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RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust")
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Datum:19.11.12 21:30 IP: gespeichert
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Libe Dani!
Danke auch für die heutige Fortsetzung. In Ergänzung zu den anderen Postings nur soviel: Rein organisatorisch bewundere ich, wie es Dir gelingt, die verschiedenen Fäden weder zu verwirren noch zu verlieren. Du machst das super weshalb ich schon auf das nächste Wochenende sehnlichst warte.
Maximilian Alt werden will jeder, alt sein aber keiner
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RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust")
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Datum:25.11.12 22:00 IP: gespeichert
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Es ist 22 Uhr! Endlich geht dieser trübe, langweilige Tag zu Ende! Hier, wo ich wohne, hat es fast den ganzen Tag geregnet, und um halb fünf ist es schon wieder dunkel. Doch in vier Wochen ist Weihnachten, wenigstens ein Licht, auf das man sich freuen kann!
Eine Schrecksekunde gab es in dieser Woche, als das Forum mehrmals nicht zu erreichen war. Wie man las, ist ein neuer Server installiert worden. Ausfälle, wie z. B. im Dezember 2010, sind also wohl nicht mehr zu befürchten. Ich möchte allerdings noch einmal die Bitte der Admins weitergeben, ein wenig für das Forum zu spenden. Allerdings nicht ohne meine frühere Aufforderung zu wiederholen, einmal so etwas wie eine Bilanz vorzulegen.
Danke all denen, die mir geschrieben haben!! Es kostet nichts, und für mich ist es die einzige Freude, die ich habe. Diese Woche habe ich wieder ein wenig geschrieben; es fehlen nur noch die beiden allerletzten Schlusskapitel, es wird aber noch lange dauern, bis wir so weit im Text sind - Ausdauer ist also angesagt! Ach, übrigens, hier bekommt Ihr jeden Sonntagabend eine Fortsetzung, nicht zu lang und nicht zu kurz, bis weit in den Frühling hinein. Ob solche eine Geschichte, obendrein noch die Fortsetzung von "Herbstferien " und "Frust", für den Leser angenehm ist, oder ob er sich lieber anderen Geschichten hingibt, die über zehn Jahre hinweg in Minikapiteln vor sich hindümpeln, mag jeder selber wissen!
Ich vermisse Grüße von manch früherem Leser... ich hoffe nicht, dass schon welche abgesprungen sind!! Okay, ich weiß, im Moment geschieht noch nicht so viel, aber das kommt schon noch....
Viel Spaß beim Lesen wünscht Euch Eure Daniela!
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Klaus hatte sich in aller Eile seine Jacke geschnappt und war hinausgelaufen in den milden Maiabend. Jetzt war das passiert, was nicht hätte passieren dürfen. Immer wieder hörte er im Geiste die Stimme seiner Oma, die unerwartet laut seinen Namen gerufen hatte - nein, das stimmte nicht, ihren Namen hatte sie gerufen, Barbaras Namen, und er hatte darauf reagiert.
Ziellos lief er durch einige Straßen des Viertels, sein Leben hatte plötzlich die Richtung verloren, die es, trotz aller Spielereien mit Monika, doch immer gehabt hatte. Was hatte es so plötzlich ausgelöst? Nein, es war nicht die CD , die er von Monika zurückbekommen hatte, sondern jener andere, so kurz gehaltene Brief von Großes E Punkt. Eva??
Klaus war sich nicht sicher, ob sie wirklich Eva hieß, so wie das liebe Mädel in der Feuerzangenbowle. Er solle sich mal wieder melden, hatte sie geschrieben. Nein, auch das stimmte ja nicht, denn es war ja Barbara, die sich mal wieder melden sollte. Sie sollte sich bei ihr melden, nicht er. Aber wie sollte er... sie das machen, wenn sie keine Adresse hatte? Wenn sie nicht einmal den Namen von ihr wusste.
Er fühlte sich unwohl. Er merkte, wie Klaus Barbara bei ihren Überlegungen im Wege stand. Wie lange hatte er jetzt schon ohne sein feminines alter ego gelebt? Bestimmt schon über einen Monat. Er würde es ändern müssen, daran konnte es keinen Zweifel geben.
Klaus blickte auf seine Uhr. Es war erst früher Abend, die Geschäfte hatten noch nicht geschlossen. Es gab für ihn nur einen Weg. Bald hatte er das kleine Kino erreicht, in dessen Nähe der Supermarkt lag, in dem sie arbeitete. Aus irgendwelchen Gründen hatte er nicht mehr hier eingekauft, seit sie in seinem Leben aufgetaucht war. Nicht, weil er sie nicht mochte, sondern weil sie ganz einfach zum falschen Zeitpunkt gekommen war, zu einem Zeitpunkt, da er noch Monika gehörte, falls man es so nennen durfte.
Er trat ein, blickte sich um. Viel Kundschaft war nicht da, an der Kasse saß eine andere Frau. Sie war nicht zu sehen. Klaus nahm sich ein Herz und fragte die Dame, ob sie ihm helfen könne. Er beschrieb sie - Eva? - so genau wie möglich und sagte, er müsse sie unbedingt sprechen, aber es war schnell klar, dass er hier keine Auskunft würde bekommen können. Die Kassiererin sah ihn genervt an und gab schließlich die Antwort, eine solche Kollegin nicht zu kennen. "Junger Mann, das muss vor meiner Zeit gewesen sein! Ich bin ja erst seit einigen Monaten hier. Da kan ich Ihnen leider nicht weiterhelfen. Aber vielleicht rufen Sie später noch einmal im Büro an, wenn die Chefin da ist. Vielleicht kann sie Ihnen weiterhelfen." Klaus erhielt noch die Telefonnummer, dann bedankte er sich bei der Frau.
Missmutig beschloss er, noch einmal seine Wohnung aufzusuchen, bevor er wieder zu seiner Oma zurückkehren musste. Es war ja nicht einmal sicher, dass sie all das hineingelegt hatte, was er im Moment befürchtete.
Was er jetzt brauchte, waren zwei Dinge! Ein Whisky und einen Namen. Es war ihm klar, dass er den nächsten Schritt würde tun müssen; nach ihrer vergeblichen Kontaktaufnahme würde sie keine zweites Mal kommen.
Klaus fand die Flasche, die er in einer sehr dekorativen Pappschachtel belassen hatte, zog sie hervor. Unten am Boden der Flasche klebte der Kassenbon, den er, aus welchem Grund auch immer, zusammengefaltet in die Schachtel gelegt hatte; wahrscheinlich um jederzeit sehen zu können, wie teuer so ein Zeug war. Noch einmal las er den Preis, wunderte sich darüber, so viel Geld ausgegeben zu haben, dann legte er den Bon zurück und goss sich ein Glas ein.
Nicht zuviel, denn er war kein solider Trinker, aber genug ihn wenigstens für einen kurzen Moment etwas auf andere Gedanken zu bringen. Ob Monika wohl immer noch diesen Black Label hatte?
Ungeduldig wartete er bis kurz vor neun, dann nahm er sein Handy und wählte die Nummer des Supermarkts.
"Hallo? Ja, guten Abend! Entschuldigen Sie bitte die späte Störung, aber Ihre Kollegin meinte, es wäre besser, Sie einmal um Ihre Hilfe zu bitten. Mein Name ist Klaus. Ich hatte vor einiger Zeit einmal eine junge Dame kennengelernt, die bei Ihnen an der Kasse sitzt, und würde Sie gern bitten, mir eventuell mit einer Adresse oder Telefonnummer weiterzuhelfen."
"Ja, bitte, um wen handelt es sich denn? Wie war der Name, sagten Sie?"
Klaus merkte, wie ihm heiß und kalt wurde. "Klaus. Klaus war der Name."
"Nein, ich meine den Namen meiner Kollegin??" Es lag eine gewisse Ungeduld in der Stimme.
"Ich.... äh, ich kann sie Ihnen beschreiben... Also, sie hatte relativ langes Haar..."
"Junger Mann!! Ich brauche einen Namen! Was meinen Sie, wieviele junge Frauen hier bei mir arbeiten, die alles langes Haar haben! Aber wenn Sie den Namen nicht kennen, dann fragen Sie sie doch besser, bevor Sie mir hier meine kostbare Zeit stehlen. Guten Abend!!"
Das war deutlich! Klaus starrte einige Sekunden auf das tutende Handy, so als könne er noch auf eine nette Zugabe hoffen. Aber er sah ein, dass auch die Hoffnung irgendwann einmal starb.
Und zwar zuletzt.
Es dauerte seine Zeit, bis er zur Ruhe kam, musste sich dann aber sputen, denn er wollte seine Großmutter nur ungern allzu lange allein lassen. Er kam gerade noch rechtzeitig, denn die alte Dame musste dringend zur Toilette, etwas, das sie allein noch nicht schaffte. Zwar hatte sie eine Krücke als Gehhilfe bekommen, aber der Umgang damit war ihr ungewohnt und wollte erst gelernt werden.
"Ah, Klaus, da bist du ja endlich! Warst noch ein bisschen an der Luft?"
"Ja, Oma. Ich kann ja schließlich nicht den ganzen Tag hier hocken und Händchen halten!" Kein Wort von Barbara, dachte er.
"Sollst du ja auch nicht. Ich bin ja so schon so dankbar, dass du dich um mich kümmerst. Komm, hilfst du mir mal zur Toilette?"
Sie wirkte freundlich. Vielleicht freundlicher als sonst? Oder war es einfach nur so, dass er im Moment auf jede noch so geringfügige Änderung achtete wie ein Seismometer?
Nachdem er seine Oma versorgt hatte, verlief der restliche Abend in gemütlichem Beisammensein vor dem Fernseher. Klaus hatte sich etwas zu essen gemacht, anschließend die Küche aufgeräumt und den Müll weggeworfen. Dann hatte er die Großmutter bettfertig gemacht und sich selbst in sein kleines Zimmer zurückgezogen.
Irgendetwas irritierte ihn. Da war einerseits die wenig zufriedenstellende Antwort seiner Oma, sie habe Kompott aus dem Keller geholt, als sie so fürchterlich auf der Treppe gestürzt war, da war aber auch noch etwas anderes. Bloß was? Er hatte, als er die Küche aufgeräumt hatte, irgendetwas gesehen, war sich aber nicht sicher, was genau es war. Er stand noch einmal auf und ging hinunter in die Küche. Er schaltete das Licht ein, sah gewissenhaft nach, aber da war nichts.
In der Diele blieb er stehen. Linker Hand war die Tür zum Keller. Er öffnete sie, fand den Schalter für die etwas spärliche Kellerbeleuchtung. Was hatte seine Oma denn bloß gewollt? Kompott holen?? Das kannst du meiner Großmutter erzählen, dachte er und musste plötzlich lachen. Wie komisch!! Seine Großmutter hatte es ja ihm erzählt!
Vorsichtig nahm er die steilen Stufen hinab. Hier unten gab es nur einige wenige kleine Räume. In einem von ihnen befanden sich tatsächlich auf einem hölzernen Bretterregal eine ganze Reihe von Weckgläsern, in denen sich eingemachtes Obst befand. Vergilbte Etiketten deuteten auf den nicht mehr sonderlich appetitlich aussehenden Inhalt und auf eine längst verflossene Zeit hin. Das, was er hier vorfand, war vor über einem Jahrzehnt von der Oma eingekocht worden; er erinnerte sich noch recht gut an sommerliches Birnenpflücken in ihrem Garten.
Klaus blickte sich um, konnte aber auch hier unten nichts entdecken, was ihn auch nur ein Jota weitergebracht hätte. Unzufrieden mit sich selbst und der Welt begab er sich wieder in sein Zimmer. Morgen war ein neuer Tag.
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Daniela machte sich Sorgen. Ihr Gespräch mit Monika war alles andere als beruhigend gewesen. Es war klar, dass es nach den schrecklichen Erlebnissen jener düstren Osternacht eine psychische Reaktion geben musste, aber was sie nun von ihrer Freundin am Telefon gehört hatte, hatte ihr doch zu denken gegeben.
Bisher war es ihr nicht bewusst gewesen, wie sehr Monika nicht nur unter den rein körperlichen Folgen ihrer Nacht auf der Messdienerstrafbank zu leiden hatte, sondern viel mehr noch unter dem Verlust einer für eine gewisse Sicherheit und Geborgenheit sorgenden Struktur in ihrem Leben. Der alte Pastor war wohl nicht durch einen anderen, sicherlich jüngeren Geistlichen zu ersetzen, falls sich überhaupt noch jemand finden ließe. Wahrscheinlicher war doch, dass auch diese kleine, alte Kirche bald in eine Bibliotek, ein Lebensmittelgeschäft, oder, schlimmer noch, eine Diskotek umgewandelt wurde. Falls sich die Gemeinde nicht als lebensfähig erwies. Lebensfähig bedeutete: Kirchgänger, Gläubige, Geburten und Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen. Ein spirituelles Leben, das in der Welt irgendwo irgendwann verloren gegangen war. Wer brauchte denn noch den Kontakt zu Gott, wenn er alle Fragen bei Wikipedia beantwortet bekommen konnte??
Aber auch vor ihr selber hatte sich eine hohe Mauer des Zweifels aufgetan. Erwachsenenmessdiener hin oder her, sie war eben kein Kind mehr, keine kleine Messdienerin, die man mit Sackhüpfen und sommerlichen Zeltlagern auf den Geist der christlichen Gemeinschaft einschwören konnte. Sie selber hatte ganz andere Beweggründe gehabt, jetzt noch, als Abiturientin, bei den Messdienern einzusteigen. Einerseits hatte es an Monikas schwer zu widerstehender Dominanz gelegen, andererseits aber viel mehr an ihrem eigenen, seit Jahren unerfülltem Wunsch, sich das schwarz-weiße Gewand der Dienerschaft Gottes überzustreifen, oder, weniger prosaisch ausgedrückt, Ministrantin zu werden. Sie hatte sich damals einfach nicht getraut, als der Kaplan mit dem Anmeldeformular in die Klasse gekommen war, hatte Angst gehabt, sich irgendeine vermeintliche Blöße zu geben, vielleicht etwas von ihrer Coolness zu verlieren, die sie sich hart erarbeitet hatte.
Jetzt aber, nachdem sie sich eigentlich schon an ihre neue Rolle als Messdienerin gewöhnt hatte, jetzt war plötzlich der Fluch des Zweifels über sie gekommen. War der Münchner Pastor nur ein Einzelfall gewesen, oder aber ließ sich das, was ihn beherrscht hatte, auch bei anderen Geistlichen finden? Wobei Daniela sich nicht einmal sicher war, was genau den alten Pastor dazu getrieben hatte, sich so zu versündigen. Der Gedanke an jahrelangen, krankhaft unterdrückten Sex lag immer schnell auf der Hand, aber es mochte auch ganz andere Gründe gegeben haben. Vielleicht hatte er auch ganz einfach aus einer recht archaischen Glaubensauffassung von Sünde und Sühne gehandelt, auch das mochte eine Möglichkeit sein.
Trotzdem war sie eine Spur misstrauischer geworden. Nicht zuletzt dank jenes Gesprächs mit Schwester Hildegard vor einigen Tagen, als sie nach einer weiteren Messdienerstunde gerade nach Hause gehen wollte.
Sie hatte noch die Kuchenkrümel vom Tisch abgewischt, an dem sie alle gesessen hatten, als die Ordensschwester, die für die Messdienerarbeit in dieser Gemeinde zuständig war, sie noch einmal ansprach.
"Daniela, sag mal, ich habe da von solch schlimmen Dingen in einer Münchner Gemeinde gehört." Sie sah sie prüfend an. "An den Ostertagen," setzte sie hinzu.
Daniela wusste nicht, wie sie reagieren sollte. "Ja," antwortete sie leise und senkte den Blick.
"Eine Messdienerin soll da..." Sie schwieg, sichtlich erschüttert. "Es wird Schlimmes gemunkelt. Ich habe es von Mitschwestern aus München. Einige Male gebrauchten sie ein Wort, dass du auch nanntest, als wir unser erstes Gespräch hatten, vor Weihnachten noch. Erinnerst du dich?"
Daniela erinnerte sich gut. Aber sie schüttelte den Kopf.
"Vielleicht weißt du noch, dass ich einen Witz gemacht hatte, wenn auch einen recht schlappen Witz. Ich sagte, so etwas gebe es nicht in unserer Kirche. Nur bei den Eishockeyspielern, bei den Kölner Haien gebe es so etwas." Die Nonne legte eine weitere Kunstpause ein. "Eine Strafbank," sagte sie schließlich.
Zum wiederholten Mal wischte Daniela über den Tisch, der bereits ganz frei von Krümeln war. "Kann sein," sagte sie vorsichtig. "So genau erinnere ich mich nicht mehr."
Schwester Hildegard verzog den Mund. Es war klar, dass sie ihr diese Antwort nicht abnehmen wollte. "Kanntest du das Mädchen?"
Daniela wischte ein weiteres Mal. Sie biss sich auf die Lippen.
"Letztes Jahr bist du hier bei uns ja nicht ganz freiwillig angefangen. Wenn ich mich recht entsinne, hatte eine Freundin aus München dich hier angemeldet, nicht wahr? Ist es ... ist es diese Freundin, der das alles passiert ist?"
Daniela erstarrte mitten in der Bewegung. Ihre Wisch-und-weg-Taktik hatte nicht funktioniert. So genau hatte sie bisher niemand auf den Vorfall angesprochen. "Ja," antwortete sie, ohne jedoch aufzuschauen.
"Ich glaube, sie kann dem Herrgott danken, dass nicht mehr passiert ist. Diese Strafbank, wie du sie genannt hast, muss ja ein furchtbares Ding sein?"
Daniela hatte keinen Zweifel daran, dass dieser letzte Satz eine Frage gewesen war. "Ja, furchtbar," stammelte sie verlegen. Noch immer lag ihr nichts an einer Unterhaltung über dieses Thema.
"Du hast sie gesehen?"
Warum konnte sie sie nicht einfach in Ruhe lassen? Sie nickte mit dem Kopf. Sie hatte Angst vor der nächsten Frage. Aber es kam eine andere Frage, als die, die sie erwartet hatte.
"Kannst du sie mir beschreiben?"
Jetzt blickte sie auf. Warum wollte Schwester Hildegard es so genau wissen? War es einfach nur Neugier? Oder doch Anteilnahme? Sie erklärte der Ordensfrau, wie genau die uralte Strafbank aussah und wie sie funktionierte. Aber während ihrer Beschreibung wünschte sie sich die ganze Zeit, ihre Worte mögen, sobald sie ihren Mund verließen, in unverständliches Volapük verwandelt werden.
Die Nonne schien sich mentale Notizen zu machen. "Ah... ja, ich verstehe. Und wenn man dann dort festgesetzt ist, hat man keine Chance....?" In ihrer Stimme schwang etwas mit, das Daniela nicht mochte. Etwas, das mehr war als pure Neugier. "Aber woher solltest du das wissen..."
"Nein!" Daniela räusperte sich. "Nein, ich weiß es nicht. Aber ich muss jetzt nach Hause. Noch etwas lernen für die Prüfungen in der nächsten Woche."
Schwester Hildegard bedankte sich bei ihr für die genaue Auskunft und bat sie, ihrer Freundin in München einen Gruß zu übermitteln. Dann öffnete sie ihr die Tür und widmete sich ihren Plänen.
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Klaus hatte die Nacht auf dem klapprigen Sofa in seinem Kabuff unterm Dach verbracht. Er war am Abend hier hochgekommen, um endlich einmal wieder das tun zu können, was er immer hier oben getan hatte: sich seiner Fantasie hinzugeben, sich treiben zu lassen, sich selbst zu befriedigen. Die Bilder der vielen Frauen, die er an die Wände geklebt hatte, stimulierten ihn, ließen sein Glied zum ersten Mal seit Monaten wieder hart werden, ohne dass er noch irgendwelche Schmerzen verspürte, wie in den ersten Wochen nach seiner Befreiung aus dem Keuschheitsgürtel. Aber er schaffte es nicht, zum Höhepunkt zu kommen. Immer wieder tauchten Bilder von seinem alter ego vor ihm auf, von seiner dunklen, verborgenen Seite. Dieses Ding da zwischen seinen Beinen... Er hatte verlernt, damit umzugehen. Nun gut, es würde wieder kommen, wenn er sich nur etwas Zeit ließe.
Klaus hatte unruhig geschlafen, die ganze Nacht war ihm etwas im Kopf herumgegangen, ohne dass er es richtig hatte fassen können.
Zu allererst wickelte er ein Bonbon aus, das die Oma ihm abends noch gegeben hatte. Ein kleines Betthupferl, hatte sie gesagt, nachdem sie mehrmals mühevoll das Wort Bon wiederholt hatte, ohne dass Klaus dahintergekommen war, was sie eigentlich meinte. Und das mit dem Betthupferl war so unverständlich gewesen, dass er es selber so zusammengereimt hatte.
Das Bonbon-Papier klebte an seinem Finger, als er es zusammengeknüllt auf den Tisch werfen wollte. Bonbon, dachte er. C´est bon! Auch erinnerte er sich an den Spruch über einer Kirchentür: Bonum intra, melior extra. Er wusste nicht, ob dieser Spruch wirklich stimmte, dass man gut eintrat und besser wieder austrat; zu selten war er aus eigenem Antrieb in die Messe gegangen. Und das da mit dem ´besser austreten´, das schienen viele heutzutage ja ganz anders zu verstehen.
Kassenbon. In einem Geschäft aber mochte es stimmen. Man hatte etwas gekauft, was man haben wollte, was man zum Leben brauchte, und verließ dann das Geschäft wieder in einem besseren Zustand als zuvor. Und man bekam sogar einen Bon mit!
Plötzlich merkte er, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Er hatte gestern beim Aufräumen in der Küche etwas gesehen! Flüchtig nur, aber doch wohl lange genug, dass es zumindest eine Spur in seinem Unterbewusstsein hinterlassen hatte.
Er strampelte die warme Decke von sich, ließ sie achtlos auf den nicht gerade sauberen Fußboden gleiten und beeilte sich, Hose und Sweat-Shirt anzuziehen. Dann sprang er die Treppe hinab und stürzte hinaus in den Garten.
Die Mülltonne! Für einen Moment hatte er Angst gehabt, wie in einem billigen B-Film dem Müllwagen hinterherlaufen zu müssen, aber gar so aufregend ist das wirkliche Leben nicht! Er öffnete den Deckel, auf dem seltsamerweise immer noch stand, dass man keine heiße Asche einfüllen sollte, obwohl er absolut niemanden mehr kannte, der etwas anderes als Gas- oder Fernheizung hatte, und zog den zusammengeknoteten Müllbeutel hervor, den er gestern hineingeschmissen hatte. Der Einfachheit halber riss er ein Loch hinein und schüttete den Inhalt auf eine der Platten des Gehweges. Da! Ein Kassenbon von seinem letzten Einkauf für die Oma! Er überflog den Bon und fand schließlich die Zeile, die er nie zuvor bewusst wahrgenommen hatte: ´Es bediente Sie Frau Meyer´. Und plötzlich wusste er, dass er noch eine Chance hatte!
Klaus nahm sich die Zeit, sich ordentlich um seine Großmutter zu kümmern. Immerhin hatte er eine verantwortungsvolle Aufgabe übernommen, die er nicht einfach in den Wind schießen konnte. Dennoch schaffte er es kaum, seine Ungeduld zu zügeln. Er musste sehen, dass er so schnell wie möglich zu sich nach Hause kam, um herauszufinden, ob er das große Los gezogen hatte, oder ob es eine Niete war.
Trotzdem er sich beeilte war es fast schon elf Uhr geworden, bevor er aus dem Haus kam. Er bestieg seinen Roller, warf den Motor an und fuhr so schnell, wie es das kleine Maschinchen erlaubte, zu jenem Haus hinüber, in dem er seit einigen Monaten die kleine Dachwohnung bewohnte.
Er schloss auf, warf seinen Helm auf das kleine Schränkchen und stürzte atemlos ins Wohnzimmer, wo er seine Whiskyflasche aufbewahrte. Er stellte den Schmuckkarton auf den Tisch, öffnete ihn und zog die Flasche heraus. Für einen Moment setzte sein Herz ein, zwei Schläge aus, als er keinen Bon am Boden der Flasche kleben sah, dann aber warf er einen Blick in den Boden des Kartons und sah dort den gesuchten Zettel liegen. Mit zitternden Fingern fischte er ihn hervor, las, wie gestern schon, den Preis auf der einen Seite, bevor er den zusammengefalteten Zettel umdrehte. Das hatte er gestern nicht getan! Dort standen einige kryptische Angaben, dann Datum und Uhrzeit seines Kaufs, und schließlich, unter all diesen Angaben, diejenige, die er suchte: Es bediente Sie Fr. Kallipke.
Kallipke?? Kein Wunder, dass sie ihren Namen nicht hatte nennen wollen!
Flugs griff er zum Handy, tippte die Nummer des Supermarktes und konnte vor lauter Herzklopfen kaum das Besetztzeichen hören. Verdammt verdammt!! Er mahnte sich zur Ruhe, überlegte noch einmal, was er eigentlich sagen wollte - es durfte nicht wieder in die Hose gehen. Wie hatte Lisbeth Salander aus seinem Roman das immer genannt? Konsequenzanalyse.
Sie würde nicht ihn sprechen wollen. Sie wollte Barbara. Im Grunde genommen war dies das einzige, was er mit ziemlicher Sicherheit wusste. Er kannte sie ja kaum; nur einige wenige Male war sie überhaupt bei ihm gewesen. Und er hatte nie Sex mit ihr gehabt... was aber ein ziemlich dehnbarer Begriff war, seit selbst ein amerikanischer Präsident einmal alle Eide geschworen hatte... "I did not have sex with that woman!"
Er musste sich konzentrieren... sie musste sich jetzt konzentrieren. Er drückte die Wahlwiederholungstaste seines Handys, diesmal kam ein Rufzeichen. Es war gottlob nicht dieselbe Stimme wie gestern Abend, die sich meldete.
"Hallo! Entschuldigen Sie bitte die Störung..." Verdammt, wieso entschuldigte er sich denn schon wieder "... ich hätte gern einmal mit Frau Kallipke gesprochen." Banges Warten.
"Mit Eva?"
Also doch! Eva! "Ja, bitte, wenn es möglich wäre."
