Autor |
Eintrag |
Stamm-Gast
Erlangen
Warum nur wollen immer alle frei sein!
Beiträge: 200
Geschlecht: User ist offline
|
RE: DER SCHREI AUS DEM BRUNNEN Ein erotischer Kriminalroman zu Zeiten des Condomaviruses
|
Datum:02.06.23 19:59 IP: gespeichert
|
|
Das freut mich, liebe Annika, daß auf deiner Galeere weitergerudert wird, während hier zumindest Magda zurückgerudert hat...
Mehrfach flossen Gedanken und Handlungen aus deiner Geschichte hier mit ein, beispielsweise der Besuch des Grazer Schloßbergs.
Ich wünsche weiterhin gute Unterhaltung!
108
Polizeihauptmeister Brause stieg aus seinem Auto aus, das er, wie alle Morgen, auf dem großen Parkplatz an der Bahnlinie gegenüber von dem Polizeigebäude in Lüggen geparkt hatte. In diesem Moment kam Barbara Bär auf dem Fahrrad gefahren, um dieses weiter hinten auf dem Fahrradständer bei dem Umweltamt abzustellen. Sie klingelte zur Begrüßung, Brause drehte sich herum und rief freudig aus:
- „Guten Tach, Frau Bär, freut mich, Sie wieder einmal zu sehen!“
- „Guten Morgen, Herr Brause, freut mich auch, wie geht `s?“
- „Danke, gut, ich hoffe, auch Ihnen. Sagen Sie `mal, hätten Sie `mal kurz für mich Zeit?“
- „Ja gern, kommen Sie doch gleich mit mir hinauf in das Büro von Inge, solange sie in Behandlung ist, soll ich sie dort vertreten, es gibt nicht viel zu tun, was ich machen könnte, aber ich soll immer da sein, damit überhaupt jemand im Büro ist.“
- „Das trifft sich gut“, willigte Brause erfreut ein, „ich wollte ohnehin mit Frau Langohr sprechen, erreiche sie aber nicht. Vielleicht können Sie mir ja Auskunft geben; aber sagen Sie, in welcher Behandlung ist sie da, etwas Schlimmeres doch hoffentlich nicht?“
Barbara druckste etwas herum.
- „Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das erzählen darf, aber gut, jetzt gehen wir erst `mal hinein, muß ja hier nicht jeder zuhören.“
Brause war höchst erstaunt, was er von Barbara erfahren hatte.
- „Und wann ging das etwa los, was meinen Sie?“ fragte er nach.
- „So genau weiß ich das natürlich auch nicht, also auf der Insel war noch alles normal, wie wir da bei der Vogelbeobachtung waren; ich würde `mal sagen, als sie sich diesen Protzkarren gekauft hatte, da bemerkte ich es zu ersten Mal bei ihr.“
- „Hm“, überlegte Brause, „ich erinnere mich, da standen wir doch einmal vor der Bahnschranke, die solange geschlossen war, und da sind Sie dann wieder ausgestiegen.“
- „Richtig, da bemerkte ich es das erste Mal bei ihr.“
- „Und das war also deutlich vor der angeblichen oder tatsächlichen Vergewaltigung auf der Insel, dann müßte es der Täter jetzt auch haben, das soll doch alles so ansteckend sein, d’rum kriegen die doch dann so einen Keuschheitsgürtel verpaßt, damit jeglicher Geschlechtsverkehr unterbunden wird.“
- „Wird wohl so sein“, entgegnete Barbara etwas unschlüssig, was sie dazu sagen sollte.
- „Nun ja, Frau Bär, Sie haben mir sehr geholfen!“
Barbara wußte zwar nicht warum, Brause verabschiedete sich höflich und watschelte aus dem Büro hinaus.
Kriminalkommissar Schlauer studierte die Berichte, die ihm von den Vernehmungen der Polizeikollegen aus Lüggen vorgelegt wurden.
- „Da hat der Brause schon recht“, brummte er vor sich hin, „wenn der Tatverdächtige tatsächlich sich an dem Opfer vergriffen hatte, dann müßte er sich angesteckt haben, eine eindeutige Sache bei dem heutigen Erkenntnisstand über die Ausbreitung des Virus’.“
Schlauer kündigte sich in der seit einigen Jahren reaktivierten Justizvollzugsanstalt an, um mit dem Untersuchungsgefangenen Stumpf zu sprechen. Gangolf war überrascht, aus seiner Zelle geführt zu werden.
- „Besuch“, knurrte der Vollzugsbeamte kurz angebunden. Schlauer saß bereits in dem kleinen Besucherraum, in welchen Gangolf geführt wurde.
- „Soll ich Sie allein lassen?“, fragte der Vollzugsbeamte.
- „Nein, bleiben Sie hier, es ist gut, wenn ich einen Zeugen habe“, entgegnete Schlauer.
‚Das ist ungewöhnlich’, dachte sich der Wärter, ‚meistens wollen die Kriminaler allein mit den Gefangenen reden.’ Er war froh, nicht die häufig sehr lange Zeit auf dem Flur vor der Tür des Besucherraums stehen zu müssen.
- „Setzen Sie sich ruhig her neben mich“, forderte ihn Schlauer auf. Gangolf bezog die Aufforderung auf sich und entgegnete:
- „Nein, ich bleib’ lieber steh’n, wenn Sie nichts dagegen haben.“
- „Sie habe ich auch gar nicht gemeint“, konterte Schlauer und winkte den Vollzugsbeamten zu sich an den Tisch.
- „Ja uns Sie, Herr Stumpf, bleiben da aufrecht zwischen den Fenstern an der Wand stehen, Sie dürfen sich auch anlehnen.“
Nachdem sich der Justizbeamte neben Schlauer niedergesetzt hatte, trat eine unheimliche Stille in dem Raum ein. Niemand sagte auch nur ein Wort, Gangolf betrachtete die beiden vor ihm Sitzenden und umgekehrt. Gangolfs Stolz ließ es nicht zu, nach dem Grund von Schlauers Besuch zu fragen. Schlauer schwieg weiterhin, der neben ihm sitzende Beamte blickte sich zu diesem um und betrachtete ihn erstaunt; er räusperte sich, doch als auch daraufhin sich Schlauer nicht bemüßigt fühlte, etwas zu sagen, richtete der Wärter seinen Blick wieder stumm auf Gangolf, der weiterhin schweigend an der gegenüberliegenden Wand stand.
Die Minuten verstrichen in einer geradezu lähmenden Stille. Ab und zu warf Schlauer einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr, richtete aber sofort darnach wieder sein Augenmerk auf Gangolf. Dieser nahm an, daß sie noch auf eine weitere Person warteten; doch er wollte keine Fragen stellen. Nach zehn Minuten erhob sich Schlauer und sprach:
- „Gut, Sie haben den Test bestanden“, und zu dem Vollzugsbeamten gewandt fuhr er fort:
- „Sie können mit Herrn Stumpf wieder gehen.“
Beim Gang durch den Gefängnisflur wunderten sich beide, was Schlauer mit dem Test gemeint haben könnte, und wie dieser bestanden worden war, da in der langen Zeit über keiner auch nur ein Wort gesagt hatte. Beide rätselten im Stillen jeder für sich, ob Schlauer sehen wollte, daß Gangolf in der Lage war, ohne einen Kommentar zu äußern, sei es Mißfallen oder Verwunderung, einfach nur minutenlang still dazustehen.
Obwohl es vom Gefängnis zum Amtsgericht nur wenige hundert Meter weit war, wurde Gangolf zwei Tage später in einen Gefangenentransporter verfrachtet und dem Haftrichter vorgeführt Dieser stellte ganz im Gegensatz zu Gangolfs Einweisung in die Untersuchungshaft fest, daß kein Haftgrund mehr vorläge und somit Herr Stumpf umgehend freigelassen werden muß.
Der Richter nuschelte etwas von einer Fluchtgefahr, die aufgrund der allgemeinen Ausgangssperre nicht mehr vorläge, aber auch von neuen Erkenntnissen, so daß die Staatsanwaltschaft selber um den Termin der Haftprüfung ersuchte. Die >Erkenntnisse< der Staatsanwaltschaft wurden Gangolf nicht mitgeteilt; wieder vorbot es sein Stolz, nach diesen zu fragen, und so bestieg er ebenso wortlos die Grüne Minna zur Rückfahrt in das Gefängnis, wie er sie zur Hinfahrt bestieg.
- „Wollen Sie denn nicht wissen, was zur Aufhebung der U-Haft führte?“, wandte sich Schlauer an Gangolf.
- „Nein“, knurrte dieser zurück und stieg ein. Als die Fahrt nach wenigen Minuten beendet war, wandte sich Schlauer erneut an Gangolf:
- „Es tut mir leid, daß es zu einer falschen Verdächtigung kam, bei solchen Vorwürfen kommt das leider sehr oft vor, aber Sie können versichert sein, daß das für das vermeintliche Opfer strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen wird. Bis zu Beginn des Gerichtsprozesses sind Sie jedenfalls jetzt auf freiem Fuß und hoffentlich auch darnach, bleiben Sie aber stets zu unserer Verfügung. Wie Sie gehört haben, müssen Sie sich als Auflage alle zwei Tage bei der nächsten Polizeidienststelle melden.“
- „Ha, soll das ein Witz sein“, empörte sich Gangolf, „und wie soll ich da hinkommen, wenn man seine Bude nicht verlassen darf?“
- „Ja, hm“, mußte der Kriminalbeamte zugeben, „da werden Sie wohl eine Ausnahmegenehmigung kriegen. Jetzt gehen Sie hinauf und packen Sie zusammen, Sie sind auf freiem Fuß.“
- „Aha, und was hilft mir das, wie soll ich bitte jetzt nach Hause kommen, krieg’ ich da auch so eine Ausnahmegenehmigung, daß ich fünfzig Kilometer Fußmarsch machen darf?“
- „Ich werde mich kümmern, daß Sie überstellt werden“, sagte Schlauer zu.
- „Überstellt“, knurrte Gangolf und betrat das Gefängnisgebäude.
---
Das kühle Wasser des Brunnens machte sich allmählich auch durch den Neoprenanzug hindurch bemerkbar; Magda beruhigte sich mehr und mehr, ohne dabei das Gefühl der Lust, der Begierde und der Hingabe einzubüßen. Sie verlor das Zeitgefühl, sie blickte nach oben, durch den Brunnenschacht hinauf zu dem Himmel, der einen gleißend-hellen Kontrast bildete zu der engen Verlies-Röhre, in welcher sie in der Finsternis saß. Irgendwann gab sich Magda einen Ruck, ertastete die Leiter und entwand sich dem selbstgewählten Gefängnis.
Im Haus schälte sie sich aus dem Neopren und gönnte sich ein ausgiebiges Bad. In der Wanne überfielen sie wieder die Gedanken an das Eingesperrtsein, an Enge, an Hilflosigkeit. Sie mußte schwer gedanklich dagegen ankämpfen, sich nach Martina zurückzusehnen, an ihre Herrin, ‚wenn die nur nicht immer dann im Lauf des Spiels so sadistisch-brutal geworden wäre’, dachte sich Magda und schüttelte den Gedanken an sie rasch ab. Dann fielen ihr Gangolfs präparierte Handschellen ein, sie erinnerte sich daran, daß Gangolf ihr einmal etwas erzählt hatte, daß sich diese nicht nur über eine Zeitschaltuhr schalten ließen, sondern auch ferngesteuert über das Smartphone.
Schnell verließ Magda die Badewanne, trocknete sich ab, zog sich nur einen Slip über und eilte in den Keller hinab. Sie nahm die speziellen Handschellen von dem Haken, an deren Seite Gangolf ein schwarzes Kästlein angebracht hatte, in welchem sich die Empfangselektronik für die Funksignale befand. Sie nahm das elektronische Kunstwerk in die Wohnung hinauf und breitete es vorsichtig auf der Platte des Wohnzimmertisches aus. Anschließend tippte sie auf Gangolfs Smartphone herum, bis sie zu der selbst geschaffenen Applikation kam mit der knappen Bezeichnung: >Cuffs<.
Obschon im Umgang mit den modernen Kommunikationsgeräten wenig vertraut, gelang es Magda, die Zeit der Verschlußdauer auf 30 Minuten einzustellen; sie klickte die Handschellen zu und ging in die Küche, um eine Kleinigkeit zu essen. Anschließend kehrte sie in das Wohnzimmer zurück, schnappte sich eine Lektüre, fläzte sich auf das Sofa und hüllte sich in eine wärmende Decke. Zu ihrer Freude gewahrte sie tatsächlich nach kurzer Zeit ein Klicken, das von dem Tisch her rührte. Sie schwang die Beine vom Sofa, griff nach den Handschellen und stellte fest, daß sich diese öffnen ließen.
- „Funktionieren also doch“, rief sie aus, „was hat da Gangi für Sorge gehabt, sie würden nicht zuverlässig aufgehen!“
Es war eine fatale Fehleinschätzung von Magda, Gangolfs Warnungen und Bedenken in den Wind zu schlagen...
|
|
Stamm-Gast
Erlangen
Warum nur wollen immer alle frei sein!
Beiträge: 200
Geschlecht: User ist offline
|
RE: DER SCHREI AUS DEM BRUNNEN Ein erotischer Kriminalroman zu Zeiten des Condomaviruses
|
Datum:09.06.23 21:33 IP: gespeichert
|
|
109
Minutenlang haderte Magda mit sich, ob sie es klicken lassen sollte. Zusammengekauert auf dem Grund des Brunnens kamen ihr nun doch Bedenken, daß Gangolfs Elektronikkonstruktion versagen könnte und die Bügel der Handschellen sich nicht nach der im Smartphone eingestellten Zeit öffnen ließen. Deutlich spürte sie ihren Herzschlag, als sie im fahlen Licht des Brunnenschachtes die geöffneten Schellen in ihren Händen hielt. Sie blickte in die Höhe, trübe graue Wolken verbreiteten eine düstere Vorahnung.
Magda drückte eine Schelle um ihr rechtes Handgelenk; beim Niederdrücken verfiel sie erneut in's Grübeln. Sie unternahm einen Versuch, ob es ihr gelänge, notfalls auch mit gefesselten Händen aus dem Schacht zu steigen. Zwar wollte sie durch die Handschellen genau das Gegenteil bezwecken, daß sie nicht vor dem Ablauf der eingestellten Zeit aufgeben konnte, sie fand es dann doch beruhigend zu wissen, daß es im Notfall funktionieren würde.
Magda richtete sich auf und beließ ihre linke Hand hinter dem Rücken, während sie einhändig versuchte, die wackelige Leiter hinaufzusteigen. Der Versuch gelang, was sie leicht bedauerte, sie stieg wieder hinab, setzte sich in's Wasser und ließ schließlich ohne weitere Bedenken die noch freie Schelle um ihr linkes Handgelenk schnappen.
Obwohl sich Magdas Augen an die Dunkelheit tief unten im Brunnenschacht gewohnt hatten, kam es ihr vor, daß es, gleichwohl noch früh am Nachmittag, immer finsterer wurde. Bedrohlich grau wölbte sich der Himmel über den Brunnen, der Wind pfiff durch das Gebüsch und erzeugte in dem Schacht ein eigenartiges Heulen. Nach einigen Minuten begann es zu regnen.
Magda hatte nichts dagegen, mit ihren Trekkingstiefeln und dem Neoprenanzug im Wasser zu sitzen, indes nervten sie die durch den Schacht fallenden Regentropfen. Mit Mühen gelang es Magda, die Kapuze der Neoprenjacke über den Kopf zu ziehen; sie vernahm zwar durch den Stoff hindurch immer noch die auf den Kopf aufschlagenden Tropfen, immerhin blieb dieser jedoch trocken.
- „Der Sturm wird schon nicht ewig dauern“, sagte sich Magda und kauerte sich, nun vollkommen von Kopf bis Fuß eingehüllt, am Grunde des Brunnens zusammen. Plötzlich vermeinte sie, im Rauschen des Windes, im Geplätscher der niederfallenden Tropfen ein Motorengeräusch zu vernehmen, das immer lauter wurde.
'Es ist doch Ausgangssperre', kam es Magda in den Sinn, 'wer fährt denn da noch herum, ich hab' doch gar keine Lebensmittel mehr bestellt.' Sie kam in's Grübeln:
- „Das kann doch nur Martina sein, die falsche Schlange“, sagte sie sich und hoffte, daß diese bald wieder fahren würde. Sie hörte, wie das Auto anhielt und vernahm auch das Türenschlagen. Sie lauschte mit angehaltenem Atem, doch sie konnte nichts weiter hören, die Windgeräusche übertönten alle anderen Laute, die bei Windstille an ihr Ohr hätten dringen können.
Kaum war die Tür des Autos zugeschlagen, hörte Magda es schon wieder fortfahren. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen, wer da extra den unbequemen mit Schlaglöchern übersäten Weg zu Gangolfs einsam gelegenen Hof hinaus fuhr in die Einsamkeit des Nordufers des Röthener Sees, um nur kurz die Fahrzeugtür zu öffnen und anschließend sofort wieder wegzufahren. Magda überlegte hin und her, plötzlich vernahm sie das Geräusch eines Miauens. Erschrocken blickte sie auf und gewahrte tatsächlich eine Katze, die neugierig ihren Kopf in den Brunnenschacht hob und Magda mit gefährlich-grün schimmernden Augen von oben herab anstarrte.
- „Das fehlt mir gerade noch“, fauchte Magda und erhob sich. Die Katze zog sich daraufhin zurück, Magda beschloß indes, hinaufzusteigen, um den Schachtdeckel über den Einstieg zu schieben. Sie wußte zwar noch nicht, ob es ihr gelingen würde, mit den gefesselten Händen die schwere Holzscheibe zu bewegen, wollte es jedoch nicht unversucht lassen. Wie sie bereits durch ihre Vorübung wußte, gelang der Aufstieg auf der von ihr mit Latten zusammengenagelten Leiter problemlos. Als ihr Kopf über den Brunnenrand hinausragte, bemerkte sie erst die Heftigkeit des tobenden Sturms, den sie unten im Brunnen nur durch das seltsame Heulen in der Schachtröhre wahrnahm. Sie schaute sich nicht um, ihr ganzes Interesse gehörte dem Schachtdeckel; mit großen Mühen faßte sie den Rand, zog diesen über den Brunnenrand, stieg wieder einige Sprossen tiefer hinunter, während sie über ihrem Kopf den Deckel immer weiter zu zog.
Als sie dann ihre gefesselten Hände von dem Deckelrand nehmen mußte, weil die noch verbleibende Lücke entsprechend schmal geworden war, beugte Magda sich leicht, hob nun den Deckel von unten in dessen Mitte mit einer großen Kraftanstrengung an, wuchtete ihn seitwärts, so daß er tatsächlich vollständig auf dem Ring des Brunnenschachts zu liegen kam, es wurde sogleich stockfinster im Schacht, und – dann geschah es.
Am Tag nach dem Haftprüfungstermin kam Brause, um Gangolf aus dem Untersuchungsgefängnis in Kaiserswuselhausen abzuholen. Auf der Rückfahrt durchlöcherte er Gangolf mit Fragen, wie es ihm ergangen sei, ob sie ihn gut behandelt hätten, was die Staatsanwaltschaft alles vorgebracht habe, ob der Pflichtverteidiger seine Pflicht erfüllt habe und so fort. Gangolf antwortete sehr zurückhaltend, ihm war gar nicht nach Plaudern, denn es gelang ihm nicht, Brause richtig einzuordnen. Gangolf sah in ihm immer noch die verkörperte Staatsmacht, seine Schnüffelei und sein Einschleimen bleiben ihm suspekt.
- „Ach, nun geben Sie sich doch nicht so einsilbig“, forderte Brause ihn auf, „wissen Sie eigentlich, wie ich mich für Sie eingesetzt habe, daß Sie da endlich `raus kommen.“
- „Aha?“, hob Gangolf wiederum einsilbig die Stimme.
- „Ja, da sind zwei Damen aus ihrem Bekanntenkreis, die dazu beitrugen, daß zumindest der Haftbefehl ausgesetzt wurde; wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich ihn natürlich aufgehoben, denn die Beweislage ist für mich jetzt eindeutig und klar.“
- „Aha“, wiederholte sich Gangolf, „und die wäre?“
- „Da wäre zunächst diese Pfarrerin, ich hab' jetzt ihren Namen vergessen, mit dieser waren Sie ja anscheinend auch im Urlaub und die widerlegte das niederträchtige Urteil von dieser Frau Weiß, im Gegenteil, sie schwor Stein und Bein, daß es geradezu umgekehrt ist, daß Weiß diese Frau Armdran, diese Magda, beeinflußt hatte, daß diese sogar die Tötung des Vergewaltigungsverbrechers auf sich genommen hatte, obwohl höchst wahrscheinlich die Weiß das getan hatte.“
- „Ja, so `was vermutete ich auch schon“, antwortete Gangolf, „und was hat das mit mir zu tun, und wer ist diese zweite Bekannte, von der Sie sprachen?“
'Na endlich bist du etwas aufgetaut', dachte sich Brause und fuhr fort:
- „Ja, da ist noch die Frau Bär, die sagte aus, daß ihre Kollegin, diese Langohr, beinahe hätte ich jetzt Schlitzohr gesagt, also daß diese schon bei dem Kauf von diesem Angeberauto da mit dem Condoma-Virus infiziert war.“
Gangolf sah ihn verwundert an, sagte aber nichts darauf. Auch Brause schwieg eine Weile, dann fuhr er mit einer Frage fort:
- „Wie war denn eigentlich dieser Condoma-Test, haben Sie ihn bestanden, vermutlich schon, sonst wären Sie wohl nicht frei gekommen.“
- „Was für ein Condoma-Test?“ entgegnete Gangolf, im gleichen Moment fiel ihm ein, daß Kriminalkommissar Schlauer auch von einem Test sprach, als dieser ihn minutenlang in dem Raum schweigend stehen ließ.
- „Ja, stimmt“, fuhr Gangolf weiter, „dieser Schlauer war ja ein ganz Schlauer, der ließ mich eine Ewigkeit lang an der Wand stehen, sagte die ganze Zeit nichts, es war mucksmäuschenstill, auch der Wärter hat nichts gesagt, erst als die Zeit um war, hat er gemeint, daß ich den Test bestanden hätte, war wohl so ein Depperles-Test, wer hält es schweigend am längsten aus, bis einer doch was fragt und dann hätte ich verloren. So `was idiotisches ist mir ja noch nie vorgekommen.“
- „Und“, meinte Brause und drehte sich kurz seitlich zu Gangolf, „und haben Sie sich an den Pimmel gefaßt?“
- „Äh, wie bitte?“, entrüstete sich Gangolf.
- „Na, Sie wissen schon, von Mann zu Mann gesprochen, hätte ja sein können, daß Sie sich die lange Wartezeit verkürzt hätten, indem Sie sich an ihr Glied gefaßt haben.“
Gangolf blickte Brause entgeistert an, ließ dessen Worte auf sich wirken und sprach dann:
- „Ach so, Sie glauben, das war der Condoma-Test, ja, Sie haben wahrscheinlich recht, so einfach geht das, wer da von dem Virus befallen ist, der hält das nicht so lange aus, ohne sich da unten zu reiben.“
- „Könnte ich mir vorstellen, Herr Stumpf, und da Sie offensichtlich nicht infiziert sind, die Langohr aber schon vorher und es immer noch ist, dann hatten Sie wohl mit ihr nicht Geschlechtsverkehr, so einfach können die Dinge liegen.“
- „Hm, wenn Sie meinen, aber da muß man erst einmal d'rauf kommen.“
- „Ich fasse das jetzt `mal als Lob auf, Herr Stumpf, danke.“
- „Ach, Sie sind da d'raufgekommen?“
- „Nun ja, manchmal hilft es doch weiter, wenn man mit allen Leuten einfach viel spricht, ganz offen, aber immer hellwach, dann erkennt man die Zusammenhänge, die in solchen Fällen weiterführen können; gute alte Polizeiarbeit eben.“
- „Ja, vielen Dank dann jedenfalls für ihre Mühe und für Ihr beharrliches Eintreten für die Wahrheitsfindung.“
Brause fuhr im Schrittempo den Feldweg zu Gangolfs Hof, er konnte sich gut vorstellen, wie bei einem ähnlichen Sauwetter sein Kollege Müller den Streifenwagen in's Abseits schoß und auf Gangolfs Hilfe angewiesen war, den Karren wieder aus dem Dreck zu kriegen.
- „So, dann wünsch' ich Ihnen gutes Eingewöhnen wieder zu Hause, seien Sie froh, daß Sie diese fleißige Magda bei sich wohnen haben, aber Sie sollten sie bei Gelegenheit einmal ummelden, geht ja alles per Internet heute.“
- „Ja, mach' ich, danke nochmals.“
Gangolf schnappte sich seine Reisetasche mit den wenigen Utensilien, die er aus der Untersuchungshaft zurückgenommen hatte, schlug die Tür des Polizeifahrzeugs zu und ging raschen Schrittes zu seinem Haus.
- „Magda“, rief Gangolf, als er das Haus betrat, „Magda, ich bin wieder da!“
Gangolf lauschte, doch es blieb still in dem Gebäude; er rief nochmals, lauter als zuvor. Nachdem es weiterhin still blieb, schaute Gangolf erst oben im Dachgeschoß nach, dann unten im Keller. Schließlich ging er noch in die Scheune, doch auch dort konnte er sie nicht finden, dafür standen einträchtig die Fahrräder und die Boote nebeneinander.
Gangolf fragte sich, ob sie bei dem Wetter unterwegs war, und er kam zu dem Schluß, daß nur Martina in Frage kam, welche Magda abgeholt hätte.
Nicht ganz ärgerfrei ging Gangolf in das Haus zurück, nahm den Hörer des Festnetztelephons aus der Ladeschale und wählte Martinas Nummer. Während des Rufaufbaus begab er sich in das Wohnzimmer und setzte sich auf das Sofa. Gerade als sich Martina mit ihrer hauchenden Stimme meldete,
- „Ja hallo“, gewahrte Gangolf auf der Tischplatte sein Smartphone. 'Habe ich das da liegen lassen?' wunderte er sich und noch verwunderter war er, als er sah, welche >App< auf dem Display aufleuchtete, als er dieses berührte. Gangolfs Gedanken wurden indes zerstreut, da Martina fragte, was der Grund seines Anrufes wäre.
- „Das kannst du dir doch denken und ich wollte nur fragen, ob sie wirklich bei dir ist, damit ich mir weiter keine Sorgen machen muß.“
- „Äh, was sagst du da alles, wer soll bei mir sein, Magda?“
- „Na klar, die wolltest du doch neulich schon mitnehmen.“
- „Nein, die ist nicht hier, und nachdem sie neulich eben nicht mit wollte, dann ist es eben so und jetzt laß' mich in Ruhe mit ihr!“
- „Aber wart', Martina, wo ist sie denn jetzt sonst?“
- „Das weiß ich doch nicht, war sie nicht dauernd bei dir?“
- „Ich bin gerade erst wieder aus dem Gefängnis entlassen worden.“
- „Was, du warst im Knast?“
- „Ja, und auch wegen deiner Aussage, daß du mich als Sexualverbrecher einstufst; ich weiß zwar nicht, wie du auf so eine Meinung von mir kommst, aber das hat genügt, daß ich verdächtigt wurde und es immer noch bin!“
- „Wirklich?“ hob Martina ehrlich erstaunt die Stimme, „das tut mir wirklich leid, ja, stimmt, in meinem ersten Ärger hab' ich den Polizisten da so `was gesagt, aber daß die das gleich so ernst nehmen, das hätte ich nicht gedacht. Soll ich gleich zu dir hinauskommen, ich darf ja fahren zum Glück, damit du jetzt nicht so allein da in der Bude sitzt?“
- „Nein, laß' nur, ich komm' schon zurecht, aber wenn bis später die Magda nicht wieder auftaucht, dann ruf' ich dich nochmal an, es kann ja nicht sein, daß sie vom Erdboden verschluckt worden ist.“
- „Ja, wer weiß, vielleicht doch“, antwortete Martina hellseherisch, „dann wünsch' ich dir Alles Gute zurück in deiner Freiheit.“
Gangolf war überrascht, wie angenehm man sich mit Martina unterhalten konnte; diese zwei Gesichter hatte er schon mehrfach an ihr erlebt, und er bereute es, daß er nicht gleich ihr Besuchsangebot angenommen hatte. Andererseits war er froh, seine Gedanken in aller Ruhe sortieren zu können; er war das Alleinsein durch seinen Gefängnisaufenthalt gewohnt, aber auch zuvor war er, von dem Urlaub abgesehen und den Tagen darnach mit Magda, stets allein.
