bürgermeister als auch Robert Greinert kam nach den Dankesworten an ihren Tisch und fragten, ob die Mädchen die Ketten nicht ablegen wollten. Das Spiel wäre doch jetzt vorbei.
Doch die Katerina und die drei Dienerinnen waren sich einig. »Sie stören ja nicht.« Ein etwas nervöses Kichern war dabei zu hören.
»Ich bin schon sehr gespannt auf das Gebet.« Der Bürgermeister deutete gegenüber Maria eine Verbeugung an. »Meine Leute schwärmen von ihnen.«
Maria lächelte ein wenig verlegen. »Ich hoffe, ich werde sie nicht enttäuschen.«
»Da bin ich mir sicher.« Herr Heinrich verbeugte sich noch einmal. »Ganz sicher.«
* * *
Nach einiger Zeit, als die meisten schon ihren ersten Hunger gestillt hatten, kam auch Theo an den Tisch, und er war in Begleitung eines Paares, welches er sofort als den Kunstsattler und dessen Schwester vorstellte. Er erläuterte sofort die Gründe dafür. »Wir haben uns über unsere Frauen unterhalten, und dann habe ich erkannt, dass ich etwas vermitteln kann.« Er blickte zu Leonie, die jedoch mit Turteln mit Holger beschäftigt war.
Erst ein Anstupser von Doris bewirkte, dass Leonie aufblickte. »Entschuldigung, ich war etwas abgelenkt.«
Theo grinste, dann übergab er an den Sattler. »Schildere bitte dein Anliegen. Ich denke, Leonie wird begeistert sein.«
Der Sattler zögerte noch einen Moment, dann räusperte er sich. »Ich bin Kunstsattler und suche ein Modell, das sich mir zur Verfügung stellt.« Seine Stimme wurde leiser. »Es sind allerdings Entwürfe von ziemlich restriktiver Kleidung.«
Leonie horchte auf. »Inwiefern restriktiv?« ihre Augen leuchteten verräterisch.
»Sagen ihnen Zwangsjacken etwas?« Die Schwester des Sattlers mischte sich ein. »Ich wäre froh, wenn ich sie nicht länger ausprobieren müsste.« Sie blickte ebenfalls sehr ermutigend zu Leonie.
»Ich habe hier meine Entwurfsmappe dabei mit den Sachen, die ich in der nächsten Zeit angehen möchte.« Er legte eine Mappe auf den Tisch. »Wenn ich das vielleicht mal erläutern dürfte.«
»Jetzt setzten sie sich erst einmal.« Holger drehte sich um. »Könnt ihr noch etwas zusammenrutschen?«
Leonie keuchte, als der Sattler seine Mappe aufgeschlagen hatte. »Sie suchen ein Modell?« Ihre Stimme war sehr leise.
»Ja, ich plane eine Ausstellung.« Er seufzte ein wenig. »Man muss es als Kunstprojekt tarnen, sonst wird es die Öffentlichkeit nicht akzeptieren.«
»Was wird die Öffentlichkeit nicht akzeptieren?« Leonie hatte beim Blättern in der Mappe nur mit einem Ohr zugehört.
»Naja, es ist Fesselkleidung.« Der Sattler war ein wenig verlegen. »Bestens dafür geeignet, junge und hübsche Frauen unter stremger Kontrolle zu halten.«
»Ich bin ihr Mann.« Leonie keuchte, dann erst bemerkte sie ihren Fehler und lachte. »Ich will das gern alles vorführen.«
»Vielleicht können sie auch etwas für uns anfertigen?« Holger blickte ebenfalls recht fasziniert in die Mappe. »Mich würde diese Kombination hier zum Beispiel sehr interessieren.«
»Ja, ein sehr schönes Stück.« Der Sattler lächelte. »Wenn sie zusagen, würde ich es ihnen sogar zum Selbstkostenpreis anfertigen.«
Leonie blickte etwas verwirrt auf das Stück, welches auf der Seite skizziert war. Es bestand aus einem langen Leder-Rock mit einem verschließbaren Gehschlitz und einem Oberteil, bei dem die Arme der Trägerin nicht zu sehen war. »Das sieht toll aus.« Doch dann fiel ihr Blick auf Holger und sie zögerte ein wenig. »Darin wäre ich ja völlig hilflos.«
»Ja, das dachte ich auch.« Holger war von dem Entwurf ebenfalls sehr beeindruckt. »Dafür würde ich sogar mein Sparbuch plündern.«
»Was habt ihr denn da Feines?« Maria war auf das Musterbuch aufmerksam geworden.
»Kleidung für ungehorsame junge Damen.« Paul war der Unterhaltung ein wenig gefolgt. Jetzt legte er den Arm um seine Freundin. »Du brauchst so etwas ja nicht.« Er gab sich Mühe, seine Stimme unter Kontrolle zu halten.