"Tut mir leid. Das ist nicht möglich. Frau Kallipke arbeitet nicht mehr bei uns." Pause.
"Oh!" Er konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. "Vielleicht könnten Sie mir Evas Telefonnummer geben?"
"Tut mir leid. Das ist nicht möglich." Konnte sie denn immer nur das sagen? "Wer spricht denn?"
"Barbara. Sie hatte mich gebeten, sie zu kontaktieren..."
"Warten Sie bitte einen Moment!"
Klaus hörte, wie die Dame am Telefon scheinbar nach etwas suchte, dann vernahm er ganz leise das Tuten eines anderen Telefons. Schließlich hörte er seine Gesprächspartnerin wieder. "Eva --- Ja, ich bin´s. Ich habe hier eine Bekannte von dir im Telefon, die meint, du hättest sie gebeten, dich anzurufen. Scheinbar hast du vergessen, ihr deine Handynummer mitzugeben. ---- Ja ---- ja --- Barbara --- ja, okay, mach ich! Okay du, mach´s gut, und lass dich mal wieder blicken. Ciao!"
Die Stimme wurde wieder lauter. "Hallo?? Sind Sie noch da?"
"Ja, ich bin noch da." Nun sag schon, was Sache ist, du alte Kuh! Mach es nicht so spannend!
"Sie haben Glück! Eva - Frau Kallipke - lässt Sie grüßen und sagt, sie käme in einer halben Stunde zu Ihnen, wenn´s recht ist."
Klaus bedankte sich höflich, beendete das Gespräch und rannte dann auf die Toilette, wo er sich übergab.
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Annegret Meisner litt Qualen. Die alte Frau hatte vergeblich versucht, einmal allein aus dem Bett hochzukommen, aber ihr schlimm verstauchter Fuß wollte einfach nicht besser werden. Nie hätte sie sich träumen lassen, dass der Heilungsprozess sich so sehr in die Länge ziehen würde. Vielleicht lag es aber auch an diesem furchtbaren Brei, den sie seit ihrem Sturz als einzige Nahrung zu sich nehmen konnte.
Qualen litt sie aber auch wegen ihres gescheiterten Versuchs, eine dumme Verfehlung der Vergangenheit ungeschehen zu machen. Langsam begriff sie, dass sie die Mauer des Schweigens, die sie jahrelang vor sich aufgebaut hatte, nicht länger würde halten können. Das Fundament war morsch und brüchig geworden, denn das Fundament, auf welchem ihr Lügengebäude aufgebaut war, war ihr eigener, langsam verfallender Körper.
Unvermittelt hatte sie erkennen müssen, dass es nicht schön war, alt zu werden. Dass man in vorher ungeahntem Maße von der Hilfe anderer abhängig werden konnte, anderer, die plötzlich freien Zugang zu Dingen erhalten konnten, die nicht für sie gedacht waren. Lebensgeheimnisse, die nicht länger geschützt werden konnten.
Sie fragte sich, wer eigentlich hatte beschützt werden sollen. Lange hatte sie geglaubt, im guten Sinn zu handeln, eher andere vor deren eigenen Fehlern schützen zu müssen, aber sie konnte sich nicht länger vor der Erkenntnis verschließen, dass sie selber es gewesen war, die das Licht der Öffentlichkeit gescheut hatte, wenn sie das ihr angetragene Wissen weitergegeben hätte.
Kraftlos ließ sie sich in ihre Kissen zurückfallen. Sie wusste, dass es zu spät war, etwas zu bereuen. Instinktiv hatte sie gepürt, dass der Schaden, den sie zwar nicht zu verantworten , den sie aber auch nicht verhindert hatte, als noch Zeit gewesen war, dass dieser Schaden längst eingetreten war.
Barbara!
Immer wieder musste sie über jene Schrecksekunde nachdenken, in der sie diesen Namen ganz plötzlich ausgestoßen hatte. Immer wieder sah sie die fatale Reaktion ihres Neffen, der wie vom Blitz getroffen stehen geblieben war und sich zu ihr umgedreht hatte, den Schrecken in den weit aufgerissenen Augen. Auch wenn es nur die eine berühmte Schrecksekunde gewesen war.
Seitdem dies am Tage zuvor geschehen war, hatte sie immer wieder versucht, eins plus eins zusammenzuzählen. Seine immer seltener werdenden Besuche bei ihr. Das Klingeln eines Handys aus der Kirche, als sie versucht hatte, ihn anzurufen. Diese junge Frau mit ihrem wehenden Petticoat, die sie mehrmals auf einem Roller gesehen hatte, der genauso aussah, wie der von Klaus. Egal, wie sie es drehte und wendete, es kam immer dasselbe Ergebnis dabei heraus: sie kapierte es nicht.
Instinktiv spürte sie, dass seit gestern irgendetwas Neues vorgefallen sein musste. Klaus hatte abwesend gewirkt, hatte nicht, wie sonst üblich, seine kleinen Scherze mit ihr getrieben. Im Laufe des Morgens hatte er immer wieder verstohlen auf die Uhr geschaut, wie jemand, der es verdammt eilig hat.
Hatte er etwas gemerkt? Sie hatte, trotz ihrer Behinderung, mitbekommen, wie er durchs Haus geschlichen war. Und sie hatte das charakteristische Quietschen der Kellertür gehört. Was hatte er gesucht? Was auch immer, bis jetzt schien er noch nichts gefunden zu haben, dessen war sie sich sicher. Eines war ihr durchaus klar: würde er etwas finden, dann würde es unausweichlich zu einer Reaktion kommen, einer Reaktion, vor der sie sich mehr fürchtete, als vor dem eigenen Tod.
Die alte Frau Meisner schloss die Augen. Sie hielt den Atem an, so als hoffe sie, der Tod würde ihr gnädig entgegenkommen, wenn sie jetzt nur lange genug die Luft anhielte, aber er kam nicht, ließ sich nicht einfach herbeizwingen, wollte ihr kein Schlupfloch bieten. Sie würde es ausbaden müssen, würde für ihr Schweigen büßen müssen, so wie schon Pastor Flemming für das seine.
Fieberhaft überlegte sie, ob ihr nicht irgendjemand würde helfen können. Gab es jemand, den sie um einen kleinen Gefallen bitten konnte, ohne diese Person ins Vertrauen zu ziehen?
Erst jetzt begriff sie, wie isoliert sie ihr Leben zugebracht hatte. Ihre Tochter lebte seit Jahren schon im Ausland. Zur Nachbarin auf der anderen Seite des Grundstücks hatte sie jeglichen Kontakt abgebrochen. Die letzte Person, mit der sie immer noch zusammengekommen war, der Pastor, war tot. Ebenso tot wie viele ihrer Nachbarn, in deren Häuser junge Familien eingezogen waren, mit denen sie nie etwas zu tun haben wollte.
Sie war in seiner Hand. Außer ihm gab es keine andere Person mehr in ihrem Leben. Sie wünschte sich, nie wieder ihre Augen öffnen zu müssen.
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Keuschling |
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Sklave/KG-Träger
um Ulm herum...
zur Sicherheit besser verschlossen, zur Zeit im Neosteel TV-Masterpiece...
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RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust")
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Datum:25.11.12 22:37 IP: gespeichert
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Hi Daniela,
wunderschöne Fortsetzung, die zwar einige Fragen aufklärt, beispielsweise wer E. war, aber doch auch einige hinterläßt, so etwa was das dunkle Geheimnis der Oma betrifft (teils wohl schon etwas gelüftet in früheren Episoden, aber nie völlig), und was wohl im Keller zu finden ist. Schön allerdings, daß Klaus den Kontakt zu Eva wiederherstellen konnte. Wie leicht kann so ein Kontakt im realen Leben einfach verlorengehen, da hat er viel Glück gehabt.
Es bleibt spannend, wie es nun mit Monika weitergehen wird, und wie Daniela ihr nun helfen kann. Und es ist wirklich merkwürdig, daß Schwester Hildegard ein so großes Interesse an Strafbänken entwickelt...
Freue mich schon auf nächsten Sonntag!
Keusche Grüße
Keuschling
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Stamm-Gast
Österreich
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RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust")
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Datum:01.12.12 20:58 IP: gespeichert
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Liebe DAniela!
Wenn "Dir" wirklich ein paar Leser "abgesprungen" sind, so kann das daran liegen, dass jedes Forum eine Mitgliederfluktuation hat. Das bedeutet aber auch, dass Du sicherlich neue Leser hast, die es halt bisher nicht so wissen, wie sie das Lob für Deine Schilderungen formulieren sollen. Nur zu schreiben "toll" oder "gut" wäre einfach zu wenig. Die Qualitäten Deiner Schilderungen sind nicht so einfach auf einen Nenner zu bringen. Nicht umsonst hast Du Dir beim Schreiben so viel Mühe gemacht.
Besten Dank
Maximilian Alt werden will jeder, alt sein aber keiner
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AlterLeser |
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RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust")
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Datum:02.12.12 20:26 IP: gespeichert
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Hi Daniela,
vorangesetzt mein dankeschön für das prompte Erscheinen der Fortsetzung.
Jetzt bin ich von Dir aber verunsichert, was mag Klaus seine Oma noch haben was Klaus vielleicht in ihrem Keller entdecken kann? Scheint ja was größeres zu sein. Dir ist es gelungen mich nach der Lektüre mit einigen Fragen zurück zulassen.
Wie schon deine anderen Storys gefällt mir der Anfang von ¨Agonie¨ sehr gut. Lese immer erst quer und danach erst so richtig langsam damit ich nichts überlese. Bitte weiter so.
Das brauch ich hier nicht hin zu schreiben da du ja deine Story zu 98% fertig hast. Also steht die pure Freude ins Haus. Mal sehen.
So zum Schluß bitte erwarte nicht zu viel von den Leser in unserem Forum die lesen gerne kommentieren schon mal einige Kapitel und tanken danach nur die Freude der Geschichte. Laß dich aber davon nicht abhalten weiter deine Story zu posten, bitte.
Lg der alte Leser Horst.
02.12.2012
Gruß der alte Leser Horst
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RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust")
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Datum:02.12.12 22:00 IP: gespeichert
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Der erste Schnee ist gefallen, passend zum Winteranfang und 1. Advent. Jetzt wünsche ich allen Lesern viel Vergnügen mit unserer kleinen Geschichte. Langsam wird es spannender... Und wie immer auch ein Dank an die Leser, die mir geschrieben haben!!!
Bemerkt bitte, dass ich die nächsten beiden Sonntage verreist bin, weswegen man nicht mit dem üblichen Zeitpunkt für die Fortsetzung rechnen kann. Aber ich werde mich bemühen, es irgendwie hinzubekommen! Eure Dani
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Es war ganz einfach. Er würde sich totstellen, würde einfach nicht auf ihr Klingeln reagieren. Klaus hatte sich den Mund ausgespült und einen Schluck Wasser getrunken. Es ging ihm besser, aber nur ein wenig. Er wusste, dass er unverzeihlichen Mist gemacht hatte, hatte einen Moment lang vergessen, dass diese Frau ihn gar nicht haben wollte. Diese Frau - Eva, jetzt hatte er ja einen Namen - wollte Barbara. Aber Barbara lebte nicht mehr. Sie war dahingeschieden, als die Ereignisse um Ostern alles wieder ins Lot gerückt hatten.
Er hatte kein Verlangen verspürt, sie wiederzubeleben. Jedesmal, wenn er in den Spiegel geschaut hatte, hatte er nur noch Klaus sehen können. Im Stillen musste er Daniela dafür danken, dass sie ihm die schulterlangen Haare geschnitten hatte, für ihn war es wie eine Befreiung gewesen.
Gerade überlegte er, wie lang wohl eine halbe Stunde sein mochte, als es klingelte. Sein Herz begann zu rasen, nur mit Mühe konnte er sich zur Ruhe zwingen. Lass sie klingeln, bis ihr der Finger abfällt, dachte er. Wie lange mochte sie durchhalten? Irgendwann würde sie kapieren, dass er nicht zu Hause war. Dann aber fiel ihm sein Roller ein, den er direkt neben dem Eingang abgestellt hatte, und sein Puls beschleunigte sich wieder.
Dann wurde es still. Nur der eigene Herzschlag wummerte noch in seinen Ohren. Er wollte schon erleichtert aufatmen, als er das Gefühl hatte, dass sich ein anderer Laut in seine Herztöne eingeschlichen hatte. Es waren eindeutig Schritte zu vernehmen, Schritte, die langsam seine Treppe hinaufkamen.
Sein Mund war staubtrocken. Er wagte es nicht, auch nur mit den Augen zu blinzeln. Gebannt starrte er auf seine Wohnungstür. Jemand klopfte zaghaft an.
"Barbara??"
Es war ihre Stimme! Wie hatte sie die Haustür öffnen können? Das Klopfen wurde lauter.
"Barbara?? Bist du zu Hause? Ist was passiert? Brauchst du Hilfe?"
Was hätte er sagen sollen? Wie hätte er es in Worte fassen können, was in den letzten Wochen passiert war? Und dass Barbara keine Hilfe mehr brauchte? Er beschloss, allen anderen Wünschen feierlich zu entsagen, wenn nur der eine Wunsch jetzt in Erfüllung ginge, dass sie wieder gehen möge. Bitte geh! Hau ab! Lass mich in Ruhe! Es gibt keine Barbara mehr!!
Er hörte ein leises Kratzen von der Tür, dann sah er, wie ein dünnes Stück Plastik durch den Türspalt geschoben wurde. Das Plastikding - was immer es auch sein mochte - wurde durch den Türspalt nach unten gezogen, es gab ein kurzes Klacken und die Tür sprang auf.
Sie erstarrte, als sie ihn sah. Sie legte ihren Kopf leicht auf die Seite und runzelte die Stirn.
"Hallo Eva!", sagte er.
Sie schwieg. Statt einer Antwort ließ sie die Tür hinter sich ins Schloss fallen, indem sie ihr einen leichten Fußtritt verpasste. Sie verzog den Mund zu einer Schnute: "Barbara wollte mich sehen..."
Klaus senkte den Blick. Stimmte es denn nicht, was sie gesagt hatte? "Sie... sie ist nicht da."
"Nicht?" Sie ging in sein kleines Schlafzimmer, öffnete ihren Kleiderschrank und warf diverse Sachen aufs Bett. "Komm!"
Er wusste nicht, warum er ihren Worten folgte. Sie zog ihn ins Zimmer. "Ich warte im Wohnzimmer auf dich! Zehn Minuten. Wenn du dann nicht kommst, dann gehe ich!"
Sie ließ ihn allein. Er zog sich aus, schlüpfte in BH und Miederhöschen, streifte die Feinstrumpfhose über seine Beine. Dann füllte er die Cups seines BHs mit den künstlichen Brüsten, so wie er es den ganzen Winter über getan hatte. T-Shirt und Petticoat folgten, dann ein dünner Pullover, sein gepunkteter Rock, der breite Elastikgürtel, seine high heels.
Es fühlte sich gut an. Aber es war falsch.
Eva saß im winzigen Wohnzimmer und blickte auf die Uhr. Die Minuten verstrichen, aber Barbara kam nicht. Als zehn Minuten vergangen waren, stand sie auf und ging hinaus ins Flur. Sie legte ihre Hand auf die Türklinke und drückte diese runter. So blieb sie stehen und wartete weitere zwei Minuten.
Es war so still. Auch aus dem Schlafzimmer kam kein Laut mehr. Sie ging zur Tür, klopfte leise an. "Barbara?"
Sie antwortete nicht. Was sollte sie machen? Vorsichtig öffnete sie. Barbara saß auf dem Bett, zusammengesunken, verstört. Sie hatte ein Makeup-Set neben sich liegen. Ihre Hände zitterten.
"Ich... ich kann nicht..." Tränen liefen ihre Wangen hinab.
"Schhhh! Schon gut, Kleines! Wart mal, ich helfe dir. Hast du irgendwo ein Papiertaschentuch? Ah, ich seh schon!"
Er ließ sich fallen. Fallen in ihre Obhut. Es war schön. Aber es war falsch.
Geschickt machte sie ihr das Gesicht, half ihr mit der Perücke, die sie in einer Schublade fand. Dann zog sie sie hoch und schmiegte sich an sie. "Hallo Barbara", flüsterte sie. "Ich habe dich vermisst... du... du hast mir gefehlt! Ich dachte schon, du lebst nicht mehr."
Statt einer Antwort spürte sie nur, wie Barbara heftig und unkontrolliert aufatmete. Ein Schluchzen entrang sich ihrer Brust. "Sie war tot."
"War sie? Du meinst, ich habe eine Tote zum Leben erweckt?" Eva lachte leise. "Es geschehen also doch noch Zeichen und Wunder!" Ihre Hand fühlte Barbaras weiche Brüste. Sie griff in ihren Schritt und fühlte eine Beule, die dort nicht sein sollte.
Ihre Stimme wurde ernst. "Du hast sie sterben lassen? Du weißt, dass das bestraft werden muss!?"
Barbara nickte. Klaus war weg.
"Hast du deinen Keuschheitsgürtel noch? Und den BH?"
Sie zeigte ihr, wo sie die Sachen aufbewahrte.
"Zieh sie an! Beides! Pass aber mit deinem makeup auf! Und wart mal, die hier nehme ich besser gleich an mich!" Sie zog die Schlüssel von den kleinen Schlösschen, dann ging sie wieder zurück ins Wohnzimmer.
Wieder saß sie im Sofa und wartete. Diesmal würde sie bis zum Ende warten. Entweder bis zum Ende ihrer Beziehung, oder bis Barbara käme. Sie sah auf ihre Uhr. Die Minuten vergingen. Wie lange würde Barbara brauchen? Sie würde sich wieder ausziehen müssen, um in ihre Keuschheitsdinger zu schlüpfen. Eva sah auf die kleinen Schlüssel in ihrer Hand. Es war das erste Mal, dass sie sie hatte. Im Grunde genommen wusste sie nicht einmal, was sie mit ihnen anfangen sollte, denn sie war nicht an Klaus interessiert.
Sie sah sich um. Es gab einige halb vertrocknete Blumen auf der kleinen Fensterbank, sie hob einen der Blumentöpfe hoch und legte die Schlüssel darunter. Dann setzte sie sich wieder ins Sofa.
Sie erschrak, als sie plötzlich jemanden hinter sich spürte. Klaus, oder Barbara?
Barbara lächelte sie unsicher an. "Besser?", fragte sie.
Eva stand auf, legte ihre Hände auf Barbaras Brüste. Sie spürte den harten Stahl unter ihren Fingern. Sie griff ungeniert in den Schritt, jetzt war es so, wie es sein sollte. Sie küsste Barbara leidenschaftlich. "Danke. Du bist meine beste Freundin, Barbara. Es war einsam ohne dich in den letzten Wochen!"
Barbara ließ es zu, denn es war schön. Egal, ob richtig oder nicht.
"Sag mal, wollen wir deine Wiederbelebung nicht feiern? Hast du was im Kühlschrank?" Ohne eine Antwort abzuwarten sah sie selber nach; gähnende Leere war alles, was sie fand, von einem Glas Oliven abgesehen. "Hm? Nicht gerade viel. Komm, wir gehen aus! Was brauchst du? Jacke, Tasche? Alles hier, wie ich sehe."
Eva war ihr voraus an die Garderobe gegangen. Barbara zögerte. "Du willst ausgehen? Mit mir? So?" Eine lächerliche Frage. Er hatte mehrere Monate als Frau verbracht, hatte sich daran gewöhnt, in Frauensachen auf die Straße zu gehen. Auch an das Einkaufen. Jetzt aber war er unsicher. Seine Hand glitt in seinen Schritt, federnd sträubten sich seine Petticoats gegen die Berührung. Er drückte fester. Da war nichts.
Sie atmete tief durch. Eva half ihr in die Jacke. Dann verließen beide die Wohnung.
Eva hatte sich bei ihr untergehakt. Sie war etwas kleiner als Barbara, die obenderein auch noch hohe Absätze trug. Zusammen gaben sie ein durchaus nett anzusehendes Paar ab, allerdings ein Paar, welches an seiner sexuellen Orientierung keinen Zweifel ließ. Barbara atmete erleichtert auf, dass wenigstens die Zeiten vorbei waren, in denen lesbische Paare noch einer Art Hexenverfolgung unterlagen. Lange war das noch nicht her; er wusste, dass selbst seine Großmutter kein gutes Haar an Menschen ließ, die anders als normal waren, also heterosexuell. Seltsamerweise war Sex nie ein Thema gewesen, über das man hätte diskutieren können, alles wurde immer nur totgeschwiegen, so als könne man unbequeme Wahrheiten durch Schweigen allein aus dem gesellschaftlichen Leben verbannen. So, wie sie jetzt neben Eva durch die Stadt schlenderte, dürfte ihre Oma sie nie sehen! Hatte denn die alte Dame überhaupt eine Vorstellung davon, was es sonst noch alles so gab? Wohl eher nicht. Woher sollte sie diese auch haben? Wer sein Leben lang immer nur in ´Heiligen Schriften´ liest, der würde nie einen offenen Zugang zu all jenen Dingen bekommen, die dort höchstens unter dem Begriff Teufelswerk zusammengefasst waren.
"Wo gehen wir hin, Eva?", fragte sie das Mädchen neben sich, während ein warmer Windhauch unter ihren Petticoat griff. Verschämt drückte sie ihre hochfliegenden Röcke an sich.
"Nun ja, viel gibt das schmale Budget einer Studentin nicht her. Wie wäre es mit McDoof?"
Sie studierte? "Nennst du das feiern?"
"Hast du einen besseren Vorschlag?"
Nein, Barbara hatte keinen besseren Vorschlag. McDonald´s war nie so ganz verkehrt. Man brauchte nicht lange auf sein Essen zu warten, wusste, was man bekam, wurde schnell satt und seltsamerweise meist genauso schnell wieder hungrig.
Eva ging ihr voraus durch die große Drehtür. Sie stellten sich an einer kurzen Schlange an, überlegten beide, was sie nehmen sollten, als Barbara plötzlich ein Gespräch hinter sich aufschnappte, das sie äußerst nervös machte.
"....kann man ja sagen was man will, aber meiner Meinung nach sind die Pommes bei BurgerKing besser! Was meinst du dazu, Andrea? Du musst das doch wissen... ach nee, ihr Italos kennt euch ja nur mit Spaghetti aus!" Es folgte ein dummes Lachen, so als freue sich der Sprecher, einen ungemein guten Witz gemacht zu haben, dann antwortete die angesprochene Italienerin, allerdings mit einer Stimme, die Barbara sofort herumfahren ließ. Andrea!! Sie erinnerte sich sofort an diesen Typ! Der Abend in der Kirche, als sie... nein, als er mit ihr.... nein, als er mit ihm dasselbe gemacht hatte, was er Monate zuvor mit Daniela gemacht hatte.
Barbara tat genau das, was sie besser hätte bleiben lassen: sie starrte den Italiener mit dem für deutsche Ohren weiblichen Vornamen an, als wäre sie gerade dem Leibhaftigen persönlich begegnet. Aber im selben Augenblick riss Eva sie herum, zärtlich, aber bestimmt, und gab ihr einen tiefen Zungenkuss.
Barbara hörte nur ein lautes ´Santo cielo! Che bello!´ hinter sich, dann war ihre Konzentration abgelenkt, denn sie musste dringend Luft holen; außerdem war es Zeit, ihre Bestellung aufzugeben. Als sie sich schließlich wieder umdrehte, waren die jungen Leute verschwunden, mit ihnen Andrea. Hatte er etwas gemerkt? Barbara erhaschte einen Blick in einen Spiegel; Eva hatte sie besser zurechtgemacht, als es ihr je selber gelungen war. Man hätte schon recht heftig am Makeup kratzen müssen um zu sehen, dass sie keine richtige Frau war. Und dazu kam noch, dass es an jenem Abend in der Kirche dunkel gewesen war, und der Italiener sich aus anatomischen Gründen nie seinem - ihrem - Gesicht genähert hatte.
Barbara und Eva fanden einen freien Tisch in einer Ecke. Das Paar hatte schon genug neugierige Blicke auf sich gezogen, vielleicht nicht so sehr Eva, wohl aber Barbara mit ihrem raschelnden Petticoat. In einer Stadt wie München gab es zwar nichts, was es nicht gab, aber die Petticoatmode vermochte auch ein halbes Jahrhundert nach ihrer größten Blütezeit immer noch vielen den Kopf zu verdrehen. Irritiert stellte Barbara fest, dass sie mehr Blicke junger Männer auf sich zog, als mehrere junge Mädchen in knappen Miniröcken, die gerade durch die Drehtür hereingekommen waren.
"Und, wie fühlst du dich?", fragte Eva zwischen zwei Bissen.
"Gut."
Eva grinste sie an. "Da bin ich wohl gerade noch rechtzeitig in dein Leben zurückgekehrt, Barbara! Sag mal, wer hat sich eigentlich diesen blöden Namen für dich ausgedacht?"
Barbara reagierte sauer. "Was heißt hier: blöder Name? Deiner ist ja wohl auch nicht viel besser!" Vergeblich bemühte sie sich, eine Tomatenscheibe nicht aus ihrem Burger fallen zu lassen.
"Wieso? Eva ist doch ein schöner Name! Sogar Wall-E hat sich in eine Eva verliebt!"
"Ich meine deinen Nachnamen! Callypso, oder so ähnlich. Auf jeden Fall echt scheiße!"
"Kallipke! Findest du nicht, dass du ein wenig frech wirst? Aber da habe ich etwas für dich! Solch eine Unverschämtheit kann ich schließlich nicht einfach durchgehen lassen!" Eva begann in ihrer geräumigen Tasche zu kramen. Mit lautem Scheppern warf sie etwas auf den Tisch, das Barbara sofort erkannte. "Hier, zieh das mal an! Und keine Widerrede, sonst kannst du mich gleich wieder vergessen!"
Barbara blickte entsetzt auf die blank polierten Schenkelbänder, die Eva vor ihr auf den Tisch geworfen hatte. Beide waren bereits mit einer sehr kurzen Kette miteinander verbunden. Schnell blickte sie sich um; noch hatte keiner zu ihnen hinübergesehen. Eiligst nahm sie die Dinger mit ihren langen Ketten und legte sie sich unter der Tischplatte auf den Schoß.
"Wo hast du denn die her?"