Während er von den alten Zeiten zu träumen begann, wie schön es früher war, als er am Sonntag zu den Gottesdiensten die Orgel spielte, als er seinen Basteleien nachkam, sein Amateurfunk-Hobby betrieb, da gewahrte Gangolf ein seltsames Geräusch, das sich von dem Heulen des Windes deutlich abhob; ihm kam es vor, als ob sich ein Raubvogel mit schrillem Schrei auf eine Beute herabstieß oder umgekehrt, daß das Opfer einen Todesschrei ausstieß, als es erbeutet worden war. Doch da es darnach sofort wieder, bis auf das mehr oder weniger gleichförmige Heulen des Windes wieder ruhig geworden war, dachte sich Gangolf nichts weiter.
'Wie kann es sein, daß meine alte Handschellen-App aktiv ist?', überlegte Gangolf sich, als er nach einiger Zeit sein Smartphon in die Hand nahm und die Zeitschaltung deaktivierte. 'Wahrscheinlich hat die Magda damit herumgespielt, obwohl ich ihr sagte, daß ich damit noch nicht fertig bin', nahm er an und hoffte, daß sie sich nicht draußen irgendwo mit seinen ferngesteuerten Handschellen an einen Baum festgemacht hatte. Er kam indes nicht auf die Idee nachzusehen, ob die entsprechenden Handschellen noch unten im Keller am Haken hingen, viel zu abwegig hielt er diesen Gedankengang.
Von Unruhe getrieben, wo Magda so lange in der hereinbrechenden Nacht geblieben war, holte Gangolf eine starke Taschenlampe und umkreiste sein Anwesen. Glücklicherweise hatte der Regen nachgelassen, so daß er im Strahl der Lampe einigermaßen gut sehen konnte. Er leuchtete auch zu dem Brunnen; da er jedoch dort nicht die lange Aluminiumleiter liegen sah, diese auch nicht im Schacht stehend, sondern den Brunnen mit dem Deckel abgedeckt im Strahl der Lampe vorfand, schied für ihn der Brunnen als Aufenthaltsort aus.
Gangolf und Magda waren in einem Umstand vereint: Sie durchlebten, beide nur wenige Meter voneinander entfernt, jeweils eine sehr unruhige Nacht; während Gangolf immer wieder jäh durch einen schrillen Schrei aus Alpträumen gerissen wurde, kippte Magda mehrmals in kurze Ohnmachtszustände weg.
|
|
Stamm-Gast
Erlangen
Warum nur wollen immer alle frei sein!
Beiträge: 200
Geschlecht: User ist offline
|
RE: DER SCHREI AUS DEM BRUNNEN Ein erotischer Kriminalroman zu Zeiten des Condomaviruses
|
Datum:16.06.23 19:42 IP: gespeichert
|
|
110
In den ersten Tagen der Ausgangssperre freuten sich die Kinder aus dem Dorf, nicht mehr in die Schule gehen zu müssen, sie konnten ausschlafen; der allmorgendliche Streß, rechtzeitig die Abfahrt des Schulbusses zu erwischen, welcher dann über eine Stunde lang die Schüler durch die Gegend gondelte, bis er endlich die Schule in Lüggen erreicht hatte, ging in eine gewisse Lethargie über.
Erst mit Eintreten der Dämmerung erlaubten die Eltern von Max und Peter ihren Kindern, das Haus zu verlassen, um deren Bewegungsdrang freien Lauf zu lassen. So war es nicht verwunderlich, daß sich die beiden Nachbarskinder trotz des Regens auf die Fahrräder schwangen, um über den holprigen Feldweg zum zwei Kilometer entfernten Dahmisch-Kanal zu gelangen.
Seit Magda und Gangolf mit dem Brunnengraben begonnen hatten, besuchten die beiden die Baustelle fast jeden Tag, und auch darnach, als der Brunnen fertiggestellt gewesen war, kamen sie immer wieder her und spähten durch das Gebüsch, hinter dem der Brunnen verborgen lag.
- „Schau' `mal, da bewegt sich der Deckel“, rief Max aufgeregt und zeigte durch die Sträucher auf den Brunnen. Die beiden Buben stiegen von ihren Fahrrädern und spähten durch die Zweige, um das seltsame Schauspiel zu beobachten. Peter meinte:
- „Das funktioniert irgendwie von selber, wahrscheinlich so, wie ein Garagentor von selber zugeht.“
Die Jungen konnten in dem Dämmerlicht Magdas Fingerkuppen nicht erkennen. Als der Deckel fast vollständig auf dem Brunnenrand zu liegen gekommen war, bewegte er sich nicht mehr weiter und es schien, als ob ein kleiner Spalt offen bliebe. Max und Peter wandten sich wieder ihren Fahrrädern zu, als plötzlich ein gellender Schrei auf ihr jugendliches Gehör einschlug; erschrocken drehten sie sich wieder zu den Büschen und standen eine Weile regungslos vor Schreck da. Peter fing sich als erster und begann die lähmende Stille zu überwinden:
- „Was war das?“
Max zuckte mit den Schultern und meinte:
- „Keine Ahnung, klang wie wenn jemand sich ganz weh getan hat.“
- „Gehen wir doch `mal hin und schauen nach, was da los ist“, entgegnete Peter; Max nickte stumm, und so marschierten die beiden um die Hecke herum in die Einfahrt des Hofes. Als sie an den Brunnen kamen, hörten sie nichts weiter als das durch den Wind verursachte Blätterrauschen. Die Buben knieten am Rand des Brunnens nieder und lauschten mit angehaltenem Atem. Aus dem Schacht drang durch den Deckel ein seltsames gedämpftes Röhren herauf, dessen Tonhöhe mit zunehmender Windstärke höher wurde und entsprechend bei abflauendem Wind tiefer, bis hin zur Unhörbarkeit.
- „Das ist nur der Wind, der da unten irgendwie pfeift“, meinte Max, „komm', fahren wir noch ein bissel bis zum Kanal, bevor es ganz dunkel wird!“
- „Aber das war doch ein Mensch, der da ganz arg geschrien hat!“, entgegnete Peter.
- „Ich versteh' das auch nicht, aber jetzt ist da nichts mehr zu hören von einem.“
Die beiden Jungen liefen zu ihren Rädern und fuhren bis zu dem Kanal hinunter. Als es vollkommen dunkel geworden war, kehrten sie wieder um. Der Regen hatte zwar nachgelassen, doch wollten die beiden nicht länger auf dem glitschigen Weg weiterfahren. Als sie wieder auf der Höhe von Gangolfs Hof waren, sahen sie den Schein einer Lampe über die Fläche huschen; sie hielten an, um durch das Gebüsch zu beobachten, wie der Lichtkegel zu dem Brunnen wanderte, dort eine Weile verharrte, dann aber wieder in einem weiten Bogen wegschwenkte.
Peter sagte:
- „Hast du das gesehen, da suchte auch einer, was da in dem Brunnen los war, wahrscheinlich hat der auch den Schrei gehört.“
- „Kann schon sein“, meinte Max, „fahren wir weiter, scheint ja alles in Ordnung zu sein:“
- „Ich weiß nicht“, ließ sich Peter nicht beirren, „ich hörte noch nie so einen entsetzlichen Schrei, der kam eindeutig aus dem Brunnen da.“
Zuhause angekommen berichteten die Jungen ihren jeweiligen Eltern von ihrem Erlebnis. Beide Eltern versuchten zu beschwichtigen, einer der beiden Väter meinte, es könnte sich um ein quietschendes Geräusch handeln, das von der Mechanik erzeugt wurde, welche den Deckel verschließt. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, was es da für eine Mechanik gäbe, die einen Brunnenschacht verschließt, doch war er froh, daß Peter anscheinend die Erklärung akzeptierte.
Magda konnte sich nicht erklären, was genau geschehen war. Nachdem sie aus der Ohnmacht erwacht war, begriff sie nur, daß sie irgendwie bei dem Stoß, den sie dem Deckel verabreicht hatte, damit dieser vollkommen auf dem Schachtrand zu liegen kam, von der Leiter abgestürzt war.
Je länger sie nachdachte, desto wacher wurden Magdas Erinnerungen an das Geschehen, das sich in Sekundenbruchteilen ereigneten. Instinktiv hatte sie versucht, sich mit den Armen links und rechts an der Schachtwand abzustützen; die in den Handschellen gefesselten Hände vereitelten den Reflex, die Wucht ihres fallenden Körpers zog die tieferliegenden Sprossen von den Zargen, da jene durch das unsachgemäße Nageln gespreißelt waren und dadurch keinen festen seitlichen Halt auf diesen gewährleisteten.
Von den Handgelenken spürte Magda Blut rinnen, zudem schmerzten diese sehr, aber auch die Fingerknöchel meldeten sich mit spitzen Schmerzwellen, sobald sie versuchte, die Finger etwas zu bewegen. Einzig die Handschellen selber schienen nicht in Mitleidenschaft geraten zu sein; unter starken Schmerzen führte sie die gefesselten Hände an ihr Gesicht, mit dem Lippen betastete sie das Kunststoffkästchen, in welchem sich die Empfangselektronik befand, es schien Heil geblieben zu sein.
- „Jetzt kann ich nur abwarten, bis die drei Stunden endlich `rum sind“, sagte sie sich, um dann mit den befreiten Händen irgendwie hoch zu kommen.“
Nach einer Weile beschloß Magda, sich aufzurichten, um eine andere Körperpostion einzunehmen. Sie spürte ihre Beine nicht, anscheinend sind sie durch den Sturz blutleer und in der Folge taub geworden. Sie taste nach der Leiter, fand indes nur noch lose an einer Seite hängende Sprossen, an denen sie sich nicht mehr in die Höhe ziehen konnte.
- „So ein Mist“, fluchte sie, „warum mußte ich auch den blöden Deckel zu machen.“
Bei dem Versuch, die Beine zu bewegen, um aus der Hocke zu gelangen, in welche sie nach dem Sturz niedergegangen war, durchzuckte ein höllischer Schmerz ihren gesamten Körper, der Magda kurz vor eine erneute Ohnmacht brachte. Magda wurde klar, daß sie sich die Beine zumindest angeknackst, wenn nicht gar gebrochen hatte. Sie konnte nicht ausmachen, ob der Schmerz von den Knöcheln herrührte, von den Knien oder von den Oberschenkeln, es war ein gleißendes Höllenfeuer, das aufloderte bei dem Versuch, die Beine zu bewegen.
Die Tränen kullerten Magda über die Wangen, sie kehrte in die kauernde Stellung zurück, es dauerte viele Minuten, bis der Schmerz allmählich wieder etwas nachließ. Sie schickte Stoßgebete zum Himmel, sie rief nach Martina:
- „Herrin, meine Herrin, hol' mich hier `raus, ich tue alles, was du verlangst von mir, ich dulde alle Schmerzen, die du mir zufügen willst, aber bitte, bitte befreie mich von diesen Schmerzen da, ich halte es nicht mehr aus, bitte, bitte komm', komm' schnell, komm' jetzt, wo bleibst du denn!“
Magda setzte ihre ganze Hoffnung in die Handschellen. Wenn diese ihre Hände wieder freigegeben haben würden, sagte sie sich, würde sie versuchen, mit den Stangen der zusammengebrochenen Leiter nach oben zu stechen, um den Deckel vom Brunnenschacht zu stoßen. Alsdann würde sie laut um Hilfe rufen. Ihr kamen die Kinder in den Sinn, die trotz der Ausgangssperre am Abend mit ihren Fahrrädern vorbei gekommen waren. Sie würde diese hören und dann laut um Hilfe rufen.
- „Ja, das wird klappen“, sagte sie sich wieder, es war der Strohhalm, an den sie sich klammerte.
Es war kein richtiger Dämmerschlaf, eher ein Dahindösen, in welches Magda nach einer gefühlten Ewigkeit verfiel, ihre Atmung ging flach, der Herzschlag war unvermindert hoch, der Blutdruck sackte ab. Alles deutete auf einen Schockzustand hin, der sie in einen Dämmerzustand versetzte. Immer wenn sie zu wachen Momenten zurückkehrte, rüttelte sie an den Handgelenken in der Hoffnung, daß die Handschellen sich öffnen ließen, doch mit jedem Versuch wurde ihre Enttäuschung größer.
- „Das gibt’s doch nicht“, schrie sie ihren Schmerz aus dem Leib“, die verdammten drei Stunden müssen doch längst herum sein, nein, nein, Herr im Himmel, hilf, hilf, ich gelobe, nie wieder so einen Scheiß zu machen, alles bloß wegen der blöden Lust!“
Kein Beten half und kein Weinen, Magda fiel es immer schwerer, klare Gedanken zu fassen, das letzte, was sie begriff, war die Tatsache, daß die ferngesteuerten Handschellen nicht funktionierten. Am Rande des Wahnsinns bewegungslos in der vollkommenen Dunkelheit in dem engen Brunnenschacht zu kauern, gewahrte sie nach Stunden der Verzweiflung das Zwitschern der Vögel. 'Anscheinend beginnt der Morgen', überlegte sie und lauschte unter Tränen dem Morgengesang der Vögelein.
Am nächsten Abend radelten Peter und Max wieder zum Kanal; sie stiegen an der Einfahrt zu Gangolfs Hof ab und liefen zum Brunnen. An diesem Abend war die Luft vollkommen windstill, vereinzelt kämpften sich die ersten Sternlein durch die immer schwärzer werdende Abenddämmerung. Die beiden Buben lauschten an dem Brunnen und prompt vernahmen sie nach einer Weile stöhnende Geräusche.
- „Hörst du das?“, fragte Max seinen Freund.
- „Ja, da war was, das kam aus dem Brunnen.“
- „So ein komisches Stöhnen, sollen wir den Deckel weg ziehen?“
- „Nein, laß' `mal, vielleicht ist da ein wildes Tier d'rinn oder Ratten, die kämen dann heraufgesprungen und beißen!“
- „Wir könnten aber doch wenigstens klopfen.“
- „Ja, dann mach das doch.“
Max ging in die Hocke und klopfte zaghaft auf den Deckel. Es blieb still. Daraufhin beugte sich auch Peter hinunter und klopfte lauter auf das Holz. Es regte sich wieder nichts.
- „Komisch, na ja, vielleicht täuschen wir uns, aber gestern, das war ganz bestimmt ein Mensch.“
- „Ja, der Schrei war superlaut, so hörte ich noch nie jemanden schreien. Mein Vater meinte, irgend eine Mechanik macht da so ein Geräusch beim Zuschließen von dem Deckel, aber ich glaub', er hat das nur so gesagt, weil er das auch nicht weiß.“
Als sich die Buben wieder erhoben und sich zum Gehen anschickten, vernahmen sie wieder ein Geräusch aus dem Brunnen. Sie blieben daraufhin noch eine Weile am Brunnen stehen, nachdem es indes wieder vollkommen still geworden war, liefen sie zu ihren Rädern zurück.
- „Na, habt ihr wieder einen Schrei aus dem Brunnen gehört?“, fragte Peters Mutter, als dieser wieder nach Hause zurückgekehrt war.
- „Es war kein Schrei heute, aber so ein Stöhnen, das war ein Mensch, der da im Brunnen ist, wirklich!“, ereiferte sich Peter.
- „Ach, weißt du, da draußen in der einsamen Wildnis gibt es allerlei Geräusche“, versuchte Peters Vater die Aufregung seinen Sohnes zu dämpfen.
- „Nein, das war ein Mensch, ganz sicher, Max hat das auch gehört!“, rief Peter aufgeregt.
Sein Vater entgegnete:
- „Weißt du was, morgen Abend gehen wir gemeinsam dort hin, dann zeigt ihr mir `mal diesen Brunnen und dann schauen wir auch hinein, heute ist es schon zu spät, ich möcht' jetzt ein bißchen noch meine Ruhe haben, aber morgen, sobald es dämmerig wird, gehen wir da hin, versprochen!“
Peters Vater hoffte, auf diese Weise den Kindern die Ängste zu nehmen, zudem interessierte es ihn selber, diesen Brunnen erstmals zu sehen. Er erinnerte sich an den Lastwagen, die mit den Brunnenringen durch die Siedlung gefahren war.
Magda nahm ein paar Schlucke von dem Brunnenwasser, sie konnte nicht Tag und Nacht unterscheiden, sie hoffte, wieder das morgendliche Vogelgezwitscher zu vernehmen, um damit eine Uhr zu haben, die ihr zu verstehen geben würde, daß sie wieder eine Nacht verbracht hatte, in unendlicher Dunkelheit, unendlichem Schmerz.
Irgendwann würde auch ihre Hoffnung sterben, das wußte sie, doch noch lebte diese Hoffnung auf Erlösung in ihr.
Auch Gangolf hatte eine weitere unruhige Nacht vor sich, zwar nicht mit physischen Schmerzen, dafür mit psychischen.
|
|
modex |
|
KG-Träger
Mit KG ist besser als ohne Phantasie
Beiträge: 1019
Geschlecht: User ist offline
|
RE: DER SCHREI AUS DEM BRUNNEN Ein erotischer Kriminalroman zu Zeiten des Condomaviruses
|
Datum:18.06.23 22:27 IP: gespeichert
|
|
Die Jugend von heute hat eben keinen Mut mehr. Und deren Helikoptereltern schon gar nicht...
|
|
Stamm-Gast
Erlangen
Warum nur wollen immer alle frei sein!
Beiträge: 200
Geschlecht: User ist offline
|
RE: DER SCHREI AUS DEM BRUNNEN Ein erotischer Kriminalroman zu Zeiten des Condomaviruses
|
Datum:21.06.23 13:59 IP: gespeichert
|
|
Dank Internet gelang es mir problemlos zu erkunden, was unter dem Begriff der "Helikoptereltern" zu verstehen sei; beschämt muß ich eingestehen, daß ich mit zunehmenden Alter immer häufiger anscheinend heute vollkommen gebräuchliche Ausdrücke höre oder lese, unter denen ich mir nichts vorstellen kann.
Deine Einschätzung, lieber Modex, was die Kinder und Eltern anbetrifft, finde ich interessant, daran habe ich beim Schreiben gar nicht gedacht; es kommt auf jeden einzelnen Leser darauf an, in welchem Alter er diese sehen möchte und damit einhergehend mit deren Verhalten.
Wichtig ist mir, daß sie mit keinerlei SM-Praktiken und sonstigen absonderlichen Vorstellungen aus der Erwachsenenwelt konfrontiert werden, alle diese Phantasien müssen uns Erwachsenen vorbehalten bleiben.
|
|
modex |
|
KG-Träger
Mit KG ist besser als ohne Phantasie
Beiträge: 1019
Geschlecht: User ist offline
|
RE: DER SCHREI AUS DEM BRUNNEN Ein erotischer Kriminalroman zu Zeiten des Condomaviruses
|
Datum:21.06.23 22:42 IP: gespeichert
|
|
Lieber Magnus, wie so oft stimme ich Dir vollkommen zu. Wobei die Curling-Eltern wohl die Helikopter-Eltern abgelöst haben. Und das ganz unabhängig vom Alter...kenne genug Dreißigjährige, die sich immer noch von den eigenen Eltern die Wäsche machen lassen. Welcher Student kann heute noch bügeln? Und wer weiß noch, wie man einen Brunnen baut?
|
|
Stamm-Gast
Erlangen
Warum nur wollen immer alle frei sein!
Beiträge: 200
Geschlecht: User ist offline
|
RE: DER SCHREI AUS DEM BRUNNEN Ein erotischer Kriminalroman zu Zeiten des Condomaviruses
|
Datum:23.06.23 20:48 IP: gespeichert
|
|
111
Wieder ist Gangolf in der Nacht mehrmals von dem Schrei verfolgt worden, den Schrei, welchen er bei rationalem Denken eindeutig einem verfolgten Tier in dem nahen Wald zuordnete. Und dennoch ließ ihn dieses Geräusch nicht los, er konnte sich das nicht erklären. Er stand früh am Morgen auf, nahm ein spärliches Frühstück zu sich und beschloß, ungeachtet der geltenden Ausgangssperre sich auf das Fahrrad zu setzen und alle Wald- und Wiesenwege der Umgebung abzufahren.
Als Gangolf sein geliebtes Dreigang-Rad nach langer Zeit erstmals wieder aus der Scheune holte, mußte er dieses erst einmal gründlich abstauben. Anschließend pumpte er die Reifen auf, er war erstaunt, wie viel Luft seit seiner letzten Fahrt entwichen war. Er konnte sich gar nicht mehr richtig erinnern, wie lange seine letzte Fahrradfahrt zurücklag; mit Wehmut erinnerte er sich an die riesigen Fahrradtouren, die er mit diesem einfachen Dreigangrad durchgeführt hatte; er war damit in Wien und Paris, in Hamburg und Rom.
(Anm.: Das ist tatsächlich möglich!)
Als er sich sein erstes Motorrad gekauft hatte, unternahm Gangolf zum Abschied ein letztes Mal eine große Fahrradtour; in nur zwei Tagen erreichte er den Bodensee, an einem weiteren umrundete er diesen und besuchte in Vorarlberg einen Freund, den er einige Jahre zuvor bei einem Arbeitseinsatz kennengelernt hatte.
- „Und jetzt schleich' ich auf sumpfigen Waldwegen damit herum, um eine Frau zu finden, von der ich nicht einmal weiß, wie lange sie schon vermißt wird“, brummelte Gangolf vor sich hin. Seine Hoffnung war, daß es für ihr Verschwinden eine ganz einfache Begründung geben könnte; schließlich war Magda, so lange er sie kannte, eine etwas eigenwillige Person, die in vielen Dingen unberechenbar war. Gangolf fuhr den Weg hinunter zu dem Kanal und folgte diesem dann nordwestwärts, bis der Wald endete. Ständig spähte er links und rechts des Weges, ob er irgend ein Lebenszeichen von Magda entdecken würde. Auf dem freien Feld beschleunigte er seine Fahrt, denn hier konnte er problemlos große Flächen überblicken. Er überquerte den Kanal an der Schleuse und radelte auf der anderen Seite zurück. Bald gelangte er wieder in den Bruchwald, doch auch hier konnte er keine Auffälligkeiten entdecken.
- „Was habe ich auch erwartet“, sagte Gangolf sich selber, „daß die Magda einfach da irgendwo auf dem Waldboden sitzt und den Vöglein beim Zwitschern zuhört?“ Freilich wäre ihm das die angenehmste Variante gewesen, an die schlimmste wollte er gar nicht denken. Als er an dem See herausgekommen war, blieb er eine Weile stehen und blickte auf die Insel hinüber, auf >seine Insel<, die ihm so viel Ungemach eingebracht hatte.
'Und dabei fing alles so romantisch an', sinnierte Gangolf, 'das Geld, das ich dort in der Kiste verstaut hab', wie im Roman, eine richtige Schatzinsel, und jetzt so `was, beschuldigt einer Vergewaltigung, die ich dort begangen haben sollte.' Mit wehmütigen Gedanken kehrte er zu seinem Fahrrad zurück, das er auf dem Weg zurückgelassen hatte.
'Eigentlich hat alles mit dem Motorradfahren angefangen, das ganze Unglück', überlegte er, 'wäre ich meinem Fahrrad treu geblieben, wäre alles nicht passiert; aber nein, die Lust war stärker, und so nahm im Frühjahr alles seinen Lauf: Zuerst die wahnsinnige Martina, die >wilde Fegerin<, wie sie in der Annonce sich selbst bezeichnete, dann ihre ergebene, geradezu hörige Magda, die jetzt spurlos verschwunden ist.'
Mißgelaunt fuhr Gangolf einige Seitenwege entlang, aber auch hier konnte er, wie er erwartet hatte, nichts Ungewöhnliches entdecken. Er überlegte, ob er noch bis Holzbuch weiter fahren sollte, in diese Kleinstadt, in welche Magda so gerne geradelt war, verwarf den Gedanken indes wieder, nicht zuletzt wegen der Ausgangssperre. Er wollte sich nicht schon wieder in die Schußlinie polizeilicher Maßnahmen bringen. Jäh fiel ihm ein, daß er sich spätestens am nächsten Tag bei der Polizei melden mußte.
- „So ein Mist“, schimpfte Gangolf, „wieso bezichtigt mich dieses Weib, dabei hab' ich sie aus ihrem blöden Keuschheitsgürtel befreit; Undank ist der Welten Lohn!“
Zuhause angekommen machte sich Gangolf erst einmal ein Bier auf, fläzte sich auf das Sofa und versuchte, seine Gedanken zu sortieren. Er überlegte sich, daß Magda einen Zettel hinterlassen hätte, wenn Sie für längere Zeit von dem Haus weggegangen wäre. Sie mußte gegangen sein, denn ihr Fahrrad stand im Schuppen, die Boote sowieso, Martina hatte sie nicht abgeholt.
Gangolf kam immer näher der Überzeugung, daß Magda einen Unfall erlitten hatte. 'Vielleicht lief sie querfeldein durch das Gebüsch, strauchelte, prellte sich, daß sie kaum mehr Luft bekam, erst Stunden später wird sie von Leuten, die verbotenerweise spazieren gingen, gefunden und in ein Krankenhaus gebracht. Und ich Depp such' mich da ab, vielleicht sollte ich doch die Polizei anrufen, sollen die doch nach ihr suchen, sie steht ja ohnehin unter Überwachung.'
Bei dem Gedanken an Magdas elektronischer Fußfessel wurde Gangolf unsicher.
- „Die sind ja auch nicht blöd“, sagte er sich, „auf der einen Seite funkt der Sender ständig das Signal aus ihrer Wohnung in Lüggen, auf der anderen Seite melde ich sie als vermißt, nein, das geht also gar nicht.“
Gangolf erinnerte sich an die Begebenheit in Laukuv, wo er des Einbruchs in die Kellerräume des Wohnhauses bezichtigt wurde. Dort hatte sich Magda von Martina in eine Kartoffelkiste sperren lassen, aus welcher jene sich indes befreien konnte.
- "Was für verrückte Weiber“, brummte Gangolf kopfschüttelnd vor sich hin, „wo wird das noch alles hinführen.“ Der Gedanke an die Kartoffelkiste veranlaßte Gangolf, nochmals ganz genau sein Haus abzusuchen, er nahm sich vor, dreimal in jeden Winkel nachzuschauen, ob sie sich nicht doch irgendwo versteckt hatte. Mit Grausen bedachte er, wenn er sie tatsächlich fände, in welchem Zustand würde sie sich befinden, er wollte es sich gar nicht ausmalen.
Dann fiel Gangolf die aktivierte >Cuff-App< auf seinem Smartphone ein; er hatte sich noch nicht einmal vergewissert, ob seine umgebauten Handschellen mit der Fernsteuer-Elektonik noch an dem Haken hingen, an dem er sie vor Monaten aufgehängt hatte, als er das >Projekt< zurückgestellt und damit so gut wie aufgegeben hatte.
