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  Agonie (Fortsetzung von "Frust")
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Daniela 20
Story-Writer



Semper firma occlusa!

Beiträge: 225

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  RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust") Datum:17.03.13 22:00 IP: gespeichert Moderator melden


Oh, immer noch kein Ende!! Glaubt mir bitte, liebe Leser - und Leserinnen! - am liebsten würde ich den Rest der Geschichte jetzt in einem Stück veröffentlichen. Aber das geht nicht. Ich habe ja immer gesagt, meinen Lesern - und Leserinnen! - mit meiner Geschichte über den Winter hinweghelfen zu wollen, und, wie es aussieht, ist immer noch tiefster Winter, egal, was die Meteorologen sagen! Ich brauche heute ja nur aus dem Fenster zu sehen!
Beim Durchlesen der heutigen Folge fiel mir auf, dass eigentlich gar nichts passiert. Womit ich nicht sagen will, dass es langweilig ist. Nein, es ist eher wie bei einem Schachspiel: ich bin dabei, meine Figuren in Stellung zu bringen. In Stellung für das große Finale! Habt Geduld mit mir, es lohnt sich, dranzubleiben! Eure Daniela
PS: Und ein herzliches Dankeschön all jene, die mir geschrieben haben. Es freut ungemein!!

---
Oktober XIV.

Kommissarin Wimmer saß an ihrem Esstisch. Vor sich hatte sie die verschmierte Pappe einer Pizza, die sie auch diesmal nicht ganz hatte aufessen können. Schlechte Essensgewohnheiten waren sicherlich das Schlimmste an ihrem Beruf. Selten nur hatte sie geregelte Arbeitszeiten, ´Verbrecherjagd´ setzt halt voraus, dass man immer zur Verfügung steht.
Und jetzt hatte ihr Chef etwas von ihr verlangt, was ganz bestimmt gegen ihre Arbeitspflicht verstieß! Allerdings war sie mit Leib und Seele Kriminalistin, sie selber wollte, dass dieser Fall so schnell wie möglich aufgeklärt wurde, und von daher hatte sie nichts dagegen, einmal ´under cover´ eingesetzt zu werden, wie ´der Rick´ sich ausgedrückt hatte.
"Also, hören Sie zu!" hatte er gesagt und ihr seinen Plan auseinandergesetzt, einen Plan, bei dem ihr im ersten Moment angst und bange werden wollte. "Wimmer, wir haben eine minimale Chance, dass der Täter am nächsten Sonnabend wieder zuschlagen wird. Wir wissen ja nicht, ob da eventuell noch mehr Mädchen mit solchen Sachen herumlaufen, wie unsere Tote hier. Und noch weniger wissen wir über diesen Dildo, oder Phallus, oder wie ich das Teil nun nennen soll."

"Dildo, Chef," hatte sie ihm geantwortet.

"Ja, okay. Frau Doktor hatte ja gemeint, es sei etwas, was mit einer Fernsteuerung bedient werden kann. So ein richtig perverses Teil also..." Sie hatte durchaus bemerkt, dass ihr Chef für einen Moment ins Stottern geraten war und nun schwer Luft holte. "Also, es kann sein, dass er wieder mit einem Mädchen dort hingeht. Ein simpler Triebtäter, denke ich mal. Und dass er dann wieder mit seiner Fernbedienung herumspielt und dass Sie, Wimmer..."
Es war seltsam, aber sie hatte ihrem Chef ansehen können, dass er etwas ganz anderes sagte, als er eigentlich dachte.
"... dass Sie, Wimmer, dieses Signal aufspüren, orten können. Besonders groß kann die Reichweite des Senders nicht sein, vielleicht hundert Meter oder so, aber ich denke mal, dass sich unser Typ gar nicht so weit von seinem Opfer entfernt aufhält. Er will ja wohl selber etwas davon haben, oder?"

"Wie meinen Sie das, Chef?" hatte sie ihn ganz unschuldig gefragt. Das Lieschen vom Land, das von nix keine Ahnung hat.

"Also, ich denke mal, das Gerät erlaubt eine gewisse Fernstimulierung der... der Vagina. Vielleicht sogar eine recht heftige Stimulierung. Also etwas, das man sehen kann, wenn man weiß, was die Frau da ... trägt. Und in einem Raum voller Menschen wird er wohl ganz in der Nähe sein, um es sehen zu können..."

"Um was sehen zu können, Chef?" Sie hatte es genossen, ihn ein wenig zu quälen.

"Also Wimmer! Sie stellen aber auch Fragen! Aber wenn alles klappt, werden Sie es am Samstag ja selber sehen können!"

"Sie meinen, ich soll selber...??" Für einen Moment hatte sie ihren scherzenden Ton verloren.

"Ja. Genau. Sie sollen selber dahingehen, und wenn das Teil zu vibrieren anfängt, dann geben Sie uns ein Signal. Ganz einfach also!"

Sie hatte ihn mit einem Blick angesehen, der tiefste Bewunderung ausdrückte. Für einen Moment war ihr doch recht eng ums Herz geworden, sie musst den Impuls unterdrücken, den Reißverschluss ihres Mieders aufzuziehen. So etwas tut Frau nicht, hatte sie gedacht, und Männer darum beneidet, wenn diese mit der größten Selbstverständlichkeit ihre Krawatte lockerten und den Kragen öffneten. "Chef?" hatte sie dann zweifelnd angebracht, "Sie meinen also, ich soll mir das Ding unter den Arm klemmen, und dann so damit rumlaufen?"

"Genau, Wimmer. Hervorragend, wie Sie das alles begriffen haben! Sie haben doch sicherlich so eine kleine, feine Handtasche. Tun Sie das Ding da hinein und klemmen Sie sich die dann unter den Arm. Ich denke mal, das müssten Sie dann immer noch bemerken, wenn es losgeht - falls es also losgeht. Wie gesagt, die Chance ist klein..."


Hatte sie deshalb nicht aufessen können? Weil ihr jetzt bereits der ganze Vorgang auf den Magen schlug? Ingeborg Wimmer stand auf und ging zu ihrem Schrank, an dessen Tür sie das Dirndl aufgehängt hatte. Das war doch ein total hirnrissiger Plan! Das würde doch nie im Leben klappen? Und was, wenn irgendjemand sie im Gedränge anstoßen würde und ihr die Handtasche hinfiel? Und dann womöglich der Dildo kaputt ginge? Nein. So würde es nie klappen! Und eigentlich hatte sie sowieso keine Lust, bei diesem bescheuerten Plan mitzumachen. Das Dirndl war schon schlimm genug!



September III.

Eigentlich war es nie eine Frage gewesen, was er wirklich wollte. Das Problem hatte immer nur darin bestanden, es zu tun. Er war sich durchaus bewusst, dass es eine grenzwertige Erfahrung eines Sich-Outen´s und gleichzeitiger Anonymität war. Das verdammte Bedürfnis, sich anderen mitzuteilen, und die ewige Angst vor Entdeckung!
Es war wirklich kompliziert. Klaus lehnte sich in seinem Sessel zurück. Warum konnte das Leben nicht einfacher sein? Warum konnte er denn nicht ganz normal sein? Aber war er denn nicht normal? Bestimmt nicht krank. ´Verhaltensgestört´, hätte man möglicherweise gesagt. Die Anderen, die hätten so gesagt. Diejenigen, die gern mit dem Finger auf andere Leute zeigten, auf ´Abweichler´ und ´Sonderlinge´, Leute, denen das Leben einen anderen Weg vorgezeichnet hatte.
Er hatte ewig mit sich selbst gekämpft, hatte lange vor dem Spiegel gestanden und überlegt, was er anziehen sollte. Dabei war es doch eigentlich ganz einfach gewesen! Was er anziehen sollte?

Er hatte leise in sich hinein gelacht. Nein, eigentlich scherte er sich keinen Deut mehr darum, was andere meinten, was er anziehen sollte. Er hatte es gelernt, in eine andere Rolle zu schlüpfen, als Barbara aufzutreten. Kein Problem. Zumindest kein großes.
Nur ein klitzekleines. Es war ... nun, es war eigentlich langweilig. In einer Stadt wie München schaute niemand mehr hin, egal, was er trug. Vielleicht würden die Leute ja noch hinschauen, wenn er es einmal wagte, im Dirndl hinauszugehen, ohne Perücke, ohne Makeup und falsche Titten. Aber er hatte nicht vor, für den ultimativen Kick sozialen Selbstmord zu begehen. Monika fehlte ihm. Vor einer Frau als Frau aufzutreten, das war das Beste, und das hatte er seit Monaten nicht mehr gehabt. Irgendetwas Dummes musste mit Monika geschehen sein; sie hatte nach dieser dämlichen Episode an Ostern total das Interesse an ihm - an Barbara - verloren. Traurig, aber wahr.

Ein kurzes Klingeln ließ ihn hochschrecken. Wer mochte das jetzt sein? Kaum jemand wusste, dass er hier wohnte, und noch weniger Leute ahnten etwas von seiner Existens als Barbara. Schwierig war allein die Tatsache, dass es leider auch einige wenige Menschen gab, die keine Ahnung von Klaus hatten, und eben nur Barbara kennen gelernt hatten. Vielleicht sollte er das Klingeln einfach ignorieren? Aber schnell näher kommende Schritte auf der Treppe ließen sich nicht mehr ignorieren. Das Schloss der Haustür war ein schlechter Witz, ein kurzer, heftiger Druck und man hatte die Tür auf.
Jemand klopfte. "Klaus? Bist du zu Hause?"

Er erkannte die Stimme sofort. Daniela war zurück! Ein seltsames Gefühl von Freude und Unsicherheit erfüllte ihn einen Moment, dann raffte er sich auf, ging zur Tür und ließ sie herein. "Dani! Das ist jetzt aber eine Überraschung! Komm rein! Bist du schon lange in München?"

Daniela umarmte ihn. "Hallo! Wie ich sehe, ist Klaus nicht zu Hause. Aber Barbara ist auch okay. Nee, ich bin noch nicht so lange hier. Aber diesmal fahre ich so schnell nicht wieder weg!" Sie lachte ihn an. "Kannst noch lange was von mir haben!"

Klaus lächelte unsicher zurück. Wirre Bilder einer Nacht tauchten in seiner Erinnerung auf. Barbara und Dani, eng aneinandergefesselt im Bett. Keine Möglichkeit der Flucht. Beide waren Opfer eines bizarren Spiels gewesen, das Monika mit ihnen getrieben hatte, während diese fast selber ins Gras gebissen hätte. Seit Monaten hatte sich niemand mehr für Barbara interessiert, es gab nichts mehr, kein Spiel, keine Herausforderung, kein Herzrasen. Auch die Kontakte, die er im Frühling noch zu anderen Frauen gehabt hatte, waren wieder eingeschlafen. Welche Frau will schon eine Beziehung mit einer Transe?? Er blickte auf, sah in Danielas Augen, sah ihr Lächeln und hörte dieses ´Barbara ist okay´. Konnte dies ein neuer Anfang sein? Hatte Daniela das Zeug dazu, ihn ähnlich zu dominieren, wie Monika ihn dominiert hatte?
"Von mir aus gern, Dani." Er kam sich blöd vor. Es drängte ihn, mit der Tür ins Haus zu fallen, aber er hatte auch Angst, etwas kaputt zu machen. Er kniff ihr ein Auge und fügte hinzu: "Hast du die Handschellen dabei?"

Daniela war an ihm vorbei ins kleine Wohnzimmer gelaufen und hatte sich ins Sofa gesetzt. Was hatte sie erwartet? Dass sie mit ihm ganz ungezwungen über ihre Ferienerlebnisse in Amerika würde reden können? Es störte sie auch, dass Klaus scheinbar immer noch nicht seine Rolle als Barbara abgelegt hatte. Wie lange sollte der Blödsinn denn noch weitergehen? Hatte sie nicht insgeheim seit Wochen darüber fantasiert, sie könnte ihm die Schlüssel zu ihrem Keuschheitsgürtel geben? Und ER würde schnell auf den Geschmack kommen und merken, wie spannend es war, der dominante Part in einer Beziehung zu sein? Nun ja, sie würde halt etwas daran arbeiten müssen. Männer sind manchmal so fantasielos, manchmal muss man sie erst mit der Nase auf neue Dinge stoßen. Sie würde sich Zeit lassen müssen. "Nein, leider nicht. Weißt du noch, wie ich dich damals im Englischen Garten gefunden hatte? Als Messdienerin verkleidet und an dieses Geländer angekettet?" Sie erschauerte bei dem Gedanken. Doch nicht der Gedanke, dass sie ihn, bzw. Barbara damals in dieser prekären Situation gefunden hatte, sondern eher der Gedanke, sie hätte dort so stehen müssen, verkleidet und angekettet, am helllichten Tage, während zig Leute dort vorbeigingen.

"Allerdings. Ich kann mich noch lebhaft daran erinnern. Mann, was war ich froh, als du mich da losgemacht hattest!"

"Vielleicht hätte ich dich besser stehen lassen sollen?" Dani lächelte ihn unergründlich an.

"Vielleicht..." Konnte er ihr irgendein Signal geben? "Ich hätte ja nichts machen können..."

"Soweit ich mich erinnere, hast du sowieso nichts machen können, oder? Warst die ganze Nacht mit mir zusammen und bist nicht einmal über mich hergefallen!" Sie zog ein Gesicht, das bittere Enttäuschung ausdrücken sollte. War das Ernst?
"Ja, dieser scheiß Keuschheitsgürtel..." Wieder liefen blitzschnell hunderte von Bildern vor seinem geistigen Auge ab. Wie Monika ihm zum ersten Mal die Keuschheitsschelle angelegt hatte. Wie später dann der stählerne Keuschheitsgürtel dazu kam, dieses Teil, das speziell für TVs entwickelt war. Oft war es der schiere Horror gewesen, irgendwie aber auch etwas, das er jetzt schon seit Monaten vermisste. Monika war definitiv als keyholder ausgeschieden; sie hatte ihm das kurze Video und damit die Freiheit wiedergegeben, eine Freiheit, die er im Grunde genommen gar nicht haben wollte. Weil er festgestellt hatte, dass seine Freiheit als Barbara viel größer war. Dennoch fühlte er jetzt, dass er auf Danielas enttäuschtes Gesicht irgendwie reagieren musste. "Können wir ja gern nachholen! Von mir aus jetzt!"

Daniela merkte, wie ihr das Blut in die Schläfen stieg. Doch, er war immer noch interessiert an ihr! Ohne sexuelles Verlangen, ohne den animalischen Wunsch, Kontrolle über seinen Partner auszuüben, ließ sich keine SM-Beziehung etablieren. Und sie wusste, dass Klaus genau dieses Verlangen immer noch hatte. Unwillkürlich war ihre Hand in ihren Schritt gegangen, hatte sie sich für einen kurzen Moment dort berührt, wo sich binnen kürzester Zeit wieder ein heißes Feuer eingestellt hatte, aber das Gefühl von hartem Stahlblech ließ sie zurückzucken.
"Das wird noch etwas warten müssen... ich, äh, ich habe gerade meine Tage, Klaus."

Er registrierte, dass sie ihn Klaus nannte, obwohl er hier doch als Barbara neben ihm saß. Sicherlich nur ein Versprechen. Insgeheim atmete er auf, dass Daniela im Moment scheinbar keine Lust auf eine schnelle Nummer hatte.

Beide saßen noch eine Zeit lang auf dem Sofa. Daniela erzählte nun von ihrer spannenden Reise, Klaus berichtete von seiner Oma, die längere Zeit im Krankenhaus gelegen hatte. Später servierte er ein Stück Kuchen. Zum Abschied gab es eine flüchtige Umarmung; man würde sich bald wiedersehen!


Oktober XV.

Hauptkommissar Rick saß an seinem Schreibtisch und dachte über die Ermittlungen nach. Wie immer, wenn er als Todesbote hatte kommen müssen, ging es ihm anschließend schlecht. Um es milde auszudrücken. Er hatte von einer Frau Jensen, der nächsten Angehörigen, recht detaillierte Informationen über die Verstorbene bekommen, aber leider nichts, was in irgendeiner Weise auf ein mögliches Mordmotiv hinweisen konnte. Aber er war sich auch darüber im Klaren, dass, besonders bei jüngeren Leuten, selten jemand aus der Elterngeneration Näheres über den gesamten Umgangskreis des Opfers aussagen konnte. Junge Leute grenzen sich von ihren Eltern ab, ein ganz normaler, wichtiger Schritt auf dem Wege ins eigene Leben. Manchmal auch in einen gewaltsamen, frühen Tod.
Dennoch hatte er einige Namen erhalten, denen man nun etwas mehr Aufmerksamkeit würde widmen müssen. Trotz der immer noch fehlenden Handtasche war er sich sicher, dass ein simpler Raubmord auszuschließen war; junge Leute haben selten teure Dinge dabei, die sich für einen Kriminellen lohnen würden. Es sei denn, es handelte sich um ein Handy. Aber auch, wenn der Hype um ein immer wieder neues Gerät geradezu paranoide Ausmaße erreicht hatte, sah er hier kaum ein Mordmotiv. Smartphones wurden zwar ständig gestohlen, man klaute sie den Leuten aus der Tasche, wenn bloß ein halber Zentimeter noch ein wenig hervorlugte, oder, dreister, man riss sie dem Besitzer einfach aus der Hand und machte sich per Fahrrad aus dem Staub.
Eigentlich war es noch nicht einmal ganz klar, ob es sich um einen Mord handelte. Was eher unwahrscheinlich war. Gestorben war die junge Frau schließlich an ihrem Sturz hinunter in das Kiesbett der Isar, nicht an dem Schlag ins Gesicht. Trotzdem aber musste in der Sache ermittelt werden. Er war recht zuversichtlich, die Sache bald aufgeklärt zu haben.
Weniger zuversichtlich war er hinsichtlich der für den nächsten Abend geplanten Aktion bei der Geidi-Gaudi. Dieses Fest für junge Leute würde das letzte Mal in diesem Jahr stattfinden, man durfte die Möglichkeit, hier eventuell doch noch einen Ansatz zur Lösung des Falles zu finden, nicht ungenutzt verstreichen lassen.
Rick bewegte sich unruhig auf seinem Stuhl. Er wusste, dass er sich auf gefährliches Eis hinausgewagt hatte. Die Kombination von Frau, Dirndl und Keuschheitsgürtel hatte ihn alle übliche Vorsicht beiseite fegen lassen. Ging irgendetwas schief, konnte ein Verdächtigter eventuell entkommen, oder gar seiner Kollegin Schaden zufügen, dann trug er dafür die Verantwortung. Was aber sollte schiefgehen? Wimmer war eine erfahrene Beamtin, die wohl jeder Situation gewachsen war. Und er selber würde im Hintergrund bleiben. Was ihn auf einen Gedanken brachte, der ihm jetzt erst einfiel. Würde man ihn überhaupt hineinlassen? Kommissarin Wimmer war mit ihren 28 Jahren noch jung genug, dazuzugehören, er aber war Mitte 40, und das war gleich eine andere Sache. Also gut. Umdenken. Er würde sie im Wagen dort hinbringen, und dann dort auf sie warten. Draußen vor der Tür.

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Ingeborg Wimmer ging es nicht gut. Noch konnte sie die ganze Sache abblasen. Ihr Chef hatte ihr den neuen Modus der Aktion erklärt; er würde, sozusagen Gewehr bei Fuß, draußen im Wagen warten. Den Rest würde sie allein durchziehen müssen. Auf ein Signal warten, auf ein erhofftes Aktivieren des elektronischen Dildos, den sie in einem kleinen Handtäschchen unter dem Arm tragen würde. Wie genau sie dann vorgehen sollte, müsste sie aus der Situation heraus entscheiden: eine Festnahme, wenn ein konkreter Verdacht gegen eine Person vorlag, oder nur ein Funksignal an ihren Chef, der das Weitere entscheiden müsste.
Sie konnte keine Ruhe finden. Idiotischerweise war sie etwas früher zu Bett gegangen in der falschen Hoffung, für den nächsten Tag extra gut ausgeruht zu sein. Fahles Licht von der Straßenseite fiel in ihr Schlafzimmer. Trotz der spärlichen Beleuchtung konnte sie das Dirndl gut erkennen, das immer noch an der Tür ihres Schlafzimmerschranks hing.

Sie stand auf. Warf Slip und T-Shirt aufs Bett. Ging in die Küche und entnahm dem Karton die vielen glänzenden Teile. Sie begann zu zittern, als sie sich den kalten BH umlegte. Ohne zu zögern ließ sie das kleine Schlösschen einschnappen. Dann montierte sie den Dildo auf dem Schrittteil des Keuschheitsgürtels und zog auch diesen an.
Wie funktionierst du?, dachte sie, als sie sich den Dildo einführte. Sie hatte sich keinen Reim auf die vielen kleinen Löcher machen können, die sie gesehen hatte. Wahrscheinlich war es eine Art von Ventilation. Ihre Finger drückten das zweite Schlösschen zu; sie zog die Schlüssel von beiden ab und steckte diese in ein kleines Säckchen. Dann öffnete sie das Fenster. Es gab einen kleinen Vorgarten; mit etwas Glück sollte sie diesen treffen können.

Ihr Dirndl! Morgen Abend sollte sie so unter die Leute gehen. Nein, natürlich nicht so. Morgen sollte sie ja das Ding unterm Arm tragen. Sie zog sich einen BH an und schlüpfte dann in die kurze, weiße Bluse mit den lächerlichen Puffärmeln. Das Kleid folgte, sie stieg von oben hinein, streife sich die Träger über die Arme, zog das Kleid hoch und schloss den Reißverschluss am Mieder. Zu guter Letzt band sie sich die Dirndlschürze um; fertig.
Wirklich fertig? Ihr fielen ihre Handschellen ein, das wäre mal eine schöne Sache, so mit auf dem Rücken gefesselten Armen im Vorgarten nach einem kleinen Säckchen zu suchen...



September IV.

Wie schnell doch der Monat vorbeigegangen war! Monika konnte es kaum glauben. Sie hatte in den letzten Wochen kaum noch Zeit für andere gehabt, was ihr herzlich leid tat, jetzt, wo Daniela im kleinen Gästezimmer wohnte. Aber auch Dani war ständig unterwegs, da gab es genug Dinge für die Neu-Münchnerin zu erledigen, sodass beide Mädchen sich an manchen Tagen nur kurz über den Weg gelaufen waren. Und jetzt wird bald alles erst einmal vorbei sein, dachte sie, als sie abends Daniela gebeten hatte, auf ihr Zimmer zu kommen.
"Und? Wie läuft´s so, Dani? Du hattest ja in letzter Zeit wenig Zeit für mich... für uns."

"Das musst du gerade sagen. Bist ja selber ständig unterwegs. Was machst du eigentlich im Moment? Wolltest du mich nicht noch bei den Messdienern deiner Gemeinde einführen? Ich kann da ja nicht einfach so hingehen!"

"Ja, stimmt. Das hätte ich fast vergessen. Sorry, Kleine. Aber wenn du es genau wissen willst, was ich mache: Ich bereite mich vor." Monika blickte sie nicht an.

"Was mit deinem Studium, Moni? Examen oder so? Scheint ja wichtig zu sein..."

"Nein. Mit dem Studium hat es nichts zu tun. Aber wichtig ist es, ja, lebenswichtig..." Sie schwieg und wartete auf eine neue Frage, aber es kam keine. So fuhr sie selber fort: "Du triffst dich mit Klaus?"

"Jein. Ich weiß nicht... Treffe ich mich mit Klaus? Ehrlich gesagt, er ist nie da, wenn ich mal komme." Daniela verzog den Mund. "Also da ist er schon, aber er macht immer einen auf Barbara. Sieht ja auch gut aus, und manchmal denke ich, der Kerl sieht als Frau sogar besser aus als ich, aber...." Sie zuckte mit den Schultern.

"...aber du möchtest nicht mit Barbara zusammen sein, sondern mit Klaus? Mit einem richtigen Kerl?"

"Ja, irgendwie schon. Er ist doch ein echt netter Kerl... Also, damals, also im letzten Winter und zu Ostern, da war das ja was anderes, da hatte er ja keine Wahl, da gab es ja dieses Spiel zwischen ihm und dir..."

"Spiel, Dani? Ein Spiel war das nicht. Ich wollte es, und ich glaube, er wollte es auch."

Daniela zögerte. "Schade. Er wäre ein prima Keyholder für mich... Du hast ja kein Interesse mehr, wenn ich das richtig sehe."

Monika stand vom Bett auf, auf dem sie gesessen hatte. "Ich weiß nicht, woran ich Interesse habe, Dani. Es ist nicht so einfach. Aber ich werde es bald herausfinden. Sag mal, kommst du klar in dem kleinen Zimmer? Das Gästezimmer ist ja eher was für jemand, der nur mal ein paar Tage bleibt."

Daniela lachte. "Platz ist in der kleinsten Hütte! Aber im Ernst, etwas eng ist es schon. Ist auch blöde, dass ich da noch nicht einmal einen ordentlichen Arbeitstisch habe. Muss ja auch mal irgendwo studieren können!"

"Kannst meinen haben!" Da war es heraus. Sie hatte lange überlegt, wie sie es Daniela sagen sollte, und jetzt kam es eben auf diese Weise.

"Deinen? Deinen Arbeitstisch? Wie soll der denn in das winzige Gästezimmerchen passen, Moni?"

"Soll er ja gar nicht. Du kannst mein Zimmer haben. Ich brauche es demnächst nicht." Jetzt blickte sie die erschrockene Freundin an. "Ich verreise."

Daniela glaubte einen Moment, falsch gehört zu haben. "Was?? Du fährst weg? Wann denn? Wohin denn? Aber ... du kommst doch wieder? Oder?" Alles konnte sie sich vorstellen, nur nicht, dass Monika für einige Tage wegfahren wollte.

"Klar komme ich wieder! Aber wahrscheinlich erst nächstes Jahr. Ich... ich nehme mir ein Sabbatjahr. Ich fahr zu meinem Vater, nach..."

"Nach Australien?? Bist du verrückt? Du kannst doch nicht einfach wegfahren, jetzt, wo ich gerade erst..."

"Dani! Ich muss das machen! Glaube mir, ich habe ewig und drei Tage darüber nachgedacht, ob ich es machen soll, oder nicht. Und ich glaube, dass ich es machen muss."

"Aber du hast doch gar keinen Kontakt mehr zu deinem Vater!"

Monika senkte den Kopf. "Das ist leider nicht so ganz richtig. Oberflächlich gesehen mag das stimmen. Aber irgendwo tief in mir drin sind Dinge und Geschehnisse, die mich immer noch beherrschen und mir das Leben zur Hölle machen. Oh nein! Glaub mir, das alles ist erst durch die Ereignisse an Ostern wieder zur Oberfläche gekommen, und deine Tante hat mir ganz entscheidend dabei geholfen, etwas Licht ins Dunkel meiner Seele zu lassen. Sie war es auch, die vorgeschlagen hatte, ich sollte meinen Vater aufsuchen und endlich mit ihm ins Reine kommen." Sie schlang einen Arm um Daniela, die angefangen hatte, leise zu weinen. "Tut mir leid, Kleine. Echt. Aber es muss sein..."

Daniela zog die Nase hoch. "Aber... aber du kannst mich doch hier nicht allein lassen, Moni!"

"Ach Quatsch. Nu mach mal halblang. Du bist doch gar nicht allein. Mutter ist doch auch noch da!"

"Deine Mutter steckt mich doch bloß wieder in den Keuschheitsgürtel. Beim letzten Mal hat es ja auch ewig gedauert, bis sie mich wieder aufschloss! Ein Sinklave habe noch keinem Mädchen geschadet, so lästerte sie immer."

"Ach Unsinn! Mutter ist ganz lieb. Du darfst sie halt bloß nicht provozieren. Ja, sie spinnt manchmal etwas rum, von wegen auf kleine Mädchen aufpassen und so, aber du bist ja kein kleines Mädchen mehr. Du musst dir halt nicht alles von ihr gefallen lassen."

"Das sagst du so! Wann fliegst du denn? Bald hoffentlich noch nicht?"

"Doch. Schon Anfang Oktober. Und je eher ich fliege, desto eher bin ich auch wieder da! Klar? Ist ja gar nicht gesagt, dass ich ewig lang wegbleibe."

"Vielleicht bist du Weihnachten schon wieder da?" Ein Hoffnungsschimmer flog über Danielas verheultes Gesicht.

Monika lachte. "Damit du eine Schneeballschlacht mit mir machen kannst? Dani, ich weiß es nicht. Nichts ist unmöglich. Vielleicht bin ich sogar schon zur nächsten Geidi-Gaudi wieder da! Wir könnten wieder zusammen hingehen..."

"So wie letztes Jahr?" Danielas Gesichtsausdruck sprach Bände. Scheinbar schien ihr die Vorstellung zu gefallen.

"Scheinst es ja kaum erwarten zu können, Dani!" Monika lachte. "Von mir aus gern. Aber diesmal wollen wir lieber selber mit der Fernbedienung experimentieren, nicht wahr?" Sie kniff ihrer Freundin ein Auge, welches diese nur zu gut verstand. Da war letztes Jahr doch so einiges schief gegangen.

"Wo wohnt dein Vater denn? Oben in den Tropen? Oder unten in Tasmanien?"

"Irgendwo in den Weinanbaugebieten in der Nähe von Adelaide." Sie kicherte etwas, dann fügte sie hinzu: "Also in der Nähe vom Südpol!"

"Weiß er schon, dass du kommst? Hast du ihm geschrieben?"

"Nein. Und ich glaube auch nicht, dass ich es tun werde. Ich glaube, es ist besser so. Aber jetzt wollen wir dieses Thema lieber lassen, ja? Komm, Kleine. Komm zu mir ins Bett. Wenn ich das richtig sehe, steht uns heute Abend kein blöder KG im Wege. Mutter hat mich bereits rausgelassen, weil es im Moment verdammt unpraktisch ist und ich wegen der Reise sowieso keinen mehr tragen kann, und mit Claudia beziehungsweise Agnes war das auch kein Problem." Sie lächelte ihre Freundin an. "Und wohl auch, damit wir beide ein wenig Spaß zusammen haben können, bevor ich wegfahre!"


Oktober I.

Traurig schaute Daniela dem Zug hinterher. Das hier war irgendwie nicht richtig. Der Spaß war vorbei, bevor er überhaupt angefangen hatte. Monika hatte sich aus dem Staub gemacht, und sie hier in der Scheiße sitzen lassen.
Wie anders hatte alles vor gerade einmal einem Jahr ausgesehen! Damals war sie weggefahren, zurück nach Köln. Sie steckte in Claudias Dirndl und in ihrem Keuschheitsgürtel und -BH, und Monika hatte die Hand mit den Schlüsseln von außen gegen das Zugfenster geklatscht, ein Fenster, das sich nicht öffnen ließ. Auch wenn sie damals noch einige Tage im Keuschheitsgürtel stecken blieb, so hatte sie ganz bewusst den Reiz einer ihr bis dahin unbekannten Dominanz wahrgenommen. Eine Dominanz, die sie sich sehnlichst zurückwünschte. Jetzt aber schien alles den Bach runterzugehen.

Eine knappe halbe Stunde später drückte sie mit der Schulter gegen die Eingangstür zum kleinen Treppenhaus, wo Klaus wohnte. Sie machte sich nicht mehr die Mühe, erst zu klingeln, sondern ging gleich nach oben, klopfte drängend gegen die Wohnungstür und rief ihren Namen. "Klaus? Ich bin´s, Dani. Machst du auf?"

Doch nicht Klaus öffnete ihr, sondern wieder Barbara, wie schon in den Tagen zuvor. Daniela, die sich eben noch gewünscht hatte, von ihm in den Arm genommen und getröstet zu werden, machte einen kleinen Bogen um ihn. "Schon wieder? Sag mal: Klaus, gibt es den überhaupt noch? Wieso rennst du bloß immer in diesen Klamotten rum? Und mit diesen Absätzen machst du dir ganz bestimmt die Füße kaputt!"

Klaus reagierte nicht sofort. Irgendwie verstand er nicht, wieso Daniela seine weibliche Seite nicht akzeptieren konnte - oder wollte. "Wenn du nur zum Motzen hier hergekommen bist..."

"Nein, entschuldige. Dumm von mir. Aber ich verstehe es nicht so ganz. Vor Ostern hat Monika dich dazu zwingen müssen, du weißt schon, das Video das so ziemlich genau zeigt, was du mit mir Schlimmes gemacht hast, aber du hast ja den Film wieder zurückgekriegt..." Sie ließ den Satz unvollendet im Raum stehen, wohl wissend, dass sie dem Wort ´Schlimmes´ eine ironische Note gegeben hatte. Ob er es verstanden hatte? Ob er endlich begriff, dass sie gar nichts dagegen hätte, würde er noch einmal dasselbe mit ihr anstellen?

Er wusste nicht, was er erwidern sollte. Sollte er sie fragen: was willst du eigentlich von mir? Oder sollte er besser gleich sagen, was er von ihr wollte? Stattdessen fiel ihm nur eine total blöde Frage ein, die er bereute, sobald er sie ausgesprochen hatte. "Willst du mit mir schlafen? Oder hat Monika dich wieder eingeschlossen?"

Daniela blickte ihn lange an. Er sah, dass ihre Augen feucht wurden. "Moni ist weg."

Klaus sandte ihr einen fragenden Blick.