"Ich hab sie eingesteckt, als wir bei dir zu Hause waren. Du hattest zum Anziehen ja nur den Keuschheitsgürtel und deinen Keuschheits-BH mit ins Schlafzimmer genommen!" Eva gab sich keine Mühe, ihre Stimme zu senken. Zwei Mädchen, die am Fenster saßen, begannen leise zu kichern. "Also los, mach schon, zieh dir die Dinger an! Ich hab ja nicht den ganzen Tag Zeit!"
"Wie jetzt", stammelte Barbara, die vor lauter Scham einen hochroten Kopf hatte, "hier?"
"Das ist mir egal. Du kannst dir die Dinger hier anlegen, oder du kannst es auf der Toilette machen, falls du lieber damit durch den ganzen Laden gehen möchtest." Sie zuckte die Schultern. "Ist mir, ehrlich gesagt, total egal. Aber mach hin!"
Barbara musste schlucken. Irgendwie war es doch gerade so schön gewesen, und jetzt kam es schon wieder ganz anders! Sie stand auf, schlüpfte in ihre Jacke und stopfte die beiden Metallreifen mit den klirrenden Ketten unter den weichen Stoff. Hier am Tisch würde sie so etwas nicht machen!
Genervt drückte sie sich an den beiden Mädchen vorbei, die ihr neugierig hinterherschauten. Bloß nicht reagieren!, dachte sie.
Sie suchte die Toilette auf, die glücklicherweise gerade frei war. War sie sauber? Ja. Eines musste man diesen McDonald´s Leuten ja lassen, Dreck hatte bei ihnen keine Chance!
Eiligst setzte sie sich auf den Deckel der Toilette, schlüpfte aus ihren high heels und steckte ihre Füße durch beide Stahlreifen, die ja mit einer sehr kurzen Kette miteinander verbunden waren. Die Reifen selber waren, genauso wie ihr BH und der Keuschheitsgürtel, mit einer schwarzen Gummikante unterfüttert. Es war schon einige Monate her, dass sie das zweifelhafte Vergnügen der Schenkelbänder gehabt hatte, sie erinnerte sich zu gut daran, welche Restriktionen ihr die verdammten Dinger auferlegt hatten. So kam es, dass sie nun doch einige lange Minuten zögerte, bis sie die langen Ketten an den seitlichen D-Ringen des Keuschheitsgürtels befestigte. Erst wiederholtes Klopfen an die Tür brachte sie dazu, die kleinen Schlösser einzusetzen und zuzudrücken. Mit einiger Mühe schlüpfte sie wieder in ihre Schuhe und ordnete ihre Röcke, bevor sie die Tür öffnete.
"Wurde aber auch Zeit! Ging das nicht schneller?" Eines der beiden Mädchen vom Fensterplatz stand vor ihr und sah sie herausfordernd an. "Ich wollte schon fragen, ob ich ablecken kommen soll?" Dann, schneller als Barbara reagieren konnte, griff diese ihr unter den Rock. "So ein hübscher Rock! Siehst ja echt totschick aus, Süße! Hat die Oma dir was aus ihrem Kleiderschrank geliehen??" Sie lachte laut auf und drängte sich dann an ihr vorbei durch die Tür. "Nun mach schon Platz, sonst piss ich hier gleich noch alles voll!"
Barbara vermied es, ihr in die Augen zu blicken. Irgendwie spürte sie, dass von dieser Frau etwas höchst Negatives ausging. Mit sehr vorsichtigen Schritten ging sie zurück an ihren Platz und sah, dass von Eva nichts mehr zu sehen war.
Sie ist bestimmt nur zum Rauchen nach draußem gegangen! Beruhige dich! Barbara setzte sich noch einmal hin, stellte fest, dass all ihre Sachen noch da waren, dann aber merkte sie, dass Eva ihre eigenen Sachen schon mitgenommen hatte. Auf dem Tisch lag eine Serviette, auf der etwas geschrieben stand.
Barbara! Ich bin mal kurz weg. Musste schnell mal was erledigen. Bin in spätestens einer Stunde bei dir zu Hause. Die Schlüssel liegen auch alle bei dir! bis dann! E.
Sie zwang sich zur Ruhe. Eine Stunde? Nun gut, kein Grund zur Panik. Mach einfach alles, wie sonst auch immer. Bring dein Tablett weg. Zieh deine Jacke an und vergiss die Handtasche nicht! Niemand beobachtet dich!
Sie wusste aus eigener Erfahrung, dass kein Gedanke schlimmer war als derjenige, dass sie von niemandem beobachtet wurde. Wenn sie nur etwas schneller gehen könnte! Warum hatte sie sich denn bloß diese verdammten Schenkelbänder angelegt? Sie bemühte sich, nicht ständig zurückzublicken. Dann aber fiel ihr auf, dass die Schrittkette zwischen ihren Beinen laut schepperte. Oder kam es nur ihr so laut vor?
Folgte ihr jemand? Sie blieb stehen und sah sich verstohlen um indem sie so tat, als suche sie etwas in ihrer Handtasche. Nein, da war niemand. Aber dass sie niemanden sah bedeutete ja eigentlich nicht, dass da wirklich niemand war.
Barbara stolperte weiter, jetzt doch einen kleinen Schritt schneller als vorhin. Als sie an der Peter und Paul-Kirche vorbeikam wählte sie den kleinen Pfad, der hinter der Kirche lang ging. Sie wusste nicht, warum sie es tat. Eine Abkürzung war das ja eigentlich nicht.
Schritte! Sie hörte deutlich Schritte hinter sich! Doch jedes Mal, wenn sie stehen blieb, verstummten auch die Schritte. Was war das?
Klaus fühlte sich mehr als unwohl. Was sollte das hier alles? Wieso war er in diese Rolle zurückgefallen, und was hatte er sich denn bloß dabei gedacht, sich einer wildfremden Person so auszuliefern? Wohl nicht ganz bei Trost, oder?
Er ging langsam weiter und stellte fest, dass die Schritte, die er gehört hatte, nur seine eigenen waren, deren hartes Geklackere von der Kirchenmauer reflektiert wurde. Er blieb stehen und verschnaufte einen Moment. Höchstens noch eine Viertelstunde, dann wäre er wieder bei sich zu Hause!
Er erinnerte sich, dass es im Winter Wochen gedauert hatte, bevor er seine neue Rolle wirklich angenommen hatte. Ständig hatte er Kontrollblicke in alle Himmelsrichtungen ausgesandt, ständig Angst gehabt, andere Leute könnten seine wahre Identität, sein wahres Geschlecht enthüllen. Erst nach und nach war es ihm gelungen, selber die ihm aufgezwungene Rolle anzunehmen, sich als Barbara zu fühlen. Egal, was die Leute über ihn - über sie - dachten. Jetzt aber waren seit Ostern schon wieder einige Wochen ins Land gegangen, seine Barbara-Identifikation hatte ihn wieder verlassen. Jetzt fühlte er sich nur wieder wie ein verkleideter Mann; ein Mann, der Angst hatte, jemand könne mit dem Finger auf ihn zeigen.
Noch ein letztes Mal sah er sich um, bevor er das kleine Törchen zum Vorgarten öffnete und in den schmalen Weg zum Seiteneingang einbog. Er fand seine Schlüssel, schloss auf und beeilte sich, die Treppe zu seiner Dachwohnung hochzukommen. Oben kickte er die blöden Schuhe von sich, ließ Jacke und Handtasche achtlos auf den Boden fallen und ging sofort ins Wohnzimmer um nachzusehen, wo Eva die Schlüssel zu seinem Keuschheitsgeschirr hingelegt hatte.
Nein, da war nichts. Vielleicht doch im Schlafzimmer? Er sah im Bett nach - Fehlanzeige. Nichts lag im Schrank oder auf dem ´Nachttisch´ - eigentlich nur ein umgedrehter, stabiler Pappkarton.
In der ´Küche´ war auch nichts. Sollte er wirklich den ganzen Zuckertopf ausschütten? Ach, Quatsch, das war hier doch kein Spionageroman!
Irgendwo hörte er sein Handy läuten. Er fand es in seiner Handtasche, die noch im winzigen Flur auf dem Boden lag. "Oma?? -- Nein, es wird wohl etwas später werden -- ja doch, ich bemühe mich zu kommen, so schnell es geht -- tschüss!"
Klaus sah auf die Uhr. Es ging schon auf 16 Uhr zu. Es konnte nicht mehr allzu lange dauern, bis Eva endlich kam. Was sollte das denn bloß? So mir nichts dir nichts zu verschwinden? Bestimmt gab es gar keine wichtigen Dinge, die sie erledigen musste. Vielleicht hatte sie ihn nur testen wollen?
Müde setzte er sich in einen Sessel und wartete. Sollte er sich vielleicht schon einmal ausziehen? Aber was hätte er anziehen sollen? Solange er diese Dinger am Leib trug gab es nichts, das er hätte anziehen können.
Wann kam sie denn endlich?? Es war schon Viertel nach fünf, soeben hatte seine Großmutter ein zweites Mal angerufen. Langsam brach ihm der Schweiß aus. Und wenn sie ... wenn sie gar nicht mehr kam?? Ein eiskalter Gedanke griff nach ihm, wollte ihn einfach nicht mehr loslassen. Nein nein nein!! Was nicht sein darf kann auch nicht sein!! Seine Hand verkrampfte sich im Stoff seines gepunkteten Petticoatrockes. So Nein, unmöglich! Langsam begriff Klaus, dass er ein Riesenproblem hatte. Wenn nicht bald etwas geschah, dann hatte soeben sein letztes Stündlein geschlagen!
Es war halb sechs, als er die Haustür zuschlagen hörte. Endlich!! Dem Himmel sei Dank!! Wahrscheinlich hatte sie es wieder mit ihrer Kreditkarte gemacht, oder was sie da benutzt hatte. Dann klopfte sie an die Wohnungstür.
Als Klaus öffnete gefror ihm das Blut zu Eis. Und er kapierte schlagartig, dass sich seine Probleme gerade um eine Zehnerpotenz verschlimmert hatten!
%%%
"Ach, so bald schon?" Pia, Monikas Mutter, war sichtlich überrascht. Agnes, ihre Nachbarin und gute Freundin seit vielen Jahren, hatte sie angerufen.
"Was heißt hier: so bald? Alles geht geht einmal vorüber..."
"...alles geht einmal vorbei...", kompletierte sie den angefangenen Liedtext. "Und, weißt du schon Genaueres?"
"Nein, so genau wusste sie es selber ja nicht. Aber wahrscheinlich im Juli, spätestens im August. Auf jeden Fall bevor das nächste Semester anfängt."
"Na, auf jeden Fall schön für Dich! Endlich wieder etwas Leben in der Bude! Und Monika wird sich bestimmt auch freuen! Die ist in letzter Zeit sowieso so komisch, mit gebremstem Schaum sozusagen. Seit das da an Ostern passiert ist." Es fiel ihr schwer, dieses das da beim Namen zu nennen.
"Kann man ja auch gut verstehen. Oder etwa nicht? Ich hatte sie Ostern ja im Krankenhaus besucht und ein langes Gespräch mit ihr. ... Das arme Kind!" Man konnte hören, dass Agnes dies alles immer noch nahe ging.
Mein armes Kind!, dachte Pia. "Ja, du hast recht. Wie konnte es nur so weit kommen? Ich habe, ehrlich gesagt, keine Ahnung was in diesen Pastor gefahren ist. Mein Kind so zu misshandeln." Ungewollt hatte sie jetzt doch das Wort mein stärker betont als misshandeln. "Aber sie hat es ja überlebt, Gottseidank."
Agnes teilte ihr noch mit, dass es im Sommer dann Schwierigkeiten geben würde, aber sie hatte der Freundin versichert, das sei alles kein Problem, sie würde gern helfen, Platz hätte sie schließlich genug.
Pia legte auf und dachte über das Gespräch nach. Das waren ja vollkommen unerwartete Neuigkeiten. Obwohl, und da hatte Agnes nicht ganz unrecht, man hätte es sich leicht an zehn Fingern abzählen können, auch wenn dann immer noch zwei Finger fehlten. Jetzt, im Mai, waren bereits die ersten zehn Monate vergangen. Wie schnell doch wieder einmal die Zeit verflogen war.
Es war vollkommen klar, dass sie Agnes versprochen hatte, auszuhelfen. Schließlich konnte sie die Freundin und ihre nette Nichte nicht im Stich lassen.
Sie ging in die Küche, schaltete den Wasserkocher ein und angelte die Büchse mit dem Schnellkaffee aus dem Schrank. Als das Wasser kochte goss sie sich eine Tasse auf und setzte sich an den Küchentisch. Sollte sie Monika davon erzählen? Sie wankte hin und her. Einerseits schien das Mädchen im Moment genug mit sich selbst zu schaffen zu haben, andererseits war da diese kalte Lustlosigkeit bei ihrer Tochter zu spüren, kaschiert hinter übereifrigem Lerneifer, was für sie vollkommen ungewöhnlich war. Vielleicht würde diese Nachricht sie etwas aufmuntern? Vielleicht aber auch nicht? Im Grunde genommen war es ja gut, dass sie sich mit vollem Elan wieder auf ihr Studium gestürzt hatte, besser als wenn sie sich masturbierend auf ihr Zimmer zurückgezogen hätte.
Es war ihr gar nicht recht, dass sie im Moment die Kontrolle über das Mädchen verloren hatte. Nicht, dass sie diese im Laufe der Jahre immer und jederzeit ausgeübt hätte, aber allein die Gewissheit, dass sie als Mutter das geeignete Kontrollmittel besaß und jederzeit an ihr anwenden konnte, hatte sie bisher von dümmlichen Sexeskapaden abhalten können. Pia wusste, dass Männer gefährlich waren, und sie hatte nie eine Gelegenheit ausgelassen, dieses Wissen ihrer Tochter begreiflich zu machen.
Aber da gab es noch etwas anderes, was ihr Sorgen bereitete. Es war ihr erst Wochen später aufgegangen, was überhaupt geschehen war, denn das einzig ungewöhnliche war, dass Monika sie Anfangs des Monats gebeten hatte, den Weihnachtsgruß mit dem surfenden Weihnachtsmann und seinem Koala an den eigenen PC weiterzusenden. Wieso interessierte sie sich Monate später für diesen elektronischen Weihnachtsgruß? Sie hatte Monika ihre Bitte sofort erfüllt, denn alles, was irgendwie lustig war, schien das beste Heilmittel für sie zu sein. Jetzt aber grübelte sie darüber nach, ob nicht vielleicht doch etwas ganz anderes dahinter steckte.
Sie hörte das Geräusch, als die Haustür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Wenig später kam Monika zu ihr in die Küche.
"Hallo Mama! Mei, ist das warm heute! Sieht ganz so aus, als käme jetzt der Sommer!"
"Zeit für Sommerkleider, meinst du? Dass du immer noch in der Jeans rumläufst!?"
"Ach Mama! Aber vielleicht hast du recht. Vielleicht sollte ich morgen einen Rock in die Uni anziehen. Ist doch auch viel freier so! Übrigens komme ich morgen später, wir haben noch eine Arbeitsgruppe."
"Eine Arbeitsgruppe?" Was sie da wohl zu arbeiten hatten? "Vielleicht solltest du doch besser bei der Jeans bleiben! Du hast ja auch gar keine passenden Schuhe zum Rock."
"Ja was denn nun??" Monika spürte instinktiv, dass mehr hinter der Bemerkung ihrer Mutter lag. "Du meinst wohl, mit einer Jeans sei ich besser beschützt? Ach Mama! Eine Jeans ist doch genauso schnell ausgezogen wie..."
"Einen Rock braucht man gar nicht auszuziehen!", unterbrach die Mutter ihre Tochter.
"Ich hab doch nichts mit Kerlen, Mama!" empörte Monika sich. "Das weißt du doch!"
"Ich, ja. Aber die Kerle wissen das doch nicht. Mir wäre es allemal lieber, dein neuer Gürtel käme bald. Und dass ich dann den Schlüssel bekomme!"
Monika zog die Nase hoch und verzog ihren Mund zu einer ärgerlichen Grimasse. Würde ihre Mutter denn nie damit aufhören? Hatte sie denn überhaupt kein Vertrauen in sie? Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! Das war - ganz im Sinne Lenins - immer der Leitfaden ihrer Mutter gewesen. Aber ob es wohl stimmte, dass Väterchen Stalin noch eines obendrauf gesetzt hatte, indem er Totschießen ist am besten! hinzugefügt hatte? Es schauderte sie bei dem Gedanken, irgendwo gewaltsam zu Tode zu kommen, nur weil die Mutter... Nein. Sie schüttelte den Gedanken sofort wieder von sich. Ihre Mutter würde sie beschützen wollen, nicht sie umbringen. Die Frage war nur, wie weit ihre Mutter gehen würde.
"Aber Mama! Darüber haben wir doch schon gesprochen. Natürlich bekommst du den Schlüssel. Ist ja auch blöde, dass mein neuer Keuschheitsgürtel noch nicht da ist." Sie lachte und setzte seufzend hinzu: "Es kann sich nur noch um Monate handeln!"
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Er bemühte sich, keine Übelkeit hochkommen zu lassen. Klaus war auf dem Weg zu seiner Oma, die in der Zwischenzeit ein weiteres Mal bei ihm angerufen hatte. Es war spät genug geworden.
Obwohl alles schnell gegangen war. Er hatte keine Wahl gehabt. Und er wusste, dass er ab jetzt auch keine Wahl mehr haben würde. Immer noch hörte er das spöttische va bene, va bene, und dann, als er bereits auf halber Treppe war, noch diesen dämlichen Spruch: Quod licet Jovi, non licet bovi! Was Jupiter gefällt, gefällt dem Vieh nicht! Und es war klar, dass er das Vieh war.
Unklar war, wie es nun weitergehen würde. Klaus versuchte sich auszumalen, was schlimmstenfalls geschehen könnte, aber seine Fantasie hatte massive Aussetzer. Die Fäden waren ihm aus der Hand geglitten, und ab jetzt musste er das auf sich zukommen lassen, was er monatelang unter Aufbietung aller Kräfte hatte vermeiden können.
War der Weg immer so weit gewesen? Seine Beine wurden schon auf halber Strecke müde, mühsam stolperte er weiter. Klaus dachte im Moment nur an seine Oma, die dringend seiner Hilfe bedurfte. Wahrscheinlich war das der ganze Schwachpunkt seiner persönlichen Betreuung, dass er nie für ein back-up gesorgt hatte, jemand der mal einspringen konnte, wenn er selber unpässlich oder verhindert wäre.
Sein Puls war bei 180, als er endlich in die Straße einbog, in der seine Großmutter wohnte. Hier war alles, wie es immer gewesen war. Gleich würde alles anders sein.
Die alte Frau Meisner war verzweifelt. Sie musste mehr als dringend zur Toilette, aber immer noch kam sie nicht ohne Hilfe aus ihrem Bett. Wo blieb denn bloß der Junge? Was war denn nur in ihn gefahren, sie heute so zu vernachlässigen? War das nun der Dank dafür, dass sie sich lange Jahre um ihn gekümmert hatte?
Endlich hörte sie, wie er den Schlüssel ins Schloss steckte und die Tür öffnete. Ungewöhnlich harte Schritte waren aus der Diele zu hören. Hatte er jemanden mitgebracht? Dann vernahm sie das Knarren der hölzernen Treppenstufen, als er sich zu ihr ins obere Stockwerk begab.
Sie hörte leises Klirren, wie von einer Kette, dann einen unterdrückten Fluch. Ein Schatten legte sich auf den Gang vor ihrer offenen Zimmertür, dann kam jemand ins Zimmer, den sie sofort als das Mädchen wiedererkannte, das sie mehrmals mit Klaus´ Roller gesehen hatte. Dennoch ergriff sie eine unbestimmte Furcht, es könnte etwas mit dem Jungen passiert sein.
Sie richtete sich in ihrem Bett auf. "Wer ... wer sind Sie?" brachte sie mühsam hervor.
"Ich bin Barbara!"
"Bar...!!" Ja, mit dem Jungen war etwas passiert. Sie sank zurück in das Bett, alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Ihre Hand krampfte um ihr Herz, dann fiel sie reglos baumelnd über die rechte Bettseite.
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Keuschling |
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Sklave/KG-Träger
um Ulm herum...
zur Sicherheit besser verschlossen, zur Zeit im Neosteel TV-Masterpiece...
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RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust")
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Datum:02.12.12 23:07 IP: gespeichert
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Hi Daniela,
erst einmal meinen herzlichen Dank für diese wieder einmal hervorragende Fortsetzung, und Dir an dieser Stelle auch einen schönen ersten Advent!
Bei mir ist der erste Schnee schon früher gefallen, der allererste sogar schon einige Zeit her, aber der, der zur Zeit noch liegt, schon vor einigen Tagen. Aber schön zu hören, daß es bei Dir zeitgleich zum ersten Advent so war, was sehr passend ist.
Ich hoffe sehr, daß die alte Frau Meisner nun nicht durch den Schock, auf Barbara zu treffen, einen Herzanfall bekam und dadurch starb, sondern allenfalls eine gnädige Ohnmacht erlebt, nachdem diese Wahrheit über Klaus nun absolut sichtbar geworden ist. Aber vielleicht kann er sich noch rauswinden, daß Barbara nur von Klaus geschickt wurde, nachdem sie fast österlich wiederauferstanden ist... Auch wird spannend werden, wann Monika´s neuer KG kommen wird, und welche Features er haben wird. Genauso, wie sich wohl die Sache mit Klaus oder Barbara mit Eva weiterentwickelt, und ob Klaus wirklich Barbara als neue Identität wiederentdeckt mit Hilfe von Eva, oder Klaus Eva dafür bestrafen wird.
Eine kleine Kritik habe ich dennoch: Quod licet Jovi, non licet bovi. "licet" und das englische "like" (gefallen) mögen durchaus voneinander abstammen, was ich nicht genau weiß. Was ich aber weiß ist, daß "licet" von "licere" (= erlaubt bzw. möglich sein) abstammt, so daß die korrekte Bedeutung dieses Spruchs frei übersetzt ist: Was dem Jupiter erlaubt/möglich ist, ist dem Rindvieh noch lange nicht erlaubt/möglich. Dennoch hoffe ich, daß Du mir diese kleine Dummschwätzerei meinerseits nicht verübelst - denn dazu ist die Gesamtkonstruktion Deiner Geschichte einfach zu genial, und ich bewundere Dich dafür.
Keusche Grüße
Keuschling
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RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust")
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Datum:03.12.12 22:17 IP: gespeichert
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Brrrrrrrrrrr... diesmal bekam ich ein Gruseln!
Trotzdem auch dafür ein Dank, aber es geht halt nicht immer alles in Frieden aus. Alt werden will jeder, alt sein aber keiner
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Sklavin
Mein Geschmack ist einfach: Ich bin nur mit dem Besten zufrieden (Oscar Wilde)
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RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust")
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Datum:04.12.12 13:22 IP: gespeichert
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@Keuschling: Daher auch das Wort "Lizenz", was nichs anderes als "Erlaubnis" bedeutet. Der James Bond Film "Lizenz zum Töten" zeigt das auch auf; Doppelnullagenten dürfen bekanntlich töten. BaldJean
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Keuschling |
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Sklave/KG-Träger
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zur Sicherheit besser verschlossen, zur Zeit im Neosteel TV-Masterpiece...
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RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust")
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Datum:04.12.12 22:25 IP: gespeichert
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@BaldJean: Vielen Dank für Deinen Einwurf, daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Und es freut mich immer wieder, etwas Neues lernen zu dürfen! Das macht dieses Forum hier echt speziell und sehr interessant!
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RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust")
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Datum:09.12.12 22:51 IP: gespeichert
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Heute möchte ich meinen Lesern einen winterlichen Adventsgruß aus meinem Urlaubsort senden. Es ist schön, wieder einmal für einige Tage verreist zu sein, auch wenn es daheim gerade das schönste Winterwetter war, das man sich vorstellen konnte. Wo ich jetzt bin?? Ja, da bin ich bei meiner heutigen Fortsetzung wohl etwas unvorsichtig gewesen....
Auch am nächsten Wochenende kann es noch zu winterbedingten... äh, reisebedingten Verspätungen kommen!
Eure Daniela
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Oktober III.
Ingeborg Wimmer lehnte sich in ihrem Wagen zurück. Es würde etwas länger dauern, bis ihr Chef käme; er wohnte in einem Vorort und hatte eine ziemliche Strecke zu fahren. Auch wenn jetzt, so früh am Morgen, auf den Straßen nichts los war, würde es bestimmt eine knappe Stunde dauern.
Das arme Ding. Im Laufe ihrer Arbeit hatte sie immer gegen allzu große Anteilnahme ankämpfen müssen. Hinterbliebenen Trost spenden war nicht ihre Aufgabe, dafür waren andere zuständig. Ihre Aufgabe bestand darin, eine Tat restlos aufzuklären und den Schuldigen der Staatsanwaltschaft zu übergeben. Möglichst schnell, wie immer. Sie wusste, dass die Spuren eines Kriminalfalls fast genauso schnell verwischten, wie Spuren am Strand. Klar, neue Techniken hatten jetzt Dinge wie den DNA-Abgleich hervorgebracht, aber was nützte das schönste Profil, wenn man niemanden hatte, mit dessen Profil man es vergleichen konnte. In einer Großstadt wie München konnte man schließlich nicht die gesamte Bevölkerung bitten, eine Speichelprobe abzugeben.
Sie zündete eine neue Zigarette an und überlegte, wie man dies wohl in Zukunft handhaben wollte. Würde man gleich bei der Geburt eines Kindes jedem Säugling eine DNA-Probe abnehmen? Und diese dann in einem Register speichern? Eine Art biologischer Vorratsdatenspeicherung? Und was, wenn man dann noch einen Schritt weiterginge? Jedem Jugendlichen bei Erreichen des vierzehnten Lebensjahres so ein Ding unter die Haut schoss, wie man es bei wertvollen Haustieren schon machte? Jeder ließe sich so problemlos pr. GPS orten.
Ihr wurde heiß und kalt bei dieser Vorstellung. Verbrechen ließen sich so sicherlich nicht verhindern. Die komplette Kontrolle eines Menschen zerstörte doch das freie Individuum, ohne welches eine freie Gesellschaft gar nicht möglich war. Sie dachte an den Satz einer Berlinerin, den diejenige während des Zusammenbruchs 1945 in ihr Tagebuch geschrieben hatte und den sie irgendwo einmal aufgeschnappt hatte: >Jeder misstraut jetzt jedem. Es ist der Zusammenbruch der Zivilisation<.