Schnell trank er sein Bier aus und eilte in den Keller; wie zur Salzsäule erstarrt verharrte er regungslos vor dem leeren Haken, der sich seines unbeschwerten Daseins erfreute.
- „Also doch“, stieß er hervor, „sie hat es also doch getan.“
Gangolf drehte jedes Brett um, das irgendwo an einer Wand gelehnt war, jede Blechplatte, jede Pappschachtel; selbst Gegenstände, die ganz offensichtlich viel zu klein waren, nahm er in die Hand und zog sie zur Seite, um hinter diesen einen Blick zu werfen: Eimer, Taschen, Putzlappen. Nach einer Weile schalt er sich selber: - -
- „Mann, du suchst hier nicht nach einem Schlüssel, sondern nach einem ein Meter sechzig großen Menschen!“
Er verließ die Lager- und Werkstatträume und ging in den Waschraum. Auch hier lugte er in Winkel, die vollkommen ausgeschlossen waren als Aufenthaltsort für einen erwachsenen Menschen, dennoch ließ es sich Gangolf nicht nehmen, hinter die Waschmaschine zu sehen. Bei dieser Gelegenheit schweifte sein Blick über den Haken in der Kellerdecke, an welchen er seine Neoprenanzüge aufzuhängen pflegte.
'Sollte sie gar', kam es Gangolf in den Sinn, doch er wagte es nicht, seinen Gedanken zu Ende zu bringen. Dann verwarf er seine Vorstellung; es konnte ja nicht sein, daß sie beide Anzüge zugleich angezogen hätte. Ihm fiel ein, daß Magdas spärliches, verschlissenes Gewand ganz gegen ihre sonst an den Tag gelegte Sorgfalt wahllos zerstreut auf dem Sofa gelegen hatte, als er nach seiner Rückkehr aus Kaiserswuselhausen erstmals wieder in das Wohnzimmer hineingegangen war.
Als Gangolf mit der Hausdurchsuchung durch war, wurde er schließlich in der Scheune fündig, allerdings nur, was die Neoprenanzüge betrifft: Seinen >Shorty< fand er da hängen; er konnte sich indes nicht erinnern, diesen jemals dort aufgehängt zu haben, von seinem >Long John< fehlte weiterhin jede Spur. Mißmutig kämpfte sich Gangolf weiter in das Innere der Scheune; im hinteren Teil lag alles voll Gerümpel und es rächte sich jetzt, daß er damals, als er das Anwesen erwarb, alles unbrauchbare Zeug einfach dort hingeworfen hatte.
Gangolf beschloß, die Gelegenheit zu nutzen, da er schon dabei war, und alles auf den Hof hinauszuschaffen, um auf diese Weise wenigstens einen Überblick zu erhalten, was er da alles gehortet hatte.
Es half alles nichts, er konnte den Heiligen Antonius anrufen, wie er wollte, Magda und Long John blieben verschwunden. Für Gangolf stand fest, daß sich Magda in seinem langärmlichen Neoprenanzug, bestehend aus Hose und Kapuzenjacke, davongemacht hat, dazu ihre neuen Trekkingstiefel an den Füßen und seine ferngesteuerten Handschellen um die Handgelenke.
Mit Schaudern dachte Gangolf daran, daß er nach seiner Rückkehr aus Kaiserswuselhausen arglos die >App< auf seinem Smartphone deaktivierte; normalerweise sollten die Handschellen in solch einem Fall sofort aufgehen, aber das waren die Dinge, die er noch nicht hinreichend ausprobiert hatte. Er machte sich Vorwürfe, daß Magda auf diese Weise wahrscheinlich in eine lebensbedrohliche Situation geraten war.
- „Sie wäre längst zurück“, rief er in zunehmender Panik, „damals trieb ich die beiden Bankräuber in den Tod, als ich sie verfolgte, und jetzt auch noch Magda; nein, o Himmel, das wollte ich doch nicht, nein, niemals!“
Gangolf lief auf und ab, er lief im Kreis, setzte sich, sprang wieder auf, es half nichts, die Panik überwältigte ihn, 'ein drittes Menschenleben, das halte ich nicht mehr aus, o Herr im Himmel hilf!'
Als er sich nach einigen Minuten wieder etwas beruhigt hatte, beschloß Gangolf, nochmals an das Seeufer hinunter zu gehen, um nachzusehen, ob irgendwo abgeknicktes Schilfrohr Zeugnis geben würde. Wenn er schon nicht mehr helfen konnte, so wollte er doch wenigstens Gewißheit erlangen, wo Magda das Ufer verlassen hatte und in den See hinausgewandelt war.
Nachdem er mit jedem einzelnen Schilfrohr Zwiesprache gehalten hatte, ließ sich Gangolf resigniert in das Gras am Uferabhang fallen; er betrachtete das Glitzern der Wasseroberfläche, das durch den reflektierten Strahl der im Westen stehenden Sonne hervorgerufen wurde, im Süden brauten sich gewaltige dunkle Gewitterwolken zusammen. Gangolf bildete sich ein, darin das Alpenpanorama zu erkennen, vor ihm der Vierwaldstädter See.
Unwillkürlich kam ihm Schillers >Wilhelm Tell< in den Sinn:
> Es lächelt der See, er ladet zum Bade,
Der Knabe schlief ein am grünen Gestade,
Da hört er ein Klingen, wie Flöten so süß,
Wie Stimmen der Engel im Paradies.
Und wie er erwachet in seliger Lust,
Da spülen die Wasser ihm um die Brust,
Und es ruft aus den Tiefen: Lieb Knabe, bist mein!
Ich locke den Schläfer, Ich zieh ihn herein.<
Überwältigt von dem vor ihm liegenden Naturschauspiel dachte Gangolf nicht mehr an das ihn sonst so bewegende Lied vom Lindenbaum, welches mit seinem dramatischen Imperativ nicht unbedingt Aussicht auf das Paradies bietet:
>... du fändest Ruhe dort!<
|
|
Stamm-Gast
Erlangen
Warum nur wollen immer alle frei sein!
Beiträge: 200
Geschlecht: User ist offline
|
RE: DER SCHREI AUS DEM BRUNNEN Ein erotischer Kriminalroman zu Zeiten des Condomaviruses
|
Datum:30.06.23 20:42 IP: gespeichert
|
|
112
- „Guck `mal, wat für `n Sauwetter da `runterkommt!“, brummte Peters Vater und zeigte aus dem Fenster; seine Frau folgte mit ihrem Blick dem Finger ihres Mannes und kommentierte dessen Feststellung:
- „Die Herbststürme werden immer heftiger, wie war das vor zehn Jahren noch ruhig hier heraußen! Aber du mußt mit Peter heute Abend da hinausgehen zu dem Aussiedler, das hattest du versprochen unserem Jungen, der wird sonst noch janz verrückt mit dem Brunnen.“
Wieder Erwarten verzog sich im Lauf des Nachmittags das Herbstgewitter, so daß mit Beginn der Dämmerung Peters Vater nach seinem Sohn rief, ob dieser tatsächlich noch Lust hätte, zu dem Hof des >Fremden< hinauszugehen. Vater und Sohn zogen sich an und verließen das Haus. Peter klingelte an der Tür des Nachbarhauses, doch Max hatte keine Lust, mitzukommen.
Max war mitten in der Pubertät, für ihn wäre es ganz undenkbar gewesen, mit dem eigenen Vater irgendwo hin zu gehen.
- „Ach, mach' schon“, drängte Peter ihn erfolglos. Somit zog Peter allein mit seinem Vater los. Schweigend schritten sie die Straße entlang zum Ende der Siedlung, von wo ab der Feldweg weiterführte, zunächst nach Süden, nach einigen hundert Meter fast im rechten Winkel westwärts. Es war die Stelle, wo Polizeiobermeister Müller die Kontrolle über den Streifenwagen verloren hatte, und er diesen in den schlammigen Wegrand setzte.
Peters Vater erinnerte sich daran, er erzählte seinem Sohn, daß neulich ein Polizist und eine Polizistin da waren und sich nach dem Haus des >Fremden<, wie die Dorfbewohner Gangolf nannten, suchten. Die Begebenheit hat sich sofort in der Siedlung herumgesprochen, es war ein willkommenes Gesprächsthema in dem sonst so beschaulichen Dörflein.
Alsbald schritten die beiden wieder still nebeneinander her, stets bedacht, nicht in eine der zahlreichen Pfützen zu steigen, die sich in den tiefen Schlaglöchern auf dem Weg gebildet hatten. Plötzlich hörten sie Laufschritte hinter sich, Peter drehte sich um und erkannte Max. Dieser hatte es sich anders überlegt; die Neugierde siegte über seinen Abgrenzungsdrang.
- „Na, hast `te es dir doch noch anders überlegt“, kommentierte Peters Vater das unvermutete Auftauchen des Nachbarjungen. Peter war sehr froh darüber, denn nun mußte er nicht mehr neben seinem Vater einhergehen, sondern konnte mit Max einige Meter vor diesem voranschreiten.
Als die Dreiergruppe zu Gangolfs Hof gekommen war, sahen sie fast nichts mehr; die beiden Buben zogen ihre Smartphones hervor und schalteten immer wieder das LED-Licht ein, um den Weg zu dem Brunnen zu finden.
- „Hier ist er“, verkündete Max und fuchtelte mit der elektronischen Lampe in seiner Hand herum.
- „So, dann woll'n wir `mal“, verkündete Peters Vater, zog die Ärmel seiner Jacke auf die Ellenbogen zurück, ging in die Hocke und schob den Brunnendeckel beiseite. Max leuchtete in den Schacht.
- „Paß' bloß auf, daß `te nich' `rinfällst“, mahnte Peters Vater ihn und warf selber einen Blick in den dunklen Schlund.
- „Da ist nichts weiter als zwei so Holzstangen da“, fuhr er fort, „war wohl `mal `ne Leiter, ja, guckt, da sin' die Sprossen alle wechgebrochen!“
Er nahm eine der beiden Latten, hob sie etwas an und begann, im Brunnenschacht damit herumzustochern. Nun hielt auch Peter sein Smartphone in die Dunkelheit, im schwachen Strahl vermeinten alle drei einen undefinierbaren Gegenstand auf der Sohle des Brunnens auszumachen.
- „Is' irgend so een Schaumstoff, wa“, meinte der Vater, „oder `n Sack, is' wohl wat d'rin, hat der Fremdling eenfach in`Brunn' jeworfen, also da is' nischt wehter!“
Peter ließ sich nicht so leicht abwimmeln:
- „Aber da war wirklich so ein fürchterlicher Schrei, hörte sich ganz schlimm an.“
Sein Vater zuckte mit den Schultern und meinte kurz:
- „Wer weeß“. Er schickte sich an, den Deckel wieder über den Brunnenrand zu schieben.
Nun mischte sich Max ein:
- „Und wie soll sich der Deckel von allein zugeschoben haben, guck, da is' kein Motor oder so was dran, is' bloß so eine einfache Holzscheibe.“
- „Und die soll sich eenfach so von Jeisterhand zujezochen haben?“
- „Ja“, riefen die beiden Buben gleichzeitig, und Peter fuhr fort:
- „Und dann war der laute Schrei.“
- „Ja wirklich komisch“, entgegnete sein Vater und schob mit einem Ruck den Deckel wieder über den Schacht.
- „Nicht daß noch jemand hineinfällt“, kommentierte er sein Tun, erhob sich mit einem vernehmlichen Stöhnen aus der Hocke und strich die Hände aneinander, um einen tatsächlichen oder vermeintlichen Schmutz von der Haut zu reiben.
Für Max und Peter verlief die Aktion unbefriedigend, das Rätsel des sich selbständig verschließenden Deckels blieb völlig ungelöst, die Urheberschaft des darnach erfolgten Schreis ebenso. Nur für Peters Vater war die Sache nun endgültig geklärt, er stellte klar:
- „Also das war's denn, jetzt habt ihr jesehen, daß da nischt is', da hat halt `n Vogel gekrächzt oder sonst `n Vieh, die Wildschweine quieken auch so, wenn `se mitten in der Nacht herumstreunen!“
- „Aber Papa“, widersprach Peter, „das war nicht mitten in der Nacht, sondern am Abend, noch bevor es dunkel wurde.“
- „Schluß jetzt“, herrschte ihn sein Vater an, „Wat soll ich denn noch tun, wir haben in den Brunn` jeguckt, da war niemand, und Ende.“
Schweigend machten sich die drei auf den Rückweg, die beiden Jungen leuchteten mit ihren Geräten, der Vater fluchte immer wieder, wenn er auf dem mittlerweile stockfinsteren Weg in eine Pfütze gestiegen war.
Gangolf zechte den ganzen Abend und die halbe Nacht, Flasche um Flasche wurde geleert, zuletzt auch noch eine halbe Flasche Weißwein. Er versuchte den Gedanken herunterzuspülen, daß man Magda irgendwann finden würde mit gefesselten Händen; Brause würde sofort ihn verdächtigen, wenn er die elektronischen Manipulationen an den Schellen unter die Lupe nehmen würde.
Gangolf zappte durch alle Fernsehprogramme, konsumierte zahllose Filme auf >Youtube<, versuchte sich nach Kräften abzulenken. Gegen drei Uhr in der Nacht fiel er endlich in einen einigermaßen festen Schlaf; als er erwachte, stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Er machte sich einen Kaffee, zum Frühstücken verspürte er keine Lust, das Saufgelage bis spät in die Nacht stieß ihn sauer auf. Er griff zum Telephonhörer und wählte Martinas Nummer.
- „Hallo Süßer“, meldete sich diese, „wie geht`s dir?“
- „Beschissen“, antwortete Gangolf, „sie ist weg.“
- „Wie weg, meinst du Magda?“
- „Ja freilich, sie ist einfach weg.“
- „Und du hast wirklich überall schon nach ihr gesucht?“
- „Klar, gestern den ganzen Tag, ich weiß nicht mehr, was ich machen soll.“
- „Ich mach' dir `n Vorschlag, ich komm' gleich `mal zu dir gefahren, dann besprechen wir alles in Ruhe, hast `te überhaupt schon was gefrühstückt, ich bring' einfach was mit, ich darf ja hinaus, zum Glück.“
- „Ja das wäre fein, wenn du was Frisches mitbringen würdest.“
- „Ja klar, tschüßi, bis später.“
'Martinas zweites Gesicht', überlegte sich Gangolf, 'nicht zu glauben, daß sie eine ganz sadistische Hexe sein kann.' Er wandte sich in's Bad, um sich frisch zu machen und wartete anschließend sehnsüchtig auf Martina. Seine Psyche befand sich auf dem Nullpunkt, und wenn der Teufel in Person gekommen wäre, er hätte diesen hereingebeten, um nur überhaupt ein wie auch immer geartetes Wesen in seiner Nähe zu wissen.
Inge wandte sich in ihren Fesseln, mit denen sie an das Bett der Spezialklinik fixiert worden war. Sie weigerte sich standhaft, zu ihrem Schutz sich einen Keuschheitsgürtel anlegen zu lassen. Immer wieder rechnete sie nach, wie lange sie noch die Tortur durchstehen müßte. Sie überlegte sich, daß sie sich wahrscheinlich bei der sogenannten Notfallübung angesteckt hatte, als alle Teilnehmerinnen von den Gesundheitsämtern sich an ihr übten, den Keuschheitsgürtel anzulegen. Anschließend dauerte es noch eine geraume Zeit, bis das Virus in ihrem Körper ausgebrochen war. Sie erinnerte sich an die peinliche Situation, als sie ihr Luxus-Sportauto ihrer Kollegin Barbara vorführen wollte und diese sie anherrschte, sich nicht dauernd an den Schritt zu fassen.
- „Warum hab' ich mich dafür hergegeben, als Versuchskaninchen zu dienen“, verfluchte sich Inge, „warum war ich so blöd und hab' dann anschließend noch freiwillig diesen verdammten Gürtel getragen, warum war ich so geil, daß ich sogar den Schlüssel auf die blöde Insel gebracht habe, überhaupt dort das blöde Geld genommen, ach, alles ist so blöd gelaufen.“
Immerhin gelang es ihr problemlos, ihre Schuldgefühle zu unterdrücken, die sie gegenüber Gangolf entwickelt hatte, als sie von dessen Verhaftung erfuhr. Sie verfluchte sich zwar auch dafür, daß sie diese Verleumdung vollbracht hatte, daß sie ihn der Vergewaltigung bezichtigt und ihn anzeigt hatte, doch sie kam gut darüber hinweg. Sie hatte augenblicklich andere Sorgen.
Das Bundeskabinett beschloß, neben den bereits georderten chinesischen Gasmasken auch die Keuschheitsgürtel aus China zu beziehen. Die europäischen Hersteller konnten oder wollten nicht ihre Produktionskapazitäten kurzfristig ausbauen, um zu einer fabrikmäßigen Serienfertigung zu gelangen. Sie fürchteten, daß in wenigen Wochen der staatliche Nachfrage-Boom zu Ende sein würde und die aus dem Boden gestampften Fertigungslinien verschrottet werden müßten.
- „Wozu der ganze Aufwand?“, verlautete es von Mysteel und Neosteel gleichermaßen; beide Manufakturen verblieben bei ihrer bewährten handgefertigten Produktionsweise. Zwar wurde von den chinesischen Massenmodellen ruchbar, daß der verwendete Edelstahl nicht ausreichend edel wäre und insbesondere durch Einwirkung von Urin und Kot Korrosionserscheinungen aufträten, doch stuften die Experten in der Kabinettsrunde die Unterbindung des Geschlechtsverkehrs als wichtigste Maßnahme neben der Abschottung der Aerosole vermittelst der Gasmasken ein, um die Ansteckungsgefahr mit dem sogenannten Condoma-Virus zu vermeiden; zu erwartende Kollateralschäden an den ohnehin überreizten Geschlechtsorganen der infizierten Personen wurden zwar mit Bedauern, aber doch bewußt in Kauf genommen.
Ein nämliches galt für die in rauhen Mengen importierten Gasmasken; das Material des Maskenkörpers führte bei längerem Tragen zu Rötungen der Haut, die sich in Einzelfällen bis zu einem schmerzhaften Juckreiz ausweiteten.
Die Regierungsmitglieder hatten sich beizeiten hochwertige Masken aus deutscher Produktion gesichert, auch konnten sich die meisten Behörden reichlich mit Masken eindecken, so daß deren Angehörige gleichfalls mit gutem Material ausgestattet waren.
Magda wurde ein letztes Mal in das irdische Bewußtsein zurückgezogen, als sie in ihrem Trance-Zustand Stimmen vernahm. Plötzlich flammte ein gleißendes Licht vor ihren Augen auf, die Wasserfläche des Brunnenwassers, über welche sie seit Tagen steif darniedergebeugt verharrte, erstrahlte zu einem blendenden Leuchten, dann verspürte sie auf ihrem Hinterkopf ein Anstupsen als letztes Zeichen, sich von allem Irdischen zu lösen und dem aufflammenden Licht in eine neue Welt zu folgen.
|
|
Stamm-Gast
Erlangen
Warum nur wollen immer alle frei sein!
Beiträge: 200
Geschlecht: User ist offline
|
RE: DER SCHREI AUS DEM BRUNNEN Ein erotischer Kriminalroman zu Zeiten des Condomaviruses
|
Datum:07.07.23 21:05 IP: gespeichert
|
|
113
- „Hey Gäng, da hast du ja mächtig ausgemistet“, begrüßte Martina Gangolf, als sie den großen Haufen mit dem Gerümpel auf dem Hof gewahrte; mit einem bezaubernden Lächeln schwang sie sich aus dem Lada.
- „Ich hab' gleich die Gelegenheit ergriffen“, erläuterte Gangolf, „wenn ich schon alles absuchen mußte, hab' ich gleich das ganze Gerümpel hinausgeworfen, das wahrscheinlich schon seit Generationen da in dem Schuppen lag.“
Als Martina die Semmeln aus der Papiertüte holte, füllte sich Gangolfs Küche mit dem Duft des frisch gebackenen Teigs. Seine Stimmung hob sich von Minute zu Minute, Martina erwies sich zu einer bemerkenswerten Gesprächspartnerin. Diese sprach entgegen ihres sonst an den Tag gelegten dominanten Gehabes die Gefühlsebene an, es gelang ihr, Gangolf Trost zu spenden, und sie schenkte ihm Zuversicht, daß das Leben weitergehen würde, so traurig der Verlust der getreuen Magda auch sein würde.
Als sich nach über einer Stunde das Frühstück seinem Ende nahte, sprach Martina Magdas Brunnenbauprojekt an:
- „Sag' mal, hat Magda eigentlich nochmals `was gesagt von wegen ihrem ewigen Brunnengraben, mit dem sie dir im Urlaub so oft auf den Ohren lag?“
- „Ja, das war das Wichtigste, kaum daß wir wieder zurück waren, hast du ihn noch gar nicht gesehen, drüben in der andern Ecke über dem Hof, da haben wir ihn gerade fertig gekriegt, als sie mich dann abholten.“
- „Und seid ihr auf Wasser gestoßen?“, wollte Martina weiter wissen.
- „Ja klar, in ungefähr drei Meter.“
- „Also, sag' `mal, hast du da schon hineingeguckt; weißt du, ich kenn' meine Magda, wie die tickt, so ein tiefer enger feuchter Brunnen, das wär' ihr Traum, wahrscheinlich hatte sie deshalb immer davon gesprochen; der kommt es doch nicht auf das Wasser an, das du jetzt damit hast.“
Gangolf erbleichte, als er Martinas Worte hörte. Er begann zu stottern:
- „Der Deckel war zu und es lag auch keine Leiter da, also hab' ich da noch gar nicht hineingeschaut.“
Ihm graute bei dem Gedanken, und er mußte Martina recht geben, jetzt erst wurden ihm die Augen geöffnet, warum Magda so darauf aus war, einen Brunnen zu graben.
- „Für drei Meter braucht Magda keine Leiter“, konterte Martina mit einem überzeugten Gesichtsausdruck. In Gangolfs Gesicht gruben sich dagegen tiefe Falten, mit leicht geöffnetem Mund starrte er sein Gegenüber an, als ob es sich um einen Mondmenschen handelte.
- „Bleib' sitzen und vesuch' dich ein bißchen zu entspannen“, fuhr Martina fort, „ich geh' schon nachsehen.“
Gangolf blieb gelähmt sitzen, widerspruchslos ließ er Martina auf den Hof hinaustreten. Nach wenigen Minuten kam sie zurück; Gangolf fixierte seinen Blick auf sie, als sie eintrat, und sie nickte stumm.
Minutenlang kämpfte Gangolf gegen die Tränen an, doch ließ er ihnen schließlich freien Lauf; Martina bettete seinen Kopf in ihren Schoß. Sie saßen lange vereint auf dem Sofa, bis Martina einen Vorschlag unterbreitete:
- „Laß' uns zu mir fahren, was hältst du davon, ich hol' dann vom Markt ein Grillhähnchen, ich sah', daß da einer so eine Bude hat, roch ganz appetitlich, derweil entspannst du dich, du hattest doch Magdas Zimmer so anheimelich gefunden, ich glaube, das wird dir gut tun, wenn du ein bißchen Abstand gewinnst von den Geschehnissen hier.“
Martina landete einen punktgenauen Treffer, Gangolf nickte nur stumm, er war überglücklich, in dieser Todesstimmung einen fürsorglichen Menschen um sich zu wissen. Als sich Gangolf aus der Umklammerung löste, kamen ihm Bedenken, ob sie nicht doch erst die Polizei verständigen sollten.
- „Und was glaubst du, was die dann machen“, wiegelte Martina ab, „die zerren Magda heraus und finden ihre Hände in deinen Handschellen gefesselt; da fährst du gleich wieder ein, stehst ja ohnehin schon unter Überwachung, genauso wie Magda.“
Gangolf blieb nichts weiter, als wiederum stumm zu nicken, er hatte keine Kraft mehr für einen wehrhaften Gedankengang, er ließ sich widerstandslos treiben. Magda öffnete die Heckklappe des Ladas und schleuderte die vorsorglich mitgebrachte Sackkarre auf den Hof in Richtung des Gerümpelhaufens. Gangolf begriff nichts mehr, willenlos folgte er Martinas Aufforderung, sich in den Kofferraum zu kauern. Sie breitete eine Decke über ihn aus und schlug mit einen ohrenbetäubenden Knall die Heckklappe zu.
'Das lief ja besser als gedacht', freute sich Martina, 'da konnte ich mir glatt die K.O.-Tropfen sparen, jetzt muß ich ihn nur noch oben herumkriegen, bei seiner Psyche, wie der beieinander ist, sollte das funktionieren.'
Gangolf wurde es hundsübel, als der hartgefederte Lada durch die Schlaglöcher schleuderte. Als das schlimmste Gerumpel vorüber war, wußte er, daß sie auf der Straße durch Wesserbarg waren, er spürte auch das kurze Abbremsen und dann die Drehung, mit welcher der Jeep auf die Bundesstraße einbog. Die schlagenden und schlingernden Geräusche wichen einem starken Vibrieren, der Motor dröhnte, und Gangolfs Gehirn nahm seine Arbeit wieder auf:
'So mußte sich Magda fühlen, als sie in dem Brunnen saß', überlegte er, 'aber wie schaffte sie es, den schweren Deckel über sich zuzuziehen?'
Sein Selbstbewußtsein schien allmählich zurückzukehren, beinahe wollte er schon die seinen gesamten Körper einhüllende Decke beiseite ziehen, als Martina mit einem Fluch auf die Bremse trat und anhielt.
- „Nicht schon wieder“, brummte sie, während sie das Fenster öffnete, „ich bin OP-Schwester im Einsatz“. Sie griff nach rechts auf den Beifahrersitz, wo sie ihre Gasmaske griffbereit niedergelegt hatte, doch durch das Geholper war diese vorne über gerutscht, so daß sich Martina schräg seitlich nach vorne bücken mußte, um sie von der Fußmatte aufzuheben.
Der Wachposten ließ ihr alle Zeit, das Gummiteil aufzusetzen, erst dann trat er näher. Martina zog ihren Dienstausweis und die Sondererlaubnis heraus, der Posten nickte kurz, bedankte sich und ließ sie passieren. Als der Kies unter den Reifen knirschte, wußte Gangolf, daß sie auf dem Hof vor dem alten Haus in der nördlichen Lüggener Altstadt angekommen waren.
Martina stieg abrupt auf die Bremse, Gangolf wurde auf das Blech gedrückt, welches den schmalen Kofferraum des Ladas von der Lehne der Rückbank trennte. Er zog sich die Decke von seinem Leib und bekam einen leichten Schrecken, als er Martina erblickte, wie sie die Heckklappe öffnete: Sie hatte die Gasmaske aufbehalten, es war ein deutsches Modell aus Bundeswehrbeständen, mit Riemen oberhalb und unterhalb den Ohren herum.
Die in Massen importierten chinesischen Modelle umfaßten den Kopf vollständig mit dem Gummi, sie benötigten keine Riemen, indes hörte man mit diesen schlechter, da die Ohren bedeckt wurden. Durch den vollständigen Einschluß des Kopfes spannte das Gummi viel stärker auf das Gesicht, vor allem auf die Wangen, als bei dem deutschen Teil. Elegant hatte Martina ihr langes, schwarzgewelltes Haar aus den Riemen herausgezogen, so daß diese nicht mehr sichtbar waren, ein bizarrer Anblick, der Gangolf sofort stimulierte.
Gangolf lebte abstinent, nicht, was seinen Alkoholkonsum anbetraf, auch nicht, was sein lustvolles Dasein ausmachte, dem er genußvoll frönte, aber bei den Frauen war er sehr zurückhaltend. 'Genau in diesem Zimmer war es das letzte Mal', kam es ihm in anheimelnder Erinnerung in den Sinn, 'genau in diesem Bettsofa'. Kurz überfielen ihn Bedenken, ob es richtig wäre, es hier zu treiben, quasi in Magdas Ruhestatt, während diese ihr letzte Ruhestätte in der Tiefe des Brunnens gefunden hatte.