»So meinst du?« Maria sah ihn mit feurigen Augen an, dann blickte sie auf die Zeichnung, die Leonie ihr reichte.
»Außerdem ist es viel zu teuer.« Er versuchte, von dem ihm etwas unangenehmen Thema abzulenken. »Vielleicht interessiert sich deine Mutter dafür?«
»Ich mag sie aber nicht anpumpen.« Maria wusste natürlich, dass ihre Mutter im Moment keinerlei Geldsorgen hatte. Es war viel mehr das sehr restriktive Aussehen der Kleider, welches sie etwas abschreckte.
Der Sattler griff in seine Jackentasche, holte ein paar Visitenkarten heraus und verteilte sie.
Auch Leonhard griff zu, doch dann stutzte er. »Wir sollten unsere Adressen auch austauschen.« Er blickte am Tisch umher. »Es könnte von sehr interessant sein, uns auch mal ohne das Fest zu treffen.« Er sprach nicht weiter.
»Und zusehen, wie wir uns mit den Fesseln abmühen?« Amelie setzte den Satz fort.
Ein Lächeln ging um den Tisch.
»Das ist eine sehr gute Idee.« Doris war begeistert und ihre leuchtenden Augen steckten die anderen an.
»Ich übernehme das.« Leonhard wusste natürlich, was mit solchen Freundschaften verbunden war, doch er wollt das kleine zarte Pflänzchen nicht gleich wieder zertreten.
* * *
»Ich muss etwas mit euch besprechen.« Maria griff Rosalie und Paul jeweils an einer Hand und zog sie von den Anderen weg.
»Was gibt es denn?« fragten ihre beiden Begleiter fast gleichzeitig, während sie mit den anderen Darstellern noch etwas über den jetzt etwas ruhigeren Marktplatz bummelten.
»Claudia Wetzler hat mir ihre Freundschaft angeboten.« Obwohl sie ein paar Schritte von den anderen entfernt war, sprach Maria doch mit leiser Stimme.
»DIE Claudia?« Paul fielen sofort die Szenen vom Schulhof wieder ein.
»Ja, genau die.« In Marias Stimme war ihre Empörung zu hören. »Sie hatte wohl auf die Baroness gesetzt und ist deswegen jetzt bei ihren Freundinnen unten durch.«
»Und auf dem Foto steht sie neben dir.« Paul begriff langsam die wahren Zusammenhänge. »Was hast du denn geantwortet?«
»Ich bin noch nicht darauf eingegangen.« Sie schilderte kurz die Szene beim Abschlussfoto.
»Ist sie immer noch so hochnäsig wie früher?« Rosalie legte den Arm um ihre Freundin.
»Schlimmer denn je.« Maria seufzte.
»Jemand, der auf dem Boden liegt zu treten ist leicht.« Paul war sehr nachdenklich. »Sie würde das wahrscheinlich machen.«
»Du solltest ihr die Hand reichen und ihr aufhelfen. Gerade weil du nicht sie bist.« Rosalie griff das Bild auf, was Paul benutzt hatte. »Sie war zwar arrogant, aber ich bin mir sicher, dass sie nicht undankbar ist. Und vielleicht lernt sie dabei ja etwas?«
* * *
Je näher sie zum Haus von Selma kamen, desto nervöser wurde Leonie. Holger bemerkte es sofort, doch er konnte den Grund dafür nicht erkennen. Schließlich fragte er, was sie denn bewegte.
Leonie blieb stehen und blickte Holger lange an. Schließlich senkte sie ihren Blick und mit ganz leiser Stimme flüsterte sie: »Ich möchte nicht wieder in den Käfig. Ich habe kaum geschlafen und es ist so unbequem.«
»Möchtest du für die Nacht überhaupt fixiert werden?« Holger gab sich sehr sensibel.
Leonie blickte überrascht wieder hoch. Mit so einer Frage hatte sie überhaupt nicht gerechnet. Sie zögerte lange mit ihrer Antwort. »Es mag komisch klingen, aber ich habe schon seit langem einen sehr ungewöhnlichen Wunsch.« Sie blickte sich um, als fürchte sie, sie könnten belauscht werden.
»Nun sag es schon.« Holger spürte durchaus den besonderen Moment.
»Ich möchte gefesselt einschlafen, aber ohne die Fesseln aufwachen.« Trotz der Nähe von Holger kostete es Leonie viel Kraft, ihre innigsten Wünsche auszusprechen.
»Und einen Knebel möchtest du auch tragen.« Holger kam ihrem Gesicht näher.
Leonie blickte ihn verwundert an, dann kam auch sie mit ihrem Gesicht näher. Langsam versanken sie in einen langen Kuss.