Heftiges Klopfen an ihre Seitenscheibe riss sie aus ihren Gedanken. Wie sie sah war die zuständige Ärztin bereits eingetroffen. Sie öffnete ihre Wagentür und stieg aus.
"Hallo! Ja, tut mir ja leid, dass wir Sie schon so früh aus dem Bett holen mussten."
"Guten Morgen." Die beiden Frauen begrüßten sich. Scheinbar kannten sie sich bereits von früheren Einsätzen. "Ach, halb so wild. Die Nacht selber war ja ruhig gewesen. Vor zwei, drei Wochen war das noch schlimmer, da kommen immer die ganzen Schnapsleichen vom Oktoberfest zu uns rein. Was haben wir denn diesmal?"
Frau Wimmer ging ihr zur Brüstung der Brücke voraus. "Eine junge Frau. Wird wohl kaum älter als Zwanzig sein. Sie muss hier über die Brüstung gegangen und dabei zu Tode gekommen sein." Sie deutete nach unten, wo die Leiche noch immer lag.
"Na, dann schauen wir sie uns mal an. Wissen wir schon, wer sie ist?"
"Nein. Wir haben nur ihre Jacke gefunden, die unweit der Frau auf den Steinen lag. Keine Handtasche, kein Handy."
"Sie hatte ihre Jacke nicht an? Seltsam."
Ingeborg Wimmer beantwortete ihre Frage. Nicht, dass dies für die Ärztin von Belang gewesen wäre, aber es war klar, dass diese gern wissen wollte, was vorgefallen war. Vorsichtig hangelten die beiden Frauen sich zum Fundort der Leiche am Isarufer hinab.
"So, da wären wir. Ich weiß, Sie werden wie immer keine voreiligen Angaben machen wollen, aber wie immer interessiert mich im Moment erst einmal die Frage, wann in etwa ungefähr, und dies möglichst genau, die Frau gestorben ist, und ob sie evt. vorher vergewaltigt wurde. Lassen Sie sich ruhig Zeit; wir warten eh noch auf unseren Chef!"
Die Ärztin kniete neben der Leiche nieder, holte ein Thermometer aus ihrer Tasche und schlug den Dirndlrock der Verstorbenen hoch, um erste Untersuchungen anzustellen. Aber schon nach zwei Sekunden erstarrte sie in der Bewegung. "Frau Wimmer! Eins können wir wohl schon einmal ausschließen: vergewaltigt wurde sie auf jeden Fall nicht. Unter keinen Umständen!"
Die junge Kriminalkommissarin, die sich etwas abseits gestellt hatte, um nicht im Wege zu stehen, blickte verdutzt auf. "Wie bitte? Wie können Sie sich nach nur einem Blick da so sicher sein? Das habe ich ja noch nie erlebt."
"Kommen Sie," antwortete die Ärztin. "Kommen Sie und sehen Sie selbst. Das hier habe ich auf jeden Fall auch noch nie erlebt!"
Ingeborg Wimmer wunderte sich über die kryptische Anwort, ging aber zu ihr und blickte unter den hochgehobenen Rock. Was zum Teufel!?? Sie schaute die Ärztin an, sprachlos, denn es stimmte, so etwas hatte sie noch nicht gesehen. Dann wandte sie sich ab und zog die andere mit sich, denn beide standen fast schon mit den Schuhen im Wasser.
"Kommen Sie. Vielleicht warten wir doch besser, bis der Rick da ist. Kann ja nicht mehr allzu lange dauern. Möchte wetten, dass der so was auch noch nicht gesehen hat. In der Zwischenzeit nehmen Sie vielleicht Ihre Messungen vor, Luft- und Wassertemperatur. Über den Todeszeitpunkt können Sie sicherlich noch nichts sagen?"
"2 Uhr 18", antwortete die Ärztin und verblüffte die Beamtin damit bereits zum zweiten Mal an diesem Morgen. Sie bemerkte deren leichte Verlegenheit und beeilte sich hinzuzufügen: "Ihre Armbanduhr. Sie hatte auf ihrer Hand gelegen, sodass Sie die Uhr wohl noch nicht gesehen haben. Das Ziffernblatt ist eingeschlagen, sicherlich als sie mit ihrer Hand hier auf einen der Steine aufschlug. Ihre Hand muss sie sich dabei gebrochen haben. Fraglich ist allerdings..."
"Was? Was ist denn fraglich?"
"Fraglich ist, ob das auch wirklich der Todeszeitpunkt war. Ich kann im Augenblick nicht mit Sicherheit sagen, dass der Sturz für sie lethal war."
"Sie meinen...?" Ingeborg Wimmer sah geschockt hoch.
"Ja. Es wäre durchaus möglich, dass sie den Sturz selber überlebt hat."
"Man hätte sie retten können?"
Die Ärztin zuckte mit den Schultern. "Das kann ich vor der Obduktion nicht sagen. Ich nehme mal an, sie hat sich bei dem Sturz schwere innere Blutungen zugezogen, an denen sie dann gestorben ist. Wie lange sie wirklich tot ist, wird die Untersuchung zeigen. Sie wissen ja, Restkörpertemperatur, Nachttemperatur, Wassertemperatur der Isar, und so weiter und so fort. Aber ich denke mal, Sie können bereits jetzt davon ausgehen, dass das, was heute Nacht geschehen ist, um genau achtzehn Minuten nach Zwei geschehen ist."
Die Kommissarin atmete tief durch. Was mochte hier, mitten in der Nacht, geschehen sein? Irgendjemand hatte Schuld am Tode dieser jungen, vielleicht nicht sonderlich hübschen Frau. Dumm war es, dass man noch keine Handtasche gefunden hatte, obwohl sie den jüngeren Streifenbeamten gebeten hatte, einmal ein Stück weit das Ufer flussabwärts abzusuchen; man konnte ja nie wissen. Aber bis jetzt hatte er noch nichts gefunden.
"Kommen Sie. Gehen wir erst mal wieder nach oben. Wir können uns in den Streifenwagen setzen und etwas aufwärmen. Ist ja in dieser Jahreszeit jetzt doch nicht mehr so warm am Morgen. Und sicherlich hat mein Chef noch Fragen an Sie!
Juni I.
Endlich war es Sommer geworden! Die Kastanienblüte war fast schon wieder vorbei, aber dank einer vorübergehenden Kälteperiode Ende Mai hatten sich die Obstbäume etwas länger Zeit gelassen, so dass die Birnbäume im Garten seiner Oma noch in voller Blüte standen.
Klaus hatte inzwischen den nächsten Band der spannenden Millenium-Trilogie angefangen. Er saß draußen am Tisch und genehmigte sich einen kalten Saft. Nachdenklich betrachtete er die herrlichen Zweige über seinem Kopf. Ja, hier hatte er als Kind - was ja noch nicht soo lange her war - der Großmutter beim Pflücken geholfen.
Es war gut, dass die letzten Wochen vorübergegangen waren, ohne das Schlimmste anzurichten. Ungern nur dachte er an jenen Abend zuurück, als er - als Barbara - zu seiner Oma ins Zimmer getreten war und die alte Frau ihm einen gehörigen Schrecken eingejagt hatte.
Sie hatte immer etwas Theatralisches an sich gehabt. Wie sie da urplötzlich zusammengesunken war, da hatte er schon einen Moment geglaubt, ihr letztes Stündlein hätte geschlagen, aber er hatte sofort ihren über die Bettkante leblos baumelnden Arm genommen und ihren Puls gefühlt.
"Alles in Ordnung, Oma?"
"Oh mein Gott!", stammelte diese nur. "Warum musst du mir das antun, Bub?"
"Bub? Was für ein Bub denn diesmal, Oma? Es hat sich ausgebubt, siehst du das denn nicht?" Trotz seiner misslichen Lage fand er seine Replik klasse, sie erinnerte ihn stark an etwas, das Heinz Erhardt im Film Drei Mann in einem Boot einmal gesagt hatte. "Nun komm, mach hier nicht einen auf tot-umfall und so. Ich hätte wahrlich mehr Grund dazu, als du. Also, ich mach uns jetzt einen Tee und helfe dir erst einmal auf die Toilette, dann können wir sehen, wie wir damit umgehen."
Schweigend hatte sie seine Hilfe akzeptiert. Ihre Hilfe?? So genau wusste er es selber nicht. Klaus oder Barbara, das war hier die Frage. Wo aber würde er eine Antwort finden können?
Sie hatte nicht viele Fragen an ihn gehabt. "Du musst das wieder ausziehen, Klaus! Du bist doch ein Mann! Das ... das geht doch nicht." Und wieder hatte sie sich ans Herz gegriffen.
"Nein Oma, das geht nicht." Im selben Moment, da er dies sagte, ging ihm auf, dass er damit etwas anderes meinte, als was sie gesagt hatte. Er konnte diese Sachen nicht ausziehen, denn er hatte die Schlüssel für KG und BH nicht finden können, ganz zu schweigen von diesen nervigen Schenkelbändern.
"Warum tust du es dann? Willst du mich umbringen?"
"Quatsch, Oma! Mit dir hat das nicht das Geringste zu tun." Er sah, dass sie ihren Blick von ihm abwandte. "Es ... es ist ein Spiel. Ja, ein Spiel, das ich mit jemandem spiele."
Die alte Frau Meisner schwieg. Immer noch bereitete ihr das Sprechen Mühe. Und sie wusste sehr wohl, dass ihr Neffe sich gehörig irrte, wenn er annahm, dass es nichts mit ihr zu tun hatte. Und siedenheiß fiel ihr ein, dass das, weswegen sie überhaupt in den Keller gegangen war, doch immer noch da unten liegen musste. Sie schloss die Augen und drehte sich schließlich auf die Seite zum Zeichen, dass sie jetzt nicht weiter darüber sprechen wollte. Sie konnte nur hoffen, dass ihr Fuß bald wieder besser würde, damit sie das tun konnte, was sie tun musste.
Er hatte durchaus verstanden, dass seine Oma im Moment keinen besonderen Wert auf eine gepflegte Unterhaltung legte. Wichtig war, dass sie ihm nicht den Kopf abgerissen hatte, wiewohl er natürlich gut wusste, dass sie das in ihrer momentanen Verfassung gar nicht gekonnt hätte.
Er war noch bis in den späten Abend geblieben, hatte, so gut es ging, seine Großmutter versorgt, dann aber gedacht, es sei wohl besser, wieder in seine Wohnung zurückzukehren; vielleicht würde er die kleinen Schlüssel ja doch noch finden.
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Endlich war eine Nachricht des Herstellers gekommen! Monika riss förmlich den Brief auf, sobald sie ihn in der Küche gefunden hatte. Sie hatte jetzt wirklich lange genug auf ihren neuen Keuschheitsgürtel gewartet.
Enthaltsamkeit, hatte Agnes ihr gesagt. Sie hatte es redlich versucht, aber bei immer besser werdendem Sommerwetter fielen ihre Versuche immer kärglicher aus. Sex war immer ein wichtiger Motor für sie gewesen, auch wenn es kein Sex mit Männern war.
Sie las die wenigen Zeilen, schmiss dann aber enttäuscht den Brief zurück auf den Tisch.
"Mist!"
"Was ist denn los, Schatz?", fragte ihre Mutter, die gerade zur Tür hereingekommen war. "Schlechte Nachrichten?"
"Wie man es sieht. Die schreiben, dass es krankheitsbedingt zu Lieferungsproblemen gekommen ist. Wahrscheinlich werde ich noch einige Wochen auf meinen neuen Keuschheitsgürtel warten müssen. Ach scheiße!"
Pia war nicht schlecht erstaunt. Dass man bei diesen Firmen immer mal mit Schwierigkeiten rechnen musste, war hinreichend bekannt. Aber dass ihre Tochter förmlich danach lechzte, endlich wieder in einen Keuschheitsgürtel eingeschlossen zu werden, war nicht leicht zu verstehen. Im Laufe der Jahre hatte sie allerdings die Erfahrung gemacht, dass ihre Tochter in diesen Dingen sowieso ein wenig von der Norm abwich, um es vorsichtig auszudrücken.
"Ja, das ist wirklich dumm. Ich würde mich auch besser fühlen wenn ich dich bereits sicher verschlossen wüsste. Mir ist ja schon aufgefallen, dass deine Röcke immer kürzer werden."
"Mama, die Röcke werden immer kürzer, weil die Tage immer wärmer werden. Du glaubst doch wohl nicht, dass ich bei fast 30° noch wie ihr damals im Maxi-Look herumlaufe? Im Herbst oder Winter ist das ja okay, aber jetzt doch nicht."
Pia lächelte ihre Tochter an. "Natürlich nicht. Ihr könnt ja froh sein, dass ihr heutzutage nicht mehr so sehr einem bestimmten Modediktat unterworfen seid, wie wir damals. Irgendwie war das doch blöd, die langen Dinger im Sommer, und im Winter haben wir uns doch einen abgefroren, nur weil man unbedingt Mini tragen musste." Sie legte eine kleine Pause ein. "Sag mal, hast du mal in letzter Zeit etwas von deiner kleinen Freundin gehört?"
"Meine kleine Freundin?" Monika überlegte einen Moment, ob eventuell Barbara gemeint sein könnte, dann aber wusste sie, dass sie sich wohl irrte.
"Meinst du Daniela?"
"Ja. Die müsste doch jetzt eigentlich mit ihrem Abitur durch sein. Vielleicht willst du sie mal wieder zu uns einladen?"
Monika horchte auf. Zu uns einladen? Mal wieder Bis jetzt war Dani doch immer bei ihrer Tante zu Besuch gewesen. Hatte ihre Mutter sich einfach nur vertan?
"Nee, das ist jetzt gerade mal nicht so günstig. Ich habe im Moment gar keine Zeit, mich um sie zu kümmern, und ich meine auch, sie hatte etwas von einer längeren Reise nach dem Abi erzählt, USA, oder so."
"Und dann?"
"Und dann was?"
"Nun ja, ich meine, sie wird doch wohl nicht in den Staaten bleiben wollen, oder? Also ich möchte nicht in dem Land leben ... die mit ihrer bescheuerten Doppelmoral!"
Monika verstand sehr wohl, was ihre Mutter meinte. Dennoch warf sie ihr einen fragenden Blick zu.
"Na ja. Stell dir mal vor, dort werden Eltern zu empfindlichen Geldbußen verknackt, wenn sie mit ihren Kindern irgendwo baden gehen und die kleinen Mädchen dann kein Bikinioberteil tragen. Also ich meine, kleine Kinder, keine Jugendlichen jetzt. Das ist doch krankhaft! Und woher kommt andererseits das ganze Pornozeugs? Dreimal darfst du raten!"
Monika verzichtete aufs Raten. Im Augenblick war sie doch eher sauer über den Brief und die neue Wartezeit. Stattdessen nahm sie den vorigen Gesprächsfaden wieder auf. "Ich glaube, sie will studieren. Soziologie, oder so was in der Richtung. Warum?"
"Ach, nur so. Will sie denn in Köln bleiben?"
"Keine Ahnung. Darüber haben wir noch nie gesprochen. Ich glaube, sie hat es selber noch nicht so richtig gewusst, als wir uns das letzte Mal gesehen haben."
"Na, vielleicht fragst du sie mal. Würde mich schon interessieren. War doch ein nettes Mädchen." Pia holte eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank. "Lust auf ein Glas? Komm, lass uns rausgehen in den Garten. Wir können uns hinten an den Tisch setzen!"
Monika folgte gern ihrer Mutter hinaus. Es war ja auch wirklich viel zu schön, um seine Zeit im Haus zu verbringen. Die beiden Frauen setzten sich an den Tisch, nachdem Pia ihn oberflächlich gesäubert und eine Tischdecke darauf ausgebreitet hatte.
Sie nickte ihrer Mutter zu, als diese ihr zuprostete. Lange hatte sie nicht mehr an Daniela gedacht. Und - dieser Tisch hier ...
Es tat fast ein wenig weh. Plötzlich wallte die Erinnerung in ihr hoch. Daniela die oben auf dem Tisch stand, in der Zwangsjacke, Gasmaske auf dem Kopf. Und die roten Buchstaben auf dem nackten Gesäß: 18.15 St. PP. Sie blickte über den Bretterzaun. Der blühende Birnbaum. Im Oktober hatte er gelbes Laub. Und in seinen Zweigen hatte sich jemand versteckt: ein Laub-bub! Fast hätte sie sich an diesem schönen Wortspiel verschluckt! Dann aber überzog ein zufriedenes Lächeln ihren Mund. Klaus! Was er wohl gerade machte? Seit Ostern hatte sie nichts mehr von ihm gesehen - leider auch nicht von Barbara. Ob sie sich mal wieder nach ihm erkundigen sollte? Sie hatte ja immer noch die Schlüssel zu seiner kleinen Dachwohnung.
Monika wusste nicht, dass Klaus keinen Steinwurf von ihr entfernt im Garten seiner Oma saß und auf Verbrecherjagd durch die Gassen Stockholms war, zusammen mit Mikael Blomkvist und Lisbeth Salander.
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Endlich! Es war Freitagnachmittag. Daniela saß am Küchentisch und freute sich, dass sie alles gut überstanden hatte. Die mündlichen Abiturprüfungen waren weniger schlimm gewesen, als befürchtet, und die Noten sogar besser, als erhofft. Das ganze Lernen hatte sich also doch ausgezahlt. Jetzt konnte es also an das große Vergessen gehen!
Sie hatte diverse Modezeitschriften vor sich liegen und blätterte unschlüssig darin herum. Was sollte sie denn bloß zur morgigen Zeugnisübergabe und Abschlussfeier anziehen? Viel gab ihr Kleiderschrank nicht her, und da sie seit Monaten schon fast ihr gesamtes Taschengeld für ihre große USA-Reise zurückgelegt hatte, hatte sie auch keine Lust gehabt, extra nur für diesen Tag sich etwas Neues zu kaufen.
Und in einen Spiegel mochte sie schon gar nicht mehr schauen. Ihr Haar war immer noch fast streichholzkurz, nichts, in das man eine vernümftige Frisur hätte bringen können! Es war schlichtweg zum Verzweifeln.
Als sie nach Ostern wieder nach Hause gekommen war, blieben die schrägen Kommentare nicht lange aus. Einige Jungen und Mädchen in ihrer Klasse hatten sich offenkundig lustig über sie gemacht, einige wenige mitleidsvoll gefragt, was denn bloß mit ihr passiert sei, dass sie ihre langen Haare ab hätte und jetzt so schlimm aussehe. Sie hatte sich damit herausgeredet, es sei so eine Wohltätigkeitsaktion gewesen, bei der eine Haarpflegefirma 500 Euro an ein indisches Kinderheim spendete, für jede oder jeden, der sich die Haare schneiden ließe. Eine Erklärung, die ihr sowohl Anerkennung als auch Hohn und Spott einbrachte. ´Und was machen die indischen Kinderchen jetzt mit deinem Haar?´ war eher eine der harmlosen blöden Bemerkungen, denen sie sich ausgesetzt sah.
Aber auch diese Diskussion verstummte nach einigen Tagen. Sie hatte sich für alle anderen in Luft aufgelöst, nur halt für Daniela nicht, die jedesmal, wenn sie ihr Spiegelbild sah, sich am liebsten eine Mütze über den Kopf gezogen hätte.
Ganz langsam nur wuchs ihr Haar nach, viel zu langsam, wie sie fand. Aber dennoch hatte ihre Mutter sie vor einigen Tagen zum Frisör geschickt, damit der noch irgendetwas retten konnte, was doch längst verloren war. Gerettet hatte dieser, indem er noch etwas mehr abschnitt und ihr zu einer regelrechten Jungenfrisur riet, da diese doch gut zu ihrem Gesicht passen würde. Es zeigte sich, dass dieser Kölner Figaro sein Handwerk durchaus verstand, was aber nichts daran ändere, dass sie immer noch ein fremdes Jungengesicht anschaute, jedes Mal wenn sie in den Spiegel blickte.
Mist verdammter! Sie warf das Blatt, in dem sie mit zunehmendem Frust gelesen hatte, auf den Tisch. Lautes Poltern von der Treppe ließ darauf schließen, dass ihr Bruder im Anmarsch war.
Er trat ein, holte sich ein Eis aus dem Gefrierschrank und setzte sich dann an den Tisch gegenüber seiner Schwester. "Morgen", sagte er, nachdem er einen Blick auf das Modeheft geworfen hatte.
Daniela sah auf ihre neue Uhr. Ein Wunderwerk der Technik. Sie ging immer auf die Sekunde genau. Diese Uhr hatten ihr die Eltern zum Abitur geschenkt. Es war fast schon drei Uhr.
"Morgen?? Falls du es noch nicht gemerkt hast, es ist schon Nachmittag. Sind dir die Computerspiele ausgegangen, oder wieso treibt es dich aus deinem Zimmer, kleiner Bruder?"
Er schaute sie, halb belustigt, halb verärgert, an. "Ich brauchte dringend mal ein Eis, große Schwester." Und er genoss es, ihre Reaktion auf seine leicht obszönen Gesten zu sehen, die er mit seinem Eis ausführte.
"Lass doch diesen pubertären Quatsch!"
"Hast du so etwas eigentlich schon einmal...?"
Daniela verstand durchaus, was er meinte. Dummerweise konnte sie nicht verhindern, dass ihr die Röte ins Gesicht stieg.
Er schüttelte seinen Kopf. "Zzz zz ... Du steigst in meiner Achtung. Übrigens habe ich nicht etwas ´Guten Morgen!´ gesagt, sondern nur ´morgen´."
"Ja ja. Und morgen ist der Tag, auf den wir dreizehn Jahre lang hingearbeitet haben, das brauchst du mir nicht zu erzählen."
Ihr Bruder schüttelte noch einmal seinen Kopf, diesmal abwehrend. "Nein, das meinte ich gar nicht. Ich meinte nur, morgen kannst du dein Versprechen einlösen!"
"Mein Versprechen?? Was für ein Versprechen denn?" Sie sah ihn argwöhnisch von der Seite an. An ein Versprechen konnte sie sich nicht erinnern.
Er lächelte amusiert in sich hinein. "Weißt du es wirklich nicht mehr? Du hast es mir im April gegeben, als du nach München fuhrst."
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Leises Gläserklirren und der Geruch einer Zigarette hatten Klaus aus seinen Überlegungen gerissen. Bis jetzt hatte er die Stille des Gartens genossen, hatte in seinem spannenden Buch gelesen und sich durch den Kopf gehen lassen, was in jüngster Zeit geschehen war, jetzt aber vernahm er undeutliche Gesprächsfetzen: ".... netter Kerl ... zu weit gegangen ... vermisse sie schon ein wenig ... Barbara..." Spätestens als er diesen Namen hörte wurde er richtig aufmerksam.
Den Stimmen entnahm er, dass dort, nur wenige Meter von ihm entfernt, Monika mit ihrer Mutter an deren Gartentisch Platz genommen hatte. Das Gespräch schien lange eine Art Selbstgespräch der Mutter zu sein, erst jetzt begann Monika, ihr zu antworten.
"Wie meinst du das, Mama?"
"Nun ja, ich dachte bloß..." Ein Hubschrauber, der laut knatternd über das Haus hinweg flog, verwehte ihre Gedanken. Ausgerechnet jetzt!, ärgerte Klaus sich. Aber zu seiner Beruhigung setzte Monikas Mutter noch einmal neu an. "Ich dachte bloß, wo du doch keine Lust auf Männer hast, sie wäre doch eine gute Alternative!"
"Mama!!" Monikas Stimme klang entrüstet.
"Und??"
"Sie ist doch nicht richtig... nee!"
Klaus spitzte die Ohren. Hoffentlich kam jetzt nicht ein weiterer Hubschrauber. Hatte er das richtig mitbekommen, oder spachen die beiden Frauen von Barbara? Und was hatte Pia da gerade für einen seltsamen Vorschlag gemacht?
"Deshalb ja, mein Schatz. Sieh mal, auch wenn man keine Männer mag, so kann Sex mit ihnen eine ganz nette Abwechslung sein. Und wenn man dann einen kennt, der doch im Grunde genommen eher so etwas wie eine Frau mit Schwa nz ist, dann hat man doch das große Los gezogen!"
"Du hast vielleicht Vorstellungen! Als ob das alles so einfach wäre! Ja, okay, ich vermisse Barbara schon ein wenig. Als Frau war sie okay. Aber du scheinst ja doch was anderes im Sinn zu haben."
"Sie ist lange nicht mehr da gewesen. Fast scheint es so, als sei sie vom Erdboden verschluckt worden."
"Sie hatte wohl keinen Grund mehr, zu kommen."
Klaus musste ihr im Stillen recht geben. Mit der belastenden DVD, die sie ihm hatte zukommen lassen, hatte sie kein Druckmittel mehr gegen ihn in der Hand.
"Vielleicht gibt es sie gar nicht mehr", hörte er die Mutter mutmaßen. Dann schwiegen die beiden Frauen sich aus. Bis Pia das Gespräch erneut fortsetzte. "Ah, das hat gut getan! Sag mal, Moni, ich habe dich bis jetzt noch nicht danach gefragt, aber, hast du irgendeine Ahnung, was den Pastor dazu geritten hat, solche Sachen mit dir anzustellen. Ich meine, dass ist doch nicht normal für einen Geistlichen." Sie zögerte etwas, dann setzte sie noch ein unsicheres ´oder?´ hinzu.
"Nicht wirklich. Natürlich habe ich mir so meine Gedanken gemacht..." Sie zögerte, ihre Gedanken in Worte zu fassen. Ihre Mutter unterbrach sie nicht. "Ich ... ich weiß nicht. Aber ich glaube, das ist nicht auf seinem Mist gewachsen."
"Du meinst, da hat noch jemand im Hintergrund mitgewerkelt?"
Monika zögerte mit ihrer Antwort. Dann aber sagte sie etwas, das Klaus nicht recht verstand. "Ja, ich glaube schon. Der alte Drachen." Die Kopfbewegung, mit der Monika ihre Worte untermauerte, konnte Klaus nicht sehen. Dann hörte er, wie beide Frauen aufstanden und zurück ins Haus gingen.
Er blieb noch lange sitzen. Sie vermisst mich! Dann aber überlegte er, dass das so ja nicht stimmte. Monika vermisste Barbara, nicht aber Klaus. Vielleicht sollte er - sollte sie - bald mal wieder Kontakt mit ihr aufnehmen?