Martina ließ ihm praktisch keine Wahl, wortlos entblößte sie sich vor ihm und legte sich darnieder, in ihrem Gesichtsausdruck lag eine stille, nicht zu widerstehende Aufforderung. Sie dachte gleichfalls an das letzte Mal, es war ebenfalls in diesem Zimmer, als sie zusammen mit Bettina in die Opferrolle schlüpfte und sich von den beiden Kerlen nehmen ließ, die den Simulationssender zur Neutralisierung von Magdas Fußfessel-Signalen aufbauten.
Martina war eine ausgesprochene Schönheit, das mußte Gangolf rundherum zugeben. Er betrachtete ihren großen muskulösen Körper, der entblößt vor ihm stand. Das Haar suchte zum Teil seinen Weg vor den Schultern, zu einem anderen dahinter, ihre Busen waren groß, hingen aber nicht schlaff herunter, die Taille verhältnismäßig schmal, das Becken breit, allein der Anblick brachte Gangolf in Wallung. Er vergaß darüber alles Ungemach, Magda und Inge, seine Begierde steigerte sich von einer Sekunde zur nächsten.
Martina tänzelte auf das Bett zu, setze ihren Fuß darauf, stemmte ihren rechten Arm auf den abgewinkelten Oberschenkel und forderte Gangolf mit verführerischem Lächeln auf:
- „Willst du nicht endlich zeigen, daß du ein richtiger Mann bist?“
Während Gangolf sich seiner Kleider entledigte, legte sich Martina auf das Bett, streckte sich und zog ihre Arme durch die Sprossen, welche sich hinter ihrem Kopf quer über die Breite des Sofas erstreckten. Durch die Streckung verschwand ihre ohnehin nur minimale Bauchwölbung vollends, vor Gangolf lag das Idealbild einer Frau, dem sich kein Mann entziehen konnte.
Gangolf rammte stark, Martina gelang es nur mit Mühen, nicht das Gesicht vor Schmerzen zu verziehen, sie beschloß, sich gnadenlos zu rächen.
'Du hast zum letzten Mal in deinem beschissenen Leben gevögelt', schwor sie sich, 'und du wirst diese verdammte Hütte hier nicht mehr verlassen!'
Mit dieser Gewißheit ließ Martina Gangolf freien Lauf, seine Lust an ihr auszuleben, und sie mußte sich eingestehen, daß er es gut machte, und sie mußte aufpassen, daß sie nicht doch noch ein gewisses Maß an Zuneigung für ihn entwickelte, was freilich ihren Plan schnöd durchkreuzt hätte.
---
Martina freute sich, daß sie den Schlüssel für das Schiebetor vor Gangolfs Scheune an dessen Schlüsselbund fand, sie schob das Tor auf und fand nach kurzem Suchen Schaufel und Vorschlaghammer; mit diesem Werkzeug bewaffnet schritt sie über den Hof zu dem Brunnen, in welchem sie vor kaum zwei Stunden Magda gefunden hatte. Sie schob den Deckel beiseite und blickte nochmals hinab.
- „Oh Magda, du treue Seele, da unten hast du deine letzte Ruhestätte gefunden, du hast es mir richtig leicht gemacht, daß du da mit Gangolfs Handschellen in den Brunnen gesprungen bist, du hast unser beider Geheimnis mitgenommen in dein Grab, das du dir hier selber gegraben hast.“
Martina griff nochmals zu einer der beiden Stangen, die Magda zu einer provisorischen Leiter zusammengenagelt hatte, und stieß auf Magdas neoprenumhüllten Leib. Magdas Kopf rutschte zur Seite, nochmals drückte Martina auf deren Schulter, bis der Oberkörper eine leichte Drehung vollzog. Magdas Gesicht kam auf diese Weise nach oben, ein letztes Mal blickte die Herrin auf ihre Sklavin herab und flüsterte dieser zum ersten Mal das für sie bislang unaussprechliche Wörtchen zu:
„Danke!“
|
|
Stamm-Gast
Erlangen
Warum nur wollen immer alle frei sein!
Beiträge: 200
Geschlecht: User ist offline
|
RE: DER SCHREI AUS DEM BRUNNEN Ein erotischer Kriminalroman zu Zeiten des Condomaviruses
|
Datum:14.07.23 21:11 IP: gespeichert
|
|
114
Martina blickte besorgt auf den Himmel, der sich wie am Vortag rasch mit dunklen Wolken bezog.
- „Verdammt, es wird doch jetzt nicht regnen“, fluchte sie und setzte die Schaufel an den Rand des obersten Brunnenrings an. Nach kurzer Zeit hatte sie eine ringförmige Rinne gegraben, so daß der oberste Brunnenring nun frei zugänglich lag.
Mit ihren kräftigen Händen ergriff Martina den Vorschlaghammer und schlug nach Kräften auf den Betonring ein, bis dieser schließlich mit einem lauten Knacken an mehreren Stellen Risse bekam, einige kleinere Segmente brachen ab, fielen indes nicht in den Schacht, sondern kippten nach außen in die aufgegrabene Rinne.
'Jetzt bloß nicht sentimental werden', nahm sich Martina vor, ging dennoch in die Hocke und griff nach einen der herausgebrochenen Betonbrocken. Sie blickte nochmals in den Schacht hinab; nachdem es durch die aufgezogenen Wolkenformationen mittlerweile deutlich finsterer geworden war, bildete Magdas helles Gesicht auf dem Grund des Brunnenschachts einen bizarren Kontrast zu der Dunkelheit in der Tiefe. Ihr Mund war nur zu einem schmalen Spalt geöffnet, denn der vollständig geschlossene Reißverschluß der Neoprenjacke stützte das Kinn mit der breiten Halsmanschette und der angearbeiteten Kapuze ab, so daß Magdas Unterkiefer nicht absackte.
Dagegen waren Magdas Augen weit geöffnet; Martina wußte aufgrund ihrer medizinischen Ausbildung, daß Menschen, die im Todeszeitpunkt die Augen offen hatten, auch nach dem Tod diese offen hielten. Martina durchzuckte beim Anblick dieses lieblichen, friedeausströmenden Gesichtes ein Schauder, sie schüttelte sich kurz und rief in den Schacht hinunter:
- „Magda, es muß sein“.
Mit diesen Worten hob Martina den Betonbrocken über den Schacht und ließ diesen fallen. Sie vernahm kein lautes Platschen, auch sonst kein Geräusch, der dicke Neoprenstoff federte den Aufprall ab und ließ diesen sanft in das Brunnenwasser rutschen. Martina blickte nicht mehr hinunter, sie erhob sich und griff wieder nach dem langen Stiel des Vorschlaghammers, um die restlichen Teile des zertrümmerten Betronrings in die Tiefe zu stoßen. Der Vorgang ging ziemlich geräuschlos vor sich, denn auch die auf den ersten Brocken folgenden wurden durch Magdas Körper abgebremst; diese leistete dadurch ihrer Herrin einen letzten Dienst, auch wenn Martina sich dessen in dem Augenblick nicht bewußt war.
Als Martina sämtliche Überbleibsel des Betonrings in den Schacht verschwinden lassen hatte, drehte sie sich um, die Schaufel zu ergreifen. Dabei gewahrte sie durch das Gezweige Kinder, die von ihren Fahrrädern abgestiegen waren und interessiert ihr Tun beobachtet hatten. Da das Hinunterplumpsen der Betonbrocken kein lautes Geräusch verursacht hatte, kamen Max und Peter nicht auf die Idee, daß Martina mit dem Hammer den Brunnenring zerstört hätte, sie wunderten sich nur über die Schläge, welche vom Brunnen her ertönten.
Die einsetzende Dämmerung verwehrte den beiden Buben eine genauere Beobachtung; da zudem neben der Dämmerung der Regen einsetzte, beschlossen sie, wieder nach Hause zu radeln. Eigentlich wollten sie nochmals am Brunnen lauschen, ob sie wieder das seltsame Stöhnen gehört hätten, doch wollten sie nicht dort hingehen, solange da jemand zugange war.
Beim Zurückradeln diskutierten Peter und Max über das Gesehene, sie kamen überein, daß durch die Anwesenheit und das Arbeiten der Person an dem Brunnen mit diesem anscheinend alles seine Richtigkeit hatte und keine fremden Mächte am Werk waren, offenbar steckte auch kein Wesen in dem Brunnen, das die stöhnenden Geräusche von sich gab. Was den Schrei anbetraf, mußten sie Peters Vater recht geben, daß es sich wahrscheinlich doch um ein Tier handelte, das diesen verursacht hatte.
Martina war mittlerweile über den einsetzenden Regen froh, zum einen vertrieb er die beiden neugierigen Kinder, zum anderen brachte er Abkühlung, denn sie schaufelte jetzt in hohem Tempo den Aushub in den Schacht, der neben dem Brunnen aufgehäuft lag. Darüber hinaus hoffte sie, daß der Regen verräterische Spuren tilgte, wenn eines Tages die polizeilichen Schnüffler mit Spürhunden aufkreuzen würden. Als sie den Aushub restlos in den Schacht geschaufelt und damit Magda in drei Meter Tiefe ein feuchtes Grab bereitet hatte, wunderte sie sich, daß nichts mehr von der Erde übrig geblieben war.
Sie überlegte sich, daß eigentlich das Volumen von Magdas Körper und das der Schachtringe als Aushubvolumen zurückbleiben müßte. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß die aus der Tiefe herausgeholte Erde an der Oberfläche austrocknete und damit zusammensackte, machte sich indes darüber keine weiteren Gedanken.
Zufrieden betrachtete Martina das vollbrachte Werk, sie glättete die Erde, so daß der verfüllte Brunnenschacht nicht mehr zu sehen war. Nachdenklich stütze sie sich auf dem Schaufelstiel ab, sie atmete schwer, vielfach war sie im Kaiserswuselhausener Krankenhaus dabei, gestorbene Patienten aus den Zimmern herauszuholen, doch nun hatte sie erstmals eine Leiche begraben.
Erst jetzt spürte Martina die Schwielen an ihren Fingern, die aufgebrochen waren; das Arbeiten mit der Schaufel waren ihre zarten Hände nicht gewohnt. Als sie wieder zu Kräften gekommen war, kam ihr das Gerümpel in den Sinn, das Gangolf aus der Scheune auf den Hof geworfen hatte.
- „Das trifft sich ja prima!“, rief sie erfreut aus, reinigte Schaufel und Vorschlaghammer, trug die Gerätschaften in die Scheune zurück und wandte sich dem Haufen zu. Auf das Absperren des Scheunentors verzichtete sie, sie wollte jetzt möglichst bald fertig werden.
Emsig schleppte Martina die alten Sachen zu Magdas Grabstelle und türmte darüber das Gerümpel auf.
- „So“, sprach Martina, „das Zeugs kann jetzt hier gut anwachsen bei dem Regen, niemand wird auf die Idee kommen, daß hier jemand darunter in einem zugeschütteten Brunnenschacht begraben liegt.“
Zynisch fuhr sie fort:
- „Einen Grabstein kann ich dir nicht geben, was sollte auch schon darauf stehen, etwa Marlies Armdran, genannt Magda, die totale Sklavin hat hier ein gebührendes Grab erhalten, selbst als Leiche ist sie noch mit Handschellen gefesselt.“
- - -
Im ersten Moment begriff er nicht, wo er sich befand. Es war stockfinster. Nach einer Weile des regungslosen Geradeausschauens versuchte er sich, herumzuwälzen, doch ging das irgendwie nicht. Er versuchte, seine Hände zu bewegen, seine Füße, aber auch die verharrten in ihrer Position. 'Was ist das nur?', fragte er sich und hob seinen Kopf an. Das ging.
Gangolf ließ seinen Kopf in die Horizontale zurückplumpsen, er konnte in der totalen Finsternis ohnehin nichts erspähen, immerhin kehrte allmählich seine Erinnerung zurück. Er erinnerte sich an einen guten Sex, mit Martina, mit dieser bildhübschen starken Frau, wie diese hingebungsvoll unter ihm lag, wie er oben auf war, wie er sich an ihr erging, wie er sich befriedigte. Martina, diese Sadistin, die sonst immer alles bestimmte, nach deren Pfeife alle tanzten, die Magda sadistisch quälte, er hatte Martina bezwungen.
Doch was war dann mit ihm geschehen? Das Gedächtnis spielte ihm einen Streich. Gangolf spannte seine Muskeln an zu einem erneuten Versuch, sich irgendwie zu bewegen. Es blieb bei wenigen Zentimetern, die er sich mit den Händen und Füßen rühren konnte.
- „Verdammt, was ist denn das“, fluchte er und erst bei diesem Aufschrei wurde es ihm bewußt, daß er irgendwie an das Bett gefesselt war. Die absolute Dunkelheit förderte das Aufkeimen einer Panikattacke, nach einigen Sekunden zog und zerrte er mit den Arm- und Beinmuskeln, er spannte die Schultern an, es half indes nichts, als einzigen Effekt spürte er seinen rasenden Herzschlag.
- „Jetzt nur nicht durchdrehen“, sagte er sich, doch das war leichter gesagt als getan. Gangolf zwang sich zu einer ruhigen Atmung, bewußt atmete er ein, hielt den Atem eine Weile an, atmete aus, ließ einige Sekunden verstreichen, bis er erneut Luft holte. Tatsächlich gelang es ihm auf diese Weise, sich einigermaßen zu beruhigen. Er begann wieder nachzudenken. Soviel hatte er mittlerweile begriffen: Er spürte das Eisen von Kettengliedern auf seiner Haut, an den Hand- und Fußgelenken, über den Oberschenkeln, über Bauch und Brustkorb.
Dann fiel ihm wieder ein, daß er nach dem Akt das Bett verlassen wollte, doch Martina hielt ihn zurück, sie rückte zur Seite und zog ihn neben ihr hinunter, wo er, an sie gekuschelt, in eine wohlige Müdigkeit verfiel. Plötzlich hatte er einen kurzen Stich in seiner Schulter verspürt, und er erinnerte sich an Martinas Worte:
- „Das wird dich beruhigen“. Er hatte das vollkommen überflüssig gehalten, da er ohnehin äußerst schläfrig darnieder lag; erst jetzt wurde ihm bewußt, daß sie ihm eine Spritze verabreicht hatte, die ihn in einen tiefen Schlaf versetzt hatte.
- „Dieses gemeine Weibsstück“, empörte sich Gangolf und hatte alle Not, eine erneut aufflammende Panik zu unterdrücken. Es war vor allem seine Blase, die sich immer deutlicher spürbar machte und nach Entleerung lechzte. Auf der anderen Seite lechzte auch sein Mund, einfach nur Wasser, wünschte sich Gangolf, nichts weiter. Er ertappte sich, bescheiden zu werden. Nach einer Weile wunderte er sich über sich selber.
- „Wie komme ich auf Wasser?“ Er dachte an seine Bier- und Weißweinvorräte, die ihm ein mehrwöchiges Überleben selbst bei strengsten Quarantänemaßnahmen verschaffen würden. Aber Wasser? Er dachte nicht, daß er sich an diese Flüssigkeit gewöhnen werden müßte, Wasser, so etwas albern-primitives, er schüttelte den Gedanken rasch wieder ab.
'Bin ich wahnsinnig geworden?', kam es ihm nach einer Weile in den Sinn, und Gangolf strengte sich wieder an, nachzudenken. Er kam auf keine andere Lösung. Es mußte so gewesen sein, daß Martina ihn mit der Spritze ruhiggestellt und ihn anschließend mit den Ketten bewegungsunfähig an das Bett gefesselt hatte.
-„Du verfluchte Hure“, schrie er, „ich werde auspacken, alles, du bist schuld daran, daß die Magda so enden mußte, du hast sie in den Selbstmord getrieben mit deinen sadistischen Quälereien, mich kriegst du nicht, da mach' ich nicht mit.“
Das Hinausschreien seine Ohnmacht half Gangolf, sich mit seiner augenblicklichen Lage in gewisser Weise abzufinden. Er mußte sich eingestehen, daß er genau genommen überhaupt keine Beweise hatte, die Martinas Taten an Magda belegten. Er mußte sich darüber hinaus eingestehen, daß er erst einmal aus der prekären Lage herauskommen müßte, ehe er darüber hinausgehende Pläne schmieden konnte.
Was Gangolf auch in seiner nun eingetretenen völligen Niederlage nie denken konnte, daß er am Vortag zum letzten Mal für viele Jahre den See betrachtet hatte, als er am Ufer lag, der Natur all seine Sinne zur Verfügung stellte, den leichten Modergeruch des Schilfgürtels einsaugend, das Zwitschern der Vögel lauschend, den Wind auf seiner Gesichtshaut spürend, die eindrucksvollen Wolkenformationen am Horizont betrachtend und diese im Geiste zu phantasievoller Überhöhung steigerte.
Blind und bewegungsunfähig lag er angekettet in dem Bett, in welchem er noch vor wenigen Minuten, oder waren es Stunden, gar Tage, den schönsten Orgasmus seines Lebens genossen hatte. Nie gab es für ihn stärkere Gegensätze in kürzester Zeit, Licht und Finsternis, Lust und Qual.
Nie hätte sich Gangolf vorstellen können, daß die Aufregungen der letzten Zeit sich nochmals dermaßen kräftig steigern würden; die Erlebnisse auf der Rückfahrt von Italien waren nichts weiter als ein kleiner Vorgeschmack auf das, was ihm darnach widerfahren würde, es lief auf eine ständige Steigerung hinaus, der Polizeigewahrsam wegen angeblichen Diebstahls in dem Keller von Martina und Bettinas Wohnung, wo er Magda suchte, dann der Gefängnisaufenthalt wegen des Vergewaltigungsvorwurfs gegen Inge, das Verschwinden und der Tot von Magda, und jetzt die totale Stille, die undurchdringliche Finsternis, die vollkommene Bewegungsunfähigkeit.
Gangolf sinnierte. Es blieb ihn nichts anderes mehr, außer daß er mit sich haderte, ob er seiner Blase Befreiung schenken, es einfach laufen lassen sollte.
- „Immerhin ist jetzt der Höhepunkt der Unannehmlichkeiten erreicht“, sagte er sich und verspürte in dieser Überzeugung einen gewissen Trost.
Und wieder hatte er sich getäuscht.
|
|
Stamm-Gast
Erlangen
Warum nur wollen immer alle frei sein!
Beiträge: 200
Geschlecht: User ist offline
|
RE: DER SCHREI AUS DEM BRUNNEN Ein erotischer Kriminalroman zu Zeiten des Condomaviruses
|
Datum:21.07.23 20:02 IP: gespeichert
|
|
115
Anscheinend war er trotz seiner leicht schmerzenden Fesselung in der absoluten Stille und Dunkelheit eingedöst, denn als Gangolf Geräusche an der Tür wahrnahm, erschrak er so sehr, daß er das im Herzen spürte. ‚Wenn das so weiter geht, werde ich einen Infarkt erleiden’, malte er sich aus und wendete seinen Kopf in die Richtung der Geräuschquelle. Zu seiner Verwunderung blieb es jedoch dunkel, er vernahm das Schließen der Tür und das Näherkommen von Schritten. Gerade als er seine Empörung herausschreien wollte, vor allem, daß er dringend seine Notdurft verrichten müßte, nahm er einen starken Schweißgeruch wahr.
‚Das kann nicht die Martina sein’, durchfuhr es Gangolf, ‚nein, die war immer sehr gepflegt, ihr Haar strömte einen zarten Duft aus, nie war sie verschwitzt.’
Gangolf wurde unsicher, er bereute seine vorschnelle Verurteilung; vielleicht befand er sich ganz wo anders, kam es ihm in den Sinn, ‚vielleicht hält mich ja gar nicht die Martina hier gefangen, vielleicht bin ich ja bei einem schmierigen Typen, der mich brutal mit den Ketten gefesselt hat, ich werde es wohl gleich erfahren.’
Gangolf erfuhr nichts. Die Person, welche es auch immer sein mochte, tastete sich in kurzen Schritten an das Bett heran, Gangolf bemerkte das an dem stärker werdenden Schweißgeruch. Normalerweise war er unempfindlich gegenüber Gerüchen, in der angespannten Situation reagierten die ihm verbliebenen Sinnesorgane Nase und Ohren besonders sensibel. Der Unterschenkel der fremden Person stieß an das Polster, Gangolf spürte tastende Hände auf seinem Körper. So schwach auch die Berührung war, brachte sie Gangolf in Bedrängnis, da er ohnehin schon die liebe Not hatte, seinen Drang nach Entleerung zu bändigen.
- „Ich muß auf’s Klo!“, rief Gangolf in die Finsternis. Die tastenden Hände wurden von seinem Bauch weggenommen, und eine verzerrter Stimme forderte ihn leise auf:
- „Mach’ doch in die Windel!“
Gangolf war sprachlos, er mußte das Gehörte erst einmal verdauen, bis er begriff, was die Aufforderung bedeutete. Vorsichtig betastete er mit den Händen seinen Unterleib, erst jetzt fühlte er das Plastikteil, mit welchem sein Glied verhüllt worden war. ‚Was ist denn das’, empörte er sich, ‚eine Windel?’
Noch bevor er Überlegungen anstellen konnte, ob er es tatsächlich wagen sollte, in dieselbe hineinzumachen, spürte er wieder die tastenden Hände seines Gegenübers. ‚Was fummelt der in meinem Gesicht herum, jetzt an den Ohren?’, empörte er sich weiter, doch wollte er erst einmal abwarten, was geschehen würde und fragte nicht.
Plötzlich verspürte er einen Ohrstopfen in seinem linken Ohr, kurz darauf auch in seinem rechten. Jetzt konnte er sich nicht mehr zurückhalten, er richtete sich auf, soweit die über seine Brust gespannte Kette es zuließ, und rief:
- „Hey, was soll das, mach’ mich endlich frei, schalt’ das Licht ein."
Anstatt eine Antwort zu erhalten spürte Gangolf, wie ihm ein Sack über den Kopf gestülpt wurde. Er schüttelte seinen Kopf hin und her, schleuderte ihn zurück auf die Matratze, doch es half nichts, sein Gegenüber war eindeutig in der stärkeren Position, unbeirrt zerrte dieser den gummiartigen Stoff immer weiter über das Gesicht. Als schließlich auch sein Mund bedeckt worden war, rang Gangolf nach Luft, und er entschied sich, erst einmal still zu halten, denn er erkannte, daß sein Widersacher sich durch keine Gegenwehr von dem Vorhaben aufhalten würde.
Nach einigen weiteren Sekunden des Ziehens und Zerrens war sein Mund wieder frei, sein restliches Gesicht einschließlich der Ohren waren indes weiter mit dem drückenden Gummi bedeckt. Gangolf spürte, wie sich Fingerkuppen über seine Lippen bewegten, anschließend schoben sich schwielige Finger an seinem Hals entlang, er bemerkte eindeutig aufgeplatzte Blasen an den Fingerinnenseiten.
‚Das kann nicht die Martina sein’, schoß es ihm durch den Sinn, ‚auch wenn die verstellte Stimme eine Frauenstimme war, die mich zum Pieseln in die Windel aufgefordert hat.’ Gangolf roch den Schweiß nicht mehr, seine Nase war vollkommen von dem seltsamen Stoff umhüllt, welcher sich stramm um diese spannte, ebenso wie über die Augenbrauen und die Ohren.
Nachdem niemand mehr an dem Gummisack herumzerrte, der über seinen Kopf gezurrt worden war, waren seine Nerven auf das äußerste gespannt, was als nächstes erfolgen würde. Zunächst erfolgte nichts, zumindest nichts, was er wahrnehmen hätte können. Seine unter der dicken Gummischicht verborgenen Augen konnten nicht erkennen, daß das Licht angeschaltet wurde. Plötzlich knisterte es in seinen Ohren, Gangolf hob erschrocken den Kopf. Gleich nach dem knackenden Laut drang eine künstliche Stimme an seine Ohren, eine Computerstimme, wie aus dem Weltall:
- „Na, wie geht es dir, Skave?“
Irritiert bewegte Gangolf seinen Kopf hin und her; ‚woher kommt diese Stimme?’, überlegte er fieberhaft, ‚so hell und klar, direkt im Ohr, und doch wieder fern wie aus dem All!’ Nach kurzem Nachdenken wußte er bescheid: Es waren keine Ohrenstöpsel, die ihm in den Gehörgang gesteckt worden waren, sondern Ohrhörer, und jetzt spürte er auch die dünnen Drähte, die sich unter der Kopfhaube an seinen Nacken schmiegten.
Seine Irritation steigerte sich, als Gangolf einen immer stärker werdenden Druck auf seinen gesamten Kopf verspürte. Kaum hatte er diese Tatsache für’s erste akzeptiert, kam neues Ungemach auf ihn zu: Gnadenlos bohrte sich ein Gummibolzen in seinen Mund, Gangolf schnaufte und würgte, es half alles nichts, er konnte zwar seinen Unterkiefer etwas bewegen, doch blieb ihm nichts anderes übrig, als mit der Zunge das abartige Gummiteil zu befühlen und mit den Zähnen darauf herumzubeißen. Er gab das Beißen schnell auf, denn er spürte, wie diese Bewegung einen Würgereiz hervorrief, den er nur mit Mühen zurückhalten konnte.
‚Ein Knebel’, dachte sich Gangolf mit Entsetzen, ‚o nein, auch nicht das noch!’ Ab jetzt war es vorbei mit dem Sprechen und damit wurde ihm die Möglichkeit genommen, sich verbal zu empören. Alle seine Sinne waren jetzt außer Gefecht gesetzt, einzig sein Gehör stand ihm noch in gewisser Weise zur Verfügung, doch stand dieses unter der absoluten Kontrolle der Weltraumstimme.
Nochmals stieg der Druck auf seinen Kopf an, Gangolf vermeinte, ein blasendes Geräusch wahrzunehmen, doch er traute seinen eigenen Sinnen nicht mehr, er fühlte, wie er kurz davor stand, den Verstand zu verlieren. Anschließend vermeinte er zu fühlen, wie sich das Knebelinnenteil vergrößerte. ‚Das kann doch nicht sein’, durchfuhr es ihn, ‚ich glaub’, ich spinn’.
Gangolf wünschte sich nichts sehnlicher, als aus dem schrecklichen Traum zu erwachen. Doch kein Schrei ertönte, der ihn von dem Alp erlösten könnte. Nun war er unfähig gemacht, seinen Unterkiefer zu bewegen, fortwährend sah er sich gezwungen, den mächtigen Speichellauf herunterzuschlucken. Die Computerstimme ertönte und verhöhnte ihn:
- „Schön machst du das, Sklave.“
‚Als ob ich da `was zu machen hätte’, empörte sich Gangolf innerlich. Er wußte immer noch nicht, wer sein Meister war, plötzlich wuchs in seiner Vorstellung ein Strohhalm, an den er sich klammern wollte, er hoffte inständig darauf, daß Martina in suchen würde, so wie diese Magda gesucht und sogleich gefunden hatte, in dem Brunnen, in deren so geliebten Brunnen, den sie nur wenige Tage zuvor gegraben hatte, bis sie darin den Freitod suchte.
Der Gedanke an Magda ließ Gangolf seine äußerst mißliche Lage vergessen, aber auch der Gedanke an Martina, die sich in Gangolfs Vorstellung zu einem Gutmenschen entwickelt hatte. Sie wird diesen miesen stinkenden Tyrannen überwältigen, sie wird die Polizei rufen, Brause würde ihn finden.
Die Hoffnung auf Martinas Erscheinen, auf ihr Eingreifen, stärkte Gangolf, und es gelang ihm, sich erst einmal zu beruhigen und immer gleichmäßiger durch den Knebel ein- und auszuatmen.