"Sie fliegt heute Abend nach Australien. Zu ihrem Vater. Ich habe sie eben zum Zug gebracht."

"Australien?" Klaus zog eine Augenbraue hoch.

"Ja. Ihr Vater ist Australier. Sie sagte, es sei lebenswichtig für sie..."

"Also keine geilen Spielchen mehr..."Klaus murmelte es vor sich hin, mehr für sich, als für Daniela. Diese aber bezog es auf sich und gab ihm sofort recht.

"Nein. Leider.... keine geilen Sachen mehr, jetzt wo Moni weg ist. Ich hatte mir den Herbst anders vorgestellt."

"Die Geidi-Gaudi", murmelte Klaus, ohne hochzusehen.

"Ist das dieses Jahr wieder?"

"Ja. In zwei Wochen das erste Mal."

"Vielleicht hast du Lust, mit mir hinzugehen?" Sie schaute ihn an, aber Klaus antwortete nicht. Stattdessen stand er auf und sah aus dem Fenster, ohne weiter auf das Thema einzugehen.


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  RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust") Datum:20.03.13 22:18 IP: gespeichert Moderator melden


Hi Daniela,

also langweilig ist dieser Teil ganz bestimmt nicht. Und daß nix passiert, da kann ich auch nicht zustimmen. Es geschieht sogar ne ganze Menge, wenn auch subtil, ganz ähnlich wie bei einem Schachspiel vor dem Endspiel, gerade so wie Du es sagst.

Ingeborg schafft es doch immer wieder, den Rick etwas mehr aus der Reserve zu locken, als er selbst es will, mit ihrer gespielten Naivität. Und trotz aller Professionalität kommen sich die beiden irgendwie trotzdem immer näher, will mir scheinen. Sie tut, was er von ihr verlangt, und dabei mehr, als eine Ermittlung erfordern würde. Wenn der Rick wüßte, daß Ingeborg inzwischen in ihrer Freizeit ganz freiwillig ein paar Schlösser zudrückt, um dann im Vorgarten nach einem Schlüsselsäckchen zu suchen, ich denke, er würde mehr als nur den Schlips etwas lockern müssen... Und wundern würde mich auch nicht, wenn der Dildo auch bei der Geidi-Gaudi eben nicht in der Handtasche nur verschwunden ist - damit er nicht kaputt gehen oder gar entwendet werden kann... Allein wundert mich, daß die Ermittler bisher nicht rausfinden konnten, wie das Teil genau funktioniert, oder gar eine neue Fernbedienung beschaffen konnten, um Funktionstests durchzuführen, oder allein nur die Sendefrequenz für eine Anpeilung herauszufinden. Aber Rick wird ja ohnehin nur "Draußen vor der Tür" auf sie warten (hoffentlich ohne Gasmaskenbrille, so wie Beckmann sie im gleichnamigen Roman von W. Borchert trägt).

Daß Monika nun so plötzlich nach Australien will, damit hast Du mich echt überrascht. Für sie macht es wahrscheinlich sogar eine Menge Sinn, wenn sie für sich irgendwie auch nicht weiter weiß. Dann begibt man sich schon mal auf die Suche nach seinen Wurzeln, besonders, wenn man sie eben nicht wirklich kennt. Man kann ihr nur wünschen, daß sie das findet, wonach sie für ihre Orientierung sucht - denn nur zu häufig scheint dieser Versuch zu mißlingen, nicht zuletzt deswegen, weil man selten das findet, womit man gerechnet hat, was nur zu noch mehr Verwirrung führen kann. Daß Dani davon nicht begeistert ist, kann ich mir vorstellen. Schließlich bedeutet das für sie, einen Halt verloren zu haben, oder die Gelegenheit für geile Spielchen, die sie zu schätzen gelernt hat und nun eben nicht mehr missen will.

In Klaus scheint Dani jetzt zu projezieren, was sie eigentlich will - und dabei ganz zu übersehen, was doch so offensichtlich mit ihm los ist. Klar wird er nicht mehr von außen gezwungen, Barbara zu sein - und wenn er dennoch Barbara sein will, dann liegt der Grund dafür doch eigentlich auf der Hand, auch wenn der Hintergrund dafür unklar bleibt. Wenn die beiden doch endlich mal Klartext miteinander sprechen und Verständnis füreinander entwickeln würden, anstatt aus nichtsnutziger Angst so undeutlich miteinander rumzuspielen, und dann noch mit unausweichlichen Mißverständnissen gespickt; sie könnten möglicherweise sogar die besten Freundinnen werden. Aber der Wunsch zur Befriedigung anderer, eigener Bedürfnisse scheint so übermächtig, daß hierfür wohl kaum Raum ist - eigentlich noch nicht einmal Raum für die andere Person. Wirklich schade, und fast schon gefährlich, denn wenn das große Erwachen wider Erwarten doch einsetzt, bricht ein Kartenhaus zusammen, und Frust bleibt dann, der sich im schlimmsten Fall beim anderen entlädt, obwohl hierfür eigentlich kein Grund besteht, denn das wacklige Kartenhaus hat nicht der andere gebaut. Wirklich vertrackt, aber so sind Menschen wohl gebaut. Aber in einem irrt sich Dani ganz gewaltig: In seiner jetzigen Verfassung ist Barbara kaum in der Lage, ein "prima Keyholder" für Dani zu sein, auch wenn sie Recht haben mag, daß Klaus an sich ein "netter Kerl" ist.

Das Ende Deiner Geschichte scheint leider in sehr spürbare Nähe gerückt zu sein. Dennoch bleiben so viele Unklarheiten, daß es sehr spannend geblieben ist. So spannend, daß man es einerseits zwar immer mehr wissen will, wie es sich nun auflöst - aber dennoch genau diese Spannung immer noch länger genießen will. Fast schon so, wie bei der Keuschhaltung im KG: Man will irgendwann den Höhepunkt erleben, aber die Spannung und Geilheit davor "gezwungenermaßen" doch so lange wie möglich auskosten...

In diesem Sinne: Herzliche und liebe, wenn auch keusche Grüße
Keuschling

PS.: Geschmunzelt habe ich über den Ausspruch von Monika: "Treffe ich mich mit Klaus? Ehrlich gesagt, er ist nie da, wenn ich mal komme." Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob Du die Zweideutigkeit wirklich beabsichtigt hast...
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Daniela 20
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Semper firma occlusa!

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  RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust") Datum:24.03.13 22:00 IP: gespeichert Moderator melden


Endlich Frühling! Aber nur auf dem Kalender! Deshalb für Euch alle hier etwas zum Aufwärmen! Eure Daniela
PS: Heute Nachmittag habe ich den ersten Kiebitz gesehen!! Also kommt er jetzt doch, der Frühling!!

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Oktober II.

Daniela schloss die Tür auf und trat ins Haus. Sie brauchte nicht zu klingeln, Monikas Mutter hatte ihr gesagt, jetzt, wo sie hier wohne, bräuchte sie das nicht, sie habe ja selber einen Schlüssel.
Ihr war nicht unbedingt nach einem gemütlichen Stündchen mit Pia, Monikas Mutter, zumute, sie wollte lieber allein sein, es war sowieso schon spät geworden. Doch als sie die Tür zu ihrem kleinen Gästezimmer öffnete, bemerkte sie, dass ihre Sachen fehlten. Pia hatte wohl schon den Nachmittag dazu genutzt, ihre Sachen in Monikas Zimmer zu bringen. Also ging sie selber hinüber und ja, da war alles schon da; nichts fehlte. Nichts, bis auf Monika. Es kam ihr komisch vor, wie ein unerlaubtes Eindringen in die Privatsphäre einer anderen Person. Sie konnte ja wohl kaum davon ausgehen, dass Pia auch alle Monikas Schränke ausgeräumt hatte.
Ihr lief ein leichter Schauer den Rücken hinab. Es war lange her, dass sie selber in einen der Schränke geschaut hatte, es war im letzten Herbst gewesen. Sie erinnerte sich noch gut, was Monika ihr alles zum Anziehen gegeben hatte. Scheinbar musste sie diverse Aufgaben lösen, damit Monika dann Fotos davon an Claudia schicken konnte, damit diese dann verriet, wo sich die verschiedenen Schlüssel zu ihrer Keuschheitsausstattung befanden. Erst später war es ihr aufgegangen, dass Claudia nicht das Geringste damit zu tun hatte.
Müde setzte sie sich an den Schreibtisch. Endlich ein guter Tisch zum Arbeiten! Seltsam, wie sehr Erfolg oder Misserfolg eines Studiums von den äußeren Bedingungen abhängig sein konnten, und ein vernünftiger Arbeitstisch gehörte genauso gut dazu wie eine ordentliche Behausung, vernünftiges Essen, bezahlbare Verkehrsmittel, die Verfügbarkeit von Büchern in der Uni-Bibliothek und und und... Und es war klar, dass man nicht gleichzeitig studieren und jobben konnte, auch wenn diese unsägliche Sache immer mehr um sich griff. Dumm nur, dass sich in der Bevölkerung ein falsches Bild breit gemacht hatte: das vom fleißigen Studenten, der während seines Studiums noch irgendwo kellnert, wohingegen diejenigen, die die Mittel hatten, alles ohne Nebenjob durchzuziehen, als eher faul galten.

Sie beschloss, ins Bett zu gehen. Daniela ging ins Bad, wusch sich und putzte die Zähne, dann ging sie zurück aufs Zimmer und schlug die Bettdecke zurück. Sie erschrak, als sie sah, was dort lag.
Hatte sie das hier erwartet? Einen letzten Gruß von Monika? Sie wusste es nicht. Und sie wusste auch nicht, wie sie reagieren sollte. Sie würde Hilfe brauchen, soviel stand fest. Allein konnte sie das hier nicht schaffen. Aber wollte sie es?
Nein. Moni war weg. Was hätte Moni also davon, wenn sie dieses Ding hier anzöge? Sie streckte die Hand danach aus, der rauhe, steife Stoff schien ihr fast so etwas wie einen Schlag zu versetzen. Oh Moni, warum bist du nicht hier, wenn du willst, dass ich deine Zwangsjacke anziehe??

Sie nahm das Ding vom Bett auf. War sie letztes Jahr auch schon so schwer gewesen? Sie wusste es nicht mehr. Bizarre Bilder tauchten in ihrer Erinnerung auf. Sie stand auf dem Gartentisch, gefesselt mit eben dieser Zwangsjacke, und drehte sich langsam um ihre Achse. Sie bekam kaum Luft, denn Monika hatte ihr auch die Gasmaske aufgesetzt. Und hatte ihr irgendetwas mit Lippenstift auf den nackten Hintern geschrieben.
Daniela wollte die steife Zwangsjacke weglegen, aber es ging nicht. Sie drehte die Jacke um, sodass es ihr leicht fiel, mit den Armen in die langen, zugenähten Ärmel zu schlüpfen.Bestimmt würde Moni gleich kommen, würde sie fest einschnallen...

"Oh, hast du sie schon gefunden? Wart mal, ich helfe dir!" Es gab ein kurzes, verspätetes Klopfen an ihre Zimmertür, dann sah sie Pia auf sich zukommen. Sie konnte sich nicht rühren.Stand da wie angewurzelt. Oder - wie ertappt. Und sie verpasste den Moment, die Jacke wieder auszuziehen.
Pia war mit wenigen Schritten bei ihr, drehte sie bei den Schultern herum und hatte schon die ersten beiden Gurte auf dem Rücken zusammengeschnallt. Es folgte ein weiterer, dann griff Monikas Mutter durch ihre Beine, packte den langen Gurt, der vorn von der Zwangsjacke herabhing und zog diesen durch ihren Schritt und schnallte ihn ebenfalls fest. Gekonnt führte sie dann Danielas Arme durch den losen Gurt auf der Vorderseite der Zwangsjacke, fädelte die an den Ärmeln angebrachten Gurte durch weitere Schlaufen unter ihren Achseln und schnallte dann alles mit einer schnellen Bewegung auf dem Rücken zusammen.
"Na, wie fühlst du dich? Ich dachte mir, es wäre schön für dich, die ab jetzt zum Schlafen zu tragen. Meinst du nicht? Jetzt, wo Moni sich nicht mehr um dich kümmern kann? Komm, hopp ins Bett! Und nicht mehr so lange lesen!"
Pia half ihr, sich halbwegs bequem hinzulegen, dann deckte sie sie mit der Bettdecke zu. "Kleiner Scherz! Aber ich glaube, du wolltest sowieso gleich schlafen, nicht wahr? Also, meine Kleine, ich mach dann mal besser das Licht aus... Oder soll ich noch ein Foto von dir machen? Ein Foto für Moni? Aber das können wir auch morgen Abend noch machen. Vorerst haben wir sowieso keinen Kontakt zu Monika. Dauert ja ziemlich lange, bis sie bei ihrem Vater ist. Dumme Idee das Ganze! Und wer hat ihr das eingeredet? Deine Tante!"

Endlich fand Daniela ihre Stimme wieder. "Meine Tante? Was soll denn Tante Agnes damit zu tun haben. Ist doch Quatsch, Pia, und jetzt lass mich aus diesem Ding hier wieder raus!" Sie hatte sich im Bett aufgerichtet, so gut es ging, und war laut geworden. Auch begann sie, an den langen Ärmeln zu ziehen und zu zerren, obwohl sie genau wusste, wie aussichtslos das war.
Pia blickte sie missbilligend an. "So ein Geschrei! Kann ich ja gar nicht gut vertragen, Kleines! Jetzt wollen wir mal lieber Nachtruhe halten..." Sie griff in eine Schublade von Monikas Nachttisch, zog einen schwarzen Ballknebel hervor und drückte diesen ziemlich unsanft gegen Danielas Lippen, die keine andere Wahl hatte als den nicht gerade kleinen Knebel aufzunehmen. Pia schnallte die Riemen hinter ihrem Nacken zusammen, dann beugte sie sich dicht über ihr Gesicht. "So gefälltst du mir schon viel besser! Und keine Angst: Moni muss auch oft so schlafen!" Und dann begann sie, Danielas geknebelten Mund zu küssen, wobei sie immer wieder mit ihrer Zunge über die Lippen des jungen Mädchens fuhr. "So, gute Nacht! Bis morgen. Und schlaf nicht so lange!" Sie löschte das Licht und ging hinaus und schloss die Tür hinter sich.

Daniela lag wie versteinert da. Was war das jetzt? Sie versuchte, den Knebel mit der Zunge aus dem Mund zu drücken, gab es aber bald auf. Sie wusste auch, dass sie keine Chance gegen die Zwangsjacke hatte. Sie bemühte sich, ruhig und regelmäßig zu atmen, keine Panik aufkommen zu lassen. Der Schrittgurt drückte gegen ihre Scham; es erregte sie, plötzlich so hilflos in Monikas Bett zu liegen. Eigentlich war alles richtig, nur eines war falsch: dass es Moikas Mutter war, der sie nun ausgeliefert war. Hoffentlich nicht allzu lange, dachte sie, während sie in ihren Knebel biss.
Noch einmal wurde die Tür geöffnet. "Ach, Dani, das hätte ich beinahe vergessen! Morgen ist Messe dienen für dich, um Viertel nach elf. Sollte ich dir noch von Monika bestellen! So, schlaf gut!"

Daniela gab einen unverständlichen Grunzlaut von sich, wollte noch einmal auf ihre missliche Lage aufmerksam machen, aber Pia war schon wieder gegangen. Also doch! Zusammen mit Monika war sie vor wenigen Tagen dem neuen Pfarrer vorgestellt worden, der sich sichtlich über die unerwartete Verstärkung bei seinen wenigen Messdienern freute. Natürlich hatten die beiden Mädchen auch einen Blick in die kleine Seitenkapelle geworfen. Die sogenannte Messdienerstrafbank sah auf den ersten Blick unverändert aus, dann aber sahen sie, dass das aufklappbare Brett, welches der Fixierung der Hände an der vorderen Bank gedient hatte, abmontiert war. Und auch der solide Block, mit dem sich die Beine des knieenden Messdieners fesseln ließen, war verschwunden. Einzig die horrende Sitzbank, deren stachelige Unterseite sich nach oben klappen ließ, war noch vorhanden, aber man hatte den Klappmechanismus mittels langer Schrauben außer Gefecht gesetzt. Nie wieder würde hier ein junger Mensch Blut und Wasser schwitzen.


November I.

Ingeborg Wimmer erwachte spät. Sie hatte nachts lange wach gelegen, hatte danach unruhig geschlafen und wildes Zeug geträumt. Ach ja, ihre Fantasie hatte ihr einen Streich gespielt. Hatte ihr vorgegaukelt, es getan zu haben. Das, was sie erst heute Abend tun wollte.
Noch einmal ließ sie sich Ricks Plan durch den Kopf gehen. Verrückt, ganz einfach verrückt. Das konnte ja gar nicht funktionieren! Wenn da seit einer Woche ein junger Kerl herumlief, der das Mädchen auf dem Gewissen hatte, dann würde er wohl nicht gleich bei der nächsten Gelegenheit wieder zuschlagen, oder? Andererseits musste man in Betracht ziehen, dass die heute stattfindende Geid-Gaudi in diesem Jahr die letzte war. Konnte also gut sein, dass er entgegen aller Erwartungen doch wieder zuschlug. Wer wusste schließlich, über wieviele dieser seltsamen Keuschheitsgürtel er verfügte, inklusive des sicherlich teuren Elektronikteils? Niemand konnte das sagen.
Dennoch hatte Wimmer ihre Zweifel. Es war wenig wahrscheinlich, dass ausgerechnet ein Mann, der noch altersmäßig zum Kundenkreis zählte, bereits ein so raffinierter Triebtäter sein konnte. Junge Männer handelten meist aus dem Affekt, gern nach durchzechter Nacht. Die Anwendung elektonischen Schnickschnacks war absolut untypisch.
Sie schwang die Beine aus dem Bett. Eigentlich hatte sie heute dienstfrei. Warum sie diese Aktion trotzdem mitmachte, wusste sie selber nicht so ganz genau. War es der berufliche Ehrgeiz, oder lag dem etwas anderes zugrunde?

Sie bekam den Kopf nicht frei. Nicht einmal die heiße Dusche half heute. Sie schaute in den Kühlschrank und stellte fest, dass sie vergessen hatte, einzukaufen. Also erst mal anziehen und zum Bäcker!
Wimmer suchte einen sauberen Slip und einen weißen BH hervor und zog beides an. Dann griff sie nach ihrer Jeans, die sie gestern getragen hatte, und hielt plötzlich in der Bewegung inne. Ihr Herz schlug einen Momen schneller, als sie an das Kleid dachte, das immer noch an ihrer Schranktür hing. Sie im Dirndl! Total verrückt. Selbst als sie sich im Präsidium damit ihrem Chef präsentierte, hatte sie das Dirndl sofort anschließend wieder ausgezogen. Das war einfach nichts für sie! Heute aber sollte sie es in aller Öffentlichkeit tragen!
Vielleicht sollte sie besser gleich ins kalte Wasser springen? Sie ließ die Jeans fallen, bewegte sich mit mechanischer Langsamkeit zu ihrem Schrank, nahm das Kleid vom Bügel, hob die Arme, so als wären sie aus Gummi, zog sich die Dirndlbluse über und stieg danach in das Kleid. Hatte sie gehofft, dass es über Nacht eventuell zu klein geworden war? Alles passte wie angegossen. Allerdings saß das Mieder sehr eng, nachdem sie den Reißverschluss geschlossen hatte bekam sie fast Atemnot ´Ein ordentliches Dirndl muss eng sitzen´, hatte die Verkäuferin ihr gesagt. ´Und Sie wollen doch wohl nicht doof aussehen, oder?´ Nein, das wollte sie nicht.
Den Blick in den Spiegel hätte sie sich besser geschenkt. Sie musste den Impuls unterdrücken, sich das seltsame Kleid, das so gar nicht zu ihr passte, sofort wieder auszuziehen. Nein, sie würde jetzt so zum Bäcker gehen. Sie war schließlich tough. Außerdem würde sie eine Jacke darüber anziehen, denn der Vormittag war frisch, der Herbst lag in den letzten Zügen. Entschlossen schnappte sie sich ihren Einkaufskorb und verließ die Wohnung.



Oktober III.

Daniela hatte die Nacht über kaum ein Auge zugetan. Was vielleicht nicht stimmte, aber ihr selber kam es so vor. Als sie am Morgen erwachte stellte sie fest, dass sie sich kaum bewegen konnte. Es war kein geiler Traum gewesen, der sie wach gehalten hatte, sondern sie steckte wirklich in dieser steifen Zwangsjacke, aus der sie sich nicht allein befreien konnte.
Sie spürte, dass ihre Spalte klitschnass war. Stundenlang hatte der Schrittgurt an ihrer Klit gerieben, hatte sie nicht schlafen lassen. Hatte sie aber auch nicht zu einem Höhepunkt kommen lassen. Ihr Kopfkissen war nass, sie hatte es nachts nicht vermeiden können, mit ihrem geknebelten Mund unangenehm zu sabbern. Der schwarze Ballknebel hatte ihr gottlob weniger Probleme bereitet, als befürchtet, es war schließlich nicht das erste Mal für sie.

Wo mochte Monika jetzt sein? Sie hatte keine Ahnung. Daniela wusste, dass Monika erst abends von Frankfurt abgeflogen war, und dass sie in Singapur umsteigen wollte. Aber allein dieser erste Flug dauerte mindestens zehn Stunden, es war kaum möglich, dass Monika schon irgendwo angekommen war. Ob Monika wohl wusste, in welcher Situation sie sich gerade befand? Sie war sich nicht sicher, ob all dies noch von Moni geplant war, oder hatte Pia schon das Kommando übernommen?

"Morgen!!" Daniela erschrak. Pia hatte angeklopft und war schon eingetreten. Sie trug einen flauschigen Bademantel und sah selber aus, als sei sie gerade erst aus dem Bett gefallen. "Na, schon wach?"
Daniela mühte sich, trotz der gefesselten Arme hochzukommen, doch Pia drückte sie sanft wieder nieder. "Lass man! Bleib ruhig noch etwas liegen. Es ist noch früh und ich geh jetzt erst mal ins Bad. Ich ruf dich dann, wenn ich fertig bin!" Und schon war sie wieder verschwunden, die stammelnden Laute ignorierend, die Daniela in ihren Knebel brummte. Das unerwartete Ereignis hatte sie abgelenkt, jetzt fiel es ihr schwer, ihre Gedanken wiederzufinden. Eigentlich wollte sie jetzt nur noch auf die Toilette und sich erleichtern.
Wie würde es heute weitergehen? Und wie würde es in den nächsten Tagen und Wochen weitergehen? Ohne Monika? Aber mit Klaus?? Sie wusste nur eines, trotz aller Liebe hatte sie keine Lust zu einer Beziehung mit ´Barbara´, wie Klaus sich immer nannte, wenn er en femme war. Diese Barbara war doch das Produkt von Monikas Fantasie, damit hatte sie nichts zu schaffen. Sie wollte Klaus, niemanden sonst, denn sie wusste, dass er im Grunde genommen ein wahnsinnig feiner Kerl war ... wenn, ja wenn er denn ein Kerl war! Sie würde ihm die Röcke schon austreiben!

"Fertig!" Fast hätte sie Pias nicht gerade lauten Ruf nicht gehört. Jetzt war es aber auch höchste Zeit, dass sie aufs Klo kam. Lange konnte sie es nicht mehr zurückhalten! Sie blieb liegen und wartete, aber dann kam ihr der Gedanke, dass sie hier noch bis zum Sankt Nimmerleinstag liegen und warten konnte, denn Pias Aufforderung war eigentlich klar genug gewesen. Also mühte sie sich, vom Bett hochzukommen, strampelte die Bettdecke zur Seite und rollte über den angewinkelten Arm ins Sitzen. Ihre Scham fühlte sich klebrig an, wie dünne Spinnfäden lief es an ihren Beinen hinab.
Sie fand den Weg ins Bad, alle Türen standen offen, kein Problem also. Die Luft war warm und feucht, der Spiegel beschlagen: besser so, da brauchte sie ihr Gesicht nicht sehen!
Pia kam nach kurzem Warten. "Oh, du bist schon da? Wart mal, erst mal den Knebel... Aber bleibe ruhig! Wenn du anfängst, hier rumzutoben, dann...." Sie wedelte demonstrativ mit dem mit ihrem Speichel benetzten schwarzen Ballknebel vor ihrem Gesicht.

Daniela bewegte ihren Kiefer hin und her, zum Glück hatte sie keine Maulsperre bekommen, davor hatte sie bei Knebeln immer die größte Angst. Aber auch das ließ sich trainieren. "Danke! Äh, gibt es keinen kleineren Knebel? Komm, Pia, lass mich aus der Zwangsjacke raus. Ich muss dringend strullen und dann mal duschen!"
Pia lächelte sie an. "Klar doch, Kleines." Sie bückte sich um den Schrittgurt zu lösen, kam dann aber wieder hoch. "Ei ei, da komme ich ja gerade noch rechtzeitig! Da müssen wir wohl was machen, oder? So kannst du ja nicht Messe dienen!" Sie setzte einen erzürnten Blick auf, zog dann den langen Gurt am Voderteil der Jacke durch eine Schlaufe und bedeutete Daniela, sie möge sich schon mal aufs Klo setzen, sie müsse schnell mal was holen.
"Soll ich so aufs Klo? Pia, was soll das jetzt? Mach mir die Arme los!" Aber Pia war schon weg, und sie konnte es nicht mehr zurückhalten und ließ es fließen; Mädchen können ja auch ohne Hände, wenn sie müssen, dachte sie erleichtert.

Als Pia zurückkam sah sie sofort, was diese geholt hatte. "Nein, Pia! Nicht den Keuschheitsgürtel! Da hab ich echt keinen Bock drauf! Bitte...."
Alles Bitten und Flehen war vergebens, sie wusste es sofort. Wenig später stand sie unter der Dusche, ließ das heiße Wasser über ihren Körper fließen, stimulierte mit der Handbrause ihre Brüste und versuchte, auch an ihrer Knospe zu irgendeinem Resultat zu gelangen, aber kein Wasser konnte wegen des stählernen Gürtels dorthin gelangen, wo sie seit Stunden unter Feuer stand.

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Es war Sonntag, ihr erster Sonntag in der neuen Gemeinde. Sie war extra früh von zu Hause weggegangen, wollte nicht auf den letzten Drücker kommen. Heute würde vieles für sie neu sein, auch wenn sie sich noch recht lebhaft an ihren ersten ´getürkten´ Messdienereinsatz vor einem Jahr erinnerte; ´getürkt´ deswegen, weil sie gar keine Messdienerin gewesen war; die richtige Ausbildung hatte sie ja erst anschließend an ihre Münchner Herbstferien daheim in Köln erhalten, wobei Monika natürlich auch ihre Finger im Spiel gehabt hatte.
Jetzt aber war es offiziell, sie war tatsächlich Messdienerin, etwas, wovor sie sich als junges Schulmädchen immer gefürchtet hatte, obwohl sie in der Tiefe ihrer Seele doch gern mitgemacht hätte. Allein, sie hatte sich nicht getraut! Sie begrüßte einen weiteren Ministranten, einen ca. siebzehnjährigen Jungen, dann zog sie sich in aller Stille um, kleidete sich in das jetzt nicht mehr so fremde schwarzweiße Gewand, das sie hier, an genau dieser Stelle, im letzten Herbst zum ersten Mal angezogen hatte.

Der weitere Ablauf der Messe war mittlerweile auch für sie Routine. Die eingeübten Handgriffe saßen, die Gebete konnte sie ohne zu zögern mitbeten. Dann aber horchte sie auf. Zelebrant der Messe war ein ihr unbekannter Geistlicher, der Dechant, wie sie später erfuhr. Dieser ging in seiner Predigt auf die Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils vor genau fünfzig Jahren ein, sprach von einer Zeit des Aufbruchs, von um sich greifender Hoffnung bei den jungen Theologen, das Aggiornamento möge frischen Wind in die erstarrte Kirche bringen. Und der Dechant fügte mehrmals in seiner Predigt hinzu, nein, nicht die Kirche sei das Maß aller Dinge, sondern allein der Glaube des Menschen an Gott. Worte, die man so in der Kirche lange nicht gehört hatte.
Daniela versuchte, sich auf die Worte der Predigt zu konzentrieren, aber der neben ihr sitzende Junge machte sie nervös. Immer wieder tuschelte er ihr etwas zu, Worte die sie nicht verstand und die sie nicht verstehen wollte, pubertäres Zeug, immer wieder legte er seine Hand auf ihr Bein, ständig starrte er ihr dorthin, wo alle Männer immer hinstarrten. Zum Glück war die kleine, hübsch geschnitzte Sitzbank von der Gemeinde aus nur schlecht einzusehen, aber Daniela war froh, als die Predigt endlich vorbei war und beide Messdiener bei der Gabenbereitung wieder in Aktion treten konnten. Als sie und der Junge nach dem Gottesdienst wieder in der Sakristei waren, wo sie ihre Gewänder ablegen wollten, blieb sie einen Moment unschlüssig vor ihrem spindähnlichem Schrank stehen. Sie schloss die Augen, brauchte gar nicht hinzusehen, was der Junge jetzt wohl dachte, was er gleich tun würde... Er würde sie in eine dunkle Ecke drängen, würde ihre Gewänder hochschlagen, sein erigiertes Glied hervorzerren und und und...

Ihre Fantasie hakte. Der Junge würde gar nichts machen. Er würde nichts hervorzerren und schon gar nirgendwo eindringen; dafür, dass das nicht ging, hatte Pia ja bestens gesorgt. Irgendwie enttäuscht und frustriert zog sie sich ihre Messdienergewänder aus und hängte sie zurück in den Schrank. Dann überlegte sie, was sie nachmittags machen sollte.


Oktober IV.

Wollte er, oder wollte er nicht? Das war die Frage. Die Frage, die Klaus nicht mehr zur Ruhe kommen ließ. Die ihn auffraß, die ihn zu zerreißen drohte. Es war Sonntagnachmittag, keine ganze Woche mehr bis zur Geidi-Gaudi. Die erste Gelegenheit gestern hatte er schon verpasst, weil er sich zu nichts aufraffen konnte.

Er hatte versucht, die Frage logisch anzugehen, war aber zu keinem Ergebnis gekommen. Würde es noch einmal so spannend werden, wie letztes Jahr? Als er auf seinem klapprigen Drahtesel über Stock und Stein gefahren war, um wenigstens gleichzeitig mit diesen beiden Frauen dort anzukommen, wo die Gaudi stattfand. Damals hatte er eine äußerst vage Vorstellung davon gehabt, um wen es sich handelte. Ja, er wusste noch von früher, wer Monika war, der Name war ihm nicht fremd, aber er hatte eigentlich nie selber Kontakt zu dem Mädchen gehabt. Und dieses andere Mädchen, das Monika begleitete? Nein, da wusste er noch weniger. Er merkte, wie sich ein Glied aufrichten wollte, als ihm einfiel, was er mit dieser ominösen Fernbedienung gemacht hatte. Aber sein Glied steckte, wie fast immer, in einer stabilen Plastikröhre, eingeklemmt zwischen seinen Beinen. Er mochte es nicht, wenn es so reagierte.
Was mochte Daniela damals gefühlt haben, als sie diesen künstlichen Phallus in sich trug und er auf den Knöpfen der Fernbedienung herumspielte? Ohne wirklich zu wissen, wofür diese eigentlich gut war? Und wieder einmal kam er an den Punkt, an dem er schon so oft in seinem jungen Leben angekommen war, der Frage, ob er dieses Ding da zwischen den Beinen wirklich noch haben wollte. Würde er jemals eine Antwort finden?

Daniela! War sie die Antwort, die er suchte? Was aber war mit ´Barbara´? War Barbara nur das Kunstprodukt von Monikas bizarrer Fantasie, die, ohne es zu wissen, bei ihm einen willfährigen Mitspieler gefunden hatte? In den Wochen und Monaten nach Ostern hatte Barbara weitergelebt, bis zu jenem Ereignis, das den Bruch mit seiner Großmutter dargestellt hatte. Er kümmerte sich nicht mehr um sie, er wusste aber, dass sie jetzt regelmäßig Besuch von einem Pflegedienst bekam. Auch das warme Essen wurde ihr geliefert.

Aber in letzter Zeit hatte der fast schon zwanghafte Reiz, in diese andere Geschlechtsrolle zu schlüpfen, merkbar nachgelassen. Ja, er verbrachte immer noch den größten Teil seiner Zeit als Barbara, jetzt aber eher aus Gewohnheit, denn aus innerer Not. Und er spürte, dass diese Entwicklung für ihn eine Sackgasse bedeutete: es fehlte der kick, der Reiz, etwas Verbotenes zu tun, sich am Rande der Gesellschaft zu bewegen, denn es lag irgendwie auf der Hand, dass es noch Jahre dauern würde, ehe ein Politker - ein männlicher Politiker! - in einem Rock oder Kleid ans Rednerpult treten und sagen würde: Übrigens, ich bin trans, und das ist gut so!