* * *
»Das war ein toller Tag.« Amelie schloss die Tür des Hotelzimmers hinter sich und ließ sich gleich darauf auf das große Bett fallen.
»Wie möchten Madame die Nacht verbringen?« Leonhard lächelte, während er sich seine Kleidung öffnete.
Amelie stutzte einen Moment. »Ich glaube, ich wähle den Schlafsack.« Sie grinste, denn es war auch die einzige Möglichkeit, die Nacht gefesselt zu verbringen. Weitere Sachen hatten sie nicht mitgebracht.
Leonhard schmunzelte. »Es hätte ja auch sein können, dass Madame die Nacht in Freiheit verbringen möchte.« Er holte tief Luft. »Nach so einem schönen Tag.«
Amelie blickte ihren Verlobten lächelnd an. »Ja, es war ein Traum.« Sie legte sich auf das Bett und ließ den Tag mit leisen Worten noch einmal an sich vorbei ziehen.
* * *
»Ich werde Frau Mohr fragen, was sie uns rät.« Holger blickte Leonie sehr verliebt an. »Ich glaube, sie hat eine Menge Erfahrung.«
Pauls Oma erwartete sie schon an der Haustür. »Na, wie war der erste Tag des Festes? Hat es euch gefallen?«
Holger beantwortete die Frage ausgiebig, dann holte er noch einmal tief Luft, und trug dann Leonies Wunsch vor. »Was würden sie uns raten?«
Selma blickte Leonie mit strenger Miene an. »So so, du möchtest heute nicht in den Käfig.« Es fiel auf, dass sie das ´heute´ besonders betont hatte.
Leonie fühlte sich gedrängt, ihre Beweggründe zu erläutern. »Es war so unbequem. Mir tat heute Morgen alles weh.«
»Weil du es nicht gewohnt bist.« Selma hatte Mühe, ihr ernstes Gesicht zu halten. »Wenn du das häufiger machst, dann wird es dir eines Tages auch nichts mehr ausmachen.«
Leonie stöhnte laut, als sie die Trageweite der Antwort erkannte. Doch sie erwiderte nichts.
»Ich würde euch zu einer Spreizfesselung raten.« Selma sprach im gleichen ernsten Tonfall weiter. »Damit lässt es sich gut einschlafen und die Fesseln können geradezu unbemerkt entfernt werden.« Sie ahnte die Frage, die kommen würde. »Nach ungefähr einer halben Stunde setzt die erste Tiefschlafphase ein, und solange solltest du auf jeden Fall bei ihr sein.«
Leonie blickte etwas erschrocken auf, doch wieder stellte sie keine Frage.
»Wenn du morgen etwas früher kommst, kannst du Leonie sogar wecken.« Selma blickte dabei aber nicht zu Holger, sondern zu Leonie.
»Das wäre sehr schön.« Leonie blickte etwas verlegen zu Boden.
»Und jetzt ist genug geredet.« Selma griff in ihre Tasche und holte einen Ball auf einem Stoffriemen heraus. »Dieser Knebel hat einen Klettverschluss auf der Wange und lässt sich fast unbemerkt entfernen.«
»Du hast gehört, was sie gesagt hat?« Holger nahm den Knebel in die Hand und näherte sich Leonies Gesicht. Es wunderte sie in dem Moment überhaupt nicht, dass Selma den Knebel schon in der Tasche hatte.
Als sie das Zimmer betraten, sahen sie, dass der Käfig mit einer Decke abgedeckt war. Und am Bett waren an den Kopf und Fußenden jeweils Ledermanschetten angebracht.
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Stamm-Gast
N R W
Alles was im Einvernehmen passiert , ist Normal
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RE: Maria
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Datum:03.05.17 06:39 IP: gespeichert
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Danke , deine Geschichte , 0,5 L Kaffee und
Eine Pfeife , wie soll ein Tag besser beginnen .
. 95 % der Literatur sind Kopfkino selbst die Bibel denn keiner der Schreiber war dabei
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Stamm-Gast
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RE: Maria
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Datum:03.05.17 20:42 IP: gespeichert
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Hallo gag_coll
Wenn man nach der Arbeit nach Hause kommt und sieht das Du gepostet hast ist der Feierabend doppelt so schön!
!!! Feinster Lesestoff !!!
Ich brenne auf die nächste Fortsetzung!
Gruß
Gozar
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Fachmann
Sei vorsichtig mit dem was du dir wünschst, es könnte in Erfüllung gehen.
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RE: Maria
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Datum:04.05.17 21:23 IP: gespeichert
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Hallo gag_coll
Ich kann nur sagen eine suuuper Geschichte. Ich erwarte mit Sehnsucht den nächsten Teil.
Ich bin auch gespannt wie es mit Leonie weiter geht.
Gruß Klaus
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