‚Da muß wohl so ein Röhrchen eingearbeitet sein’, überlegte er sich, ‚wie bekäme ich sonst Luft.’
Gangolf begann, mit den Händen an dem Kunststoffüberzug der Windel herumzufingern; er drückte dazu die Handgelenke nach unten, soweit es die Ketten zuließen. Der Schließmuskel war mittlerweile hart geworden, der Drang, die Blase zu entleeren, ebbte etwas ab. Sein Peiniger bemerkte indes die Bewegung seiner Finger, er versetzte ihnen mit einem harten Gegenstand einen schmerzhaften Schlag.
- „Au“, grunzte Gangolf in den Knebel, zog die Finger zurück und formte sie zur Faust; ein großer Fehler, wie er sogleich feststellen mußte.
Noch gebannt und dem Einfluß des überraschend niedergegangenen Schlages konnte er nicht recht verstehen, was geschah. Er fühlte plötzlich seine zur Faust verkrampften Finger in einen Art Sack gesteckt; bei dem Versuch, die Finger wieder auszustrecken, mißlang ihm dieses Vorhaben.
Erst jetzt begriff Gangolf, daß seine zur Faust geformten Hände offenbar in einem speziellen kugelförmig geschnittenen Beutel gesteckt worden waren, der Saum wurde mit einem Riemen zugezogen, welcher nun neben der Kette das Handgelenk umspann.
‚Herrgott, was wird denn noch alles kommen’, fluchte er verzweifelt, ‚hoffentlich schlägt er mich nicht nochmal auf die Finger, ich brauch’ meine Hände heil, ich möcht’, sobald das hier vorbei ist, Klavierspielen, Orgelspielen, es reicht, Herr, schick’ mir deinen Engel, schick’ mir die Martina, errette mich!’
Dann kam Gangolf das Stufengebet der vorkonziliaren Messe in den Sinn, das wechselweise von Priester und Ministrant auf den Altarstufen gesprochene Eingangsgebet:
- „Quia tu es, Deus, fortitudo mea; quare me repulisti, et quare tristis incedo, dum affligit me inimicus?“
Was noch alles kommen würde, erfuhr Gangolf sogleich: Ein Riemen, ein Seil oder vielleicht auch eine Kette drückte trotz des Gummis spürbar in seine Nasenwurzel ein, prompt konnte er unmittelbar darauf seinen Kopf nicht mehr bewegen, dieser wurde tief in die Matratze eingedrückt, so daß der Hals gestreckt und das Kinn herausgedrückt wurde, im Verein mit dem dicken Knebel eine furchtbare Schikane.
Gangolf fiel das Schlucken noch schwerer also zuvor, er mußte sich richtiggehend darauf konzentrieren; unbarmherzig sammelte sich der Speichel, ständig nötigte ihn der Reiz zum Schlucken.
Unbewußt bewegte Gangolf seine Zehen, es waren die letzten Muskeln, die er noch bewegen konnte; er vollzog kleine Halbkreise mit den Füßen, soweit es die Ketten an den Knöcheln zuließen. Unvermittelt sauste der Schlag auf den Rist hernieder, genau gezielt, offenbar mit dem gleichen harten Gegenstand, der zuvor auf Gangolfs Hände einschlug, zuerst auf den jenen des linken, dann auf den des rechten Fußes.
Gangolf durchzuckte ein unsäglicher Schmerz, er schluckte und würgte, er spürte die Tränen in seinen Augen.
- „Hör’ auf mit dem Gezappel“, ertönte die unmenschliche Stimme aus dem Weltall. Gangolf versuchte, dem Befehl folge zu leiste, was unter dem Einfluß der Schmerzreflexe nicht einfach war.
Nach einem kurzen Augenblick der Ruhe verspürte Gangolf, wie ihm über die große Zehe seines rechten Fußes ein Gegenstand gestülpt wurde; er nahm an, daß es sich um einen Ring handelte. Neugierig, was das bedeutete, spannte Gangolf den Fußknochen an, so daß die Zehen senkrecht nach oben zeigten.
- „Also, geht doch“, ließ sich die außerirdische Stimme vernehmen. Der gleiche ringförmige Gegenstand wurde auch über die große Zehe seines linken Fußes gestülpt. ‚Krieg’ ich jetzt Zehenringe?’, fragte sich Gangolf, ‚wie krank ist denn das, er fesselt mich bewegungsunfähig und dann schmückt er mich mit Zehenringen, einfach irre, dieser Typ.’
Gangolf hatte sich zu früh über seine Schmuckstücke gefreut: Zunächst kaum merklich, doch dann umso mehr verspürte er, wie die Ringe anscheinend immer enger wurden, als ob sie sich zuziehen würden. Ihm kam der Gummisack in den Sinn, in welchem sein Kopf eingepreßt wurde, wie sich jener scheinbar immer weiter zuzog und durch den Druck bewirkte, daß das Gummi sich über alle Teile seines Gesichts eng anschmiegte.
Im Gegensatz zu dem weichen Gummi an seinem Kopf begannen die Teile an Gangolfs Zehen immer schmerzhafter zu drücken, jetzt begriff er, was mit ihm geschah: Schwielige Finger umgriffen seine Zehen, gleichzeitig wurde der Ring immer enger; Gangolf folgerte, daß es sich dabei um Schlauchschellen handelte.
- „Der Typ ist echt wahnsinnig, hör’ auf, hör’ auf“, quakte Gangolf in den Knebel, die Computerstimme quittierte sein Krächzen mit einem höhnischen Gelächter. Ein andauernder Schmerz breitete sich von den Zehen aus und durchströmte Gangolf Körper, ihm war klar, daß die Zehen blutleer wurden, das einzige, was den Schmerz lindern konnte, war der Versuch, die Füße möglichst wenig zu bewegen. Diese Sorge wurde ihm abgenommen:
War es eine Schnur oder ein Draht, Gangolfs Peiniger befestigte diese im normalen Gebrauch so sinnvollen Hilfsmittel an den Schlauchklemmen und spannte die Zehen auf diese Weise schmerzhaft aneinander; lagen bisher die Füße im Abstand von zwei Handbreit nebeneinander, bildeten die großen Zehen den Abschluß eines bogenförmigen Gebildes, das die Füße einzunehmen verpflichtet waren.
Gangolf versuchte sich, ganz gegen besseres Wissens sich Linderung zu schaffen, indem er die bogenförmig zusammengespannten Füße auf- und abbewegte. Sofort setzte es wieder die grausamen Schläge, jetzt nicht nur von oben auf den Rist, sondern auch auf die Sohlen; Gangolf bäumte sich in seinen Ketten, das Sofa unter ihm ächzte, die Matratze konnte kaum den Polsterfedern folgen.
Es waren nur einige Sekunden, doch Gangolf kam es vor, daß die Bastonade minutenlang andauerte, seine ohnehin durch das undurchdringliche Gummi ihrer Aufgaben beraubten Augen tränten unter dem Schmerz, der Würgereiz des Rachens verstärkte den Tränenfluß, es entwickelte sich zu einem Inferno, das Gangolf sich in kühnsten Träumen nie hätte ausmalen können.
Kurz dachte er daran, wie er vom Hausdach von Brauses Tochter abgerutscht und sich das Bein gebrochen hatte; der Wundschmerz war enorm gewesen, doch nach Ruhestellung des Beins und dank der schmerzlindernden Medikamente hatte jener sich aushalten lassen und war nicht vergleichbar mit den Schmerzen, die man ihm jetzt willentlich zuführte.
Wieder rief Gangolf alle Heiligen des Himmels an, wieder zitierte er Davids Psalm:
- „Gott, Du bist meine Stärke. Warum denn willst Du mich verstoßen? Was muß ich traurig gehen, weil mich der Feind bedrängt?“
Zunächst verstand Gangolf nicht, wie es dem Unmenschen, dem Tier da neben ihm gelang, seine blutleeren Zehen nicht nur bogenförmig aneinander zu binden, sondern nun auch noch gleichzeitig in die Höhe zu ziehen. Nach einer Weile fiel ihm ein, daß er über Magdas Bett Haken vorgefunden hatte, über deren Existenz er bereits gerätselt hatte; nun wurde ihm klar, daß es sich wohl auch in diesem Zimmer, in welchem er sich mit dem Sadisten befand, ähnliche Hacken geben mußte, vermittelst derer beliebige Körperteile in mehr oder weniger brutaler Weise in die Höhe gezogen werden konnten.
‚Ob die Martina auch zu solchen sadistischen Handlungen fähig war gegenüber der armen Magda’, überlegte sich Gangolf, und er erinnerte sich daran, wie er einmal furchtbare Schreie bis in den Hof hinunter gehört hatte, als er zu Magdas Haus gefahren war.
Nach einiger Zeit setzte auch unter widrigsten Umständen ein gewisser Gewohnheitseffekt ein, Gangolf begann, sich an die Schmerzimpulse zu gewöhnen, die von seinen blutleer nach oben und seitlich gespannten Zehen wie Nadelstiche den Körper durchzogen. Überrascht bemerkte er, daß es eine Bewegung an seinem Gesicht gab, kurz darauf gelang es ihm, durch die Nase zu atmen. Durch die Überstreckung fiel es Gangolf zwar nicht leicht, durch die Nase Luft zu holen, aber er freute sich der gewonnen Freiheit, so klein sie auch war.
Seine Freude weilte indes nicht lange, er vernahm ein seltsames mahlendes Geräusch, das schnell wieder vorüber war. Das Atmen durch die Nase fiel nun deutlich schwerer, er gab es auf und ging wieder zur Mundatmung über, hoch konzentriert, den Würgereiz im Zaum zu halten.
Eine geraume Zeit tat sich nichts, Gangolf lag weiter steif auf die Matratze gefesselt, unfähig, auch nur die geringste Bewegung zu vollziehen. Plötzlich bekam er durch das Röhrchen in dem Knebel keine Luft mehr. Erschrocken würgte er ein paar Mal, bis ihm einfiel, daß er alternativ durch die Nase atmen könnte. Offenbar war das von seinem Peiniger so beabsichtigt als weitere Erschwernis zu seinem ohnehin überaus unerträglichem Dasein.
Doch was Gangolf nun einatmete, verschlug ihm im wahrsten Sinne des Wortes den Atem: Es roch ekelhaft nach Schweiß, Gangolf empörte sich innerlich, daß der Sadist anscheinend einen Schlauch auf die Gummimaske aufgeschraubt und das Ende unter die Achsel seines verschwitzen Körpers gesteckt hatte.
Gangolf würgte und kotzte, der Schweißgestank war aus seiner Nase verschwunden und das Röhrchen im Knebel gab wieder die Luft zum Atmen frei. Gleichzeitig entleerte sich Gangolfs Blase, der üble Geruch war der Auslöser, das gepeinigte Organ verschaffte sich Erleichterung. Während die Geschichte untern herum damit zu Ende ging, war die Sache oben noch längst nicht ausgestanden, wieder und wieder würgte es Gangolf, da half das freigelegte Knebelröhrchen nicht fiel.
Gangolf blieb nichts übrig, als die Brühe wieder hinunterzuschlucken, der bittere Nachgeschmack sollte ihn noch Stunden später begleiten.
Minutenlang verspürte Gangolf keine weitere Handlungen seines Peinigers, er überlegte, ob dieser den Raum verlassen hätte. Es gelang Gangolf, das Gleichgewicht aus Atmung, Schlucken und Schmerzbewältigung zurückzugewinnen. Plötzlich wurde ihm wieder das Luftholen durch das Röhrchen verwehrt, erneut mußte er die anstrengende Nasenatmung aufnehmen. Nach einer Weile gewahrte er einen seltsamen Geruch, der in seine Nase stieg. Glücklicherweise war er nicht so ekelhaft wie jener zuvor, der den Brechreiz ausgelöst hatte.
‚Sollte das Sperma sein?’, überlegte sich Gangolf, inmitten seiner Überlegung setzte die Luftzufuhr durch den Schlauch aus, und Gangolf tat das einzig richtige: er hielt den Atem an, denn er ahnte, daß er andernfalls seine Lungen unnötig strapazieren würde. Nach einiger Zeit konnte Gangolf seinen Drang nach Atmung nicht mehr bändigen, er schüttelte sich, als ihm trotz gewaltigem Sog in den Lungen die Luftzufuhr verwehrt blieb.
Seinem Peiniger gefiel das Verhalten, die Computerstimme säuselte durch die Ohrhörer:
- „Du bist ja richtig kräftig, zwei Minuten, wow, solange hatte das Magda nicht ausgehalten.“
Sekundenlang atmete Gangolf konzentriert ein und aus, erst darnach rief er sich die Worte in Erinnerung, die ihm die Weltallstimme zuflötete:
- „Solange hatte das Magda nicht ausgehalten.“
Kaum seinen normalen Atemrhythmus wiedergefunden, was man unter den Umständen auch immer als normal bezeichnen konnte, stockte Gangolf erneut der Atem:
‚Was hab’ ich da gehört, Magda? - was wußte der Sadist von Magda?’
|
|
Stamm-Gast
Erlangen
Warum nur wollen immer alle frei sein!
Beiträge: 200
Geschlecht: User ist offline
|
RE: DER SCHREI AUS DEM BRUNNEN Ein erotischer Kriminalroman zu Zeiten des Condomaviruses
|
Datum:28.07.23 21:48 IP: gespeichert
|
|
116
- „Sympathie hin oder her, Olaf, das geht so nicht“, rief Nisselpriem Brause zu, „dieser Stumpf ist immer noch Beschuldigter, der Haftbefehl gegen ihn wurde ausgesetzt, aber nicht aufgehoben. Er hat sich gegen die Meldeauflage, als ist dieser nicht nachgekommen.“
Nisselpriem geriet leicht ins Stottern, als er in Brauses Gesicht blickte, der nichts weiter tat als leicht mit den Kopf zu schütteln.
- „Ja, ich ruf' ihn an“, entgegnete Brause trocken.
- „Nein“, widersprach ihm sein Chef, „du fährst dort hinaus zu ihm und geigst ihm gehörig die Meinung, daß es so nicht geht, sonst kannst du ihn gleich wieder nach Wuselhausen fahren.“
- „Deine Meinung“, korrigierte Brause seinen Chef, „aber klar, ich fahr' los.“
- „Und nimm' dir die Mauser mit, die soll sich dann `mal ernsthaft mit dieser, wie heißt sie gleich noch `mal?“
- „Armdran“, half ihm Brause nach.
- „Ja, diese Armdran, also die soll sich gleich `mal dort mir der unterhalten, was da mit der elektronischen Fußfessel los ist, die seit Tagen kein Funksignal mehr an die GÜL sendet.“
'Mann, ist der heute schlecht d'rauf', resumierte Brause, 'der bringt ja keinen ganzen Satz mehr heraus. Er rief seine Kollegin an, die wenige Minuten später in sein Büro kam. Brause schnappte sich seine Dienstmütze und verließ mit Mauser das Zimmer.
- „Hast du denn auch deine Maske mit?“, fragte Mauser ihren Kollegen.
- „Ach, stimmt, diese blöden Masken, danke, daß du mich erinnerst.“
Mißmutig kehrte Brause in sein Büro zurück und öffnete den kleinen Schrank, in welchem er am Morgen seine Gasmaske gelegt hatte. Mauser hatte derweil ihre Maske aufgesetzt, sie strich sich einzelne Haarsträhnen aus dem Gesicht, die sich in die Maske geklemmt hatten. Brause marschierte den Flur entlang, ohne seine Maske aufzusetzen. Mauser bedachte ihn mit einem schrägen Blick, den Brause indes unter ihrer Maske nicht ausmachen konnte. Sie zog und zerrte immer noch an ihren Haaren, mit beiden Händen war sie beschäftigt, herumzufummeln; die Augengläser wurden dabei beschlagen. Schließlich riß sie zornig das Gummi von ihrem schönen Gesichtchen.
- „So ein Mist auch immer mit den Dingern“, schimpfte sie und machte es ihrem alten Kollegen gleich, indem sie die Maske in der Hand hielt, ohne einen erneuten Versuch zu starten, sie aufzusetzen.
- „Wahrscheinlich wollen die, daß wir uns Glatzen schneiden lassen“, brummelte sie und hielt Brause die Tür nach draußen auf. Als sie das Polizeigebäude verlassen hatten, wandte sich Brause nach rechts. Mauser rief:
- „Wo willst du denn hin, da steh'n doch die Streifenwagen!“
- „Ach, ich fahr' lieber mit mehm' Privatwagen, da brauchen wir dann nicht mit den blöden Masken herummachen!“, entgegnete Brause.
- „Na, wenn du meinst“, schloß sich Mauser an und folgte ihn zum Bahnübergang Richtung Großparkplatz.
An der Ausfallstraße nach Norden stand der Kontrollposten, der bereits am Tag zuvor Martina mehrfach angehalten hatte.
- „Ach Brause, du bist`s, fahr' weiter, aber laß' dich nicht erwischen ohne Gemaske!“, lachte der junge Polizeikollege.
- „Siehs`te, im Streifenwagen hätten wir jetzt die ganze Zeit das blöde Ding da aufhaben müssen, die beiden Kerl da draußen beneid' ich nicht, die den ganzen Tag da mit ihren Gummitüten da im Gesicht stehen müssen.“
- „Da hast du recht, Olaf“, pflichtete Mauser ihm bei, „aber jetzt `mal was anderes, bist du immer noch von Stumpfs Unschuld überzeugt?“
- „Ja, der haut doch nicht einfach so ab, entweder ist er wieder mit seinem Kanuboot da unterwegs, wahrscheinlich, das nehm' ich an, hoffentlich ist er nicht gekentert und liegt irgendwo halb ertrunken im Wasser.“
- „Oder was?“, wollte Mauser wissen.
- „Ja was sonst?“, fragte Brause zurück.
- „Na, du hast entweder gesagt, und wer entweder sagt, muß auch oder sagen.“
- „Ach, Katrin, ja oder ist einfach da, sitzt zu Hause herum und hat die doofe Melderei einfach vergessen; ich wollte ihn ja einfach anrufen, was los ist, aber unser Chef wollte, daß wir gleich hinfahren. Was ist denn deine Meinung?“
- „Hm, ich weiß nicht, ist schon irgendwie alles sehr seltsam, mit ihm und mit seinem Umfeld. Also ich glaub' auch, daß diese Langohr das nur vorgegeben hat mit der Vergewaltigung, wahrscheinlich gab's einvernehmlichen Sex da draußen auf der einsamen Insel, ist doch so romantisch, die Langohr leiht sich von dem Stumpf ein Boot aus, sie rudert zur Insel, Stumpf folgt ihr nach, und los geht’s“
- „Und warum hat sie ihn dann angezeigt?“, wollte Brause wissen.
- „Keine Ahnung, vielleicht kam es danach zu einem Streit, vielleicht wegen der seltsamen Kiste, wo doch da angeblich viel Geld lag, und da war der Vergewaltigungsvorwurf ein Racheakt.“
- „Ja, so kann es gewesen sein“, stimmt Brause zu.
- „Aber was mich noch viel mehr irritiert ist diese Magda, du kennst sie ja wohl schon länger.“
- „Ja, da hast du recht, ein ganz tragischer Fall: Vater unbekannt, Mutter stirbt bei der Geburt, aufgewachsen in einem Berliner Waisenhaus.“
- „Oh, das ist wirklich tragisch“, reagierte Mauser betroffen, „sie hat also keinerlei Verwandte?“
- „Von einer Tante oder Großtante in Kanada war einmal die Rede, wenn ich mich recht erinnere, aber die standen nie im Kontakt zueinander. Und dann schon der Name Armdran, eigentlich heißt sie Marlies, ja, Marlies Armdran.“
- „Und die soll dann ihren Vergewaltiger umgebracht haben?“
- „So ist es, sie hat wohl sofort alles zugegeben, kam nach kurzer Zeit aus dem Gefängnis heraus mit der Auflage, diese elektronische Fußfessel zu tragen.“
Mauser schwieg daraufhin, sie dachte daran, was Magda ihr im Vertrauen erzählt hatte, wie sich die Dinge wirklich abgespielt hatten, daß sie die Schuld für eine andere Frau übernommen hatte, für jene, die vergewaltigt worden war.
Sie waren in Wesserbarg angekommen, Brause bog von der Bundesstraße ab und fuhr die Dorfstraße entlang. Peters Vater blickte brummend aus dem Fenster:
- „Ein Betrieb ist da auf der Gasse, seit die Ausgangssperre ist, fahren noch viel mehr Autos durch als vorher.“
- „Und die Kinder dürfen nicht `raus“, pflichtete seine Frau ihm bei, „hat dir Peter erzählt, daß er mit Max gestern Abend eine Frau an dem Brunnen gesehen hatte, die da was herumgemacht hatte?“
- „Ne, mit mir redete der doch nur das allernötigtste.“
- „Na, immerhin glaubt er jetzt auch, daß dort alles in Ordnung ist, bin ich was froh, dauernd lag er mir in den Ohren, daß dort ein Mensch in den Brunnen gefallen sei.“
- „Ach Quatsch, und wie sollte dann der Deckel darüber gekommen sein, ist doch alles Einbildung.“
- „Und hier, in der scharfen Kurve ist es wohl passiert, daß es den Müller herausgehauen hatte?“, wollte Brause von seiner Kollegin wissen.
- „Ja genau, ich ging dann mit dem guten Stumpf zurück in dessen Haus, ich war total durchnäßt, es regnete in Strömen, und diese Magda gab mir dann sofort trockene Sachen zum Anziehen, also es stimmt schon, man kann sich nur schwer vorstellen, daß die beiden Verbrecher sind.“
- „Komisch ist nur, daß die beiden jetzt wech sind, angeblich, sehen wir `mal, vielleicht sitzen sie ja gemütlich auf dem Sofa und laden uns auf einen Kaffee ein.“
- „Würde ich mir wünschen, wäre die einfachste Variante.“
Als sie in Gangolfs Hof einbogen, fiel ihnen sofort der Gerümpelhaufen in der hintersten Ecke auf.
- „Da hat er wohl ordentlich ausgemistet“, meinte Mauser und Brause sagte:
- „So, dann wollen wir `mal“. Er drückte auf den Klingelknopf, er hörte im Hausflur die Klingel ertönen. Nichts rührte sich, still und verlassen lag das Haus da. Beherzt drückte Brause auf den Türdrücker, er war überrascht, die Tür abgesperrt vorzufinden.
- „Die sind tatsächlich ausgeflogen“, kommentierte er seinen Mißgriff und fuhr fort:
- „Da sieht man `mal, wie wirkungslos diese Ausgangssperre ist, wären die beiden nicht unter Beobachtung, wäre ihr Verschwinden überhaupt nicht aufgefallen, ich möchte wetten, gerade hier auf dem flachen Land rennt doch jeder irgendwo hin, die halten es doch nicht aus in ihren Wohnungen.“
Mauser gab zur Antwort:
- „Ich fürchte, daß die Ausgangssperre ohnehin nichts bringt, genauso wenig wie die Maskerei, denn wenn es erwiesen ist, daß der Virus über das Sperma übertragen wird, was soll das dann alles. Die anständigen Leute werden sich ohnehin nicht im Intimbereich näherkommen, die es unbedingt erleben wollen, die ihre Triebe nicht bändigen können, werden weiterhin Wege finden, es irgendwo heimlich zu treiben.“
„Na ja, angeblich spielen die Aerosole schon auch eine Rolle, daß man sich nicht nur beim Liebesakt ansteckt“, meinte Brause.
„Mag schon sein, beim Küssen und so, aber doch nicht bloß beim sich Anschauen“, entgegnete seine Kollegin. Brause war erstaunt über ihre Haltung, er hatte sie eher als Befürworterin der harten Maßnahmen zur Virusbekämpfung eingeschätzt.
„Sehen wir `mal in der Scheune nach“, schlug Brause vor, „wahr-scheinlich fehlen dort die beiden Boote oder die beiden Fahrräder!“
Brause schob wie selbstverständlich das Tor beiseite, er wußte nicht, daß Gangolf dieses in letzter Zeit absperrte, seit Inge ungefragt ein Kajak herausgenommen hatte. Am Tag zuvor hatte Martina es nicht für nötig befunden, sich die Mühe zu machen, das Tor abzusperren, nach deren Meinung und Absicht würde Gangolf ohnehin nie wieder hierher zurückkehren.
- „Sieh' mal an“, räumte Brause ein, „beides ist da, beide Boote und beide Fahrräder, und auch das Motorrad.“
- „Da hast du dich wohl getäuscht in deiner Einschätzung der Lage“, kommentierte seine Kollegin lächelnd.
- „Und nu?“, wollte Brause wissen.
- „Keine Ahnung, ist doch dein Fall“, schnippte Mauser zurück.
- „Ne du, der Nisselpriem redet sich leicht, dauernd sagte er mir, die Sache mit dem Stumpf sei erledigt, ich soll da nicht weiter herumforschen, jetzt aber soll ich wieder dem nachlaufen, und das mit der Armdran ist aber eindeutig dein Fall, Frau Kollegin, er wollte, daß ich dich deshalb mitnehme, daß du mit der Magda das regelst.“
- „Wir könnten noch einen Blick in die Garage werfen“, meinte Mauser und schritt darauf zu, ohne Brauses Einverständnis abzuwarten. Das Garagentor war verschlossen.
- „Ist zu“, rief sie Brause entgegen.
- „Schau' `mal um die Seite herum, ich glaub', da war ein Fenster“, meinte Brause.
- „Tatsächlich“, entgegnete seine Kollegin, „sag' `mal, woher kennst du dich hier so gut aus?“
- „Ach weißt du, eine ungute Geschichte, vor zwei oder drei Jahren war das, da galt Stumpf als Hauptverdächtiger nach einem Banküberfall, da warst du noch nicht bei uns in Lüggen, also da verfolgte er höchst wahrscheinlich die beiden Bankräuber, die mit Motorrädern geflohen sind und mit vierzigtausend Euro Beute, doch die flogen bei der Verfolgungsjagd durch den Stumpf, oder wer es immer war, aus der Kurve und starben beide, der eine lebte zwar noch und gab an, daß der Verfolger ihm den Rucksack mit dem erbeuteten Geld abgenommen hätte, aber das Geld wurde nie gefunden. Wir drehten damals hier jeden Stein um.“
- „Und warum wurde Stumpf verdächtigt, den Bankräubern gefolgt zu sein und das Geld denen abgenommen hat?“
- „Zeugen sahen ein blaues großes markantes Sportmotorrad, davon gibt es in der Gegend nicht viele, alle anderen hatten ein Alibi, nur Stumpf nicht.“
- „Ah, ich verstehe, aber da war doch neulich was, daß das Geld auf dieser Insel im Röthner See aufgetaucht sei.“
- „Ja, das ist das Verrückte an der Geschichte, zwei Naturforscherinnen vom Umweltamt machten im September oder wann es auch war, Beobachtungen der Zugvögel, die auf der Insel Rast halten auf ihrem Weg von Skandinavien, und dabei beobachtete die eine, Barbara Bär, wie jemand auf der Insel herumschlich und sich in einer Ecke einer Lichtung zu schaffen machte. Die beiden Damen sahen nach und fanden eine Kiste mit vielen Geldscheinen darinnen. Als ich dann mit der Frau Bär dort war, war die Kiste aber leer. Ja, und jetzt kommt das allerhöchste: Die andere Forscherin, Inge Langohr, behauptete dann, von dem Stumpf vergewaltigt worden zu sein auf der Insel.“
- „Ja, den Teil der Geschichte kenne ich“, antwortete Mauser, „und es ist bis heute nicht geklärt, warum diese Langohr allein nochmals zu der Insel ist, und dann Stumpf ihr nach, und dann warst du doch nochmals mit dem Stumpf dort.“
- „Ja, so ist es, und dabei fand ich Langohrs Handy auf der Insel, also alles sehr merkwürdig, was da lief.“
Mauser spähte durch das kleine Seitenfenster und rief:
- „Ja, da steht der Wagen, mit dem hat Stumpf den Kollegen Müller aus dem Dreck gezogen.“
- „Aha, aber ist es dann nicht sehr mehrwürdig, wie die beiden verschwunden sind, die können doch nicht weggeflogen sein, wenn alle ihre Verkehrsmittel noch da stehen.“
Die beiden Polizisten drehten unschlüssig über das weitere Vorgehen eine Runde durch den Hof, sie blieben kurz vor dem aufgetürmten Gerümpel stehen, gingen dann achselzuckend weiter. Schließlich zog Brause sein Handy aus der Jackentasche und rief:
- „Ich ruf' den jetzt einfach `mal an.“
- „Tu' das“, bestärkte Mauser ihn in dessen Absicht. Brause setze seine kurzen Schritte fort, während er das Gerät an sein Ohr hielt und dem Rufton lauschte in der Hoffnung, daß Gangolf abnehmen würde. Mauser blieb indes stehen und betrachtete ihren Kollegen, wie dieser seine langsamen Kreise zog.