Aber es stimmte, dass Barbara von der Bildfläche verschwunden war. Er hatte Glück gehabt, denn Eva hatte sich zurückgehalten. An jenem Abend nach seinem mehr oder weniger erzwungenen coming-out war er zurück in seine Wohnung gegangen, wo eine Überraschung auf ihn gewartet hatte, die ihn fast um den Verstand gebracht hätte.
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"Das Dirndl!!? Nie im Leben!! Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich ausgerechnet zur Abifeier morgen DAS Kleid anziehe? Hier in Köln??"
Er nickte nur.
"Vergiss es!" Daniela war außer sich. Jetzt war ihr Bruder wirklich von allen guten Geistern verlassen. Sollte er das blöde Kleid doch selber anziehen!
"Du hast es mir versprochen!"
"Was? Was habe ich dir versprochen?" gab Daniela verärgert zurück.
"Du hattest mir vesprochen, dass ich einmal einen Tag bestimmen darf, an dem du dein Dirndl anziehen musst. Und das habe ich jetzt getan. Morgen!"
Daniela befand sich in einer unangenehmen Zwickmühle. Bisher waren ihr gegebene Versprechen immer heilig gewesen, und sie wollte auf keinen Fall riskieren, dass ihre Glaubwürdigkeit Schiffbruch erleiden sollte. Aber ... nein, das konnte sie nicht. Nicht morgen! Als sie im Herbst einmal im Dirndl in die Schule gekommen war, war es schon schlimm genug gewesen. Morgen aber, so vor versammelter Elternschaft und allen Lehrern? Nein, das ging einfach nicht! Basta. Trotzdem aber wollte sie ihr Versprechen nicht brechen.
"Also, morgen ist echt schlecht. Da habe ich schon was vor..."
"Aber noch nichts zum Anziehen, wie ich sehe", unterbrach er sie.
"...aber wie wäre es denn mit Sonntag?" Sie sah ihn mit bittendem Hundeblick an.
Ihr Bruder verzog eine Schnute, ein sicheres Anzeichen dafür, dass ihm ihre Antwort nicht passte. Er schien einen Moment zu überlegen, dann aber hellte sich sein Gesichtsausdruck wieder auf. "Morgen!", beharrte er schließlich auf seiner Forderung. Dann aber setzte er, zu Danielas größter Verwunderung, etwas hinzu, was sie seit Jahren nicht mehr von ihm gehört hatte: "Hanni und Nanni?"
Hanni und Nanni! Augenblicklich stürmten Bilder aus lustigen Kindertagen auf sie ein. Verwegene Spiele, die sie mit ihrem Bruder gespielt hatte. In ihrer Überraschung sah sie ihren Bruder an, als hätte sie gerade eine Erscheinung gehabt. Hatte er das ernst gemeint?
"Okay", sagte sie, wohl wissend, dass sie damit gerade ihr Grab geschaufelt hatte. Aber auch das ihres Bruders, und das war es die Sache wert.
"Wann?", fragte er mit eigentümlich flackendem Blick.
"Sonntag. Lass es uns gleich am Sonntag machen. Ich hab ja nicht mehr lange, bis es nach Amerika los geht."
"Wo?"
"Wo wo wo, sagen alle Tiere im Zoo. Im Zoo. Okay?"
Er nickte nur. Sein Lächeln war allerdings verschwunden. Auch Daniela hatte keinen Grund, zum Lachen. Hanni und Nanni am Sonntag, das würde sicherlich lustig werden. Aber auch nur, wenn sie den morgigen Tag überhaupt überlebte!
[Edit]: Dieser Eintrag wurde zuletzt von Daniela 20 am 10.12.12 um 09:50 geändert
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Keuschling |
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Sklave/KG-Träger
um Ulm herum...
zur Sicherheit besser verschlossen, zur Zeit im Neosteel TV-Masterpiece...
Beiträge: 1402
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RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust")
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Datum:10.12.12 00:27 IP: gespeichert
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Hi Daniela,
ich hoffe, Du hattest einen superschönen 2. Advent!
Vielen Dank für Deine spannende Fortsetzung!!!
Eine Vergewaltigung kann also bei der Tragödie der jungen Frau ausgeschlossen werden - also entweder, weil sie eben keine Frau war, oder, was mir wahrscheinlicher erscheint, weil sie in einem KG steckte. Das rückt Monika allerdings wieder näher ins Spektrum der möglichen Opfer. Aber da sind ja dann noch die übrigen Utensilien: Dirndl und Uhr. Beides Accessoirs von Daniela. Die letztere Option erscheint mir noch erschreckender, auch wenn Monika einen solch frühen Tot wohl genausowenig verdient hat. Und wer mag hinter der Tat stecken, selbst wenn er oder sie nicht direkt ein Mörder war, der oder die dies beabsichtigte mit seiner bzw. ihrer Handlung? Wie gesagt, es bleibt spannend.
Ebenso bleibt spannend, wie nun Klaus oder Barbara sich weiter verhalten wird. Wird er sich entscheiden, zu Barbara zu werden, oder wird er den Weg zu sich selbst, Klaus, zurückfinden?
Danielas Bruder scheint echt fiese Gedanken zu haben. Daniela im Dirndl beim Abiball - das wird sicher ein denkwürdiges Ereignis, daß sie sicherlich überleben wird - wenn es auch ewig in ihrem Gedächtnis bleiben wird, ebenso wie ihr Auftritt bei vielen anderen Anwesenden. Hanni und Nanni im Zoo wird sicher auch spannend, aber wird daran möglicherweise nicht heranreichen.
Vielen Dank Dir, daß Du die Adventszeit wirklich zu dem machst, was sie eigentlich ist: Zeit der Erwartung und der Besinnung. Denn ich freue mich schon sehr auf die kommende Fortsetzung, dann zum 3. Advent - wie schnell doch die Zeit vergeht...
Dir auf jeden Fall einen superschönen Urlaub und eine sichere und angenehme Heimreise!
Keusche Grüße
Keuschling
[Edit]: Dieser Eintrag wurde zuletzt von Keuschling am 10.12.12 um 00:28 geändert
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Muwatalis |
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Story-Writer
Liebe ist so wundervoll!!!!!
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RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust")
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Datum:10.12.12 01:23 IP: gespeichert
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Hallo Ihr Lieben!
Schließe mich Keuschlings Wünschen an.
Möchte noch auf die Bemerkung zum Gesicht der Toten hinweisen.
Noch ist nicht sicher, dass die Tote nicht etwa Barbara sein könnte.
Herzlichst!
Muwatalis Meiner liebsten Träumerin!
Sinke in Deine Arme und bin Daheim!
http://www.keycastle.org/
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Story-Writer
Semper firma occlusa!
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RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust")
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Datum:17.12.12 08:26 IP: gespeichert
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(Diesmal leider etwas verspätet, keine Zeit mehr am Sonntagabend!)
Hallo an alle Leser aus den Winterferien!! Schon ist es der 3. Advent, wie doch wieder die Zeit vergeht! Mir geht es gut, und wie wir heute lesen können, unseren Protagonisten ebenfalls, obwohl....
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Er hatte den Heimweg nach seinem coming-out bei der Oma gut überstanden, immerhin war es nicht so ganz ungefährlich für ein junges Mädchen, noch am späten Abend in high heels und Petticoat allein unterwegs zu sein. Besonders nicht, wenn eine dumme Kette zwischen den Beinen es am schnellen Davonlaufen hinderte. Jetzt aber war er doch froh, als er endlich seinen Schlüssel in das Schloss seiner Wohnungstür stecken und sich daheim entspannen konnte. Der Tag war schließlich aufreibend genug gewesen. Er konnte nur hoffen, dass er wenigstens jetzt die Schlüssel zu seinem Keuschheitsgürtel und -BH finden würde. Eva hatte doch gesagt, sie seien in der Wohnung.
Müde kickte er seine Pumps von den Füßen. Ahh! Welche Wohltat! So ganz würde er wohl nie verstehen, wieso Frauen solch anstrengendes Schuhwerk trugen. Andererseits, als Mann fand er Frauen langweilig, die immer nur flache Schuhe trugen. Es war halt kompliziert.
Klaus holte sich einen Saft aus dem Kühlschrank und ging dann in das kleine Wohnzimmer. Das Licht im Flur hatte er bereits gelöscht, kein Grund, dort Geld und Energie zu verballern, wo man sie nicht brauchte. Er betätigte den Lichtschalter im Wohnzimmer, aber das Zimmer blieb dunkel. Nanu?
Etwas unsicher rutschte er auf dünnen Strümpfen vorwärts, es gab da noch eine kleine Stehlampe mit einem Fußschalter. Aber bevor er so weit gekommen war spürte er plötzlich eine Hand, die sich auf seinen Arm legte.
"Nicht!"
Seine Reaktion hätte kaum heftiger sein können. "Himmel, Arsch und Zwirn!", schrie er laut auf, versuchte einen Schritt rückwärts zu machen, wobei ihn allerdings die Schrittkette hinderte, so dass er statt dessen vorwärts fiel, genau auf das Sofa, genau auf eine Person, die dort saß und scheinbar schon auf ihn gewartet hatte. Er merkte, wie er mit seinem stählernen BH genau gegen den Kopf dieser Person stieß, die nun ihrerseits anfing zu fluchen und sich bemühte, von ihm loszukommen.
"Welcome home!", hörte er Eva sagen.
Er rappelte sich im Dunkeln hoch, setzte sich neben sie und entschuldigte sich für die ungewollte Attacke. Dann musste er lachen, zum ersten Mal an diesem Tag, und bald fiel auch Eva in sein Lachen ein.
"Mann, hast du mich erschreckt!", sagten beide wie aus einem Mund, und beide mussten nun noch mehr lachen.
"Bloß gut, dass ich den Saft noch nicht aufgemacht hatte!"
"Sag mal, gehst du immer so stürmisch vor? Vor dir muss sich ein anständiges Mädchen ja richtig in achtnehmen!", scherzte Eva. "Und dass du mir mit deinen Stahltitten gleich den Schädel einschlagen willst, ist ja nicht gerade die feine englische Art."
"Und willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich dir den Schädel ein!" erinnerte Klaus sie.
Eva rieb sich den Kopf. "Na, besser nicht! Sag mal, wieso steckst du eigentlich immer noch in diesen Sachen? Und wo bist du überhaupt gewesen? Ich sitzte schon seit Stunden hier und warte auf dich!"
Klaus berichtete ihr von dem, was er in der Zwischenzeit erlebt hatte. Den Besuch von Andrea verschwieg er ihr aber.
"Du bist so bei deiner Großmutter gewesen?? Und sie hat dich so noch nie vorher gesehen??" Eva konnte sich das Lachen nicht verkneifen. "Hat sie es denn überlebt?"
"Beinahe nicht. Aber glaub mir, es hat einige Zeit gedauert, bis mir klar wurde, dass sie wieder einmal theatralisch übertrieben hatte. Einen Herzinfarkt also."
"Warum hast du dich denn nicht vorher umgezogen? Sag bloß, du hast die Schlüssel nicht gefunden? Ich habe gar nicht nachgesehen, als ich gekommen bin."
Er antwortete ihr, er habe alles abgesucht, aber leider keine Schlüssel gefunden.
"Oh du Ärmster! Wart mal, ich hole sie sofort!" Sie stand auf, ging hinüber zum Fenster und kam dann mit den kleinen Schlüsseln zurück. "So, jetzt aber!" Sie griff unter seine Röcke und begann, ihn sanft an den Beinen zu streicheln. Ihre Hand glitt immer höher, bis sie auf seinem Keuschheitsgürtel zu ruhen kam. Dann aber zog sie sie zurück. "Sag mal, und was bekomme ich, wenn ich dich da jetzt rauslasse?"
Er war trotz seiner mentalen Erregung müde. "Einen Kuss?"
"Bloß einen Kuss? Ach, dann gehe ich wohl doch besser nach Hause", gab sie in gespielter Enttäuschung zurück.
"Nein, warte! Du kannst alles haben, was du willst!" Er hatte ihre Hand ergriffen und sie ins Sofa zurückgezogen, als sie Anstalten machte, aufzustehen.
"Alles? Na fein. Dann lass uns besser gleich ins Schlafzimmer gehen!"
Sie hatte ihn mit sich gezogen und er hatte keinen Widerstand geleistet. Es gibt halt Momente im Leben an denen man wissen muss, dass man nur verlieren kann, wenn man versucht, sich seinem Schicksal zu entziehen.
Klaus klappte sein Buch zu. Wie Lisbeth Salander. Sie hatte ja auch gewusst, dass es falsch sein konnte, den Schw*****nz einzuziehen. Auch wenn sie gar keinen hatte!
Er stand auf und streckte sich. Der heutige Tag war ruhig verlaufen. Auch zeigte seine Großmutter endlich Anzeichen einer baldigen Genesung. Das Sprechen bereitete ihr jetzt keine Probleme mehr. Dass sie aber auch so unglücklich hatte stürzen müssen! Wie hatte es nur zu dieser schlimmen Gesichtsverletzung kommen können?
Noch einmal rief er sich in Erinnerung, was seine Oma ihm erzählt hatte. Angeblich hatte sie Kompott holen wollen. So weit so gut. Er war ja bereits im Keller gewesen und hatte festgestellt, dass es dort tatsächlich einige Weckgläser mit Birnenkompott gab. Auf dessen Genuss er allerdings gern verzichtet hätte, denn das eingekochte Obst war schon jahrealt.
Irgendetwas stimmte nicht. Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und er erkannte, dass sie ihn die ganze Zeit über angelogen hatte!
Bisher war Klaus immer davon ausgegangen, dass seine Oma Kompott holen wollte, dass sie also auf dem Weg in den Keller gewesen war, als sie auf der Treppe ausgerutscht und so schwer gestürzt war. Warum? Ganz einfach, weil er nirgendwo ein zerbrochenes Glas gefunden hatte. Es gab schlichtweg nichts, was darauf hindeutete, dass sie bereits unten gewesen war. Wie aber war es zu den Gesichtsverletzungen gekommen, wenn sie abwärts gegangen war? Hätte sie dann nicht mit dem Hinterkopf aufschlagen müssen? Sich möglicherweise sogar das Genick gebrochen?
Es konnte nur eine Antwort geben: seine Oma war gestürzt, als sie schon wieder auf dem Weg nach oben war. Sie war vorwärts gefallen, nicht rückwärts. Mit anderen Worten: sie hatte bereits gefunden, was sie holen wollte! Oder aber nicht. Vielleicht hatte sie nichts gefunden. Warum aber hatte sie ihn angelogen? Denn ein Glas mit Kompott hatte sie auf jeden Fall nicht holen wollen.
Er überdachte alles noch einmal ganz genau. Er hatte doch nichts gefunden, was ihn auf eine Spur gebracht hätte. Also gab es auch nichts. Nein, falsch! Dass man nichts sieht, bedeutet nicht, dass es nichts gibt! Er würde ganz einfach noch einmal von vorne anfangen müssen!
Dummerweise klingelte gerade jetzt sein Handy. Er sah auf das Display und staunte nicht schlecht, als er sah, von wem die SMS kam. Das warf nun erst einmal alle seine Pläne über den Haufen! >HALLO BARBARA<, las er. >HAST DU LUST AUF EINEN ABENDSPAZIERGANG? SOLL ICH BEI DIR VORBEIKOMMEN??<
Juni II.
Sie lebte noch! Das war immerhin die Hauptsache, denn sie hatte nicht vor, in einem Leichensack in die Vereinigten Staaten transportiert zu werden, wie so viele andere.
Daniela saß auf ihrer Bettkante, hatte das Notebook auf ihrem Schoß und starrte auf die vielen Bilder der gestrigen Schulabschlussfeier, die ein eifriger Mitschüler bereits bei Flickr hochgeladen hatte. Ein ehemaliger Mitschüler, so musste es jetzt ja wohl heißen. Seltsam, dass alles vorbei war. Mit einem Mal spürte sie das große Loch, das sich vor ihr auftun wollte. Bloß gut, so dachte sie, dass sie von einer Cousine nach New York eingeladen worden war, die dort bei einer Model-Agentur arbeitete. Zusammen wollten die beiden Mädchen in den kommenden zwei Monaten die Neu-Englandstaaten bereisen.
Ekelhaft! Es gab kaum ein Bild, auf dem sie nicht zu sehen war. Entweder nur sie allein, aufgenommen aus allen möglichen Richtungen, mal etwas klein bei der Zeugnisübergabe auf der Bühne, mal mit dem Zoomobjektiv herangeholt, sodass man jedes einzelne Haar erkennen konnte.
Sie sah schlichtweg beschissen aus. Bis Ostern hatte sie ihre harten Gesichtszüge noch gut hinter ihrem langen Haar kaschieren können, jetzt aber sah sie aus wie ein Junge, den man zur Strafe in ein Dirndl gesteckt hatte. Natürlich hatte man das alles mit offener Hähme kommentiert. Natürlich hatte sie versucht, sich nichts anmerken zu lassen. Aber natürlich wusste sie auch, was viele ihrer ehemaligen Mitschüler heute mit diesen Bildern anfangen würden.
Das Schlimmste war, sie hatte keine Ahnung, wer genau diese Bilder gemacht hatte. Gestern hatte doch jeder jeden fotografiert! Da hatte sie keine Ausnahme gemacht. Es konnte ja auch jemand aus einem anderen Leistungskurs sein, jemand, mit dem sie nie zusammengekommen war. Irgendso ein alter Arschlecker! Und sogar eine Frau konnte hinter diesen Bildern stecken! Der Name des Flickr-accounts sagte ihr rein gar nichts, KOELNABI12, das konnte ja von jedem kommen.
Frustriert klappte sie ihr Notebook zu. Auch wenn das Fest toll gewesen war, die Erinnerung daran würde auf ewige Zeiten schmerzhaft bleiben. Bestimmt würde man noch in dreißig Jahren bei zukünftigen Klassenfesten über ihr Aussehen lästern!
Aber noch war ja nicht aller Tage Abend! Hanni und Nanni! Wann hatten sie zum ersten Mal dieses gewagte Spiel gespielt? Es war auf jeden Fall Jahre her. Irgendwann im Laufe ihres Heranwachsens hatten sie und ihr Zwillingsbruder festgestellt, dass sie sich in Größe und Aussehen sehr ähnelten. Und sie hatten spaßeshalber einmal ihre Kleider getauscht. Und beide hatten anschließend lachend vor dem großen Spiegel gestanden und sich gut gefühlt, denn beide wussten, dass ihnen die Natur einen Streich gespielt hatte: ihr Bruder hatte feine, weiche Gesichtszüge, wohingegen sie ein eher eckiges Gesicht hatte, das nur mit einigen Tricks - lange Haare und makeup - ein einigermaßen feminines Aussehen erhielt. Tauschten sie hingegen ihre Kleider, so schien alles richtig zu sein; sie brauchte sich nicht ihres knabenhaften Aussehens zu schämen, und er konnte seiner Phantasie freien Lauf lassen.
Sie erinnerte sich, dass sie dieses Spiel eine ganze Zeit lang getrieben hatten, bis es ihnen im Laufe der Pubertät doch albern vorkam. Jeder versuchte, so gut es ging, sich in die von der Natur vorgegebene und von der Gesellschaft aufgezwungene Geschlechterrolle einzuleben, ein Kleidertausch kam ihnen da nicht mehr in den Sinn.
Und jetzt? Einen Kleidertausch hatten sie seit Jahren nicht mehr gemacht. Wie konnte ihr Bruder denn nur auf diese blöde Idee kommen? Nun, es sollte ihr egal sein. Sie hatte auf jeden Fall ihr Wort gehalten. Wenn er unbedingt Lust hatte, sich im Zoo zum Gespött aller Affen zu machen, ihr sollte es recht sein. Sie wusste, ihre Eltern waren zu irgendeinem Sommerfest eingeladen, von der Seite würde es also keine Probleme geben. Fragte sich nur, ob ihr Bruder das wirklich durchziehen wollte.
Als die Eltern sich am frühen Nachnmittag verabschiedet hatten, war es Zeit, in Aktion zu treten. Daniela staunte nicht schlecht, als sie das Zimmer ihres Bruders betrat.
"Nun, Brüderchen, bereit für die Hinrichtung?"
Er hatte an seinem Schreibtisch gesessen, vor sich hatte er einen großen Spiegel aufgestellt. Langsam drehte er sich um. "Na, wie gefall ich dir?"
Ihr blieb für einen Moment die Luft weg. Ihr Bruder hatte sich ihre Schminkutensilien ausgeliehen, scheinbar wusste er, wie er damit umgehen sollte. Er hatte bereits einen weißen BH angezogen und diesen irgendwomit ausgepolstert, es sah natürlich und nicht übertrieben aus. Auf einem weißen Plastikkopf vor sich hatte er eine blonde Langhaarperücke stehen.
"Überwältigend. Wenn du jetzt fertig bist, dann komm rüber und ich ziehe dir das Kleid an."
Als er wenige Minuten später in ihr Zimmer kam hätte sie ihn fast nicht erkannt. Sie half ihm in ihr Dirndl und wählte ein Paar Schuhe für ihn aus. "So, dann sind wir hier ja fertig und können von mir aus gehen."
"Ich bin fertig. Aber was ist mit dir? Wir müssen doch noch einen richtig hässlichen Jungen aus dir machen. Es heißt schließlich Kleidertausch, so wie früher. Ich ziehe deine Sachen an und du ziehst meine an."
Daniela sah ein, dass sie daran nicht gedacht hatte. Minuten später hatte ihr Bruder sie bereits in eine seiner furchtbaren baggy jeans gesteckt, eine Hose, die sie schlichtweg widerlich fand. Dann kam er mit einer breiten Elastikbinde auf sie zu.
"Und was soll das jetzt?", fragte sie unsicher.
"Du gehst schließlich als Junge in den Zoo. Da können wir die nicht gut mitnehmen!" Er kicherte über seinen blöden Witz, während er auf ihre Brüste zeigte.
Widerwillig ließ sie ihn gewähren, schon nach wenigen Wicklungen hatte sie das Gefühl, ersticken zu müssen. "Nicht so eng, verdammt noch mal! Das ist ja schlimmer als Monikas Korsett!"
Er hielt augenblicklich inne. "Wie bitte? Was für ein Korsett?"
"Nichts. Nichts was dich was angeht. Bist du endlich fertig? Und was soll ich darüber anziehen?" Er gab ihr ein langes, unförmiges T-shirt. "Man, das ist ja echt schlimm, in was für ollen Klamotten du so rumläufst. So, war´s das jetzt?" Daniela musste noch seine Baseball cap aufsetzen, außerdem bekam sie seine Basket shoes zum Anziehen, dann waren sie beide fertig. Wie sie sah strahlte er über beide Backen, sie hingegen hatte jetzt schon das Gefühl, drei Meilen gegen den Wind zu stinken.
Als er vor ihr die Haustür öffnete und dort eine kleine Sekunde stehen blieb, sicherlich um eine erste Unsicherheit abzuschütteln, sah Daniela ihre Chance gekommen, wenigstens für etwas Gerechtigkeit zu sorgen. Mit einem schnellen Griff zog sie ihm die Perücke vom Kopf. Er erschrak sichtlich und drehte sich zu seiner Schwester um.
"Was soll das? Gib mir sofort die Perücke zurück!"
"Nix da! Die Perücke bleibt hier! Ich trage so etwas ja auch nicht. Kleidertausch, sagtest du. Du darfst also nur Sachen von mir tragen. Eine Perücke gehört nicht dazu!" Dann schob sie ihn zur Tür hinaus. Auf der Treppe ordnete sie noch einmal seine Haare, die sowieso länger als ihre eigenen waren, dann fasste sie ihn um die Taille und machte sich auf den Weg zum Bus.
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Bereits auf dem Heimweg hatte Klaus gespürt, dass er ein Problem erster Güte hatte. Sie traute sich nicht. Er hatte keine Ahnung, was Monika von Barbara erwartete; das ganze Arrangement kam ihm ziemlich nebulös vor. Zwar hatte er noch vor nicht einmal einer Stunde selber gehört, dass Monika Barbara vermisste, aber dass ihr Anruf so plötzlich gekommen war, wollte ihm nicht schmecken.
Wieder bei sich zu Hause verspürte er aufkommende Übelkeit. Nein, es geht nicht! Schnell hatte er sein Handy geholt und Monika vorgeschlagen, man möge sich doch besser am Sonntag im Englischen Garten treffen.
Monika hatte sofort akzeptiert.
Bereits in der Früh war Klaus aus dem Bett gefallen. Heute! Er hatte einen ganzen langen Samstag damit verbracht, mit Barbara darüber zu streiten, ob sie auf eine neue Kontaktaufnahme eingehen sollte, oder besser nicht. Das Ergebnis fiel fifty fifty aus, mit einem kleinen Vorsprung für den Versuch. Es war ja nicht mehr so, wie noch im Winter und Frühjahr. Diesmal machte er wirklich freiwillig mit, nicht nur halbwegs.
Ja, er hätte es nicht abstreiten können: da war etwas in ihm, was es durchaus genoss, wenn er sich in Barbara verwandelte. Es war eine Flucht vor dem eigenen Ich, vor seiner männlichen Schwäche, denn von männlicher Stärke hatte bei ihm nie die Rede sein können.
Gut, dass ihr keine Mädchen seid!, diesen dummen Satz hatte er während seiner Zeit im Gymnasium so oft zu hören bekommen, dass er irgendwann, eines Tages, angefangen hatte zu überlegen, ob sich seine Welt nicht eventuell doch in ein Paradies verwandeln würde, wäre er wirklich eins. Doch die Probe aufs Exempel hatte für ihn erst in diesem Winter stattgefunden, nicht unfreiwillig, aber bestimmt auch nicht gegen seinen Willen.
Jetzt stand er im dampfenden Badezimmer und überlegte, was er anziehen sollte. Ungern erinnerte er sich an seinen letzten Besuch des Englischen Gartens, an Karsamstag, als er dort mehrere Stunden als Messdienerin verkleidet an ein Brückengeländer gefesselt auf jemanden warten sollte, von dem er nicht wusste, wer es sein könnte. Bis schließlich Daniela auftauchte.