Klaus seufzte. Manchmal hatte er sich gewünscht, das Leben eines Transvestiten würde einfacher sein. Eine Gesellschaft, in der es dieses Wort eigentlich gar nicht mehr gab. Eine Gesellschaft, in der jeder nach seinem eigenen Lebenszuschnitt seelig werden konnte, solange er damit anderen keinen Schaden zufügte. Er hatte aber auch realisieren müssen, dass damit wohl das Ende jeglicher Spannung gekommen wäre. Er hatte von Älteren gehört, die sich gut an die Siebziger Jahre erinnern konnten, als es bei den Mädchen normal wurde, mit Jeans herumzulaufen. Wie langweilig diese Zeit gewesen sei! Männer und Frauen, beide mit langen, verfilzten Haaren, T-shirts und verwaschenen Jeans, und bei miesem Wetter dann alle mit Bundeswehrparka. Eine Zeit nicht hemmungsloser Sexualität, wie es immer hieß, sondern eher spannungsloser. Eine Zeit vermehrten Rammelns, aber verminderter Erotik. Er war auf jeden Fall froh, dass Frauen jetzt wieder zu ihrer eigenen Mode zurückgekehrt waren, dass sie wieder Röcke und Kleider trugen, und sich nicht mehr davor scheuten, zum Oktoberfest ein Dirndl anzuziehen. Und wenn demnächst alle Kerle mit Röcken rumliefen?? Nein, bitte nicht!!

Genau das war das Problem. Er scheute die Normalität. Er war aus der männlichen Rolle ausgebrochen, er hatte diese andere Seite gewählt, hatte diesen, von den meisten als immer noch unbequem, provokant angesehenen, Schritt getan, weil er nur so seine Freiheit finden konnte. Doch diese Freiheit wurde unterminiert, sobald eben dieser Rollentausch als das Normalste der Welt angesehen wurde, und schlimmer noch, sie war regelrecht gefährdet, wenn niemand mehr wahrnahm, dass er die Seite gewechselt hatte.
Das eindeutige Symptom dafür war ihm bekannt. Oft genug hatte er es im Beisein von Frauen erlebt, wenn er selber als Barbara unterwegs war. Dieser Drang, den Rock hochzunehmen und sein Gegenüber wissen zu lassen, dass er anders war. Anders als sie selber, anders als alle Männer. Klaus schüttelte den Kopf. Was wäre denn zu sehen gewesen, hätte er es wirklich getan? Nichts. Monika hatte ihn schließlich in einen Keuschheitsgürtel gesteckt, der alle Unterschiede wirksam verbarg, so wirksam, dass es nicht einmal mehr im Stehen pinkeln konnte. Was hätte eine aufmerksame Gesprächspartnerin also gesehen? Vielleicht den Häkchenverschluss seines Korseletts, wenn er es trug, oder halt einen ganz normalen dünnen Seidenslip. Einen Slip, der die Konturen seines Keuschheitsgürtels kaum verdecken konnte.
Recht besehen war es verrückt, dass er immer so viel Angst vor der Entdeckung gehabt hatte. Es war nichts da, was hätte ´entdeckt´ werden können. Nicht einmal die fehlenden Brüste wären wirklich aufgefallen, denn entweder trug er seine sehr gut gemachten Brustprothesen, oder er trug den stählernen BH, durch dessen Körbchen man sowieso nicht hindurch sehen konnte.

Plötzlich hatte er eine Idee. Sie durchströmte ihn von Kopf bis Fuß, ließ ihn heftiger atmen. Was wäre, wenn er am Samstag...? Er musste sich setzen, spürte wieder das Drängen seines Glieds gegen den engen Käfig, in dem es steckte. Ja. Warum nicht?


November II.

´Der Rick´ hatte kalten Schweiß auf der Stirn. Jetzt gab es kein zurück mehr. Er hatte die Suppe eingebrockt, und nun musste Wimmer sie auslöffeln. Was nicht ganz richtig schien. Aber diese Under-cover Aktion ließ sich anders einfach nicht durchführen.
Seit einigen Minuten saß er in seinem Wagen vor ihrer Haustür und wartete. Er war extra etwas früher gekommen, man wusste ja nie, besser ist besser. Vielleicht geschah einmal ein Wunder und sie war eher fertig, als erwartet. Normalerweise war es umgekehrt.
Eines der Probleme, die bei der Vorbereitung der Aktion ersichtlich wurden, war die simple Frage, um wieviel Uhr sie in Aktion treten sollten. Es war klar, dass er Erkundigungen eingezogen hatte, schließlich gehörte das zur normalen Polizeiarbeit. Dieses seltsame Fest öffnete abends gegen 21 Uhr, und endete erst weit nach Mitternacht. Wobei dieser Ausdruck ziemlich offen war. Wann nun konnte man damit rechnen, dass etwas geschah? Dass irgendein Kerl mit seiner Tussie auftauchte, weil er den Kick brauchte, sein Mädel auf die Tanzfläche zu führen und ihr dann ordentlich einzuheizen?

Rick hatte es immer vermieden, sich ein Bild dieses Vorgangs zu machen, jetzt aber ließ er seiner Fantasie freien Lauf. Wie mochte das sein, wenn man nur an ein paar Knöpfen drehen musste, um... Mein Gott! So ein perverser Schweinkram! Was nun, wenn sie heute Abend wirklich den großen Fang machten? Es würde wohl nicht ausbleiben, dass er selber dann diese Fernbedienung einmal ausprobieren würde. Und dann stellte er fest, dass er es für einen sehr kurzen Moment bedauerte, seine Kollegin nicht angewiesen zu haben, sich diesen Gürtel selber anzulegen. Zu blöde aber auch! Chance vertan, dachte er, als im selben Moment die Beifahrertür geöffnet wurde und Ingeborg Wimmer zu ihm in den Wagen stieg.

"n´Abend, Chef!"

"Wimmer! Endlich! Ich warte schon eine Viertelstunde. Alles klar? Haben Sie das Teil dabei?"

"Die Banane?" Sie zwinkerte ihm zu. "Ja, hier im Täschchen. Keine Bange, Chef, alles ist bestens verstaut."

Er merkte, dass sie Schwierigkeiten hatte, sich ordentlich hinzusetzen. Mit einiger Mühe strich sie den faltigen Rock ihres Dirndls unter dem Gesäß glatt, dann schnallte sie sich an. Seine Kollegin trug eine kurze Lodenjacke, die gut zu ihrem Dirndl passte. Nicht verkehrt, denn es war jetzt November und nachts musste schon mit sehr niedrigen Temperaturen gerechnet werden.
"Können wir, Wimmer?" Er sah sie an.

"Allzeit bereit, Chef!" Sie lächelte ihn gequält an. "Von mir aus kann´s losgehen. Schnappen wir uns den Kerl!"

´Der Rick´ räusperte sich. "Glauben Sie ... glauben Sie, dass Sie das mitkriegen, wenn das Ding - die ´Banane´ - loslegt? Ich meine..." Er wusste selber nicht, was er eigentlich meinte.

Sie blickte ihn lange an. Dunkel glänzten ihre Augen im fahlen Licht des Innenraums. Dann lächelte sie, warf die Haare zurück und ruckelte noch einmal auf ihrem Sitz herum, öffnete schließlich ihren Janker, streckte die Brust heraus und ordnete den Sicherheitsgurt neu. Als sie endlich fertig war wartete Rick nur noch darauf, dass sie sich ihr Schminktäschchen hevorholen würde um sich im Rückspiegel den Lidschatten nachzuziehen, aber nichts dergleichen geschah. Sie grinste ihn leicht verlegen an. "Fahren Sie, Chef! Wir wollen ja nichts verpassen!"




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  RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust") Datum:25.03.13 17:48 IP: gespeichert Moderator melden


Hallo Daniela
Die Spannung steigt.
Was hat die Frau Kommisarin wohl als Unterwäsche an.
Danke für die Fortsetzung.
Liebe Grüße
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um Ulm herum...


zur Sicherheit besser verschlossen, zur Zeit im Neosteel TV-Masterpiece...

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Hi Daniela,

wieder ein sehr feiner Teil, mit einigen inspirierenden Tiefgründigkeiten, die sich mühelos in die unterhaltsame und spannende Geschichte einfügen. Und Du bringst die Protagonisten immer deutlicher in Position.

Irgendwie geht mir Pia immer noch zu weit für meine Geschmack. Sie scheint Daniela ja fast schon adoptiert zu haben, als Monika-Ersatz, aber dabei ist Daniela ja doch eigentlich schon erwachsen. Und Pia´s Kontrollsucht in Richtung Daniela nimmt ja schon ziemlich groteske Züge an. Dabei kommt mir der Gedanke, was wäre, wenn Pia Barbara adoptieren würde... Nicht auszudenken...

Mir ist aufgefallen, daß alle Ermittler bisher mehr oder weniger einen männlichen Triebtäter hinter dem Fall vermuten. Dabei hat Pia doch momentan als einzige den Zugang zu den besagten Instrumenten, und wendet sie ja scheinbar auch ohne jede Skrupel an - und das in ihrem Erziehungswahn auch offensichtlich ohne jeden Konsent der Trägerin. Und wenn sie durch Widerspruch gereizt wird, reagiert sie recht unverhältnismäßig, wenn auch nicht gänzlich unberechenbar. Aber das muß bisher ja auch noch nix heißen, denn es bleibt immer noch offen, was genau geschehen ist - und viele Möglichkeiten, wie es dann passiert ist und wer dann wirklich wie beteiligt war. Mir bleibt Pia jedenfalls suspekt, auch wenn Du schon betont hast, daß sie im Grunde kein böser Mensch ist. Welcher Mensch ist schon von Grund auf böse - aus meiner Sicht eigentlich keiner... Insofern nehme ich Dir das schon ab, man mag es stattdessen vielleicht eher Hilflosigkeit oder eigener Kontrollverlust nennen, bedingt durch ihre eigene, schlecht verarbeitete Geschichte, was Pia antreibt. Ob sie damit allerdings konstruktive Ergebnisse erzielt, scheint mir zweifelhaft - auch wenn es vielleicht ursprünglich ihre eigentliche Intention war. Im Grunde wird sie damit der Oma Meisner sehr ähnlich, wenn auch mit anderen Mitteln: Etwas im Rahmen der eigenen Kontrolle und Möglichkeiten nach bestem Wissen und eigener Erfahrung verbessern wollen. Aber es ist vorprogrammiert, daß dies meist vollkommen mißlingt, da eben keine umfassende Information vorhanden ist, und insbesondere dann, wenn die eigene, üble Geschichte noch zu sehr auf einem lastet und unaufgearbeitet solches sogar motiviert. Allenfalls kann man sich bemühen, sich selbst zu verbessern, seine Geschichte endlich für sich zu lösen, das hat zumindest die größte Aussicht auf Erfolg, insbesondere, wenn man selbst über Verletzungen in der Vergangenheit kaum wirklich hinweggekommen ist, und diese dann zu solchen Aktionen die Motivation darstellen. Jedenfalls ist es schon bemerkenswert, wie Menschen von einschneidenden Erlebnissen und Verletzungen psychisch so sehr verbogen werden können, was ja auch auf Klaus zutrifft. Und nun ja, vielleicht findet ein jeder Leser, daß er genauso eben nicht so gerade gewachsen ist, wie es für alle wünschenswert gewesen wäre, mich eingeschlossen - denn wohl keinem Menschen sind irgendwann Verletzungen erspart geblieben, nur die Frage ist, wie man dann damit umgeht.

Auch bei Ingeborg und Barbara finde ich in diesem Teil irgendwie eine Parallele: Den Drang, sich mal anders als gewöhnlich in der Öffentlichkeit zu bewegen und zu präsentieren. Allerdings ist es bei Ingeborg wohl leichter, dann den Schritt nach draußen auch wirklich zu wagen. Klaus braucht dafür schon eher die passende Gelegenheit, den geschützteren Rahmen, um sich zumindest keinen zu großen Anfeindungen auszusetzen.

Klaus hat bei seinen Gedanken schon recht: Wenn alles toleriert ist, was niemandem schadet, dann entfällt jede interessante Spannung - am Ende vielleicht sogar jede Erotik, auch wenn das schwieriger ist, denn die Spannung zwischen den Geschlechtern ist schwieriger abzutun, selbst wenn gleiche Kleidung getragen wird. Aber hält er die Spannung, anders sein zu wollen oder zu müssen, wirklich selbst aus? Im geschützten Rahmen wohl teilweise schon. Aber in der Öffentlichkeit irgendwie dann doch nicht - was ja auch nicht vollkommen unverständlich ist. Er will angenommen werden, so wie er ist - auch wenn er teils selbst nicht weiß, wer er eigentlich ist oder was er will. Aber nimmt er sich selbst so an, wie er ist? Bei seinen Gedanken hat er sehr verständliche, physische Reaktionen: Sein Glied will sich versteifen, wenn er an erregende Situationen aus der Vergangenheit denkt, oder an geile Möglichkeiten in der Zukunft. Aber er hat sich selbst in einen Käfig gesperrt, verwehrt sich selbst, voll er selbst sein zu können, seine eigenen Körperreaktionen anzunehmen, unterdrückt sie lieber. Warum nur? Spaß empfindet er durch seine selbstauferlegte Käfighaltung offenbar nicht, er zwingt sie sich selbst auf. Glaubt er etwa, durch die Zulassung seiner an sich normalen Körperreaktionen, Freilassung seines normalen Triebs, zu sehr in die Nähe der Männer zu geraten, die ihn selbst mißbraucht haben? Wenn das so wäre, hat er ein ernstes Problem: Er wird sich schwer tun, sich selbst anzunehmen, so wie er nun mal ist, mit seinem scheinbar eigentlich vollkommen normalen Trieb. Wenn er es nicht schafft, seinen Trieb vom früheren Mißbrauch durch andere abzugrenzen, läuft er Gefahr, auch einvernehmlichen Sex als Mißbrauch anzusehen, da die physischen Vorgänge ja ähnlich sind - wohl aber nicht die psychischen, was er wohl nicht recht unterscheiden kann. Aber solange er sich selbst nicht annehmen kann, zu unsicher dafür ist, wie will er erwarten, daß andere ihn annehmen oder sogar lieben werden? Klar, er kann davon träumen, daß er "erlöst" wird, durch die Annahme von anderen lernt, sich selbst annehmen zu können - nur leider mißlingt solches Konzept nur zu häufig, wie hier in der Geschichte ja auch schon geschehen, denn jeder Mensch hat eigene Bedürfnisse, eigene Interessen und seine eigene Geschichte, die das überlagern können und eher zum Ausnutzen als zum echten und dabei selbstlosen Helfen führen. Wachsen und reifen muß schon jeder für sich selbst, auch wenn durchaus manchmal Hilfe von außen dabei unterstützen kann, aber eben keinen Ersatz für eigenes Wachstum bietet.

Der Drang, jemand Besonderes, Individuelles und Unverwechselbares zu sein, sein Innerstes zu outen dafür in der Hoffnung auf echte Akzeptanz und Annahme, steckt wohl in jedem Menschen. Und beim einen wird diese Individualität eher von der Gesellschaft akzeptiert, da besser "einzuordnen", auch wenn es dabei Neider gibt, die eben noch nicht so weit sind, beim anderen eher nicht, da die Form der Individualität extremer ausfällt und sich damit nur schwerer bis gar nicht offen ausleben läßt, auch wenn sie eigentlich niemanden wirklich bedroht. Außer der Bedrohung der scheinbaren Sicherheit für Menschen, die aus gesellschaftlichen Regeln und Normen halt Sicherheit ziehen, denen solche Grenzüberschreitungen dann Angst machen. Leider ist eben nicht jeder innerlich so stark, die Konfrontation mit einer abweichenden, aber an sich unbedrohlichen Lebensweise auszuhalten, da es dazu führt, die eigene Lebensweise dann zu hinterfragen: Habe ich etwas verpasst, wenn ich nicht so und so lebe, und ist es überhaupt richtig, wie ich lebe? Eine Frage, die hart sein aber auch zu konstruktiver Entwicklung führen kann, bis hin zu stärkerer Selbstsicherheit: Ja, ich will so und so leben, weil ich selbst absolut zufrieden bzw. befriedigt damit bin - aber gönne dem anderen auch die Freiheit, anders leben zu wollen, und sehe ihn dann auch nicht mehr als bedrohlich, sondern sogar vielleicht als interessant oder bereichernd an, da ich ihn (oder sie) eben so akzeptieren kann, wie er/sie leben will. Aber dafür ist Selbstreflexion, Selbstsicherheit und Beschäftigung mit dem anderen nötig, was meist wohl schon an Interesse oder Zeitmangel leider scheitert, oder an fehlenden Informationen über die andere Person, von der man selten mehr als die Oberfläche mitkriegt, und Hintergründe ebenso selten einfach so offenbart werden. Und es ist nötig, in jedem anderen Menschen etwas Besonderes und an sich Wertvolles sehen zu wollen, das zu respektieren ist - was dann ausschließt, billig über ihn herzuziehen und einfach über ihn abzulästern. Jeder Mensch hat seine individuelle Geschichte, auch wenn kaum einer sagen kann, daß er wirklich auf alle Teile davon stolz ist - auch wenn er stolz sein kann, wie er eben damit klar gekommen ist, wenn dies der Fall ist.

Und wenn wir schon bei Normen sind: Mir hat Dein Einschub in der Predigt des Dechant´s sehr gut gefallen, daß die Kirche eben auch nicht das Maß aller Dinge ist, insbesondere, da so viele verstaubte Regeln und leblose Rituale dort das Eigentliche zu ersticken drohen, und scheinbar Raum bieten, sich dahinter zu verstecken. So etwas sollte man tatsächlich öfter mal von einem Geistlichen hören, diese Meinung teile ich absolut - wobei hier natürlich wieder die Forderung nach der Reifung eines jeden Menschen impliziert ist, der kein steifes Korsett von Regeln braucht, um sich sicher zu fühlen, sondern Selbstsicherheit entwickelt, was Glaube an Gott absolut nicht ausschließt, sondern integral beinhalten kann. Ich bin ganz sicher kein Theologe, aber war da nicht die Sache mit der Nächstenliebe als höchstes Gebot: Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst (was aus meiner Sicht mit einschließt, daß man sich selbst auch wirklich lieben und annehmen kann), und dann sogar der radikale Aufruf: Liebet eure Feinde! Wenn ich richtig weiß aus der Bergpredigt. Liebe als das Maß aller Dinge, das mag am Ende sogar sehr viel griffiger sein als der Glaube an Gott als Maß - denn nach meinem Verständnis wird in der gelebten Liebe Gott dann lebendig sichtbar. Wobei mir fern liegt, hier eine Diskussion um Religion und Glauben zu entfachen.

Wirklich komisch, daß der Rick als so gute Spürnase nicht mitbekommt, was Ingeborg wohl untendrunter angezogen hat, und wie sie wohl die "Banane" verstaut hat, um sicherzustellen, wirklich absolut kein Signal eines Senders zu verpassen. Sie gibt ihm doch so eindeutige Signale... Aber vielleicht ist es auch besser so, sonst kann sich auch der Rick am Ende nicht mehr ordentlich auf diese Aktion konzentrieren - oder die beiden kommen sogar gar nicht mehr auf der Geidi-Gaudi an, sondern starten ihr eigenes Abenteuer - was ich ihnen auch absolut gönnen würde... ))

Oh je, schon wieder so viel als Kommentar geschrieben - ich hoffe, Du und die anderen Leser verübeln mir das nicht. Du hast mich zu solch vielen Gedanken inspiriert, und ich hoffe sehr, daß Du oder der ein oder andere Leser vielleicht daraus etwas für sich ziehen können, auch wenn es nur meine Sichtweise ist. Dir jedenfalls vielen Dank für diesen Teil, ich freue mich schon auf kommenden Sonntag - auch wenn das Ende der Geschichte immer näher kommt.

Liebe, wenn auch traditionsgemäß wie es sich für mich gehört keusche Grüße
Keuschling
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sklave_mario
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  RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust") Datum:27.03.13 14:04 IP: gespeichert Moderator melden


Hallo Daniela

Eigentlich wollte ich diesen Beitrag im Diskussionsteil der Geschichte schreiben, aber dort hab ich keine Schreibrechte...

Also mir gefällt Deine Geschichte sehr gut! Ich bin eingestiegen, als Du mit Frust Deinen 2. Teil angefangen hast. Natürlich hab ich zuerst den 1. Teil reingezogen. Ja, reingezogen ist das richtige Wort, genau wie bei Stieg Larsson, den Du ja auch gelegentlich erwähnst. Auch die Millenium-Trilogie hab ich mir reingezogen. Einmal angefangen, kann man nicht mehr aufhören, genauso bei der Münchentriologie

Schade geht die Geschichte mit Riesenschritten dem Ende entgegen. Deshalb möchte ich doch wenigstens einen Versuch starten, Dich zur Vortsetzung der Triologie anzustacheln: Ich weiss nicht ob Du weisst, aber die Millenium-Trilogie wäre eigentlich als Dekalogie geplant gewesen. Leider kam der Tod des genialen Schriftstellers dazwischen. Da ich Dir natürlich ein langes Leben wünsche, und ich eine gewisse Verehrung von Stieg Larsson zu erkennen meine, wäre doch eine München-Dekalogie erstrebenswert

Die Tatsache, dass wohl kaum alle Protagonisten der Münchentrilogie in Deiner Geschichte sterben werden, schliesst ja wohl ein unabwindbares Hindernis, welches die Fortsetzung vermeiden würde, hoffentlich aus?

In diesem Sinne erst mal ein riesen Dankeschön für die vielen schönen Lesestunden die Du uns regelmässigen Lesern beschert hast!
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Daniela 20
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  RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust") Datum:31.03.13 22:00 IP: gespeichert Moderator melden


Heute möchte ich allen Lesern ein frohes Osterfest wünschen. Passt nicht hierher? Doch, das passt eigentlich immer. Und interessanterweise haben auch Daniela und ihre Cousine Monika, sowie Claudia und ihre Mutter Agnes eine heftige Diskussion, die gut zum Tag passt. Man erinnere sich, ich schrieb diesen Text irgendwann im Spätsommer, da hatte ich noch keine Ahnung, welche literarische ´Punktlandung´ ich schaffen würde.
Ich bin mir sicher, es wird nicht jedem gefallen. Aber so ist das Leben; die Menschen haben letzten Endes mehr mit sich zu tun, als immer nur an Keuschheitsgürtel zu denken! Nächsten Sonntag dann geht es heftig weiter!
Eure Daniela
PS: Ich freue mich übrigens, dass ich scheinbar doch mehr Leser habe, als erwartet. Jetzt sind es mindestens fünf! Herzlichen Dank für die tollen Zuschriften!!!!

---

Oktober V.

"Du steckst im KG?" Claudia fiel wie immer mit der Tür ins Haus.

Aber Daniela hatte keine große Lust, darüber zu reden. Es war schon übel genug, das Ding schon wieder tragen zu müssen. Es gab ganz andere Dinge, die ihr auf der Seele lagen. Sie berichtete ihrer Cousine von der Predigt, die sie vormittags gehört hatte.

"Stört´s dich?"

"Nein. Ganz im Gegenteil."

Claudia setzte ein breites Lächeln auf. So wie jemand, der gerade tieferen Einblick in ein bisher verborgenes Geheimnis erhalten hatte. "So so. Also ich käme damit wohl nicht klar..."

"Nun ja, wie man es so sieht. Mir hat es ja auch die Sprache verschlagen!"

"Das glaub ich gern. Ist ja auch nicht gerade Alltagskost. Aber dass du da so mitmachst..."

Daniela bezog es auf ihre Aktivität als Messdienerin. "Nun ja, das war doch Monikas Idee."

"Ich denke, Monika ist weg. Hat sie dich etwa noch vorher..." Claudia schüttelte den Kopf. Wie lange mochte Dani jetzt schon wieder im Keuschheitsgürtel stecken, wenn Monika ihr das Ding noch vor ihrer Abreise angelegt hatte?

"Genau. Ich war selber etwas überrascht über ihren Eifer. Sie hat mich auf jeden Fall vor ihrer Abreise noch eingeführt."

"Eingeführt??" Claudia schlackerte mit den Ohren. "Gut, dass man das auf jeden Fall nicht sieht!"

"Was?" Daniela kapierte plötzlich gar nichts mehr. "Was sieht man nicht??"

Claudia blickte verlegen zur Seite und schüttelte den Kopf. "Mann, Mann, Mann! Du bist vielleicht durchtrieben! Dass Monika dir vor ihrer Abreise noch was eingeführt hat, das sieht man nicht!"

"Hä??" Daniela wich mit dem Kopf zurück.

Im selben Moment ging die Tür auf - beide Mädchen saßen im Wohnzimmer - und Agnes kam herein, in der Hand ein Kuchentablett. "Kaffeezeit, Kinder!! Hallo Daniela! Du bleibst doch zum Kaffee, oder? Worüber redet ihr?"

Man mochte es ihr als Neugier auslegen, aber das war nicht der Fall. Agnes hatte immer Wert darauf gelegt, den Gesprächsfaden zu ihrer Tochter nicht abreißen zu lassen. Sie hatte nie etwas von der Devise anderer Eltern gehalten, die, sobald die Kinder halbwegs groß geworden, es dem sächsischen König gleichtaten, diese könnten ja nun ihren Dreck ´aleene´ machen. Elternschaft bedeutete für sie Interesse und Kommunikation, nur durch das offene, intensive Gespräch konnte man der nächsten Generation dabei helfen, den Weg ins eigene Leben zu finden. Die Hand des Kindes würde man loslassen müssen, das verbale Band aber sollte man nicht durchschneiden, denn die sprachliche Beziehung ist genau das, was den Menschen vom Tier abgrenzt.

Daniela war den Bruchteil einer Sekunde schneller. "Wir reden von den Messdienern, Tante Agnes!" Fast gleichzeitig hörte man Claudias Stimme: "... von Keuschheitsgürteln, Mama!"
Beide Mädchen sahen sich an und lachten. "Ach so!" meinte Daniela und wurde rot.

Auch Claudia musste lachen. "Na, du bist mir ja ´ne schöne Heilige!"

"Auf jeden Fall keusch!"

"Auf jeden Fall interessant," warf Agnes ein, die gerade mit einer Kanne Kaffee aus der Küche zurückgekommen war. Der Tisch war schnell gedeckt, sie goss allen Kaffee ein. "Kinder Kinder, was ihr immer für Themen drauf habt. Aber okay, hängt ja sowieso alles zusammen!"

"Stimmt!", gab Claudia ihrer Mutter recht.

"Wie jetft?", fragte hingegen Daniela, die den Mund voller Streuselkuchen hatte, womit sich bekanntlich schlecht reden ließ. "Versteh ich nicht."

"Nun ja, ihr redet, wenn ich es recht sehe, über Sex und Religion. Das hängt zusammen wie Pech und Schwefel."

"Was hat denn der Liebe Gott mit... mit Fic ken zu tun, wenn ich das mal so drastisch sagen darf, Tante Aggi?"

Claudia rollte die Augen. "Der Liebe Gott! Wenn ich das schon höre! Glaubst wohl immer noch an den alten Mann mit langem, weißem Bart?"

"Wieso?" Daniela war irritiert.

"Weil alles anders ist, ganz anders." Es lag eine gewisse Aggressivität in Claudias Antwort, die sich aber schnell legte. "Glaube es mir!"

"Wie ist es denn? Du scheinst ja plötzlich allwissend zu sein, seitdem du aus Australien zurück bist!"


Claudia schwieg. Stattdessen nahm ihre Mutter den Faden wieder auf. "Es ist so, dass Religion und Sex auf eine fatale Weise miteinander verbunden sind. Es ist kompliziert, lässt sich aber einfach ausdrücken: die Kirche hat einen Zwitter erschaffen, der aus den Begriffen Sex und Liebe besteht. Dann hat sie den Sex von der Liebe abgekoppelt und verworfen. Seit Jahrhunderten hält sie nur noch die ´Liebe´ hoch, was vollkommen widernatürlich ist. Gleichzeitig hat sie das Ideal der Keuschheit erfunden, der Reinheit und so weiter. Klar, dass sie ihren Vertretern auch keinen Spaß gönnt!"

Daniela hatte aufgehört zu kauen. "Was?"

Claudia sah sie mitleidig an. "Du glaubst wohl immer noch, dass das Zölibat eine Badeanstalt für Geistliche ist, oder?"

Ihre Mutter lachte auf. "Das Zöli-Bad!! Herrlich! Aber in der Praxis ist dieses unsinnige Sex-Verbot ein Quell für viel Leiden und Einsamkeit bei den Geistlichen."

"Glaube ich gern," stimmte Claudia zu. "Man müsste den ganzen Mist abschaffen!"

"Du willst immer gleich alles abschaffen. Man darf das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, Claudia!"

"Aber Mama, du willst doch nicht ernsthaft eine Religion verteidigen, die den Leuten glatt ins Gesicht lügt! Diese ganzen Missbrauchsfälle..."

"Du musst endlich mal lernen, zwischen Religion und Kirche zu unterscheiden. Und was einzelne Mitglieder dieser Kirche machen."

"Einzelne Mitglieder? Mir scheint das schon eher die Regel als die Ausnahme zu sein!"

"Nennen wir es lieber einen Webfehler. Wie gesagt, die Kirche hat Probleme mit dem Sex. So wie ihr jungen Leute heutzutage Probleme mit der Liebe habt."

"Tante Aggi! Ich habe ganz bestimmt keine Probleme mit der Liebe!", echauffierte Daniela sich, die sich angesprochen fühlte.

"Im Moment ganz bestimmt nicht!", grinste Claudia, die vergeblich versuchte, Daniela in den verschlossenen Schritt zu fassen.

"Lass das!", wehrte Daniela ab. "Aber ehrlich, was soll dieses Gerede von Sex und Liebe, Tante Agnes. Du willst doch nicht ernsthaft behaupten, dass wir keine Liebe mehr in uns hätten!"

"Sex oder Liebe, das ist hier die Frage!", antwortete die Angesprochene sybellinisch.

"Sein oder nicht sein, meinst du wohl, Mama! Aber auch das ist Quatsch. Es gibt keinen Tod!"

"Du sprichst von der Auferstehung?"

"Die österliche Auferstehung?? Nein. Das ist so ein christliches Ding, mit dem ich nichts zu tun haben möchte. Es ist doch sowieso alles ganz anders. Aber wo du von Auferstehung sprichst: ich muss mal den Kaffee wegbringen!" Sie stand auf und ließ Daniela und ihre Tante allein.


"Was ist denn in die gefahren?", fragte Daniela ihre Tante. "So kenn ich die ja gar nicht mehr!"

"Tja ... Claudia war in Australien lange Zeit au-pair bei einer indischen Familie. Keine Ahnung, was für Leute das waren. Aber seitdem ist sie wie umgekrempelt. Tut so, als hätte sie plötzlich den Stein der Weisen gefunden. Aber, wenn du mich fragst, da ist mir zuviel om mani padme hum dabei. Wenn der Mensch glaubt, er könne sich durch ein gewisses Verhalten schneller ins Nirvana begeben, dann irrt er! Im Prinzip ist das genauso dumm, wie der Zölibat bei den Katholiken. Verzichte auf alles, was Spaß macht, und lass dieses elende Menschenleben ein für alle mal hinter dir. Keine Wiedergeburt mehr, kein ewiger Zyklus. Was soll das alles?"

"Ja, was soll das alles?" Claudia war schon wieder zurück. "Mama, die christliche Auferstehung kommt erst am Tage des Jüngsten Gerichts. Und selbst dann wird noch entschieden, wer wohin kommt. So eine Art ´göttliche Rampe´ also!"

"Das ist geschmacklos, das so zu sagen, Claudia." Ihre Mutter war erzürnt.

"Schon gut, schon gut. Leute deiner Generation reagieren immer so verdammt empfindlich, wenn es irgendwelche sprachlichen Bezüge zur Judenvernichtung gibt. Diese Schuld lässt sich sowieso nie abwaschen. Da können wir nur auf die Vergebung der anderen hoffen."


Es entstand eine peinliche Pause. Daniela schob den Teller von sich. Das alles hier war ihr zu hoch. Und auch bei ihr hatte sich schon längst die Blase gemeldet. Sie stand auf und ging zur Toilette. Es war gut, draußen im Gang einmal etwas frischere Luft atmen zu können!
Das Mädchen genoss es, sich erleichern zu können. Sie versuchte, letzte Tropfen mit einer Handvoll Toilettenpapier abzutrocknen. Meist aber blieb immer der eine oder andere Tropfen Urin unter dem gelochten Blech ihres Keuschheitsgürtels hängen. Normalerweise war Daniela mit einer kleinen Handspritze gut für derartige Fälle gerüstet, aber im Moment hatte sie nichts dabei. Dieser verdammte Stahlgürtel!
Plötzlich kam der alte Zorn und Frust wieder in ihr hoch, sie legte ihre Hand auf den Onanierschutz, versuchte mit einem Finger unter das Blech zu kommen, wollte wenigstens einmal sich dort berühren, wo ihr intimstes Selbstgefühl verankert war, aber wie immer war es vergebliche Liebesmüh. Was sie nicht davon abhielt, probeweise einmal am Schloss des Taillenreifens zu zerren, es konnte ja sein, dass es wie durch ein Wunder einmal nachgab. Aber Wunder waren selten geworden in Zeiten wissenschaflicher Erkenntnis, das sah sie ein, und das schien auch das Wunder selbst zu wissen, weshalb das Schloss nicht nachgab.

Sie brauchte ein, zwei Minuten, sich zu beruhigen, dann ging sie zurück zu ihrer Tante und Cousine. Wie sie sah war die Diskussion immer noch in vollem Gange. Es stimmte wohl, was Claudia ihr neulich noch gesagt hatte: war die Mutter erst einmal in Fahrt gekommen, war sie so leicht nicht wieder zu bremsen!