- „Guten Tach, hier Polizeimeister Brause, ich möchte gern Herrn Stumpf sprechen.“
'Nanu,' dachte sich Mauser, 'ist schon ein komischer Kauz, wie er sich klein macht, der Polizei-Haupt-Meister. Und komisch auch, daß Stumpf nicht selber an sein Telephon geht.'
Brause schwieg eine längere Zeit, er schien aufmerksam dem Gesprächspartner zuzuhören.
- „Und dann noch `was, kennen Sie eine Frau Armdran, Magda, diese Frau könnte Herrn Stumpf begleiten, wissen Sie davon was?“
Wieder lauschte er angestrengt, blieb schließlich wie angewurzelt stehen und blickte Mauser mit leicht geöffnetem Mund an.
- „Was ist denn geschehen, hattest du ein Gespräch zum Mond?“
- „Ja, so ähnlich“, war alles, was Brause herausbrachte.
|
|
Stamm-Gast
Erlangen
Warum nur wollen immer alle frei sein!
Beiträge: 200
Geschlecht: User ist offline
|
RE: DER SCHREI AUS DEM BRUNNEN Ein erotischer Kriminalroman zu Zeiten des Condomaviruses
|
Datum:05.08.23 07:23 IP: gespeichert
|
|
117
Martina nahm den Schraubenzieher und drehte die Schlauchklemmen auf. Gangolf quittierte umgehend das schmerzhaft in seine Zehen zurückströmende Blut mit einem durch den Knebel erstickten Aufschrei. Ohne Hast entfernte Martina die Drähte, mit denen sie die Schlauchklemmen verbunden und damit die Zehen unbeweglich aneinander und in die Höhe verspannt hatte. Anschließend öffnete sie die Vorhängeschlösser an der Kette, mit der sie den Bauch an das Bett fixiert hatte. Sie zog die vollgesogene Windel von Gangolfs Unterkörper ab und ersetzte diese gegen eine neue.
Gangolf nutze die leichte Entspannung, um seine Arme anzuwinkeln. Seine Hände waren weiterhin an die Kette gefesselt, die jetzt lose an seinen Handgelenken baumelte. Nachdem Martina ihm eine neue Windel angelegt hatte, zog sie Gangolfs Hände auf den Bauch zurück; anfänglichen Widerstand gab Gangolf schnell auf, seine Armmuskeln litten unter der stundenlangen Verspannung und waren zu einer Kraftanstrengung nicht fähig.
Martina fädelte die Bügel der Vorhängeschlösser durch die Kettenglieder; nachdem sie sich vergewissert hatte, daß die Kette wieder unverrückbar-stramm Gangolfs Bauch und Handgelenke festhielt, drückte sie die Bügel in die Schlösser, was diese mit einem charakteristischem Klick-Laut quittierten. Nach vollbrachter Arbeit betrachtete sie zufrieden ihr Werk, ging in das Bad und wusch sich den Schweiß von ihrem Oberkörper; ihre Hose behielt sie an.
Als sie aus dem Bad kam, ertönte der Klingelton eines eingehenden Anrufs auf Gangolfs Smartphone; Martina zog das schmale Gerät aus Gangolfs Jeans, die er über einer Stuhllehne gelegt hatte. Sie erkannte auf dem Display einen bekannten Namen: Brause. Fieberhaft überlegte sie, was sie sagen sollte, sie drückte auf den grünen >Button<, meldete sich jedoch nicht gleich. Erst nachdem sich Brause mehrfach mit einem „Hallo“ gemeldet hatte, antwortete Martina mit verstellter Stimme ein „Hallo“ zurück und imitierte einen slawischen Zungenschlag:
- „Hier spricht Schwester Boschena.“
‚Das klappte ja besser, als gedacht’, freute sich Martina im Stillen, ‚überhaupt klappt alles wie am Schnürchen, Gäng spielt mit, Magda hat sich für immer verabschiedet, von der geht schon `mal keine Gefahr mehr aus, Bettina ist weg, irgendwo hin, weit weg hoffentlich.’
Martina beugte sich über den festgeketteten Gangolf und kratzte diesem gnadenlos mit ihren scharfen Fingernägeln über die Haut. Über die neuerliche Attacke erschrocken grunzte Gangolf in den Knebel, doch blieb ihm nichts anders übrig, als diese schmerzhaften Kratzer auszuhalten.
‚Das muß also doch die Martina sein’, überlegte er sich’, kein Mann käme auf die Idee, sein Opfer mit den Fingernägeln zu kratzen’. Er verstand überhaupt nicht, was mit dieser neuerlichen Schikane bezweckt werden sollte, er konnte sich nicht vorstellen, daß diese Aktion einen Lustgewinn für den Ausführenden darstellen könnte.
Mit neuer Bluse ausgestattet packte Martina ihre Umhängetasche zusammen und stopfte Gangolfs Kleidungssachen in eine weitere große Tasche. Sie schickte sich an, die zum Privatgefängnis umfunktionierte Wohnung zu verlassen. Unter der Tür drehte sie sich nochmals um, überlegte kurz, ging zu ihrem neuen bewegungsunfähig daliegenden Sklaven und nahm diesem den Knebel ab.
Gangolf war überglücklich, als er spürte, wie ihm das überaus lästige Gummiteil aus dem Mund gezogen wurde. Er atmete in kurzen Stößen ein und aus und schluckte erstmals seit Stunden ohne Würgereiz. Als Martina sich bereits wieder an der Tür befand, rief er mit schwacher Stimme:
- „Wasser, bitte Wasser“.
Martina hielt in ihrer Bewegung inne, dachte wiederum kurz nach und ging zurück; in der Küche füllte sie ein Glas mit Wasser und schüttete es Gangolf ohne Vorankündigung in den Mund. Gangolf hustete und prustete, zu überraschend schwappte der Schwall in seine Mundhöhle, um diesen mit bewußten Schluckvorgängen durch die ausgetrocknete Kehle abzuführen.
In der Kaiserswuselhausener Klinik angekommen wuselte sich Martina sofort in die Gynäkologische Abteilung, der diensthabende Arzt wollte sie zu den bereits wartenden Frauen abschieben, doch als Martina diesem ihren Dienstausweis unter die Nase hielt, erfuhr sie umgehend die Bevorzugung einer Angestellten.
- „Soll ich Ihnen eine Kollegin rufen?“, bot der Arzt an, doch Martina winkte ab:
-„Ich nehme an, Sie sehen an mir nichts neues.“
Der Arzt führte Martina in das Untersuchungszimmer, darin er eine gründliche Untersuchung vornahm. Auch die DNA-Spuren unter Martinas Fingernägel wurden sichergestellt.
- „Es war gut, daß Sie sofort hergekommen sind, so können wir alle Spuren gut erfassen“, meinte der Arzt und fuhr nach einer kurzen Pause fort:
- „Ich rate Ihnen sehr, bei der eindeutigen Beweislage Anzeige zu erstatten, auch wenn es sich möglicherweise um einen Bekannten handelt, das will ich jetzt gar nicht weiter wissen, geht mich nichts an, aber wenn Sie es wollen, würde ich die Polizei anrufen.“
- „Meißner, Kriminalpolizei Kaiserswuselhausen“, stellte sich die junge Kriminalpolizistin vor, als diese in der Klinik zu Martina geführt wurde, „Sie kennen den Peiniger namentlich?“
- „Ja, Gangolf Stumpf heißt der“, entgegnete Martina mit pathetischer Stimme, um die Untat des Beschuldigten dadurch hervorzuheben. Die Polizistin zwinkerte mit den Augen, als sie den Namen hörte, Martina entging diese unwillkürliche Reaktion nicht, sie fragte sogleich:
- „Kennen Sie den?“
Leicht irritiert gab die Polizistin zur Antwort:
- „Nein, äh, durchaus nicht, ist halt ein etwas ungewöhnlicher Name, darum bin ich leicht gestutzt.“
'Na, das soll ich dir glauben?', dachte sich Martina, sie freute sich sehr, daß Gangolf offenbar bei der Kriminalpolizei bekannt ist. Die Ärztin fragte weiter:
- „Ist er ein Bekannter von Ihnen, oder woher kennen Sie seinen Namen?“
- „Ja richtig, wir lernten uns vor etwa einem halben Jahr kennen, wir waren sogar im Urlaub zusammen mit zwei weiteren Frauen, -“, Martina stockte kurz, sie bereute, von den beiden Frauen gesprochen zu haben und korrigierte sich, „also wir waren zu zweit, also zwei Frauen, wollte ich sagen, die andere hatte er immer wieder belästigt, und nun kam er auch zu mir und ich konnte mich nicht erwehren, ich hab' ihn gekratzt, so fest ich konnte, aber er ließ sich nicht abhalten.“
- „Sie sind also nicht verheiratet mit ihm?“
- „Nein, wo denken Sie hin, ein gewalttätiger Macho, sobald es nicht nach ihm geht, in seinem Sinne, wird er handgreiflich.“
- „Und da sind Sie mit ihm in den Urlaub gefahren?“
- „Ja leider, da kannte ich ihn noch nicht so genau von dieser Seite, mir tat vor allem die andere junge Frau leid.“
- „Nennen Sie mir ihren Namen?“
- „Ja klar, die hieß Magda Armdran, wir nennen sie Magda, eigentlich heißt sie Marlies.“
- „Haben Sie auch Adressen, von diesem Herrn Stumpf und der Frau, wie hieß sie gleich wieder, sie sprachen in der Vergangenheitsform, haben Sie keinen Kontakt mehr mit ihr?“
- „Früher waren wir sehr eng befreundet, aber seit sie diesen Gangolf kennengelernt hat, waren wir nicht mehr so oft zusammen, sie ist neulich erst zu diesem Stumpf gezogen, nach Wesserbarg, in so einem ganz entlegenen Bauernhof“
- „Gut, Frau Weiß, es freut mich, wenn wir diesen Stumpf überführen können dank ihrer Beweise, gut, daß Sie gleich zur Untersuchung gekommen sind, viele Opfer duschen sich erst `mal alles ab, was natürlich sehr verständlich ist, und kommen oft erst Tage später, dann wird es schwierig, und die meisten Täter kommen davon, daß sie alles leugnen, es sei einvernehmlich gewesen, zumindest am Anfang, oder die Spuren sind alle beseitigt, oder es gab keine Abwehrhandlungen und so.“
- „Danke, Frau Meißner, es freut mich auch, wenn Sie den d'rankriegen!“
Polizeidienststellenleiter Nisselpriem saß mit seinen Kollegen Brause und Mauser in seinem Büro; sie sprachen über das weitere Vorgehen >im Fall Stumpf<. Längst wurde auch von Nisselpriem Stumpf wieder zu einem Fall erhoben; Brause hatte nie damit abgeschlossen, daß das Geld nach dem Bankraub spurlos verschwand und Gangolf für ihn immer noch der Hauptverdächtige war. Erst in letzter Zeit kamen ihn Zweifel, er vermutete jetzt Inge Langohr hinter den Vorgängen.
- „Irgendwie sind die beiden miteinander verbandelt“, mutmaßte Brause, dem einen gehört die Insel, der fährt prompt so ein Motorrad, das nach dem Bankraub gesehen wurde, die andere besucht die Insel als Naturschutzfrau, hat plötzlich viel Geld, kauft sich diesen Protzkarren, und dann zeigt sie den Stumpf an wegen Vergewaltigung, irgendwas stimmt da nicht.“
Nisselpriem dagegen empfahl ihm, den Fall als ungeklärt zu den Akten zu legen, zumal es nicht Brauses Aufgabe war, Kriminalfälle zu lösen, er war allenfalls anfangs beteiligt gewesen im Zuge der örtlichen Amtshilfe für die Kriminalpolizei aus Kaiserswuselhausen. Die junge Polizeihauptmeisterin Mauser war sich sicher, daß Inge die Vergewaltigung erfunden hatte, sie hatte Inge fast so weit gehabt, die Verleumdung zuzugeben, schlußendlich blieb jene indes doch wieder bei ihrer Anschuldigung.
Mitten in der Diskussion schrillte Nisselpriems Telephon.
- „Doch nur im Notfall“, rief er in den Hörer, ohne dem Anrufenden die Chance zu geben, den Grund des Anrufes jenem mitzuteilen. Er lauschte noch kurz am Hörer, ob der Anrufer etwas antworten würde, da dieser indes von Nisselpriems barschen Abweisung verunsichert wurde und sich nicht gleich darauf etwas zu entgegnen traute, warf Nisselpriem den Hörer auf die Gabel.
- „Wo sind wir steckengeblieben“, rief er in die Runde, „immer wenn's wichtig wird, wird man durch so einen blöden Anruf gestört, vermutlich wieder irgend so `was wichtiges, daß irgendwo ein Autofahrer beim Falschparken erwischt worden ist.“
- „Wir wissen immer noch nicht, wie wir weitermachen sollen“, ergriff Brause das Wort, „in seinem Hof ist er nicht, sind beide nicht, sein Auto steht in der Garage, auch sein Motorrad, die Fahrräder, die Boote.“
- „Wir melden das jetzt einfach an die Kriminaler in Wuselhausen, sollen sich doch die `was einfallen lassen“, meinte Nisselpriem, „also, auf geh'ts, oder haben Sie noch `was, Frau Mauser?“
Diese verneinte, und damit verabschiedeten sich die drei Polizisten. Brause hielt Mauser die Tür auf, als sie auf dem Flur hinausgetreten waren, kam Polizeiobermeister Müller auf sie zu:
- „Ich warte hier jetzt schon `ne Viertelstunde vielleicht, aber egal, was habt ihr denn so geheimes da drinn' beim Chef zu reden gehabt?“
- „Was, du standest die ganze Zeit hier draußen und hast auf uns gewartet“, wunderte sich Mauser, „wärst du doch hereingekommen.“
- „Ne, du, so wie der mich gleich angeblafft hat, nur im Notfall ihn anzurufen und so, also da geh' ich doch nicht zu ihm hinein, wenn ich ihn nicht `mal anrufen darf.“
- „Und was gab es denn, was du ihm sagen wolltest?“, fragte Brause.
- „Die aus Wuselhausen haben angerufen, der Stumpf wurde angezeigt wegen Vergewaltig-“
- „Na, das wissen wir doch schon lange“, fiel ihm Brause in's Wort,“ deshalb waren wir draußen bei ihm, und du warst doch auch schon bei ihm, und da hat er dich aus dem Graben gezogen, der Verbrecher“.
- „Olaf, laß' das, es reicht“, zischte Kollegin Mauser, „laß' ihn doch `mal ausreden, erst kommt er nicht beim Chef zu Wort, und jetzt fährst du ihm auch noch dazwischen!“
Für einige Sekunden schauten sich die drei abwechselnd an, dann brummte Brause:
- „Also was ist jetzt, was wolltest du uns sagen?“
- „Die Kollegen von der Kriminalpolizei in Kaiserswuselhausen haben angerufen, hier, vor `ner halben Stunde vielleicht, oder noch kürzer, und da sagte der eine, dieser Stumpf, bei den wir waren, der wegen Vergewaltigung verdächtigt wird, also der hat jetzt wieder eine begangen, also gegen eine Frau, so vergewaltigt eben.“
Brause und Mauser blickten Müller erstaunt an, nachdem die beiden nichts entgegneten, fühlte sich Müller genötigt, weitere Erläuterungen zu geben:
- „Also wie ich das verstanden habe, soll der Stumpf wieder eine Frau genommen haben, und die hat den dann angezeigt, also das wollte ich euch bloß schnell sagen, und das Beste ist, das war die Frau Weiß, das war doch die...
- „Wow, das ist ja echt eine Neuigkeit“, rief nun Mauser hastig dazwischen, „da müssen wir gleich nochmal `rein zum Chef, komm' mit“, forderte sie ihren Kollegen auf.
- „Ne, ne, grüßt' ihn von mir, wenn er mich nicht `mal am Telephon zuhört, was ich ihm sagen wollte, also ihr wißt es jetzt.“
Müller drehte sich um und ließ seinen Kollegen, seine Kollegin zurück. Diese machten lange Gesichter, als sie das Gehörte reflektierten. Ohne Anklopfen brauste Brause in Nisselpriems Büro zurück, dieser schreckte leicht auf und rief:
- „Was gibt’s denn noch, Olaf, daß du so hereinbraust, habt ihr da draußen ein Gespenst gesehen?“
- „Ja, in der Tat, ein ganz blasses noch dazu, das verschreckt gleich wieder das davongeflogen ist, weil es so Angst vor dir hat.“
Nisselpriem verstand nur Bahnhof, Mauser klärte ihn auf. Bestürzt starrte der Chef auf die Schreibtischplatte und stammelte schließlich:
- „Das hab' ich nicht gewollt.“
- „Na, dann geh' aber dann `mal zu ihm `runter und sprich mit ihm, der Müller hat zwar in letzter Zeit viel Mist gebaut, aber so brauchst du ihn auch nicht zu behandeln, der war ja völlig verschreckt.“
Mauser ergriff das Wort und fragte:
- „Das haben wir noch gar nicht besprochen, Olaf, hat diese tschechische Krankenschwester gesagt, wie das heißt, das Krankenhaus, also der Ort, wo dieser Stumpf im Koma liegt?“
- „Nein, als ich sie fragte, sie konnte immerhin gut deutsch, ob sie `was von einer Magda gehört hat, die Herrn Stumpf begleitet haben könnte, da brach das Gespräch ab, seitdem ist Stumpfs Handy nicht mehr erreichbar.“
- „Ein Fall für die Nachverfolgung, die Kriminaler werden das schon herausfinden, sollte der aus dem Koma erwachen und wieder nach Deutschland zurückkehren, wird der gleich verhaftet werden, nehm' ich an, aber wartet `mal, ich ruf' gleich `mal in Wuselhausen an, das will ich jetzt genauer wissen.“
Brause und Mauser blickten sich vielsagend an, eigentlich wollten sie wieder gehen, nachdem sie ohnehin nichts weiter in dem Fall zu tun hatten, Gangolf bewußtlos in irgend einem tschechischen Krankenhaus, Magdas Aufenthalt genauso unbekannt.
- „Hey Schlauer, alter Freund, ich hörte soeben, dieser Stumpf soll nochmals vergewaltigt haben.“
„ - „
- „Was, diesmal Frau Weiß, ja klar kenn' ich die, die hat mir gegenüber ausgesagt, saß sie dem Stumpf eine Vergewaltigung zutrauen würde, sie kam gerade von diesem weggefahren, da haben wir sie gleich befragt, wie sie den Stumpf einschätzt.“
„ - „
- „Na, Brause, was sagst du nun, was meinen Sie, verehrte Kollegin Mauser: Diesmal kriegen wir ihn, die Weiß war so weise und hat sich nicht gleich alles abgewaschen, sondern eindeutige Beweise mitgebracht, jetzt braucht's bloß noch den DNA-Abgleich mit dem Stumpf, sie fanden die unter den Fingernägeln, sie hatte sich gewehrt, und dann haben sie ihn.“
- „Es gibt einen Spruch über die Nürnberger“, dämpfte Brause den Optimismus seines Chefs, „ kennst du den?“
- „Ne, was?“
- „Die Nürnberger hängen keinen, denn sie hätten ihn.“
|
|
Ihr_joe |
|
Staff-Member
Baden-Württemberg
Die Welt ist eine Bühne. Nur... das Stück ist schlecht besetzt. Oscar Wilde
Beiträge: 3653
Geschlecht: User ist offline
|
RE: DER SCHREI AUS DEM BRUNNEN Ein erotischer Kriminalroman zu Zeiten des Condomaviruses
|
Datum:05.08.23 21:30 IP: gespeichert
|
|
Zitat |
… - „Wasser, bitte Wasser“.
|
Lach, so ging es mir gestern auch … und war auch froh, dass ich welches bekam.
Als hättest Du es gewusst, auch das Kratzen, habe ich erlebt, nur der Grund war ein anderer …
Meine Beine konnte ich zwar nicht, dafür aber meine Zehen bewegen, da irrt der Spion …
… ach nein der Rest ist ganz andersherum
Und damit zu Deinem Werk, anscheinend nähern wir uns langsam dem Ende und ich hoffe, der Plan von Martina scheitert.
Einmal mehr, vielen Dank für die Geschichte, dem Erzähler.
Ihr_joe Toleranz beginnt dort, wo das eigene Weltbild aufhört. (Amandra Kamandara)
Storys:
Vergewaltigt! beendet
Der Brief bendet
Die 3 Schlüsselhalterinnen und die Vanilla beendet
Mein Schatz ... eine Fm Geschichte ohne KG beendet/gekürzt
BDSM Kurzgeschichten beendet
|
|
Stamm-Gast
Erlangen
Warum nur wollen immer alle frei sein!
Beiträge: 200
Geschlecht: User ist offline
|
RE: DER SCHREI AUS DEM BRUNNEN Ein erotischer Kriminalroman zu Zeiten des Condomaviruses
|
Datum:09.08.23 11:46 IP: gespeichert
|
|
Da haben wir offensichtlich beide eine Durststrecke überwunden, Du, liebes Sklävlein Joe, das Verlangen nach Wasser, ich jenes nach Kommentaren; und so danke ich Dir, daß Du das wochenlange Schweigen der Leserschaft unterbrochen hast!
Eines muß man Deiner Gebieterin lassen, daß sie anscheinend Deine Kommentare hier nicht zensiert, andernfalls hättest Du wohl nicht der Hoffnung zum Ausdruck verliehen, Martina möge scheitern in ihrer niederträchtigen Absicht.
Was das Ende anbetrifft, so erlebte ich gestern das Ende einer großartigen Erzählung, deren Geschehnisse ein gutes Ende gefunden haben. Muß es eigentlich immer einen guten Ausgang finden?
|
|
modex |
|
KG-Träger
Mit KG ist besser als ohne Phantasie
Beiträge: 1019
Geschlecht: User ist offline
|
RE: DER SCHREI AUS DEM BRUNNEN Ein erotischer Kriminalroman zu Zeiten des Condomaviruses
|
Datum:09.08.23 13:58 IP: gespeichert
|
|
Dürstender! Mea culpa. Auch ich lese begierig, wenn auch für unseren Helden hoffend, die stets zuverlässig folgenden Kapitel. Weiter vielen Dank - was machen wir alle eigentlich, wenn Finale und Epilog online sind? Aber noch ist Zeit und Hoffnung.
|
|
Stamm-Gast
Erlangen
Warum nur wollen immer alle frei sein!
Beiträge: 200
Geschlecht: User ist offline
|
RE: DER SCHREI AUS DEM BRUNNEN Ein erotischer Kriminalroman zu Zeiten des Condomaviruses
|
Datum:11.08.23 22:58 IP: gespeichert
|
|
"Noch ist Zeit und Hoffnung", das hast Du schön formuliert, lieber Modex, und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Und was "Ihr alle" eigentlich machen werdet, wenn es mit Epilog und Finale soweit sein wird, da fällt mir die Galeeren-Geschichte von der Annika ein, welche seit Jahren Wellen schlägt und offensichtlich längst nicht in ruhigem Fahrwasser dahindümpelt...
118
Das Schlimmste war für Gangolf der Gedanke, daß sein Stolz gebrochen werden würde. Ihm war klar, daß er schon bald für die kleinsten Gefälligkeiten, die seine Herrin ihm gewähren würde, sich bedanken wird müssen, und sei es nur für einen Schluck Wasser. Er malte sich aus, wie er bestraft werden würde für Nachlässigkeiten, er machte sich keine Illusionen mehr über sein zukünftiges Dasein, welches er ab jetzt fristete.
Martina war zu weit gegangen, als daß sie einen Rückzieher machen könnte, das wurde Gangolf immer bewußter, es gab für sie keinen anderen Weg mehr, sie wird ihn ununterbrochen gefangen halten müssen, ohne jedwede Kontaktmöglichkeiten, ohne Aussicht auf Flucht.
Immer wieder überdachte Gangolf seine Situation, ob es doch noch einen Ausweg gäbe, daß zumindest die schlimmsten Qualen aufhörten. Er müsse sich fügen, überlegte er, er müßte ihre Spielchen mitmachen. Das mit dem Knebel war ihre fürchterlichste Waffe. Kaum hatte er sich einmal nicht für einen Schluck Wasser bedankt, hing der dicke Gummizapfen für Stunden in seinem Mund; unverrückbar-unausdrückbar blähte sich dann durch das Aufblasen diese Maulbirne auf und spreizte Gangolfs Kiefer schmerzhaft auseinander; röchelnd würgte er den Schleim in die ausgetrocknete Kehle.
Bettina erwirkte für den Tag ihres Umzugs von Laukuv in das nördliche Brandenburg eine Ausnahmegenehmigung, die ihr das Autofahren an diesem Tag erlaubte. Immer und immer wieder rief sie Gangolf an, an seinem Festnetzanschluß wie an seinem Mobiltelephon, doch dieser nahm den Anruf nie an. Als die Möbelpacker schließlich alle ihre Habe in dem Umzugswagen verstaut hatten, warf sie den Schlüsselbund mit den Schlüsseln der Wohnung und des Kellerabteils auf den Flur und zog die Wohnungstür zu.
Sie hätte sich gerne von ihrem Vermieter persönlich verabschiedet, doch durfte dieser wegen der Ausgangssperre nicht kommen. Sie hätte sich auch von Martina verabschieden wollen, ihrer langjährigen Wohnungs- und Liebespartnerin, doch waren beide nach dem gemeinsamen Quarantäneaufenthalt unter widerlichsten Bedingungen in dem engen Wohncontainer dermaßen in Streit geraten, daß Martina seit Wochen nicht mehr in der gemeinsamen Wohnung in Laukuv war.
'Sie wird schon wieder `mal zurückkommen, sie hat ja noch alle ihre Sachen hier', dachte sich Bettina, 'und da wird sie den Schlüsselbund gleich hier am Boden finden.'
Bettina freute sich auf ihre neue Pfarrstelle, auf einen Neuanfang in ihrem Leben. Sie hatte sich in der letzten Zeit auf das alleine Leben eingestellt, und sie war überzeugt, ab jetzt erst einmal für eine längere Zeit weiter alleine leben zu wollen. Bettina überlegte, von wem sie sich in Lüggen persönlich verabschieden wollte, sie würde gern die für diesen Tag gültige Ausnahmegenehmigung nutzen, auch wenn die Genehmigung nicht für Besuche gedacht war. Ihre Kollegen der Lüggener Kirchengemeinde waren sehr traurig, daß Bettina sie verlassen würde, freuten sich indes über ihren Kurzbesuch, sie wünschten sich einander alles Gute und Gottes Segen.