Er trocknete sich ab. Es war herrlich, endlich wieder die Vorzüge einer heißen Dusche genießen zu können. Während des Winters war das lange Zeit nicht möglich gewesen, da hatte Monika dafür gesorgt, dass er zu diesem Zweck zu ihr kam, wo sie sich um seine Körperpflege kümmerte. Dieses furchtbare Melken! Er verstand diese Frau einfach nicht! Schon dieser ganze Messdienerquatsch. Dann ihre bizarren Einfälle. Dieses Domina-Gehabe! Und dass sie scheinbar nie verstanden hatte, dass ab einem gewissen Zeitpunkt das alles für ihn gar nicht sonderlich spannend war, als seine monatelange Keuschhaltung nur dazu geführt hatte, dass er eine vorübergehende Impotenz entwickelt hatte. Sie war gar nicht mehr in der Lage gewesen, ihn sexuell zu dominieren, weil es dieses Gefühl, weder körperlich noch mental, für ihn gar nicht mehr gegeben hatte. Und nach seiner Befreiung hatte es Wochen gedauert, bis alles wieder richtig funktionierte.
Als er jetzt darüber nachdachte, was sie anziehen sollte, merkte er jetzt auch wieder die aufkommende sexuelle Erregung. Für ihn war es schön, aber für Barbara? Wie würde Monika reagieren, wenn sie plötzlich unter ihrem Rock ein erigiertes Glied vorfand?? Das war die Frage. Er sah auf die Uhr, noch war Zeit genug, es herauszufinden.
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Monika hatte lange über den Vorschlag ihrer Mutter nachgedacht, eventuell wieder einmal Kontakt zu Barbara aufzunehmen. Bisher hatte sie dies tunlichst vermieden, auch aus Scham über all das, was sie in den zurückliegenden Monaten mit ihm angestellt hatte.
Aber vielleicht hatte ihre Mutter gar nicht so unrecht mit ihrer Behauptung, eine Transe wie er könne der richtige Umgang für sie sein? Sie wusste durchaus, dass alle sie für eine Lesbe hielten, was aber nur bedingt den Tatsachen entsprach. Klar, sie hatte in ihrem Reifungsprozess Umgang mit Frauen gehabt - Sofie war eine davon gewesen - aber sie hätte nicht sagen können, dass sie nur auf Frauen stand. Es war bisher eher so gewesen, dass sie gar nicht auf Männern stand. Weswegen die Sache mit Barbara durchaus einen Versuch wert war.
Als ihr all dies klar geworden war kam ihr auch der Gedanke, so vielleicht auch endlich diesem gläsernen Dildo zu entkommen, den Pia immer noch zum gelegentlichen Einsatz kommen ließ, wobei das Wort Einsatz in diesem Falle durchaus wörtlich zu verstehen war. Entschlossen hatte sie daraufhin Klaus/Barbara noch am selben Nachmittag eine SMS geschickt und ihr ein Treffen am Abend vorgeschlagen.
In angespannter Ungewissheit hatte sie die folgende Stunde verbracht, denn es war höchst unklar, ob sie überhaupt noch etwas von ihr wissen wollte; Grund genug ihr böse zu sein hatte sie ja auf jeden Fall. Dann aber hatte sie eine Antwort erhalten, in der Barbara ein Treffen im Englischen Garten für den Sonntagnachmittag vorgeschlagen hatte.
Es war immer wieder erstaunlich, wie sehr dieser wunderschöne alte Park im Laufe der Jahreszeiten sein Aussehen veränderte. Das letzte Mal, als sie am Ostersamstag hier gewesen war, hatten alle Beete voller Narzissen und Tulpen gestanden, die noch immer kahlen Bäume ließen ungehinderte Blicke auf zwitschernde Vögel zu, die wohl schon eifrig mit dem Nestbau beschäftigt waren. Und das Mal davor, das war um Weihnachten gewesen, als sie, dick eingemummelt, einen herrlichen Winterspaziergang mit ihrer Mutter gemacht hatte. Da war die Luft klar und rein gewesen, und außer dem knirschenden Schnee unter den Schuhsolen hatte man kaum einen Laut gehört.
Jetzt tummelte sich hier das Leben! Schon am frühen Nachmittag waren Scharen von Menschen unterwegs, viele, hauptsächlich ältere Leute, würden sich noch zur Kaffeezeit einfinden. Auch der Biergarten am Chinesischen Turm war bereits gut besucht. Monika war extra etwas früher gekommen und hatte sich einen etwas abseits stehenden Tisch ausgesucht und eine Apfelschorle bestellt. Jetzt war sie nur noch gespannt, wann Barbara kommen würde - falls überhaupt.
Sicher war gar nichts. Sicher könnte sie sein, wenn sie mit ihr in einigen Stunden im Bett landen würde. Aber nur unter der Bedingung, dass sie sich nicht ausziehen würde. Denn mit Klaus hatte sie rein gar nichts am Hut.
Als es gegen drei Uhr immer voller wurde verlor sie bald den Überblick. War denn nun ganz München auf den Beinen? Aber man konnte es gut verstehen, denn Sommer war jetzt, da wäre der dumm, der noch bis in den Juli warten wollte, wenn es dann doch wieder nur tagelang regnete. Jung und alt wogte auf den sandigen Wegen hin und her, Kinder schrien und lärmten, Japaner knipsten sich gegenseitig, immer die rechte Hand zum Victory-Zeichen erhoben, und viele nahmen die Gelegenheit wahr, sich mit einem feschen bayrischen Mädchen im Dirndl ablichten zu lassen.
Fast hätte sie sich an ihrer Schorle verschluckt, als sie sah, dass ausgerechnet Barbara Opfer einer solchen japanischen Foto-Attacke geworden war. Wenn die wüssten!! Sollte sie einmal hinübergehen und sagen: "She is a man!"?
Ihr Herz schlug schneller als sie sah, dass Barbara sich alle Mühe gegeben hatte, das beste aus sich zu machen. Und es schlug noch schneller, als sie direkt auf sie zukam und sie fest umarmte. Keine Spur von verklemmter Zurückhaltung.
"Hallo Moni!" Sie schaute sie direkt an. "Ich darf doch Moni sagen, oder?"
"Barbara!" Sie nickte bloß. Sie verstand sofort, wonach sie gefragt hatte. "Ja, natürlich. Das andere da, das ist vorbei. Es war... es war..."
"...nur ein verrücktes Spiel, nicht wahr?"
"Ja." Sie bestellten ein Glas Weißwein für Barbara, auch Monika nahm eins für sich.
"Wie geht es dir?", fragten beide plötzlich wie auf Kommando. Beide lachten. Sie hatten sich viel zu erzählen. Aber sie klammerten das aus, was sie zuvor gemeinsam erlebt hatten.
"Komm, setz dich hier rüber", forderte Monika sie auf. Immer noch war sie diejenige, die die Initiative ergreifen musste. Sie legte einen Arm um ihren Rücken. Deutlich konnte sie das stabile Rückenband des Keuschheits-BHs unter dem Mieder spüren.
"Oh!"
Barbara wurde leicht rot. "Ich dachte, es würde dir so besser gefallen."
"Du hast wirklich...?" Sie brachte den Satz nicht zu Ende; schon hatte sie unter dem klapprigen Holztisch mit ihrer Hand in Barbaras Schritt gegriffen. Dort war nichts, wenn man einen soliden Stahlgürtel als nichts bezeichnen wollte. Plötzlich machte sie eine verblüffende Entdeckung an sich selber. Hatte sie bisher das nicht interessiert, was unter dem stählernen Gürtel verschlossen war, so war es plötzlich umgekehrt. Zum ersten Mal, seit sie ihn selber in das Ding eingesperrt hatte, hatte sie das Bedürfnis, auszupacken, was vor fremdem Zugriff versperrt war. Hing all das mit ihrem österlichen Höllentrip zusammen? War sie dadurch ein anderer Mensch geworden?
"Schlüssel habe ich leider nicht mehr", flüsterte sie in sein Ohr. Klang hier vielleicht leise Furcht mit, er könnte sie jemand anderem anvertraut haben?
Barbara lächelte. Nein, aus Monika konnte man nicht schlau werden. "Wofür willst du denn die Schlüssel?", fragte er in neckischem Ton.
Monika schaute in ihr Weinglas. Sie ließ sich Zeit mit der Antwort. Dann trank sie zügig aus und stellte ihr Glas etwas heftiger als erforderlich zurück auf den Tisch. "Ich will Sex. Ich will Sex mit dir, Barbara. Richtigen Sex. Und wenn du es nicht willst, dann ist es besser, du stehst jetzt auf und lässt mich hier sitzen. Es ist deine Entscheidung."
Barbara wäre fast das Glas aus der Hand gefallen. Diese Frau war wirklich immer wieder für eine Überraschung gut. Auch sie trank ihr Glas aus, dann sah sie Monika mit einem seltsamen Kopfschütteln an und stand auf. "Die Schlüssel liegen auf dem Küchentisch", sagte sie und zog sie hoch. "Komm, lass uns gehen!"
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Verärgert hängte Daniela ihr Dirndl auf einen Bügel und es dann zum Lüften auf den Balkon. Es hatte nach Männerschweiß gerochen, da konnte ihr Bruder noch so beneidenswert gut in ihrem Kleid ausgesehen haben.
Die ganze Hanni-und-Nanni-Aktion hatte ihr überhaupt nichts eingebracht. Wieso nur wusste er sich so gut in Frauenklamotten zu bewegen? Sie war mehrere Stunden lang fast ununterbrochen neben ihm hergelaufen und hatte bald schon die gierigen Blicke viele Männer gesehen, die sich auf ihn gerichtet hatten. Und kein einziger Blick irgendeiner Frau hatte ihr selber gegolten, was die Vermutung nahe legte, dass sie hässlich aussah. Wieso also trugen Jungen solch schlimme Sachen? Diese bescheuerte Hose, die ihr fast um die Knie hing? Sicherlich nicht um beim anderen Geschlecht Eindruck zu hinterlassen, wie ihr langsam klar geworden war. Irgendetwas verhielt sich bei Männern anders, als bei Frauen. Ihnen schien die Aufmerksamkeit von Frauen eher egal zu sein, wohingegen Frauen sich im Grunde genommen immer so kleideten, dass Männer sie möglichst attraktiv finden sollten.
Natürlich hatte es auch im Zoo belustigte Blicke gegeben, und nicht nur von den Affen. Kommentare wie Guck mal die da! waren auch hier zu hören gewesen. Aber meist kamen sie von gleichaltrigen jungen Frauen, die mit dieser Mode nichts anzufangen wussten. Und wie hatte ihr Bruder reagiert? Hatte er die ihm angedachten Qualen erlitten, wollte er möglichst rasch zurück in die sichere Wohnung? Nein, nichts von alledem. Entweder hatte er stur geradeaus geblickt, oder er hatte die Person, die ihn gerade dumm angequatscht hatte, mit einem breiten Grinsen bedacht. Nur viel reden wollte er lieber nicht, denn er hatte seine Stimme nicht so gut im Griff wie Klaus, der ja einige Monate zum Üben gehabt hatte.
Gelitten hatte sie höchstens selber. Die elastische Binde, die sie um die Brust gewickelt hatte, schmerzte sie mehr und mehr. Als sie sie endlich zu Hause wieder abnehmen konnte, betrachtete sie besorgt ihre Brüste im Spiegel. Würden sie je wieder ihre hübsche Form annehmen? Im Moment sahen sie eher so aus, als hätte ein Elefant auf ihnen gestanden!
Daniela zog sich ihren BH wieder an und hatte den dummen Verdacht, dieser sei im Laufe des Tages um mindestens zwei Nummern größer geworden. Gut, dass die Körbchengröße nicht zu den biometrischen Angaben im Pass gehörten - so hier würden die Amis ihr auf jeden Fall die Einreise in Gods own country verweigern.
Sie beschloss, das ganze Wochenende mit seinen Festen und Zoobesuchen als irgendwie verunglückt aus dem Gedächtnis zu streichen. Sie konnte nicht immer gewinnen. Die nächsten acht Wochen hätte sie besseres zu tun, als sich darüber noch Gedanken zu machen, und dann, wenn sie wieder nach Hause kam, würde sie wissen, ob sie bei der Studienplatzvergabe das große Los gezogen hatte. Wenn ja, brauchte sie sich sicherlich nicht einmal um eine Studentenbude Sorgen zu machen!
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AlterLeser |
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Story-Writer
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RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust")
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Datum:17.12.12 11:36 IP: gespeichert
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Hi Daniela,
nach dem ich mehrmals gestern Abend geschaut hatte, hatte ich doch gleich Angst bekommen
du könntest vielleicht erkrankt sein und ich müßte auf die nächste Fortsetzung warten aber das
warten hat sich gelohnt.
Dafür meinen Dank.
Was wird jetzt mit Klaus? Er scheint wieder in die Fänge von Monika zu geraten., allerdings hat
diese eine Konkurrentin durch Eva erhalten. Genau zwischen diese beiden Mühlsteine wird
nun Klaus zerrieben. Eigentlich hat er nun keine Chance der Barbara zu entfliehen, nur eben
unter welcher Domina er dies tun muß!??
Nun haben ich erfahren das der ¨fiese¨ Bruder von Daniela ein Zwillingsbruder ist.
Hatte bis jetzt immer gedacht der wäre einige Jahre jünger als Daniela.
Vielleicht habe ich aber diesen Aspekt überlesen.
Zum Schluß freue ich mich auf deine Fortsetzung.
LG der alte Leser.
♥♥♥
Gruß der alte Leser Horst
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Keuschling |
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Sklave/KG-Träger
um Ulm herum...
zur Sicherheit besser verschlossen, zur Zeit im Neosteel TV-Masterpiece...
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RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust")
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Datum:19.12.12 20:56 IP: gespeichert
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Hi Daniela,
auch ich war sehr froh, daß es sich nur um eine Verzögerung gehandelt hat - aber Du hattest die Möglichkeit dazu ja schon angekündigt gehabt. Ich hoffe, Du hattest einen schönen Urlaub.
Ja, für Klaus könnte es in der Tat nun schwierig werden. Er sitzt zwischen den Stühlen und kann sich noch nicht einmal entscheiden, wer er nun wirklich ist. Und irgendwie scheint er noch nicht mal zu merken, daß er sich immer tiefer reinreitet. Ich hoffe, er wird noch früh genug gerettet, bevor er sich vollends im Chaos verliert.
Danielas Bruder scheint ja wohl heimlich "geübt" zu haben, was sein Auftritt als TV angeht... Hoffentlich findet Daniela bei ihrem USA-Besuch bald über ihre üblen Erlebnisse hinweg.
Dir noch eine tolle Adventszeit, Daniela!
Keusche Grüße
Keuschling
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Story-Writer
Semper firma occlusa!
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RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust")
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Datum:23.12.12 22:00 IP: gespeichert
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Ist denn tatsächlich schon wieder Sonntag?? Der 4. Advent schon! Ich bin wieder bei mir zu Hause, hatte schöne Tage bei meinen Freunden, wo es sehr winterlich war. Aber auch hier ist gerade heute der Winter wieder zurückgekehrt, so um Mitternacht fing es an, zu schneien, und im Laufe des Vormittags bis ca. 16 Uhr gab es einen veritablen Schneesturm.
Jetzt aber genug der Vorrede; weiter im Text!!
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Monika hatte, als Barbara vom Tisch aufgestanden war, einen kurzen Augenblick befürchtet, dass jetzt alles vorbeisein könnte, eigentlich noch bevor es richtig angefangen hatte, durfte dann aber beruhigt aufatmen, als diese ihre Hand ergriff und sie von ihrem Platz hochzog.
Einen Moment, der ihr lang vorkam, standen die beiden sich ganz nah gegenüber, ihre Augen versanken ineinander, die Blasmusik, die für eine zünftige Stimmung gesorgt hatte, verschwand in den Hintergrund.
Was war das? Unsicher wandte sie ihren Blick ab. Wieso hatte sie plötzlich dieses Herzklopfen? Was hatte dieser Blick denn nur bei ihr ausgelöst?
Liebe?
Ihr wurde leicht unwohl, als sie diesen Gedanken in ihrem Kopf fand. Sie mochte ihn nicht, denn mit ihm hatte sie bisher nichts anfangen können. Nicht weil sie mit Liebe nichts anfangen konnte, sondern weil sie wusste, dass sie sie nicht kontrollieren konnte.
Sie liebte eine Frau. Eine Frau, die es gar nicht gab.
Monika versuchte, es irgendwie zu überspielen. Kein einziges Mal in den vergangenen Monaten hatte sie Ähnliches gespürt, und sie war nun wahrlich oft genug mit ihm zusammen gewesen. Mit ihm, ja. Mit ihr eigentlich nicht. Zwar hatte sie ihre ganze Kraft darauf verwandt, Klaus unter Kontrolle zu halten, aber wahrscheinlich war genau das auch das Problem, denn Barbara war bisher immer nur ihr höchst eigenes Fantasieprodukt gewesen, und in solche sollte man sich besser nicht verlieben, will man überleben.
Sie legte ihren Arm um Barbaras Taille, als sie sich auf den Weg machten. So war sie nie mit ihr zusammen gewesen. Diese unbekümmerte, wohltuende Nähe - was in ihren Ohren doch besser klang als Liebe - hatte sie nie vorher erlebt.
Monika spürte den harten Wulst des Keuschheitsgürtels, den Barbara unter ihrem Dirndl trug. Ihre Finger glitten zum faltig abfallenden Dirndlrock hinab, ertasteten den Schrittreifen, der das verbarg, was ihr immer noch leichtes Kopfzerbrechen bescherte. Ein schwer zu kontrollierender Mix aus sich widersprechenden Gefühlen hatte sie ergiffen, denn bisher hatte sie noch nicht das Vergnügen gehabt. War es überhaupt ein Vergnügen?
Plötzlich musste sie lachen. Barbara blieb stehen und sah sie bloß fragend an. Monika schüttelte bloß ihren Kopf. Alles in Ordnung, lass uns weitergehen!
Sie fühlte sich dumm, wie ein kleines Mädchen, als ihr aufgegangen war, dass sie wie ein Kind reagiert hatte. Am liebsten hätte sie sich gleich hier und jetzt, eventuell auf der Toilette, über Barbara hergemacht, aber die Verpackung hinderte sie daran! Oh, wie mochte es ihm erst gehen??
Sie biss sich auf die Lippe. Barbara mochte noch so hübsch und überzeugend aussehen, aber das da, was sie selber so sorgfältig versperrt hatte, war und blieb wohl auch in alle Zeiten männlich. Klar, eine Operation mochte das ändern, aber sie wusste wohl, dass eine solche immer nur geschlechtsangleichend war. Kein operierter Mann besaß eine Klitoris, kein Transsexueller konnte Kinder gebären.
Sie blieb stehen, als sie den Druck ihrer Blase bemerkte. "Du, ich muss mal. Wartest du hier auf mich?"
Barbara sagte, dass sie mitkommen wollte. Mitkommen? Aufs Frauenklo? Fast hätte sie laut gefragt. Hätte Barbara besser aufs Männerklo gehen sollen? So, im Dirndl?
Erst als sie die Toilette betraten und Monika den typischen Geruch wahrnahm und das Geräusch der klappernden Türen hörte, erinnerte sie sich an das letzte Mal, als sie hier gewesen war. Das war während der Herbstferien gewesen, als sie nach Daniela gesucht und diese schließlich in einer misslichen Lage auf der Herrentoilette gefunden hatte. Diese verdammten Schweine, die ihr das angetan hatten!
Instinktiv verweilte sie einen Augenblick an der Tür, vergewisserte sie sich zuerst, ob die Luft rein war. Dann öffnete sie die Tür der Behindertentoilette, griff Barbara am Arm und zog sie mit sich hinein - Keuschheitsgürtel oder kein Keuschheitsgürtel, das war jetzt egal.
Es war schwer auszumachen, wer wen küsste. Nach einer sehr kurzen Schrecksekunde hatte Monika sein Gesicht zu ihr herübergezogen und ganz automatisch etwas getan, was beide verblüffte. Barbaras unmittalbare Reaktion war Abwehr, dann aber stellte sie fest, dass es gar nicht so übel war, endlich das tun zu können, auf das sie bereits im Januar einmal spekuliert hatte, als Monika sie das erste Mal in ihre neue Wohnung mitgenommen hatte.
Monika hatte dieser fast magnetischen Kraft nicht widerstehen können, die von der anderen Person ausging. Es war ihr gelungen, ihr Projekt mit dem schönen Namen Barbara. Sie hatte eine Frau aus diesem dummen Jungen gemacht, eine Frau, für die man sogar so etwas wie Liebe empfinden durfte. Gedankenverloren driftete sie ab, ließ es zu, dass Barbara tief mit ihrer Zunge in ihren Mund eindrang. Und fühlte sich plötzlich leer und unausgefüllt, wie nur eine Frau es empfinden kann.
Sie wollte mehr! Am liebsten gleich jetzt und hier. Ihr Körper wollte es. Jetzt, nachdem sie sich von einigen selbstauferlegten Beschränkungen befreit hatte, auch dank des langen Gesprächs, das sie mit Agnes noch in der Klinik geführt hatte, jetzt begann ihr Körper ganz normale Bedürfnisse zu entwickeln, Bedürfnisse, wie sie bei jeder jungen Frau vorkommen.
Ohne nachzudenken schlug sie Barbaras Dirndlschürze und -rock hoch, tastete sie mit der Hand entlang ihrer Beine, hoch und höher, bis dorthin, wo ihre zitternden Finger nicht weiterkamen, weil sie von einer stählernen Barriere gestoppt wurden.
Sie versuchte nachzudenken, aber dazu brauchte das Hirn Sauerstoff, und der wurde immer knapper. Barbaras Lippen hatten sich eng an ihre eigenen angesogen, beider Atem ging stoßweise hin und her, ließ keinen klaren Gedanken mehr zu.
Ihre Hände drückten gegen Barbaras Brüste unter der weißen Dirndlbluse, aber auch hier war außer dem stählernen BH nichts zu fühlen. Egal, wie fest sie zupackte.
Barbara sah nur noch Sterne. Sie spürte den verzweifelten Druck auf ihre Brüste nicht, sah nur diese klammernde Hand, die in unnützer Heftigkeit ihre weggesperrten ´Brüste´ bearbeitete. Und sie spürte die andere Hand, die plötzlich das haben wollte, was monatelang gar nicht mehr zu ihrem Körper gehören durfte, weil Frauen so etwas nun einmal nicht hatten. Was war denn nur plötzlich in Monika gefahren?
Mit einiger Anstrengung machte diese sich schließlich von Barbara los. Heftig atmend fuhr sie sich übers Gesicht, dann sagte sie: "Komm, lass uns gehen!"
"Wohin?"
"Zum Küchentisch! Wohin denn sonst?"
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Der Anruf kam als sie gerade zum x-ten Mal den Inhalt ihres Rucksacks überprüfte. "Hallo? Ja, ich bin es. Wie bitte? Wann? Oh!" Das war dumm, vielleicht sogar mehr als dumm. Hatte sie denn nicht deutlich gesagt, dass sie in die USA fahren wollte und für die kommenden zwei Monate nicht mehr zur Verfügung stehen würde?
Aber die Anruferin ließ sich nicht abwimmeln. "Ja, entschuldige, Daniela, ich weiß ja, dass du mitten in den Reisevorbereitungen steckst. Aber ich kann niemand sonst erreichen. Alle sind irgendwie weg."
"Ich bin eigentlich auch schon weg!"
Die Frau lachte. "Uneigentlich aber habe ich dich doch noch erreicht, oder?"
"Ja, aber ich stehe bereits am Fuß der Freiheitsstatue und..." Dummerweise musste sie nun selber lachen.
"Willst mich wohl anlügen, was? Das muss aber bestraft werden, Daniela!" Die Stimme hatte plötzlich einen harten Ausdruck angenommen.
Daniela zögerte mit der Antwort. Was hatte die andere gerade gesagt? So etwas hatte sie von ihr bisher noch nicht gehört. Mit einem Mal wurde ihr ganz anders. "Nein, bestimmt nicht. Nur ein wenig geschummelt. Nichts, wofür ich bestraft werden müsste." Da war es wieder. Als sie das Wort aussprach hatte sie das leichte Ziehen im Unterleib sofort gespürt. Sie schloss die Augen. Warum war sie eigentlich noch hier? Warum war sie nicht gleich nach den mündlichen Abiturprüfungen gefahren? Weg, weg von all diesem Seltsamen, diesem Bizarren, das sich wie ein mentaler Bandwurm in ihr Bewusstsein geschlichen hatte? Sie hätte sich den nervigen Auftritt im Dirndl sparen können, hätte heute nicht in diesen gammeligen Jungensachen im Zoo herumrennen müssen, neben ihrem Bruder, der in ihrem Dirndl zwanzigmal besser aussah, als sie selbst.
"Schade", sagte die Frau. "Ich hätte sie dir gern einmal gezeigt ... muss doch mal ausprobieren, ob ich alles richtig gemacht habe."
Was hätte sie gern mit ihr ausprobiert? Daniela merkte, wie der Bandwurm gierig um sich fraß. Sie bemühte sich, das leichte Zittern ihrer Stimme zu unterdrücken. "Wann?", fragte sie.
"Um 18 Uhr. Und sei pünktlich, denn Unpünktlichkeit wird ganz bestimmt bestraft!" Es folgte ein heftiges Atemholen, dann sagte sie noch: "Und ich hoffe, du hast für heute Abend noch keine großen Pläne, oder so. Nicht, dass ich dich noch persönlich vom Empire State Building runterholen muss!" Dann klickte das Telefon; sie hatte aufgelegt.
"Scheiße", murmelte Daniela, während ihre Hand sich in ihrem pochenden Schritt verkrampfte.
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Vorsichtig angelte die alte Frau Meisner nach ihrem Stock. Sie hatte lange genug in ihrem Bett gelegen, es war Zeit, zu handeln. Sie konnte es sich einfach nicht erlauben, noch länger zu warten. Mit jedem Tag, der ging, wuchs die Gefahr der Entdeckung. Es war schon erstaunlich genug, dass der Bub die Dose noch nicht gefunden hatte.
Bisher hatte sie innerhalb des Hauses eine ziemlich monströse Gehhilfe benutzt, die ihr Gehilfe - ihr Enkel! - vorsichtig durch die Wohnung schob, während sie sich auf dem Sitzbrett niedergelassen hatte. Aber das waren keine großen Ausflüge gewesen, vom Bett ins Bad und wieder zurück. Leider war ihr Haus nicht sonderlich behindertengerecht eingerichtet, so dass ihre Aktivitäten auf das Obergeschoss beschränkt gewesen waren.