"...doch Claudia, wir brauchen Religion! Und zwar nicht irgendeine, sondern eine Religion der Liebe! Das ist doch eine der wichtigsten Botschaften des Christentums, dass Gott uns liebt, und zwar ohne etwaige Vorleistungen unsererseits. Weil er durch seinen Sohn erfahren hat, dass das Böse in der Welt ist und wie sehr wir Menschen diesem ausgeliefert sind!"

"Das Böse, Mama? Ach, spinn doch nicht rum!" Claudia hatte die typisch respektlose Ausdrucksweise vieler Kinder angenommen, die uneins mit ihren Eltern waren.

"Doch, Claudia! Du glaubst, du könntest das Böse kontrollieren. Aber in Wahrheit kontrolliert es dich. Du glaubst, es beherrschen zu können, deine Stärke zu zeigen, indem du immer mehr erträgst, immer engere Korsetts, immer größere Knebel, immer stärkere Schmerzen, aber in Wahrheit beherrscht es dich, indem es deine Freiheit immer stärker beschneidet. Du merkst nicht, wie es mit dir spielt, dich immer abhängiger macht, dir den letzten Atem raubt..."

"Und dabei soll mir ausgerechnet jemand helfen, der als Verbrecher ans Kreuz genagelt wurde?? Das glaubst du doch selber nicht!", fuhr Claudia ihrer Mutter ins Wort, schärfer, als sie es gewollt hatte.

"Sag ich ja gar nicht. Ich sage ja nicht, dass wir unbedingt Jesus als Heilsbringer oder gar als Sohn Gottes akzeptieren sollen, aber zumindest seiner Botschaft sollten wir Gehör verschaffen."

"Das finde ich auch!", pflichtete Daniela ihrer Tante bei. "Also, bei allen Schwächen, die es in der Kirche gibt, so fände ich es doch schade, wenn es sie nicht gäbe. Ist schon ein Wunder, dass es sie immer noch gibt!"

Agnes sandte ihr einen dankbaren Blick. "Weißt du, die Kirche konnte 2000 Jahre nur überleben, weil sie sich um etwas kümmerte, was andere nicht interessierte."

"Und das wäre?", fragte Claudia.

"Die Seele. Wenn sie anfing, sich um andere Belange zu kümmern, war sie dem Untergang geweiht, oder zumindest stark gefährdet, wie zum Beispiel bei der Befreiungstheologie. Aber der anderen Seite ging es genauso..."

"Welcher anderen Seite?", unterbrach Daniela sie.

"Der weltlichen Macht, der Politik. Wenn die nach den Seelen griff, dann musste sie untergehen."

"Du sprichst, als hätte es das schon einmal gegeben", meldete Claudia sich zu Wort.

"Ja, das hat es schon einmal gegeben. Die Nazizeit war ein gutes Beispiel dafür. Die Nazis wollten ihre Macht bis in die Seelen der Menschen ausweiten, sie wollten ALLES beherrschen, genauso wie sich sich zum Herrscher über Leben und Tod machen wollten. Und bei den Kommunisten war es nicht anders."

Die Mädchen schwiegen.

Agnes fuhr fort. "Die Kirche ist seltsamerweise beides zugleich: Geschenk und Verpackung. Ihr dürft nicht den Fehler begehen, immer nur die Verpackung zu sehen, die manchmal so prunkvoll glänzend, manchmal aber auch so eingerissen daherkommt.. Diese kann man vielleicht mit Recht kritisieren, wenn man etwas kurzsichtig ist. Aber ohne sie hätte das Geschenk nicht die Beachtung erlangt, die ihm zusteht."

"Wovon sprichst du, Agnes?"

"Vom Geschenk der göttlichen Liebe."

Claudia ließ ein nervöses Lachen hören. "Ja ja, ist doch klar!"

"Klar ist gar nichts. Es gibt andere Religionen, wo von Liebe nicht die Rede ist..."

Daniela legte ihre Hand auf den Arm der Tante und unterbrach sie. "Mielke hat doch auch schon gesagt, dass er alle liebe!" Sofort prusteten alle am Tisch los und hielten sich die Bäuche vor Lachen.

Agnes schnappte nach Luft. "Zu schön, um wahr zu sein, Dani! Aber im Prinzip ist es genau das, worum es geht: die Feindesliebe. Etwas einfacher ausgedrückt: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!" Dann wurde sie wieder ernster. "Aber, wie ich schon sagte, die Liebe hat in unseren Zeiten schlechte Karten. Genauer gesagt, die Liebe Gottes. Und noch genauer gesagt: Gott selbst! Kinder, glaubt mir, aber als ich vor einigen Wochen in der Zeitung las, man habe nun unten in Genf in irgendeinem wahnsinnigen Teilchenbeschleuniger endlich das G O T T E S T E I L C H E N gefunden, da dachte ich, das ist nun der Anfang vom Ende!"

Wieder unterbrach Daniela ihre Tante. Sie konnte nicht mehr mitkommen, das alles war doch ein wenig zu hoch für sie. Sie verstellte ihre Stimme, die nun ein wenig nach Churchill klingen sollte, und sagte mit theatralischer Geste: "This is not the end, this is not even the beginning of the end. But maybe this is the end of the beginning!"

Woraufhin Claudia ihrerseits Worte folgen ließ, die sie immer wieder fasziniert hatten, seit sie Bilder der ersten Mondfahrer gesehen hatte, die zu Weihnachten aus der Genesis vorgelesen hatten: "In the beginning, God created the heaven and the Earth..."

Schweigen senkte sich über den Kaffeetisch. Es war klar, dass alles gesagt war. Es war klar, dass gar nichts klar war. Claudia hatte nicht gesagt, wie denn nun alles in Wahrheit war, und sie selber war sich durchaus darüber bewusst, dass sie es nicht gesagt hatte, weil sie es nicht wusste. Und Agnes hatte zwar alles gesagt, aber sie wusste, dass es nichts gab, womit sie ihre Worte hätte untermauern können. Man mochte das sogenannte ´Gottesteilchen´ gefunden haben, aber hatte man Gott gefunden? Wohl eher nicht.

Und Daniela? Sie war total verwirrt. Es war ihr vollkommen neu, dass man über diese Dinge überhaupt reden konnte. Bisher hatte sie nur zu den vielen Schafen gehört, die mehr oder weniger freiwillig dem Schäfer gefolgt waren. Sie hatte auch gewusst, dass man aus der Herde ausbrechen konnte, aber sie sah nun an ihrer Cousine, dass ein Ausbruch auch nicht unbedingt die Freiheit gab, die man sich erhoffen konnte. Sie wusste aber auch, dass sie sich nicht vor sich selber verstecken konnte; auf Dauer könnte sie nur ein zufriedenes Leben führen, wenn sie das tat, was sie für richtig hielt, ´Sünde´ hin oder her. Sie bedankte sich bei ihrer Tante für den leckeren Kuchen und beschloss, wieder nach Hause zu gehen. Die ersten Proseminare waren angelaufen, da gab es genug, was noch vorbereitet werden musste.


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  RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust") Datum:01.04.13 01:57 IP: gespeichert Moderator melden


Liebe Daniela,

vielen Dank für diesen genialen Teil, der mich sehr anspricht und inspiriert, und dem ich inhaltlich sehr viel abgewinne. Ich denke, er hat genau hier seinen Platz, er gehört einfach dazu und macht Deine Geschichte so sehr realistischer als andere.

Es ist schon erstaunlich, daß Du diesen Teil schon lange geschrieben hast.

Dir ebenfalls frohe Ostern, mit vielen dicken Eiern!!!

Liebe, wenn auch wie immer keusche Grüße
Keuschling

[Edit]: Dieser Eintrag wurde zuletzt von Keuschling am 03.04.13 um 21:44 geändert
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  RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust") Datum:07.04.13 22:00 IP: gespeichert Moderator melden


Es geht weiter! Endlich! Mancher Leser mag im Moment nichts mit all dem anfangen können, was hier so geschieht, mancher möchte ständig die volle Aktion haben, aber es ist wie mit dem Frühling, auch er lässt auf sich warten und bittet um Geduld! Ein Dank an alle Leser, insbesondere diejenigen, die mich auf kleine Schwächen aufmerksam gemacht haben. Leider ist die Geschichte ja fertiggeschrieben, da werde ich jetzt nichts mehr ändern können...
Viel Spaß heute Abend wünscht Eure Daniela

---


Australien I., Oktober

"Welcome to Australia!" Der Passbeamte am Internationalen Flughafen von Sydney knallte seinen Immigrationsstempel in Monikas Pass und wünschte ihr einen angenehmen Aufenthalt. Es war geschafft! Aber gerade als sie ihr Gepäck aufnehmen wollte, kam eine weitere Hürde auf sie zu: der Sniffer-dog! Die australischen Behörden hatten verständlicherweise eine panische Angst davor, Krankheitskeime jedwelcher Art ins Land zu lassen. So war zum Beispiel die Einfuhr von Honig verboten, da er Keime beinhalten konnte, die für das weltweite Bienensterben verantwortlich waren. Und bis jetzt war Australien fast der einzige Ort weltweit, der noch nicht von dieser rätselhaften Seuche befallen war und - auch das sollte man nicht vergessen - geschätzte 80% aller Lebensmittel waren von fleißigen Bienen abhängig!

Aber alles war okay, der am Reisegepäck aller Mitreisenden schnüffelnde Hund, der nicht nach Drogen, sondern nach mitgebrachten Lebensmitteln suchte, hatte nichts gefunden. Monika hatte keinen Honig dabei; sie hatte bestimmt nicht vor, ihrem Vater Honig ums Maul zu schmieren. Mit dieser Erkenntnis war sie aber auch bereits am Ende ihres Lateins angelangt. Wie genau sie beim Zusammentreffen mit ihrem Vater, den sie seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, vorgehen sollte, wusste sie nicht. Sie hatte Angst vor seiner Reaktion, aber sie hatte noch mehr Angst vor ihrer eigenen Reaktion. Jetzt, wo sie hier angekommen war, im Land der surfenden Kängurus, schien das letzte Stück Weg beschwerlicher zu werden, als die ersten zehntausend Kilometer.

Es war zu spät, wieder umzukehren. Jetzt gab es nur noch die Flucht nach vorn. Monika saß im Minibus, der sie in ihr Hotel bringen sollte. Linksverkehr. Sie drückte die Nase ans Fenster, hoffte, eventuell schon einmal das Opernhaus sehen zu können, aber unzählige mehr oder weniger gelungene Wolkenkratzer erlaubten keine Blicke in die Tiefe des Raums, sondern nur gen Himmel. Sie fühlte sich elend. Es war früher Morgen in der Weltstadt, aber als Münchnerin kam sie sich hier trotzdem wie ein echtes Landei vor. Sie hatte die Nacht schlecht geschlafen, ihre innere Uhr tickte noch in einem anderen Rhythmus; sie war noch längst nicht angekommen. Vielleicht ja morgen. Ja, morgen wäre es bestimmt besser. Dann hätte sie ihre ersten Schritte auf dem Fünften Kontinent gemacht und sich sicherlich daran gewöhnt, hier mit dem Kopf nach unten zu hängen.
Monika lächelte müde. Ja, das hatte sie als Kind immer geglaubt, dass ihr Vater hier mit dem Kopf nach unten hängen müsse. Es war logisch, wenn auch nur in der kindlichen Logik. Aber war es nicht ein halbes Jahrtausend vorher auch logisch gewesen, dass die Erde eine Kante hatte, an der es nicht weiter ging, an der man aber wenigstens einmal ankommen konnte? Jede Scheibe hat eine Kante, auch das ist logisch.
Ihr müdes Hirn hatte die Angewohnheit, immer dann zu Hochtouren aufzulaufen, wenn sie eigentlich keinen klaren Gedanken fassen konnte. Welche Begrenzung war eigentlich absoluter? Die Kante, an der es nicht weiterging, oder die Kugel, auf der man nie irgendwo ankam, egal wie lange man in dieselbe Richtung lief? War nicht der Mensch freier, der die Kante als höchste Norm akzeptierte?

Sie versuchte, ihre seltsamen Gedanken zu verscheuchen, aber es wollte nicht gelingen. Sie spürte, dass sie selber sich auf den Weg gemacht hatte, die ´Kante´ in ihrem Leben zu finden. Es war allemal besser, als wie die Ratte im Laufrad sich trotz ewigen Mühens keinen einzigen Schritt fortzubewegen. Agnes hatte ihr die Augen geöffnet, hatte sie davon überzeugt, dass es an der Zeit war, Licht in das gequälte Dunkel ihrer Seele zu lassen.
Sie hatte die Adresse ihres Vaters ausfindig gemacht, aber sie hatte sich davor gescheut, ihn von ihrem Kommen zu benachrichtigen. Es hätte ihm einen Vorteil gegeben, den sie ihm nicht zugestehen wollte. Nein, sie wollte vor ihm auftauchen, plötzlich und unerwartet erscheinen wie ein rächender Engel... oder auch nicht. Sie wusste es nicht. Als Kind hatte sie ihren Vater geliebt, und sie hatte darunter gelitten, dass er so plötzlich nach Australien zurück musste. Warum, das hatte sie als Kind nie verstanden. Jetzt aber war sie kein Kind mehr ... zumindest wollte sie keines mehr sein.

Der Shuttlebus hielt an einer roten Ampel. Eine alte Dame überquerte die Straße, sie hatte einen Hund dabei, der Monika wieder an den Schnüffelhund vom Flugplatz erinnerte. Und daran, wieviel Angst die Australier vor ansteckenden Krankheiten hatten.
Der Bus fuhr wieder an, musste aber abrupt abbremsen, als ein junges Mädchen noch in letzter Sekunde die Straße überqueren musste. Monika wurde in ihrem Sitz nach vorne geworfen; verärgert blickte sie dem Mädchen hinterher. Und plötzlich wusste sie, dass sie einen riesigen Fehler gemacht hatte, dass sie selber jemanden angesteckt und diese Person schlussendlich schutzlos ihrem Schicksal überlassen hatte! Zu spät! Jetzt war alles zu spät. Nein, es hatte keinen ´Sniffer dog´ gegeben der sie gewarnt hätte, es war niemand da gewesen, der es hätte verhindern können.


Oktober VI.

"Ist das zu eng?" Pia hatte den Schrittgurt der verhassten Zwangsjacke wieder ziemlich fest angezogen, sicherlich fester, als unbedingt nötig.

Daniela wusste, dass es besser war, gute Mine zum bösen Spiel zu machen. Ein Spiel, das so nicht ihres war. Nein, so nicht. Sie hätte es gern mit Monika oder mit Klaus gespielt, aber nicht mit Monikas Mutter. Richtig erklären konnte sie sich ihre offenkundige Abneigung aber nicht. Pia war 44, also alles andere als eine alte Schachtel, sah gut aus und hatte ganz bestimmt immer noch das gewisse Etwas, diese erotische Ausstrahlung, die sich manche Menschen bis ins hohe Alter bewahrten. Es war auch nicht so, dass sie eine Abneigung gegen Pia gehabt hätte, nur dieses hier, dieses erotische Spiel, das passte nicht, das wollte sie nicht mit einer Angehörigen der anderen Generation teilen, nicht mit Monikas Mutter. Sicherlich war genau das der springende Punkt. Nicht der Altersunterschied, sondern die Tatsache, dass Pia Monikas Mutter war, und Eltern sind nun mal auf Dauer keine geeigneten Spielkameraden.

"Nein, schon gut. Es geht so." Trotzdem wand sie sich jetzt schon in ihrer Zwangsjacke und versuchte, dem ständigen Druck auf ihre empfindlichsten Teile irgendwie ausweichen zu können. Pia hatte ihr gar keine Wahl gelassen. Hatte ihr die geöffnete Jacke hingehalten, hatte mit unmissverständlicher Geste die Jacke ein, zweimal geschüttelt, sodass sie sofort wusste, was sie zu tun hatte. Erst dann, als ihre Arme wieder sicher auf ihrem Rücken zusammengeschnallt waren, hatte Pia den Keuschheitsgürtel entfernt.

"So. Na fein. Ist ja nur zu deinem Schutz, Dani. Damit du nachts ruhig schlafen kannst und nicht ständig in Versuchung gerätst."

Daniela verzichtete darauf, Pia zu erklären, dass sie in der vergangenen Nacht kaum ein Auge zugetan hatte. Und dass der breite Schrittgurt sie...

"Wo habe ich denn bloß den verdammten Knebel hingelegt?", murmelte Pia vor sich hin. Augenscheinlich hatte sie Probleme, das gute Stück zu finden.

"Oh nein! Bitte nicht schon wieder den Ballknebel, Pia!" Daniela erschrak. Bei Pia wusste man nie so genau, was ein Protest mit sich führen würde.

"Nicht den Ballknebel?? Oh.... na gut. Dann brauch ich ja auch nicht mehr lange zu suchen. Wie du willst!" Monikas Mutter setzte eine zufriedene Mine auf und lächelte sie an. "Dann wart mal, Kleines. Muss nur schnell mal was holen!"

Dass Pia etwas holen musste, verhieß nichts Gutes. Etwas holen hieß, ein Ding, einen Gegenstand zu holen, und in ihrer jetzigen Situation war jeder Gegenstand für Daniela eher etwas Unangenehmes, als etwas Angenehmes.

Schon war Pia zurück. "So, Mund auf!", kommandierte sie. Sie drückte ihr etwas Dickes, Festes gegen die geschlossenen Lippen, mit solcher Kraft, dass Danielas Widerstand schnell nachgab. Tief fuhr ihr das Teil in den Mund. Nicht so groß, wie der Ballknebel, dafür aber um einiges länger. Und auch dieser Knebel ließ sich hinter ihrem Kopf zusammenschnallen.
"Mal was anderes, nicht wahr? Hast du den Penisknebel schon mal ausprobiert?"

Daniela schüttelte den Kopf. Vielleicht war der Ballknebel doch angenehmer?

"Nicht? Na, du wirst sehen, der macht echt Spaß. Und man kann die Zunge besser damit trainieren, als mit dem Ballknebel. So, dann schlaf mal schön!" Sie gab Daniela noch einen Kuss auf die Lederpatte des Knebels, dann löschte sie das Licht und ging aus dem Zimmer.


Wieder wachte Daniela viel zu früh auf, wieder war sie wie gerädert. Ihre Bettdecke war total verrutscht, sie versuchte, diese irgendwie wieder zurecht zu strampeln, aber es klappte nur halb. Ihre Arme, die sie seit Stunden in der selben Stellung hatte halten müssen, schmerzten, ihr Mund ebenso, ihre Zunge schien fast so etwas wie einen Muskelkater zu haben. Und kaum, dass sie aufgewacht war, drang auch wieder das unangenehme Drücken des Schrittgurts in ihr Bewusstsein, sodass sie keinen weiteren Schlaf finden konnte.
Erst Stunden später kam Pia zurück, befreite sie von Knebel und Zwangsjacke und schickte sie ins Bad. Bald stand Daniela unter der Dusche. Sie war total erledigt. Duschte sich mechanisch ab, wusch sich im schmerzenden Schritt, verspürte längst nicht mehr das Bedürfnis nach sexueller Stimulation, das sie so lange wach gehalten hatte.

Sie trocknete sich ab und wankte zurück in ihr Zimmer. Pia war immer noch da, was sie sofort störte. Anziehen konnte sie sich schließlich allein, oder?

"Ah, Dani! Ich habe Dir schon mal ein paar Sachen rausgelegt..."

Was Daniela sah, machte sie nicht gerade glücklich. "Mensch Pia, muss das sein? Ich muss doch nachher zur Uni, und da habe ich keine Lust, so den ganzen Tag..."

"Papperlapapp! Nun stell dich mal nicht so an. Schließlich bin ich für dich verantwortlich, solange du bei mir wohnst! Also, komm her und lass dich schnüren!"

Daniela sah ein, dass sie diesem Argument nicht widersprechen konnte. Nicht jetzt, denn für Widerstand fehlte ihr jetzt am Morgen jegliche Kraft. Bereitwillig, aber nicht unbedingt willig, hob sie die Arme und ließ sich von Monikas Mutter in ein steifes, weißes Korsett einschnüren. Es war nicht besonders eng, aber doch steif genug, ihr beim Gedanken an den bevorstehenden Tag einen leichten Schrecken einzujagen.

"So. Und jetzt? Was für ein Folterinstrument hast du dir jetzt für mich ausgedacht? Oh nein, Pia! Nicht schon wieder den Keuschheitsgürtel!?" Daniela zuckte zusammen, als das ungeliebte Kleidungsstück sah. Ungeliebt in den Händen von Pia, wie sie sich eingestand.

Doch Pia winkte ab. "Nein, schon gut. Nur den Taillenreifen heute! Der Gürtel lässt sich ja auseinandernehmen. So, siehst du, so passt der Reifen genau um deine geschnürte Taille!" Sie legte ihr den soliden Stahlreifen um das Korsett und verschloss ihn mit dem dafür vorgesehenen Schlösschen. Augenblicklich hatte Daniela das Gefühl, sie müsste laut schreien. Aber kein Laut kam ihr über die Lippen.
"So, und als Oberteil habe ich einen dünnen Rolli für dich. Hier, zieh den mal an!" Pia reichte ihr einen himbeerfarbenen, dünnen Rollkragenpullover. Er war aus einem elastischen Gewebe.

"Keinen BH?"

"Nein. Das Korsett hat ja eine angearbeitete Büstenhebe, da braucht es keinen BH. Also, nun mach!"

Daniela zog das Teil an, das sich sofort eng an ihren Oberkörper legte. Deutlich sichtbar zeichneten sich ihre Brustwarzen ab. "So soll ich rausgehen, Pia? Da sieht man ja total den Taillenreifen! Nee, so kann ich nicht raus!" Es regte sich schwacher Widerstand, den Monikas Mutter aber gekonnt abfertigte.

"Du bist ja noch gar nicht fertig! Du ziehst heute den schwarzen Crinklerock an, den kennst du ja schon. Und um die Taille kommt noch ein Tuch! Aber vorher müssen wir dir das hier noch anlegen!"

Als Daniela die Schenkelbänder sah, wurde ihr Widerstand größer. "Nein, Pia, die will ich nicht. Du glaubst doch nicht, dass ich damit in die Uni gehe!"

"Doch!" Pia lächelte sie an. "Es sei denn, du willst lieber deine Seminare ausfallen lassen. Kein guter Start ins neue Studium, Dani!" Sie schüttelte missbilligend den Kopf und hatte mit einigen wenigen Handgriffen die beiden stählernen Reifen um ihre Oberschenkel befestigt; lange Ketten wurden an den Außenseiten des Taillenreifens angeschlossen. Dann folgte noch ein kleines Schlösschen, welches die D-Ringe der Schenkelbänder miteinander verschloss. "So, siehst du, passt doch alles wie für dich angefertigt. Monika hatte immer protestiert, wenn ich ihr die angelegt hatte." Die Frau lächelte zufrieden. "Fein. Den Rest kannst du ja selber anziehen. Ich geh schon mal und mache das Frühstück fertig!"



Es wurde ein Tag, der sich spürbar in die Länge zog. Gut war, dass sie hier, zum Anfang des Semesters, noch niemanden kannte, dass sie demzufolge keine sozialen Kontakte pflegen musste. Aber spätestens als sie am Nachmittag in einen total überfüllten Hörsaal kam, merkte sie, dass es für heute genug war. Wieso waren denn bloß so viele Studienanfänger hier? Man konnte die Neuen leicht von den älteren Semestern unterscheiden; sie blickten sich um, studierten den Hörsaal, als böte er weiß was für spannende Details, und alle hatten neue, saubere Notizhefte dabei, insofern sie nicht mit der neusten Technik versehen waren. Denn der Professor machte es gleich klar, dass seine Vorlesung auch online abrufbar war. Klare Sache, dachte Daniela amüsiert, damit man dann später per copy and paste seine Doktorarbeit schreiben konnte, wenn es so weit war.
Vergeblich suchte sie nach einem freien Platz. Aber es gab keinen. Viele hatten sich bereits auf den Fußboden gesetzt, was für sie ganz einfach nicht infrage kam, denn mit ihren zusammengefesselten Oberschenkeln konnte sie nur auf einem Stuhl sitzen, und auch das war verdammt unbequem. Also überlegte sie nicht lange sondern ging gleich wieder hinaus. In der Tür stieß sie beinahe mit einer Kommilitonin zusammen, die ebenfalls das Weite gesucht hatte. "Verdammt viele Studienanfänger hier!", beschwerte sich diese. "Und wie soll das erst nächstes Jahr werden? Blöde Sache, dieses G8-Abitur! Doppelter Abiturjahrgang! Was soll der Quatsch? Und demnächst darfst du mit sechzehn Auto fahren und Zehnjährige dürfen wählen gehen!" Die Frau echauffierte sich immer mehr. "Und weißt du, wer dann die Wahl gewinnt? Dieser blöde Kerl, der Gott zwar im Namen trägt, aber den Schalk im Nacken hat, weil alle glauben, von seinen dämlichen Gummibärchen satt zu werden. Ha! So ein Unsinn! Merkt eigentlich keiner, dass hier der größte Raub der jüngeren deutschen Geschichte über die Bühne geht?"

Daniela hatte diesen Gefühlsausbruch eher als eine Art Selbstgespräch aufgefasst, aber als die Kommilitonin sie bei ihrer Frage ansah, sah sie sich zu einer Antwort genötigt. "Raub? Was für ein Raub denn? Versteh ich nicht?"

"Na, dass man hier den Kindern und Jugendlichen ihre Kindheit bzw. ihre Jugend klaut! Liegt doch auf der Hand! Heutzutage drängen die Eltern doch schon bei Kindergartenkindern darauf, dass sie ersten Fremdsprachenunterricht bekommen! Alles ist doch nur noch auf Lernerfolg ausgerichtet. Von Entwicklung spricht doch keiner mehr! Am liebsten wäre es den Leuten doch, sie könnten eines Tages einmal das menschliche Hirn an einen Computer anschließen, und dann auf Wikipedia gehen, DOWNLOAD anklicken, und zack!, das Kind ist ein Erwachsener. Du wirst sehen, es wird noch so weit kommen, wenn wir nicht aufpassen!" Das Handy der jungen Frau klingelte, sie nickte Daniela zu und verschwand im Gedränge.

...wenn wir nicht aufpassen! Die Worte klangen noch in Daniela nach. Ja, da war etwas dran. Sie verstand, dass man dieses Aufpassen nicht der Gesellschaft als solcher überlassen durfte, sondern dass man selber aufpassen musste. Immer würde es Kräfte geben, die versuchten, Dinge durchzusetzen, die irgendwo irgendjemandem etwas raubten, ein Stück Entwicklung, ein Stück persönliche Freiheit. Willkommen bei den Sozialwissenschaftlern, dachte sie.
Daniela spiegelte sich in einer Glastür. Nein, man konnte nicht sehen, wieviel Freiheit sie selber bereits eingebüßt hatte. Das Korsett fühlte sich wohl enger an, als es wirklich aussah. So, wie sie sich jetzt sah, war sie einfach nur eine sehr schlanke, junge Frau. Das Tuch in der Taille verdeckte gekonnt den Verschluss des Keuschheitsgürtels... Sie schloss die Augen. Keuschheitsgürtel?? Nein, stimmte ja gar nicht. Sie trug heute nicht einmal einen Slip. Selten hatte sie sich so nackt, so ungeschützt gefühlt. Die Schenkelbänder verhinderten zwar, dass sie ihre Beine spreizen konnte, aber würde das einen Mann stoppen? Ohne es zu bemerken hatte sie ihre Hand auf ihre intimste Stelle gelegt; ihre Finger spürten die Feuchtigkeit, die schnell durch den dünnen Stoff ihres langen Rocks drang. Es war Zeit, nach Hause zu gehen. Es war Zeit, auf ihre eigene Freiheit Acht zu geben. Sie wusste zwar noch nicht wie, aber sie würde Pia ihren Standpunkt schon klar machen!


Oktober VII.

Samstag. Schon war es Samstag. Letzte Möglichkeit also, in diesem Jahr seinen Plan in die Tat umzusetzen. Wenn er also den Mumm dazu hatte. Klaus war alles andere, als von seiner eigenen Idee überzeugt. Zu groß schien ihm das Risiko, dass etwas schiefgehen konnte.

Aber Barbara dachte anders. Höre nicht auf ihn, diesen Feigling. Er will nicht, dass du Spaß hast im Leben. Er will immer nur Sicherheit, du aber willst Freiheit!

Eigentlich schien schon alles klar. Eigentlich hatte er sich schon darauf eingestellt, sich, wie immer in solchen Fällen, tot zu stellen. Sei vorsichtig!, dachte er. Meide das Risiko. Lass dich nicht von einer unkontrollierten Emotion, von einer Sucht, kaputt machen. Sie wird dich eines Tages noch umbringen, wenn du nicht widersagen kannst!

Er ließ ein langes, gequältes Seufzen hören. Er hätte sich nicht hingetraut, dessen war er sich sicher. Es war eine Sache, etwas in der Fantasie auszuleben, aber eine ganz andere Sache, sich doch auf ein ungewisses Abenteuer einzulassen.

Nein, Klaus hatte gewürfelt, und die Würfel waren gefallen. Aber wie immer hatte er mit gezinkten Würfeln gespielt, mit Würfeln, die ihm gar keine Wahl gelassen hatten, da sie auf allen Seiten dieselbe Zahl trugen. Eine Null.

´Sie sind eine Null, McFly!´ Er hatte diese Stimme gehört, immer wieder, diese Stimme von Schuldirektor Strickland im Film Zurück in die Zukunft. Vor Jahren hatte es angefangen, im Internat noch, als das Böse in Form eines Guten Hirten auch an ihn herangetreten war. Eine Stimme in seinem Kopf, mal von seinem Freund und Zimmergenossen Thomas wortlos ausgesprochen, mal von seiner Großmutter in verklausulierten Wendungen, mal auch von Monika, die sich unwidersprochen zu seiner Herrin hatte aufschwingen können.
Interessanterweise hatte das Objekt im Laufe der Zeit gewechselt. Hatten Thomas und seine Oma ihn noch angeklagt, sich nicht, wie ein Mann, gegen erhaltenes Unrecht aufzulehnen, so hatte Monika sich eher darüber lustig gemacht, dass er anfangs so große Schwierigkeiten hatte, die ihm aufgezwungene Rolle als Frau anzunehmen. Es war ein ewiges hin und her, er war zwischen die Mühlsteine seiner Zweigeschlechtlichkeit geraten; egal, welche Seite er wählte, so würde der andere Mühlstein ihn immer zerreiben wollen.

Klaus verfluchte sich selbst, dass er am Vorabend das Gespräch angenommen hatte. Daniela! Er hatte sich gefreut, dass sie wieder angerufen hatte, nicht das erste Mal in dieser für sie so hektischen, ersten Studienwoche. Immer wieder hatten sie ein wenig geplaudert, über den Studienanfang und überfüllte Seminarien und Hörsäle, über Monika und deren Reise zu ihrem Vater, und ob dies nun eine gute oder doch eher eine schlechte Sache war. Man war sich nicht einig gewesen, vielleicht auch allein deshalb, weil es für Klaus keinen Ort gab, an den er hätte zurückreisen wollen, um sein verknotetes Schicksal entzweizuschlagen.
Doch gestern hatte sie plötzlich gefragt, ob er mitwolle, mit zu diesem Fest, das ihm schon seit Tagen wie ein schwerer Amboss auf der Brust lag. "Wohin?", hatte er gefragt. "Zur Geidi-Gaudi. Ich kann nur diesen Samstag. Nächsten Samstag geht es nicht. Da muss studiert werden!" Nein, da könne er auch nicht, hatte er geantwortet, was ein wenig bereits wie eine Zustimmung klang. "Oh, schön!" hatte sie voll Freude geantwortet. "Weißt du noch, letztes Jahr, da hatten wir ja nicht so den richtigen Spaß..." Ja, er wusste es noch. "Ja..." Er zögerte mit seiner Antwort. "Ja, letztes Jahr war Monika ja noch dazugekommen..." Schweigen am anderen Ende. Eine halbe Minute. Dann wieder Daniela: "Moni ist weit weg, dieses Jahr, Klaus!"

Klaus. Es war klar, mit wem sie gesprochen hatte. Es war klar, mit wem sie zur Geidi-Gaudi gehen wollte. Und es war klar, dass alles nur darauf hinaus lief, dass die Räder seines Mühlwerks wieder anfangen würden, zu rotieren. Schneller und immer schneller würden sie ihn hinabreißen, zermahlen und zerquetschen, ihn und alle, die mit ihm zusammen waren. Es konnte kein gutes Ende nehmen, das war jetzt klar.


November III.

Ingeborg Wimmer versank in Schweigen. Was würde der Abend bringen? Würde er überhaupt etwas bringen, und wenn es nur ein kleiner Anhaltspunkt wäre? Geisterhafte Lichter zuckten durch den Innenraum des Wagens. Ihr Chef, Hauptkommissar Rick, schien auch mit seinen Gedanken nicht ganz bei der Sache zu sein, einmal hätte er fast eine rote Ampel überfahren. Kann ja mal vorkommen, dachte sie, war ja auch nichts passiert.