Schließlich unternahm Bettina einen letzten Anrufversuch bei Gangolf; als er wieder nicht annahm, beschloß sie, dennoch zu ihm nach Wesserbarg hinauszufahren, in der Hoffnung, ihn doch noch dort vorzufinden oder zumindest eine Nachricht zu erhalten, wo er sei. Sie wollte sich nicht nur von ihm verabschieden, sondern gerne die Fahrzeuge tauschen; so sehr sie sich an die Bequemlichkeit von Gangolfs Golf gewohnt hatte, so gerne wollte sie doch ihr vorbildliches Öko-Auto zurück haben, den Tausch rückgängig machen, der sich durch die Urlaubsfahrt ergeben hatte.
'Ach, war das eine schöne Zeit mit Gangolf', dachte sie zurück, 'wenn nur nicht diese dämliche Quarantäne gewesen wäre, an der Grenze zu Österreich, sechs Wochen lang mit Martina eingesperrt in der engen Bude, diese Sadistin, die ihre devote Magda so vermißte.'
Als Bettina die Dorfstraße in Wesserbarg entlang fuhr, stand Peters Vater vor dem Haus und unterhielt sich über die Straße hinweg mit seinem Nachbarn gegenüber.
- „Das geht hier zu wie auf der Autobahn“, schimpften beide, „von wegen Ausgangssperre, seit der Fremde da draußen ist, stündlich will da jemand hin zu ihm.“
Schon von Ferne sahen und hörten sie Bettina heranfahren; der Nachbar zückte sein Smartphone und schoß ein Photo von dem Golf, was Bettina peinlich bemerkte. Sie verlangsamte ihr ohnehin niedriges Tempo und betrachtete die beiden Dorfbewohner links und rechts der Straße mit schuldbewußter Miene. Als sie an ihnen vorüber war, photographierte der Mann von der rechten Straßenseite nochmals das Auto von hinten.
- „So, den zeig' ich jetzt an, das schicke ich jetzt gleich zur Polizei, denn das war jetzt der Fremdling selber mit seinem Golf!“
-„Na, da bin ich nicht so sicher, da saß doch eine Frau d'rinn“, meinte Peters Vater, „aber hast`te recht, egal, ich verpfeif' ja niemand' sonst, aber das muß `mal aufhören hier, wer da alles kam in der letzten Zeit, der Baulaster mit den Betonringen d'ruff, mein Peter wäre bald verrückt worden wegen dem verdammten Brunnen, den sich der da draußen gegraben hatte.“
- „Ja, Max schon auch, die meinten, da ist einer r'injefall'n und hätte ordentlich jeschrien', aber sach' `mal, du hast doch da nachjeseh'n, war da wirklich nichts d'rin, Max sagt, da lag so'n Stoffsack oder wat.“
- „Ach jetzt fang' nicht du ooch noch an, ja und selbst, wenn in dem blöden Sack wer d'rinne steckte, was soll's, dann waren wir jedenfalls schon zu späte, der lebte jedenfalls nimmer, ist halt so.“
Sein Gesprächspartner gegenüber sagte nichts weiter dazu, ihm kamen indes Zweifel:
'Sollten die Jungen doch recht haben, daß sie einen Schrei hörten?', machte sich der Mann Gedanken, 'die sind doch nicht blöd und behaupten einfach so eine gruselige Geschichte. Und da sind dauernd die vielen Autos, die da hinausfahren, sogar ein Polizeiauto war dabei, also da stimmt wat nich'!'
Er hob die Hand als Abschiedsgruß und schlappte wortlos in sein Haus.
Bettina war enttäuscht, daß sie niemand in Gangolfs Anwesen angetroffen hatte, auch keine Nachricht vorfand. Sie gestand sich ein, daß es auch nicht anders zu erwarten gewesen wäre, nachdem Gangolf nicht an's Telephon ging. 'Irgend was stimmt da nicht', mutmaßte sie, 'er kann doch gerade jetzt bei der absoluten Ausgangssperre nicht einfach spurlos verschwunden sein.'
Sie ging zur Garage, probierte an dem Tor, doch es war verschlossen. Unschlüssig ließ sie ihren Blick über den Hof schweifen, sie beschloß, in der Scheune nachzusehen, ob sein Motorrad da stünde. Tatsächlich fand sie dieses einträchtig neben den Fahrrädern und Booten stehen. 'Sehr seltsam', dachte sie erneut, 'selbst wenn er zu einem Spaziergang unterwegs ist, hätte er doch, wie sonst immer, sein Handy dabei.'
Als sie zurückging, bemerkte sie den aufgeschlichteten Gerümpelhaufen in der hinteren Ecke des Hofs.
'Da hat er ja ordentlich ausgeräumt', kam es ihr in den Sinn, 'der hat halt auch immer `was zu tun, auf so einem alten Hof wird es wohl nie langweilig'. Dann fiel ihr Blick auf das Seitenfenster der Garage. Sie schaute hindurch und sah mit einem Anflug von Wehmut ihr schnuckeliges Elektrogefährt, das sie gerne gegen den Golf eingetauscht hätte, so praktisch dieser Diesel-Kombi auch war.
- „Nun ja, es ist nicht aller Tage Abend, und wenn dieser Virus-Wahnsinn vorüber ist, komm' ich sofort her“, sagte sie sich.
- „Dieser Stumpf ist da!“, frohlockte Müller, als er das Kennzeichen in den Computer eintippte und Gangolf als Fahrzeughalter ausmachte. Brause griff sofort zum Telephon und versuchte jenen anzurufen. Wieder erhielt er keine Verbindung, er versuchte es auch auf dem Festnetz, erfolglos.
- „Das find' ich sehr aufmerksam von den beiden im Dorf, daß die das beobachtet haben und auch gleich gemeldet, komm', wir fahren da gleich `mal `raus!“
Brause verständigte Nisselpriem, der nicht sehr überrascht wirkte.
- „Wird halt wieder aus seinem Koma erwacht sein“, kommentierte er trocken, „aber ja, gut, fahrt hinaus zu ihm und nehmt ihn gleich fest.“
Die beiden Dorfbewohner hatten wieder ihre Gesprächs- und Beobachtungsposten eingenommen und sie freuten sich, daß ihre Langeweile erneut durch ein Fahrzeug durchbrochen wurde.
- „Sieh' mal, jetzt kommt da wieder `n Streifenwagen, ja meine Fresse, wat hat der Kerl da draußen alle anjestellt.“
Sein Gesprächspartner wandte sich gleichfalls der Geräuschquelle zu. Zu ihrer Verwunderung hielt das Polizeiauto an, Brause rief durch das Seitenfenster dem rechtsrandigen Beobachter zu:
- „Juten Tach, war'n Sie dat, mit den Bildern von dem Golf, oder ihr Kumpel da gegenüber?“
- „Ja, war ich, aber Sie kommen zu spät, der ist schon wieder abjehau'n“
- „Wat?“
- „Jouh, `ne Viertelstunde später kam der wieder hier zurückjefahren, aber da saß eine Frau d'rinn, mehn ich, die Sonne blendete so, kann man nicht gleich so sagen, sehen ja alle gleich.“
- „Da fuhr eine Frau mit?“ erregte sich Brause und freute sich, auf diese Weise auch eine Spur von Magda erhalten zu haben.
- „Nee, die fuhr nicht mit, die fuhr allehne.“
- „Wat', die fuhr allehne, dat wird ja immer schöner.“
- „Der hat halt den Karren ohsjeliehen“, mischte sich Peters Vater von der anderen Straßenseite ein.
- „Schönen Tach“, wünschte Brause, „danke, also, Müller, fahren wir wieder.“
Beinahe hätte er Müller ermahnt, vorsichtig den Feldweg entlangzufahren, doch er dachte an Mausers Schimpfe, er möge nicht so nachtragend sein und seinem Kollegen das Mißgeschick ständig wieder aufzuwärmen. Müller schickte sich an, das Fahrzeug zu wenden. Brause rief:
- „Was hast du denn vor, fahr' doch weiter!“
- „Na dem natürlich hinterherfahren!“
- „Nichts da, hast ja gehört, da ist eine Frau zurückgefahren, der Stumpf ist dann ja wohl bei sich da hinten. Nun fahr' schon weiter, aber schön langsam, du weißt schon.“
'Verdammt', verfluchte sich Brause selber', jetzt ist es mir doch herausgerutscht, er sprach weiter:
- „Und außerdem kommen wir der Lady, so es eine überhaupt war, ohnehin nicht mehr nach, ist ja schon minutenlang her, daß die zurückgefahren ist, und wir wissen nicht `mal, ob sie links oder rechts auf die Bundesstraße eingebogen ist.“
- „Aber dann gib' doch `mal `ne Meldung heraus“, entgegnete Müller, „stehen doch überall so Condoma-Posten herum.“
- „Condoma-Posten, das ist gut, ja, du hast recht, mach' ich gleich.“
Brause und Müller fanden den Hof verlassen vor, alles stand genauso da, wie bei Brauses letztem Besuch, auch das rote Auto stand artig in der Garage. Gerade als sie wieder wegfahren wollten, erhielt er über Funk die Meldung, daß alles rechtens sei, bei der Fahrerin handelte es sich um eine Pfarrerin mit Ausnahmegenehmigung wegen ihres Umzugs, die den Golf Kombi von Stumpf ausgeliehen hatte. Sie hatten bereits vor längerer Zeit die Fahrzeuge getauscht, und sie wollte den Golf zurückbringen, fand Stumpf jedoch nicht vor. Sie kannte zwar die gemeinsame Bekannte Magda, wußte aber über deren Verbleib ebensowenig wie über Stumpfes.
- „Zurück auf Null“, kommentierte Brause das Gehörte, „ist der also doch mit der Magda durchgebrannt, in die Tschechei. Wird schon wieder `mal aufwachen aus dem Koma.“
Was Brause natürlich nicht ahnen konnte: Gangolf würde nur liebend gern aus seinem anscheinend ewig währenden Alptraum aufwachen.
|
|
Stamm-Gast
Erlangen
Warum nur wollen immer alle frei sein!
Beiträge: 200
Geschlecht: User ist offline
|
RE: DER SCHREI AUS DEM BRUNNEN Ein erotischer Kriminalroman zu Zeiten des Condomaviruses
|
Datum:18.08.23 20:07 IP: gespeichert
|
|
119
Gangolf hatte das Gefühl für Tag und Nacht vollkommen verloren, für ihn war immer Nacht. Eingehüllt in eine Maske aus dickem schwarzen Gummi, das den Kopf vollständig umgab, ließ Gangolf seine Augenlider stets geschlossen in der Hoffnung, dadurch die Pupillen von dem Druck des spannenden Gummis zu schützen; mit dem Verlust des Sehens ging der Verlust des Zeitgefühls einher.
Gangolfs Hände waren an die Kette um den Bauch gefesselt, selbst wenn er seinen Rücken stark krümmte, gelang es ihm allenfalls, sein gummiertes Kinn mit den Fingerspitzen zu fassen. Nur für die Verrichtung der Notdurft kettete Martina ihn kurzzeitig los, sie führte ihn in das Badzimmer, wo er sich wie ein Blinder zu der Schüssel tastete.
An Widerstand war in diesen wenigen kurzen Momenten nicht zu denken; zum einen war Gangolf durch die mangelhafte Ernährung sehr geschwächt, zum anderen waren Arme und Beine durch die stundenlange Fesselung steif, so daß er Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten. Darüber hinaus erstickte das Wissen um Martinas Kräfte jedweden Gedanken an Widerstand oder Flucht.
An die durchgängige Fesselung von Händen und Füßen hatte sich Gangolf einigermaßen gewöhnt, er hatte sich auch damit abgefunden, auf dem Boden auf einer kratzigen Decke zu liegen; was ihm indes ständigen Schmerz bereitete waren die Ohrhörer, die durch das spannende Gummi der Kopfhaube weit in den Gehörgang eingedrückt wurden. Neben den Ohren bildete seine gesamte Gesichtshaut eine einzige Quelle des Schmerzes; der ständige luftdichte Kontakt zu dem drückenden Gummi rief einen unablässigen Juckreiz hervor.
Eines Tages, oder war es eines Nachts, als Gangolf nach der Verrichtung seiner Notdurft zu seiner auf dem Boden ausgebreiteten Decke zurückgeführt wurde, verzichtete Martina auf die Ankettung seiner Hände; diese waren zwar weiterhin aneinander gefesselt, jedoch ohne Verbindung zu der Bauchkette.
'Sollte das ein Versehen sein', überlegte Gangolf und wartete neugierig, was weiter geschehen würde. Die fistelnde Computerstimme rieß ihn aus den Gedanken:
- „Maul auf“.
Gehorsam öffnete Gangolf den Mund, was durch die eng anliegende Gummimaske nicht ganz einfach gewesen war. Er fürchtete, den vermaledeiten Gummiknebel in den Rachen geschoben zu kriegen, doch dieses Mal handelte sich um eine Gummiteil, das breiter war und nur wenige Zentimeter in die Mundhöhle eingeschoben werden konnte.
- „Lutschen“, fauchte die sphärische Stimme in den Ohrhörern. Gangolf wußte mit diesem Imperativ nicht fiel anzufangen, er preßte das fremdartige Gummiteil mit den Lippen zusammen und saugte daran. Auch ließ er seine Zunge das Ding in kreisförmigen Bewegungen betasten; nicht daß er damit in irgend einer Weise Erfahrungen gehabt hätte, dennoch kam es Gangolf in den Sinn, daß es sich um einen sogenannten Dildo handeln könnte, ein Sex-Spielzeug, das vor allem Frauen zu verwenden pflegten, um sich damit zu befriedigen.
Wieder wurde Gangolf aus seinen Überlegungen gerissen, als die Stimme befahl:
- „Zubeißen.“
Gangolf schloß den Kiefer, er spürte, wie die Zähne sich in den Gummi festbissen und diesen etwas zusammendrückten. Schon erscholl die Stimme:
- „Fester“.
Gangolf schluckte und preßte die Zähne zusammen, so fest es ihm die Kaumuskeln ermöglichten. Seine Zunge bemerkte, daß sich in dem Gummi etwas leicht bewegte. Nochmals bellte die Stimme: „Fester“, gleichzeitig erfolgte ein schmerzhafter Tritt in Gangolfs Unterleib. Er schlug die Zähne in den Gummi, bis ihm nach einer Weile die Kiefermuskel schmerzten und er die Beißkraft wieder verringern mußte. Das rätselhafte Gummiteil wurde mit einem Ruck aus seinem Mund gerissen, Sekundenbruchteile später erhielt er erneut einen kräftigen Tritt in den Unterleib, was Gangolf mit einem kräftigen Aufschrei quittierte.
- „Leg' dich auf den Rücken“, herrschte die Computerstimme Gangolf an, und ehe er dem Befehl folge leisten konnte, wurde sein Kopf äußerst unsanft nach unten gedrückt. Anschließend fühlte Gangolf, wie seine Hände an der Verbindungskette nach oben und dann nach hinten über seinen Kopf gezogen wurden; er lag auf diese Weise gestreckt der Länge nach auf dem Boden.
- „Und so bleibst du liegen, sonst gibt’s Dresche!“, erscholl die künstliche Stimme in seinen schmerzenden Ohren.
Gangolf freute sich, auf diese Weise seine Glieder zu strecken, doch seine Freude währte nur kurz: Martina setze die Sohle ihres Schuhs auf Gangolfs Bauch und steigerte die Belastung auf den Fuß. Gangolf gelang es, die Bauchmuskeln anzuspannen, um dadurch einen Gegendruck aufzubauen. Noch waren seine durch das Rudern trainierten Bauchmuskeln stark, doch war ihm vollkommen klar, daß diese neben den Arm- und Beinmuskeln nachlachlassen würden, wenn die ununterbrochene Fesselung und die damit verbundene Bewegungsarmut anhalten würde.
Als Martina auch noch den anderen Fuß auf Gangolfs Oberkörper setzte, wurde es für Gangolf kritisch. Er mußte den Atem anhalten, da Bauch und Brustkorb von Martinas Gewicht zusammengedrückt wurden. Martina hatte ihrerseits Not, sich aufrecht zu halten, der schwankende Untergrund unter ihren Füßen nötigten sie, sich mit den Händen an der Wand abzustützen. Gangolf mußte sich schwer beherrschen, seine Hände vom Kopf hervorzuholen, instinktiv wollte er die Ursache der Erdrückung zu fassen kriegen.
'Sonst gibt’s Dresche', kam ihn die Drohung in den Sinn, und so biß er die Zähne zusammen und meisterte klaglos die Tortur.
Martina verschonte auch nicht Gangolfs Glied, auch dieses diente der strengen Herrin als Fußabstreifer.
'Wäre sie nur nicht so brutal, könnte man fast Lust kriegen', überlegte sich Gangolf, und er dachte an die Qualen, die Magda unter Martinas Fuchtel aushalten hatte müssen.
'Und ich hab' die noch auf dem Motorrad mitgenommen, wir kamen uns dabei so nah', sinnierte Gangolf, '>wilde Fegerin< hatte sie sich selbst betittelt, und jetzt so `was.'
Als schwachen Trost bemerkte Gangolf, daß der Schmerz seiner entzündeten Ohren übertönt wurde durch die Belastungsstöße, die er auf seinem Leib aushalten mußte.
- „Eigentlich macht er das schon gut“, sagte sich Martina und zog sich einen Stuhl heran, auf welchen sie sich setzte. Sie massierte mit den Schuhen Gangolfs Glied, doch nach den durchlittenen Qualen blieb dieses schlaff zwischen den Füßen eingeklemmt hängen; hingegen erwartete Martina, das es durch die eingehende Behandlung wie ein Pfeil nach oben ragen würde.
Verärgert über Gangolfs Unfähigkeit, zog sie die Beine zurück, versetzte dabei Gangolfs Rippen einen kräftigen Tritt und zog seine Hände wieder nach vorn und fixierte diese mit einem Vorhängeschloß an die Bauchkette.
Gangolf war enttäuscht; nachdem er klaglos alle Schikanen über sich ergehen hat lassen, erhoffte er sich als Belohnung eine Erleichterung seiner Gefangenhaltung. Die Enttäuschung währte nur kurz; zu Gangolfs großer Überraschung erscholl die Computerstimme mit der Aufforderung, sich aufzusetzen.
Artig gehorchte Gangolf, Martina griff den an der Rückseite der äußeren Hülle der Kopfmaske angebrachten Reißverschluß und zog ihn auf. Der leichte Überdruck zwischen äußerer und innerer Hülle entwich, anschließend öffnete Martina auch den Reißverschluß der inneren Hülle und schälte Gangolfs Kopf aus dem Gummi. Gangolf schlug die Augen auf und sah nichts als mehr oder weniger starke Grauschattierungen. Während er erschrocken über diese Wahrnehmung nachdachte, ob er blind geworden wäre, zog Martina die Ohrhörer aus Gangolfs Gehörgängen; sie ging dabei nicht vorsichtig vor, so daß die geschwollene und zum Teil bereits entzündete Haut im Gehörgang aufgerissen wurde und leicht zu bluten begann.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht saß Gangolf da in der Ungewißheit, wie es weitergehen würde. Zum einem freute er sich, daß ihm die sinneraubende Kopfhaube abgenommen worden war, indes ereilte ihn die Panik, daß er durch den tagelangen Einschluß in jener blind geworden wäre und auch das natürliche Gehör verloren hätte. Verängstigt blickte er um sich; aus der Küche drang durch den Türspalt gleißend helles Licht.
Jetzt begriff Gangolf, daß seine Augen durch die lange Dunkelheit überempfindlich für Lichtreize geworden waren, im Laufe der Minuten gelang es ihm, Einzelheiten in dem abgedunkelten Zimmer zu erkennen. Er atmete auf, als er Geräusche aus der Küche wahrgenommen hatte, somit schien ihm auch das Gehör geblieben zu sein. Nach einiger Zeit gewahrte er schemenhaft die ausgetretenen Chucks von Magda, und er wußte, was ihm Martina in den Mund gesteckt hatte.
Je intensiver die Beziehung zu Amalia wuchs, desto lästiger wurde Martina ihr Sklave Gangolf. Freilich reagierte sie sich regelmäßig an ihm ab, wenn sie nach einem anstrengenden Tag als Krankenschwester ein gewaltiges Aggressionspotential mit nach Hause brachte und dieses an Gangolf entlud.
Gangolf fürchtete sich, wenn es dunkel wurde und mit Martinas Rückkehr zu rechnen war, andererseits war ihm die Abwechslung in dem tristen Dasein willkommen, so schmerzhaft sie auch war. Meistens erhielt er gewaltige Fußtritte, seltener griff seine Herrin einen Stock und schlug ihn damit. Mit strenger Fesselung war Gangolf völlig wehrlos der Willkür ausgeliefert; neben den Tritten und Schlägen fürchtete er die Metallklammern, die Martina häufig auf seine Brustnippel anbrachte. Die Zähne der Klammern bissen sich äußerst schmerzhaft in das empfindliche Fleisch, sie hinterließen unansehnliche Narben. Nach diesen Torturen betastete Gangolf die gepeinigten Stellen mit seinen üblicherweise stets kalten Händen in der Hoffnung, dadurch Linderung an den glühenden Wunden zu erlangen.
In Amalia fand Martina die ideale Partnerin; diese vereinigte in sich Bettinas erotische Sinnlichkeit und Magdas devote Grundeinstellung. Martina erkannte im Wesen ihrer neuen Partnerin, warum sie Magda und darnach Gangolf so malträtieren mußte: Beide hatten die Fähigkeit, starke Schmerzen auszuhalten, so daß Martina immer heftiger werden mußte, um von ihrem Opfer entsprechende akustische Reaktionen zu erhalten; Amalia indes schrie bereits bei kleinen Quälereien auf, was Martina meistens schnell genügte und in ihr befriedigende Lustgefühle der Überlegenheit und Macht hervorrief.
Darüber hinaus war Amalia als Buchhalterin nicht philosophisch-theologisch durchdrungen, ihre Sichtweise der Dinge war für Martina in angenehmer Weise nüchterner, allerdings auch nicht wieder so dumpf wie jene von Magda, mit der sie sich über das Essenkochen unterhalten konnte.
Da Gangolf nicht aufbegehrte, gewährte Martina diesem im Lauf der Wochen immer weitere Bequemlichkeiten; so konnte er dank einer längeren Kette selber in das Bad gehen, durfte sich duschen, wobei stets viel Wasser aus der Kabine spritze, da die Plastiktür einen Spalt offen blieb in der Breite der langen Kette, welche seine Hände und Füße umschloß und an dem eingemauerten Haken in der Ecke des Zimmers endete.
Gangolf bekam zunächst Bücher und Zeitschriften, um die lähmende Langeweile einzudämmen, schließlich stelle Martina ihm sogar einen alten Computer auf den Boden neben seiner Liegedecke. Es gab allerdings keinen Internet-Anschluß, so daß ihm ein Kontakt zu der Außenwelt weiterhin unmöglich war.
Gangolf vertrieb sich die Zeit mit den Filmen auf CDs, die Martina ihm von Zeit zu Zeit mitbrachte, und für diese er sich stets artig bedankte, immer unter der Furcht, sie könnte die Erleichterungen rückgängig machen und somit die öde Langeweile zurückholen, die ihn beinahe um den Verstand gebracht hatte.
Martina machte sich ernsthaft Gedanken, wie sie Gangolf loswerden konnte. Dieser lebte zwar weitgehend pflegeleicht in Magdas vormaliger Wohnung, während sie mit Amalia in der großen Wohnung in Laukuv residierte. Sie fand es trefflich, daß Bettina nach der Rückkehr aus der gemeinsamen Quarantäne bald ausgezogen war und sie somit über deren Zimmer verfügen konnte, das anschließend Amalia bezog.
Mit Magda war es einfacher, diese war derart devot veranlagt, daß sie nicht nur Martinas Sadismus ertrug, sondern auch vollkommen zufrieden ihre Zwei-Zimmer-Wohnung, die sie nur zum Einkaufen verlassen wollte. Zudem war sie durch die elektronische Fußfessel ohnehin genötigt, sich im Stadtbereich von Lüggen aufzuhalten, ein Umzug oder gar Wegzug war damit so gut wie unmöglich gewesen.
Mit Gangolf war das ganz anders, Martina war sich sicher, daß dieser jede Möglichkeit der Flucht wahrnähme, die sich ihm böte. Sie hatte deshalb in weiser Voraussicht beizeiten die alte einfache Wohnungstür durch eine massive einbruchshemmende Sicherheitstür ersetzten lassen mit mehrfachen Sicherheitsriegeln. Zudem hatte sie die alten Fenstergriffe gegen absperrbare auswechseln lassen.
'Eigentlich ist für alles gesorgt', überlegte sich Martina, die Lagerräume unter der Wohnung wurden aufgegeben, für wenig Geld konnte sie diese mieten, so daß ihr Gefangener sich nicht durch Stampfen oder Schreien hätte bemerkbar machen können. Zudem wurde er nackt gehalten, seine Kleidung hatte sie bereits am ersten Tag seiner Einlieferung in das Privatgefängnis in einen Altkleider-Container geworfen, als sie auf dem Weg zur Untersuchung in die Kaiserswuselhauser Klinik war.
Sollte es Gangolf irgendwie gelingen, sein Gefängnis zu verlassen, was nach menschlichem Ermessen unmöglich erschien, müßte er splitternackt hinauslaufen; in den durch die allgemeine Ausgangssperre menschenleeren Straßen fände er bei niemanden Gehör.
Die Schallschutzfenster ließ Martina stets abgeschlossen. Dennoch befiel sie leichtes Unbehagen bei den Gedanken, daß Gangolf irgendwann einmal zu einem Arzt gehen muß, wenn ihre Kenntnisse als Krankenschwester nicht mehr ausreichen würden, ihn zu behandeln, oder wenn er seine Zahnschmerzen nicht mehr aushielte und zum Zahnarzt müßte.
Die Condoma-Epidemie schwächte sich im Lauf der Wochen allmählich ab, erste Maßnahmen zur Eindämmung wurden aufgehoben. Martina beschloß, Gangolf in der Tschechei 'zu entsorgen'; sobald die Grenzen wieder frei passierbar sein würden, würde sie Gangolf in ihren Lada verfrachten und in einer einsamen Gegend irgendwo in den menschenleeren Schluchten des Erzgebirges absetzen. Niemand würde ihm dort seine Geschichte abnehmen, diese war zu unglaubwürdig: Eine deutsche Krankenschwester habe ihn über Monate gefangen gehalten und nun hunderte Kilometer entfernt splitternackt ausgesetzt. In der Zwischenzeit würde sie die Wohnung gekündigt haben, alle Spuren beseitigt, die einen Hinweis auf die Verwendung als Gefängnis geben könnten, insbesondere die dicken eingemauerten Haken entfernt.
Eine weitere Lockerungsmaßnahme der Freiheitsbeschränkungen im Zuge der Condoma-Epidemie betraf die Fahrschulausbildung für Motorräder; während die Ausbildung für Autofahren weiterhin untersagt war, durfte die Motorradausbildung wieder stattfinden. Martina meldete sich an, sie hoffte, aufgrund der fast gänzlich leeren Straßen einfache Voraussetzungen für die Fahrprüfung vorzufinden. Sie vermißte das Motorradfahren mit Gangolf; jetzt wollte sie das Fahren lernen, zum einen, weil sie damit unabhängig von diesbezüglichen Mitfahrgelegenheiten werden würde, zum anderen entsprach es ihrer dominanten Natur, daß sie anschaffte, wohin die Reise führen würde. Amalia freute sich bereits, mitfahren zu dürfen, sie malte sich lustvoll aus, ihrer Partnerin hintenaufsitzend hilflos ausgeliefert zu sein.