Meilenweit entfernt vom Kellergeschoss!
Jetzt aber hatte ihr allgemeiner Gesundheitszustand sich verbessert. Sie konnte wieder richtige Nahrung zu sich nehmen, im Bett hatte sie begonnen, mit einem uralten Deuser-Band ihre schlappen Muskeln wieder aufzubauen. Sie musste es jetzt einfach versuchen, koste es, was es wolle.
Vorsichtig stützte sie sich auf ihren alten Stock. Ja, es ging. Es musste gehen! Schnell sah sie, dass die Treppe hinab ins Erdgeschoss ein großes Hinderniss darstellte. Aber die Treppe war relativ breit und besaß ein solides Geländer, an dem sie sich gut festhalten konnte. Noch immer bereitete ihr der verletzte Fuß Schmerzen, noch immer hatte sie keinen festen Halt. Vorsichtig, Stufe für Stufe, quälte sie sich hinab.
Als sie unten ankam war der alten Dame die Anstrengung ins Gesicht geschrieben. Wie sie jemals wieder hochkommen sollte, daran mochte sie im Moment lieber nicht denken.
Es war warm im Haus, was ihren alten Knochen gut tat. Frau Meisner spürte die Energie, die wieder durch ihren Köper flutete. Aber wie lange diese anhalten würde, konnte sie nicht wissen. Hoffentlich lange genug.
Entschlossen tastete sie sich zur Kellertür vor. Sie öffnete die Tür und schaltete das Licht ein. Diese verdammte Treppe? War das überhaupt eine Treppe? Oder nicht doch eher eine Stiege? Linker Hand war ein dünner, wackliger Handlauf, die Stufen so schmal, wo sollte sie da ihren Stock aufsetzen? Sollte sie erst einen Schritt machen, oder doch besser zuerst den Stock aufsetzen? Sie entschied sich für den Stock, setzte ihn vorsichtig auf die Treppenstufe, und konnte gerade noch zurücktaumeln, als der alte, morsche Gummipfropf auseinanderbröselte und der Stock mit lautem Gepolter die Treppe hinabfiel. Sie selber griff mit der anderen Hand ins Leere, schwankte zurück und bekam Übergewicht, sodass sie mit unvermittelter Wucht auf die Seite fiel, weil sie noch im Fallen versucht hatte, sich zu drehen. Sie hörte ein schreckliches, knirschendes Geräusch, dessen Quelle in ihrer Hüfte zu liegen schien, und wusste im selben Augenblick, dass gerade eine Art Supergau stattgefunden hatte.
Mit letzter Kraft schloss sie die Kellertür, indem sie sie mit dem gesunden Bein zutrat, dann kroch sie in die Küche weiter, denn nur hier würde sie erklären können, wieso sie nach unten gegangen war. Plötzlich fiel ihr der unsinnige Reim eines Liedes ein, das sie voller Begeisterung als Kind gegrölt hatte, und plötzlich wusste sie, dass es zu Ende war, wenn nicht noch ein Wunder geschehe. Es brechen die morschen Knochen, wenn alles in Scherben fällt... Ja, alles würde jetzt in Scherben fallen, denn an Wunder glaubte sie schon lange nicht mehr.
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Der Heimweg zu Barbaras kleiner Dachwohnung war beiden unendlich lang vorgekommen. Jetzt aber hatten sie das alte, gemütliche Haus erreicht, Barbara hatte die Tür aufgeschlossen und war gleich darauf ins Bad gestürzt, denn ihr drohte bereits die Blase zu platzen.
Das hätte ich auch einfacher haben können, dachte sie, als sie sich umständlich den Schritt trocknete. Vielleicht hätte sie doch erst in die Küche gehen , die Schlüssel zu ihrem Keuschheitsgürtel nehmen und aufschließen sollen? Egal wie man es macht, man macht´s verkehrt! Aber das Urinieren im Sitzen war nicht so schlimm, sie hatte sich längst daran gewöhnt. Dumm war nur, dass es ihr trotz aller Übung immer noch nicht gelungen war, das Kleine Geschäft halbwegs spritzerlos über die Bühne zu bringen.
Sie ordnete ihre Kleider, zog an der Strippe, denn das Klo hatte immer noch einen altmodischen Wasserkasten oben an der Wand, dann wusch sie sich die Hände. Sie atmete noch einmal tief durch, als sie daran dachte, was gleich geschehen würde.
Als sie aus der Toilette rauskam sah sie auf dem Weg zur Küche Monika, die sich bereits nackt ausgezogen hatte und gerade dabei war, das Wohnzimmerfenster zu öffnen. Ein Zettel flog bei dem Luftstrom vom Wohnzimmertisch, sie bückte sich, ihn aufzuheben.
Barbara machte die wenigen Schritte in die Küche. Ihr Herz klopfte, sie musste sich zwingen, halbwegs ruhig zu bleiben. Aber welcher Mensch hat in solch einer Situation seine Hormone noch unter Kontrolle?
Auf dem Küchentisch lagen keine Schlüssel. Nanu? Hatte sie die Schlüssel mittags wo anders abgelegt? Oder hatte sie sie in eine Schale getan? Nein, auch nicht. Vielleicht in die Schublade? Nichts.
Sie überlegte. Wo hatte sie ihre stählerne Unterwäsche angelegt? Ach, natürlich, im Schlafzimmer! Wahrscheinlich hatte sie sie auf den Bettkasten gelegt.
Sie ging hinüber und sah nach. Nein, auf dem Bettkasten waren sie auch nicht. Langsam wurde sie unruhig.
"Barbara!??" Dass Monika ausgerechnet jetzt nach ihr rief war extrem störend.
"Ja?"
"Barbara! Wer ist Großes E Punkt?"
Sie wankte, als sie dies hörte. Für einen Moment drohte ihr schwarz vor Augen zu werden, dann ging sie unsicher ins Wohnzimmer, blieb aber in der Tür stehen. Monika stand dort, wie der liebe Gott sie erschaffen hatte, ein Anblick der alles in ihm durcheinander brachte. Dirndl hin oder her. Wie er sah hielt Monika einen weißen Zettel in der Hand.
"Was ... was meinst du?", stotterte er mit sichtlicher Mühe.
"Ich meine diesen Zettel hier. Er hatte auf dem Tisch gelegen. Da hat jemand einen Gruß für dich hinterlassen! Soll ich ihn dir vorlesen?" Monikas Stimme hatte etwas Gereiztes an sich.
Wie er sah machte sie sich nicht einmal die Mühe, ihre Brüste mit dem Arm zu bedecken. Irgendweshalb, einem Reflex folgend, schloss er seine Augen, seine Hand fuhr in seinen Schritt, wo er statt eines steil und machtvoll aufgerichteten Gliedes nur die glatte Oberfläche des vermaledeiten Keuschheitsgürtels spürte. Statt einer Antwort nickt er bloß.
"Also hier steht: Du willst dich doch wohl nicht ohne mich vergnügen?? Damit du noch etwas mehr davon hast habe ich die Schlüssel mitgenommen. Wir sehen uns dann! Kuss, E." Monika senkte den Arm und starrte ihn ungläubig an. Dann kam sie, wie sie war, zu ihm hinüber und begann noch einmal, ihn leidenschaftlich zu küssen. Ihre Hand rutschte unter seinen Rock. Und während sie ihn weiterküsste, fragte sie ihn: "Sag, dass ich mich irre. Dass das hier nicht stimmt. Ich will jetzt von dir gef ickt werden, Barbara. Richtig. Jetzt oder nie!"
Er riss sich mühsam von ihr los, heftig nach Atem ringend. "Tut mir leid", stammelte er.
"Es tut dir leid? Du meinst, du hast die Schlüssel nicht hier? Und wenn du sie nicht hast, wer hat sie dann?"
"Hast du ja selbst gesehen! Großes E Punkt."
"Und wer ist diese ominöse Fremde? Oder ist es ein Typ?"
"Ich hab nichts mit Männern!" Er bemühte sich, weiterzusprechen, bevor sie ihm ansehen konnte, dass auch das nicht so ganz stimmte. "Sie heißt Eva. Mehr weiß ich eigentlich auch nicht."
"Eva?", echote Monika, während sie bereits dabei war, sich ihre Sachen wieder anzuziehen. "Einen Nachnamen hat sie nicht?"
"Kallipke. Eva Kallipke. Du kennst sie nicht."
"Noch nicht!", rief Monika laut zurück, während sie bereits die Wohnungstür öffnete. Ohne sie wieder hinter sich zuzumachen stürmte sie die kurze Treppe hinab. "Die wird mich kennen lernen! Die bring ich um!", war das Letzte, was Klaus noch hörte, bevor seine Freundin wutentbrannt zur Haustür hinausstürmte.
Klaus taumelte zurück. Er ließ sich aufs Sofa fallen, fühlte sich urplötzlich sterbensschwach. Er zitterte am ganzen Leib. Barbara war wieder weit weg. Die ganze vertrackte Situation hatte nur dazu geführt, dass er plötzlich wieder ein Mann in Frauensachen war.
Eva!! Wieso hatte die hier auftauchen müssen, ausgerechnet heute, ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo das größe Abenteuer seines Lebens bevorstand? Das war einfach nicht gerecht! Was hatte er denn Böses getan, dass das Schicksal ausgerechnet ihm immer so übel mitspielte? Dicke, salzige Tränen quollen aus seinen Augen und liefen seine Backen hinab, er war wirklich am Ende seiner Kräfte angekommen.
Und jetzt? Er richtete sich auf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. ´Hör auf zu flennen!! Richtige Jungs heulen nicht!´, hörte er eine Stimme wie aus weiter Ferne an sein Ohr dringen. Eine Stimme, die er nicht hören wollte und sofort wieder verdrängte.
Er hatte keine Wahl. Er musste warten, bis Eva zurückkam - falls das heute noch der Fall war, oder er musste so, wie er war, wieder zu seiner Oma zurückgehen. Kein Problem, denn sie hatte ihn bereits mehrmals als Barbara gesehen.
Er sah auf die Uhr und überlegte, wie lange er wohl warten solle. Er konnte nur hoffen, dass Monikas frommer Wunsch nicht wahr würde, bevor Eva mit den Schlüsseln zu ihm gekommen war.
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Es war zehn Minuten vor sechs als Daniela ihr Fahrrad aus dem Ständer zog und verärgert feststelle, dass das Vorderrad platt war. Sie fluchte leise vor sich hin. Jetzt würde sie zu spät zur Messe kommen. Zwar nicht direkt, denn die Messe selber fing erst um Viertel nach sechs an, aber halt eben auf den letzten Drücker, und das mochte Schwester Hildegard gar nicht gern.
Verdammt. Sie überlegte einen Moment, ob sie das Rad noch in aller Schnelle flicken könnte, etwas, das sie von ihrem Bruder gelernt hatte, aber dann sah sie plötzlich, dass jemand das Ventil herausgedreht hatte.
Das ist ja wie in einem Krimi! Sie merkte, wie ihr trotz der sommerlichen Hitze ein leichter Schauer den Rücken hinablief. Irgendjemand hatte die Luft aus ihrem Reifen gelassen! Schwester Hildegard?? Nein, unmöglich, das konnte einfach nicht sein. Oder doch? Vielleicht wollte Schwester Hildegard ja, dass sie zu spät käme!
Wenn sie jetzt losliefe, könnte sie es mit einigem Tempo gerade noch schaffen. Aber eine japsende Messdienerin war sicherlich das Letzte, was die Leute in der Kirche sehen wollten. Vielleicht hatte sie doch noch eine Chance. Sie wusste, wo das Flickzeug lag, und sie wusste auch, dass es Reserveventile gab.
Daniela rannte zurück ins Haus, fand in Windeseile den kleinen Kasten mit dem Flickzeug, brauchte aber dummerweise geschlagene fünf Minuten, die Luftpumpe zu finden, die irgendjemand nach dem letzten Gebrauch nicht wieder an ihren Platz gelegt hatte. Als sie sie schließlich am neu angeschraubten Ventil ansetzte war es bereits nach sechs Uhr. Leider gab die Pumpe mehr Geräusch als Luft von sich, fast alles zischte laut am Ventil vorbei. So wurde es fast fünf nach sechs, bevor sie sich in den Sattel schwingen und auf den ca. zwei Kilometer entfernten Weg zur Kirche machen konnte.
Atemlos erreichte sie die Kirche knappe fünf Minuten später. So schnell war sie selten unterwegs gewesen! Bloß gut, dass sie nur ein loses Top und einen kurzen Jeansrock trug, andernfalls hätte sie sich zu Tode geschwitzt. In der Sakristei, in der es immer mindestens zehn Grad kälter zu sein schien, fröstelte sie augenblicklich und beeilte sich, ihre Gewänder anzuziehen. Der lange schwarze Messdienerrock klebte an ihren verschwitzten Beinen, mit dem weißen Rochett verhaderte sie sich. Schnell machte sie noch ihre Haare zurecht, was dank ihrer Kurzhaarfrisur eine Sache von fünf Sekunden war, dann begleitete sie den Priester, der schon ungeduldig gewartet hatte, hinaus in den Kirchraum. Wie sie sah war die Kirche halbwegs gut besucht, wahrscheinlich hatten viele Gläubige den Besuch der Messe wegen des guten Wetters in den Abend verschoben. Immerhin hatte sie sich nicht umsonst angestrengt.
Die Messe verlief ruhig, nur mit der Ausnahme, dass Daniela etwas mehr als sonst zu tun hatte, da sie ja allein gekommen war. Aber da der Priester auf eine Predigt verzichtete war alles nach nur einer Dreiviertelstunde überstanden.
Daniela ging in der Sakristei zurück zu ihrem Schrank und wollte sich gerade ihre Messdienerkleidung ausziehen, als plötzlich Schwester Hildegard, wie aus dem Boden gewachsen, vor ihr stand und sie am Arm ergriff. Daniela fuhr vor lauter Schreck zusammen und gab einen Laut der Überraschung von sich.
"Nun? Hat da jemand ein schlechtes Gewissen?", fragte die Ordensschwester sie, während sie sie mit kaltem Blick musterte.
"Schlechtes Gewissen?", gab Daniela zurück. "Ich wüsste nicht, warum ich eins haben sollte."
"Weil du zu spät gekommen bist! Du hast es ja nur auf den allerletzten Drücker geschafft; beinahe hätten wir ohne dich anfangen müssen."
Daniela blickte wie ein ertappter Sünder zu Boden. "Entschuldigung", stammelte sie verlegen.
Aber Schwester Hildegard ging nicht darauf ein. Sie griff das Mädchen am Arm und zog sie mit sich fort. "Komm, ich muss dir etwas zeigen. Nein, nicht hier. Es ist unten in der Krypta."
Daniela wunderte sich. Sie wusste sehr wohl, dass es unter der Kirche eine Krypta gab, hatte dort aber noch an keiner Messhandlung teilnehmen müssen. Es war selten genug, dass die Krypta genutzt wurde, wenn überhaupt, dann höchstens einmal für einen Ausländergottesdienst oder eine familiäre Feier, bei der die Teilnehmerzahl begrenzt war.
Sie folgte der Schwester die nur spärlich beleuchtete Treppe hinab. Es ging durch einen langen Gang, die Schwester öffnete die zweiflügelige Tür zur Krypta, schaltete das Licht ein und bedeutete ihr, ihr in den stillen Raum zu folgen. Daniela merkte sofort, dass die Temperatur hier unten sicherlich keine 20° betrug, mit anderen Worten: es war eisig. Sie war froh, dass sie immer noch ihre langen Gewänder trug, in ihrem kurzen Top und Jeansrock hätte sie sicherlich gefroren. Die Luft wirkte abgestanden, ein Hauch von Weihrauch hing noch im Raum; wie lange es her war, dass man ihn zuletzt genutzt hatte, vermochte sie aber nicht zu sagen.
Die Nonne zog sie jetzt hinter sich her, hin zu einer Seitentür, die sie mit einem Schlüssel, der im Schloss steckte, aufschloss. Ein neuer Gang, eher eine Art Abstellkammer, kam zum Vorschein. Daniela fröstelte.
"Was ist das hier, Schwester Hildegard?" Sie erblickte diverse Devotionalien, nebst einer Unzahl kleiner, weißgelber Fähnchen an hölzernen Stangen auch ein größeres, viereckiges Tuch aus feinstem Stoff, das an den Ecken an langen Stangen montiert war und nun angestaubt in einer Ecke stand.
"Nun ja, man könnte es eine Art Rumpelkammer nennen", antwortete die Ordensfrau ihr. Alles Dinge, über die der Zahn der Zeit hinweggegangen ist. Das Ding da hinten...", sie deutete auf das große Tuch, "ist ein sogenannter Himmel. Früher, als wir hier in Köln zu Fronleichnam noch eine Prozession durch die Straßen machten, da wurde dieser Himmel von vier Gemeindedienern getragen - schwarzer Anzug, weiße Handschuhe, und unter diesem Himmel ging der Pastor und trug die Monstranz, während die Gläubigen, die die Straße mit schönsten Blumenornamenten und jungen Birkenbäumchen geschmückt hatten, niederknieten. Aber das gibt es hier bei uns schon lange nicht mehr. Zu viele Autos, zu wenig Gläubige, tja..." Sie ließ einen lauten Seufzer hören. "Aber deswegen habe ich dich nicht mirgenommen. Ich will dir etwas zeigen und mal deine Meinung dazu hören."
Der Gang - die ´Rumpelkammer´ - endete an einer weiteren Tür, die relativ neu aussah. Eigentlich nur eine ganz billige Tür vom Baumarkt, die in eine hölzerne Bretterwand eingelassen war. Dennoch war sie mit einem modernen Schloss gesichert, wie Daniela sofort feststellte. Aber das vielleicht Bemerkenswerteste war die eigentümliche Verzierung, die rund um die Tür angebracht war. Diese bestand auf einem dicken Wulst ineinander verflochtener Zweige, wie sie von einem Brombeerstrauch kommen mochten, auf jeden Fall waren sie voll spitzer Dornen, wie Dani prüfend bemerkte. Oben über der Tür war ein Schild angebracht, das mit breitem Pinselstrich geschrieben das Wort Confiteor trug. Daniela merkte, wie sich ihre Nackenhaare aufrichteten.
Die Nonne lachte, ein unangenehmes Lachen, das sich im düsteren Gang verpflanzte. "Ja, du siehst, ich habe mir redlich Mühe gegeben! Zugegeben, es ist nicht gerade Rodins Höllentor, aber... nun ja..." Sie brachte den Satz nicht zu Ende, während sie einen Sicherheitsschlüssel von einer Kette nestelte, die sie um den Hals trug. Dann sperrte sie die Tür auf.
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Damit möchte ich nun all meinen Lesern ein gesegnetes Weihnachtsfest wünschen! Und ich habe ein kleines Geschenk für Euch!! Ich habe ja nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich meine Fortsetzungen immer deshalb erst um 22 Uhr bringe, weil ich möchte, dass sich alle erst einmal ihren Familien widmen können.
Aber es ist mir auch bewusst, dass es bestimmt eine Menge Leser gibt, die das Weihnachtsfest allein, ohne Familie oder Freunde, verbringen werden. Deshalb werde ich die Fortsetzung bereits zu Weihnachten bringen, da habt auch Ihr etwas, auf das Ihr Euch freuen könnt! Wann genau sie kommt, sage ich aber noch nicht! Soll ja etwas spannend bleiben!
Weihnachtliche Grüße, Eure Daniela 20
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Keuschling |
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zur Sicherheit besser verschlossen, zur Zeit im Neosteel TV-Masterpiece...
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RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust")
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Datum:24.12.12 22:26 IP: gespeichert
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Hi Daniela,
eine sehr spannende Fortsetzung, vielen Dank dafür!
Die Entwicklung von Monika ist sehr interessant. Sie hat zu echten Gefühlen gefunden, die sie offenbar jetzt auch wirklich ausleben will. Es scheint fast so, als hätte sie Barbara geschaffen, weil sie sich dies mit Klaus nie erlaubt hätte sonst. Also quasi ein Akt zur Selbstbefreiung, zumal sie jetzt ja Sex mit Klaus will, sogar dafür kämpft. Die Gefühlslage von Klaus ist dabei sehr nachvollziehbar, er fühlt sich total verstrickt. Da kann man nur hoffen, daß er bald Klarheit für sich wiederherstellt, wer er ist und was er will. Eine Idee davon scheint er ja zumindest zu haben.
Eine Dose also, die Frau Meisner suchte, und so unbedingt sicherstellen will. Was der Inhalt wohl ist? Diesen zweiten Bergungsversuch hat sie ja jetzt ziemlich teuer bezahlen müssen. Zumindest bin ich froh, daß sie noch lebt - und hoffentlich bald gefunden wird. Jedoch wird das wohl ein weiteres ungewolltes Outing für Barbara dann werden, vor den Rettungskräften, die er hoffentlich noch rechtzeitig rufen kann.
Ich bin gespannt, wie Daniela in Deiner Geschichte die Strafbank findet, die sie offenbar erwarten wird...
Daniela, Dir herzlichen Dank für Deine guten Wünsche. Es ist wirklich schön, wie Du insbesondere für die sorgst, die Weihnachten allein feiern müssen. Auch Dir ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest!
Liebe und weihnachtliche Grüße
Keuschling
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RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust")
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Datum:26.12.12 10:37 IP: gespeichert
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Ein kleines Weihnachtsgeschenk für alle, die sich heute sonst zu Tode langweilen würden! Gute Spannung beim Lesen wünscht Eure Daniela!
PS: Danke auch für die Weihnachtsgrüße an mich!! Freue mich immer, auch über Kommentare hier zur Geschichte! Lob oder Kritik, traut Euch ruihg mal, ein wenig zu schreiben --- und ich gehe mal davon aus, dass man sich angemeldet hat und vielleicht schon einmal dem Forum eine kleine Gabe in Form einiger kleiner Münzen hat zugutekommen lassen!!
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Er konnte nicht länger warten. Klaus sah, dass es bereits nach acht Uhr war, höchste Zeit, sich um die Großmutter zu kümmern. Dass Eva ´wir sehen uns dann´ geschrieben hatte, musste rein gar nichts bedeuten. Vielleicht würde sie erst am späten Abend noch einmal kommen, vielleicht aber auch nicht.
Dennoch zögerte er etwas. Sollte er wirklich so gehen? Im Dirndl? Aber er spürte, dass er keine Lust hatte, sich jetzt noch einmal umzuziehen. Männliche Kleidung fiel sowieso flach, solange er den stählernen BH trug, denn dessen Beulen ließen sich unter keinem Hemd verstecken. Also im Dirndl! Missmutig schnappte er sich seine Handtasche und verließ die Wohnung.
Es wollte ihm nicht gelingen, wieder in sein alter-ego zu schlüpfen. Immer noch war sein ganzes Denken von jener missratenen Aktion bestimmt, jener missratenen männlichen Aktion. Im Geiste sah er sich wieder und wieder, wie er mit steifem Glied in Monika eindrang, wie er sie endlich nehmen konnte, wie er ihr zeigen konnte, dass er trotz aller Verwandlungen immer noch ein Mann war. Aber diese Bilder hatte er nur, wenn er die Augen schloss, wenn er seiner unerfüllten Fantasie freien Lauf ließ; in Wahrheit war nichts davon auch nur annähernd geschehen. In Wahrheit begleitete Barbara ihn, erinnerte ihn als Reflektion seines unerfüllten Selbst, wann immer er an einem Schaufenster vorüberging, ließ ihn nicht mehr los, krallte sich mehr und mehr an ihm fest.
Im Zimmer seiner Oma brannte noch kein Licht. Aber es war ein heller Sommerabend, die Sonne war noch nicht einmal untergegangen. Er schloss mit seinem Schlüssel die Haustür auf, wünschte sich ein weiteres Mal, schnell wieder unter Barbaras beschützenden Mantel schlüpfen zu können, aber es wollte im Moment nicht gelingen. Bewusst ließ er die Haustür laut ins Schloss fallen; seine Oma sollte hören, dass er endlich gekommen war.
Gespannt wartete er auf ihren üblichen Begrüßungsruf, auf ihr ´Bub, bist du es?´, aber es herrschte gespenstische Stille in der alten Villa. Nanu? Dann vernahm er leises Wimmern, das aus der geöffneten Küchentür kam.
Als er seine Großmutter mit gebrochener Hüfte auf dem Küchenfußboden liegend vorfand, hätte er sie beinahe wütend angeschrien. Nur mit Mühe hatte er sich vor gerade einmal einer halben Stunde vom Sofa hochgerappelt, hatte er sich zusammengerissen, obwohl alles in ihm nur noch nach einer Bettdecke über dem Kopf schrie, und jetzt kam noch eine Katastrophe. Mehr ging nicht, das spürte er sofort, aber jetzt kam es darauf an, wenigstens noch solange einen kühlen Kopf zu bewahren, bis der Krankenwagen seine Oma abgeholt hatte.
Trotz ihres Jammerns verstand er, dass sie Hunger gehabt hatte, dass sie hier in der Küche aber ausgerutscht war und sich wohl die Hüfte gebrochen hatte. Oberschenkelhalsfraktur, dachte er und erinnerte sich an einen Kursus, den er letztes Jahr absolviert hatte. Das würde mindestens mehrere Wochen im Krankenhaus bedeuten.
Jetzt gab es nur noch eine Hürde zu nehmen. Er musste schleunigst einen Rettungswagen anrufen. Die Sanitäter würden ihm Fragen stellen, und er würde sie beantworten müssen. Er. Aber er steckte in einem dämlichen Dirndl, und Sanitäter waren keine Leute, denen man etwas vormachen konnte. Andererseits konnte er nur darauf hoffen, dass solche Leute von ihren Hausbesuchen wohl allerhandlei gewohnt waren, er wäre bestimmt nicht der erste Transvestit, der ihnen begegnete. Falls er überhaupt ein solcher war.
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Daniela hatte Angst, ihr weißes, frisch gestärktes Rochett könnte schmutzig werden, aber als Schwester Hildegard die Tür öffnete und das Licht einschaltete, sah sie einen kleinen, relativ sauberen Raum. Eigentlich war dieser nur das abgeteilte Ende des Ganges, in dem sie sich befanden, durch die eingesetzte Bretterwand war hier aber ein separater Raum entstanden, ein Raum, zu dem mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur Schwester Hildegard einen Schlüssel besaß.