Sie spürte, dass sie immer unruhiger wurde, je länger die Fahrt durch die Stadt dauerte. Und wenn etwas heute Abend, heute Nacht passieren würde? Hätte sie überhaupt noch die Chance, die Situation zu kontrollieren. Unbequem rutschte sie auf ihrem Sitz hin und her.

"Nervös, Wimmer?" Ihr Chef hatte es bemerkt. Sie schüttelte nur den Kopf. Sollte er sich doch denken, was er wollte. Sollte die ganze Welt doch denken, was sie wollte. Nein, nervös war sie nicht. Sie wusste, dass sie gut im Nahkampf war, dass sie auch aufgegeilte, junge Männer leicht aufs Kreuz legen konnte. Aber konnte sie das auch so, in diesem Dirndl, und...? Oder machte sie das, was sie trug, schwach und angreifbar?

Sie würde es herausfinden. In wenigen Stunden würde sie mehr wissen. Aber hatte sie unbedingt dieses blödsinnige Kleid anziehen müssen? Nein, Dirndl waren nicht ihr Ding, bestimmt nicht. Gab es irgendein Kleidungsstück, das eine Frau mehr zur ´Frau´ machte??
Sie blickte aus dem Seitenfenster und unterdrückte ein Lächeln. Also war sie doch nervös. Sich derart dümmliche Gedanken zu machen, war sicherlich ein Anzeichen von Nervosität. Sie realisierte aber auch, dass allein dieser Gedanke schon ein Indiz dafür war, dass in der Welt der Frau so einiges nicht mehr ganz so leicht zu erklären, nicht mehr ganz so selbstverständlich war, wie noch zu Zeiten ihrer Eltern. Sie hatte sich früh schon kleidungsmäßig abgesetzt vom Spießbürgertum ihrer Eltern, sie hatte einen Beruf ergriffen, der alles andere war als Heim und Herd. Und sie hatte jahrelang nicht einen einzigen Rock besessen, hatte diese gehasst, als Zeichen der Unterdrückung betrachtet. Erst in letzten Jahren war dies anders geworden. Sie hatte mehr Bürodienst bekommen, musste sich nicht mehr so oft draußen die Finger schmutzig machen, wenngleich es immer noch vorkam. Und sie hatte ganz langsam kapiert, dass sie eine Frau war, und dass es sogar ein Zeichen von Stärke war, wenn sie sich ab und zu wie eine kleidete. Hosen tragen konnte schließlich jeder; Röcke aber nur eine Frau.
Trotzdem war der Schritt hin zum Dirndl recht gewaltig gewesen. Es war nicht ihr erstes Dirndl, da hatte es schon mal eines gegeben, in grauer Vorzeit. Verstört erinnerte sie sich an ihre Firmung, daheim in ihrem Dorf, wo es Brauch war, dass alle Mädel im Dirndl zur Kirche gingen, und nur allzu gut erinnerte sie sich an den Blick des Weihbischofs, der gar nicht tief genug in ihren Ausschnitt sehen konnte. Damals hatte sie zum ersten Mal gespürt, dass nicht alles so war, wie es sein sollte, dass Menschen, trotz aller Weihräucherei, Menschen waren, die eben nicht alles in sich mit purer Vernunft steuern konnten. Eine Erkenntnis, die sie schlussendlich, wenn auch auf einigen Umwegen, zur Polizei gebracht hatte. Denn sie wollte Licht in die dunkle, triebhafte Welt der Menschen bringen, wollte verstehen, was diese zu ihren Verbrechen angetrieben hatte, weshalb sie Kinder so lange schlugen, bis diese aufhörten zu atmen, weshalb sie Frauen brutal vergewaltigten, oftmals sogar die eigenen; Menschen, die sie angeblich liebten.

"Wir sind gleich da, Wimmer!" Rick sah sich schon nach einem geeigneten Parkplatz um, einem, der nicht allzu weit vom Eingang entfernt war, sodass er im Notfall alles unter Kontrolle hatte. "Alles klar bei Ihnen?"

Wimmer öffnete den Sicherheitsgurt; augenblicklich verschwand der unangenehme Druck, der ihr auf der Brust gelegen hatte. "Alles klar, Chef." Sie sah ihn nicht an. Jetzt war nicht die Zeit für tiefere Einblicke in ihr persönliches Seelenleben, jetzt war die Zeit, ein Verbrechen aufzuklären, einem miesen Typen so in die Eier zu treten, dass er sie nie wieder würde gebrauchen können. Was auch immer hier, an diesem Ort, vor genau einer Woche passiert war, sie hoffte es hier herausfinden zu können!



Oktober VIII.

Sie hatte sich gewappnet, hatte all ihre Kraft in einen entscheidenden Schlag gelegt, aber der Gegner hatte es verstanden, geschickt zurückzuweichen. Daniela war enttäuscht. Sie hatte mit Mühe und Not den Montag überstanden, hatte Pias Spiel mitgespielt, ohne zu murren, war aber schließlich etwas früher als geplant nach Hause gekommen, denn im AudiMax hatte es keinen freien Sitzplatz mehr gegeben, und mit den Ketten an ihren Beinen war es ihr schlichtweg unmöglich, sich irgendwo anders hinzsetzen, als auf einen Stuhl oder eine Bank.
Pia war nicht zu Haus gewesen und so machte sie das, was sie am Vortage nicht hatte tun können. Diesmal hinderte sie kein Keuschheitsgürtel daran, diesmal gab es keine störenden Elemente, sah man einmal von dem steifen Korsett ab, welches ihre Beweglichkeit doch ziemlich einschränkte. Es war herrlich, als sich die angesammelte Spannung mehrerer Tage in ihrem Schoß entlud; sie biss in ihre Bettdecke, um leise zu bleiben.

Monikas Mutter kam erst am späten Nachmittag zurück, begrüßte Daniela und bereitete für beide einen Tee. Dann, mit einem spitzbübischen Lächeln, holte sie etwas Längliches, Weißes aus ihrer Einkaufstasche hervor, griff zu Messer und Schneidebrett und schnitt das weiße Etwas vor Danielas Augen auf.

"Voilá! Der erste Stollen! Frohe Weihnachten!"

Daniela verzog den Mund. Sie liebte Stollen, aber jetzt schon? "Ist es schon wieder so weit? Ist doch erst Ende Oktober!"

"Hast du es nicht gehört? Im Radio spielen sie schon wieder Last Christmas !" Sie begann, den absoluten Weihnachtsohrwurm leise vor sich hin zu trällern.

"Scheiß Weihnachten!" Und schon war es heraus.

"Na na!" Pia sah sie mit tadelndem Blick an. "Was hast du gegen Weihnachten? Das ist doch immer so schön, die vielen leckeren Sachen, die schönen Geschenke... Weihnachtslieder..."

Daniela ging nicht darauf ein. Wie sollte sie einer Person, die, wie sie immer stärker erkannte, trotz aller Emotionalität keine wahren Anzeichen für geistige Tiefe erkennen ließ, wie sollte sie dieser Person erklären, warum sie das, was aus Weihnachten geworden war, ablehnte?
Und so war ihr Gespräch an der Oberfläche geblieben. Daniela hatte den Zeitpunkt zum Frontalangriff verpasst. Man schießt nicht auf den, der einen mit Stollen füttert, so einfach war es. Aber sie war dennoch fest entschlossen, nicht noch eine dritte Nacht in der unbequemen Zwangsjacke zu verbringen.
Dann aber war alles ganz anders gekommen. Nach dem Tee hatte Pia ihr die Schlüssel für Taillenreifen und Schenkelbänder in die Hand gedrückt und sich dann nicht weiter um sie gekümmert. Sie hatte auf ihr Zimmer gehen und sich mit einiger Mühe ausziehen können, hatte geduscht und den Abend an ihrem Schreibtisch in gemütlichen Joggingsachen verbracht. Und Pia sollte an diesem Abend, wie auch an den nächsten Tagen, nicht mehr mit irgendwelchen Sachen auf sie zukommen.

Bis zum Freitagmorgen. Beim Frühstück hatte sie sie ganz unschuldig gefragt, ob sie eigentlich Sport treibe. Eher nicht, hatte sie Monikas Mutter darauf geantwortet.

"Hm. Du solltest was für deine Figur tun, Dani! Weißt du eigentlich, dass Moni da oben so ein Laufband hat? Vielleicht wär das ja mal was für dich? Vielleicht musst du es einfach mal ausprobieren, jetzt am Wochenende?"

Sie ließ sich ihren Schrecken nicht anmerken. Das Laufband! Wie lange hatte sie nicht an diesen schlimmen Nachmittag mehr gedacht? Als sie selber, gefesselt und unsicher auf extrem hohen Hacken balancierend, hinter einer Glastür stand, die sie selber nicht öffnen konnte, während Monika auf der anderen Seite dieses Laufband betrat, die Füße in den extremen Balletstiefeln? Und als diese dann ihre Nippel vorn an der Maschine mittels langer Gummibänder fixierte, sich noch eine Gasmaske aufsetzte und dann die eigenen Hände auf den Rücken fesselte, einen Schalter in der Hand haltend, mit dem sie dann das Laufband aktivierte?
Daniela schüttelte sich. Das war der Moment gewesen, in dem Monika zu weit gegangen war, in dem sie eine unbesprochene Grenze überschritten hatte, die sie niemals hätte überschreiten dürfen. Denn was Monika gewollt hatte, was diese ihr hatte aufzwingen wollen, war nichts anderes als der Versuch, aus sich selber eine Märtyrerin und aus Daniela einen Folterknecht zu machen. Denn nur sie, Daniela, hatte die Möglichkeit gehabt, das Laufband wieder zu stoppen, nachdem Monika ihren Schalter weggeworfen hatte, und nur sie konnte mittels einer langen Schnur die Handschellenschlüssel freigeben, sodass Monika sich befreien konnte. Ein furchtbares Szenario, und bestimmt keins, dem Daniela etwas hatte abgewinnen können. Nein, sie wollte gern für andere Dinge auf sich nehmen, Schmerzen erleiden und sogar ihre sexuelle Freiheit verlieren, aber sie war nicht fähig, anderen Gleiches anzutun.

"Nun, was meinst du? Ich wüsste da schon, wie wir beide zusammen etwas trainieren könnten! Zusammen macht es doch mehr Spaß!" Monikas Mutter sah sie mit Augen an, aus denen die reine Unschuld sprach.

Wie ein Blitz jagte ein weiteres Bild durch ihren Kopf. Diesmal stand sie selber auf dem Laufband, würde laufen und laufen, schneller und immer schneller, während sie nicht einen Meter von der Stelle kam. Und Monikas Mutter würde lächelnd daneben stehen und ... was auch immer. Daniela wusste, dass es nichts Gutes sein würde.

"Mal sehen", hatte sie gesagt. Und daran gedacht, dass es eigentlich nur noch eine Lösung gab. Ja, sie würde laufen müssen, laufen, laufen, laufen. Ob sie je irgendwo ankam, war eine ganz andere Frage.




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  RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust") Datum:12.04.13 22:04 IP: gespeichert Moderator melden


Hi Daniela,

eine sehr interessante Fortsetzung, die wieder einmal viel über die Protagonisten verrät. Herrlich gelungen, wie Du das beschreibst, was Deine Protagonisten bewegt oder eben zurückhält - und dabei mit einigen Fetisch-Utensilien gewürzt. Aber ich bin auch gespannt, ob Rick´s Plan aufgehen wird.

Danke Dir und keusche Grüße
Keuschling
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Daniela 20
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  RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust") Datum:14.04.13 22:00 IP: gespeichert Moderator melden


Es zieht sich hin. Ich gebrauche gern das Bild vom 400m-Läufer, der sich mit unendlich müden Beinen auf der letzten Geraden ins Ziel kämpft. Auch ich selber wünschte mir, wir würden endlich am Ende ankommen. Falls es überhaupt eines gibt.
Bleibt unseren Protagonisten treu, liebe Leser....
Eure Dani

---


Australien II. Oktober.

Müde. Sie war nur noch müde. Monika hatte stundenlang im Zug gesessen, der sie von Sydney nach Adelaide gabracht hatte, in die Haupstadt Südaustraliens. Die lange Reise war irgendwie bequem, irgendwie mehr als ätzend gewesen. Ein Zug voll lärmender Touristen, viele junge Leute, so wie sie, aber sicherlich niemand darunter, der in gleicher Mission unterwegs gewesen wäre.
Es hatte lange gedauert, ihren Vater ausfindig zu machen. Bis sie ihn schließlich in einem kleinen Weinanbaugebiet Südaustraliens gefunden hatte. Das heißt, sie hatte seinen Namen auf der Angestelltenliste einer Weinfirma entdeckt. Schwieriger war es gewesen, Konkretes über seinen genauen Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen, denn sie wollte auf keinen Fall mit ihrem bevorstehenden Besuch Aufmerksamkeit erregen. Noch genauer gesagt: sie wollte sich bis zum wirklich letzten Moment die Möglichkeit offenhalten, nötigenfalls noch im allerletzten Moment auf das Wiedersehen, auf die erwartete Konfrontation zu verzichten.

Aber nicht heute. Sie war viel zu durcheinander, um jetzt das letzte Stück Weg in Angriff zu nehmen. Stattdessen besorgte sie sich ein Taxi und fuhr erst einmal zu ihrem Hotel. Sie würde etwas Ruhe benötigen. Die wenigen Tage, die sie noch in Sydney verbracht hatte, waren mit all der Lauferei anstrengender gewesen, als erwartet. Da hatte es schlichtweg so Vieles gegeben, was sie unbedingt hatte sehen wollen, die Oper, den Zoo von Taronga, die imposante Hafenbrücke, alles Dinge, die viel Zeit und Energie erforderten. Gut war, dass sie aus dem deutschen Herbst in den australischen Frühling kam, da war der Klimawechsel nicht ganz so schlimm, wie wenn man aus dem Winter in den Sommer reist.

Das Hotel war ein netter, kleiner Bau unweit des Stadtzentrums. Es gab keine Klimaanlage, aber ein großer Propeller drehte sich unter der Decke und sorgte für einen konstanten Luftstrom. Sie hatte geduscht und lag nun so, wie der liebe Gott sie erschaffen hatte, auf dem Bett; die dünne Decke hatte sie zur Seite geschoben. ´Hallo Papa!´, stammelte sie halblaut vor sich hin. Worauf hatte sie sich bloß eingelassen?
Ihr wurde unwohl bei dem Gedanken, dass sie sich jetzt in Windeseile jener ´Kante´ näherte, die bisher ihr ganzes Leben ausgemacht hatte. Eine Kante, die nie erwähnt werden durfte, daheim im Elternhaus, die erst recht nie in Frage gestellt werden durfte. Erst seit ganz wenigen Jahren hatte es von ihrem Vater einen Gruß zu Weihnachten gegeben, sie erinnerte sich noch, wie überrascht sie einmal gewesen war, als sie, damals noch im ersten Semester, etwas früher nach Hause gekommen war und im Briefkasten eine dieser lustigen, australischen Weihnachtskarten vorgefunden hatte.
´Ich bin´s, Papa. Deine Tochter....´ Nein, auch das würde seltsam klingen. Alles würde seltsam klingen, das wusste sie jetzt. Wahrscheinlich war es gut, gar nichts zu sagen. Vielleicht war es besser, gar nicht erst hinzufahren, in diesen seltsam klingenden Ort, wo das Weingut lag.

Es hatte alles so gut, so vernünftig geklungen, als Agnes sie im Krankenhaus besucht hatte. Du musst deinen Vater aufsuchen, dann wird alles gut! In Wahrheit aber wurde mit immer geringerer Entfernung zu ihrem Vater ihre Skepsis immer größer. Was, was um alles in der Welt sollte diese Aktion hier denn bloß bringen? Glaubte sie allen Ernstes, ein bloßes Zusammentreffen würde etwas wieder zusammenkitten, was in ihrer Kindheit zerbrochen war? Und, was genau war denn überhaupt zerbrochen? War es nicht vielmehr ihre Mutter gewesen, die den Bruch mit ihrem Vater herbeigeführt hatte? Schlimmer war, dass sie sich jahrelang insgeheim Vorwürfe gemacht hatte, dass sie selber der Grund dafür war, dass die Ehe ihrer Eltern in die Brüche gegangen war. Sie selber hatte in diesem entsetzlichen Spiel Schuld auf sich geladen, eine Schuld, die ihr bisher niemand hatte nehmen können. Würde ihr Vater es können, wenn sie mit ihm zusammentraf?

Monika wälzte sich unruhig hin und her. Was ihr jetzt fehlte, war ein Gesprächspartner. Jemand, der einfach nur zuhörte und ihr dann einen Klaps auf die Schulter gab. Jemand, der hinter ihr stand, statt vor ihr. So wie... Ja, wie wer? Erst jetzt erkannte sie, dass es nie jemanden gegeben hatte, der so ganz für sie dagewesen war. Nicht ihre Mutter, nicht Claudia. Und bei aller Liebe auch nicht Daniela.
Daniela! Was war nur in sie gefahren? Spätestens seit sie im September wieder nach München gekommen war, hatte Monika erkannt, dass mit dem Mädchen etwas passiert war. Doch hatte sie es wahrhaben wollen? Nein. Sie hatte schon ihr Augenmerk auf die bevorstehende Reise gerichtet, hatte die vielen, drängenden, kaum versteckten Aufforderungen der Freundin kaum beachtet. Ja, jetzt erst wurde es ihr klar, dass Daniela sich große Hoffnungen gemacht hatte, Hoffnungen auf weitere ´Erlebnisse´, vorsichtig ausgedrückt. Daniela war eine sub, submissive wie sie im Buche stand. Und sie lebte nun mit ihrer Mutter unter einem Dach! Augenblicklich verspüre Monika einen dumpfen Schmerz in der Magengegend. Sie richtete sich auf. Vielleicht war es nur Hunger? Ja, gewiss, es war nur Hunger, log sie sich etwas vor. Manchmal war es einfacher, mit der Lüge zu leben, statt mit der Wahrheit.


Oktober XI.

"Pia?" Daniela hob ihre Stimme, was eigentlich nicht nötig war, da beide beim Frühstück saßen.

"Ja? Was gibt es denn?" Die Angesprochene legte den Teil der SZ weg, den sie gerade las.

Daniela hatte die ganze Nacht überlegt, wie sie es sagen sollte. "Du brauchst heute Abend für mich nicht mitkochen. Ich bin nicht zu Hause." Sie sah Monikas Mutter nicht an, sondern goss sich noch etwas Kaffe nach.

"Nicht? Hast du was vor?" Ihre Stimme klang neutral.

"Ja. Ich gehe mit Klaus auf die Geidi-Gaudi. Kann auch sein, dass ich die Nacht dann bei ihm bleibe. Das wird ja bestimmt spät...."

"Und da dachtest du, es sei besser, bei ihm zu bleiben, statt durch halb München zu laufen?"

"Ja. Man weiß ja nie, was passiert..."

"...wenn man nicht vorsichtig ist. Man kann aber vorbereitet sein..." Pia verzog keine Miene.

Daniela blickte auf, sagte aber nichts.

"...so wie letztes Jahr. Da warst du doch auch vorbereitet. Du willst also wieder da hingehen?" Pia blickte sie an.

"So wie letztes Jahr, ja. Ich hoffe, du hast nichts dagegen?" Warum sagte sie das?

"Nein, Kleines. Natürlich habe ich nichts dagegen. Was sollte ich dagegen haben? Hast du dein Dirndl hier?"

"Ja. Ich hab alles hier." Daniela war erleichtert.

"Wann willst du gehen?"

Daniela erklärte ihr, dass sie am späten Nachmittag zu Klaus wollte und mit ihm erst einmal etwas essen gehen wollte. Pia sagte, sie müsse erst noch einmal selber in die Stadt, man könne aber sicherlich noch zusammen Tee trinken, falls Dani das wolle. Daniela sagte zu, besser hätte es eigentlich nicht kommen können.

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Als Klaus am Nachmittag in seine kleine Wohnung zurückkam, wunderte er sich, unten auf der Treppe eine schwarze Plastiktüte zu finden. Er nahm sie mit nach oben, sah hinein und erschrak. Er erkannte das Teil sofort. Sie schien Ernst machen zu wollen.
Er packte das Teil wieder in die Tüte und legte sie weg in sein Schlafzimmer. Sollte es wieder so sein, wie letztes Jahr? Genauso?? Lange stand er unschlüssig am Fenster. Nein, dachte er, letztes Jahr war es anders. Alles war anders damals. Es war an der Zeit, dass er endlich an sich selber dachte.

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Sie hatte das Nötigste in einen kleinen Koffer gepackt. Alles würde sie niemals mitnehmen können, aber es gab auch Dinge, die sie sich würde neu beschaffen können. So hatte sie hautpsächlich an diverse Ausweise und Dokumente gedacht, natürlich an Studienunterlagen und ihren Laptop. Ein wenig Wäsche zum wechseln. Fast hätte sie ihren Kulturbeutel vergessen. Kleider? Einige wenige Oberteile, Pullover, zwei Jeans, einen Rock für fein, natürlich drei Paar Schuhe. Ihre Stöckelschuhe würde sie später anziehen, die passten ganz gut zum Dirndl. Dann hatte sie den Koffer genommen und unten, vor der Haustür, unter einem dichten Busch versteckt, dessen buntes Herbstlaub alles gut verdeckte.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie hörte, dass Pia von ihrem Stadtbummel zurückkam. Bald würde sie sie zum Tee rufen. Danach dann würde sie sich fertig machen, und dann... nur noch laufen, laufen, laufen. Aber anders, als Pia sich das vorstellte. Sie würde weglaufen und nicht wiederkommen.


Diesmal gab es Lebkuchen zum Tee. Pia hatte wohl beschlossen, von jetzt bis zum Christfest und wohl noch darüber hinaus weihnachtlich zu bleiben. "Ah, ich liebe Lebkuchen!"; sagte sie. Ohne eine Reaktion Danielas abzuwarten, von der sie sowieso keine große Begeisterung erwarten durfte, fuhr sie fort: "Monika hat mir davon erzählt. Alles..."

Daniela fühlte sich überrumpelt. So schnelle Themenwechsel war sie nicht gewohnt. "Wie bitte? Wovon hat Moni dir erzählt? Von Lebkuchen??"

Pia lachte laut auf. "Ha! Natürlich nicht. Von dieser Gaudi-Geidi, oder wie das heißt..."

"Geidi-Gaudi, so wie Geile-Dirndl-Gaudi!"

"...und was ihr da so gemacht habt. Muss ja echt spannend gewesen sein!" Sie ließ sich von Danielas Einwurf nicht beirren. "Und da willst du heute Abend hin? Genauso wie letztes Jahr?"

"Äh, ja. Wieso fragst du? Willst du etwa mit? Ich glaube nicht, dass das so ganz deine Altersklasse ist!"

Pia lachte wieder. "Nein, ich will nicht mit. Aber ich dachte, ich könnte dir ein wenig beim Anziehen helfen."

Daniela erschrak. "Was? Was meinst du denn? Kann mich doch selber anziehen!"

"Klar kannst du dich selber anziehen. Aber Monika hatte mich gebeten, dir beim Anziehen zu helfen, falls du wieder zu diesem Fest gehen solltest. Sie hat es mir ausdrücklich aufgetragen!" Pia sah sie lammfromm an. "Ehrlich! Sie hatte gesagt, dass, falls du hingehen würdest, dann sollte es für dich genauso sein, wie letztes Jahr. Genau das waren ihre Worte! Sie hat mir auch genau gesagt, was ich dir anziehen soll!"

Daniela musste tief Luft holen. Es war wie das Echo eines heftigen Knalls über sie gekommen, gänzlich unerwartet und zutiefst verstörend. Noch hatte Pia nicht gesagt, was sie nach Monikas Meinung anziehen sollte, aber sie besaß genug Vorstellungskraft, es sich auszumalen. Sie trank ihren Tee aus und folgte Pia auf ihr Zimmer.
Diese trug eine Plastiktüte mit sich, aus der sie nun all das entnahm, was Daniela den Abend verderben sollte, oder auch nicht. Wie man es sah. Widerstandslos ließ Dani sich zuerst den stählernen BH anlegen, diesmal allerdings ohne die stacheligen Einlagen. Als Daniela sah, dass Pia dann auch den elektronischen Phallus auf dem Schrittteil des Keuschheitsgürtels einsetzte, begann sie heftiger zu atmen. Nein. Nicht dieses Teil, dachte sie. Aber sie brachte keinen Laut hervor. Sie war wie verhext. Es fühlte sich kalt und unangenehm an, als das stählerne Glied in sie eindrang. Mein Gott, dachte sie, ist es größer geworden?

Pia verband die drei Teile von Taillenreifen und Schrittteil miteinander und setzte das kleine Schlösschen ein. Klick! "So, Dani, das wär´s ja eigentlich. Mit dem Dirndl kommst du wohl selber klar?"

Sie stand wie angewurzelt. Fast hätte sie gelacht, als sie daran dachte, dass sie jetzt die Wurzel zwischen den Beinen hatte und nichts dagegen tun konnte. "Ja. Aber..." Sie stöhnte leise, "...aber das hier ist nicht richtig, Pia. Ich hatte den BH letztes Jahr nicht mehr an. Das weiß ich genau! Monika hatte ihn mir am selben Tag abgenommen, nach einer ganzen Woche. Also, den kannst du mir bitte auch wieder abnehmen!" Sie biss sich auf die Lippen. Wie lange würde es dauern, bis sie sich an dieses verdammte Teil gewöhnt hätte? Eine Stunde? Zwei Stunden? Oder noch länger? Und wo war eigentlich die Fernbedienung?

"Hattest du nicht?? Oh, wie dumm. Da muss mir wohl ein kleiner Fehler unterlaufen sein. Aber abnehmen kann ich dir den BH nicht mehr. Ich habe keine Schlüssel mehr hier!"

"Du hast keine Schlüssel mehr hier??", echote Daniela. "Was, zum Teufel, soll das jetzt bedeuten? Wo sind die verdammten Schlüssel denn? Jetzt sag bloß nicht, Monika hat sie mit nach Australien genommen!"

Pias Gesicht zeigte ein breites Grinsen. "Das wär mal lustig, nicht wahr? Aber nein. Die Schlüssel sind bei deinem Freund. Zusammen mit der kleinen Höllenmaschine..."

Daniela blickte sie fragend an.

"...dieser Fernbedienung. Ihr solltet doch heute Abend euren Spaß haben, hatte Moni gemeint. Alles sollte so sein, wie letztes Jahr. Hast du ja selber mehrmals gesagt. So, dann zieh dich mal fertig an. Ich glaube, ich leg mich schon mal ein wenig hin. Bin ja ganz ausgelaugt von dieser Rennerei heute! Falls wir uns heute nicht mehr sehen, viel Spaß!! Pass gut auf dich auf, mach keine Dummheiten, Kleines...." Sie ging hinaus und murmelte noch im Gehen: "...ach, geht ja sowieso nicht!" Das letzte, was Daniela noch von ihr hörte, war ein leises Lachen.

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Barbara erschrak, als sie das Klingeln an ihrer Wohnungstür hörte. Am liebsten hätte sie sich irgendwo verkrochen, aber es gab Momente im Leben, wo man sich nicht länger verkriechen konnte, wo man nicht länger vor der Wahrheit davonlaufen wollte. So ein Moment war jetzt gekommen. Sie ging zur Wohnungstür, drückte auf den Knopf für den elektrischen Türöffner und öffnete dann die Wohnungstür. Anscheinend war Daniela die einzige, die nicht wusste, dass man sich nur ein wenig gegen die Haustür lehnen musste, um diese aufzubekommen. Barbara zog sich in das Halbdunkel des kleinen Flurs zurück.

Daniela stieg die wenigen Treppenstufen empor, froh darüber, dass es nicht mehr waren. Treppen waren in ihrer Situation das Schlimmste. Sie öffnete die Wohnungstür, die Diele war dunkel, schemenhaft nur erkannte sie eine Person, die am anderen Ende stand.
Sie setzte ihren kleinen Koffer ab, suchte nach dem Lichtschalter.

"Nicht!", sagte die Person. "Lass es besser aus!"

Barbara?? Oh nein! Daniela verstand in weniger als einer Sekunde, was geschehen war. Es war genau das geschehen, was nicht hätte geschehen sollen, wenn es nur nach ihr gegangen wäre. Dennoch machte sie einen zögerlichen Versuch, der unbequemen Wahrheit auszuweichen. "Klaus? Bist du das?"

"Klaus ist nicht hier", antwortete sie ihr. Dieselbe weiche Stimme, die Daniela schon zu Ostern gehört hatte. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, hätte sie sich leicht täuschen lassen.
Sie überlegte. Sie wusste nicht, was richtig, was verkehrt war. Es gab kein Schema mehr, das sie als Vorlage für ihr weiteres Verhalten anwenden konnte. Alles konnte richtig sein, aber alles konnte auch verkehrt sein. Mit einer schnellen Bewegung betätigte sie den Lichtschalter.

Barbara blieb stehen. Sie hielt es aus.

"Mensch Klaus...," legte Daniela los. Ihre Stimme war gereizt. Sie wusste bereits, dass der Abend dahin war. Aber sie hatte sich nicht im Griff, zu groß war die totale Enttäuschung, die sie jetzt erlebte. "Lass doch den Scheiß! Mann, wir wollten uns doch einen schönen Abend bei der Geidi-Gaudi machen!"

"Können wir doch auch so!" Barbara kam langsam näher. Sie sah verboten gut aus. Eigentlich besser als Daniela selber. Warum nur müssen Transen immer besser aussehen, als richtige Frauen, dachte Daniela. "So können wir doch beide unseren Spaß haben! Klaus hatte keine Lust zu diesem Fest. Aber Barbara hat schon ein ganzes Jahr darüber nachgedacht. Klaus fand es langweilig, als Mann dort zu sein. Aber schon letztes Jahr hatte er sich gewünscht, er könnte..." Er stockte, berichtigte sich. "....sie könnte da auch einmal mitmachen. Barbara also. Ich hoffe, du verstehst das!"

Nein. Sie verstand es nicht. Was war denn bloß los mit diesen verdammten Männern? Sie fragte sich, ob diese Barbara, diese Monika-Schöpfung, überhaupt noch normale - männliche - Reaktionen zeigen konnte? Sie hob den Rock ihres Dirndls, zeigte Klaus, oder Barbara, ihre versperrte Scham, lies keinen Zweifel daran, dass noch mehr an ihr versperrt war. "Ich hab das Ding in mir, Klaus. Weißt du noch, die Fernbedienung? Wie du es mir besorgt hattest, letztes Jahr?" Sie schaute ihn an und wartete auf eine Reaktion. "Du hast die Fernbedienung?" Es klang mehr wie eine Aufforderung als wie eine Frage.

"Ja," sagte er. "Soll ich sie mitnehmen?"

Hoffnung keimte in Daniela auf. Sie hatte es gewusst, man musste halt nur ein dickes Kaliber auffahren, um bei Männern Erfolg zu haben. Auch bei denen, die keine sein wollten.

Barbara zog sich eine Jacke an und griff nach ihrer Handtasche. "Woll´n wir gehen, Dani?"

Daniela schloss die Augen, sank auf den Fußboden wie eine gekillte Gliederpuppe. "Nein," stammelte sie. Dann lauter: "Nein!! Nein und abermals NEIN!!!" Ich will mit Klaus zu diesem Fest, so wie letztes Jahr, und ich will dass Klaus mir dieses Ding hier unter Strom setzt!! Kapierst du das nicht?" Sie begann zu weinen. "Hier, du kannst alles mit mir machen, was ein Mann mit mir machen würde. Aber zieh dir dieses Dirndl aus! Sei endlich der, der du bist! Klaus, verstehst du, Klaus und nicht Barbara. Die war doch nur eine Schöpfung von Monika, die ... die ..." Sie holte Luft. "Ach scheiße!! Scheiß Kerle!! Also, was ist jetzt?"

Barbara zog sich die Jacke wieder aus. Sie ging in die Küche, holte sich ein Glas Wasser und trat dann ans Fenster und blickte hinaus. "Das... das verstehst du nicht, Dani. Du willst es einfach nicht wahrhaben! So wie alle anderen. Alle sehen immer nur den Mann in mir, auch wenn sie mich scheinbar in Frauenkleidern akzeptieren. Letzten Endes wollen alle doch nur mit mir ins Bett. Mit Klaus also, nicht mit Barbara. Oh nein, du brauchst gar nicht so zu gucken! Nein, du bist nicht die erste und nicht die einzige. Da hat es auch andere Frauen in der Zwischenzeit gegeben!" Sie trank einen Schluck, ihre Hand zitterte. Etwas Wasser floss auf den Boden.
"Was weißt du denn eigentlich von mir? Nichts, überhaupt nichts!! Du kennst doch nur diese Monika-Schöpfung, wie du es nennst. Den kleinen, dummen Jungen von nebenan, den sie zwingen konnte, als Frau durch die Gegend zu laufen! Ach, du hast ja gar keine Ahnung..." Sie verstummte. Vielleicht hätte sie Daniela mehr von sich erzählen sollen, aber da hatte es keine richtige Gelegenheit gegeben. Und jetzt war erst recht nicht der Zeitpunkt dafür.

Daniela riss ein Stück Kuchenrolle ab und trocknete sich die Tränen weg. "Du kommst also nicht mit zum Fest?" Trotz lag in ihrer Stimme.

"Nur so."