Als sie ihre Prüfung schließlich bestanden hatte, bat Martina ihren Fahrlehrer, eine gemeinsame Fahrt als Abschluß ihrer Ausbildung zu unternehmen; dieser schaute sie zunächst verdutzt an, doch als sie ihm klarmachen konnte, daß sie einfach eine Mitfahrtgelegenheit benötigte, um nach Wesserbarg zu gelangen, da sie ein Motorrad gekauft hätte und das dort zur Abholung in einer Scheune stand, willigte er ein.
Auf dem holprigen Feldweg zu Gangolfs Hof fluchte er leise vor sich hin und hätte sich eine Enduro gewünscht, ein geländegängiges Motorrad. Martina hatte neben der Bescheinigung der soeben bestandenen Prüfung auch den fingierten Kaufvertrag mit Herrn Stumpf dabei; die Fahrzeugpapiere mußte sie erst noch in den Unterlagen im Haus suchen. Gerne hätte sie sich auf die selbe Art Gangolfs Golf unter den Nagel gerissen, doch diesen benutzte immer noch Bettina, während deren Elektroauto weiterhin in Gangolfs Garage stand.
Ihr Herz schlug höher, als sie Gangolfs Rennmaschine aus der Scheune schob. Daß ihr Herz das Schlagen aufhören würde als Spätfolge wegen dieses Motorrads, das hätte sie nie im Leben gedacht.
|
|
Stamm-Gast
Erlangen
Warum nur wollen immer alle frei sein!
Beiträge: 200
Geschlecht: User ist offline
|
RE: DER SCHREI AUS DEM BRUNNEN Ein erotischer Kriminalroman zu Zeiten des Condomaviruses
|
Datum:25.08.23 22:44 IP: gespeichert
|
|
120
Im Kriminalfall >Stumpf< gab es weiterhin keinerlei Spuren, einzig einen vagen Ansatzpunkt für die Ermittlungen: Brauses kurzes Gespräch mit einer Krankenschwester Boschena. Doch ehe diese mitteilen konnte, in welchem Krankenhaus der tschechischen Republik Gangolf im Koma läge und ob Magda bei ihm sei, brach das Gespräch vermutlich wegen leeren Akkus ab.
Ein Kriminaltechniker ermittelte zwar, daß Gangolfs Handy zuletzt im nördlichen Stadtbereich von Lüggen in das Netz eingeloggt gewesen war, doch wurde diesem Sachverhalt keine Bedeutung beigemessen. Zu eindeutig war Brauses Aussage gewesen, daß die Frau zwar durchaus ein gutes Deutsch sprach, die typische slawische Lautfärbung des zum ä neigenden e und die Betonung auf der ersten Silbe war indes unverkennbar.
Der Fall >Stumpf< erhielt dadurch internationales Ausmaß, Kommissar Schlauer schaltete das Landeskriminalamt ein, dieses das Bundeskriminalamt, welches Kontakt mit den tschechischen Behörden aufnahm. In der gesamten Republik konnte indes kein Stumpf ausfindig gemacht werden, es war auch kein Deutscher in irgend einem Krankenhaus in Koma gelegen.
Schlauer hielt engen Kontakt mit dem örtlichen Polizeirevier in Lüggen, Brause kamen erste Zweifel, ob die Frau vielleicht eine gute Schauspielerin war und eine falsche Spur in die Tschechei legte.
Die Polizisten beschlossen, Fahndungsplakate zu erstellen, alle Bewohner entlang der Dorfstraße von Wesserbarg wurden aufgesucht mit der Bitte, die Augen nach Herrn Stumpf und Frau Armdran offen zu halten.
- „Ja, ja, der Fremde“, erkannten die Dorfbewohner sofort die abgebildeten Fahrzeuge, Auto wie Motorrad. Peter lauschte hinter der Tür; als er hörte, daß die blaue R1 >des Fremden< gesucht wurde, kam er in das Zimmer hereingerannt und sprudelte los:
- „Das hab' ich gesehen“, rief er atemlos, „vorgestern oder vorvorgestern kam er vorbeigebraust, viel schneller als sonst, sonst fuhr der immer sehr langsam da an den Häusern vorbei.“
Peters Vater wollte seinen Sohn maßregeln, weil er nicht artig den Herrn Polizeihauptmeister begrüßt hatte, sondern ungefragt hereingeplatzt war, doch Brause richtete sogleich eine Frage an den Jungen:
- „Ist dir dabei etwas aufgefallen, war irgend was ungewöhnlich, warum er so schnell fuhr, ist jemand hinten mitgefahren?“
- „Nein, also ja“, kam Peter in's Stottern, „also zuerst, bevor er vorbeikam, ist ein anderes Motorrad hinter gefahren, die waren zu zweit, und ich glaub', der da hinten d'rauf saß, der ist dann zurückgefahren mit der R1.“
- „Gute Beobachtung, mein Junge“, lobte Brause, „wie heißt du denn?“
- „Peter.“
- „Sehr schön, Peter, und sach' `mal, ist der erste Motorradfahrer dann mit dem zweiten zurückgefahren?“
- „Nein, den hatte ich nicht mehr gesehen.“
- „Dann müßte dieser Motorradfahrer mit seinem Motorrad also noch da hinten geblieben sein, in dem Hof des Stumpf.“
- „Ich hab' aber nicht dauernd aus dem Fenster geguckt, vielleicht hab' ich ihn übersehen.“
- „Ja, das ist möglich, also vielen Dank erst einmal für deine Beschreibung“, und an Peters Vater gewandt fuhr er fort:
- „Und ruft sofort an, wenn ihr ihn oder jemand anders da hinter fahren seht, dieser Stumpf ist seit Wochen verschwunden, vermutlich untergetaucht, um einer Festnahme zu entgehen, wahrscheinlich in Begleitung mit Frau Armdran.“
Auch alle anderen Bewohner entlang der Hauptstraße des Dorfes, welche die einzige Zufahrtsstraße zu Gangolfs Anwesen bildete, waren von der Aussicht angetan, erstmals in ihrem Leben in einem Kriminalfall mitzuwirken.
- „Das mußt du gleich dem Kommissar sagen“, entgegnete Peters Mutter, als Peter noch eine Einzelheit zu den Motorrad-Beobachtungen eingefallen war, „am besten, du bleibst gleich vor der Haustür stehen und wenn der Kommissar zurückkommt, dann springst du auf die Straße und hältst ihn an.“
- „Aber das darf man doch nicht, wegen der Ausgangssperre.“
- „Du hast ja recht, Peter, aber in dem Fall ist das anders, ich glaube, das ist ganz wichtig, was du dem Kommissar zu sagen hast und da darfst du freilich kurz auf die Straße hinaus.“
Peter begab sich sofort auf den Beobachtungsposten vom dem Haus, prompt hörte er bald, wie das Auto des Kommissars auf der Dorfstraße zurückfuhr. Hurtig sprang er auf die Fahrbahn und winkte. Brause hielt an, ließ das Fenster der Beifahrertür herunter und rief hinaus:
- „Was gibt’s denn?“
- „Mir ist noch `was eingefallen“, rief Peter aufgeregt in das Auto hinein.
Brause schaltete den Motor aus und forderte ihn auf:
- „Na dann komm' herein und setz' dich neben mich.“
Für Peter war es der Höhepunkt seines bisherigen Lebens. Er durfte in einen Streifenwagen einsteigen und der Wachtmeister hörte aufmerksam zu, was er zu sagen hatte.
- „Also der Fremde, den alle hier so nennen, der mit der blauen R1, also der fährt ja normalerweise immer sehr langsam da vorbei.“
- „Das hast du schon gesagt.“
- „Ja, und der hat immer so einen blauen Motorradanzug an und auch einen weißen Helm mit blauen Streifen, sogar blaue Handschuhe und Stiefel mit blauen Streifen.“
- „Ja und, war das neulich anders?“
- „Ja, ganz anders, der hatte irgend so eine dicke schwarze Jacke an und auch einen ganz anderen Helm auf, weiß nicht mehr so genau, aber halt in einer ganz anderen Farbe.“
- „Hm“, entgegnete Brause und setzte eine nachdenkliche Miene auf, „und da bist du dir ganz sicher?“
- „Ja“, rief Peter aufgeregt, etwas nervös, weil ihm der Wachtmeister offenbar nicht sofort glaubte, „fragen Sie Max, der wohnt gleich da drüben.“
- „Ich glaub' dir ja, Peter, doch, das hilft uns sehr weiter, denn dann hat ja wahrscheinlich dieser Herr Stumpf, den ihr als den Fremden bezeichnet, das Motorrad gar nicht selber gefahren.“
Peter lief in das Haus zurück, aufgeregt berichtete er seinen Eltern und seiner Schwester, daß ihn der Wachtmeister gelobt hat für seine Aussage.
---
- „Olaf, weißt du eigentlich, daß du schon ein Viertel Jahr in Pension bist?“, wiederholte sich Nisselpriem.
- „Und du weißt, daß ich erst aufhöre, wenn ich weiß, was mit dem Stumpf wirklich los ist, der Fall scheint ja immer verworrener zu werden.“
Brause hatte am Ende seiner Dienstzeit Waffe und Ausweis abgegeben, seine Uniform durfte er behalten, und auch sein Schreibtisch stand ihm weiterhin zur Verfügung, ohne daß darüber eine Vereinbarung getroffen worden wäre.
- „Und da gab es also keine Veränderung außer dem fehlenden Motorrad?“ fragte Nisselpriem.
- „Nein, wir müssen da `rein, könnte doch sein, daß der da seit Wochen tot d'rinn' liegt.“
- „Du weißt, die Hürden für einen Durchsuchungsbeschluß sind mittlerweile sehr hoch. Aber vielleicht kannst du ja `mal so hineinschauen, also du weißt schon, ich brauch' mich nicht näher ausdrücken. Außerdem bist du nicht mehr im Dienst, und somit wird es allein dein Privatinteresse, da drinn' nachzusehen.“
- „Machen wir es so“, einigten sich die beiden ehemaligen Kollegen.
- „Ach, und noch `was“, rief Nisselpriem, als sich Brause bereits erhoben hatte, um das Chef-Büro zu verlassen, „warst du auch bei dem Haus von der, wie hieß sie gleich nochmal?“
- „Bei der Armdran, ja, aber da wohnt niemand mehr, kein Schild am Klingelknopf, die Rollos waren alle zugezogen.“
---
Gangolf saß mit angezogenen Knien in dem ihm zugewiesenen Winkel. Die Kette, die ihn mit dem Haken an der Wand verband, war in ihrer Länge so bemessen, daß es ihm möglich war, das Badezimmer zu betreten; bis zur Zimmertür, die zugleich die Wohnungstür bildete, konnte er nicht gelangen, auch nicht zu den beiden Fenstern, die sich in der gegenüberliegenden Wand befanden.
Gangolf hatte unendlich viel Zeit zum Nachdenken. Er malte sich aus, was er tun wird, wenn der Wahnsinn hier beendet sein würde: Er würde als erstes nach Grausneg fahren, dort in der Kirche Orgel spielen, dann natürlich ausgiebige Paddeltouren mit seinem geliebten Rennkajak unternehmen, schließlich zählte er im Geiste auch sein etwas in die Jahre gekommenes Motorad auf.
Als ihm die schönen Gedanken an die angenehmen Dinge des Lebens schwanden, packten ihn wieder die Gewissensbisse wegen den toten Bankräubern. Er sagte sich zwar immer wieder, daß diese selbst schuld waren, in wahnsinniger Fahrt zu zweit auf dem Motorrad in halsbrecherischem Tempo davonzujagen, während er diese mit dem Rennmotorrad verfolgte. Mit Schaudern kamen ihn die Bilder vor Augen, als er deren Motorrad im Gebüsch liegen sah.
- „Ich hätte den verdammten Rucksack mit dem Geld von dem Bankraub nicht an mich nehmen dürfen“, klagte Gangolf sich selber an, „das brachte nur Unglück: Ich hätte diese Inge nicht kennengelernt, sie hätte mich nicht der Vergewaltigung bezichtigen können.“
Dann fiel ihm wieder ein, wie er Martina kennen gelernt hatte, >wilde Fegerin sucht Soziaplatz< annoncierte diese in einer Motorradzeitschrift, „und ich Esel bin der natürlich gleich auf den Leim gegangen, und jetzt hält sie mich gefangen als Kettensträfling, als Sklaven, den sie hemmungslos nach Belieben mißhandelt.“
Schließlich kam ihm Magda in den Sinn, die unsäglich devot veranlagte Frau, die jetzt tot in seinem Brunnen lag.
'War sie denn überhaupt tot?', kam es ihm plötzlich in den Sinn, 'Martina kam auf die Idee, in dem verdammten Brunnen nachzusehen, in welchem sie Magda da gefunden hatte, wie sie sagte.'
Gangolf klammerte sich an den neu entdeckten Strohhalm:
'Vielleicht hatte Martina ihn angelogen, vielleicht lebte Magda noch, ich könnte mir vorstellen, daß diese in ihrer Verrücktheit sich eine Trinkflasche mitgenommen hatte, warm eingepackt in dem Neoprenanzug, mit den wasserdichten Trekking-Stiefeln, ja, das muß es sein, sie muß einfach noch leben!'
Der Gedanke an die lebende Magda tröstete Gangolfs aufgewühltes Gemüt, was ihn indes erschreckte war die Tatsache, daß anscheinend niemand hier nach ihm suchte.
- „Es ist doch Magdas Wohnung, die von der Martina bezahlt wird, warum sieht da der dicke Brause nicht nach? Der Sender hier ist auch weg, also müßten die doch von der Überwachungsstelle Alarm schlagen, daß Magdas Fußfessel kein Signal mehr sendet, ich versteh' das alles nicht mehr.“
Gangolf ärgerte sich darüber, daß er noch kurz vor seiner Gefangennahme Magda auf Brauses Geheiß umgemeldet hatte, was per >online< problemlos funktioniert hatte.
Brause fuhr mit einem alten Kumpel zu Gangolfs Hof hinaus; der ehemaliger Schlossermeister, seit Jahren im Ruhestand, zierte sich anfangs und schob die allgemeine Ausgangssperre vor, daß er nicht mitkommen dürfte.
- „Zier' dich nicht“, rief ihm Brause zu, „Kalle, das ist ein dienstlicher Auftrag, wenn du dich weigerst, du weißt, ich hab `ne Pistole.“
Kalle blickte ihn erschrocken an, im ersten Augenblick wußte er nicht, ob der alte Brause scherzte oder ob es ihm Ernst war, doch dann bemerkte er, daß das gar nicht sein konnte:
- „Wo hast `te denn dehn Halfter, ham' s'e dir abjenommen, wat, du kannst ja gar nich' mehr schießen!“
Die beiden Männer lachten, Kalle stieg in's Auto. Kaum waren sie durch Wesserbarg hindurchgefahren, läutete pausenlos das Telephon in dem Lüggener Polizeirevier. Das halbe Dorf meldete das durchfahrende Auto; es handelte sich zwar nicht um eines der gesuchten Fahrzeuge, doch alle Anrufer beteuerten, lieber einmal eine Meldung zuviel abgeben zu wollen, als eine zu wenig.
- „Warum seid ihr auch nicht mit `n Streifenwagen gefahren“, schnautze Nisselpriem, als er Brause am Telephon hatte.
- „Bin doch kehn Polizist mehr“, konterte Brause, muß ja jetzt alles mit mehm eigenen Karren fahren.“
Schlossermeister im Ruhestand Kalle benötigte fast zehn Minuten, bis er endlich das Schloß zu Gangolfs Haus geöffnet hatte.
- „Ich warte in deinem Wagen“, brummte er, betätigte den Türdrücken und stieß die Haustür auf.
- „Kommt nicht in Frage“, entgegnete Brause unwirsch, „ich brauch' dich zum suchen!“
- „Wonach suchst du denn?“
- „Nach `m Motorrad-Anzug, wehst `t schon, so ganz aus Leder, blau, und `m Helm, weiß mit Streifen.“
- „Und wo sollen wir den finden, dat Hoos ist groß!“
- „Fang' schon `mal hier an, ich geh' hoch in den Oberstock.“
Kaum war Brause die Stiege hinaufgekeucht, rief ihm sein Freund nach:
- „Olaf, kannst`te gleech wieder komm', dat Ding hing gleech hier an `ner Stange und seen Helm liecht hier uff der Kommod'.“
- „Also ist der Stumpf gar nicht mit seiner Maschine abgehauen“, resumierte Brause.
- „Der kann ja mal wat anderes anjehabt haben“, wendete Kalle ein.
- „Nee, du, die Kinder sachen die Wahrheit, der fährt sonst auch viel vorsichtiger, da ist wer anders mit seiner Maschine losgedonnert, dat sach' ich dir.“
Als die beiden auf den Hof hinaustraten, sagte Kalle:
- „Und nu', bleibt jetzt die Tür einfach offen?“
- „Ach so, ja, einfach nur zuziehen is' hier nicht“, pflichtete ihm Brause bei, „der hat ja so `nen normalen Türdrücker auch nach außen, keinen Knauf.“
Die beiden Männer kamen überein, den Türdrücker abzumontieren; zwar könnte ein Einbrecher dann einfach mit einem eigenen Türdrücker und der dazugehörigen Achse kommen und diesen einfach in das Vierkantloch hineinschieben, doch erschien ihnen dieses Vorgehen als unwahrscheinlich.
Zurück im Lüggener Polizeirevier bat Nisselpriem Brause sogleich zu sich.
- „Olaf, die Sache mit dem Motorrad von deinem Stumpf hat sich bereits geklärt.“
- „Aha, und wie, wurde er gesichtet?“
- „Nicht er, sondern sie: Die Martina Weiß, sie holte das Motorrad ab, sie hatte das von dem Stumpf abgekauft.“
- „Was?“, rief Brause erstaunt auf.
- „Ja, schon länger, als er noch da war, doch sie konnte erst jetzt die Führerscheinprüfung ablegen, damals durfte noch keine Fahrschulausbildung sein.“
- „Ja, ja, das verdammte Condoma“, seufzte Brause, „aber sag' `mal, wie kommt denn deiner Meinung der Stumpf dazu, seine Maschine zu verkaufen, ausgerechnet an die Frau, die er vergewaltigt hatte?“
- „Der Verkauf war vermutlich schon vorher, könnte ich mir denken, ja und die Weiß sagte, er wollte sich in Polen oder in der Tschechei oder Slowakei oder so wo eine neue Maschine kaufen; die Importe aus Japan wären in den Ländern billiger.“
- „Aha“, kommentierte Brause das Gehörte und legte eine kurze Denkpause ein, bevor er fortfuhr:
- „Dann könnte es also stimmen, daß da eine Krankenschwester Boschena an sein Handy ging, als ich versuchte, ihn anzurufen.“
- „Ja genau“, antwortete Nisselpriem, „und da hat es ihn bei der Rückfahrt geschmissen, daß er bewußtlos in ein Krankenhaus kam. Und diese Armdran war vermutlich auch mit dabei. Und das würde auch erklären, daß alle seine Fahrzeuge noch da standen, er ist wohl mit dem Zug dort hin gefahren, um mit dem neuen Motorrad zurückzufahren.“
- „Klingt irgendwie logisch“, stimmte Brause zu, „und das hat also diese Krankenschwester Weiß gesagt.“
- „Ja, so ist es. Und jetzt laß' uns hier unsere Arbeit machen, wir haben jede Menge mit der Überwachung der Anti-Condoma-Maßnahmen zu tun.“
- „Ich werd' mich `mal an die Weiß daran hängen, kommt mir irgendwie seltsam vor, einfach zu stimmig die ganze Geschichte.“
- „Tu, was du nicht lassen kannst, Olaf, es ist deine Freizeitangelegenheit, ich würde dir aber empfehlen, die Finger aus dem Spiel zu lassen, der Fall >Stumpf< ist einfach zu spitz, als darin herumzustochern, überlaß' das `mal getrost den Experten in Wuselhausen.“
Als Martina am späten Abend wieder nach Gangolf sah, um diesem ein kärgliches Mahl vorzusetzen, das sie aus der Küche des Krankenhauses mitgebracht hatte, beschloß Gangolf, jene nach Magda zu fragen. Seit Wochen hatte er seine Stimme nur noch für die unausweichlichen Schmerzenslaute benutzt, für das Stöhnen und Wimmern, er war überrascht, wie ihm seine eigene Sprache fremd geworden war:
- „Martina, jetzt sag' mir bitte nur ein's: Lebt die Magda noch?“
|
|
Stamm-Gast
Erlangen
Warum nur wollen immer alle frei sein!
Beiträge: 200
Geschlecht: User ist offline
|
RE: DER SCHREI AUS DEM BRUNNEN Ein erotischer Kriminalroman zu Zeiten des Condomaviruses
|
Datum:01.09.23 19:00 IP: gespeichert
|
|
121
An diesem Morgen kam es ihm vor, daß Martina irgendwie in einer besonderen Eile war, geradezu in wilder Hast: Kaum daß sie ihm, wie auch sonst üblich, die Trinkflasche und eine trockene Semmel auf den Boden geworfen hatte, stürzte sie wortlos hinaus und knallte die Haustür hinter sich zu. Doch schon wenige Augenblicke später schwang die Tür wieder auf, die Herrin stürmte schnaubend herein, raffte von dem Tisch ihre Handtasche, die sie liegengelassen hatte, und eilte in gleicher Weise wieder davon, ohne ihn nur eines Blickes zu würdigen.
Nachdem es für einige Minuten still geblieben ist, wagte Gangolf seinen Kopf zu heben und seinen Blick durch das von der Morgensonne schwach erleuchtete Zimmer schweifen zu lassen. Und da gewahrte er es, er mußte zweimal hinsehen, um es zu begreifen: Seine Herrin hatte ihr Smartphone liegen lassen!
Wie ein Blitz durchzuckte ihn nur der eine Gedanke: Jetzt war der Fall eingetreten, den er sich schon lange aus dem Kopf geschlagen hatte, die große einmalige Chance, telephonieren zu können, um dem elendigen Sklavendasein ein Ende zu bereiten. Kurz haderte er mit sich, ob er es wirklich tun sollte, doch dann streckte er die Beine aus, soweit es die Ketten erlaubten, und tatsächlich gelang es ihm, mit den Zehen ein Tischbein zu berühren.
Plötzlich überkamen Gangolf Skrupel, ob er sich trauen sollte, das Handy zu erheischen, denn die Konsequenzen wären fürchterlich, wenn die Herrin ein weiteres Mal zurückgekehrt wäre, um nach der vergessenen Handtasche nun auch das Gerät zu holen.
Er malte sich im Geiste die Strafen aus: Dunkelhaft, Hunger, Dauerbeschallung mit schmerzhaften Sirenentönen, dann natürlich das übliche Auspeitschen und all die anderen schrecklichen Foltermethoden zur Bestrafung des Versuchs, an ein Telephon heranzukommen, für dieses Kapitalverbrechen, das einem Fluchtversuch gleichzusetzen wäre.
Gangolf kam es in den Sinn, sich rasch entschließen zu müssen, es gab nur zwei extreme Alternativen: Entweder wartete er noch einige Minuten, gar eine Viertel Stunde, um sicherzugehen, daß Martina nicht nochmals zurückkehren würde, um ihr Smartphone zu holen, auf diese Weise würde er sodann in aller Ruhe telephonieren können, allerdings mit der Möglichkeit, daß sie während der Wartezeit doch zurückkäme, ihn zwar in Ruhe ließe, indes wäre die Chance dann vergeben. Oder er handelte sofort auf die Gefahr hin, bei dem Versuch, das Handy zu erlangen, auf frischer Tat erwischt zu werden mit allen Konsequenzen...
Gangolf beschloß, sofort zu handeln: Das Handy im Blick, die wohl einmalige Chance zu ergreifen, jetzt oder nie, das Sklavendasein gegen das Gefängnis einzutauschen. Mit aller Kraft streckte er die Füße, die schweren Schellen schnitten in das Fleisch der Unterschenkel, doch er ignorierte den Schmerz, mit äußerstem Willen drückten sich die großen Zehen Millimeter um Millimeter um das quadratische Tischbein herum.
Als die Zehen jeweils eine Seite des Tischbeins berührt hatten, versucht er, die Zehen so fest es ging an das Holz zu drücken und seine Knie sodann anzuwinkeln, um das Tischbein auf diese Weise zu sich herzuziehen, indes gelang es nicht: Der Tisch war zu schwer, die Zehen rutschten ab, ohne daß sich der Tisch auch nur einen Millimeter bewegt hätte.
Frustriert starrte er auf seine Füße, schier fassungslos saß er da, für einige Sekunden wie gelähmt. Dann faßte er den Entschluß, die Schellen um seine Füße mit den Händen so weit wie möglich nach oben über das Schienbein zu schieben, um wertvolle Millimeter an Bewegungsradius zu gewinnen. Tatsächlich gelang es ihm, trotz seiner gefesselten Hände, die mit Handschellen nahe an seinen Bauch befestigt waren, die Eisenringe einige Zentimeter weiter in die Waden zu drücken.
Mit pochendem Herzen streckte er wieder die Beine durch, erreichte mit den Füßen das Tischbein und jetzt gelang es ihm, mit den großen Zehen das Holz wie mit einer Zange zu umklammern, so daß sich die Zehen vorne berührten.
Mit größter Anstrengung schaffte er es, den Tisch ein bißchen in seine Richtung zu bewegen, doch nach wenigen Sekunden mußte er den rechten Fuß zurückziehen, ein wahnsinniger Schmerz durchzuckte den gesamten Unterschenkel, der Fuß verkrampfte, er mußte die mühsam hinaufgeschobenen Schellen von der Wade auf die Knöchel zurückstreifen und den Fuß anwinkeln, um den Krampf abklingen zu lassen.
Schnell zog er auch das linke Bein zu sich heran, denn sollte in dem Moment die Herrin hereinstürzen, darf nichts darauf hindeuten, daß er den Versuch unternommen hatte, ihr Smartphone zu erangeln.
Glücklicherweise blieb es an der Haustür still, der Schmerz ließ nach und Gangolf drückte wieder die rechte Fußschelle so weit wie möglich auf die Wade, um einen neuen Versuch einzuleiten, den Tisch zu sich herzuziehen. Tatsächlich gelang es ihm nun, mit einem beherzten Ruck das Tischbein um mehrere Zentimeter zu bewegen. Nach diesem kleinen Erfolg zog er seine Füße wieder an sich heran, um die Fußeisen von den Waden herunterzuziehen, denn nun mußte er nicht mehr um jeden Zentimeter Bewegungsfreiheit geizen, den die Fußketten hergaben.
Beim dritten Anlauf gelang es ihm, das Tischbein soweit zu sich zu ziehen, daß er nun mit den beiden Fersen das Holz umklammern konnte und auf diese Weise bewegte er kraftvoll den Tisch. Er zog ihn bis auf etwa einem halben Meter heran, zog seinen rechten Fuß ganz zu sich zurück, hob das Bein, bis der Fuß auf der Tischplatte zu liegen kam. Vorsichtig ertastete er mit den Zehen das Smartphone, schob es bis zur Tischkante, gab ihm einen festen Stoß, es fiel in einem leichten Bogen herab, flog auf seine Brust, so daß er es schließlich mit den Händen auffing.
Mit zitternden Fingern umfaßte Gangolf das Gerät, nach mehrfachen Herumdrücken erreichte er schließlich das Notfall-Menü. Er atmete schwer ein und aus, rekapitulierte nochmals das Geschehen, wie alles ganz harmlos begonnen hatte, wie das Spiel aus Lust und Leidenschaft eine Eigendynamik entwickelt hatte, wie es aus dem Ruder gelaufen war.
Mit pochendem Herzen drückte er sodann wild entschlossen die drei Nummern auf die Mattscheibe, die er bis dahin noch nie in seinem Leben gewählt hatte :
110
|
|
|
|
|
|