Warum, konnte Daniela sofort sehen. Fast die gesamte Breite des Raums wurde von einer almodischen Kniebank eingenommen, allerdings einer Bank ohne Sitzgelegenheit. Die Buchablage, also jenes Teil, auf das man beim Beten die gefalteten Hände zu legen pflegte, war über und über mit langen, spitzen Heftzwecken besetzt, an einer soliden Öse waren Handschellen mittels eines kleinen Vorhängeschlosses befestigt.
Vor dieser Kniebank, an der Wand, hing ein mittelgroßes Kruzifix, das links und rechts von zwei Kerzen beleuchtet werden konnte.
Sie wollte gehen, diesen Ort der Finsternis so schnell wie möglich wieder verlassen, aber die Nonne stand hinter ihr und blokierte die Tür.
"Nun, was sagst du?"
"Was haben Sie mit mir vor? Lassen Sie mich gehen!" Es klang wie aus einem schlechten Film.
"Nichts. Ich wollte nur mal wissen, ob meine Konstruktion so halbwegs richtig ist, oder nicht. Du hast doch das Ding in München gesehen, Daniela."
Daniela musste schlucken. Sie bemühte sich, ruhig zu bleiben. "Nein", antwortete sie. "Nein, so stimmt das nicht. Da fehlt doch das Wichtigste, die Sitzbank mit den messerscharfen Stacheln. So, wie es jetzt ist, kann man sich ja immer noch irgendwie auf den Allerwertesten setzen."
"Ja, ich weiß. Aber sieh mal hier, ich habe die ganzen Teile schon beieinander. Da muss nur noch ein wenig geschraubt werden. Ich denke mal, in ein paar Tagen werde ich es fertig haben."
Daniela fiel ein Stein vom Herzen. "In ein paar Tagen bin ich weit weg", murmelte sie erleichtert.
"Schade. Aber Luise wird ja noch hier sein." Luise war das andere Mädchen, das mit ihr zusammen im Herbst zu den Messdienern gekommen war. Sie war etwas jünger und führte sich manchmal ziemlich albern auf, wie Daniela fand. "Etwas verschärftes Training wird ihr gut tun!"
Verschärftes Training! Daniela lief es eiskalt den Rücken runter. Sie wagte es nicht, etwas zu sagen. In einer Ecke sah sie etwas Stuhlähnliches, daneben eine Tüte mit langen, sehr spitzen Nägeln. Sie schlug die Arme um sich.
"Mir ist kalt. Ich hole mir hier unten noch den Tod. Schwester Hildegard, eine Erkältung kann ich mir jetzt nicht leisten, so kurz vor meiner Reise."
"Du hast recht, Daniela. Ich wollte ja auch nur mal deine Meinung hören. Wenn du zurückkommst, dann kannst du das fertige Ergebnis sehen. Wie lange bleibst du denn in Amerika?"
"Acht Wochen. Im August komme ich wieder zurück." Vielleicht sollte ich besser dort bleiben?
"Dann meld dich ruhig wieder bei mir. In den Sommerferien können wir immer Messdiener brauchen, Daniela! So, dann lass uns mal wieder zurück in den Sommer gehen!"
Wenige Minuten später saß Daniela wieder auf ihrem Fahrrad und radelte durch den immer noch schwülwarmen Sommerabend zurück nach Hause. Eine Gänsehaut hatte sie immer noch.
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"Wohin bringen Sie sie?" Es war Klaus gerade noch rechtzeitig eingefallen, sich bei einem der Sanitäter zu erkundigen, bevor sie mit seiner Großmutter davonfuhren.
"Ins MRI. Kommen Sie morgen mal vorbei, dann kann man Ihnen sicherlich genauer sagen, wie lange ihre Großmutter im Klinikum bleiben muss. Aber ich denke mal, mit ein paar Wochen können Sie bestimmt rechnen." Der Sanitäter hatte ihm sachlich geantwortet, aber der Blick, den er ihm gleichzeitig sandte, sprach Bände.
Klaus schloss die Tür hinter den beiden, nachdem er sich von seiner Oma verabschiedet und versprochen hatte, am nächsten Tag zu ihr ins Krankenhaus zu kommen. Mit dem Rücken lehnte er sich gegen die Haustür, wobei er laut und geräuschvoll ausatmete. So ein scheiß Tag!
Er hatte die beiden Sanitäter, einen Mann im mittleren Alter und eine noch recht junge Frau, hereingebeten und sie sofort in die Küche geführt. All das ging ohne viel Worte ab. Fragen, ob sie sie gefunden hätte und wann und wo, ließen sich noch mit wenigen Worten beantworten. Man stellte fest, dass die Anwesenheit eines Notarztes nicht erforderlich war; die alte Dame konnte problemlos versorgt werden. Sie wurde auf eine Tragbahre geschnallt und in den Rettungswagen gebracht. Dann waren beide Sanitäter eingestiegen und er hatte ins Haus zurückgehen können.
Heftiges Klopfen an die Tür schreckte ihn noch einmal hoch. Hatten sie etwas vergessen?
Es war die Frau, die entschuldigend dreinblickte. "Es tut mir leid, dass ich Sie noch einmal stören muss. Aber wir brauchen noch Angaben zu Ihrer Person."
Klaus merkte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat. "Muss das sein?", fragte er zögerlich.
"Nur für die Akten. Machen Sie sich keine Sorgen."
"Keine Sorgen??" Er sah sie verdattert an.
"Nun ja..." Sie schien nicht recht zu wissen, wo sie hinschauen sollte. Dann streckte sie die Hand nach ihm aus, allerdings ohne ihn zu berühren. "Ein hübsches Dirndl..."
"Danke." Klaus wich ein wenig zurück. "War es das schon?"
"Nein. Ich brauche Ihren Namen und Ihre Anschrift. Oder wohnen Sie mit hier im Haus?" Sie hatte einen Vordruck auf einem Klemmbrett, den Stift schreibbereit in der rechten Hand.
"Nein. Ich meine, nein, ich wohne nicht hier. Ich heiße ... Barbara." Er hatte es nicht geschafft, es flüssig, in einem Satz, zu sagen. Wie er sah, hatte sie den Stift aufs Papier gesenkt, aber sie schrieb nicht.
Die junge Sanitäterin sah ihn an. Sie zögerte. "Sind Sie sicher, dass ich das schreiben soll? Es könnte ... es könnte kompliziert werden. Für Sie. Falls Sie verstehen, was ich meine."
Er verstand es sehr gut. Das Blut schoss ihm in den Kopf. Monatelang hatte er im Winter als Frau gelebt, aber das war eine dunkle Jahreszeit, da hatte er sich unter einem langen Mantel verstecken können; großartigen Kontakt hatte er selten zu Fremden gehabt. Vielleicht abgesehen von dem Behinderten, den er betreute, aber der war sowieso nicht ganz richtig im Kopf. Die jetzige Situation war neu.
Er schüttelte den Kopf. "Nein, vielleicht haben Sie recht. Es könnte Probleme geben. Immerhin bin ich ihr einziger Angehöriger hier in München. Meine Mutter ist die einzige Tochter; sie lebt in Italien. Also schreiben Sie..." Er nannte ihr seinen richtigen Namen und die Adresse.
Die Sanitäterin notierte alles auf ihrem Vordruck. "Glauben Sie mir, das ist besser so."
"Und ihr Kollege? Muss der...??"
"Nein, muss er nicht. Der muss jetzt nur noch fahren. Was ich hier schreibe, bekommt er nicht zu sehen. Und was wir zu sehen bekommen haben, bekommen andere nicht zu wissen." Sie lächelte ihn an. Dann geschah etwas Unerwartetes. Sie beugte sich vor, griff in seinen Schritt, gab ihm einen tiefen Zungenkuss, und flüsterte: "Danke Barbara. Sie sehen toll aus! ... Oh, was ist das?" Mit einer raschen Bewegung hatte sie seinen Rock angehoben und seinen blitzenden Keuschheitsgürtel freigelegt. Sie sah ihn höchst erstaunt an, dann lachte sie, klopfte mit der Hand gegen den KG und fragte: "Braucht es hier vielleicht einen Sanitäter? Ich hätte um elf Uhr Feierabend!"
Klaus war wie versteinert. Ein hilfloses Lächeln huschte über sein Gesicht, sein Kopf machte unkontrollierte Bewegungen. Er hörte noch, wie die Tür wieder geschlossen wurde und der Wagen davonfuhr. Dann ließ er sich auf den Fußboden sinken.
Ein Loch im Boden wäre ihm jetzt gerade recht gewesen. Der heutige Tag hatte ein schlechtes Karma, so viel stand fest. Es war ein Wunder, dass er überhaupt noch atmete. Er überdachte seine Situation. Seine Affären schienen komplett unüberschaubar. Da gab es Daniela, die nur Klaus wollte. Monika, die nur Barbara wollte. Eva, die nahm was sie kriegen konnte, sich selber aber immer in der Deckung hielt. Andrea als großes Fragezeichen. Und war nicht gerade noch eine weitere Person hinzugekommen? Wieso übte er auf andere Menschen als Barbara solch eine Anziehungskraft aus? Es war Zeit für einen längeren Urlaub, oder die Klapsmühle. Eins von beiden!
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Als Monika am nächsten Morgen aufwachte, war sie stocksauer. Enthaltsamkeit, hatte Agnes ihr gesagt. Ja, aber doch nicht... so! Wer mochte diese neunmal verfluchte Eva Kallipke sein? Von dieser Tussie hatte sie noch nie zuvor gehört. Scheinbar war sie ein ernst zu nehmender Konkurrent.
Sie sprang aus dem Bett und eilte auf die Toilette. Konkurrenz belebt das Geschäft, so hieß es, aber Monika war klar, dass das in diesem Fall wohl eher nicht stimmte. Sie konnte keine Konkurrentin gebrauchen, erst recht keine, die plötzlich die Schlüssel zu seinem Ding da besaß. Verdammt verdammt!!
Erneut spürte sie die unerfüllte Geilheit in sich aufsteigen. Sie hätte sich selber Linderung verschaffen können, denn seit Wochen schon lag ihre Knospe ungeschützt, aber sie zuckte immer wieder zurück, schaffte es nie, ihre Hand lang genug dort zu lassen, wo es am schönsten war.
Sie musste auf andere Gedanken kommen. Hatte sie sich schon bei Daniela gemeldet und eine gute Reise gewünscht? Nein. Also nahm sie ihr Handy, das immer griffbereit in ihrer Nähe lag, und betätigte die Kurzwahl für Danielas Nummer.
"Ja?" Ihre Stimme klang müde.
"Morgen Dani! Ich wollte dir nur mal schnell noch eine gute Reise wünschen. Wann geht´s denn los?"
"Übermorgen. Sag mal, weißt du wie spät es ist? Noch nicht einmal sieben!"
"Ja. Etwas früh, ich weiß. Aber ich konnte nicht mehr einschlafen; muss erst heute Nachmittag zur Uni."
"Schon gut. Jetzt stehen wohl ´ne Menge Prüfungen an, Klausuren und so?"
"Leider. Würd auch lieber mit dir durch die USA bummeln. Und sonst so? Was macht die Liebe?" Es war klar, dass sie nicht von der Liebe sprach.
"Nix is. Eigentlich schon seit Ostern nicht mehr. Ist echt langweilig."
"Gehst du noch Messe dienen?" Eine bessere Frage fiel Monika nicht ein. Das Gespräch schleppte sich nur mühsam dahin.
"Ja. Gestern Abend noch. Ich..." Daniela stockte. Sie ließ ihr Handy sinken und fuhr sich mit der anderen Hand über die Augen. War das wirklich passiert? Hatte Schwester Hildegard sie wirklich nach der Messe mit in die Krypta genommen und ihr dort ihr höchspersönliches Höllentor gezeigt? Oder hatte sie all das nur geträumt? Die Erinnerung kam ihr sehr real vor. Vielleicht doch etwas zu real für einen Traum?
"Dani?? Bist du noch da?"
"Ja. Mir war das Handy runtergefallen. Du, danke für deinen Anruf. Aber ich bin schlecht drauf im Moment. Reisefieber oder so, keine Ahnung. Ich glaube, ich brauche noch ´ne Mütze voll Schlaf."
Monika wünschte ihr alles Gute und eine glückliche Heimkehr und bat sie, ab und zu mal etwas auf ihrer Facebook-Seite zu schreiben, dann unterbrach sie das Gespräch. Unmittelbar darauf klingelte ihr Handy selber.
"Barbara?" Das war bisher noch nicht vorgekommen, dass sie bei ihr angerufen hatte. "Scheiße", murmelte sie.
"Ja, das war echt scheiße. Tut mir leid, Monika. Glaub mir, das war für mich schlimmer, als die drei Monate vor Ostern."
"Geiler Bock!" Hoffentlich bekam sie das jetzt nicht in den falschen Hals. "Ne, entschuldige. Hab´s nicht so gemeint."
"Schon gut. Du hast ja recht. Meine Oma ist ins Krankenhaus gekommen. Gestern Abend. Sie ist gestürzt und hat sich die Hüfte gebrochen."
"Ach du scheiße. Na ja..." Gerade rechtzeitig fiel ihr noch ein, dass sie eigentlich keine sonderliche Symphatie für Klaus´ Großmutter hegte. "Und, ist das jetzt mehr Arbeit für dich? Ich meine... vielleicht sollten wir bald mal wieder... vorausgesetzt, diese blöde Tussie lässt dich irgendwann mal wieder aus deinem KG raus?" Sie biss sich auf die Lippe. Derartiges Drängeln war ungewohnt für sie. Aber sie fühlte, dass ihr keine Zeit für vorsichtiges Taktieren blieb. Sie wollte es, und sie wollte es jetzt.
"Klar doch, Monika. Wenn ich zurückkomme." Er atmete deutlich hörbar aus.
"Wenn du zurückkommst? Von wo?", fragte sie ungläubig.
"Kann sein, dass ich mal meine Mutter besuche. Hab sie lange nicht mehr gesehen. Weißt du, meine Oma muss mindestens drei Wochen im Krankenhaus bleiben, sie liegt im MRI. Und nun ja, ich finde, ich habe mich lange genug um sie gekümmert. Also, ich melde mich dann wieder, wenn ich zurück bin. Versprochen! Kuss!!" Er ließ dem Wort noch zwei laute Schmatzer folgen, dann klappte er sein Handy zu.
"Und? War es so schlimm?", fragte die Frau, die neben ihm lag, während sie wenig lustvoll über jene stählerne Beule streichelte, unter der sie nicht ohne Grund sein Glied vermutete. "Warum hast du sie eigentlich nicht gefragt, ob es irgendwo noch einen Zweitschlüssel gibt? So hast du doch gar nichts davon!" Sie griff fester zu, machte die Bewegungen, die normalerweise für eine feuchte Reaktion sorgten, und widmete sich dann noch einmal diesem raffinierten, stählernem BH. Das blöde Ding musste doch irgendwie abzumachen sein?
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Sowohl Eva als auch seine Oma hatten ein Nachsehen mit ihm. Eva, weil sie ihm die Schlüssel noch am Vormittag vorbeibrachte, glücklicherweise, als seine nächtliche Besucherin das Haus schon wieder verlassen hatte. Und seine Oma, weil diese nichts dagegen hatte, dass er den Wunsch hegte, endlich einmal wieder seine Mutter besuchen zu wollen.
"Und pass gut auf dich auf, Bub! Und grüß mir die Mama; hoffentlich kommt sie bald mal wieder nach München! Vielleicht schafft sie es ja doch noch in diesem Sommer? Oder im Herbst, da wäre es doch auch schön. Sie könnte dann mit dir aufs Oktoberfest...." Die alte Dame stockte, so als wäre ihr gerade etwas eingefallen. "Nun ja, vielleicht doch besser nicht."
Klaus sah, wie sie die Augen schloss und scheinbar eine Art Gebet vor sich hin murmelte.
"Glaubst du, dass Beten hilft, Oma?"
"Wenn nur ich es glaube, bestimmt nicht. Du musst es schon selber glauben."
"Ich weiß schon lange nicht mehr, was ich glauben soll. Richtig, oder verkehrt, das ist hier die Frage."
"Gut, oder böse, das ist hier die Frage!", nahm sie seinen Satz auf. "Du darfst es dir nicht zu leicht machen, Bub. Aber vielleicht bist du noch zu jung, um zu begreifen, dass das Leben..."
"...eine Hühnerleiter ist: kurz und beschissen! Ja ja, ich weiß, Oma, du hast es oft genug gesagt."
"Eigentlich wollte ich den Spruch von der Klobrille anbringen", protestierte seine Großmutter.
"Man macht viel durch!?"
Sie nickte schwach. "Ja, genau den. "Du bist noch jung..."
"So jung nun auch wieder nicht! Und glaube mir, ich habe schon genug durchgemacht." Er ärgerte sich leicht. Immer diese blöden Sprüche. Nie hatte sie ein richtiges Gespräch aufkommen lassen, wenn er jemanden brauchte, dem er sich anvertrauen konnte. Immer hatte sie alles abgeblockt, immer hatte sie alles mit dummen Sprüchen und kleinen Witzchen ins Lächerliche gezogen. Lachen ist die beste Medizin, hatte sie immer und immer wieder betont. Und seine Tränen als Freudentränen missdeutet.
Er gab ihr eine Wangenkuss und versprach, spätestens Mitte Juli wieder zurück zu sein, möglicherweise eher. Das Krankenhauspersonal hatte ihm versichert, dass er sich keine Sorgen machen solle; seine Oma würde nach dem Krankenhausaufenthalt erst einmal in einem Pflegeheim aufgenommen, bevor man sie wieder nach Hause entlassen würde. "Und grüßen Sie ´Bella Italia"´, hatte ihm der Arzt noch zugerufen, als er das MRI verließ.
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Oktober IV.
"Derrick? Sagten Sie Derrick?", fragte die Ärztin sie.
Ingeborg Wimmer lachte, während sie sich eine Zigarette anzündete. Sie blies den Rauch aus und klärte die andere auf. "Nein, nicht ´Derrick´, sondern ´der Rick´. Ein kleiner Unterschied, wie Sie sicherlich heraushören können. Unserem Chef schmeichelt es, und Männer sind ja so furchtbar eitel. Aber wenn Sie ihn sehen, dann werden sie feststellen, dass es zwischen diesem komischen TV-Inspektor und unserem Hauptkommissar keine Ähnlichkeiten gibt." Sie nahm einen weiteren Zug und fügte dann noch ein stilles ´Gott sei Dank´ hinzu.
Die Ärztin schüttelte den Kopf. "Sachen gibts! Aber ich glaube, er kann froh sein, dass er mit unserem Münchner verglichen wird, nicht mit diesem Schimanski. Blöder Prügelbulle. Verstehe gar nicht, wieso man den Zuschauern immer so einen Müll auftischt."
"Vielleicht weil dieser Müll spannender ist als unsere methodische Arbeit?"
"Vielleicht. Aber wenn ich mir richtig alte Krimis ansehe, die mit Felmy als Haferkamp oder Klaus Schwarzkopf als Kommissar Finke oben in Kiel, das waren doch auch spannende Krimis, obwohl da nicht immer alles nur auf plumpe Action ausgerichtet war."
Wimmer zuckte die Schultern. "Tja, da ist wohl mal irgendwann etwas in der Entwicklung der Menschheit schiefgelaufen! ´Schneller, weiter, höher??´ R-ücksichtslos, T-riviell, L-angweilig!! Damals fanden es die Leute ja schon spannend, wenn der Veigl mit seinem Hund da im Präsidium rumlief." Sie drückte ihre Zigarette mit dem Stiefel aus und steckte den übriggebliebenen Rest zurück in die Schachtel.
"Gesund ist das gerade nicht, was Sie da machen!", ermahnte die Ärztin sie.
"Das Leben ist sowieso ungesund. Jeden Tag verliert man 24 Stunden..."
"So kann man es natürlich auch sehen. Bisher dachte ich immer, man gewinnt jeden Tag 24 Stunden hinzu."
"Die da unten auf jeden Fall nicht." Wimmer machte eine Kopfbewegung Richtung Isar. "Wo bleibt er denn nur?"
"Ist Ihnen das blauweiße Bändchen aufgefallen, dass die junge Frau am Handgelenk trug?"
Die Kriminalbeamtin überlegte einen Augenblick, dann schüttelte sie den Kopf.
"Vielleicht könnte ich Ihnen da schon ein wenig weiterhelfen. Mein Sohn hatte letztes Wochenende auch so ein Ding am Handgelenk, vielleicht weiß der mehr?"
Ingeborg Wimmer blickte sie überrascht an. "Das wäre nicht schlecht. Es muss sich um irgendein Fest handeln nehme ich mal an. Wenn Sie ihn mal fragen könnten, könnte uns das vielleicht schon entscheidend weiterbringen. Sie wissen ja, man muss innerhalb der ersten paar Stunden schon einen Roten Faden finden, danach dann wird es schwierig mit der Aufklärung."
Die Ärztin nickte und nahm ihr Handy. "Ich rufe ihn gleich mal an. Wenn ich ihm sage, dass er an einer Mordermittlung teilhaben kann, dann bekomm ich ihn sicherlich schon wach."
"Und ich frage mal die Kollegen, ob nicht einer zufälligerweise eine Thermoskanne heißen Kaffee dabei hat."
Wenige Minuten später hatte sie tatsächlich zwei Becher heißen Kaffee aufgetrieben, während die Ärztin mit ihrem Sohn sprach.
"Ja, sag ich doch, ein blauweißes Bändchen, am Handgelenk, mit so´ner Plombe dran. So was hattest du doch auch letztes Wochenende. .... Was? Hattest du nicht? Ich hab´s doch gesehen! ... Ach, nun spinn nicht rum! Was heißt hier, dein Bändchen sei weißblau gewesen! Also, du hattest auch so eins! Und woher?" Sie hörte einige Momente gespannt zu und genehmigte sich einen Schluck Kaffee.
"Was?? Was für eine Party?? Aber nicht das Oktoberfest, oder?" Sie notierte sich etwas auf einen Zettel. "Okay. Gibt es da auch eine Adresse oder so was? ... Aha, ja, ich schreibe mit. Okay, super, die Kripo München dankt jetzt schon. Und jetzt schlaf weiter! Tschüss!"
"Oktoberfest?", fragte Wimmer.
Die Ärztin schüttelte den Kopf. "Geidi-Gaudi, sagte er."
"Wie bitte? Was ist das denn? Geidi-Gaudi.... nie gehört!"
"Er meinte, es sei eine Abkürzung für ´Geile Dirndl Gaudi´. Den Rest kann man sich dann ja denken. Das ist nur was für die jüngeren Semester, natürlich erst ab achtzehn, weil es da Alkoholausschank gibt. Aber in der Realität sind die wohl schon ein paar Jahre jünger. So genau wird da wohl nicht kontrolliert."
"Hmm. Aber sagten Sie nicht, ihr Sohn sei bereits letztes Wochende bei dieser komischen Geidi-Gaudi gewesen? Unsere Leiche hier ist dafür aber doch wohl ein bisschen frisch, meinen Sie nicht?"
"Die Gaudi findet an drei Samstagen Ende Oktober und Anfang November statt. Gestern war das zweite Mal! Eine Adresse habe ich auch!" Sie schob der jungen Beamtin ihren Notizzettel hinüber, die noch einmal auf ihre Uhr schaute.
"Na, das ist doch schon was! Da wird sich der Rick aber freuen, dass wir schon was für ihn haben!"
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Damit wünsche ich nun allen Lesern einen geruhsamen zweiten Feiertag!
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Keuschling |
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Sklave/KG-Träger
um Ulm herum...
zur Sicherheit besser verschlossen, zur Zeit im Neosteel TV-Masterpiece...
Beiträge: 1402
Geschlecht: User ist offline
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RE: Agonie (Fortsetzung von "Frust")
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Datum:26.12.12 21:55 IP: gespeichert
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Hi Daniela,
also seit Klaus Barbara und verschlossen ist, kann er sich vor Verehrerinnen offenbar kaum retten - was für ihn wohl absolut noch verwirrender wird, als es ohnehin schon ist. Jetzt kommt auch noch eine Sanitäterin ins Spiel, die ihn aber wohl immerhin zu dem Anruf bei Monika motivieren konnte, und somit vielleicht sogar zur guten Samariterin für ihn geworden ist. Ein wohl absolut verwirrender Tag für Klaus, gefolgt von einem Tag, zu dem er zumindest wieder seinen Schlüssel bekommen hat. Ja, das Leben kann voller Überraschungen stecken - wenn auch das Timing oberflächlich betrachtet nicht ganz stimmt. Trotzdem, man könnte als männlicher Single-Leser durchaus in Versuchung kommen, sich jetzt auch ein Dirndl anzuschaffen...
Da hat Daniela ja noch mal Glück gehabt, daß die Strafbank noch nicht fertig war. Aber sie wird ja wieder aus den USA zurückkommen, und Schwester Hildegard wird sie sicher liebevoll als Meßdienerin wieder aufnehmen und sich ihr annehmen wollen. Ich hoffe nur für beide, daß es nicht solche Formen annehmen wird, wie bei dem fatalen Zwischenfall in München, der sich hoffentlich nie wiederholen wird.
Ja, Oma Meisner hat schon so viel erlebt, aber sie gibt ihr Wissen nicht einfach so her, sondern bleibt geheimnisvoll. Mit ihrem Unfall tut sie mir sehr leid, auch wenn er mit ihrer ewigen Geheimniskrämerei zu tun hat. Wenn sie Klartext geredet hätte, wäre wohl alles einfacher gewesen, und der Unfall hätte nie stattgefunden. Aber wer weiß, wie dunkel ihr Geheimnis am Ende ist, und wieviel es mit ihrer Tochter zu tun hat. Möglicherweise dürfen dann Klaus und Monika niemals mehr zusammenfinden, wenn das Geheimnis gelüftet wird - was aber dann vielleicht trotzdem das beste wäre.
Tod nach der Geidi-Gaudi - das ist niemandem zu wünschen, egal, wie die Umstände dazu nun wirklich waren. Die Ermittlungen werden wohl nun schnell voran kommen, hoffe ich.
Liebe Daniela, herzlichen Dank für diese weitere, spannende und lebensecht erzählte Episode!
Keusche, aber immer noch weihnachtliche Grüße
Keuschling
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