Ohne mich, dachte Daniela. Aber dann ohne mich. Sie überlegte, ob sie Klaus vielleicht zu sehr in die Enge getrieben hatte. Vielleicht müsste sie jetzt einfach gehen, ihn mit seiner Entscheidung allein lassen? Ja, vielleicht würde das funktionieren. Trotzdem ahnte sie, dass der Spaß für heute vorbei war, bevor er überhaupt angefangen hatte. Und wenn sie einfach allein zur Geidi-Gaudi ging? Wenn sie Spaß mit einem anderen Kerl hatte? Da liefen bestimmt eine ganze Menge notgeiler Burschen herum, die man ohne Probleme zu einer schnellen Nummer...
Der Keuschheitsgürtel! Von ihr aus konnte Klaus oder Barbara oder wer auch immer das verdammte Teil behalten! Sie holte einmal tief Luft, zwang ihre Stimme zur Ruhe. "Also gut. Dann gehe ich jetzt. Ich gehe erstmal wo was essen, und anschließend dann zum Fest. Vielleicht kommst du ja nach. Aber ich habe jetzt echt keinen Bock mehr auf dieses Spielzeug hier:" Sie schlug ihren Rock noch einmal hoch und deutete auf ihren blanken Keuschheitsgürtel. "Wenn du also so nett wärest, mir die Schlüssel zu holen?" Sie biss sich auf die Lippen.

Barbara ging, ohne sie anzuschauen, ins Schlafzimmer und kam mit einer Plastiktüte wieder. "Hier, aber mach das bitte selber."

Daniela griff nach einem kurzen Blick in die Tüte, holte die Fernsteuerung heraus und legte sie auf den Tisch. Sie sah, dass das Display das Wort READY zeigte; ein paar Knopfdrücke jetzt und sie würde abgehen wie eine Rakete. Aber sie drückte auf keine Knöpfe sondern griff erneut in die Tüte. Wo....? Ihr Herz blieb einen Moment stehen. Nein, dachte sie, das hatten wir schon. Nicht schon wieder.... Sie drehte die Tüte auf den Kopf, schüttelte sie über dem kleinen Sofatisch aus, aber nichts fiel heraus. Sie war leer.

"Da sind keine Schlüssel...", stellte sie fest.

"Nicht? Aber du sagtest es doch selber..." Auch Barbara sah noch einmal in der Tüte nach. "Ich weiß sowieso nicht, wie die Tüte hier hergekommen ist. Sie stand da, unten auf der Treppe, als ich aus der Stadt zurück kam."

"Ich weiß es", wusste Daniela. "Pia. Ich wohn doch bei Monikas Mutter. Sie war mittags auch mal weg, in der Stadt, wie sie gesagt hatte, und sie hat mir vorhin gesagt, sie hätte die Schlüssel nicht, sie seien bei meinem Freund..."

"Was für ein Freund denn?", fragte Barbara.

Daniela begann erneut zu heulen. Sie hatte gerade begriffen, dass es keinen Freund und keine Schlüssel gab. Pia hatte sie schlichtweg angelogen. Ihre Flucht war gescheitert, sie würde nach dem Fest zu ihrer Peinigerin zurückkehren müssen. Scheiße scheiße scheiße!!! Sie musste weg hier, Luft! Luft!, bloß weg hier, laufen laufen laufen.... Resolut schnappte sie ihre Handtasche, schloss schnell noch die Knöpfe an ihrem Janker, dann ein schneller Griff, sie riss Klaus die Perücke vom Kopf und stürmte schließlich die kurze Treppe hinab.


November IV.

"Alles klar bei Ihnen, Ingeborg?" Er wiederholte sich. Es war ihm bewusst, und es war ihm bewusst, dass er sie ganz spontan bei ihrem Vornamen genannt hatte. Was nie vorkam.

Kommissarin Wimmer sah ihn an, lächelte. "Klar doch. Machen Sie sich keine Sorgen..." Sie zögerte einen Moment. Wie hieß ihr Chef eigentlich mit Vornamen? Wohl kaum ´Der´? Alle Welt nannte ihn immer nur ´Der Rick´, in Anlehnung an einen berühmten Fernsehkommissar, der seltsamerweise den lustigen Titel Oberinspektor führte, obwohl es diesen schon seit Ewigkeiten nicht mehr gab. "...Bruno. Ich komm schon klar. Sie wissen doch, wie gern ich Leute verhafte!" Sie lächelte ihn an, öffnete ihr kleines Täschchen und zog ihre Handschellen hervor. "Sie sehen, ich habe alles dabei!" Wie eine schlechte Animationskünstlerin wedelte sie mit den Handschellen vor seiner Nase, dann verstaute sie sie wieder im Täschchen und legte es weg.

"Ihre Waffe?" Rick konnte sich nicht vorstellen, dass ihre Pistole in das kleine Täschchen passte. Und an die Sache mit dem Strumpfband glaubte er schon lange nicht mehr.

"Liegt sicher daheim. Ich dachte mir, wir wollen hier ja kein Blutbad veranstalten, oder? Ich soll wohl in erster Linie mal sehen, ob ich irgendetwas herausfinde. Leute fragen, ob sie letzte Woche hier waren, ob sie etwas gesehen haben, einen Streit oder so. Das Foto von unserer Leiche habe ich dabei. Hat die Technik ja ganz prima hingekriegt; man sieht kaum, dass sie tot ist."

"Vielleicht besser so", antwortete ihr Chef. Es war nicht ersichtlich, ob er das Foto meinte, oder die Sache mit der Waffe. Diese ganze Aktion war
sowieso auf seinem Mist gewachsen, da hätte nichts schiefgehen dürfen. Und, wenn gar nichts geschah, dann brauchte er den Abend nicht einmal aktenkundig zu machen.
Er sah sie an, während sie sprach. Hatte sie immer schon so verdammt gut ausgesehen? Gedanken, die er als Chef gar nicht haben durfte. Aber die Dienstvorschrift kann nicht in alle Bereiche eines Menschen eindringen; es kam immer wieder einmal vor, dass Kollegen zueinander fanden, die dies eigentlich nicht hätten tun dürfen. Kam es nicht heraus, war es gut. Kam es heraus, endete es meist damit, dass einer der Kollegen in eine andere Abteilung versetzt wurde.
Seine Augen ruhten auf ihrer durch das Dirndlmieder betonten Büste. Wieviele Naturkräfte gab es, überlegte er einen Moment. Die Starke Kernkraft, die Schwache Kernkraft, die Gravitation, den Elektromagnetismus. Seltsam, dass der Sex nicht dazu gehörte. Gab es im ganzen Universum denn eine Kraft, die größer war? Die ständig neues Leben erzeugte, oder auch, wenn es schief lief, Leben beendete? Als Chef der Mordkommission wusste er nur zu gut, dass in fast allen Fällen der Faktor Sex eine große Rolle gespielt hatte, auch wenn mancher Mordfall eher ökonomische Gründe zu haben schien. Aber, was war denn ein dickes Bankkonto anderes, als zu klingender Münze pervertierter Sex?

"Wie lange soll ich warten?"

"Chef?"

Er hatte seine Gedanken nicht im Griff. Er hatte an etwas anderes gedacht, hatte an sie gedacht, an diese tolle Frau, die hier neben ihm saß, die tagtäglich mit ihm zu tun hatte, und die er gerne... "Nichts. Ich habe nur laut nachgedacht. Wie lange ich auf Sie warten soll."

Sie machte ein nachdenkliches Gesicht. "Hm... schwer zu sagen. Aber schätzungsweise bis ich wieder da bin?"

Er schmunzelte. "Präziser geht´s wohl nicht, Frau Kommissarin?"
Red nicht so einen Blödsinn, dachte er.

"Es kann lange dauern! Wir wissen doch, wie diese Partys heutzutage sind. Die meisten Kids kommen doch erst nach Mitternacht. Vorher zu kommen gilt als uncool. So..." Sie blickte in den Seitenspiegel, legte die Hand an den Türöffner, "...is´ noch was, Chef? Dann mache ich mich mal auf die Socken!" Sie stieg aus, warf die Tür wieder zu und ging die wenigen Schritte hinüber zum Eingang.
Rick sah ihr nach, wandte sich dann um um seine Tasche vom Rücksitz zu nehmen. Ihr kleines Handtäschchen fiel ihm sofort ins Auge. Sie hatte das Ding vergessen! Er schnappte es sich und erschrak fast zu Tode, als im selben Moment eine der beiden hinteren Türen geöffnet wurde und eine lange Hand nach dem hübsch funkelnden Täschchen griff. Was zum Teufel





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  RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust") Datum:16.04.13 01:29 IP: gespeichert Moderator melden


Hi Daniela,

es spitzt sich immer mehr zu - und scheinbar wird nun immer deutlicher, wer hier das tote Opfer dieses Unglücksfalls wird. Die Umstände bleiben jedoch immer noch im Unklaren. Aber trotzdem hast Du es genial geschafft, die inneren Konflikte und gegenseitigen Mißverständnisse in eine herrliche Fortsetzung zu verpacken, die trotz allem Unterhaltungswert eine dringende Warnung vor zu viel Oberflächlichkeit, Egoismus und Gedankenlosigkeit ist. Ich danke Dir sehr dafür, und bin wie immer gespannt auf die weitere Entwicklung.

Keusche Grüße
Keuschling
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  RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust") Datum:16.04.13 18:59 IP: gespeichert Moderator melden


Hallo Dani,
also ich muß sagen, ich bin einigermaßen verwirrt
Wie Keuschling schon schreibt, spitzt es sich immer mehr zu und der ein oder andere Leser mag geneigt sein zu denken: "Ja klar, ich weiß wer da auf dem Brückenpfeilerfundament lag". Aber ich glaube Du wirst uns im letzten Moment noch ein anderes Opfer vorsetzen. Zumal Daniela auch den Stahl BH an hat und keinen Schlüssel dafür - wenn ich mich recht erinnere, hatte das Opfer keinen an, wohl aber das KG-Innenleben.....hmmmm es bleibt spannend. Darüber bin ich froh

Vielen Dank für diesen neuen Teil und "weiter so".
Viele Grüße aus dem Allgäu
Lupo
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  RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust") Datum:21.04.13 22:00 IP: gespeichert Moderator melden


Endlich wieder Sonntag! Und jetzt fängt unsere Geschichte, die uns seit fünf Monaten Sonntag für Sonntag begleitet hat, erst richtig an... Ich wünsche allen Lesern eine gute Zeit!

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Australien III. Oktober.

Sie konnte es nicht länger vor sich herschieben. Sie hatte die halbe Welt umkreist, nur zu einem Zweck. Der Zweck ist das Ziel, nicht der Weg. Die endlosen Stunden im Flieger, die öde, nicht enden wollende Bahnfahrt durch New South Wales und Südaustralien. D-day, dachte sie und schwang sich in den Sattel. Daddy-day.

Seltsam, dass manchmal das letzte Stück des Weges einem am schwersten fällt, dachte Monika. Man kann stundenlang durch die Berge wandern, ohne Probleme, ohne müde zu werden, aber sobald man ein Schild sieht mit der Aufschrift ´Bewirtschaftete Alm - 30 Minuten´ bekommt man die Beine nicht mehr vom Fleck. Plötzlich realisiert man, was man die ganze Zeit über auf sich genommen hat, merkt man, dass es kein Stehenbleiben gibt im Leben, dass es keine grünen Auen und kein frisches Wasser für denjenigen gibt, der die lange Wanderung aufgibt und stehen bleibt.

Sie hatte lange überlegt, wie sie die letzten Kilometer bewältigen sollte. Es gab verschiedene Optionen. Sie hätte ein Taxi nehmen und dem Fahrer einfach einen Zettel mit der Adresse ihres Vaters unter die Nase halten können. Oder sie hätte einen Bus nehmen können, der sie irgendwo im australischen Busch abgesetzt hätte, einsam und allein, ein verlorenes Menschenkind. Aber beide Möglichkeiten hatten ihre Nachteile. Das Taxi war zu teuer und viel zu direkt, der Bus war billig, aber er würde sie nicht an ihr Ziel bringen. Außerdem wollte sie, wenn schon denn schon, wenigstens etwas von dieser Landschaft in sich aufnehmen; sie wollte ankommen, nicht einfach nur plötzlich da sein.

Die Rezeption ihres Hotels hatte sie an einen lokalen Fahrradhändler verwiesen, der Räder vermietete. Der Mann war sehr nett, sprach sie sofort in seinem lustigen australischen Akzent, von dem sie in den ersten Tagen nur die Hälfte verstanden hatte, an und fragte, für wie lange sie das bunte Fahrrad mieten wolle. Monika wusste es nicht so genau, vielleicht nur für einen oder zwei Tage, vielleicht für länger. Er hatte nur gelacht und immer wieder ´No worries, mate!´ gesagt, sie solle sich mal keine Sorgen machen, alles wäre okay. Und natürlich bekam sie bei ihm auch all das andere, was sie für die Radtour brauchte, einen Korb für ihre Tasche und diverse Lebensmittel, die sie noch kaufen musste, eine Landkarte, damit sie sich überhaupt zurechtfand. Alle Wege mochten nach Rom führen, aber nur ein ganz kleiner, ganz schmaler Pfad hatte sie zu ihrem Vater geführt, und sie hegte immer noch große Angst, ob sie auf ihm wirklich bis zum Ziel käme.

Monika probierte alles aus, Gangschaltung und Bremsen, alles funktionierte, sie brauchte nur noch in die Pedale zu treten. Tat´s und erschrak sich zu Tode, als ihr gleich an der ersten Kreuzung ein Pickup, ein Wagen mit offener Ladefläche, entgegenbrauste. Mit einem bellenden Köter oben auf der Pritsche! Verdammter Kerl!, dachte sie, bis ihr auffiel, dass sie auf der falschen Straßenseite fuhr, denn es herrschte Linksverkehr, und daran hatte sie sich noch nicht gewöhnt.
Nachdem der erste Schreck überwunden war strampelte sie los, fuhr, immer die Sonne im Rücken, nun brav auf der linken Seite, denn sie wusste, dass ihr Vater ein wenig nördlich der Stadt wohnte, und wunderte sich daher nicht schlecht, als sie plötzlich die Weite des Südlichen Ozeans vor sich sah und die Straße endete.

Was?? Und erst jetzt begriff sie, dass hier in Australien vieles irgendwie anders war. Dass die Sonne mittags im Norden stand. Und dass sie doch besser mal auf die Karte schauen sollte.
Eine Stunde später hatte sie die Stadt hinter sich gelassen. Sie kam gut voran, genoss den leichten Fahrtwind. Langsam entfaltete sich vor ihren Augen eine wundervolle Landschaft, die sie an die Weinanbaugebiete am Main erinnerte. Rebstöcke, soweit das Auge reichte. War das hier noch Australien?
Sie hielt an, sah sich um, nahm ihre Wasserflasche aus dem Fahrradkorb; Hunger hatte sie noch nicht. Sie hatte mit allem gerechnet, mit roter Wüste, aber sie verstand, dass es nicht gleichzeitig Weinanbau und Wüste geben konnte. Das Senfkorn musste in guten Boden fallen, nur dann konnte es wachsen und gedeihen. Und ihr Vater? War er in guten Boden gefallen? Sie erinnerte sich recht gut an ihn, zumindest glaubte sie, sich gut an ihn zu erinnern, aber sie wusste auch, dass es immer nur die Fassetten der kindlichen Erinnerung waren, begrenzt durch den geringeren Horizont, die noch nicht voll entwickelte Einsicht in menschliche Beziehungen. Warum konnte man ein Kind mit einem Bonbon kaufen?

Monika radelte weiter. Sie musste an den netten Fahrradhändler denken und wünschte sich, er wäre ihr Vater gewesen. Jemand, der immer lächelte, der immer gut gelaunt war und einen Scherz auf den Lippen hatte. Und jemand, der immer nur ´no worries, mate!´ sagte.
Sie hielt an, musste sich auf der Karte orientieren. Aber die Karte bot keinen Anhaltspunkt mehr, konnte ihr nicht länger zeigen, welcher Weg der richtige, und welcher der falsche war. Sie allein musste diese letzten Kilometer bewältigen, es war niemand da, dessen Hand sie hätte nehmen können. Sie sah sich um. Ach, jetzt erinnerte sie sich, wie sie als Kind mit dem Vater im Wald war, wie er den bösen Wolf gespielt hatte, der sie immerfort fressen wollte, und sie sich in ihrer Angst an einen Baumstamm geklammert hatte. Gelacht hatte er, war aus der Rolle herausgefallen und hatte versucht, sie vom Baum wegzuzerren. Und darüber gejammert, dass er als kleiner Aussie nicht gegen eine deutsche Eiche ankäme.
Eine Eiche! Herrgott, gib mir eine Eiche, an der ich mich festklammern kann, dachte sie. Aber es gab keine Eichen, nur einige seltsam aussehende Eukalyptusbäume, die Rinde weiß und faserig, sie schien schon beim Hingucken abzuschälen.

Es ging nicht weiter. Sie musste anhalten, absteigen, aufgeben. Sie hatte Angst. Angst vor der eigenen Vergangenheit, und wohl noch größere Angst vor der eigenen Zukunft. Sie würde umkehren müssen, zurück nach Hause, zu ihrer Mutter, flüchten in ihre wartenden Arme und Zwangsjacken und Knebel und Keuschheitsgürtel und und und.
Monika begann, zu zittern. Musste das Leben so kompliziert sein? Musste denn ausgerechnet ihr Leben so kompliziert sein? Warum hatte das Schicksal ausgerechnet für sie anderes als Friede, Freude, Eierkuchen ausgesucht? Tränen schossen ihr in die Augen. Es war nicht gerecht. War sie deswegen zur Welt gekommen, ein Spielball für dunkle Kräfte zu werden? Sie schloss die Augen, das letzte was sie sah, waren all die Rebstöcke um sie herum. Ihr Wahrnehmungsfeld verengte sich, sie vernahm nicht mehr die leise Berührung der Luft auf ihrer Haut, hörte nicht mehr das laute Krächzen einiger Vögel, die sie nie zuvor gesehen hatte. Es wurde still in ihr.

"Ich bin der Rebstock..."

Sie schreckte hoch. Was war das? Wer hatte zu ihr gesprochen? Monika blickte sich verwundert um. Niemand da. Aber... aber sie hatte es ganz deutlich gehört. Eine Stimme, die ´ich bin der Rebstock´ gesagt hatte. Worte, die sie schon einmal irgendwo gehört hatte. Worte, die irgendwie weitergingen, aber wie? Wie wie wie?? Sie holte tief Luft, trank einen Schluck, aß einen Powerriegel.

Neue Kraft durchströmte sie. Der Weg lag wieder klar vor ihr. Sie würde ihn bis ans Ende gehen. Egal, wie lange es noch dauern würde.


Oktober XIII.

Daniela zitterte. Hände griffen nach ihr, die sie nicht verscheuchen konnte. Es war dunkel und unheimlich.

Sie war weggelaufen, weil sie es nicht ertragen konnte, was geschehen war. Weil sie glaubte, einen Menschen nach langem Suchen gefunden zu haben, und weil sie stattdessen nur einen Menschen gefunden hatte, der vor sich selber weglief.
Sie hatte Hunger verspürt, war in ein überfülltes Schnellrestaurant gegangen, hatte sich mit dem üblichen Burger abspeisen lassen, aber sie war nicht satt geworden. Sie hungerte nach Berührung und Intimität, nach Nähe und Streicheleinheiten, Liebe nicht ausgeschlossen!
Immer noch hungrig hatte sie sich ins Kino gesetzt, passend zur Abendvorstellung. Anschließend würde sie zur Geidi-Gaudi gehen ... oder auch nicht. Der eiserne Reif um ihre Taille irritierte sie, das künstliche Glied in ihrem Innern demütigte sie. Vergeblich würde ein hungriges Kind nach ihren unter Stahl verschlossenen Brustwarzen suchen; sie könnte kein Leben mehr empfangen, kein Leben mehr spenden. Sie war ganz unten angekommen.
Skyfall, dachte sie, konnte es das geben? Einen Himmelssturz, was auch immer das sein sollte? Sie hätte den Film gern gesehen, aber er kam erst in der nächsten Woche in die Kinos. So hatte sie sich für einen Animationsfilm entschieden, irgendetwas aus einer Welt, die nicht existierte, nur hier, in diesem Raum, und nur hier streckten künstliche Lebewesen ihre in perfekter 3D-Technik animierten Arme nach ihr aus. So, als wollten sie sie zu sich hinüberziehen, wie eine andere Alice im Wunderland. Ja, dachte sie, nehmt mich ruhig mit in eure Welt, aber vorher muss ich noch etwas erledigen.

Kalte Luft umfing sie, als sie den Kinosaal verließ. Die Perücke! Sie setzte sie auf, ja, das wämte schön. Es war schon spät, spät genug für das Fest. Sie musste Gewissheit haben, ob es noch Hoffnung gab, oder ob sie untergehen würde wie das U-Boot im Film. Sie drückte ihre hübsche Jacke enger an sich, es war Zeit herauszufinden, wie ihr Leben weitergehen sollte. Knall oder Fall, dachte sie. In wenigen Stunden würde es sich entscheiden. Langsam machte sie sich auf den Weg zum Festsaal. Eine halbe Stunde später betrat sie, immer noch frierend, das Gebäude, wo auch dieses Jahr wieder die Geidi-Gaudi stattfand.


November V.

"Meine Tasche, Chef!" Es war ihr gerade noch eingefallen, bevor sie das Gebäude betreten hatte. Aber scheinbar hatte auch ´der Rick´ es schon bemerkt, denn seine Hand lag bereits auf dem kleinen Täschchen, eine Sekunde später und er wäre ihr nachgerannt.
Wimmer vergewisserte sich, dass alles noch da war, was da sein musste. Dann stemmte sie sich gegen die Eingangstür und ging hinein. Dumpfe, bereits verbrauchte Luft schlug ihr entgegen, obwohl es noch nicht einmal Mitternacht war. Sie und Rick hatten den Eingang lange vom Wagen aus observiert, hatten genau Buch darüber geführt, wie groß der Andrang war und sich schließlich dazu entschlossen, jetzt nicht länger zu warten.

Sie sah sich um. Es ging einige Treppenstufen empor, dann war linker Hand etwas, das wie die altmodische Garderobe eines Kinos aussah und ebensolchen Charme versprühte, nur dass hier keine alten Jungfern in adretter Uniform hinter der Theke standen, sondern einige junge Frauen im Dirndl. Sie gab ihre Jacke ab, niemand sah sie schräg an, obwohl sie bereits am anderen Ende der anwesenden Altersskala war. Und das mit achtundzwanzig!! Ihr kleines Täschchen klemmte sie sich unter den Arm, wie verabredet, obwohl es eigentlich nicht nötig war, wie sie glaubte. Denn eigentlich glaubte sie sowieso nicht an den Erfolg dieser Aktion.

Was mochte der Abend bringen? Sie war sich nicht sicher, ob er überhaupt etwas bringen würde...



Australien III. Oktober.

Sie hatte es geschafft! Sie hatte es wirklich geschafft! Monika war nicht wenig stolz auf sich. Sie hatte sich in einer kleinen Ortschaft noch einmal durchfragen müssen. Ja, das Weingut kannte man. Ob man auch ihren Vater kannte, das zu fragen hatte sie sich nicht getraut. Es hätte sein können, dass die Leute neugierig geworden wären. Eine Fremde aus Deutschland? Besuch für George?? Nein, es war besser, sie hielt sich bedeckt. Es konnte ja auch sein, dass sie noch im letzten Moment....

Nein, es konnte nicht sein! Sie war nicht um die halbe Welt gereist, um jetzt im letzten Moment noch den Sc hwanz einzuziehen! Das Weingut, in dem ihr Vater arbeitete, lag an einer eher kleinen Straße, linker Hand eine kleine Steinmauer, dahinter, leicht ansteigend, ein Weinberg, die Reben im australischen Frühling noch kahl. Nur ein erster grüner Schleier hatte sich darüber gelegt....

Ich bin der Rebstock..., kam es ihr wieder in den Sinn. Wer hatte das gesagt?

Auf der anderen Seite der Straße das Weingut. Sonderlich groß schien es nicht zu sein, dachte Monika, aber es mochte sein, dass man nicht alles sah. Sie lehnte das Fahrrad an die kleine Mauer, nahm ihre Tasche aus dem Korb und hängte sie sich über die Schulter.
Neben dem aus rustikalen Feldsteinen errichteten Gebäude befand sich ein großes Tor, ein Rundbogen überspannte die Einfahrt zum Hof. Links an der Hauswand sah sie ein durchschnittenes Holzfass, eine Inschrift trug den Namen der Kelterei; sie hatte ihn noch nie zuvor gehört.
Dieses Tor, wo hatte sie schon einmal dieses Tor gesehen?? Monika überlegte, ob sie vielleicht als kleines Kind schon einmal hier gewesen sein könnte? Nein, eher nicht. Dann fiel es ihr ein! Für einen Moment sah sie sich unter dem Torbogen stehen, schwer trug sie am Gewicht ihres Vaters, der auf ihren Schultern balancierte. Jemand steckte ihr eine Mundharmonika in den Mund.... Spiel! ... begleitet von einem höhnischen Lachen.

Nein, dachte sie, sie wollte nicht zusammenbrechen. Deshalb war sie nicht gekommen! Mit zögerlichen Schritten betrat sie den Hof. Jetzt sah sie, dass das Gebäude auf der von der Straße abgewandten Seite wesentlich größer war. Auf dem Hof standen drei Autos, bei einem war die Heckklappe heruntergelassen. Aus einer geöffneten Tür drangen Stimmen an ihr Ohr. Erkannte sie eine davon?
Sie blieb stehen. Sie war angekommen am Ende des Weges. Sie hatte ihren Teil der Aufgabe erledigt, jetzt musste...

Lachen. Die Stimmen wurden lauter. Abschiedsworte, die sie gut verstand.

Schritte.

Ein Mann kam aus der Tür, nicht mehr ganz jung, graue Haare, grauer Bart, den typisch australischen, breitkrempigen Hut auf dem Kopf. Er hielt ein Klemmbrett in der Hand, studierte im Weitergehen irgendeine Liste. Ging ganz nah an ihr vorbei.

Sie spürte, wie etwas nach ihr griff. Ein Gefühl, das sie nicht mehr gehabt hatte, seit... seit...

Er blieb stehen. Blieb einfach nur stehen, so als wäre er gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen. Ließ die Hand mit dem Klemmbrett sinken. Drehte sich langsam um.

Sie spürte ein heftiges Brennen in ihrer Brust. Konnte sich nicht mehr bewegen. Nicht mehr ausweichen, nicht mehr davonlaufen. Ihr Blick hing an der anderen Person.

Er kam näher. Blinzelte gegen die Sonne. Bedeckte die Augen mit der Hand. Einer Hand, die sie gut kannte.

Er kam noch näher. Langsam nur. Öffnete den Mund, sagte aber nichts. Sein Kopf fiel leicht auf die Seite, so als müsse er überlegen, was hier gerade geschah.

Sie wollte Luft holen, konnte es nicht. Stand da wie versteinert mit brennender Brust.

Sah, wie auch ihr Vater um Atem rang. Seine Brust hob und senkte sich, er griff zu seinem Hut, nahm diesen ab, ließ ihn in den Staub fallen. Blickte kurz gen Himmel, seine Lippen bewegten sich. Dann machte er einen letzten Schritt auf sie zu, schlang seine Arme um sie und drückte sie an sich.

"Mein Kind!"

Sie wurde noch steifer. "Ich bin kein Kind mehr!"

Er lockerte seinen Griff, ließ aber nicht los. "Gott sei Dank!", sagte er und begann zu zittern. "Nein. Aber du bist mein Kind!" Und er begann hemmungslos zu schluchzen und auch Monika konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten. "Ja, dein Kind, dein Kind... Papa!" Sie brachte es nur mühsam hervor, aber es tat gut.


November VI.

Kommissarin Wimmer fror. Sie öffnete die Beifahrertür, ließ sich in den Sitz fallen, knallte die Tür hinter sich zu. Es roch nach verbrauchter Luft im Wageninneren, aber es war Ruhe. Ihr Chef, Hauptkommissar Rick, fuhr erschrocken in seinem Sitz hoch, schlug mit dem Knie gegen das Armaturenbrett und einem wesentlich empfindlicheren Körperteil gegen das Lenkrad und fluchte leise vor sich hin.

"Geschlafen, Chef?"

"Bestimmt nicht, Wimmer. Allzeit bereit! Und..." er rieb sich die schmerzenden Körperteile, "haben Sie die üblichen Verdächtigen verhaftet?"

Sie lachte, lachte leise in sich hinein. "Das hier ist nicht
´Casablanca´, Chef!"

Statt einer Antwort griff er in seine Aktentasche, holte eine silbern glänzende Thermosflasche hervor, schraubte den Becher ab und goss etwas Dampfendes ein. "Hier, trinken Sie!" Er reichte ihr den Becher.

"Was ist das?"

"Ricks Kaffee", antwortete er mit unterdrücktem Grinsen.

Fast hätte sie sich schon beim ersten Schluck verschluckt.
Casablanca ... Rick´s Café! Ach, das war herrlich. Sie sah ihn an, sah wie seine dunklen Augen auf ihr lagen. "Sie sind herrlich, Chef!"

"Bruno", flüsterte er.

Sie trank nicht aus. Reichte ihm den Becher, hielt ihn einen Augenblick länger fest, als nötig war. Berührte seine Finger.

"Berichten Sie, Wimmer!"

"Ingeborg..." gab sie zurück. Sie spürte eine Wärme, die sie den ganzen Abend über vermisst hatte. Dann berichtete sie von einem lauten Fest, besoffenen Jugendlichen, kreischenden Weibern, kotzenden Männern. Und von der seltsamen Sitte, dass nicht wenige Mädchen ihre Hände auf den Rücken gefesselt hatten, irgendwie mit der Schleife der Dirndlschürze, dass viele auch mit geöffnetem Dirndlmieder herumliefen, was sie wegen ihrer gefesselten Hände nicht wieder schließen konnten. Seltsam eben, junge Leute, die sie nicht verstand. Auch an ihr habe man sich versucht, aber... nun ja, kein Problem für sie.

Der Rick fragte nach dem elektronischen Teil, ob es funktioniert habe.

"Nichts", antwortete sie, fast ein wenig enttäuscht. "Nein, Bruno, da war gar nichts." Sie griff nach ihrem kleinen Täschchen, öffnete den Reißverschluss, langte hinein und nahm eine Banane hevor. "Mann, habe ich einen Hunger!"

Hauptkommissar Rick hatte für einen Moment geglaubt, sie würde etwas anderes hervorziehen. "Schade. Dann war die ganze Aktion also total umsonst?" Er betrachtete seine Kollegin, die eine seltsame Art hatte, ihre Banane zu essen.

"Nicht ganz, Bruno. Wir haben einen Namen..."

"Einen Namen ... Ingeborg? Was für einen Namen denn?"

"Barbara. Ich habe einige Leute gefragt, ob sie sich an den letzten Samstag erinnnern konnten. Die Frau an der Garderobe konnte es, als ich ihr das Bild zeigte. Ja, da habe es Streit gegeben, sie hätte unser Opfer gesehen, wie sie sich mit einer anderen Frau gestritten habe. Mit einer Barbara. Und wissen Sie .... weißt du was? Das Beste ist, sie hat gesehen, wie diese Barbara unserem Mädchen hinterhergelaufen war!"

Rick blickte sie nicht mehr an. Sein Kopf war leicht geneigt, er nickte nur. "Gut, Wimmer, gut....!"

"Ingeborg!", unterbrach sie ihn. Sie rückte ein wenig näher an ihn heran. "Es ist kalt hier..."

"Satt? ... Ingeborg? Bist du satt geworden?"

"Nein, nicht unbedingt." Sie hatte etwas mit ihrer Antwort gezögert.

"Ich könnte..." Er schwieg.

"...mich zum Essen einladen??"

Er blickte aus seinem Seitenfenster. "Dieser Keuschheitsgürtel ... liegt der im Präsidium?"

"Nein. Nein, der liegt nicht im Präsidium. Er liegt bei mir zu Hause..." Pause.

Er regte sich nicht.

Sie hätte aussteigen können, ihrem Chef einen schönen Sonntag wünschen und ein Taxi nach Hause nehmen. Rick hätte sie nicht daran gehindert. Aber sie wusste, dass man nicht immer im Leben einfach aussteigen konnte, dass man manchmal auch die Dinge auf sich zukommen lassen musste, dass man sich dem eigenen Schicksal hingeben musste.

"Ich könnte
dich zum Essen einladen. Heiße Waffeln? Oder lieber Pfannkuchen?" Sie sprach leise, wollte den Zauber nicht zerstören.

Er regte sich. Seine Hand fuhr zum Zündschlüssel, er spannte seinen Sicherheitsgurt, dann legte er den Gang ein. "Waffeln," sagte er, "ja, Waffeln wären prima!"



Oktober XIV.

Derselbe Ort wie letztes Jahr. Klaus stellte sein Fahrrad ab, ordnete seine Kleider. Alles war anders. Er hatte sich entschieden. Er musste es tun, musste es so tun, denn nur noch so würde er den ultimativen Kick erleben. Er hatte, immer noch am Fenster stehend, Daniela aus dem Haus stürmen sehen, wie sie davonrannte, ohne auch nur einen einzigen Blick zurückzuwerfen. Seine Perücke hatte sie in der Hand gehalten, hatte sie geschwenkt wie ein Indianer, der zuvor seinen Feind skalpiert hatte. Kein Problem; Barbara besaß mehrere Perücken.

War er wirklich so schlimm? Er hatte den Ernst der Lage sofort begriffen, verstand instinktiv, dass er sich hier an einem Scheideweg befand. Er wusste, was er hätte tun müssen, was Dani von ihm erwartete: sich das Kleid auszuziehen, sich normale Männersachen anzuziehen, die Fernbedienung zu Danielas Keuschheitsgürtel in die Tasche zu stecken und dann zur Geidi-Gaudi zu kommen, in der Hoffnung, sie dort anzutreffen. Er erinnerte sich, wie voll es dort gewesen war, letztes Jahr, und wie schwierig es bei entsprechend schummriger Beleuchtung sein konnte, jemanden dort zu finden. Aber er hatte ja die Fernbedienung, brauchte nur auf einen Knopf zu drücken, einen Regler aufzudrehen, dann würde sie ihn suchen.
Alles wäre so verdammt einfach. Beide würden sie ihren Spaß haben. Er würde endlich herausfinden, was es mit den vielen Knöpfen auf sich hatte, bei welchem sie an die Decke gehen und bei welchem sie sich zusammengekrümmt auf den Boden schmeißen würde.

Ewig lange hatte er so am Fenster gestanden, hatte sein Handeln überdacht, Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen. Ja, langsam war ihm klar geworden, was er tun musste. Es würde keine weitere Möglichkeit mehr geben. Hatte sich schnell noch eine Tüte Erdnüsse reingezogen und sich dann auf den Weg gemacht.


War es letztes Jahr auch so voll gewesen? Daniela blickte sich um. Letztes Jahr.... dachte sie, wie lange mochte das her sein? Zwölf Monate mochten eine genaue Zeitangabe sein, aber mehr nicht. Nie zuvor hatte sie innerhalb eines Jahres so viel erlebt, wie in diesem Jahr, seit sie Monika kennen gelernt hatte. Monika! Monika fehlte irgendwie. Wo mochte sie jetzt stecken? Ob sie wohl schon mit ihrem Vater zusammengetroffen war?
Die Erinnerung an ihre Münchner Freundin aktivierte ein ganzes Lager an Erinnerungen. Das erste Kennenlernen: Bleib so, wie du bist! hatte sie ihr ins Ohr gehaucht, als sie noch zur Frühstückszeit bei ihrer Tante aufgetaucht war und sie dabei inflagranti erwischt hatte, wie sie Claudias Korselett unter ihrem Bademantel trug. Dann, lauter: LOS, HINKNIEN, MESSDIENERIN DANIELA!
Sie erinnerte sich, wie sie von Anfang an alles mitgemacht hatte, ihre Stunden auf der Strafbank, die Ausflüge in den Englischen Garten im Gardetanzkostüm, den Rosenmontagsumzug in Köln. Wie all das sie immer mehr in seinen Bann gezogen hatte, wie sie es schließlich sogar an andere weitergegeben hatte. Sie sah ihre Freundin Maja am Boden liegen, mit vor Schreck geweiteten Augen, als das Innenleben des Keuschheitsgürtels plötzlich seinen heißen Tanz begonnen hatte... eines Keuschheitsgürtels, den sie jetzt selber trug.

Die Schlüssel! Monikas Mutter hatte sie reingelegt. Es war klar, dass sie die Kontrolle über Daniela niemals freiwillig aufgeben würde. Jetzt, wo die eigene Tochter ihren Fängen entglitten war, jetzt hatte sie ihre krankhafte Energie ganz auf Daniela konzentriert. Sie würde zu Pia zurückkehren müssen, und sei es nur, um diesen Keuschheitsgürtel wieder loszuwerden. Dieses verdammt Teil! Und dieser verdammte stählerne BH! Der breite Reifen um ihre Rippen gab sich keinen Millimeter, bei jedem Atemzug spürte sie ihn wie eine eiserne Klammer um ihren Oberkörper.
Es überkam sie mit unverstellter Wucht. Sie musste aus diesen Sachen raus, hier und jetzt, keine Minute länger würde sie es aushalten! Daniela rannte zur Toilette. Gott sei Dank, niemand da. Sogar eine geräumige Behindertentoilette gab es! Sie band die Schürze auf, warf sie auf einen kleinen Tisch, der dort stand, dann ein schneller Griff, sie öffnete den Reißverschluss am Mieder, stieg aus dem Kleid, hatte plötzlich keine Lust mehr auf Gaudi, erst recht nicht auf eine Geile-Dirndl-Gaudi. Sie versuchte, sich zu entspannen. Machte sich ganz klein, ganz dünn, drückte den Reifen des Keuschheitsgürtels nach unten, aber sie kam nicht an ihren spitzen Beckenknochen vorbei, schaffte es nicht, den elektronischen Eindringling aus ihrer Scham herauszuholen, er rutschte wieder und immer wieder zurück, wollte sie nicht loslassen, wollte seinen Spaß an diesem Abend noch haben. Dann der Keuschheits-BH. Zwecklos, ihn irgendwie nach unten ziehen zu wollen, die silbern leuchtenden breiten Panzerketten über ihren Schultern verhinderten dies. Vielleicht ging es nach oben? Daniela drückte und schob wie eine Besessene, aber sie hätte sich die eigenen Brüste abtrennen müssen, viel zu dicht lagen die beiden stählernen Halbkugeln auf, da war kein Zwischenraum, da gab es keinen Spalt, ihre gut entwickelten Brüste irgendwie unter der stählernen, mit schwarzem Gummi unterlegten, Stahlkugel hervorziehen zu können.

Sie gab es auf. Sank in sich zusammen wie ein Häufchen Elend. Musik schallte von der Tanzfläche herüber, sie hörte wie die Tür zur Toilette aufgestoßen wurde. Laute Mädchenstimmen drangen an ihr Ohr. "... kann dir versichern, ich hasse dieses scheiß Kleid! Und mich dann hierher zu schleppen! Sauerei verdammte!" Heftiges Klopfen gegen ihre abgeschlossene Tür folgte, dann wieder diese hysterische Stimme: "Wird´s bald? Los los!!!" Faustschläge gegen die Tür. Dann etwas, das sie zu Eis erstarren ließ. "Wird´s bald? Oder soll ich ablecken kommen? Los, Beeilung, oder ich mach sonst wo hin!"
Dann eine andere Mädchenstimme. "Lydia? Hier ist auch frei..." Die Tür der Nebenkabine wurde geöffnet und geschlossen, erst jetzt bemerkte Daniela, dass die Klopapierrolle auf dem Tischchen stand; die Halterung, die normalerweise für das Toilettenpapier vorgesehen war, war abgerissen, eines der Schraubenlöcher war zu einem großen Loch erweitert worden, einem Loch durch das hindurch sie deutlich die Bewegung eines Mädchens sehen konnte, das dabei war, sich hinzusetzen. Es würde sie sehen können ... Lydia! Zweimal war sie ihr über den Weg gelaufen, beide Male hatte sie den Kürzeren gezogen. Sie schüttelte sich. Nein! Lydia durfte sie hier nicht entdecken! Sie zog sich ihr Dirndl wieder an, so schnell es ging, öffnete die Tür, gut, niemand da, und war mit wenigen Schritten aus der Gefahrenzone verschwunden.

Klaus? Ob er wohl schon hier war? Ob er überhaupt kommen würde? Daniela wusste es nicht. Wenn er klug wäre, dann würde er kommen. Die letzte Chance für ihn, eventuell doch noch den Weg ins Leben zurückzufinden. Sie würde ihm dabei helfen, so gut es ging. Sie würde einen Mann aus ihm machen, ihn an die Hand nehmen, seine Weiblichkeit von ihm abspalten... Aber eine innere Stimme sagte ihr: Versöhnen, nicht spalten. Galt dies auch in diesem Falle? Oder war es nur der dahingeworfene Wahlspruch eines längst dahingegangenen Politikers? Sie wusste es nicht.





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  RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust") Datum:25.04.13 22:49 IP: gespeichert Moderator melden


Hi Daniela,

so viele starke Gefühle, so dicht beieinander, da kann einem ja fast schon schwindlig werden: Zweifel, Hoffnung, Verwirrung, Angst, Freude, Wut, Liebe - nur um ein paar zu nennen.

Monika hat es wohl am besten getroffen, Daniela hat weniger Glück, Barbara kämpft immer noch für oder gegen sich, Pia spielt ihr Spiel. Rick´s Plan ist nicht aufgegangen - vielleicht zum Glück für Ingeborg und Bruno nun. Es geschieht so viel in diesem Teil, das einschneidende Konsequenzen haben könnte - wenn der Mut dafür vorhanden ist. Eine dramatische Konsequenz ist ja schon bekannt, jemand wird noch einen viel zu frühen Tod finden. Daß die übrigen alle dann zu einem schönen Leben finden, bleibt zu hoffen. Warum fällt mir hier nur der Filmtitel "Vier Hochzeiten und ein Todesfall" ein...

Nun ja, Monika sollte eigentlich wissen, wo sie "Ich bin der Rebstock..." schon einmal gehört hat. Daß ihr diese Zeile so viel Ruhe und Kraft spendet, finde ich schön. Dennoch bleibt abzuwarten, welche Rebe jetzt zur weiteren Reifung bewahrt wird, und welche dafür abgeschnitten wird.

Keusche Grüße
Keuschling
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  RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust") Datum:28.04.13 22:00 IP: gespeichert Moderator melden


Es geht jetzt mit Riesenschritten dem Ende entgegen. Der heutige Teil meiner Geschichte ist vielleicht etwas kürzer, aber keineswegs undramatischer. Aber es gilt, Kräfte für den nächsten Sonntag zu sammeln....
Ein lieber Gruß an alle Leser, die mir noch verblieben sind...., ihnen danke ich von Herzen für ihre Zuschriften! Es zeigt mir, dass ich mir die viele Arbeit nicht umsonst gemacht habe!
Eure Daniela

---


Er fühlte sich nicht sicher. Sein Vorhaben war riskant, aber jetzt war es zu spät. Klaus sah auf die Uhr, die er am Handgelenk eines jungen Mannes erspähte. Sein Glied begann, sich zu regen. Und diesmal war es nicht in einer engen Röhre eingesperrt, diesmal baumelte es frei zwischen seinen Beinen. Was nun, wenn jemand es sah? Der Gedanke erregte ihn umso mehr. Er konnte seine Augen nicht von den vielen Frauen nehmen, die ihn vorne und hinten, links und rechts, umgaben. Er starrte auf ihre Kleider, auf Brüste, die von engen Miedern umschlossen, hochgehoben, gestützt wurden, starrte, wie nur ein Mann starren konnte. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass er jetzt eine von ihnen war.
Er spürte, wie sich seine Eichel am Stoff seines Rockes rieb, wie die stetige Berührung sein Glied mehr und mehr anwachsen ließ. Diskret legte er seine Hand auf die bunte Schürze, die zu seinem Dirndl gehörte, aber es ließ die Erektion nicht abschwellen. Es würde nicht mehr lange dauern, dachte er. Und wusste plötzlich, klar und endgültig, dass er sich etwas vorgelogen hatte. Er war ein Mann. Wenn auch ein Mann in Frauenkleidern...

Alles war wie letztes Jahr. Dieselbe Musik, wahrscheinlich auch dieselben jungen Leute. Und er sah, dass auch dieses Jahr schon wieder die Unsitte um sich gegriffen hatte, jungen Frauen die Hände mit den Bändern ihrer Schürzen auf den Rücken zu fesseln; nicht wenige liefen bereits mit geöffnetem Mieder und hochrotem Kopf herum.
Er irrte umher, stundenlang, unsicher, ob er wirklich hier hingehörte. Alles begann sich zu drehen, überall diese Frauen, Dirndl, wo er auch hinblickte. Es gab in diesem Saal, aus welchen Gründen auch immer, auch mehrere große Spiegel an den Wänden; da sich eine lange Haltestange darunter befand nahm er an, der Saal mochte normalerweise von einer Ballettschule genutzt werden. Die Spiegel verdoppelten seine Eindrücke, zeigten viele der Frauen von vorn wie von hinten, steuerten zu seiner Verwirrung und seiner Erregung bei, ohne dass er etwas dagegen hätte tun können. Und dann gab es da noch etwas Verstörendes, denn, so sehr er sich auch bemühte, er konnte sich selber nicht länger sehen, er war nicht da, obwohl er doch alles direkt vor sich hatte... kein Klaus, nirgendwo, nur Barbara, ein Wesen, das es gar nicht gab.

Klaus bemerkte den Blick einer Frau, die verstört auf seinen Rock starrte. Sein Glied hatte sich zu voller Größe aufgerichtet, drückte wie in Protest gegen den Stoff seines Rockes. Wie konnte er nur so leichtsinnig sein? Er musste hier weg, irgendwo hin, wo er etwas Ruhe finden konnte, seine Erektion würde in sich zusammenfallen, da war er sich sicher. Und steuerte die Toilettentür an.

Ein Mann in Lederhose versperrte ihm den Weg. "Mio signore, che abbiamo qui..." Klaus blieb wie angewurzelt stehen. Nein! Bitte nicht hier, nicht jetzt! Und schon verspürte er zwei kräftige Arme, die ihn umfassten, die seine leblosen Hände mit sanftem Druck hinter seinen Rücken führten, er spürte, wie sich die Schleife seiner Dirndlschürze über seine Handgelenke legte, wie die Bänder fest angezogen und mit einer neuen Schleife vor seinem Bauch verknotet wurden. "Iss besser so ... è meglio così ... Barbara!"
Klaus hätte im Boden versinken mögen. Aber nichts geschah, es gab kein Loch im Boden, nur ein moralischer Abgrund tat sich vor ihm auf. Andrea.... Der Italiener, den er unter ganz anderen Umständen kennen gelernt hatte, hatte ihn längst erkannt. Und, schlimmer noch, er hatte gesehen, was sich unter seinem Rock abspielte. Er zog ihn weg von der Toilettentür, fand eine wenig frequentierte Ecke, zog ihn näher heran und begann, ihn zu küssen, während seine Hand sein zuckendes Glied fest umklammerte. Er war angekommen, ganz unten. Er hatte den falschen Weg gewählt. Aber er hatte scheinbar auch das gefunden, was Barbara lange gesucht hatte.


Australien IV. Oktober.

Er ließ ihre Hand nicht los. Seltsam, dachte sie, niemand hat mich je so festgehalten. Es war ungewohnt, aber schön. Dennoch hatte sie immer noch ein wenig Angst, zu neu war die ganze Situation für sie.
George schob sie mit sanftem Druck vor sich her, hielt ihre linke Hand fest, seine rechte Hand lag auf ihrer rechten Schulter. "Komm!", sagte er. Eine Stimme, ein Wort, das Erinnerungen wach rief.
Aber es war anders jetzt. Hatte er sie früher, als sie klein war, immer dorthin geführt, wo es dunkel war, wo kein Licht an sein Tun geraten konnte, so führte er sie nun in das hell erleuchtete Gebäude, hin zu einem jungen Kollegen, der erstaunt aufblickte, als er das seltsame Paar bemerkte.

"My daughter", sagte er mit einer Stimme, aus der tiefste Rührung sprach. "Mein Tochter von Germany! Monika."

Der Kollege, der sich als James vorstellte, gab ihr die Hand. Er zeigte ein breites, gewinnendes Lächeln. "Welcome, Monica! How is it goin´?" Dann, an George gewandt: "One more girl, George? Never told me about her..."

Monika merkte, wie die Furcht, die sich so schwer abschütteln ließ, wieder nach ihr griff. Sie hätte nie hierherkommen dürfen. One more girl.... Noch ein Mädchen? Sie wollte es nicht wissen, wieviele Mädchen es da noch im Leben ihres Vaters gegeben hatte. Der aber lachte bloß.

"She is my oldest daughter.... meine alteste Tochter! My god, my god...." Wieder spürte Monika, wie der Mann hinter ihr dabei war, die Fassung zu verlieren.

"Lustig, dass diese Weingegend nach einem deutschen Kaiser benannt ist...", sagte sie, weil sie irgendetwas sagen musste.

Er ließ sie los, sichtlich überrascht. "Was...?? Kaiser? Uncle Bill"

Monika hatte keine Ahnung, wer ´Uncle Bill´ war. "Nein, Barbarossa."

"Barbarossa Oh my God!" Er begann zu lachen, übersetzte es seinem australischen Kollegen, lachte weiter, es klang schön, verführerisch. Befreiend. "Nein, Moni, nicht Barbarossa, sondern nur Barossa. Mit deinem Kaiser haben wir nichts zu tun..." Er machte eine Pause, holte mühsam Luft, fuhr dann fort, aber sehr ernst jetzt: "...und Barbaren sind wir auch nicht."

Sie drehte sich um, sah tief in seine Augen. Er ließ die Schultern hängen, erwiderte ihren Blick, schwieg sich aus, eine Sekunde, zwei Sekunden, drei Sekunden. Biss sich auf die Lippen. "Nicht mehr, Moni. Nicht mehr. Verzeih mir..."

Monika nahm die Hand ihres Vaters, lächelte ihn an. "Kann man hier mal einen Schluck probieren? Und was war das mit dem one more girl?"



Sie saßen beisammen. Sie und ihr Vater und James, der nicht alles verstand, aber die Kunst beherrschte, mindestens so zu tun, als ob. Monika erzählte von ihrer langen Reise, von zu Hause, ihrer Mutter, ihrem Studium. Ihr Vater klärte sie über den Weinanbau in Australien auf, James berichtete über das Weingut, in dem beide arbeiteten. Die Zeit verging wie im Fluge, plötzlich stellte sie fest, dass es schon später Nachmittag geworden war und sie keinen Plan dafür hatte, wie es nun weitergehen sollte.
Fast hätte sie gelacht, als sie es bemerkte. Sie lebte immer noch, sie war angekommen, ihr Leben ging weiter. Das schöne Gefühl in der Brust war geblieben. Sie sah auf ihre Uhr.

"Wo wohnst du denn?"

"Ich habe ein Hotelzimmer in Adelaide. Ich... ich ..." Sie konnte es nicht sagen, weil sie es nicht wollte. Sie wollte nicht schon wieder fort. Warum auch?

"You know what? Weißt du was? Komm, wir nehmen dein Fahrrad mit ins Auto, fahren in die Stadt und holen deine Sachen. Du kannst gern bei uns wohnen. Willst du?"

"Bei uns??"

"Bei meiner Familie. Meine Frau und deine Geschwister!" Er strahlte sie an.

"Ich habe Geschwister?" Tränen traten ihr in die Augen.

"Ja! Zwei Mädchen. Monique und Pam. Monique ist acht Jahre, Pam ist erst zwei. Ein ... Nachfahre?" Er sah sie fragend an.

"Nachzügler. Nachfahren kommen erst viel später!" Dann merkte sie, was er gesagt hatte. Monique...

"Willst du?" Er wiederholte seine Frage, einen Moment lag Furcht in seinem Blick.

Sie nickte bloß. Sie verabschiedete sich von James, der ihr einen Kuss auf die Wange gab und noch einmal ´Welcome!´ sagte, diesmal aber mit einem kleinen Zusatz: "Welcome home, Monica!"


Oktober XV.

"Warte hier!" Die Stimme des Italieners ließ keinen Widerspruch zu. Der Mann grinste ihn an, ein Atem roch nach Bier. "Ich muss jetzt mal für etwas Erleichterung sorgen." Eine obszöne Geste ließ keinen Zweifel daran zu, welche Art von Erleichterung er meinte. Noch einmal klammerte sich seine Hand um sein immer noch heftig erigiertes Glied. "Oder willst du es mir lieber gleich hier besorgen, Messdienerin Barbara?" Nun machte auch sein Mund eine Geste, die mehr als eindeutig war. Dann nahm er den Rock seines Dirndls in die Hand, schlug diesen vorne hoch, sodass sein pralles Glied zum Vorschein kam und stopfte den Rocksaum vorne unter das Taillenband seiner Schürze. So würde er nirgendwo hingehen, dachte er und beschloss, lieber hier, in dieser dunklen Ecke zu warten. Vergeblich versuchte er, mit seinen gefesselten Händen den Rock irgendwie wieder herunterziehen zu können, aber da war einfach nichts zu machen, er bekam seine Finger nie so weit nach vorn.
Angst griff nach ihm, wie er sie noch nie zuvor gespürt hatte. Es gab hier wohl nur noch eine einzige Person, die ihn retten konnte. Aber wo war sie? Sein Blick folgte Andrea, der hinter der Tür des langen Toilettenganges verschwunden war, und dann sah er, wie diese Tür wieder geöffnet wurde und Daniela, blass und mit gehetztem Blick, heraustrat.

"Dani!!" Er rief, so leise er es konnte, aber doch laut genug, dass Daniela es noch hörte. Einen Moment blieb sie wie angewurzelt stehen, griff sich zwischen die Beine, man sah, wie sie den Körper anspannte, doch als nichts geschah, als es kein Vibrieren, keinen Stromstoß gab, da sah sie wieder hoch und entdeckte ihn in seiner dunklen Ecke.

"Dani.... bitte...." Klaus wusste nicht, was er mehr sagen sollte. Sie kam zu ihm, die Augen verengt, zweifelnd. Dann blieb sie hinter ihm stehen, befühlte seine gefesselten Hände. Sie drehte ihn um, seine Erektion verschwand augenblicklich. Sie reagierte augenblicklich, riss den festgesteckten Rock frei, ließ ihn über seinen nackten Penis fallen.

Dann trat sie einen Schritt zurück. Es zuckte in ihrem Gesicht. "Weißt du, was du bist?? Du bist das letzte Stück Scheiße, das ich kenne! Du bist...!" Sie begann, laut zu werden.

"Es ist nicht so, wie du denkst!"

"So?? Es ist nicht so, wie ich denke??", echote sie. "Was denke ich denn? Viel denken braucht man ja nicht, wenn man dich hier so sieht. Scheinbar hast du schon nette Kontakte geknüpft! Du bist ein gottverdammtes Arschloch, weiter nichts...!!!"
Sie wich weiter vor ihm zurück. Öffnete ihre Handtasche, suchte nach irgendetwas. Eine Garderobenmarke. "Weißt du, was du kannst? Du kannst mich mal gern haben, BARBARA!!" Sie nahm keine Rücksicht mehr auf andere. Schrie es hinaus, hochrot im Gesicht. Würgte den Namen Barbara mit all der Verachtung hervor, die sie meistern konnte.

Er sah, wie sie ihre Garderobenmarke auf den Tisch knallte und um ihre Jacke bat. Er öffnete seinen Mund, versuchte zu atmen, aber alles in ihm war ohne Leben. Kein Wort bildete sich in seinem Kopf, kein Protest. Und dann bemerkte er etwas, dass ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ, einen Blick zuerst, dann ein junges Mädchen, das alles mitangehört hatte, das alles gesehen hatte. Diese Augen!
Er hatte davon gehört, dass man im Blick eines Menschen vieles lesen konnte, ja, er erinnerte sich an die verlangenden Augen von Pater Ruprecht, er hatte auch noch Monikas immer so spöttischen Blick vor sich, wenn sie sich um Barbara kümmerte. Aber dieser Blick hier, da lag etwas Furcht einflößendes darin, da zeigte sich kalte Entschlossenheit, blanker Hass. Er schüttelte sich. Quatsch, dachte er, du siehst Gespenster. Er zwinkerte mit den Augen, aber das Gespenst blieb.

Daniela hatte sich ihre Jacke angezogen. Fragte die Garderobiere, ob es hier irgendwo ein Taxi gäbe. "Wie spät ist es denn?" Keine der beiden Damen trug eine Uhr, wahrscheinlich benutzten sie normalerweise ihr Handy.
Daniela sah auf ihre Uhr. "Kurz vor drei."
"Kurz vor drei schon? Da stehen hier keine Wagen mehr rum. Also, wenn du Glück hast, am Taxenstand auf der anderen Seite..."
Mehr bekam Klaus nicht mit. Wieder war dieser hasserfüllte Blick das einzige, was im Moment wichtig schien. Er registrierte, dass sich das Mädchen von der zweiten Garderobenfrau ebenfalls seine Jacke aushändigen ließ. Aber sie ging nicht, stand nur da und wartete, lauernd und, wie er sich jetzt sicher war, Daniela keine Minute aus den Augen lassend. Was ging hier vor??

Er wünschte, er könnte sich den Schweiß von der Stirn wischen, aber er bekam seine gefesselten Hände nicht los. Er sah, wie Daniela das Haus verließ, ohne ihn noch eines einzigen Blickes zu würdigen. Und er sah, dass beide Frauen an der Garderobe ihre Augen in einer Illustrierten vertieft hatten. Wo war die andere Frau abgeblieben? Er sah zur Tür und bekam gerade noch mit, dass diese auch dabei war, das Gebäude zu verlassen.
Klaus wurde immer mulmiger zumute. Er wollte, er musste hinterher, aber seine gefesselten Hände waren mehr als hinderlich. Er wandte sich an die eine Frau an der Garderobe, hatte seine Stimme nicht mehr im Griff: "Machen Sie mir die Hände los, schnell!"
Die Frau sah auf, sichtlich überrascht. "Kommt gar nicht in Frage, Süße. Das darf nur derjenige, der sie dir gefesselt hat. So ist das schon immer bei der Geidi-Gaudi gewesen. Sieh zu, dass du den Typ findest, der so nett war..." Ihre Kollegin unterbrach sie, lachte, tuschelte ihr etwas ins Ohr. ...selber Typ.... konnte er gerade noch hören.
War es wirklich so? Er musste Andrea finden. War der denn immer noch auf der Toilette? Aber so lange hatte seine Auseinandersetzung mit Daniela ja nicht gedauert. Schnell, dachte er, jetzt muss es schnell gehen! Er wandte sich, trotz seiner gefesselten Hände, dem Toilettengang zu, als die Tür von innen aufgestoßen wurde und die junge Frau ihm entgegenkam, die er eben noch hatte hinauslaufen sehen. Was zum Teufel?? Er blieb stehen, holte Luft, eiskalt lief es ihm den Rücken herunter.
"Wo ist der nächste Taxistand??" Mit wenigen Schritten war er zurück an der Garderobe.

"Der nächste Taxistand? Ja, ich glaub, also vielleicht am Europaplatz, aber sicher bin ich mir nicht..."

Den Rest hörte er schon gar nicht mehr. Er stemmte sich gegen die Tür, rannte hinaus in die kalte, finstere Nacht. Er spürte, dass Daniela Gefahr drohte, auch wenn er es sich nicht logisch erklären konnte.


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  RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust") Datum:29.04.13 07:29 IP: gespeichert Moderator melden


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Michael

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  RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust") Datum:03.05.13 01:33 IP: gespeichert Moderator melden


Hi Dani,

also bei Deiner Randbemerkung über das "Komm" von Monika´s Vater hat es mich echt geschüttelt. Was war denn nur in der Zeit, als Monika noch in dunkle Ecken gezogen wurde? Und hat sich dadurch Pia so entwickelt, wie sie heute ist? Und hat Monika durch ihr Handeln an Klaus bzw. Barbara das emotional aufgearbeitet, was man vermuten könnte, das damals geschehen ist? Alles sehr kompliziert, fast so wie das Leben - und dennoch hoffe ich, daß ich falsch liege.

Es liegt etwas Mysteriöses um diesen Abend bei der Geidi-Gaudi: Barbara sieht Daniela zweimal - obwohl er sicherlich nicht betrunken ist, da er sie nacheinander zweimal sieht. Ob es das zweite Mal Lydia war? Nun, wenn er weiterhin seine bzw. ihre Hände verbunden hat, kann er wohl kaum für den Unfall verantwortlich sein, zumindest nicht direkt - oder? Wenn es denn mal Daniela war, die gestürzt ist - und nicht etwa eine Doppelgängerin...

Ich bin gespannt auf die weitere Entwicklung!

Keusche Grüße
Keuschling
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Daniela 20
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  RE: Agonie (Fortsetzung von \ Datum:05.05.13 22:00 IP: gespeichert Moderator melden


Es ist vollbracht! Wir sind endlich dort angekommen, wohin wir seit Monaten auf dem Weg waren.
Ich möchte meine Leser bitten - falls sie es nicht schon getan haben - der Klarheit zuliebe noch einmal die entscheidenden Abschnitte des letzten Kapitels zu lesen.
Passt gut auf Euch auf!
Eure Daniela

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Australien (V) und München (XVI.) Oktober.

"Willst du mit uns mitfahren?", hatte ihr Vater sie am Morgen nach dem Frühstück gefragt. Monika war am Abend von der Familie ihres Vaters herzlich aufgenommen worden. Seine Frau, Pamela, hatte sie gleich in den Arm genommen. "Oh, Monika! George hat so viel Brief geschrieben, zu dein ... birthday?" Monika half Pam mit dem gesuchten Wort. Nein, von Geburtstagsbriefen hatte sie nie etwas gehört. Nur die Weihnachtspostkarten, aber auch das erst seit ganz wenigen Jahren. Sie war einmal etwas früher aus der Schule nach Hause gekommen und hatte die erste Karte in der Post gefunden.
Reizend waren die beiden Mädchen. Unbekümmert und ganz natürlich. So wie sie selber auch einmal gewesen war. Ein dunkler Schatten legte sich auf ihre Seele. Ob die älteste, Monique, vielleicht auch schon...?

"Wohin mitfahren ... Papa?" Es fiel ihr nicht leicht, dieses Wort zu benutzen.

"In die Kirche. Heute ist Sonntag."

"Katholisch??" Sie konnte sich alles vorstellen, nur nicht, dass ihr Vater auf seine alten Tage noch religiös geworden war.

Er schüttelte den Kopf. Schmunzelte. "Anglikanisch. Low Church.... Man kann auch ohne Papst ein guter Christ sein!"

Jetzt saß sie hier in einer australischen Kirchenbank und verstand nur jedes dritte Wort. Australisch war ein schwieriger Dialekt. ´Low Church´, dachte sie, die ´niedere Kirche´. Wie ganz anders als die katholische Kirche, die sich selber immer gleich als die Heilige Katholische Kirche betrachtete! Ihr Vater hatte ihr auf der Fahrt den Unterschied zwischen High Church und Low Church erklärt. Hier war es anders, es schien mehr Kommunikation als Kommunion zu geben; die beiden Mädchen waren in der Sonntagsschule, wo man versuchte, ihnen in ihrer Sprache die Dinge zu erklären, die die Erwachsenen selber nicht richtig verstehen konnten. Aber Kinder verstehen so manches besser, als Erwachsene, dachte sie.
Immer wieder glitten ihre Gedanken ab. Wo mochte Daniela jetzt sein? Sie rechnete neuneinhalb Stunden zurück, in München war es jetzt mitten in der Nacht. Sicherlich schlief sie.
Die Priesterin begann, einen Text aus dem Epheserbrief vorzulesen. Monika wollte sich konzentrieren, aber sie hatte noch nie erlebt, dass eine Frau Priesterin sein konnte. Alles war neu, und alles stürzte gleichzeitig auf sie ein.
"...Take no part in the unfruitful works of darkness, but instead expose them..."
Was?? Unfruchtbare Werke der Finsternis ... nicht teilnehmen ... aufdecken?? Warum musste Religion so kompliziert sein, dachte sie. Finsternis, sie selber war jahrelang durch die Finsternis geirrt. Und mit einem Mal sah sie ihre Freundin Daniela, die es auch tat.

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Es war kalt, so ganz ohne Jacke und fast nackt unterm Kleid. Aber Klaus spürte die Kälte nicht, denn er hatte nur noch Sorge um Daniela. Von ihr war nichts zu sehen, auch von dem anderen Mädchen nicht. Wieso war sie plötzlich aus der Toilette gekommen?? Er erinnerte sich an die Szene im zweiten Teil von Zurück in die Zukunft, wo Marty sich hinter der Tür versteckt hielt, durch die sein anderes Ich gerade herausgekommen war. Das war doch verrückt! So etwas gab es doch gar nicht!
Wo war er? Wo der Europaplatz? Klaus war sich nicht sicher, hatte nur eine ungefähre Ahnung davon, wo er sich befand. Er war zwar selber hier hinausgefahren, aber der Stadtplan in seinem Kopf funktionierte nicht mehr, ließ sich nicht mehr einnorden. Nur noch ein Gedanke beherrschte ihn: Daniela finden! Wenn er Glück hatte, war sie tatsächlich zum Europaplatz gelaufen, um dort eventuell ein Taxi zu finden. Wo sie dann hinfahren wollte, darauf konnte er sich keinen Reim machen.

Er hetzte vorwärts, nicht auf sein protestierendes Glied achtend, das bei jedem Schritt schmerzhaft gegen seine Oberschenkel schlug. Noch einmal riss er wütend an seinen gefesselten Händen, aber das arg strapazierte Schürzenband hielt stand. Lächerlich! Wieso brachte er nicht die Kraft auf, dieses Stückchen Stoff zu zerreißen?
Er hatte sich verfranzt. War eine dunkle Straße hinuntergelaufen, eine andere wieder hoch und fast an seinem Ausgangspunkt wieder angekommen. Wo lag die Isar? Der Europaplatz lag auf der anderen Flussseite, aber wo war das? Klaus blieb stehen, mühsam um Atem ringend, am ganzen Körper zitternd.
Der Friedensengel! Am Ende der Straße, die links abzweigte, sah er die goldene Figur schwach glänzen. Jetzt wusste er, wo er war, jetzt hatte der Engel ihm eine Richtung vorgegeben! Er rannte weiter, kam nach kurzer Zeit an eine Straßenkreuzung, Dunkelheit lag weiter vorn vor ihm, dort musste die Isar sein, die Luitpoldbrücke! Dann blieb er wie vom Donner gerührt stehen.

Es mochten dreihundert Meter bis zu den beiden Personen sein, die dort an der Brücke standen. Sofort wusste er, dass es Daniela und das andere Mädchen waren. Beide standen sich dicht gegenüber, das andere Mädchen hatte seinen Rock hochgehalten, schien auf etwas zu deuten, streckte dann die Brust heraus, wild gestikulierend. Undeutliche Wortfetzen drangen an sein Ohr, er konnte nichts verstehen. Er sah, dass Daniela einige Schritte zurückwich, sie kam mit dem Rücken an die steinerne Brüstung. Dann sah er, wie Daniela ihre Jacke auszog, sie dem Mädchen hinhielt, vorwurfsvolle Gesten, erneutes Geschrei: du bist Schuld!! hörte er jemanden sagen, aber er konnte nicht ausmachen, ob Daniela oder das andere Mädchen es gesagt hatte.

Seine Starre löste sich endlich, er wollte loslaufen, aber dann sah er, wie das unbekannte Mädchen in einer blitzschnellen Bewegung ausholte, Daniela ins Gesicht traf, und diese, wie von einer Riesenfaust gehoben, über die steinerne Brüstung in die dunkle Nacht verschwand.
Sein Mund öffnete sich zu einem tierischen Schrei, aber seine Kehle ließ weder einen Schrei hinaus, noch lebenspendenden Atem hinein. Er schloss die Augen, nein, das war alles nur Einbildung, ein schlechter Traum, es war Zeit, aufzuwachen. Öffnete die Augen, das Mädchen war noch da, beugte sich über die Brüstung, alles war still, totenstill. Keine Spur von Daniela. Davongeflogen, dachte er.

Er konnte nicht länger stehen. Seine Beine gaben einfach unter ihm nach. Er krümmte sich zusammen, sein Mund öffnete sich, er erbrach sich, spuckte widerlichen Schleim auf den Bürgersteig. In seinen Ohren rauschte es, nein nein nein, du musst jetzt aufwachen, alles ist nur ein Albtraum, wenn auch ein verdammt realistischer Albtraum. Ein Auto fuhr vorbei, der Lichtkegel des Scheinwerfers erfasste ihn, Barbara die komplett zu Boden gegangen war, die schon lange die Kontrolle verloren hatte.

Das andere Mädchen war verschwunden. Er musste helfen... Nein, was sollte er helfen, mit gefesselten Händen? Es ging tief hinab zur Isar, das wusste er. Er lauschte in die Nacht, lauschte nach schwachen Hilferufen, aber da war nichts. Panik ergriff ihn. Er konnte nichts tun. Er war selber hilflos. Er wollte nur noch weg. Hier gab es nichts mehr für ihn zu tun. Weg, fort, zurück zu seiner kleinen Wohnung. Er würde ein Messer finden, sich befreien, sich von dieser Chimäre befreien. Er durfte nicht zurück zur Geidi-Gaudi, dort wartete Andrea auf ihn, und danach war ihm im Moment überhaupt nicht.

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Sie fiel und fiel. Skyfall, also doch!, dachte sie. Himmelssturz.

Dann ein furchtbar harter Schlag. Daniela hörte das nervzerreißende Schrammen von Stahl, hin über felsigen Untergrund.

"Eine Schaufel Sand," hörte sie jemanden sagen. "Der liebe Gott hat uns eine Schaufel Sand unter den Bug geschmissen." Sie hörte das Brechen und Splittern von Knochen. Dann war plötzlich alles still. Bis auf plätscherndes, gurgelndes Wasser. Es schien überall um sie herum zu sein. Eiskalte Nässe drang in ihre Kleider. Aber niemand schrie: Wassereinbruch über Torpedoluk!!

Erst jetzt realisierte sie, was geschehen war. Sie hatte sich gebückt, weil etwas aus ihrer Jackentasche gefallen war, hatte es aufgehoben und sich wieder aufgerichtet, als sie dieser furchtbare Schlag ganz unvermittelt traf, genau auf die linke Wange. Der Schlag ließ sie zurücktaumeln, hebelte sie gleichzeitig aus und beförderte sie in aller Einfachheit über die steinerne Brüstung. Nie hätte sie geglaubt, dass so etwas möglich wäre.

Daniela versuchte, sich zu bewegen, aber jede Bewegung tat höllisch weh. Sie wusste, sie hatte sich eine oder mehrere Rippen gebrochen, zumindest auf der Seite, mit der sie zuerst aufgekommen war. Der stählerne Keuschheits-BH hatte zwar ihre Brust beschützt, nicht aber ihren Brustkorb, und hatte ihr einige der unter der Halbschale liegenden Rippen eingedrückt. Wahrscheinlich hatte sie sich auch eine Hand und ein Knie gebrochen, alles war steif und unbeweglich, versagte seinen Dienst.

Ich muss um Hilfe rufen, dachte sie. Dann verlor sie das Bewusstsein.

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Monika sah durch die Windschutzscheibe, konnte aber kaum noch den Weg erkennen, den ihr Vater gewählt hatte, um nach dem Gottesdienst wieder nach Hause zu kommen. Wo kamen denn plötzlich diese unvorstellbaren Wassermassen her? So etwas hatte sie ja noch nie gesehen!

"Now that´s a skyfall!" hörte sie Pamela von der Rückbank sagen, wo diese mit den beiden Mädchen nach dem Gottesdienst Platz genommen hatte. "Welcome to Australia, Monica!"

Welch ein Wolkenbruch! Ganz plötzlich hatte der Himmel seine Schleusen geöffnet, sie konnte nur dankbar sein, dass alle hier im Auto im Trockenen saßen. Sie bekam es mit der Angst zu tun. Hielt sich verkrampft am Sitz fest, so als könne das etwas helfen, die nasse Flut von sich abzuwenden. Ihr Vater bemerkte es, sah sie mit einem lächelnden Auge beruhigend an. "Das ist nichts!" sagte er.

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Als Daniela wieder zu sich kam, fror sie nicht mehr. Seltsamerweise hatte sich eine wohlige Ruhe und Wärme in ihr ausgebreitet. Wie lange mochte sie hier schon gelegen haben? Irgendwie schaffte sie es, einen Blick auf ihre Armbanduhr zu werfen, aber sie erkannte nur, dass das Deckglas zerbrochen war. Sie würde Hilfe herbeirufen müssen, aber sie hatte in ihrer Eile, von Klaus wegzukommen, ihre Tasche bei ihm stehen lassen, und in ihrer Tasche hatten sich Geld und Handy befunden. Ins Kino hatte sie nur gehen können, weil sie in der Tasche ihres Jankers für Notfälle immer einen 50 EURO-Schein aufbewahrte.

Sie lachte still in sich hinein, als sie bemerkte, wie hoffnungslos ihre Situation war. Die letzte Freiheit, vor dem Verrecken, dachte sie. Solange man lachen kann, muss man nicht weinen...
Wer war diese junge Frau gewesen? Erinnerungsbilder eines nicht sonderlich langen Lebens flogen im Eiltempo an ihr vorbei, überlagerten sich, wurden begutachtet oder gleich wieder aussortiert. Du bist Schuld!! Wieder hörte sie die hysterische Stimme, wieder sah sie, wie das Mädchen seinen Rock hochgehoben hatte und auf etwas deutete, was in der Dunkelheit nicht zu erkennen war. Was hatte sie denn bloß mit dieser Person zu schaffen?
Sie sah ein hämisches Grinsen vor sich. Eine Fratze, die ihr die Zunge raussteckte, immer wieder du bist schuld rief. Plötzlich sah sie alles doppelt, zwei Gesichter lachten sie aus, zeigten mit den Fingern auf sie, sie war umgeben von Frauen, die alle ihre Röcke hochhielten und wieder und wieder du bist schuld ... du bist schuld .... skandierten.

Das leise Plätschern des dunklen Wassers schien ihr vertraut. War es nicht eines Tages schon einmal in ihr Leben gedrungen, als sie noch ganz klitzeklein war, als erste Laute an ihre Ohren drangen und sie zum ersten Mal die Stimme der Mutter gehört hatte? Fruchtwasser, dachte sie. Kann man sich wirklich daran erinnern? Und ganz plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie nie wieder hochkommen würde, hoch auf die Straße, die wenige Meter über ihr verlief. Ihr Lebensweg war an seinem Ende angekommen, sie würde nur noch hinwegschwimmen können...

Oh, der schöne Fischsc hwan z! Wo hatte sie dieses Kostüm getragen? Irgendwo in Florida. Angst hatte sie gehabt, als sie es anziehen sollte, weil sie plötzlich keine Beine mehr hatte, weil sie nicht mehr laufen konnte. Jetzt wünschte sie sich, sie steckte wieder in diesem Kostüm. Sie würde sich lautlos in das Wasser des Flusses gleiten lassen, all ihren Sorgen davonschwimmen...

Diese junge Frau! Lichtete sich der Nebel in ihrer Erinnerung? Sie wusste es nicht. Sie wusste nicht mehr, was sie tat. Warum sollte man etwas tun, wenn nur noch der allerletzte Gang zu gehen ist? Mit ihrer gesunden Hand zog sie ihren Rock hoch, fühlte die glatte Haut ihres Oberschenkels, ertastete die stählerne Barriere ihres Keuschheitsgürtels. Gleich würden alle Ketten von ihr abfallen... Mit letzter Kraft kratzte sie zwei lange Schrammen in ihren Oberschenkel, dann war sie bereit.

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Sie hatten den Rest der Fahrt schweigend zurückgelegt. Nur das monotone Wischen des Scheibenwischers war zu hören; niemand hatte Lust, sich zu unterhalten. Monika starrte hinaus in eine düstere Welt, der alles Licht entzogen schien.
Sie wollte nur noch ankommen, sich in ihr Bett verkriechen, mit ihren Gedanken allein sein. Es war schön, ihren Vater wiedergefunden zu haben, es war wundervoll, die Liebe dieser Familie zu spüren, aber im Moment fühlte sie sich nur noch leer und erschöpft.

Der Regen hatte aufgehört, so plötzlich wie er gekommen war. Sie stieg aus, folgte nicht den anderen, die ins Haus liefen und dort das Licht einschalteten, obwohl es erst Mittag war. Zu viel ging ihr jetzt durch den Kopf. Take no part in the unfruitful works of darkness, but instead expose them! Darkness, Dunkelheit, dachte sie. Nichts fürchtet der Mensch mehr, als Dunkelheit. Sie raubt ihm den wichtigsten Sinn, lässt ihn blind und verletzlich werden. Warum wurden denn in der Kirche all die vielen Lichter entzündet? Klaus´ Großmutter, die fast allabendlich neue Kerzen in der kleinen Seitenkapelle entzündet hatte? Die Taufkerze, die so wichtig war. Feuer und Wasser, das hier zusammenkam, wenn die Taufkerze in das Taufbecken gehalten wurde. Das Lebenslicht, von dem man spricht. Bis es ausgeblasen wird...

Sie fand einen vom Wind umgewehten Campingstuhl, richtete ihn auf, schlug mit der Hand die Nässe vom Sitz. Setzte sich hin und starrte in den düsteren Himmel. Leer, sie war jetzt ganz leer. Bereit, neues Leben zu beginnen, hier in Australien.
Sie erschrak, als ein gleißender Sonnenstrahl die Finsternis durchdrang. Ein leuchtender Finger, der wie auf sie gerichtet schien. Ich bin der Rebstock... Wieder kam ihr diese Stimme in den Sinn....

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Sie hatte einen metallischen Geschmack im Mund, begann, Blut zu spucken. This is the not the end..., erinnerte sie sich der berühmten Wort Churchills. Als sie das helle Licht auf sich zukommen sah, wusste sie, dass sie nicht hier in einsamer Finsternis würde sterben müssen. Und sie verstand, wieso Claudia immer gesagt hatte, alles sei ganz anders, ohne jemals zu sagen, wie anders.
Ihr wurde ganz warm ums Herz, ein Gefühl tiefster Liebe erfüllte sie. Plötzlich wusste sie, dass dies der schönste Augenblick in ihrem Leben war. Sie hatte das Ziel erreicht, ihr Lebensweg war an seinem Ende angekommen, und sie wusste, dass es stimmen mochte, dass die Götter denjenigen eher zu sich holen, den sie lieben.
Ein letzter Gedanke noch, bitte, gib meinen Eltern Kraft, wenn sie es erfahren, dem Bruder und Tante Agnes, Monika und Klaus. Gib ihnen Kraft, gib ihnen Kraft, oh Herrgott.... dann ließ sie los.



Australien VI. Oktober.

Nach dem Mittagessen klappte Monika ihren Laptop auf, suchte aber vergeblich nach einem Stecker für den Internetanschluss. Sie wollte endlich die Frage lösen, was es mit diesem Weinstock auf sich hatte, und hatte gehofft, im Internet eine Antwort zu finden.

"Tut mir leid, Moni. Aber hier zu Hause haben wir kein Internet. Nur im Büro. Was gibt es denn?"

"Ich wollte etwas nachschlagen ... über Weinstöcke. Wieso habt ihr denn kein Internet hier? Seid ihr noch so rückständig hier in Südaustralien?"

Er lachte. "Nein, bestimmt nicht. Wir können alles haben, was wir wollen. Aber wir wollen, dass die Mädchen ohne Computerspiele und Internet und Chatrooms aufwachsen, das kann alle warten, bis sie etwas älter sind. Im Moment gibt es für sie immer noch eine ganz große Welt zu entdecken, hier draußen." Er machte eine Bewegung zum Fenster hin. "Weißt du, das Internet ist verführerisch. Es gaukelt uns vor, auf alles eine Antwort zu haben, aber das stimmt nicht. Erst einmal müssen die Kinder lernen, selber Fragen zu stellen, bevor sie irgendwelche Antworten nachschlagen können. Was wolltest du denn wissen? Etwas über Weinstöcke? Vielleicht kann ich dir heute Nachmittag etwas darüber erzählen. Wir können spazieren gehen, nur wir beide. Was meinst du?"

"Ja, gern." Monika freute sich; gern wollte sie etwas über das Leben hier draußen und die Arbeit mit der Weinherstellung erfahren. "Du, sag mal, wie heißt denn Rebstock auf Englisch?"

"Vine, aber mit v. Nicht wine mit w. Aber jetzt muss ich mich mal etwas um die paperwork kümmern. Bis nachher also, ja? Sagen wir so um drei?"

Kein Internet! Mist! Also auch keine E-Mails, kein Facebook, kein Chat. Leider auch kein Wikipedia. Sie musste ihre Antwort anders finden. Auf die altmodische Art, dachte sie. In einem Buch. Sie stand auf, ging hinüber zum Bücherschrank, überlegte, welches Buch wohl Antwort geben könne. Hm? Sie versuchte es mit einschlägigen Lexika, kam aber nicht wirklich weiter.
HOLY BIBLE. Das Buch der Bücher, wie mancher behauptete. Ihre Finger glitten über den Buchrücken, wanderten weiter, kehrten wieder zurück. Sie wollte weitersuchen, aber es war, als sollte sie es hier einmal versuchen.
Die Bibel enthielt ein Inhaltsverzeichnis. Ja, tatsächlich, das Stichwort vine war aufgeführt!

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Dampfende Wärme umgab sie, als Monika mit ihrem Vater durch die Weinberge ging, die hier weniger Berge, als Felder waren. Es gab nicht die steilen Hanglagen, wie man sie von deutschen Anbaugebieten kannte, allein der Zauber war derselbe. Eine uralte Kulturpflanze, deren Saft den Menschen in seiner vergorenen Form die Zunge löste - In vino veritas!, schon die alten Römer hatten das gewusst.
Sie hatten sich ganz vorsichtig dem Thema genähert, hatten längst vergessene Erinnerungen ausgegraben, ihnen neues Leben eingehaucht. Sätze, die mit weißt du noch... anfingen. Dann waren beide still geworden.

Ihr Vater war stehengeblieben. Wusste nicht, wohin mit seinen Händen, griff nach Monikas Hand, ließ sie wieder los. "Es war ein Versprechen..."

"Ein Versprechen??" Sie blickte ihn überrascht an.

"Yes, a crime." Leise, aber deutlich.

"Ein Verbrechen", korrigierte sie ihn.

Er sah sie an, sagte nichts. Schmerz lag in seinen Augen.

Sie lächelte ihn an. Nahm seine Hand. "Nicht so schlimm," sagte sie. "Ein Versprecher."

George warf die Stirn in Falten. "Was...??" Dann, grinsend: "Deutsches Sprache, schweres Sprache!! Haben wir am ersten Tag im Goethe-Institut gelernt!" Dann, wieder ernst: "Ja, ein Verbrechen. Es hat..." Er stockte, rang mühsam nach Worten. "Es hat fast... mein Leben... dein Leben...."

Sie wusste, was er sagen wollte. Statt einer Antwort wandte sie sich einem Weinstock zu, der erst kleinste Reben entwickelt hatte. "Hat er dir geholfen, der Weinstock?"

Er sah sie an, antwortete nicht.

Monika schloss die Augen, bemüht, den gerade erst auswendig gelernten Satz fehlerfrei wiederzugeben. "I am the vine; you are the branches. If a man remains in me and I in him, he will bear much fruit; apart from me you can do nothing. - Ich bin der Rebstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht...."

"...ohne mich kannst du nichts machen", vollendete ihr Vater den Satz. "Ja, ich weiß nicht, vielleicht. Aber am Anfang, das war damals, als ich aus Deutschland zurückgekommen war, da hatte mir eher der Wein, als der Weinstock geholfen. Aber nicht lange, denn ich musste immer mehr trinken, um den Schmerz zu verbannen..."

"Schmerz?"

"Ja, Schmerz darüber, dich verloren zu haben. Dich und deine Mutter. Es wurde erst besser, als ich in diese Gemeinde kam und begann, zu verstehen, dass es einen viel schlimmeren Schmerz gab." Er blickte auf, machte ein Zeichen zum Weitergehen.

Sie folgte ihrem Vater, tief berührt über das Bekenntnis, das er hier ablegte.

"Ich kam hier in eine Selbst... ach, wie heißt es auf Deutsch?"

"Selbsthilfegruppe?"

"Ja, genau, eine Selbsthilfegruppe. Das war von der Kirche organisiert..."

"Da macht man wohl den Bock zum Gärtner!", warf Monika ein. "Ausgerechnet die Kirche..."

"Ja, ich weiß, was du meinst. Aber wir dürfen die Kirche wegen einige schwarze Schafe nicht unter Generalverdacht stellen! Das wäre zu einfach!"

Monika nickte. "Ja, du hast sicherlich recht. Also kein australisches no worries, mate?"

"Nein, ganz bestimmt nicht!! Wir alle haben uns versündigt, an Kindern, an uns selbst. Das zu erkennen, war die größte... hurdle."

"Hürde." Sie spürte das Verlangen, ihm etwas von seiner Schuld zu nehmen. "Es war ja nicht so schlimm, was du gemacht hast, Papa!"

Ein zorniger Blick blitzte sie an. "Doch!! Es war sogar viel schlimmer! Denn genau das ist das Schlimmste, dass die Kinder meinen, es war ja nicht so schlimm! Sie sind in all ihre Unschuld am schlimmsten verletzt, sie müssen es ein Leben lang tragen, denken oft, sie selber hätten den Erwachsenen verführt... aber, so war es ja nicht! Wir sind die Täter, wir haben Schuld!! Gott sei Dank gibt es diese Selbsthilfegruppe, sie hat mich gerettet! Sie und Pamela..."

"...und die Rebstöcke!"

"Ja, man hat harte Arbeit. Wein ist eine Kulturpflanze, sie muss umsorgt werden. Wenn man sich nicht kümmert, dann geht sie ein, produziert keine Reben mehr, keinen Most, keinen Wein. Komm, ich zeige dir mal, was man da alles machen muss!"

Er hatte seine Hand unbewusst nach hinten ausgestreckt. Sie legte ihre Hand in die ihres Vaters. Nein, sie war kein Kind mehr, aber manchmal müssen auch Erwachsene einander festhalten dürfen, dachte sie, und es war gut so.



November VII.

Sie zuckte zusammen. Kalt!! Unwillkürlich begann sie, ganz leicht zu zittern.

"Was ist los? Hast du Angst?"

Sie biss sich auf die Lippen, versuchte, ihrer Erregung Herr zu werden. Nein, Angst hatte sie keine; sie hatte es ja selber so gewollt. Sie schüttelte den Kopf. "Nein", flüsterte sie, kaum hörbar. "Vielleicht bin ich einfach nur müde ... es ist spät..."

"Soll ich nach Hause fahren?" Seine Stimme klang leicht enttäuscht. Sie spürte, dass sie bereits eine Schwelle überschritten hatte, an der ein Mann normalerweise nicht mehr nach Hause fahren würde. Wortlos reichte sie ihm das kleine Schloss, das sie die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte. Ein Schloss ohne Schlüssel. Alle Schlüssel hatte er gleich an sich genommen, sobald er die von ihr zurechtgefeilten Schlösser gesehen hatte. Sie hatten einen Pakt geschlossen, er würde die Schlüssel behalten, sie die Schlösser.

Ingeborg Wimmer und Bruno Rick waren zu sehr später Stunde in ihre Wohnung gefahren. Beide hatten sich die halbe Nacht um die Ohren geschlagen, in der spärlichen Hoffnung, irgendetwas über die Ereignisse des letzten Samstags herauszubekommen. Dass sie wirklich einen möglichen Täter hier würden stellen können, das hatten sie nicht wirklich geglaubt.
Sie fragte sich, warum sie überhaupt bei dieser wenig vielversprechenden Aktion mitgemacht hatte. Und war sich nicht sicher, ob es überhaupt eine schlüssige Antwort gab. War es ein geheimer Wunsch, noch einmal in die Welt der Jüngeren, der Unbesorgten und Unbekümmerten, eintauchen zu können? War es vielleicht doch beruflicher Ehrgeiz, die Hoffnung auf einen zweiten Stern auf der selten benutzten Uniform, wenn sie entscheidend zur Lösung des Falls beitragen konnte?
Wusste sie es nicht besser, oder wollte sie es nicht besser wissen? Sie hatte seine Augen gesehen, als sie vor wenigen Tagen im Dirndl in seinem Büro stand. Hungrige Männeraugen, das hatte sie gleich gedacht. Und sie hatte sich wohl gefühlt dabei. Sie mochte ihren Chef, kam gut mit ihm aus, hatte ein gutes Arbeitsverhältnis mit ihm, ein Verhältnis, wie es sein sollte: frei von anzüglichen Bemerkungen, frei von allzu aufdringlichen Berührungen; wenn es welche gab, dann waren sie angenehm normal.
Sie war schwach geworden, als sie den Keuschheitsgürtel und den stählernen BH sah, hatte in manischem Eifer für neue Schlösser gesorgt, dann aber von jeder weiteren Aktion Abstand genommen. Eine kurze Anprobe gestern Abend, ja, aber mehr verbot ihr ihr Berufsethos. Nur ihre Fantasie hatte keine Grenzen gekannt, hatte sie in unbändiger Freiheit bis an den Rand und darüber hinaus gebracht. Und der lange Abend bei der GeiDi-Gaudi war das einzig Mögliche, das einzig Machbare, was sie tun konnte, um diesen hungrigen Männeraugen einen Schritt näher zu kommen. Im selben Moment, wo er seine Hand auf ihre gelegt hatte, als sie ihr kleines Täschchen im Wagen vergessen hatte, hatte sie gewusst, dass der Abend erst anfangen würde, sobald ihre Under-cover-Mission vorbei war.

Sie hatten wenig gesprochen. Sie hatte ihrem Chef ein Glas Wein angeboten, dann hatten sie sich in ihr Wohnzimmer begeben. Rick betrachtete nachdenklich die verschiedenen Teile des Keuschheitsgeschirrs, das nur eine Woche zuvor noch am Körper einer jungen Frau gesessen hatte, mit oder ohne deren Einwilligung. Sie würden es herausfinden. Und sie würden herausfinden, wer Schuld am Tode dieses Mädchens war.

Er sah sie an. Öffnete den Mund, sprach langsam und überlegt. "Passt er?"

Sie nickte bloß.

"Der BH auch?"

Ein weiteres Nicken. Sie sah, wie er die einzelnen Teile ganz langsam zu ihr hinüberschob. Er betrachtete die drei kleinen Schlösser, schmunzelte leicht, zog von allen die Schlüssel ab und schob auch die Schlösser zu ihr hin.
Sie sah ihn an, bohrte ihren Blick in seine Augen. Griff mit der rechten Hand zu dem kleinen Silberkettchen, welches ihr Mieder verschnürte, lockerte es, nahm sich die Dirndlschürze ab, öffnete den langen Reißverschluss, konnte endlich mal wieder richtig Luft holen, aber jetzt war da bereits etwas ganz anderes, das sie daran hinderte. Sie stieg aus dem Kleid, zog sich mit einer schnellen Bewegung die Dirndlbluse über den Kopf.

Er hatte ihren Blick festgehalten. Wann hatte er sich zum ersten Mal gewünscht, sie so sehen zu können? Er lachte leise in sich hinein. Wie lange arbeiteten sie schon zusammen? Wahrscheinlich hatte er es sich bereits am ersten Tag gewünscht; alles andere wäre wohl nicht zu erklären. Jetzt stand sie vor ihm, sie trug einen spitzenbesetzten weißen Dirndl-BH, dessen Träger seitlicher angebracht waren, als bei einem normalen BH, dazu passend einen Slip. Als er sah, wie ihre Hände hinter sie glitten, stand er auf, nahm die drei kleinen Schlüssel und ging hinaus.
Es war seltsam. Er hatte dabeisein wollen, aber er konnte es nicht. Er konnte ihr auch nicht sagen, was sie tun sollte, und stören wollte er in diesem Moment erst recht nicht. Sie würde das Richtige tun ... oder auch nicht.


Ingeborg Wimmer wusste, dass sie längst aufgehört hatte, zu denken. Sie wunderte sich nicht darüber, dass Bruno hinausgegangen war, sie wunderte sich nicht darüber, dass er mit keinem Wort gesagt hatte, was sie tun sollte. Sie hatte es auch so verstanden, diese deutliche, bestimmte Geste, als er ihr die Sachen über den Tisch geschoben hatte, die sichere Bewegung, mit der er die Schlüssel an sich genommen hatte. Er würde die Schlüssel behalten, sie die Schlösser!
Sie griff mit zitternden Fingern hinter ihren Rücken, hakte ihren BH auf und legte ihn ab. Ihre Brüste waren straff und gut gebaut, nicht sonderlich groß, nicht mit Mogelpackungen aus Silikone gefüllt. Sie begann, sich zu streicheln, wiegte ihre Brüste in den geöffneten Händen, kratzte mit langen Nägeln über ihre Brustwarzen. Gleich würde sie es nicht mehr können.
Ingeborg hörte das Geräusch der Toilettenspülung, dann das Rauschen des Wasserhahns. Die Klotür quietschte leicht, dann war Stille. Sie sah, dass es dunkel blieb in der Diele; er wartete ohne zu murren.
Sie führte die Ketten des stählernen BHs über ihren Kopf, legte das Teil sich von hinten um den Oberkörper, steckte vorne alles zusammen, so wie sie es vorher schon einmal geprobt hatte und hängte das erste Schloss ein. Klick!
Es ging schneller mit dem Keuschheitsgürtel. Sie wusste, dass er wartete, dass er warten würde, bis es hell würde. Aber sie wusste auch, dass sie selber nicht so lange warten würde. Klick! Sie sah, wie ihre Schamlippen sich vergeblich durch den langen, schmalen Schlitz drängten, ihre Hände griffen nach ihrer Scham, sie versuchte, einen Finger in den nicht mehr geöffneten Schoß zu bekommen, nein, es ging nicht, sie machte die Beine breit, aber ihre Lippen öffneten sich nicht mehr, sie war verschlossen, fini l´amour!
Sie zog ihr Dirndlkleid wieder an. Warf BH und slip auf den Boden, trat beides mit dem hohen Hacken, den sie immer noch trug, zur Seite: nichts sollte jetzt stören. Dann räusperte sie sich, strich ein Zündholz an, entzündete einige Kerzen und löschte das elektrische Licht.


"Hattest du Waffeln gesagt?" Er war wieder ins Zimmer gekommen. Kerzenschein fiel in sein Gesicht, eine spezielle Regung konnte sie nicht ausmachen.

"Ja. Hast du Hunger?"

"Riesenhunger." Er lächelte sie an. "Komm, mach welche, sonst fall ich gleich um." Er legte seinen Arm um sie, führte sie mit sanftem Druck in die Küche. Sie fühlte, wie er ihren Rücken abtastete.

Er stand hinter ihr, als das Waffeleisen glühte und sprühte. Teig quoll an den Seiten hinaus; sie konnte sich kaum noch auf ihre Arbeit konzentrieren. Es war mehr als spät, normalerweise lag sie in ihrem Bett und schlummerte, einsam und allein; heute würde es anders sein. Seine Hände glitten von ihren Schultern an abwärts, tasteten sich langsam vor, wie die Hände eines Archäologen, der Angst hat, einen wertvollen Fund mit zu heftigen Bewegungen zu zerstören, ließ sie am Rückenband des BHs ruhen, dann langsam nach vorne gleiten; sie untersuchten die beiden Halbkugeln, die jetzt ihren Brustkorb zierten, Halbkugeln, die ihre Brüste vor jeglicher Berührung schützen wie das Fort Knox die amerikanischen Goldbarren.
Sie hörte sein heftiges Atmen, vermischt mit dem Zischen des Waffeleisens, gleich würde er ihr sein Brandzeichen geben, würde sie einfach hochheben und mit dem nackten Gesäß auf das heiße Waffeleisen drücken, dort ein brennendes, kleines Herzchen hinterlassen.... Sie fantasierte.

Als seine Hände ihre feuchte, aber versperrte Spalte erreicht hatten, da lachte er kurz auf, biss ihr ins Ohr. "Strafe muss sein!", flüsterte er.

"Strafe?? Wofür?"

"Du hast den kleinen Bügel nicht drangemacht!"

Nein, hatte sie nicht. Sie hatte es vergessen, oder es absichtlich vergessen, damit er ihr ins Ohr beißen würde. Sie legte die fertigen Waffeln auf einen Teller, holte ein Dose mit Puderzucker und trug nun beides zurück ins Wohnzimmer. Noch Wein? Nein, er lehnte ab.

"Wir haben morgen beide frei!"

"Ja, ich weiß," antwortete er. "Aber ein Glas reicht... Danke."

Beide aßen ihre Waffeln, unterhielten sich etwas über dieses seltsame Fest. Sie spürte den Druck des BHs auf ihren Oberkörper, den des Schrittreifens auf ihre Scham. Traute sich nicht, sich zu berühren.
Er griff nach dem noch fehlenden Teil. "Es ist Zeit," sagte er. Er machte es selber, ging sehr behutsam zu Werke, küsste ihre Lippen, bevor er den Zugang zu ihnen versperrte, ließ seine Zunge darüber gleiten, trieb sie an den Rand der absoluten Erschöpfung. Dann klinkte er den Onanierschutz ein und verschloss ihn mit dem letzten, noch freien Schlösschen.

Er zog sie an sich. Hielt sie sicher fest, als sie auf ihren hohen Absätzen unsicher wankte. Warum hatte sie die verdammten Schuhe nicht ausgezogen? Sie wusste es nicht. Heftige Küsse ... sie wehrte sich nicht.

"Danke," sagte er. "Danke für diesen schönen Abend, und die leckeren Waffeln. Sehen wir uns morgen Nachmittag?" Er korrigierte sich: "Ich meine natürlich heute Nachmittag. Wir könnten abends essen gehen...?"

Dann war er weg. Wimmer hörte noch das Anlassen seines Wagens, sah die Lichter in der Ferne der Straße verschwinden, dann war Stille. Er hatte die Schlüssel behalten, sie die Schlösser. Sie zog sich aus, griff mit der Hand dorthin, wo nichts mehr zu greifen war, außer hartem Stahl, dann ging sie ins Bett. Allein und einsam, ja, aber doch anders, als sonst immer.





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lupo Volljährigkeit geprüft
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  RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust") Datum:06.05.13 20:57 IP: gespeichert Moderator melden


Oh je, ich glaube mein Gedächtnis wollte die Wahrheit nicht sehen.
Ich hab gerade noch mal den Besuch in der Pathologie nachgelesen - und ja - natürlich fanden sie dort auch den Keuschheits-BH. Hab ich aktiv verdrängt, weil ich wahrscheinlich nicht wollte, daß es Daniela trifft.
Lieber eine unbekannte dritte.
Liebe Dani, vielen Dank für diesen neuen spannenden Teil Deiner Geschichte, von dem ich hoffe, daß es nicht der letzte ist.
Immerhin sind ja noch ein paar Fragen offen - die Zwillingsstriche auf dem Oberschenkel zum Beispiel....da tappe ich noch völlig im Dunkeln...

Viele gespannte Grüße aus dem Allgäu
Lupo
Manche Leute drücken nur deshalb ein Auge zu, damit sie besser zielen können.
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